Archiv des Autors: Rüdiger Winter

Der Sänger wandert selbst

 

Der Bariton Andrè Schuen ist mit seinen siebenunddreißig Jahren bereits sehr erprobt im Liedgesang. Er tut gut daran, sich nicht auf die Oper festzulegen, wenngleich er bei bisherigen Bühnenauftritten bleibenden Eindruck hinterließ. Er macht etwas her, kann sich bewegen. Er bringt die Natürlichkeit eines Burschen aus Tirol in sein Spiel. Eine Natürlichkeit, die sich auch in seiner Stimme findet. Nun hat er Die schöne Müllerin von Franz Schubert aufgenommen. Sie ist bei Deutsche Grammophon erschienen (483 9558). Am Flügel sitzt Daniel Heide. Der aus Weimar stammende Pianist gilt als gesuchter Bergleiter. Schon im ersten Lied setzt er aufregende Akzente indem er gemeinsam mit dem Sänger das Tempo – wie auch im weiteren Verlauf des Zyklus – aus dem Handlungsverlauf entwickelt und jedem einzelnen Wort des Textes von Wilhelm Müller seinen eigenen musikalischen Ausdruck verleiht. „Die Steine selbst, so schwer sie sind“ rumpeln auch in den Tiefen seines Instruments. Heide hat großen Anteil daran, dass ich dem Vortrag ergriffen gefolgt bin, von Lied zu Lied darauf gespannt, wie es wie es weitergeht. Völlig zu Recht verweist Autor Maximilian Sippenauer im Booklet darauf, dass das Klavier „keinen virtuosen Zierrat“ liefert, sondern !transparent, vergrößernd, fragil wie konvex geschliffenes Glas“ wirke. „Diese feinsinnige Konversation zwischen Klavier und Gesang ist der Schlüssel zu Schuberts Müllerin und erfordert tiefes Vertrauen der Interpreten zueinander.“

Schuen tritt seinen Weg entschlossen an. „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Doch schon bald fällt auf, dass sich dieser Wanderer die Freude an der Bewegung in freier Natur mehr einredet denn wirklich Freude daran zu haben. Er ist wie auf der Flucht, trägt schwer an seinen Gefühlen. Diese Schwermut – heutzutage würde man von Depression reden – wird sein ständiger Begleiter. Was ihm begegnet, was seine Aufmerksamkeit erregt, bezieht er letztlich immer auf sich. Der Bach, der alsbald zu rauschen beginnt, zieht ihn hinab. Er wird den Tod darin suchen, und keiner wird um ihn weinen und trauern. Die Liebe, die er sich von der Begegnung mit der schönen Müllerin erhofft, erweist sich als Trugbild. Sie findet nur als Projektion in seinem Kopf statt, während die junge Frau dem feschen Jäger schöne Augen macht. Sie nimmt ihn nicht einmal richtig wahr.

Je weiter der Zyklus voranschreitet, verhaucht der Vortrag immer mehr, was auf einen sehr kontrollierten Umgang des Interpreten mit seiner Stimme schließen lässt. Andrè Schuen macht sich das Schicksal des Wanderburschen mit Anteilnahme und Empathie zu eigen. Er kann sich gut in ihn hineinversetzen. Seine Darbietung wird dadurch packend und glaubhaft. Er will nicht nur der Erzähler der Geschichte sein, er durchlebt sie selbst und macht damit von einer legitimen Möglichkeit der Liedinterpretation Gebrauch. Das gelingt umso besser, wenn jedes Wort zu verstehen ist wie bei Schuen. Wortdeutlichkeit ist eine seiner Stärken. Wollte er nur daran arbeiten, mit dem Buchstaben W besser umzugehen. Mal haucht er ihn an, um in das betreffende Wort zu finden, an dessen Beginn er steht, mal ist das nicht nötig. Ohne diesen kleinen Schönheitsfehler würde mein Urteil über seine Aufnahme der Schönen Müllerin noch positiver ausfallen. Rüdiger Winter

Gemischte Platte

 

Für ihr zweites Soloalbum bei Decca hat Lise Davidsen wieder ein gemischtes Programm gewählt. Ließ sie sich auf der ersten CD mit Tannhäuser-Elisabeth, Ariadne auf Naxos und Liedern von Richard Strauss – darunter die vier letzten – vernehmen, singt sie nun deutsche und italienische Arien sowie die Wesendonck-Lieder von Richard Wagner (485 1507). Begleitet wird sie vom London Philharmonic Orchestra unter Mark Elder. Für ihren neuen Star gibt sich die Decca spendabel. Aufgenommen wurde an vier Tagen im August 2020 in der Londoner Henry Wood Hall, benannt nach dem englischen Dirigenten. In seiner Vielfalt lässt die Auswahl auf den ersten Blick keinen inhaltlichen Zusammenhang erkennen. Man muss das Booklet lesen. Darin spricht die Sängerin am Beispiel von Medea („Dei tuoi figli la madre“) und Santuzza („Voi lo sapete“) von ihrer Empathie für die dargestellten Frauen und deren Nöte und Konflikte. In der künstlerischen Umsetzung kann das natürlich nur ansatzweise gelingen. Für Rollenporträts reichen einzelne Arien nach meiner Auffassung meist nicht aus. Es fehlt die dramaturgische Einbettung in das Handlungsgeschehen. Das aber ist der Künstlerin nicht anzulasten. Arien-CDs, die in der Vergangenheit noch viel verbreiteter waren, haben ihre gestalterischen Grenzen. Bei „Pace, pace mio Dio“ aus Verdis La Forza del destino und dem „Ave Maria“ aus Otello fällt dieses Problem weniger ins Gewicht, weil diese Szenen – wie auch im Booklet herausgestellt – als Gebete angelegt sind. Die Desdemona könnte etwas entrückter klingen. Der Beginn ist zu robust angegangen, und der Schluss haucht leicht unstet aus.

Ist Lise Davidsen in ihrem Element, flutet die Stimme als würden Schleusen geöffnet. Beeindruckend sind Volumen und Energie. Als wisse sie manchmal nicht wohin mit dieser Kraft. Das kommt gut an und wird von Freunden dieses Stimmentyps als maßgebliches hochdramatisches Potenzial geschätzt. Feuilletons sagen ihr eine große Karriere im Wagner-Fach voraus. Gelegentlich wird sie gar als die neue Kirsten Flagstad gepriesen. Einmal in die Welt gesetzt, gewinnt so ein griffiges Urteil seine eigene Dynamik. Man wird es noch oft lesen. Wie die Flagstad stammt auch die Davidsen aus Norwegen. Aus gemeinsamer Herkunft muss sich aber noch keine Gleichsetzung ergeben. Vorschlosslorbeeren wecken Erwartungen, die erst durch harte Arbeit erfüllt werden müssen. Lise Davidsen ist dazu entschlossen. Ich bemerke einen Mangel an Ausdruck und Identifikation mit dem zu Singenden.

Auf der neuen CD klingt in meinen Ohren vieles gleich. Sie ist noch jung genug, um daran arbeiten zu können und das Profil der Figuren zu schärfen. Sie sollte sich nicht verschleißen lassen und ihre gewaltigen Ressourcen klug verwalten. Ja jetzt noch keine Isolde und keine Brünnhilde. Wobei diese Rollen bereits in der Luft liegen. Die strapaziöse Leonoren-Arie „Abscheulicher! Wo eilst du hin?“ und auch Beethovens „Ah! perfido“ enthalten lehrreiches Gefahrenpotenzial, mit dem sich eine noch junge Sängerin auseinandersetzen sollte. Im Booklet anerkennt die Sängerin, „dass Wagner letztlich ihre Bestimmung sein dürfte“, behandelt aber entsprechende Rollenangebote „mit Vorsicht“. Schließlich wolle sie ihre Karriere nicht dadurch verkürzen, indem Isolde oder Brünnhilde „zu früh“ angehe. Die Wesendonck-Lieder am Ende der CD lassen ihre Eignung dafür erkennen, mahnen aber auch zur notwendigen Arbeit am Detail. „Stille wird’s“: Bei dieser Stelle im Treibhaus sollte einem doch der Atem stocken. Auch nach wiederholtem Hören ist nicht zu verstehen, was da wird. Es klingt wie „Stille wir …“ Solcher Art sind meine kritischen Anmerkungen. Die Sängerin gibt nicht nur Einblick in den Stand ihrer momentanen Möglichkeiten, sie öffnet auch großzügig ihren Kleiderschrank. Für das Booklet, das in Konkurrenz mit einem Moderjournal zu treten entschlossen ist, hat sie sich gleich fünfmal umgezogen. Kleider machen Leute? Für sie gilt der alte Spruch natürlich nicht. Rüdiger Winter

Christa Ludwig

 

Sie hatte eine der schönsten und vielseitigsten Mezzosopran-Stimmen ihrer Zeit. Sie war eine der führenden Sängerinnen ihres Fachs und stand fast ein halbes Jahrhundert auf der Bühne der Wiener Staatsoper, an der sie 43 Partien sang. Am 16. März 1928 wurde sie in Berlin geborenen. 1994 hatte die Ludwig als Klytämnestra mit ihrem 769. Auftritt in der Wiener Staatsoper ihren Bühnenabschied genommen.
1994 verabschiedete sie sich von der Bühne: die Mezzosopranistin Christa Ludwig. Nun ist sie mit 93 Jahren gestorben. Ein Weltstar der Oper.
Und doch war sie nie eine Primadonna. Obwohl sie auf allen großen, um nicht zu sagen ersten Bühnen der Neuen und der Alten Welt zuhause war, auch bei den internationalen Opernfest. Sie hatte mit den großen Dirigenten gearbeitet, mit Otto Klemperer (unvergessen und nie wieder erreicht ist die Einspielung des „Lieds von der Erde mit Fritz Wunderlich) und Karl Böhm, Herbert von Karajan, Georg Solti und Leonard Bernstein, sie wurde umjubelt und feierte einen Triumph nach dem anderen. Und doch blieb sie immer ganz „normal“, eine „Primadonna“ ist sie nie geworden, auch wenn der ironische Titel ihrer 1994 erschienenen Autobiographie den Wunsch danach suggerierte: Mir sagte sie einmal: „Ah… das ist mir viel zu viel Arbeit, ich bin ja von Hause aus faul und eine Primadonna zu sein, das ist ja eine furchtbare Anstrengung.“
Sie war ein Naturtalent. Ihre Stimme und ihre Musikalität wurden ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt, denn sie war die Tochter des Sängerpaares Anton Ludwig und Eugenie Besalla. Von ihr erhielt sie Gesangsunterricht. Sie wuchs in Aachen und Hanau auf und versuchte sich unter der Obhut der Mutter schon bald an Koloraturarien.

Schon mit Siebzehn trat sie ihr erstes Engagement in Gießen an. Nach Frankfurt, Darmstadt und Hannover wurde sie 1955 an der Wiener Staatsoper engagiert, und von dort aus eroberte sie die internationale Opernwelt, sowohl als Mozart-, wie als Verdi-, als Wagner- und als Richard Strauss-Sängerin, aber auch als gefragte Konzert- und Liedinterpretin.

Christa Ludwig hatte alles, was man von einer Sängerin verlangt: Eine kerngesunde, große, schöne und ausdrucksfähige Stimme, eine psychologisch intelligente Nuanciertheit im Sängerischen und absolute Wortverständlichkeit. Sie hatte auch die Chuzpe, sich schon sehr jung auf die Bühne zu stellen, enorme Bereitschaft zu Fleiß, den festen Willen, sich nie unterkriegen zu lassen, immer Neues zu wagen und auszuprobieren, aber sich zu nichts ihrer Stimme Abträglichem überreden zu lassen. Das waren Ihre Qualitäten.

Christa Ludwigs Repertoire umfasste die wichtigsten Alt- und Mezzosopranpartien von Mozart bis Bela Bartok, aber auch zahlreiche dramatische Sopranpartien. Sie sind gottlob alle auf Tonkonserven dokumentiert Zu ihren Glanzrollen zählen etwa die Marschallin im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss, die Kundry Richard Wagners und die Leonore Beethovens oder Giuseppe Verdis Lady Macbeth. Daneben erwies sich Ludwig zunehmend als glänzende Liedinterpretin, insbesondere der romantischen und spätromantischen Werke von Schumann, Brahms und Mahler und war später auch als Lehrerin Inspiration für Generation nachfolgender Sängerinnen und Sänger.

Raumgreifende Christa Ludwig/ Foto Scholz

Sie sie trat im Vollbesitz ihrer Stimme ab und bekannte nach Ende ihrer Karriere: „Sängerin möchte ich nie wieder sein!“, vor allem ihr Privatleben wurde immer hintan gestellt für die Gesangskunst. Sie opferte weitgehend dem Schönklang ihr Leben.
Das Motto der Marschallin aus dem Rosenkavalier war ihr Altersmotto: „Leicht muss man sein, mit leichtem Herzen und leichten Händen, halten und nehmen, halten und lassen“, diese Worte hat sie mir auch bei einem denkwürdigen Interview mitgegeben.
Nun ist sie von der Bühne des Lebens abgetreten. Ganz leise, bis zuletzt hatte sie sie Charisma, Witz und Humor. Sie war eine gefragte Gesangspädagogin bei vielen Masterclasses. Aber sie nahm sich die Freiheit, die Sängerausbildung an den Hochschulen scharf zu kritisieren. Vor allem monierte sie, dass die heutigen Gesangsstudenten vor lauter Theorie die Praxis vernachlässigen und zu spät mit dem Singen beginnen und dann oft der Verlockung erliegen, am Beginn ihrer Laufbahn mit viel zu großen Partien zu singen. Dieter David Scholz
Und nun eine Hommage und ein Blick auf wichtige Dokumente der Ludwig von Rüdiger Winter: Der Zufall wollte es, dass Christa Ludwig und Jessye Norman im Osten Berlins kurz hintereinander in Liederabenden auftraten. Das war in den späten 1980er Jahren. Die Mauer war noch nicht gefallen. Die Norman glamourös. Phantastisch gewandet, rauschte sie herein und flog förmlich in die Arme des Publikums.  Anders die Ludwig. Im schlichten klassischen Abendkleid betrat sie das Podium. Selbstbewusst, würdevoll und diskret zugleich. Sich ihrer und ihrer Kunst absolut sicher. Ich würde mich wohl nicht so genau erinnern, hätten beide Sängerinnen mit mehr zeitlichem Abstand zueinander gastiert.

Wer nun in beiden Vorstellungen gesessen hatte, fühlte sich (eigentlich überflüssiger Weise) zu einem Vergleich genötigt. Die Ludwig oder die Norman? Im Freundeskreis wurde damals heftig darüber gestritten. Ich entschied mich für die Ludwig. Sie verkörperte nach meinem Empfinden die hohe Schule des Liedgesangs, den bleibenden Wert. Während die Norman mich mehr enthusiasmierte, lehrte mich die Ludwig, genau zuzuhören, mich einzulassen. Meine Liebe zu Liedern habe ich in einem hohen Maße ihr zu verdanken. Während ich selten zu den Liederplatten von Jessye Norman greife, werden die mir wichtigen Aufnahmen von Christa Ludwig gar nicht erst weggeräumt. Sie sind stets griffbereit, stapeln sich gleich neben dem Player. Bei der Menge ist es allerdings nicht einfach, die Übersicht zu behalten.
Eine Box der alten EMI-Bestände, nun von Warner, kommt mir da allein unter praktischen Gesichtspunkten gerade recht. Denn sie reduziert den CD-Turm ihrer vielen Aufnahmen  beträchtlich. Christa Ludwig – The Complete Recitals on Warner Classics (0190295690205). Die Box war eine Würdigung zum 90. Geburtstag der Sängerin, die am 16. März 1928 in Berlin zur Welt kam. Die Aufnahmen sind zwischen 1957 und 1969 von der EMI meist im legendären Abbey Road Studio No. 1 produziert worden. Für mich sind diese Jahre die besten in der langen Karriere der Ludwig. Und es erweist sich im Nachhinein als eine sehr weitsichtige Entscheidung der EMI, das Hauptaugenmerk bei Recitals auf den Liedgesang zu legen. Einzelne Arien konnten auch viele ihrer Kolleginnen exzellent singen, die Begabung für Lieder war – wie bei Elisabeth Schwarzkopf oder Dietrich Fischer-Dieskau – ein kostbares Alleinstellungsmerkmal. Und noch etwas fällt auf. Nach so langer Zeit klingen die Aufnahmen, zumal schon meist in Stereo und durchweg gut aufgefrischt, überhaupt nicht historisch. Ihr Alter ist ihnen auch deshalb nicht anzuhören, weil der Stil der Sängerin jenes klassische Ebenmaß hatte, das kein rasches Verfallsdatum kennt. Schallplattenaufnahmen als Masterklasse. Junge Sängerinnen und Sänger können viel aus diesen Dokumenten lernen, wenn sie sich denn darauf einlassen.

Es gibt da noch keinerlei Verschleißerscheinungen. Die Ludwig muss nichts kaschieren. Ruhig und pastos fließt die Stimme dahin. Sie schöpft aus dem Vollen ihres farbenreichen ins Dunkle gehenden Mezzo. Alle Register sind perfekt verblendet. Sie singt immer mit einer Stimme. Immer wieder drängt sich der Gedanke an Vollendung auf. Weil sie technisch offenbar mit keinerlei Problemen zu kämpfen hat, kann sie so viel Sorgfalt und Phantasie in den Ausdruck legen. Ich kenne kein Lied, das mal eben mit links so runtergesungen ist. Immer vermittelt sich eine Botschaft, eine Mitteilung. Sie ist sehr gut zu verstehen. Routine hat bei ihr nicht die geringste Chance. Ihre Mutter, selbst eine erfolgreiche Sängerin, war ihr Lehrerin und strenge Kritikerin. Obwohl Christa Ludwig viele Opernpartien und Oratorien gesungen hat und noch mit der Callas bei der Norma im Studio war – für mich hat sie ihre bedeutendsten Leistungen als Liedsängerin erbracht.

Für jede einzelne Nummer wird akribisch belegt. Nach der Übernahme der EMI durch die Warner hat man gelernt, das zu erwartren. Zumal sich viele Sammler noch an die originalen Schallplattencover erinnern, die nun auf den CD-Hüllen im verkleinerten Format nachempfunden werden. Denn das Auge hört mit. Der künstlerische Vorteil besteht daran, dass das Konzept der einzelnen Recitals in ihrer ursprünglichen Anlage bewahrt bleibt. In dieser Zuordnung bildet sich auch die stimmliche Leistungsfähigkeit zum jeweiligen Zeitpunkt des Entstehend der Platten ab. In den meisten Fällen wurden die originalen Langspielplatten eins zu eins auf CD übernommen. Deshalb ist zwar viel Platz verschenkt. Doch besser so, als den Freiraum mit irgendwelcher Füllmasse zu schließen. Also bleibt die berühmte von Geoffrey Parsons begleitete Brahms-LP von 1969 mit etwas mehr als dreiundvierzig Minuten erhalten. Mein Lieblingslied „Von ewige Liebe“ ist dabei. Ich scheue mich nicht, es meinen Brahms’sche Tristan zu nennen. Diese schier endlose Melodie zieht einen hinein, so dass man nur schwer wieder herausfindet. Auch das ist eine Ähnlichkeit mit Wagner, die ich nicht gesucht habe. Sie drängte sich mir auf. Komplett ist das Lied von der Erde mit Fritz Wunderlich unter Otto Klemperer – eine der schönsten Musikaufnahmen, die ich kennen – übernommen, ergänzt um drei der Sieben frühen Lieder von Alban Berg mit Orchesterbegleitung durch Charles Mackerras. Sie waren wie der ebenfalls von Mackerras begleitete Gesang „An die Hoffnung“ von Max Reger und das Wesendonck-Lied „Im Treibhaus“ unter Sir Adrian Boult bisher noch nie an die Öffentlichkeit gelangt. In diese Kategorie fallen auch die Lieder „Um Mitternacht“ von Hugo Wolf, „Im Frühling“, „Dithyrambe“, „Nacht und Träume“, „Wiegenlied“, „Im Abendrot“, „Die junge Nonne“ und „Wandrers Nachtlied“ von Franz Schubert und das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“. Woher die unbekannten Stücke, die die Edition so unverhofft bereichern? Sie seien „wohl aus Gründen begrenzter damaliger LP-Spielzeit wie aus Repertoire-Erwägungen des jeweiligen Produzenten“ nicht veröffentlicht worden, ist aus dem Booklet zu erfahren.

Brahms kehrt noch auf weiteren Zusammenstellungen wieder. Den früheren von Gerald Moore begleiteten Zigeunerliedern von 1959 aus dem Studio wird – was nahe liegt – der hochexpressive Livemitschnitt aus dem Jahr 1972 aus dem Wiener Konzerthaus gegenübergestellt, bei dem Leonard Bernstein den Flügel fast zum Bersten bringt. Mit dem Lied von der Erde hat sich Mahler nicht erschöpft. Es gibt auch die Lieder eines fahrenden Gesellen, die Kindertotenlieder sowie diverse Rückert– und Wunderhornlieder aus unterschiedlichen Aufnahmesitzungen, in Teilen auch mit Orchesterbegleitung. Ihr musikalischer Leiter Otto Klemperer dirigiert auch die Wesendonck-Lieder, Isoldes Liebestod aus Tristan und Isolde sowie mit der Alt-Rhapsodie noch einen Brahms. Das üppige auf mehrere CDs verteilte Schubert’sche Kontingent überragt mit seinen fast zwölf Minuten „Der Hirt auf dem Felsen“.

 

Im Gegensatz zu Warner hat sich die Deutsche Grammophon in ihrer Christa Ludwig Edition aus dem selben  Anlass für einen umfassenden Überblick ihres Wirkens aus dem eignen Katalog und ein paar Zukäufen entschieden (00289 479 9707). Reichlich Lieder auch hier. Die neunundzwanzig Schubert-Lieder mit Erwin Gage am Klavier sowie die von James Levine begleitete Winterreise sind ebenso berücksichtigt wie die Mignon-Lieder von Wolf, die Kindertotenlieder und die Rückert-Lieder mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan. Aus Wolfs Italienischem Liederbuch unter Daniel Barenboim sind nur ihre Titel ausgewählt. Dietrich Fischer-Dieskau wird als Partner schlicht unterschlagen. Das geht nicht, weil der Zyklus, der komplett auf CD vorliegt, erst im Wechselspiel zwischen beiden Solisten seine Wirkung und seinen Zauber entfalten kann. Nun ist es so, als würde aus einem Duett eine der beiden Seiten herausgeschnitten. Noch unglücklicher ist die Entscheidung, den Liederkreis op. 39 von Robert Schumann auf nur sechs Lieder – „Waldgespräch“, „Die Stille“, „Mondnacht“, „Schöne Fremde“, „Wehmut“ und „Im Walde“ zu stutzen. Warum? Da es im Booklet keine Erklärung dazu gibt, liegt die Vermutung nahe, dass der Liederkreis nicht vollständig eingespielt wurde. Bereits in früheren Alben war immer nur die Auswahl erschienen. Der entscheidende Hinweis findet sich in der Walter-Berry-Biografie von Elisabeth Birnbaum (Henschel) auf Seite 220: „Mit Christa Ludwig zusammen gibt es noch eine Liederplatte mit Schumanns Liederzyklus op. 39, der schon als Werk an sich wunderbar ist und in der Aufteilung der Lieder noch interessanter wird.“ Soll heißen, Berry, der damalige Ehemann der Ludwig, sang die restlichen Titel. Komplett ist der Zyklus bislang nur auf einer LP zu finden. Schon deshalb hätte es sich angeboten, ihn nun erstmals auf CD zu veröffentlichen. Unbenommen davon, ob die Aufteilung wirklich Sinn macht. Überhaupt neigt die Edition zum scharfen Schnitt. Auch bei Opern und Oratorien. Abgesehen von einigen Liedgruppen und Sammlungen sowie der von Karl Böhm dirigierten Alt-Rhapsodie von Brahms, wird auf Szenen aus Gesamtaufnahmen zurückgriffen, die alle aktuell zu haben sind und Sammler im Schrank haben dürften. Was nützen an die fünfzehn Minuten aus dem berühmten Bayreuther Tristan (Brangäne) von 1966, der erst kürzlich in zweifacher Ausführung wieder auf den Markt gelangte – nämlich als Remastering der originalen Bänder und als Blu-ray-Audio-Disc. Ohne Seltenheitswert sind die Szenen aus Cosi fan tutte (Dorabella), Le nozze die Figaro (Cherubino),  Rosenkavalier (Marschallin/alle unter Karl Böhm).

Interessanter sind da schon die Alt-Arien und Rezitative aus Bachs Matthäus-Passion. Die von Herbert von Karajan geleitete Gesamteinspielung könnte eine Neuauflage vertragen, während das Weihnachtsoratorium aus München mit Karl Richter am Pult nun wirklich zur Grundausstattung selbst der bescheidensten Sammlung gehört. Auch wegen der Ludwig. Für mich gehört es zu ihren besten Aufnahmen, weil sie sich von diversen Vorgängerinnen löst, indem sie ihre Szenen mit einem dezenten erotischen Touch versieht. Als Wagner-Sängerin tritt Christa Ludwig auch in Szenen hervor, die aus Decca-Produktionen ausgeliehen und ebenfalls weit verbreitet sind: als Fricka in der Walküre und Waltraute in der Götterdämmerung (beide unter Georg Solti) sowie ebenfalls unter diesem Dirigenten Kundry im Parsifal. Als seien eine Fricka und eine Waltraute nicht genug, werden die gleichen Szenen zusätzlich aus der Met-Produktion unter James Levine und aus dem Karajan-Ring wiederholt. Warum? Für diese Großzügigkeit wird an anderer Stelle drastisch gespart, indem sich beispielsweis ihre grandiose Judith in Bela Bartoks Blaubart auf nicht einmal zehn Minuten zusammengedampft wiederfindet. Dieser dicht gestrickte Einakter ist nun am wenigsten dazu geeignet, zerpflückt zu werden. Neugierig auf das gesamte Werke macht ein Ausschnitt aus Carl Orffs De temporum fine Comoedia (Das Spiel vom Ende der Zeiten) in der Produktion der Salzburger Uraufführung von 1973 unter Herbert von Karajan, mit der übrigens Anna Tomowa-Sintow als eine der Sibyllen ihre internationale Karriere startete. Vielleicht ist es das, was die Edition will, Neugierde wecken auf Christa Ludwig, Anstöße geben, sich wieder mit ihrer Kunst zu beschäftigen. Etwas setzt sich immer fest. Ich kann mir vorstellen, dass das scheinheilige „Reverenza!“ der Mrs. Quickly aus dem dritten Akt von Verdis Falstaff zur Anschaffung der Gesamtaufnahme führt. Und dieses „O Röslein rot“ erst, das so genannte „Urlicht“ aus der 2. Sinfonie von Gustav Mahler. Keine andere Sängerin hat das nach meiner festen Überzeugung so perfekt und sicher aus dem Stand, aus dem Nichts hervorgeholt wie die Ludwig. Hätte ich sie nicht vorrätig, ich würde umgehend zur Anschaffung der kompletten Sinfonie schreiten.

Die Edition der Deutschen Grammophon gewinnt durch die Gespräche, die der Musikautor und Stimmenkenner Thomas Voigt mit Christa Ludwig führte. In gedruckter Form steuert Voigt auch ein Interview für die Warner-Sammlung bei. Foto: Facebook

Der unschlagbare Vorteil, der letztlich auch die Anschaffung dieser Geburtstagsedition lohnt, sind die Gespräche, die der Musikautor und Stimmenkenner Thomas Voigt mit der Sängerin führt. Man findet sie zwischen Musikaufnahmen. Wie ein roter Faden ziehen sie sich durch die Sammlung, geben ihr inhaltlichen Halt und Zusammenhang. Wer so kenntnisreich fragt wie Voigt, bringt vieles heraus. Man hört auch ihm gern zu, er aber lässt der Diva immer den Vortritt. Die Ludwig dankt es mit großer Offenheit, selbstkritischen Erkenntnissen und vielen anekdotischen Geschichten. Aus dem Interview, das sich in englischer Übersetzung abgedruckt auch im Booklet findet, wird ein Austausch unter Gleichgesinnten. Zusätzlichen Lesestoff bietet ein übersetztes Interview mit James Jolly, das auch einen Zusammenhang zwischen beiden Geburtstags-Editionen herstellt. Christa Ludwig: „Als ich bei EMI exklusiv unter Vertrag war und ein Angebot von der Deutschen Grammophon bekam, war da immer ein Gerangel darum mich freizubekommen.“ Und dann habe Karajan gefragt, warum sie, die Ludwig, eigentlich exklusiv bei der EMI sei. „Nun, sie holen mich mit einer großen Limousine vom Flughafen oder Hafen ab.“ Ob sie es sich denn nicht selbst eine Taxi oder eine Limousine leisten können, habe Karajan wissen wollen. Und sie dachte: „Er hat recht, ich bin so abhängig von EMI und Walter Legge, aber ich könnte das selbst zahlen.“ Und dies sei der Grund, „warum ich von diesem Moment an – ich war vielleicht 35 damals – stets tat, was immer ich wollte.“ (Foto oben: Fayer, Wien, im Booklet der Warner-Edition, Ausschnitt). Rüdiger Winter

 

Zum 90. Geburtstag Christa LKudwigs gab es ein Buch im Wiener Amalthea Verlag: Das Motto von Hofmannsthal/Strauss‘ Marschallin zu eigen gemacht hat sich Christa Ludwig, und dazu gehört auch, nicht in der Vergangenheit verhaftet zu bleiben, sondern so sehr in der Gegenwart zu leben, dass in dem zu ihrem 90. Geburtstag  (16. März 2018) erschienenen Buch bereits auf die Me-Too-Bewegung Bezug genommen , der manchmal forciert wirkenden Empörungswelle eine schöne Gelassenheit entgegengestellt wird, ja ein Bedauern darüber, dass es nun wohl verpönt sein werde, mit den „Waffen einer Frau“ Männer dazu zu bringen, auch Karrierewünsche zu erfüllen. Nicht nur gegen die „Empörungskultur“, auch gegen jede Sentimentalität, jedes Trauern um Vergangenes wendet sich die Sängerin, schildert stattdessen sehr beeindruckend das Gefühl der Befreiung, das sie befiel, als sie zum ersten Mal kalte Winterluft tief einatmete in dem Bewusstsein, nie mehr Rücksicht auf ihre Stimme nehmen zu müssen. Zu dieser hat sie ein sehr besonderes Verhältnis, das in einem Dialog seinen Ausdruck findet, ein von Ehrfurcht vor dem Geschenk, das Christa Ludwig gewährt wurde, geprägte, auch von einer Art Hassliebe bestimmte Auseinandersetzung mit ihrer Kunst, die gleichzeitig Erfüllung und dauernde Einschränkung bedeutete. Immer wieder wird das Singen als gleichermaßen Traum wie Albtraum beschrieben.

Wer sich für Christa Ludwigs Buch interessiert weiß natürlich, dass es bereits ihr zweites ist, das das erste den Titel „—ich wäre so gern Primadonna gewesen“ hat. In ihm konnte sie über ihre Karriere berichten, nach ihm passierte in dieser Hinsicht nichts mehr, beschränkt sich die künstlerische Tätigkeit auf das Lehren, das Rezitieren, auf öffentliche Gespräche. Aus dem Dilemma, sich wiederholen zu müssen, befreit sie die Zweiteilung des Buches in Abschnitte in der Ich-Form und solche in der dritten Person, für die die Autoren Erna Cuesta und Franz Zoglauer verantwortlich sind. Während die von Christa Ludwig selbst verfassten Abschnitte den Leser durch ihre Spontaneität, ihre Unmittelbarkeit und ihre offensichtliche „unerschrockene Ehrlichkeit“ direkt ansprechen, erscheinen die der beiden Autoren streckenweise klischeehaft und sich beim Leser anbiedernd. Auch ist einiges schon allzu bekannt wie die Sexverbote für Tenöre und den Unterschied zwischen der Berliner Busenquetsche und dem Wiener Brustleiberl. Das mindert den Wert des Buches aber kaum, denn es gibt viel zu erfahren, so über den Konkurrenzkampf zwischen der Ludwig und ihrem ersten Ehemann Walter Berry, den angeblichen oder tatsächlichen zwischen Karajan und Bernstein, dreistündige, zur Stimmkrise führende Kundry-Schreie für die Schallplatte, Kritikerstimmen, die Bedeutung der Sopranrollen Ariadne oder Fidelio für die Gesundheit der Stimme, das Eingeständnis, dass trotz der Bekanntschaft mit Carmen  bereits im Mutterleib die ihre mit einigem Recht als „Trotzköpfchens  Zigeunerhochzeit“ kritisiert wurde.

Zu Herzen gehen die Worte der Ludwig über den Liedgesang, schmunzeln kann man, wenn sie Wieland Wagner als „radikalen Regisseur“ bezeichnet, nachdenklich macht ihre Behauptung, eine „spießige Verbürgerlichung“ habe zur Ausrottung der Gattung Paradiesvogel unter den Opernsängern geführt.  Unter den Politikern will sie immerhin in Silvio Berlusconi einen solchen erkannt haben.  Das verwundert etwas, da sie selbst doch frei von den dazu gehörenden Starallüren war. Natürlich fehlt auch nicht eine nur allzu begründete Kritik am modernen Regietheater.

Warum der Untertitel „Erinnerungen an die Zukunft“ heißt, erklärt die Ludwig im Vorwort zu ihrem zweiten und vielleicht nicht letzten Buch: “Ich fühle mich immer noch auf dem Weg.“

Ein wahrer Schatz sind die aus dem Privatbesitz von Christa Ludwig stammenden zahlreichen Fotos. Als nicht minder wertvoll erweisen sich die Biographische Zeittafel, das Rollenverzeichnis, das Literaturverzeichnis und das Namenregister (Amalthea Verlag 2018; ISBN 978 3 99050 122 1). Ingrid Wanja      

Einbruch in Frauendomäne

 

Besitzer von Aufnahmen mit Schwarzkopf, Jurinac, Grümmer, Della Casa und vielen, vielen, vielen anderen Sopranen gehen die Augen über: Im Abendrot! Unter eben diesem Titel legt der Bariton Matthias Goerne seine neue CD bei Deutsche Grammophon vor (486 0274). Sollte auch er sich das getraut haben? Er hat. Mit dem gleichnamigen Lied ist er in eine Frauendomäne eingebrochen. Es ist ja der Abschluss der Vier letzten Lieder von Richard Strauss, die am 22. Mai 1950 in der Royal Albert Hall in London von Kirsten Flagstad unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler uraufgeführt wurden – acht Monate nach dem Tod Komponisten. Der BBC-Mitschnitt hat sich erhalten ist bei Testament veröffentlicht worden. Unmittelbar auf die Flagstad folgte Sena Jurinac, zwei Jahre später setzten Elisabeth Schwarzkopf und Lisa Della Casa mit ihren Interpretationen Maßstäbe, die bis in die Gegenwart nachwirken. Unter den mehr als achtzig offiziellen Einspielungen ist kein Mann zu finden. Goerne ist nicht der erste, der nach dem berühmten Zyklus greift. Jonas Kaufmann ließ sich damit bereits vor einigen Jahren in Wien hören. Und das war gewöhnungsbedürftig genug.

Einem Bariton aber, der den Wotan singt, sind die Ausdrucksmittel für diese subtilen und äußerst fein ziselierten Kompositionen nicht in die Wiege gelegt. Er muss sie sich hart erkämpfen. Erschwerend kommt die Klavierbegleitung hinzu. Kann ein Orchester gewisse Defizite gnädig verhüllen, vermag ein Pianist diese Hilfestellung nicht zu geben. Der Sänger ist auf sich gestellt. Goerne hat den Mut aufgebracht, sich darauf einzulassen. Seine Fans, und die sind bekanntlich zahlreich, werden ihn dafür den nötigen Respekt zollen. „Wir sind durch Not und Freude gegangen Hand in Hand.“ Sprachlich gesehen ist der Auftakt für Interpreten eine Prüfung. Goerne besteht sie nur eingeschränkt, denn er haucht den Konsonanten W des Wörtchens „wir“ an, um ihn dann doch nicht wirkungsvoll zu Klingen zu bringen. Zwischen den erste Buchstaben und das darauf folgende I schiebt er ein H. Ein gestandener Profi wie er sollte eigentlich ohne diesen Griff in die Trickkiste auskommen. Wer ihm das nicht ankreidet, wem es gelingt, das Lied ohne seinen zyklischen Bezug vereinzelt wahrzunehmen, wird durchaus Freude daran finden. An Atmosphäre fehlt es nicht. Goerne nimmt die Stimme zurück, dass sie sogar zu schweben beginnt. Er weiß um die Wirkung von mezza voce. Und in seinem Flügel lässt der Pianist Seong-Jin Cho die letzten Takte so verhauchen als seien sie nie mit einem Orchester in Berührung gekommen. Es bleibt nicht beim Strauss’schen Abendrot. Vorangegangen sind Traum durch die Dämmerung, Morgen!, Ruhe, meine Seele und Freundliche Vision – allesamt ebenfalls originäre Orchesterlieder. Ich bekenne freimütig, auch sie lieber mit einer Sopranistin zu hören. In seinem Element ist er beim grüblerischen Hans Pfitzner. Acht seiner Lieder bilden den zentralen Block des Programms der im Studio produzierten CD. Sehnsucht und Wasserfahrt verlangen nach dem Heldenbariton Goerne. Und dem hört man denn auch die strapaziösen Wotane an. In sich gekehrten Titel wie An die Mark, die depressive Zustände streifen, gelingen stimmlich und darstellerisch am besten.

Man hat sich bereits daran gewöhnt, dass Männer auch Richard Wagners Wesendonck-Lieder beanspruchen. Ungeachtet dessen, dass es sich nach Text und Empfindung um klassische Frauenlieder handelt. Dafür muss nicht einmal der konkrete biografische Entstehungsbezug ins Feld geführt werden. Es scheint kein Zufall, dass solche diametralen Repertoire-Aneignungen in eine Zeit fallen, in der Genderfragen mit Macht auf die Tagesordnung rücken. Traditionelle Geschlechtertrennungen und Rollenverteilungen werden in infrage gestellt – ohne Rücksicht darauf, ob der Inhalt eines konkreten Kunstwerken solches Verfahren hergibt. Welcher Tenor, Bariton oder Bass wird sich als erster über Schumanns Frauenliebe und -leben hermachen oder in die Rolle des Gretchen am Spinnrade schlüpfen? Man darf gespannt sein. Dieses CD-Programm selbst ist nur durch die Zusammenstellung ungewöhnlich, nicht aber durch die berücksichtigten Lieder, die oft gesungen und eingespielt werden. Es fällt auf, dass Goerne mit Atemproblemen zu kämpfen hat. Er muss oft ganz tief und sehr hörbar Luft saugen, um eine Phrase durchhalten zu können. Bei Pfitzner weniger als bei anderen Programmteilen. Ich frage mich, ob man da mittels Aufnahmetechnik nicht hätte etwas abmildern bzw. ausgleichen können. Rüdiger Winter

Die Suche nach „ihr“

 

„Aber was ist mir IHR?“ Diese Frage stellte sich Joyce DiDonato, nachdem sie Yannick Nézet-Séguin dazu überredet hatte, mit ihm gemeinsam Franz Schuberts Winterreise aufzuführen. Davon später. Nézet-Séguin ist nur im Nebenjob Pianist. Hauptberuflich bekleidet er gleichzeitig die Funktion als Musikdirektor der Metropolitan Opera in New York, des Philadelphia Orchestra und des kanadischen Orchestre Métropolitain. Viel mehr geht nicht. Nézet-Séguin ist gebürtiger Kanadier und sechs Jahre jünger als seine 1969 geborene Kollegin. „Du musst dich aber wirklich angesprochen fühlen“, hatte er gedrängt. „Du musst dich stark dazu berufen fühlen, diese Welt zu betreten und einige Zeit darin zu leben“, wird er von der Mezzosopranistin weiter zitiert. Nachzulesen sind seine sehr berechtigten Mahnungen im Booklet des Mitschnitts eines Konzerts vom 15. Dezember 2019 in der New Yorker Carnegie Hall, der bei Erato erschienen ist (01995284145). Es sei ihr trotz großer Anstrengungen nicht gelungen, in die Welt des Protagonisten hineinzufinden. „Es war keine Frage des Geschlechts“, so die Sängerin. Schließlich sei sie daran gewöhnt, auf der Bühne Hosen zu tragen. Stattdessen habe sich ihr die Frage aufgedrängt, die am Beginn dieses Textes steht: „Aber was ist mir ihr?“

Auf der Suche nach „ihr“: Joyce DiDonato und ihr Begleiter am Klavier Yannick Nézet-Séguin/ Foto Chris Lee/Erato

Gemeint ist das Mädchen, welches gleich im ersten Lied der Winterreise von Liebe, die aber Mutter gar von Eh‘ und damit wohl auch für ehrbare gesellschaftliche Verhältnisse spricht. Seine Spur verliert sich im Voranschreiten des Liederzyklus. Dichter Wilhelm Müller lässt das Schicksal des Mädchens, dessen Profil immer mehr verschwimmt, offen. Und es darf die Frage erlaubt sein, ob es sich überhaupt um eine Gestalt mit literarischem Wirklichkeitsbezug handelt in dieser Geschichte aus „schauerlichen Liedern“, wie Schubert seine Winterreise selbst bezeichnet hatte? Oder dient das Mädchen mehr als Projektionsfläche, auf der der Wanderer sein inneres Elend, das Leiden an seiner Zeit abbilden kann? Müller, gerade mal sechsundzwanzig, war 1819 von einer langen Reise durch Italien, diesem Sehnsuchtsort deutscher Künstler, in die Heimat zurückgekehrt. Ohne Aussicht auf einen festen Broterwerb. Auf die Befreiungskriege waren die Karlsbader Beschlüsse gefolgt, mit denen die maßgeblichen Staaten des Deutschen Bundes liberale und nationale Bewegungen zu unterdrücken trachteten. Müller: „Das Vaterland hat mich mit Reif und Schnee und Nebel begrüßt …“ Das sei noch zu ertragen, „aber die Philisterei …“ Mit diesen Äußerungen ist seine Winterreise fest umrissen. Ihre Verse entstanden zwischen 1821 und 1822. „Aber was ist mir IHR?“ Schauen wir genauer hin. In zehn von vierundzwanzig Liedern kommt eine junge Frau vor. Im zweiten Lied spielt zunächst der Wind „mit der Wetterfahne auf meines schönen Liebchens Haus“. Im heutigen Sprachgebrauch hat Liebchen – wenn es denn überhaupt noch Verwendung findet – eine ins Negative gehende Konnotation. Zu Müllers Zeiten dürfte das anders gewesen sein. Die Brüder Grimm, Zeitgenossen von Müller, vermerkten in ihrem großen Wörterbuch einen zunehmend allgemeinen Gebrauch des Wortes. Goethes Faust nennt Margarethe Liebchen und in Bürgers berühmter Ballade Lenore fragt der als Toter heimkehrende Wilhelm die Braut: „Schläfst, Liebchen, oder wachst du?“ Und Luther nannte sich in einem Brief an seine Frau scherzhaft selbst Liebchen.

Das namenlose Mädchen in träumerischer biedermeierlicher Pose, gemalt von Ludwig Richter, der die Verse von Wilhelm Müller illustrierte. Foto: OBA

Im Lied Erstarrung sucht der Wanderer „nach ihrer Tritte Spur“, die von Eis und Schnee verweht sind. Die süßen Träume unter dem Lindenbau sind unbestimmter Zuordnung: „Ich schnitt in seine Rinde / So manches liebe Wort; / Es zog in Freud’ und Leide zu ihm mich immerfort.“ Wenn aber das Posthorn „von der Straße her klingt“, macht sich alsbald bittere Enttäuschung breit. Die Post bringt keinen Brief aus der Stadt, „wo ich ein liebes Liebchen hatt‘“. Und wieder fällt manche Trän‘ in den Schnee, die im Frühling zum Bache anschwellen, der an einer ganz bestimmten Stelle die Stadt erreicht: „Da ist meiner Liebsten Haus.“ Der Wanderer ist Auf dem Flusse angelangt. Der Fluss, symbolträchtig und bedeutungsschwer in Mystik und Literatur. Er führt Leben und Fruchtbarkeit mit sich, zugleich aber auch totbringende Gefahr. Menschen lassen sich in seine Tiefen fallen, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. In der Winterreise ist der Fluss zugefroren, wie „mit harter, starrer Rinde … überdeckt“. Der Wanderer gräbt „mit einem spitzen Stein“ den Namen seiner Liebsten und Stund‘ und Tag hinein: Den Tag des ersten Grußes, / Den Tag, an dem ich ging, / Um Nam‘ und Zahlen windet / Sich ein zerbrochner Ring“. Der Rückblick fällt bitter aus für unseren Wanderer. Immer und immer wieder ruft er sich – einer Hoffnung gleich – die Bilder aus besseren Tagen herauf. „Wie anders hast du mich empfangen / Du Stadt der Unbeständigkeit. – Die runden Lindenbäume blühten, / Die klaren Rinnen rauschten hell, / Und ach, zwei Mädchenaugen glühten / Da war’s geschehen um dich, Gesell.“ An dieser Stelle verlässt er die Perspektive des Ich-Erzählers. Er, der Gesell, wird zur zweiten Person. Dadurch gewinnt er Abstand und Distanz. Die Folge ist, dass in den nächsten fünf Liedern – Der greise Kopf, Die Krähe, Letzte Hoffnung, Im Dorfe und Der stürmische Morgen – das Mädchen selbst keine Rolle spielt. Es kommt nicht vor. Plötzlich taucht „ein helles, warmes Haus“ auf – „Und eine liebe Seele drin“. Es sollte sich aber wieder als Täuschung erweisen. Erst sechs Lieder weiter – im Frühlingstraum – kehrt das Bild „von einer schönen Maid“ zurück. Jetzt träumt der Wanderer nur noch „von Lieb‘ um Liebe… / Von Herzen und von Küssen, / Von Wonn‘ und Seligkeit“, als habe er derlei nie selbst erfahren. Noch zwei Lieder trennen ihn vom Leiermann „drüben hinterm Dorfe“, den keiner hören und sehen will, den die Hunde anknurren. „Wunderlicher Alter, / Soll ich mit dir gehen? Willst zu meinen Liedern / Deine Leier drehn?“

Joyce DiDonato dürfte von vornherein klar gewesen sein, dass es schwer würde, ihren ambitionierten Ansatz singend darzustellen. Und doch unternimmt sie den hörenswerten Versuch. In jenen Momenten, in denen dieses Mädchen direkt oder indirekt in Erscheinung tritt, passt sie Stimme und Ausdruck den jeweiligen Situationen an. Dies geschieht aber äußerst diskret und nie vordergründig. So zeigt sich das Bild dieses Mädchens mal in zarten Umrissen, mal als Gedanke, mal wie in einen unbestimmten Sehnsuchtsschimmer eingehüllt. Der Wanderer ist dann nicht mehr allein. Sein Schicksal teilt sich weniger erbarmungslos mit – auch wenn sich die Interpretin nicht davor scheut, dramatische Härten auch schon mal veristisch deutlich zu machen. Wer in den konzeptionellen Ansatz der Sängerin nicht eingeweiht ist, ihre schriftlich dargelegten Gedanken nicht zur Kenntnis nahm, dürfte der betont lyrisch-weibliche Ansatz mit der Hinwendung zu der namenlosen jungen Frau nicht entgehen. Nézet-Séguin lässt sich am Flügel auf das Konzept ein. Er hält sich mit auffälligen eigenen Ambitionen und Akzenten zurück, lässt stets der Sängerin den Vortritt. Er dürfte – ganz Künstler und Gentleman – akzeptiert haben, dass sich seine singende Kollegin dem Liederzyklus am Ende doch ganz anders angenähert hat als er es ihr zu Beginn der Zusammenarbeit geraten hatte. Insofern spielt er seine Rolle als professioneller klassischer Begleiter sehr gut.

Wilhelm Müller (1794-1827), der Dichter von Schuberts Liederzyklus. Der Stich stammt von Johann Friedrich Schröter. Foto: Wikipedia

Mit der Neuerscheinung stelle sich die alte Frage, ob es überhaupt Sinn macht, dass Frauen beim Liedgesang in die Männerrollen schlüpfen und umgekehrt. Joyce DiDonato hat eine ganz neue Möglichkeit aufgetan, indem sie den berühmtesten aller Liederzyklen nicht einfach nur so darbot, wie es ihre Stimme hergibt. Sie bot mehr, indem sie ein eigenes inhaltliches Konzept entwickelte, das Werk auf eine so überraschende wie naheliegende Weise befragt: „Aber was ist mir ihr?“ Schon frühzeitig haben sich Sängerinnen der Winterreise bemächtigt. Lotte Lehmann ist das älteste Beispiel, 1950 trat die Afroamerikanerin Inez Matthews mit ihrer in Europa wenig bekannt gewordenen Einspielung bei Period Records hinzu. Zu den prominentesten Interpretinnen der Neuzeit gehören Christa Ludwig (Deutsche Grammophon), Brigitte Fassbaender (EMI), Margret Price (Forlane) und – man möchte es nicht glauben – Barbara Hendricks (Arte Verum). Rosemarie Lang spielte ihre Aufnahme bei DS/WDR ein, Lois Marshall bei CBC Records Canada, Mitsuko Shirai bei Capriccio. In der akustischen Hinterlassenschaft von Kirsten Flagstad stößt man auf die Krähe, die Post und den Wegweiser. Die im Liedschaffen sehr bewanderte Elisabeth Schwarzkopf – auch das ist eine Information – hat aus gutem Grund auf Lieder aus der Winterreise gänzlich verzichtet.

Winterreise mit Frauenpower verbreiten jüngst in der Produktion von Et’Cetera gleich fünf Solistinnen auf einmal: Wendeline van Houten, Merlijn Runia, Jannelieke Schmidt, Nikki Treurniet und Ellen Valkenburg, die sich am Königlichen Konservatorium Den Haag kennenlernten und zum Ensemble Coco Collektief zusammengeschlossen haben. Sie treten auch einzeln in Opern und mit Liedprogrammen auf. Ihr Pianist ist Maurice Lammerts van Bueren, der die Bearbeitung für diese ungewöhnliche Besetzung geschaffen hat. Er ist sich über das Risiko im Klaren. Wenn man die Winterreise, die „für viele Musikliebhaber mehr oder weniger heilig ist, arrangiert“, habe man das Gefühl, sich aufs Glatteis zu begeben. „Doch es geht beim Arrangieren selten um ein Verbessern des Originals. Vielmehr geht es um neue Ansätze, um eine Fassung, die neben dem Original bestehen kann.“ Daran sind Zweifel angebracht. Wenn Schubert seine Winterreise mehrstimmig hätte haben wollen, hätte er sie so komponiert. Durch die Bearbeitung wird die Struktur ohne jeden Mehrwert zerstört. Der gut gemeinte Versuch, der live noch eher vorstellbar ist als im Studio, wird zur formalen Spielerei, zumal die Stimmen der Solistinnen in ihrer dissonanten Unterschiedlichkeit, die gewollt zu sein scheint, dem Zyklus keinen Halt geben. Die Winterreise ist durch die Vielzahl von Aufführungen womöglich überstrapaziert. Überfluss verführt zu Experimenten, die schnell ins Leere laufen. Wenn aber die Neuerscheinung zur Beschäftigung mit dem Original anregt, dann hat sie auch einen Zweck erfüllt.

Die französische Altistin und Dirigentin Nathalie Stutzmann ist die einzige Sängerin, die nicht davor zurückschreckte, gleich alle drei Zyklen von Schubert, nämlich WinterreiseDie schöne Müllerin und Schwanengesang einzuspielen. Die Aufnahmen, die zwischen 2003 und 2008 entstanden, sind gebündelt bei Erato herausgekommen, wunderbar und sehr präsent im Klang. Für die Begleitung ist Inger Södergren zuständig, der die Sängerin nach eigenem Bekunden sehr viel zu verdanken hat. Ohne die Begegnung mit ihr, hätte sie „vielleicht niemals die Liederzyklen von Schubert aufgezeichnet“, sagt sie in einem Interview, das im Booklet abgedruckt ist. Darin wird sie auch gefragt, „ob auch andere Altistinnen Schubert aufgezeichnet haben“. Antwort: „Ich habe danach gesucht, ohne Erfolg …. Kathleen Ferrier hätte es hervorragend machen können, doch vielleicht wagte sie es nicht; schließlich sprechen wir von einer Zeit, in der es für Frauen nicht zum guten Ton gehörte, Lieder mit männlichen Erzählfiguren zu singen.“ Und weiter im Interview: „Die Dinge haben sich seither ein wenig geändert, auch wenn es immer noch einige hartnäckige Frauenfeinde gibt! Doch würde man sich um die kümmern, wäre das solistische Repertoire der Frauen überaus beschränkt.“ Nathalie Stutzmann gibt sich kämpferisch. Das ist ihr gutes Recht. Nur hat sie nicht so ganz Recht. Wer würde schon den Frauen ihr Repertoire streitig machen wollen? Die vielen mit Sängerinnen eingespielten und aufgeführten Winterreisen – bei weitem nicht alle sind weiter oben aufgeführt – sprechen dagegen. Und jetzt auch noch Joyce DiDonato. Rüdiger Winter

Zwischen Wagner und Strauss

 

Eine Lücke, die den meisten Klassikfreunden gar nicht bewusst sein dürfte, schließt die über 800-seitige Monographie Alexander Ritter. Leben und Werk eines Komponisten zwischen Wagner und Strauss, welche vom Autor Michael Hofmeister zugleich als Dissertation an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main eingereicht wurde. 1833 im seinerzeit kaiserlich russischen, heute estnischen Narva geboren, stand Ritter von Kindestagen an, die er in Dresden verlebte, im Banne des zwanzig Jahre älteren Richard Wagner. Später, 1854, sollte er Wagners Nichte Franziska heiraten. Ritters Mutter Julie ermöglichte Wagner mittels ihrer pekuniären Zuwendungen gar zeitweise sein Auskommen im notwendig gewordenen Exil in der Schweiz. Den späteren Bayreuther Meister lernte Ritter persönlich erst 1861 kennen. Er verkehrte im Kreise von Franz Liszt, Hans von Bülow und Peter Cornelius und wurde zu einem frühen Förderer von Richard Strauss. Seit seinem Tode im Jahre 1896 in München verblasste sein Nachruhm indes zusehends, so dass er mittlerweile nur mehr Insidern überhaupt etwas sagt.

Das vorliegende Buch könnte das endlich ändern. Die Monographie untergliedert sich in drei Großkapitel. Bei den Voraussetzungen wird auf den Forschungsgegenstand Ritter eingegangen, die primären und sekundären Quellen sowie den Werkbestand und die Überlieferung. Das Gros des Buches macht freilich das zweite Großkapitel Alexander Ritter – Stationen seines Lebens und Schaffens aus, beinahe 650 Seiten stark. Eine knappe Schlussbetrachtung beschließt den eigentlichen Text. Sehr nützlich das angehängte, gut 70-seitige Alexander-Ritter-Werkverzeichnis (ARWV). Abgerundet wird diese Fleißarbeit durch eine minutiöse Auflistung der Editionen (Artikel und Notizen, unveröffentlichte Briefe) und Verzeichnisse (Abkürzungen, Abbildungen, Quellen, Sekundärliteratur, Personenregister).

Der Hauptteil orientiert sich chronologisch am Leben Ritters. Sein Weg zur Musik und die ersten Kontakte zu Liszt und Wagner gehen von der Kindheit in Narva (1833-1841) über die Jugendzeit in Dresden (1841-1849) bis hin zu seinem Wirken als „Conservatorist“ in Leipzig (1849-1851). Auf eine Rückkehr nach Dresden (1851-1854) folgte die fruchtbare Weimarer Episode (1854-1856) inmitten des Kreises um Franz Liszt; hier entstanden Ritters erste Kompositionen. Über Stettin (1856-1858) ging es abermals nach Dresden (1858-1860) und Leipzig (1860-1863). Bereits hier deutete sich eine Rastlosigkeit an, die Ritters Leben auch später bestimmen sollte. Wiederholt musste er sich trotz zeitweiliger Erfolge das eigene Scheitern eingestehen, versuchte sich in Würzburg zu etablieren, wo er die Jahre 1863-1867, 1870-1872 und 1873-1882 zubrachte. Diese fast zwei Jahrzehnte wurden immer wieder unterbrochen durch glücklose Bestrebungen, sich andernorts niederzulassen. Ob München, Berlin oder besonders als „Stadtmusikdirector“ in Chemnitz (1872/73) – es wollte nicht gelingen. Die späten Meininger Jahre (1882-1886), wo er an der Seite Hans von Bülows wirkte, bereicherten Ritters eigenes Œuvre. Hier traf er auch auf den blutjungen Richard Strauss, den er zeitweise durchaus beeinflusste. Nicht ausgespart wird Ritters Antisemitismus, der sich etwa im schwierigen Verhältnis zum Dirigenten Hermann Levi zeigte.

Als Wagner-Vermittler und Wegbegleiter von Strauss verbrachte Ritter sein letztes Lebensjahrzehnt in München, wo er in der sogenannten „Ritterschen Tafelrunde“ neben der Wagner- auch Liszt-Pflege betrieb. Obwohl sich Ritter für den jungen Strauss mächtig ins Zeug legte, u. a. nachträglich das programmatische Gedicht zu dessen Tondichtung Tod und Verklärung verfasste und ihm den Stoff für dessen erste Oper Guntram nahebrachte, kam es zum Zerwürfnis. Indes setzte sich Strauss seinerseits postum wiederum für Ritter ein, nannte sogar seinen Sohn ihm zu Ehren Franz Alexander und bekundete, dass er Ritter geliebt habe. In seiner Zeit als Wiener Staatsoperndirektor erwog Strauss noch Mitte der 1920er Jahre, eine Ritter-Oper aufzuführen; freilich kam es niemals dazu. Es ist ein Jammer, dass sich die Tonträgerindustrie bis zum heutigen Tage der Werke Alexander Ritters nicht angenommen hat (mit Ausnahme von Thorofon mit dem Melodram Graf Walther und die Waldfrau für Sprecher und Klavier nach einem Text von Felix Dahn – auch musikalisch mit Tannhäuser-Anklängen). Diese umfassen in erster Linie Klavierlieder, wobei Texte u. a. von Heine, Eichendorff, Cornelius, Rückert und Lenau Pate standen. Daneben gibt es an solistischer Vokalmusik orchestrierte Lieder, geistliche Gesänge und Melodramen. Große Chorwerke wie die Hymne an das Licht stehen neben Orchesterwerken, darunter die sinfonische Dichtung Erotische Legende und die Symphonische Trauermusik Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe. Zwei Opern, jeweils in einem Akt, krönen sein Werkverzeichnis: Der faule Hans nach Felix Dahn, mit Widmung an Liszt, von 1885 sowie Wem die Krone? nach Karl Ferdinand Dräxler-Manfred, Strauss gewidmet, von 1890. Es wäre zu wünschen, dass diese ausgezeichnete Monographie ihren Teil dazu beiträgt, ein Klassiklabel endlich auch auf die Kompositionen von Alexander Ritter aufmerksam zu machen. Daniel Hauser

 

Michael Hofmeister: Alexander Ritter. Leben und Werk eines Komponisten zwischen Wagner und Strauss (= Frankfurter Wagner-Kontexte, Bd. 1), Baden-Baden 2018, Tectum Verlag, 807 Seiten, ISBN: 978-8288-4138-3.

James Levine

 

Er war der bedeutendste US-amerikanische Dirigent seit Leonard Bernstein und doch beherrschte er zuletzt aufgrund von Missbrauchsvorwürfen die Schlagzeilen. James Levine, geboren am 23. Juni 1943 in Cincinnati, Ohio, galt bereits früh als Überflieger. Sein Debüt – allerdings als Pianist – erfolgte schon 1954 mit dem Cincinnati Symphony Orchestra. Es folgte Klavierunterricht bei niemandem Geringeren als Rudolf Serkin. Gleichwohl schlug er nach dem Besuch der renommierten Juilliard School of Music in New York (1961-1964) vornehmlich die Dirigentenlaufbahn ein. Einen ersten Höhepunkt stellte die Lehrzeit beim berühmt-berüchtigten George Szell und „seinem“ Cleveland Orchestra dar, den er zwischen 1965 und 1970 als Assistenzdirigent unterstützen durfte.

Von da an ging es Schlag auf Schlag. Es folgten erste Gastdirigate bei so berühmten Klangkörpern wie dem Philadelphia Orchestra und dem Chicago Symphony Orchestra. Sein Debüt am Metropolitan Opera House in New York City fand im Juni 1971 mit Tosca statt. Bereits 1973 wurde er, gerade 30-jährig, zum Chefdirigenten der Met berufen. 1976 schließlich wurde er dortiger Musikdirektor, was er bis 2016 bleiben sollte, und amtierte von 1986 bis 2004 zusätzlich auch als künstlerischer Leiter, womit seine Macht ins Unermessliche stieg. 85 Opern und über 2.500 Aufführungen leitete er in all den Jahrzehnten bis zu seinem letzten Auftritt im Dezember 2017 an der Met. Trotz seiner Opern-Omnipräsenz blieb Levine immer auch als Konzertdirigent im Geschäft und machte sich gerade als Mahler-Interpret einen Namen.

Der junge James Levine/courtesy of Ravinia Festival

Seine musikalische Beschäftigung abseits der Oper fand in den Chefdirigentenposten bei den Münchner Philharmonikern (1999-2004) und beim Boston Symphony Orchestra (2004-2011) ihren Höhepunkt (zuvor hatte er schon von 1973 bis 1993 das sommerliche Ravinia Festival des Chicago Symphony Orchestra geleitet). Allerdings blieben sowohl seine Münchner als auch seine Bostoner Chefdirigentenzeit vor allem auch wegen seiner häufigen, nicht zuletzt gesundheitlich bedingten Absenzen in Erinnerung. Anfang des 21. Jahrhunderts galt er als der bestverdienende Dirigent Amerikas. Daneben war er gern gesehener Gastdirigent bei den Wiener und Berliner Philharmonikern, bei der Staatskapelle Dresden sowie beim Philharmonia Orchestra in London. Sowohl bei den Salzburger als auch bei den Bayreuther Festspielen und zuletzt beim Verbier Festival gehörte er jahrelang gewissermaßen zum unverzichtbaren Inventar.

In Bayreuth dirigierte Levine unter ganz überwiegenden Lobeshymnen zunächst den Parsifal (1982-1985, 1988-1993) und anschließend den Ring des Nibelungen (1994-1998). Nachdem er sich aus München zurückgezogen hatte, machte er sich rar in Europa. Seine nachlassende Gesundheit zwang ihn bereits von 2011 bis 2013 zu einer Zwangspause. Bald nach seiner kaum mehr für möglich gehaltenen und umso mehr gefeierten Rückkehr auf das Podium beendeten Ende 2017 öffentlich gemachte, freilich schon lange zuvor gerüchteweise kolportierte Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs männlicher Jugendlicher seine aktive Karriere; der ihm 2016 verliehene Ehrentitel des emeritierten Musikdirektors der Metropolitan Opera wurde ihm wieder entzogen. Eine außergerichtliche Einigung zwischen Levine und der Met, deren Details nicht bekannt wurden, kam 2019 zustande (die Rede war von einer Abfindung in Millionenhöhe). Tatsächlich scharte er schon zu seiner Zeit in Cleveland einen fast kultischen Kreis ihm höriger „Leviniten“ um sich. Bis zuletzt wollte der stark angeschlagene Levine weiter dirigieren und hatte auch tatsächlich einen Auftritt beim italienischen Maggio Musicale Fiorentino 2021 in Aussicht. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Wie die New York Times berichtet, ist James Levine bereits am 9. März 2021 in Palm Springs, Kalifornien, im Alter von 77 Jahren verstorben.

James Levin, jahrelang an der Met als Chef, dirigierte auch viele Opernaufnahmen, hier die „Adriana Lecouvreur“ mit Renata Scotto, der er zu großem Rum an der Met verhalf/ Sony

Levines Vermächtnis auf Tonträgern sowohl im Opern- als auch im sinfonischen Bereich ist gewaltig. Hervorzuheben ist unbedingt sein Mahler. Die Sinfonien Nr. 1, 3, 4, 5, 6, 7, 9 und 10 spielte er für RCA ein, Das Lied von der Erde (mit Jessye Norman und Siegfried Jerusalem) für die Deutsche Grammophon. Der Zyklus kann durch Live-Aufnahmen ergänzt werden: Eine phänomenale zweite Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern sowie Kathleen Battle und Christa Ludwig (Orfeo) ist nach wie vor problemlos erhältlich; ein Mitschnitt der Achten aus Boston war zeitweise zumindest als offizieller Download zu beziehen. Neben je zwei Zyklen der vier Schumann- und Brahms-Sinfonien (RCA und DG) hat Levine eine sehr beachtliche Einspielung sämtlicher Sinfonien von Mozart, die einzige solche Gesamteinspielung durch die Wiener Philharmoniker überhaupt, vorgelegt (DG). Es ließe sich sinfonisch Unzähliges mehr hinzufügen, so auch Le Sacre du printemps und Bilder einer Ausstellung (DG), wo das Met-Orchester seine orchestrale Überlegenheit auch in ungewohntem Repertoire unter Beweis stellen konnte – überhaupt ein Verdienst der Ära Levine, der den einst ziemlich mediokren Klangkörper überhaupt erst zu Weltklasseniveau geführt hat. Im Opernfach fällt eine komprimierte Auswahl aufgrund der schier endlosen Hülle und Fülle noch schwerer. Für Levines Expertise in Sachen Wagner steht zuvörderst der Bayreuther Parsifal von 1985 (Philips), der vor allem wegen des monumentalen Dirigats in jeder Wagner-Kollektion seinen Ehrenplatz haben sollte. Ein mittlerweile legendärer Mitschnitt von Berlioz‘ Les Troyens aus der Met von 1983, bei der DG auf DVD erschienen, sollte hier ebenso genannt werden (es singen u. a. Tatiana Troyanos, Jessye Norman und Plácido Domingo). Wirklich vorzüglich gelungen ist auch die selten gespielte frühe Verdi-Oper Giovanna d’Arco (EMI), wo man mit Fug und Recht bis heute von einer Referenz sprechen darf (in den Hauptrollen Montserrat Caballé, Plácido Domingo und Sherrill Milnes). In die erste Liga gehört auch Rossinis Il barbiere di Siviglia mit Gedda, Sills, Milnes und Raimondi (EMI). Es ließe sich viel ergänzen. Unter einem gewissen Niveau war keine von Levines Einspielungen; krankte es an etwas, dann eher an der Sängerbesetzung. In der vierzigjährigen Ära Levine wurde das Met-Orchester zum ebenbürtigen Begleiter und überstrahlte das Vokalensemble zuweilen gar an Glanz, zumal in den späteren Jahren. Es wäre wünschenswert, erschiene der gebündelte diskographische Nachlass von James Levine bei den diversen Labels abermals in ansprechenden und gut aufbereiteten großformatigen Boxen (Foto oben Tagesschau). Daniel Hauser

Leichte Kost als hohe Kunst

 

Peter Schreier musste sich oft anhören, dass seine internationale Karriere erst nach dem Unfalltod von Fritz Wunderlich so richtig Fahrt aufnahm. Fakten sprechen dafür, die tragischen Umstände aber dürften ihm genauso nahegegangen sein wie dem Rest der Welt. Beide kannten sich. Ein zweiter Wunderlich aber wurde Schreier nie, wollte das auch wohl nicht. Warum auch? In der DDR, wo nichts dem Zufall überlassen blieb, wäre es gewiss sehr gern gesehen worden, wenn die Popularität Wunderlichs nahtlos auf Schreier übergegangen wäre. Beide sangen das gleiche Fach, in Teilen sogar dieselben Partien. Selbst Pfitzners Palestrina gehörte dazu. Von Mozart und Bach ganz zu schweigen. Nur in Operetten und in der so genannten heiteren Muse ganz allgemein war der um fünf Jahre ältere Pfälzer seinem Kollegen aus Sachsen um Längen voraus. Das dürfte auch an ihrer unterschiedlichen biographischen Prägung gelegen haben. Wunderlichs Eltern waren zwar musikalisch gebildet und verdingten sich zweitweise als Gastwirte. Der Sohn entwickelte ein frühes Interesse an Tanzmusik. Schreier Vater war Kantor und legte bei ihm die Grundlagen für die Aufnahme in den Dresdener Kreuzchor. Und doch hat sich auch Schreier an leichter Kost versucht. Dabei ist unter anderen die Eterna-Platte Schöne, strahlende Welt herausgekommen, die nun von Berlin Classics erstmals eins zu eins auf CD übernommen wurde (0301746BC). Um die Kapazität auszulasten, wurden noch fünf Titel des Albums O sole mio dazu gepackt.

„Granada“, „In mir klingt ein Lied“, „Heute Nacht oder nie“, „Grüß mir die süßen, die reizenden Frauen“ aus Kalmans Operette Gräfin Mariza … Technisch ist am Vortrag nicht herumzumäkeln. Schreier singt ungemein genau, mit perfekt verblendeten Registern und mit absolut sicherer Höhe. Die Töne fließen ihm regelrecht aus der Kehle, und er hat auch hörbaren Spaß an diesem Repertoire. Und doch nimmt man es ihm nicht ab. Es klingt zu gewollt, zu eingeübt, zu verklemmt, nicht selbstverständlich genug. Auch nicht frech, und schon gar nicht erotisch. Was er abliefert, ist hohe Kunst. Als verströmten die süßen Frauen ihre Reize in Kirchenbänken. Noch am meisten überzeugen kann er mit der Arie im alten Stil „Vaghissima sembianza“ von Stefano Donaudy. Verstärkt wird der gemischte Eindruck bei der Wiederbegegnung mit den historischen Aufnahmen von 1977 noch durch die klischeebehafteten und verzuckerten Arrangements von Gerhard Kneifel (1927-1992). Der komponierte Operetten und Revuen und wirkte als Chefarrangeur am Berliner Friedrichstadtpalast. Begleitet wird Peter Schreier vom Großen Rundfunkorchester Berlin unter der Leitung von Robert Hanell. Der Klang der CD ist ohne jeden Tadel. Rüdiger Winter

Lieder-Album als Gesamtkunstwerk

 

Wer turnt denn da auf den Bühnen herum, die in schweren Nebel gehüllt sind? So, als ragten sie nicht aus dem Meer hervor, sondern aus einer Schlucht des Hochgebirges. Ein junger Mann setzt ein Bein vorsichtig vor das andere. Als taste er sich nach vorn, mehr entschlossen und neugierig denn ängstlich. Unter ihm der unberechenbare Abgrund. Am Himmel fliegen schwarze Vögel. Unglücksvögel. Alte Bekannte aus Mythen, Liedern und Opernstoffen. Sie verheißen nichts Gutes. Wird der waghalsige Wanderer sein unbestimmtes Ziel erreichen? Die Abstände, die zu überwinden sind, werden von Mal zu Mal größer. Das Basecap auf seinem Kopf scheint der einzige Schutz bei dem gefährlichen Abenteuer über dem Abgrund zu sein. Nicht der Tenor Ilker Arcayürek geht durch das Bild auf dem Cover seines neuen Albums bei Prospero. Es ist der marokkanischen Foto-Künstler Achraf Baznani auf einem wagehalsigen Selbstporträt. Sein Werk wurde mit Bedacht gewählt für das Programm aus Liedern von Franz Schubert. Der Titel des Coverbildes: Das Unvermeidliche (The Inevitable). 

Wie in einer Galerie sind im Innern des Booklets der aufwändig gestalteten Neuerscheinung weitere Kunstwerke von Baznani zu sehen (PROSP 0009). Die CD selbst ist mit The Path of Life überschriebenen. Es handelt sich um eine Limited Edition mit einer Auflage von tausend. Jedes Exemplar ist handschriftlich nummeriert und damit formal einzigartig. Baznani wird mit den Worten zitiert, er mache keine Fotos, sondern erzähle Geschichten. Gerät bei so viel bildender Kunst die musikalische Seite der Neuerscheinung nicht etwas ins Hintertreffen? Die Frage ist falsch gestellt. Das als kleines Buch mit festem Einband gestaltete Album ist der Versuch, beides zusammenzubringen, für Lieder einen optischen Ausdruck zu finden. An sich ist das nicht neu. Neu ist, dass diese Bilder gegenwärtig sind und Gegenwart illustrieren wollen. So soll und kann uns Schubert noch näher rücken. Mittlerweilen trennen uns bald zweihundert Jahre vom Tod des Komponisten, der nicht annährend so alt wurde wie es seine Interpreten sind. Arcayürek zählt siebenunddreißig Jahre, zweiundvierzig sind der britische Pianist Simon Lepper und Baznani, der aus unerfindlichen Gründen auf dem Cover nicht genannt wird, was bedauerlich, wenn nicht gar peinlich ist.

Der in Istanbul geborene Tenor, der in Wien aufwuchs, schon als Kind in namhaften Chören sang, ist Österreicher und lebt mit seiner Familie in Zürich. Arcayürek hat also gut reden, wenn er seinen eigenen Text im Booklet mit dieser Feststellung beginnt: „Die schweizerische Liebe zum Detail, englische Finesse kombiniert mit Wiener Charme und einem Hauch orientalischer Melancholie machen dieses Album zu dem, was es ist – eine Melange an Emotionen, Kulturen und Epochen.“ Aufgenommen wurde im Juli 2020 im Rundfunkstudio Brunnenhof in Zürich, weshalb auch der SRF unter den Produzenten auftaucht und dafür überschwänglich gelobt wird. Bei der Auswahl gibt sich der Sänger nicht eben bescheiden. Selbstbewusst greift er zu den Meisterstücken aus Schuberts Werkstatt, die einzelnen Kategorien zugeteilt sind: Liebe, Sehnsucht, Suche nach innerem Frieden, ResignationErlösung. Zu den einzelnen Kapiteln gibt es auch ambitionierte aktuelle Deutungsversuche von Richard Stokes, dem renommierten Professor für Kunstlied an der Royal Academy of Music in London. Erfreulich großen Wert legt er auf die Texte, über die sich das Konzept für die Neuerscheinung zuerst und vor allem mitteilt. Stokes mäkelt nicht an jenen Vorlagen herum, die es literarisch nicht mit Friedrich Rückert aufnehmen können. Er respektiert die Auswahl des Komponisten. Bei einigen Titeln hält er mehr inne als bei anderen. So ein Fall ist Der Wanderer mit der berühmten Schlusszeile „Dort, wo du nicht bist, ist das Glück!“, in der die Romantik einen ihrer treffendsten literarischen Ausdrücke fand.

Das Gedicht stammt von Georg Philipp Schmidt von Lübeck (1766-1849). Hauptberuflich war er Kaufmann und brachte es in dänischem Staatsdienst zu hohem Ansehen. Er stammte aus Lübeck und liegt im Hamburger Stadtteil Ottensen neben Klopstock begraben. Schriftsteller war er nebenbei. Sein Gedicht überlebte nicht nur durch Schubert, der es leicht veränderte und den ursprünglichen Titel „Des Fremdlings Abendlied“ verwarf. Der Berliner Oberlehrer Georg Büchmann (1822-1884) hatte die Schlusszeile in seine berühmte Sammlung geflügelter Worte übernommen, die 1864 erstmals erschien und bis in die Gegenwart in unzähligen Auflagen und Ausgaben weitergeführt wurde als eines der Deutschen liebsten Bücher. Es ist als habe sich die Zeile von ihrem Verfasser gelöst. Sogar in Christa Wolfs Novelle Kein Ort. Nirgends über die fiktive Begegnung von Heinrich von Kleist mit Karoline von Günderrode, die beiden den Freitod suchten, ging sie ein.

Eines der Werke des marokkanischen Foto-Künstler Achraf Baznani aus dem Booklet des kunstvoll gestalteten Albums in limitierter Auflage bei Prospero. 

Es darf also geschaut, gelesen und schließlich auch gehört werden. Selten dürfte ein Album so anregend gewesen sein wie dieses. Es ist nichts für Nebenbei oder für den Player im Auto. Ein digitales Angebot, so zeitgemäß es auch sein würde, verfehlte die Wirkung. Als Gesamtkunstwerk fordert die Neuerscheinung viel Aufmerksamkeit ein und kommt vielleicht deshalb gerade richtig in einer Situation, die zu Ruhe und Einkehr zwingt und Besuche von Konzerten so gut wie unmöglich macht. Musikfreunde waren selten so auf sich allein gestellt wie jetzt. Produziert und veröffentlicht in der Pandemie. Es braucht keinen gesonderten Aufdruck auf dem Cover. Man wird sich auch so lange daran erinnern. Die Folgen sind noch nicht absehbar: „The Path of Life“.

Arcayürek, der auch auf der Opernbühne aktiv ist, hat Erfahrung mit Franz Schubert. Bereits 2017 hatte er bei Champs Hill Records London eine ausschließlich diesem Komponisten gewidmete CD vorgelegt. Damals schrieb er im Booklet: „Franz Schuberts Musik und auch die Einsamkeit begleiten mich seit meiner Kindheit. Einsamkeit kann aus meiner Sicht durch viele Begebenheiten entstehen – durch Liebeskummer, einen Verlust, aber auch durch Umzug in ein neues Land.“ Die Vielfalt in Schuberts Gefühlswelt und seiner Musik hätten ihn „schon früh in ihren Bann gezogen“. Daran knüpft er nun an: „Wir hatten die Intention, ein Programm zu kreieren, das wie ein langes, durchgehendes Lied zum Erklingen gebracht wird: Dieser emotionalen Aufgabe habe ich mich gestellt, in dem ich jedes Lied persönlich nehme und auf mich beziehe.“ Junge Sänger, die auch gern in den sozialen Medien unterwegs sind, neigen zur Mitteilsamkeit wie es sie früher nicht gab. Sie sind viel offener als jene Künstler es waren, die ihre Groß- oder Urgroßeltern sein könnten. Sie haben kein Problem damit, sich zu ihren Gefühlen und Herzensangelegenheiten zu bekennen. Hohe Kunst des Liedgesangs wird mit ganz konkreter Lebens- und Alltagserfahrung angereichert. So muss man sich um den Fortbestand des Genres nicht sorgen. Nie gab es so viele Lieder auf dem Musikmarkt wie jetzt. Auch wenn Arcayürek seine neue CD mit achtzehn Liedern als fließendes in sich verbundenes Stück verstanden wissen möchte, gelingen die einzelnen Titel auf durchaus unterschiedliche individuelle Weise.

Franz Schubert: So idealistisch porträtierte ihn der Maler Wilhelm August Rieder 1875 nach einer Aquarellvorlage von 1825/ Wikipedia

Der Auftakt mit der sehr bewegten Fischerweise klingt etwas belegt. Bereits beim Liebhaber in allen Gestalten auf Platz zwei verfliegt dieser Eindruck. Nun würde man sich den Aufstieg zur Höhe etwas eleganter wünschen. Obwohl nicht klar wird, in welcher Reihenfolge die Lieder aufgenommen wurden, bleibt der Eindruck, als müsse der Solist erst hineinfinden in seine Aufgabe. Mit Alinde gelingt eine erste Glanzleistung. Unterstützt von seinem Pianisten findet er für die unterschiedlichen balladesken Szenen, in denen mit wörtlicher Rede nicht gespart wird, auch rhythmisch angemessene Ausdrucksformen. Die Geschichte, die bei Sonnenuntergang beginnt und in „schwarzer Nacht“ endet, verlangt nach viel Farbe in der Stimme. Arcayürek hat sie zu bieten – und zwar reichlich. Du bist die Ruh wäre ein Lehrbeispiel für Legato, würde die Steigerung – wie in einigen anderen Liedern auch – etwas weniger forciert ausfallen. Für Ausdruck wird schon mal Schönheit geopfert. Eine Reihenfolge, die nicht die schlechteste ist für einen Liedsänger, der sich abheben will ohne abgehoben zu sein.

Zu den großen Vorzügen dieses Tenors gehört die Klarheit seines Vortrags. Seine auch schriftlich formulierten hohen Ansprüche an die Lieder gingen ins Leere, wäre nicht jedes Wort zu verstehen. Ein Vorzug, der heutzutage nicht immer selbstverständlich ist. Dabei unterstützt ihn Simon Lepper, sein hochsensibler Pianist, der den Sänger nicht vor sich her treibt sondern ihm Halt und Sicherheit gibt. Der Wanderer mit der berühmten letzten Zeile ist nach Des Fischers Liebesglück und Der Unglückliche mit gut fünf Minuten eines der längsten Lieder. Für mich stellt es den Höhepunkt des Programms dar. Es versammelt Begabung, Talent und Individualität des Tenors Ilker Arcayürek wie in einem Brennspiegel. Wer sich ein Bild von ihm machen will, wer herausfinden möchte, was er kann, wird hier fündig. Oder sollte ich mich am Ende nicht doch für die melancholischen Götter Griechenlands entscheiden? Rüdiger Winter

 

Das Foto oben zeigt den Tenor Ilker Arcayürek. Wir entnahmen es als Ausschnitt dem Booklet des neuen Albums „The Path of Life“. 

Mit Lohengrin fing alles an

 

Wagner alla Scala. Das klingt verlockend nach einem erlesenen Gericht auf der Speisekarte eines italienischen Restaurants. Im Italienischen wirkt vieles so als vergehe es auf der Zunge. Wir Deutsche reagieren darauf wie ein Pawlowscher Hund. Dass im Land von Verdi, Puccini, Donizetti und Mascagni Richard Wagner so hohes Ansehen genießt, ist womöglich nur die Umkehrung eines Teils jener Sehnsucht, mit der nördlich der Alpen nach dem Süden geschaut wird. Wagner selbst war Italien verfallen. Eine Leidenschaft, die er mit vielen Künstlern seines Landes teilte. In Italien hat sich sein Leben auf eine fast schon theatralische Weise vollendet. Wer auf dem Canale Grande in Venedig unterwegs ist, kommt zwangsläufig an der Villa Vendramin vorbei, in der er am 13. Februar 1883 gestorben ist.

Elisabeth Schwarzkopf als Elsa und Martha Mödl als Ortrud 1953 in „Lohengrin“. Die musikalische Leistung hatte Herbert von Karajan. Einen Mitschnitt gibt es leider nicht. Foto: Scala

Schon zu seinen Lebzeiten nahmen sich die Opernhäuser des Landes seiner Werke an. Eine herausgehobene Rolle spielte dabei die Mailänder Scala. Skira classica hat diesem Kapitel italienischer Theatergeschichte einen Titel gewidmet, der weit über eine gewöhnliches CD-Album hinausgeht. Im Grunde genommen handelt es sich um einen mit Musikbeispielen versehenen Bildband im handlichen Oktavformat (ISBN 978-88-6544-022-3). Inzwischen ist diese attraktive Memories-Serie zu stattlichem Umfang angewachsen. Es gibt auch noch lieferbare Nummern zu Verdi, der Callas und diversen Opern, darunter Così fan tutte mit der Schwarzkopf, Carmen mit der Simionato und Turandot mit der Nilsson. Sie machen sich hübsch im Regal und sind Fundgruben speziellen Wissens. In der Wagner gewidmeten Folge findet sich auch eine deutsche Textfassung. Sensationen werden nicht enthüllt. Der Mehrwert besteht in der reich bebilderten Konzentration auf Wesentliches.

„Wagner alla Scala“: Buch und CD sind  bei Skira classica herausgekommen und lieferbar (ISBN 978-88-6544-022-3).

In der Geschichte des Teatro alla Scala wurden Werke Wagners in mehr als 140 Jahren etwa tausend Mal in 127 Inszenierungen aufgeführt, ist gleich im ersten Satz des Textes von Enrico Girardi zu erfahren. Vergleichsweise ist das nicht wenig. Zuerst wurde am 20. März 1873 Lohengrin gegeben – dreizehn Jahre nach der Uraufführung unter Franz Liszt in Weimar. „Schon die schiere Zahl dieser Aufführungen bezeugt, dass Wagners Musik an der Scala nicht nur deutlich präsenter als an jedem anderen italienischen Opernhaus“ gewesen ist. Es kämen sogar mehr Vorstellungen zusammen als beispielsweise in den Musiktempeln von Paris, London oder New York. Von den frühen Werken wurde nur Rienzi 1964 in einer Inszenierung des österreichisch-amerikanischen Regisseurs Robert Graft mit Giuseppe di Stefano in der Titelrolle und Raina Kabaivanska als Irene berücksichtigt. Der Adriano war mit einem Tenor, nämlich mit Gianfranco Cecchele besetzt. Eine Praxis, die auch in Deutschland ausprobiert wurde, so 1957 mit Josef Traxel in Stuttgart. Die streng gekürzte Fassung in italienischer Sprache wurde von Hermann Scherchen dirigiert. Er lässt es gewaltig Krachen. Ein Mitschnitt in bescheidener Tonqualität hat sich erhalten, gibt die Wirklichkeit offenkundig nur verzerrt wieder. Er ist in diversen Ausgaben auf CD gelangt, zuletzt 2006 bei Golden Melodram. Wie gnadenlos die Striche ausgefallen sind, wird schon dadurch deutlich, dass auf der zweiten Scheibe noch Platz für zwanzig Minuten aus Verdis Forza übrig war.

Nach der Premiere der „Meistersinger von Nürnberg“ 1952: Wilhelm Furtwängler mit Elisabeth Grümmer (Eva, rechts) und Sieglinde Wagner (Magdalene). Foto: Buch „Wagner alla Scala“:

Lohengrin markiert also den Beginn der Wagnerpflege in Mailand wie auch im restlichen Italien. Er wurde dort auch am häufigsten gespielt und bracht es – gleich der Walküre – auf siebzehn Inszenierungen. Als sich Arturo Toscanini 1900 erstmals dieser Oper annahm, dirigierte er bereits die fünfte. Wobei unter Inszenierung nicht im Entferntesten das gemeint ist, was die Gegenwart darunter versteht. Regisseure gab es noch nicht. Die szenische Einstudierung lag in den Händen der Bühnenbildner, was auch im Buch klargestellt wird. Es dürfte darauf hinausgelaufen sein, eine neue Aufführungsserie aus Vorhandenem zu arrangieren. Kulissen wurden behutsam ersetzt, wenn sie denn verschlissen waren. Textautor Girardi wundert sich, dass nicht auch die anderen früheren Werke des Bayreuther Kanons wie Holländer (sieben Inszenierungen) und Tannhäuser (zehn), die der italienischen Oper näher stünden als die späteren Musikdramen, die gleiche Beliebtheit erfahren hätten wie Lohengrin. Die wortreichen Meistersinger von Nürnberg stehen mit vierzehn Inszenierungen in der Statistik, Siegfried mit dreizehn, Rheingold und Götterdämmerung mit jeweils zwölf.

„Die Frist ist um“: Hans Hotter als Holländer ans Land geworfen. Foto: Buch „Wagner alla Scala“.

Auffällig ist, dass das Interesse des Publikums an Wagner schwankte. So werden – um Beispiele aufzugreifen – die Meistersinger  „in den zwanziger Jahren wieder und wieder gespielt. Der Ring des Nibelungen dagegen in den Dreißigern. Und Parsifal in den Vierzigern. In den fünfziger bis siebziger Jahren wird der gesamte Wagner-Katalog praktisch regelmäßig gegeben, um dann in den Achtzigern (nur dünne zwei Titel) und Neunzigern (nur sechs) deutlich zu schrumpfen“. Danach habe es im 21. Jahrhundert ein fast vollständiges Comeback Wagners an der Scala gegeben. Auf die Gründe dieser Entwicklungen geht der Autor nicht ein. Inwieweit politische Entwicklungen eine Rolle spielen, wäre zu untersuchen. Die längste Auszeit ist Tristan und Isolde, dem charakteristischstem Bühnenwerk des Komponisten, beschieden gewesen. Es erschien nach fast dreißigjähriger Pause erst 2007 wieder auf dem Spielplan, geleitet von Daniel Barenboim, dem damaligen Musikdirektor. Für die Inszenierung war Patrice Chéreau gewonnen worden. Als hohes Paar traten Waltraut Meier und Ian Storey in Erscheinung.

Chéreau galt als sichere Bank für den Erfolg seit er 1976 in Bayreuth mit seiner spektakulären Neudeutung des Ring anlässlich der hundertsten Wiederkehr der ersten geschlossenen Aufführung für Furore gesorgt hatte. Wie damals im Festspielhaus traten auch an der Scala die Medien geballt auf den Plan. Eine einfache Radioübertragung tat es nicht mehr. Vom Fernsehen wurde die Aufführung auch in deutsche Wohnzimmer transportiert. Virgin Classics brachte eine DVD heraus. In der positiven Bewertung des künstlerischen Gehalts ist sich die Kritik weitestgehend einig gewesen, zumal die Kameras nicht nur draufgehalten hatten. Es wurde versucht, das Bühnengeschehen vor allem in den Details genau zu erfassen, ohne die Bühnentotale ganz zu vernachlässigen. Große Distanzen wie sie in Opernhäusern nun mal gegeben sind, wurden so geschickt verkürzt, dass sich die filmische Version als eigenständiges Kunstwerk behauptete. Davor war der Tristan 1964 von Lorin Maazel, 1978 von Carlos Kleiber geleitet worden. Etwas weiter zurückgeblättert in der Aufführungsstatistik, taucht auch Herbert von Karajan auf, der 1959 ans Pult trat, während auf der Bühne Birgit Nilsson und Wolfgang Windgassen, die unangefochtene Bayreuther Traumbesetzung, wirkten. Einen Mitschnitt haben unter anderen Myto und Golden Melodram veröffentlicht. Als Geheimtipp unter Sammler aber gilt seit jeher der gemeinsame Auftritt von Gertrude Grob-Prandl und Max Lorenz im Jahre 1951 (Myto und Archipel), dessen Leitung in den Händen des Italieners Victor de Sabata lag.

Verständigung bei der Probe der „Götterdämmerung“ 1950: Brünnhilde Kirsten Flagstad und Dirigent Wilhelm Furtwängler im Gespräch. Foto: Flagstad-Museum Hamar

Tristan-Dirigent Barenboim sollte dann auch seinen ersten Nibelungen-Ring der Scala medial vermarkten. Als DVD-Box kam er 2015 bei Arthaus heraus, nun sogar im detailversessenen Blu-ray. Vorausgegangen waren Veröffentlichungen der einzelnen Teile. Während die technischen Konservierungsmöglichkeiten rasant an Fahrt aufgenommen hatten, stellten sich unerbittlich Besetzungsprobleme ein. Es wurden drei Wotane für ein Unternehmen gebraucht, das sich über mehrere Jahre hinzog: René Pape für Rheingold, Vitalij Kowaljow für Walküre und Terje Stensvold für den Siegfried-Wanderer. Und Siegfried (durchgehend Lance Ryan) dürfte sich gewundert haben, als ihn in der Götterdämmerung eine andere Brünnhilde, nämlich Iréne Theorin zum neuen Taten in die Welt entließ, als jene, die er auf dem Felsen aus langem Schlag erweckt hatte (Nina Stemme). Auch für Fricka tat es nicht nur eine Sängerin (Doris Soffel und Ekaterina Gubanova), für Mime auch nicht (Wolfgang Albinger-Sperrhacke und Peter Brander).

Angesichts des enormen Aufwands wurde die Tetralogie in ihrer Gesamtheit bislang nur ganze zehn Mal gegeben. Die meisten geschlossenen Aufführungen – drei an der Zahl – gab es in der dreißiger Jahren unter der Leitung von Siegfried Wagner, dem Sohn des Komponisten, der Bayreuther Atmosphäre südlich der Alpen zu verbreiten suchte. Wie mit goldenen Lettern hat sich 1950 Wilhelm Furtwängler in die Annalen eingeschrieben. Sein Ring ist schon deshalb einzigartig, weil sich ein kompletter Mitschnitt erhalten hat, was für diese Zeit nicht selbstverständlich gewesen ist. Es folgte eine Plattenausgabe nach der anderen. Firmen überboten sich bis heute um den besten Klang und das beste Remastering. Und als der Dirigent drei Jahre später bei der RAI noch einen kompletten Ring made in Italia nachlegte, traten beide Produktionen nach dem Motto, dass zwei Ringe besser seien als einer, in eine etwas verwirrende Konkurrenz.

Birgit Nilsson (vorn) und Wolfgang Windgassen als Tristan und Isolde 1959 auf hoher See im ersten Aufzug. Foto: Buch „Wagner alla Scala“

Anders als das Nachkriegs-Bayreuth, das ein Jahr später eröffnen sollte, fühlte sich die Scala 1950 mehr der Tradition verpflichtet. Alten Glanz verbreitete Kirsten Flagstad, die sich nach langer kriegsbedingter Abstinenz noch immer alle drei Brünnhilden zutraute. Entschlossen umschiffte sie die Klippen der kräftezehrenden Partie. Gefährliche Spitzentöne passte die Fünfundfünfzigjährige den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten an. Ihre Fähigkeit aber, Töne so zu fluten, dass der riesige Zuschauerraum ganz davon erfüllt war, hatte sie nicht verloren. Die Stimme der Flagstad schimmerte wie altes schweres Gold, dem ein paar Kratzer nichts von seinem Wert nehmen konnten. Sie sang ihre deutlich jüngeren Tenorpartner – Set Svanholm im Siegfried und Max Lorenz in der Götterdämmerung – regelrecht an die Wand. Die hatten zu kämpfen, nicht sie. Insofern ist dieser Ring nicht nur ein Denkmal für Furtwängler.

Kaum ein Dirigent, der sich nicht hätte sehen lassen bei Wagner-Abenden in Mailand. Es sei eine so „eindrucksvolle und lange Liste, dass man fast schneller aufzählen kann, wer auf ihr fehlt, als wer dabei ist“, vermerkt das Booklet und nennt auch Namen: Bruno Walter, Otto Klemperer, Dimitri Mitropoulos, Hans Knappertsbusch, Karl Böhm, Georg Solti, Clemens Krauss, Wolfgang Sawallisch, André Cluytens, James Levine, Giuseppe Sinopoli, Bernard Haitink, Leonard Bernstein. Dagegen ist die CD mit ihren neun historischen Dokumenten nur ein Schatten des wirklichen Geschehens. Die Hinwendung zu den Titanen Toscanini (Vorspiel zum dritten Aufzug Lohengrin, Karfreitagszauber, Meistersinger-Vorspiel), Furtwängler (Walkürenritt, Siegfrieds Tod und Trauermarsch), Karajan (Vorspiele zum ersten und dritten Aufzug Tristan) sowie de Sabata mit Isoldes Liebestod, den allerdings die Flagstad singt, ist gewollt. Macht zusammen knapp siebenundsechzig Minuten. Es hätte durchaus etwas mehr sein dürfen. Rüdiger Winter

Siegentrost und Tannhäuser

 

Wer sich mit Liedern und Balladen beschäftigt, gerät schnell in ein Labyrinth mythischer und literarischer Verzweigungen und Verknüpfungen. Da tauchen Gestalten auf, die einem seit Jahrzehnten vertraut sind. Aber auch solche melden sich zurück, die man völlig aus dem Auge verloren hat. Bruder Siechentrost ist so ein Gesell. Siechentröster wurden einst jene Geistlichen genannt, die zu den Kranken und Sterbenden gingen, um ihnen beizustehen. Jener Siechentrost, um den er hier geht, entstammt einer Legende von Paul Heyse (1830-1914), dem ersten deutschen Literaturnobelpreisträger von 1910. Zahlreiche Komponisten bedienten sich bei ihm, darunter Hugo Wolf für sein Italienisches- und sein Spanisches Liederbuch. Auch Max Bruch (1838-1920) kannte sich bei seinem Zeitgenossen Heyse aus. Seine Siechentrost-Lieder op. 54 bilden das Zentrum einer CD, die bei cpo erschien (555 422-2). Maßgeblich beteiligt ist der WDR, womit sich eine schöne Tradition fortsetzt, dass der aus Gebühren finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk förderungswürdige Projekte produziert und für die Veröffentlichung auf Tonträgern freigibt. Es singt der aus Österreich stammende Bariton Rafael Fingerlos, begleitet von Sascha El Mouissi am Klavier. Das Siechentrost-Opus setzt sich auf zwei Liedern, zwei Duetten und einem Schlussgesang zusammen. Deshalb treten Cornelia Zink (Sopran), Magdalena Rüker (Mezzosopran), Bernhard Berchtold (Tenor) und Benjamin Herzl (Violine) hinzu.

Bei Heyse verbinden sich die Schicksale zweier Männer. Der eine, Gerhard, fühlt sich bei der Rückkehr nach langer Wanderung von seiner Angebeteten verraten, der andere, Bruder Siegentrost genannt, verlor durch die Pest Frau und Kind, trat in ein Barfüßerkloster ein und opferte sich fortan selbst für andere Kranke auf. Seine Mitmenschen aber mieden ihn, weil sie fürchteten, er habe sich angesteckt und könnte die tödliche Seuche weitergeben. Nur der unglückliche Gerhard sucht unerschrocken dessen Nähe, bricht mit seinem bisherigen Leben und schließt sich ihm an. „Da erschienen sie eines Nachmittags in einem kleinen Winzernest in der Nähe von St. Goar, vor einem Haus, aus dem man am Morgen eine junger Todte hinausgetragen hatte, das einzige Kind wackerer Eltern“ heißt es bei Heyse. Die Geächteten werden von „guten Bürgern“ in einen Zusammenhang mit dem traurigen Ereignis gebracht, unter ihnen der Eschenauer, der Vater Gerhards. Schergen werden in Bewegung gesetzt, um den „verlorenen Sohn“ einzufangen. Der ist indessen schwer erkrankt. Als sich Siegentrost von Lager entfernt, um nach heilenden Kräutern zu suchen, wird Gerhard von seinen Verfolgern entführt und auf ein Schiff verfrachtet. Vom Ufer vernimmt er die Stimme des Freundes mit einem „herzstärkendem“ Liede, reißt sich los und stürzt sich in die Fluten, um zu ihm zu gelangen. Doch er ertrinkt. Siegentrostens Lieder aber sind längst im Volksmunde heimisch geworden.

Im Booklet der Neuerscheinung wird nicht gegeizt mit Zitaten aus Heyses Legende, die auf das Jahr 1375 zurückgeht. Eckardt van den Hoogen, der Autor des umfangreichen Textes, präsentiert die einzelnen Lieder und Duette im Kontext. Das macht Sinn. Ohne ihre literarische Umgebung blieben sie weniger verständlich. Heyse, in seiner Zeit sehr populär und viel gelesen, dürften längst nicht mehr in jedem Bücherschrank zu finden sein. Deshalb ist solch dezente Nachhilfe, die nicht belehren will, mehr als angemessen. Mehrfach gehört, kann man sich sogar eine Veranstaltung in kleinem Rahmen vorstellen, bei der sie gemeinsam mit dem Prosatext vorgetragen werden. Mit Unterstützung des Klaviers durch die Violine entsteht eine poetische Stimmung, von der sich auch der Sänger und seine Mitstreiter ergreifen lassen. Fingerlos singt sehr in sich gekehrt, immer um Wortverständlichkeit bemüht. In den beiden Duetten „Gott woll‘, dass ich daheim wär“ und „Wer weiß, woher das Brünnlein quillt“ findet er zu inniger künstlerischer Gemeinsamkeit mit seinem Tenorpartner Berchtold. Der als Terzett angelegte Schlussgesang beschert ein in sich geschlossenes versöhnliches Ende eines Meisterwerkes. Nicht, dass die andere Lieder dagegen etwas abfallen. Hörer müssen aber erst umschalten von der reizvollen Form des kleinen Zyklus auf klavierbegleiteten Sologesang, darunter „Tannhäuser“, „Goldne Brücken“ und das „Klosterlied“. Bruch, in dessen Schaffen Lieder einen beträchtlichen Posten abgeben, ist im Gebrauch der Melodie nicht eben zögerlich. Seine Einfälle sind üppig und sehr bildhaft. Senkt sich die Nacht in einigen der Lieder nieder, erweist sich Bruch als spätromantischer Tonmaler vom Feinsten. Rüdiger Winter

Für Fans des Verstorbenen

 

Ariadne auf Naxos, chronologisch gesehen die sechste Oper von Richard Strauss, war die letzte, die noch zur Zeit der alten Donaumonarchie entstand. Ihre Erstfassung als Abschluss einer Aufführung des Bürgers als Edelmann von Molière fand 1912 in Stuttgart statt; die Zweitfassung, bereichert um ein sogenanntes Vorspiel, welche sich durchsetzen sollte, wurde 1916, mitten im Ersten Weltkrieg also, an der Wiener Hofoper uraufgeführt. Hinsichtlich der Beliebtheit rangiert die Ariadne innerhalb der Strauss’schen Opern weit vorne. Die Diskographie ist ungemein reichhaltig und geht zurück bis ins Jahr 1913 (!). Maßstäbliche Einspielungen erfolgten u. a. unter Herbert von Karajan (EMI, 1954), Rudolf Kempe (EMI, 1968) und James Levine (DG, 1986). Orfeo legt nun einen Mitschnitt aus der Wiener Staatsoper vom Oktober 2014 unter Christian Thielemann auf CD vor (Orfeo C996202). Die Produktion wird zudem auf DVD und Blu-ray erscheinen (Regie: Sven-Eric Bechtolf).

Es handelt sich keineswegs um Thielemanns erste Beschäftigung mit dieser kammermusikalisch angelegten Oper. Bereits 2012 wurde eine Inszenierung von Brian Large aus dem Festspielhaus Baden-Baden mitgeschnitten und als DVD aufgelegt (Decca). Interessanterweise übernahm die auch in Wien mitwirkende Sopranistin Sophie Koch bereits damals die Rolle des Komponisten. Ansonsten wurde in Wien sängerisch aufgeboten, was seinerzeit möglich war. Die international gefeierte finnische Sopranistin Soile Isokoski verkörpert neben der Titelrolle die Primadonna, der allzu früh verstorbene Johann Botha ist als als Tenor und Bacchus zu hören. Als Zerbinetta wurde Daniela Fally eingesetzt. Daneben hört man u. a. Jochen Schmeckenbecher als Musiklehrer, Norbert Ernst als Tanzmeister und den unverkennbaren Peter Matic, leider auch schon verschieden, in der Sprechrolle des Haushofmeisters.

Als Thielemann im Oktober 2014 fünf Aufführungen der Ariadne an der Staatsoper in Wien übernahm, war dies seine erste szenische Strauss-Oper im Haus am Ring, dem Ort der Erstaufführung der zweiten Fassung. Zuvor hatte er dort vor allen Dingen als Wagner-Interpret für Furore gesorgt. Tatsächlich wurde seine Rückkehr als sensationell gefeiert und – heutzutage überhaupt nicht mehr selbstverständlich – auch die Inszenierung von Bechtolf mit viel Lob bedacht. In sängerischer Hinsicht verwöhnt diese Produktion durchaus. Die Reduzierung auf die Tonspur beweist, dass die Aufnahme auch ohne Bild keine Vergleiche mit den großen Interpretationen der Vergangenheit zu scheuen braucht. Thielemann liegt dieses Werk, das den Gegensatz zwischen großer heroischer Oper auf der einen und profaner Komödie auf der anderen Seite zum Thema hat. Neben der damaligen Gegenwart des ausklingenden Fin de siècle kommen zwei weitere zeitliche Ebenen, die Barockära Molières sowie der antike Ariadne-Stoff, zum Tragen, die ja bereits die größten Opernerfolge von Richard Strauss dominierten (das Barockzeitalter im Rosenkavlier, die Antike sowohl in Salome als auch in Elektra). Zwischen dem leichten Vorspiel im Parlando-Stil der Opera buffa und dem deutlich pathetischeren Stil des eigentlichen Opernaktes á la Opera seria besteht ein merklicher, von Strauss intendierter Unterschied. So konnte er gleichsam beide Formen des älteren Operntypus in aktualisierter Form abbilden, ohne es freilich zur reinen Kopie verkommen zu lassen. So gibt es zwar Anlehnungen an ältere Kompositionen von Mozart, Schubert und den Belcanto, doch keine Direktzitate. Eine Neueinspielung, die der Diskographie eine weitere Facette hinzufügt. Daniel Hauser

Flotte Töne aus der Provinz

 

Weimarer Klassik: Das sind nicht nur Goethe, Schiller, Wieland und Herder. Das sind auch Scheinpflug, Krebs, Carl und Koch. Wer, bitte, sind diese Herren? Allesamt waren sie Komponisten und prägten als solche das musikalische Leben, wenn nicht in Weimar selbst, so doch im engeren Umfeld dieser Stadt, die einer kulturellen Epoche den Namen gab. Bei Ars Produktion ist eine CD erschienen, die sich ihren Werken widmet (ARS 38 833). Sie wurde bereits Mitte der 1990er Jahre produziert und war zuerst bei AMU-Records erschienen. Auf den ersten Blick wird aber nicht deutlich, was nur im Kleingedruckten des Booklets zu erfahren ist. Sei‘s drum. Die Aufnahme hat sich ihre Frische bewahrt, und das Programm schließt auch nach mehr als zwanzig Jahren noch Lücken auf dem Musikmarkt. Im Grunde wirkt die CD wie eine Neuerscheinung. Zu hören sind Sinfonien und ein Konzert. Es spielt das Thüringer Kammerorchester Weimar unter der Leitung des inzwischen Mittachtzigers Max Pommer. Er hatte 1979 in Leipzig das Neue Bachische Collegium Musicum gegründet und war damit weit über die DDR hinaus bekannt geworden. Seine Einspielung der Brandenburgischen Konzerte – um nur dieses Beispiel zu nennen – hatten seinerzeit in die DDR eine ähnliche starke und nachhaltige Wirkung wie Harnoncourt im Westen. Den Werken der Weimarer Klassik gibt er große Würde und hebt sie durch seine Interpretation in die Nähe von Haydn, dessen Zeitgenossen sie waren. Bis auf Christian Wilhelm Carl. Der wurde 1804 geboren, war erst fünf, als Haydn starb. Von ihm wurde das dreisätzige Concertino für Flöte (Wally Hase) und Waldhorn (Ralf Ludwig) übernommen. Ein Stück, das bei aller Unfertigkeit eine große Begabung ahnen lässt. Zudem ist die Besetzung mit zwei sehr unterschiedlichen Instrumenten nicht eben häufig. Carl, ein gebürtiger Thüringen, der diesem Landstrich verbunden blieb, wurde nur sechsundzwanzig Jahre alt. Er ertrank bei Rudolstadt in der Saale ohne, dass er sein Talent voll entfalten hätte können.

Am häufigsten auf Tonträgern – vor allem mit Orgelkompositionen – ist Johann Ludwig Krebs (1713-1780) anzutreffen. Von 1756 bis zu seinem Tod 1780 wirkt er als Organist in Altenburg, wo er auch starb. Er stammte aus Buttelstedt in der Nähe von Weimar, begann schon als Halbwüchsiger eine Ausbildung an der Thomasschule in Leipzig, wo er Privatschüler von Johann Sebastian Bach gewesen ist. Der soll ihn scherzhaft als den „einzigen Krebs im Bach“ genannt haben, wie im Text des Booklets von Peter Larsen nachzulesen ist. Orchesterwerke bilden in seinem Werk ehr die Ausnahme, weshalb seine Sinfonie c-Moll einen gewissen Seltenheitswert hat. Heinrich Christoph Koch ist vornehmlich Theoretiker in die Musikgeschichte eingegangen und als solcher noch immer anerkannt. Er hinterließ den Versuch einer Anleitung zur Composition, ein Musikalisches Lexikon und das Handbuch bey dem Studium der Harmonie. „Seine theoretischen Überlegungen lassen sich“ nach Auffassung von Larsen in der Sinfonie auf der CD „durchaus nachvollziehen“. Seine anderen Kompositionen sind hingegen weitgehend unbekannt, so sie nicht in seinen Schriften zitiert werden. Er lebte zwischen 1749 und 1816, wurde in Rudolstadt geboren und ist dort auch gestorben. Reisen führten ihn zu Studienzwecken nach Berlin, Dresden und Hamburg. Obwohl er zum Kammermusikus aufgestiegen sei und die Rudolstädter Hofkapelle leitete, habe er darum gebeten als „1. Vorspieler an der Violine“ ins Orchester zurückzukehren, „um sich stärker seinen theoretischen Abhandlungen widmen zu können“. Koch, der sich auch autodidaktisch bildete, war ein Schüler von Christian Gotthelf Scheinpflug, dem vierten auf der CD gleich zweifach vertretenen Komponisten. In der sächsischen Stadt Zschopau 1722 geboren, brachte auch er es zum Hofkapellmeister in Rudolstadt, wo er Koch begegnete. Zu hören sind zwei Sinfonien von erheblichem Einfallsreichtum. Insgesamt lassen sich dreißig derartige Kompositionen nachweisen, dazu Ouvertüren, Kantaten und das Passionsoratorium Die Pilgrimme auf Golgatha. Rüdiger Winter

Katharina Thalbach in allen Rollen

 

Medea! Diesmal geht es nicht um Cherubini, Pasolini, Christa Wolf oder die Callas. Nicht um antike Reliefs oder Euripides. Es geht um das Melodram von Georg Anton Benda, dem aus Böhmen stammenden Komponisten (1722-1795). Wie kaum ein anderer Mythos hat die Medea-Sage zu allen Zeiten seine Wirkung entfaltete und Künstler inspiriert. Bis in die Gegenwart hinein sind sie ergriffen von dieser Frau, die aus Liebe dem Argonauten-Anführer Jason zum Goldenen Vlies verhilft. Und als der sie verstößt, um die Tochter des Königs Kreon von Korinth zu heiraten, wird Medea von Rache gepackt, dass sie schließlich die gemeinsamen Kinder tötet. Benda nimmt sich das hochdramatische Finale der Geschichte vor, das mit der Rückkehr der verbannten Medea nach Korinth beginnt.

Den Text für sein „mit Musik vermischtes Melodram“ lieferte ihm Friedrich Wilhelm Gotter (1746-1797), der als Hofarchivar in Gotha wirkte und ein breit gefächertes literarisches Werk hinterließ, das auch Goethe im nahegelegenen Weimar sehr schätzte. Bis auf den Text für das Lied „Schlafe mein Prinzchen, schlaf ein“ aus dem Schauspiel Esther, welches zunächst Mozart zugeschrieben wurde, in Wirklichkeit aber von Friedrich Anton Fleischmann vertont wurde, wird er kaum noch wahrgenommen. In der thüringischen Stadt Gotha, seinem Geburts- und Sterbeort, werden ihm auch keine Kränze geflochten. Sein Grab existiert nicht mehr. Es musste schon Ende des 19. Jahrhundert Neubauten weichen. Im beschaulichen Gotha hatte Benda als böhmischer Emigrant freundliche Aufnahme gefunden und wurde 1750 zum Hofkapellmeistert ernannt. Er und sein Dichter kannten sich also. Nach Stationen im Hamburg, Mannheim, Wien und Berlin zog es Benda nach Thüringen zurück, um seinen Ruhestand an wechselnden Orten zu verbringen, bis er 1795 in Köstritz, wo seit 1543 Schwarzbier gebraut wird, starb. Auf seiner abgeräumten letzten Ruhestätte steht ein Denkmal für die toten Soldaten des Ersten Weltkriegs. Mit der Berühmtheit des legendären Köstritzer Bieres kann der Komponist nicht mithalten.

Durch die Produktion des Melodrams Medea in der Version von 1784 bei Coviello Classics kommt auch der einst hoch angesehene Gotter wieder aus der Versenkung hervor (COV 92014), wenngleich er auf dem Cover nicht genannt wird. Was aber wäre ein klassisches Melodram, in dem gesprochener Text mit Musik verbunden ist, ohne seinen Dichter? „Die Stücke konzentrierten sich auf eine einzige, meist weibliche Hauptfigur“, schreibt Jörg Krämer im Booklet. „Diese Fokussierung und das rasche, feingliedrige Wechselspiel von gesprochenem Text und Musik ermöglicht es, konfliktreiche und widerspruchsvolle Figuren-Psychogramme mit einer ungewöhnlichen Intensität zu entwickeln.“ Melodramen seien „gegenüber Opern und Singspielen deutliche einfacher und günstiger“ zu bewerkstelligen gewesen. Sie hätten keine „ausgebildeten Sänger und nur ein Minimum an Bühnentechnik, Dekoration, Ausstattung und Bühnenbild“ erfordert, dafür aber volle Häuser garantiert. Bendas Medea erfreute sich über Jahrzehnte in ganz Europa größter Beliebtheit und gilt als eines der erfolgreichsten Werke der Gattung. Selbst Mozart war davon beeindruckt, wie aus einem von Krämer zitierten Brief an Vater Leopold nach dem Besuch einer Aufführung in Mannheim hervorgeht. „Am Ende seines Lebens überarbeitete Benda das Werk noch einmal tiefgreifend neu und ließ dabei die Summe seiner praktischen Erfahrungen mit der Bühnenwirkung einfließen.“ Krämers Text ist sehr informativ und lesenswert, weshalb an dieser Stelle auch mehrfach darauf zurückgegriffen wird. Er hat gründliche recherchiert und damit auf andere Werke dieser Art neugierig gemacht. Produktionen wie diese ohne solche verschriftlichte Begleitung wären gewiss schwerer zu vermitteln. Einmal mehr wird offenbar, dass gute Booklets auch im digitalen Zeitalter unverzichtbar sind.

Die neue CD ist im Oktober 2018 bei Aufführungen im Heidenheimer Congress Centrum mitgeschnitten worden. Es spielt die cappella aquileia unter der Leitung von Marcus Bosch. Dieses Ensemble hat sich 2011 gegründet. Es setzt sich aus Musikern aus ganz Deutschland und darüber hinaus zusammen, die sich nur für Projekte der Opernfestspiele Heidenheim treffen. Bosch, Chefdirigent der Norddeutschen Philharmonie Rostock und regelmäßig auch in Koblenz tätig, ist künstlerischer Leiter des Festivals. Er setzt starke Akzente und rückt die Musik in die Nähe von Gluck. Mit dem „Marsch von ferne“, der am Beginn des zweiten Auftritts steht, wird eine räumliche Wirkung entfaltet, die auf Anhieb für das ganze Werk einnimmt. Keine Wünsche lässt die Klangqualität offen. Bendas Medea kommt nicht zum ersten Mal als CD auf den Markt, wodurch sich viele Vergleichsmöglichkeiten, auch die Fassungen betreffend, auftun. 1994 hatte Naxos das Werk mit dem Prager Kammerorchester aufnehmen lassen und die Einspielung zwei Jahre später veröffentlicht. Naxos blieb insofern näher an der Vorlage, indem neben der Titelfigur (die österreichische Schauspielerin Hertha Schell) die anderen ehr episodischen Rollen – Jason, die beiden Söhne und die Hofmeisterin einzeln besetzt sind. Bereits 1990 war bei Accord eine Produktion von Radio Suisse Romande mit der auf Genf stammenden Schauspielerin und Sängerin Caroline Gautier in allen Rollen auf CD gelangt.

Man muss ein glühender Verehrer der Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach sein, um Gefallen an ihrer Medea zu finden. Auch sie agiert allein, ist gleichzeitig Medea, Jason, der ältere und der jüngere Sohn, die Haushofmeisterin. Da kommt der im Booklet abgedruckte Text gerade recht, um gegen Ende die Figuren besser auseinanderhalten zu können. Diese Künstlerin hat durchaus ein breites Spektrum zu bieten, schwingt sich mal zu antiker Größe auf, um dann wieder wie eine Megäre vor sich hin zu schimpfen oder sich stimmlich als kleines Mädchen zu gefallen. Alles in allem wirkt sie auffällig privat. Man meint sie vor sich zu sehen mit der frechen Ballonmütze des Berliner Zeitungsjungen, die zu einem ihrer äußeren Markenzeichen geworden ist. Wer die Thalbach engagiert, bekommt sie immer zu hundert Prozent. Rüdiger Winter

Carl Loewe: Bibelszenen auf der Orgel

 

Wer sich Löbejün nähert, erblickt zuerst den mächtigen Kirchturm von St. Petri, der über der Stadt zu thronen scheint. So hoch erhebt er sich. Angekommen in dem beschaulichen Ort in Sachen-Anhalt, der seit zehn Jahren mit Wettin und einigen anderen Gemeinden eine Verwaltungsgemeinschaft bildet, scheinen alle Wege und Straßen auf das Gotteshaus zuzulaufen. In direkter Nachbarschaft kam am 30. November 1796 der Komponist Carl Loewe auf die Welt. Sein Geburtshaus existiert nicht mehr. Es wurde zwischen 1886 und 1887 durch einen Neubau ersetzt. Der dient nun als Gedenkstätte für den Komponisten. Dem Museum hat der schottische Historiker und Sammler Ian Lilburn (1927–2013) seine einzigartige Sammlung von Tonträgern mit Werken Loewes einschließlich Diskographie vermacht. Ständig kommen neue Titel hinzu. Das Interesse an dem Komponisten ist ungebrochen – auch dank der Bemühungen der Internationalen Carl Loewe Gesellschaft, die ihren Sitz in Löbejün hat und dort regelmäßig Festtage von starker Ausstrahlung mit Künstlern und Gästen aus aller Welt veranstaltet. Sie werden mit schöner Regelmäßigkeit vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) übertragen. Nicht wenige hätten es verdient, auch auf Tonträgern festgehalten zu werden.

Die CD-Neuerscheinung Carl Loewe und die Orgel hat ihren ganz besonderen Reiz. Sie wurde in Löbejün produziert, in St. Petri, Loewes Taufkirche. Dort hat sich der originale Taufstein erhalten, die Orgel von damals hingegen nicht. Sie wurde 1901 durch ein Instrument aus der Werkstatt von Wilhelm Rühlmann aus den nahegelegenen Zörbig ersetzt und von 2017 bis 2018 saniert. Mit „ihrem warmen, grundtönigen Klang und ihrer Ausrichtung am spätromantischen Klang“ hätte sie auch den Romantiker Carl Loewe zugesagt, wird im Booklet gemutmaßt. Die CD ist beim Label Querstrand erschienen (VKJK 2013). Sie dürfte das erst offizielle Tondokument Made in Löbejün sein. Als Solist wurde der französische Organist Irénée Peyrot gewonnen, der sich auch dadurch einen Namen gemacht hat, dass er das gesamte Orgelwerk von Max Reger (Querstand) und von Friedrich Wilhelm Zachow, des Lehrers von Georg Friedrich Händel, einspielte (Fagott Orgelverlag).

Hoch über die Stadt erlebt sich der Turm der Stadtkirche St. Petri in Löbejün, wo die Orgel-CD mit Werken von Carl Loewe eingespielt wurde. Links das Museum für den Komponisten. Foto: Winter

Noch immer wird Carl Loewe vornehmlich als Balladen-Komponist wahrgenommen. Schließlich bildet diese Werkgruppe das Zentrum seines Schaffens. Wurde er noch bis in die 1990er Jahren hinein gern auf Die Uhr oder Die Heinzelmännchen reduziert und damit auch gründlich missverstanden, hat sich das Blatt inzwischen gewendet. Bei cpo wurden sämtliche Lieder und Balladen in modernen Interpretationen mit dem umtriebigen Cord Garben am Klavier vorgelegt. Nicht zuletzt dadurch und durch das segensreiche Wirken der gut vernetzten Loewe-Gesellschaft mit ihrem engagierten Präsidenten Andreas Porsche wurde ein Paradigmenwechsel bewirkt. Aus der Versenkung wurden große Chorwerke, Instrumentalwerke und Kammermusik geholt und auch auf CD verbreitet. Jüngere Sänger wie Konstantin Krimmel, Samuel Hasselhorn, David Jerusalem oder Stéphane Degout entdeckten Loewe für sich. Doch auch die Orgel-CD scheint nicht ohne Balladen auszukommen. Sie mussten schon viele Bearbeitungen über sich ergehen lassen, wurden mit verteilten Stimmen gesungen und auch mit diversen nicht näher bezeichneten Orchesterbegleitungen untermalt, womit sie in die Nähe von Salonmusik rückten. Es finden sich aber auch sehr feinsinnige und respektvolle Instrumentierungen der Klavierstimme durch Komponisten wie Hans Pfitzner, Arnold Schönberg, Leo Blech, Bernd Alois Zimmermann und Felix Mottl sowie neuzeitliche Versionen von Michal Dobrzynski aus Szczecin (Stettin), der einstigen Wirkungsstätte Loewes. Sie waren bei den 6. Carl-Loewe-Festtagen 2016 in Löbejün aufs Programm gesetzt worden.

Die Carl-Loewe-Büste auf dem Oberen Markt in Löbejün, der Geburtsstadt des Komponisten. Im Hintergrund die Turmspitze mit dem mächtigen Dach von  St. Petri. Foto: Winter.

Peyrot ging nun das Wagnis eines Arrangements für Orgel ein. Das sind die Titel: Tom der Reimer, Das Erkennen, Die Mutter an der Wiege, Niemand hat’s gesehen und – last but not least – die unverwüstliche Uhr. Und wie klingt das nun? Wer es nicht besser weiß, könnte die Stücke tatsächlich für Orgelkompositionen halten. So genau und durchaus auch passend sind sie auf das Instrument zugeschnitten. Es offenbart sich ein hohes Maß an musikalischem Einfallsreichtum auch jenseits der menschlichen Stimme. Den Höhepunkt bildet für mich das Lied Niemand hat’s gesehen, dessen Schnellläufigkeit die Orgel mit ihren variablen Möglichkeiten gar noch genauer erfassen, aufnehmen und bis zum Ende durchhalten kann als eine Sängerin, für die es geschrieben ist. Peyrot spielt die Stücke sehr elegant, mit Raffinesse versehen und zieht nicht alle Register. Die bleiben mit entsprechender Wirkung der Programmeröffnung der CD vorbehalten: „Nun danket alle Gott“ aus Musikalischer Gottesdienst. Diese Sammlung von zwanzig Choralpräludien bildet eine der umfänglichen Orgelkompositionen Loewes, mit der er protestantische Orgelmusik-Traditionen aufgreift. Das CD-Finale mit „Lobet den Herrn, alle Heiden“ unter Berufung auf die Nr. 9 des Passionsoratoriums Das Sühneopfer des neuen Bundes wirft die Frage auf, welche Textfassung für diese Angabe zugrunde liegt. In allen drei auf CD erschienen und mit Textbüchern versehenen Aufnahmen (FSM, Oehms und Naxos) beginnt dieser Chor der Apostel mit den Worten „Lobet ihr Knechte des Herrn“ aus dem 113. Psalm der Luther-Bibel. Die Gesamtwirkung wird dadurch nicht beeinträchtigt. Sie beruht auf der Musik, nicht auf dem Wort. Was ist noch im Angebot? Neben weiteren Nummern aus dem Musikalischen Gottesdienst der „Gang nach Emmaus“, „Bethesda“ sowie „Martha und Maria“ aus Biblische Bilder, einer Sammlung von Klavierstücken mit ausgesprochen bildhaften Zügen, die Peyrot für die Orgel adaptiert hat. Ebenfalls für Orgel bearbeitet sind „Herr, bleibe bei uns“ und „Also hat Gott die Welt geliebt“ aus dem Oratorium Die Festzeiten. Auch das Passionsoratorium wird nochmals bemüht, diesmal mit dem Schusschor „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich“.

Es gehört zu den Auffälligkeiten im Werkverzeichnis Loewes, dass er, der begnadete Organist, nur wenige originäre Werke für diese Königin der Instrumente hinterlassen hat. In Stettin brachte er den größten Teil seines Lebens als Musikdirektor zu. Diese Position schloss auch den Dienst an der großen Orgel in St. Jacobi ein. Sie stammte aus der Werkstatt des bedeutenden Hamburger Orgelbauers Arp Schnitger, wurde 1700 fertiggestellt und im Zweiten Weltkrieg zerstört. Loewes enge Bindungen an das Instrument gingen so weit, dass er testamentarisch verfügte, nach dem Tod sein Herz in einen Pfeiler neben der Orgel einzumauern, wofür es trotz diverser Nachforschungen bisher keine belastbaren Beweise mehr gibt. Im Booklet werden die historischen Hintergründe von der in Halle lehrende Musikwissenschaftlerin Cordula Timm-Hartmann ausführlich dargelegt. Sie zitiert auch aus den Erinnerungen des Theologen Friedrich Wilhelm Lüpke an einen Gottesdient 1851 in der Stettiner Jacobikirche, bei dem Loewe in Erscheinung trat: „So ein Orgelspiel habe ich nie wieder gehört.“ Auch Maximilian Runze, der sich wie kaum ein anderer für die Pflege, Erforschung und Verbreitung von Loewes Werken einsetzte, hat ihn in Stettin noch selbst spielen hören, „was mich stets wunderbar ergriff“.

Als Meister der Kammermusik präsentiert sich Carl Loewe auf dieser CD, die bei cpo herausgekommen ist (555 256-2). Solisten sind Henning Lucius (Piano), Marietta Kratz (Violine), Lena Eckels (Viola), Jakob Christoph Kuchenbuch (Violoncello) und Christian Seibold (Klarinette). Das überbordende „Duo Espagnola“ ist das letzte Instrumentalwerk des Komponisten. Im Booklet wird von Cord Garben zu Recht auf die „motivische Nähe einzelner Wendungen des Viola-Parts“ zur Ballade „Der Nöck“ verwiesen. Eine starke Bildhaftigkeit offenbaren die aus drei Teilen bestehenden Schottischen Bilder mit den Titeln „Die Jungfrau vom See“, „Der Wanderer auf Bothwell-Castle“ und Der Schottenclan“. Für Loewe, der zweimal England besucht hatte, blieb Schottland – wie anderen Komponisten auch – ein Sehnsuchtsort.

Bei wem das Interesse tiefer geht, findet eine Fülle an Informationen in der Schrift Carl Loewe Kirchenmusiker und Komponist von Götz Traxdorf. Sie ist beim Verlag Janos Stekovics in der Reihe der Veröffentlichungen der Internationalen Carl-Loewe-Gesellschaft herausgekommen (ISBN 978-3-89923-403-9). Dokumentation und CD dürfen durchaus als Einheit verstanden werden. Traxdorf war vor seiner Pensionierung als Musikbibliothekar in Halle tätig. Seine Arbeit ist von Kenntnis und Verehrung getragen und wahrt doch stets wissenschaftliche Distanz. Der Autor will seine Leser nicht zu Loewe überreden. Er informiert. Was zählt, sind Fakten und Erkenntnisse. Auf knapp hundert Seiten kommt einiges zusammen. Im Zentrum steht das übersichtlich aufgeschlüsselte Verzeichnis von Loewes kirchenmusikalischen bzw. evident religiösen Kompositionen. „Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht bestehen, solange nicht das gesamte, das Thema betreffende Material in den infrage kommenden Archiven differenziert sondiert und lückenlos bekannt gemacht worden ist“, heißt es einschränkend gleich zu Beginn in einer Fußnote. Damit ist das Feld für künftige Forschungen abgesteckt.

Der Text selbst ist ein konzentriertes Porträt des Komponisten mit vielen Facetten. Aufgespürt finden sich die „biographischen Voraussetzungen in Kindheit und Jugend“. Leser werden Zeugen jener ungeahnten Bewerbung des jungen Mannes, die aus Loewe den „Kirchenmusiker und Musikdirektor der Stadt Stettin“ macht. Traxdorf begegnet dem „Balladenmeister unter dem Druck seines Amtes“, porträtiert den Organisten Lowe, der keine Zeit gehabt zu haben schien, „seine freien Improvisationen zu Hause aufzuschreiben“, widmet sich der „Vokalmusik für den gottesdienstlichen Bedarf“ und lässt nicht die „erbauliche geistliche Musik außerhalb eines Sakralraumes“ außer Acht, deren melodische Einfachheit vor allem Laien ansprechen sollte und streift schließlich noch die geistlichen Oratorien.

Ihren Abschluss findet die Dokumentation mit einem üppigen Bildteil, der auch zurück an den Ausgangspunkt dieser Besprechung führt – nach Löbejün. Zu sehen ist die alte Orgel in St. Petri von 1591 wie sie noch Loewe kannte und das Bronzedenkmal auf dem Kirchhof, das 1942 eingeschmolzen wurde, aus dessen Form jener Nachbildung aus Löbejüner Porphyr entstand, die heute auf dem Oberen Markt zu einem neuen Wahrzeichen der Stadt wurde. Rüdiger Winter

 

Oben ist das Gemälde „Jesus im Haus vom Martha und Maria“ des italienischen Manierismus-Malers Alessandro Allori (1535-1607), einem Schüler seines Onkels Bronzino, zu sehen. Die Schwestern bieten Jesus Einkehr. Während Maria lauschend zu seinen Füßen sitzt, ist Martha mit der Bewirtung des Gastes beschäftigt. Als sie sich bei Jesus über die Untätigkeit der Schwester beklagt, antwortet dieser laut Bibel: „Martha, Martha, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“ Diese Bibelszene, die sich im Neuen Testament bei Lukas und Johannes findet, inspirierte Carl Loewe zu einem seiner Biblischen Bilder, das als Orgelbearbeitung auch ins Programm der neuen CD aufgenommen wurde (Historisches Museums Wien). Foto: Wikipedia