Archiv für den Monat: September 2017

Pieter Vis

 

Quite unexpectedly, the Dutch bass baritone Pieter Vis (1949-2017) has died. On Thursday 28 September he succumbed to a cerebral haemorrhage, at the age of 68. Only shortly before he had shared a post on Facebook from the radio programme De ochtend van vier. – under his pen name Pyoter Riba, the Russian translation of his name

Ever since he discovered this social medium, he showed himself a prolific user, tirelessly liking and complimenting the posts of anyone who had anything to say about classical music. In him, Dutch musical life loses an animated musician. His timeline at once filled with shocked reactions about his sudden death.

Pieter Vis was one of the warmest, most cordial and collegial musicians I’ve ever known. Our first contact dates back to 1997, when I was making a programme series on women composers for VARA Radio 4. In those days it was even more difficult to find recordings of composing ladies than today. Looking for music from disregarded composers such as Catharina van Rennes, Hendrika van Tussenbroek and Bertha Tideman-Weyers, I often hit on his name. – As a boy soprano, as bass or baritone, but also as conductor. By telephone he gladly answered all my questions and provided me with valuable tips.

Hereafter I somewhat lost sight of Pieter, because he moved in a different musical circuit. He made his name in the world of church music and began his career as a boy soprano. As a soloist, he regularly performed with the Rotterdam boys‘ choir, but he also sang solo parts with the renowned Wiener Sängerknaben.

Peter Vis/ youtube

As a teenager he studied singing with, among others, the contralto Annie Hermes. In addition he took  lessons in song and opera interpretation with stars such as the soprano Marie-Cécile Moerdijk soprano and the bass baritone Dietrich Fischer-Dieskau. He won various national and international prizes and performed at the Festivals of Flanders, Salzburg and Berliner Festwochen.

A few years ago, Pieter again crossed my path through Facebook, which he – and I – had just discovered. Seconds after I had posted a message, he had already liked it, as he did with the posts of all his followers. Enthusiastically he shared and or commented on them, posting videos and pictures of his own performances from past and present.

Pieter had a fabulous memory and great knowledge of Dutch musical life, which he shared without interest. How he found the time to actively follow so many people, is a mystery to me. Meanwhile he continued to perform, organize concerts and guide young people on their way to a professional career.

A number of times he said a „final“ farewell to his vocal career. Yet singing was so much in his blood he just could not give it up, and he mounted the stage again and again. After his umpteenth farewell, I heard him in a recital with Dutch opera music in Museum Kröller-Muller. For me, his warm voice and spirited interpretation formed the highlight of the concert. On his website, we read that on December 16, 2018, ‚the curtain will definitely fall for the Dutch concert singer and musicologist Pieter Vis‘. He will not make it to this very last of final performances – henceforth Pieter will sing in heaven. Thea Derks

 

Mit Dank an Thea Derks, die für uns eine englische Übersetzung ihres in Holländisch geschriebenen Artikels machte, den wir ihrer interessanten website und Facebook-Seite entnahmen!

Mischfassung aus Wien

 

Das klagende Lied von Gustav Mahler ist in verschiedenen Fassungen überliefert. Zunächst bestand es aus drei Teilen, im zweiten und dritten zusätzlich mit Fernorchester versehen, wie es später in der 8. Sinfonie zum Einsatz kommt. Nicht weniger als elf Solisten plus zwei Knabenstimmen sah die Besetzung vor, für das Orchester acht Harfen. Das titelgebende „Klagende Lied“ von Ludwig Bechstein und das Grimmsche Märchen „Der singende Knochen“ bildeten die Textgrundlage. Von Anfang an war klar, dass sich keine Gelegenheit würde bieten, um dieses in seinen Ausmaßen gigantische Werk eines Anfängers aufzuführen. Mahler war achtundzwanzig, als er an die Komposition ging. Folglich strich er den ersten Teil, das so genannte „Waldmärchen“, reduzierte die Zahl der Sänger auf das in Oratorien übliche Quartett. Zudem fielen sechs Harfen und das Fernorchester weg.

Nachdem Mahler zum Direktor der Wiener Hofoper aufgestiegen war, bot sich die Gelegenheit für eine Veröffentlichung diese Opus 1, wie es der Komponist selbst nannte. Dafür fügte er das Fernorchester im Schluss wieder ein. In dieser Form hob Mahler sein Werk am 17. Februar 1901 in Wien aus der Taufe. Nachdem das Klagende Lied in den 1960er Jahren für den Konzerbetrieb und die Musikindustrie wiederentdeckt wurde, bürgert sich eine Mischfassung ein, die auch auf das ursprüngliche „Waldmärchen“ zurückgriff. Dafür hatte sich der Dirigent Cornelius Meister bei seiner Aufführung im Dezember 2016 mit der Wiener Singakademie und dem ORF-Sinfonieorchester im Konzerthaus der österreichischen Hauptstadt entschieden – und damit eine Chance verpasst. Warum nicht endlich mal die Urfassung, wie sie 1997 in Manchester erklang? Wenn es einen Ort gib auf der Welt, wo das Original hingehört, dann ist es Wien! Aus zwei Konzertabenden hat Capriccio eine CD zusammengeschnitten (C5316).

Im Booklet ist die spannende Werkgeschichte ebenso nachzulesen wie der Text der Kantate. Das ist auch nötig, denn Solisten und Chor sind nicht immer gut zu verstehen. Vor allem der Chor, die renommierte Wiener Singakademie, lässt Wünsche offen. In dramatischen Situationen ist das Klangbild verwaschen und undeutlich, was womöglich auch auf das Konto der Aufnahmetechnik dieses Rundfunkmitschnitts geht. Obwohl allesamt deutscher Zunge, können die vier Solisten Simone Schneider (Sopran), Tanja Ariane Baumgartner (Mezzosopran), Torsten Kerl (Tenor) und Adrian Eröd (Bariton) dieses idiomatische Manko nicht ausgleichen, zumal auch sie sich gelegentlich schwer tun mit dem Text.

Die neue Aufnahme schwer hat es gegen die Konkurrenz nicht leicht, die mit Dirigenten wie Pierre Boulez, Simon Rattle, Kent Nagano, Riccardo Chailly, Michael Tilson Thomas oder Giuseppe Sinopoli im Laufe der Jahre geballt aufgetreten ist. Aber sie regt sie zu neuer Auseinandersetzung mit dem ambitionierten Werk an, in dem bereits der ganze Mahler angelegt ist – und nicht nur die erste Sinfonie, auf die es im dritten Teil einen unmittelbaren thematischen Vorgriff gibt. Richard Wagner, dem sich Mahler stark verbunden fühlte, geistert mit dem kompositorisch weitergeführten Rheingold-Motiv durch die Partitur. Und das direkt zitierte Weihnachtslied „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“ kann als Zeichen dafür gelten, dass Mahler erste musikalische Eindrücke aus seiner Kindheit nie wieder losgelassen haben. Rüdiger Winter

Was für ein Tenor!

 

Mit besonderer Freude registriert man das Porträt Espoir von Michael Spyres bei Opera Rara, das sich Espoir nennt und der Kunst des bedeutenden französischen Tenors Gilbert Duprez (1806 – 96) gewidmet ist (ORR251). Im Einführungstext nennt Spyres den legendären Sänger „einen mythischen Interpreten, der erstmalig in der Geschichte des Gesangs die Bruststimme über das passaggio führte und der gleichermaßen ein heroischer wie ein lyrischer Tenor war“.  Spyres interpretiert in seiner Auswahl Partien, die der Franzose kreiert oder häufig gesungen hat. Das Programm beginnt mit Otellos triumphaler Auftrittsarie ”Venise, o ma patrie“ aus Rossinis Oper. In der originalen italienischen Version hatte Duprez anfangs den Rodrigo gesungen, später wechselte er (in der französischen Fassung) zur Titelfigur. Daher wählte auch Spyres für seine Hommage diese Variante und demonstriert darin sogleich die Meriten seiner Gesangskunst. Da ist der außergewöhnliche Umfang des Tenors mit warm und männlich timbrierter Mittellage, über der sich die strahlende Höhe aufbaut, noch gekrönt von spektakulären und mühelos absolvierten Extremnoten. Und da ist die stupende Flexibilität der Stimme, unerlässlich für Rossinis hybride Koloraturgirlanden.

Michael Spyres: „Robert le Diable“ – Finaltrio mit Lavasseur, Duprez und Falcon/ Wikipedia

Es folgt Enricos Auftritt „Dopo i lauri“ aus Donizettis Rosmonda d’Inghilterra, in der Duprez bei der Premiere in Florenz 1834 an der Seite von Fanny Tacchinardi Persiani als Titelrollensängerin mitgewirkt hatte. Beide standen auch bei der Uraufführung der Lucia ein Jahr später in Neapel gemeinsam auf der Bühne. Spyres beginnt mit einer gewichtigen Kantilene, die in einen rhythmisch betonten Teil überleitet, und kann hier die Pracht seiner Stimme gebührend ausstellen. Eine Weltpremiere auf CD bedeutet die Arie des Guido aus Halévys Oper Guido et Ginévra, die 1838 in Paris mit Duprez und Julie Dorus-Gras (1805 – 96) zur Premiere kam. Es ist ein Stück von düster-beklommener Stimmung, denn Guido trauert an Ginévras Grab, was Spyres mit schmerzlicher Tongebung verdeutlicht.

Der französischen Sängerin Julie Dorus-Gras mit belgischen Wurzeln ist ein  Recital gewidmet, das Joyce El-Khoury eingesungen und Echo betitelt hat (ORR252). Sie und Spyres singen aus Halévys Oper Guido et Ginévra noch das ausgedehnte Duett „Tu seras donc pour moi“, welches die schwärmerische Melodie von Guidos Arie aufnimmt und die Stimme des Tenors dann bis zum hohen D führt. Die Sopranistin stimmt ein und vereint sich mit Michael Spyres  in einem dramatischen Schlussteil von schlagender Wirkung.

Gilbert Duprez und Rosine Stoltz in „La Favorite“/ Wiki

Verdis Jérusalem als Revision seiner Lombardi kam 1847 an der Pariser Opéra  mit Duprez als Gaston heraus. In dessen Arie „L’infamie! Prenez ma vie!“ vor seiner geplanten Hinrichtung wird dem Sänger ein weites Spektrum an Ausdrucksvielfalt abverlangt und Spyres bewältigt diese Anforderung mit emphatischem Gesang bezwingend.

Eigens für die Pariser Opéra geschrieben war Donizettis letztes Werk Dom Sébastien, das 1843 mit Duprez in der Titelrolle herauskam. Dessen elegische Arie „Seul sur la terre“ am Ende des 2. Aktes bietet dem Interpreten die Möglichkeit für hohe D’s und Spyres absolviert sie glanzvoll. Duprez stand auch in der Besetzungsliste bei der Uraufführung von Aubers Le Lac des fées in Paris 1839. Die Arie des Albert „Gentille fée“ erzählt von seiner Liebe zu der Fee Zeïla, was Spyres mit passioniertem Ausdruck und tenoralem Wohllaut umsetzt.

„La Reine de Chypre“: Gilbert Duprez war der Gérard der Uraufführung/ Foto Nadar/ Taschen

Die Titelrolle in Berlioz’ erster Oper Benvenuto Cellini war bei der Kreation in Paris 1838 ein weiterer Meilenstein in der Karriere von Duprez. Wiederum stand Dorus-Gras an seiner Seite. In der Arie „Sur les monts“ singt Cellini von seiner bevorstehenden Verurteilung zum Tode, nachdem er einen Menschen getötet hat. Spyres kann in dieser Nummer von pastoralem Stil mit schönen legato-Bögen sowie am Ende mit bravourösem Aufstieg in die exponierte Lage aufwarten. Zwei Jahre später kreierte Duprez an der Opéra die Rolle des Fernand in Donizettis La Favorite. Die berühmte Arie „Ange si pur“ ist eine Erinnerung an seine einstigen Gefühle für Léonor, nachdem er von deren Vergangenheit als Mätresse des Königs erfahren hat. Tenöre wählen dieses Stück gern für ihre Arien-Abende, auch Spyres hat es schon oft gesungen und glänzt in dieser Einspielung wiederum mit inbrünstigem Ausdruck und mirakulösen Topnoten.

Die heute nahezu unbekannte Oper La Reine de Chypre war 1841 ein weiterer Erfolg für den Komponisten Halévy und den Tenor Duprez in der Partie des Gérard. Dessen Arie „De mes aïeux ombres sacrées“ beginnt mit einer deklamatorischen Passage, die in das überschwängliche und mit Spitzentönen gespickte „Il est temps“ übergeht. Spyres beweist damit auch sein dramatisches Potential. Er beendet die Auswahl von höchstem Anspruch mit einer Referenz-Interpretation von Edgardos „Tombe degl avi miei“ aus der Lucia, wo er vom Hallé Orchestra sehr atmosphärisch begleitet wird,  und würdigt damit noch einmal den legendären Interpreten der Uraufführung. (Und man wartet ungeduldig auf die Neuaufnahme der Berlioz´schen Troyens bei Warner aus Strasbourg, laut Programmheft absolut jede Note des Werkes! Foto oben: Ausschnitt aus dem Cover der neuen CD bei Opera Rara/ Marco Borelli) Bernd Hoppe

 

Michael Spyres recording „Espoir“/ Foto Marco Borelli/ Opera Rara

Und nun ein Interview, das Katherine Cooper von der englischen Verkaufsplatform Presto Classical (dem britischen Pendant zu jpc und Amazon)  mit Michael Spyres anlässlich seiner neuen CD bei Opera Rara geführt hat. Wir danken der Autorin und Presto Classical – und arbeiten an einer deutschen Übersetzung!

Vis-à-vis Michael Spyres: The maverick American tenor Michael Spyres is everywhere this autumn – he appears on John Eliot Gardiner’s imminent recording of Mendelssohn’s Lobgesang with the London Symphony Orchestra, and sings the hugely demanding role of Énée on John Nelson’s long-awaited recording of Berlioz’s Les Troyens (due out on Erato on 24th November – I’ve just listened to a preview copy of Part One, and his performance is electrifying).

But first and foremost is his debut solo disc of opera arias, Espoir (released this Friday on Opera Rara in tandem with Joyce El-Khoury’s Écho, which we featured last week and on which Michael also appears), exploring the short but extraordinary career of the Parisian tenor Gilbert Duprez (1806-96). Commonly credited as the first tenor to sing high Cs in full resonance, Duprez revolutionised the way that composers including Donizetti, Halévy and Berlioz wrote for the voice and originated roles including Benvenuto Cellini, Edgardo in Lucia di Lammermoor and Polyeucte in Les Martyrs (which Spyres recorded for Opera Rara to great acclaim in 2015).

I met up with Michael on the afternoon of his final performance in the title-role of Mitridate at the Royal Opera House in July, where he talked to me at length about Duprez’s critical role in the evolution of the tenor voice as we know it today and the remarkable music which his vocal pioneering inspired.

Michael Spyres und Joyce El-Khoury/ Foto Marco Borelli/ Opera Rara

How and when did you hit on the idea of a tribute to Gilbert Duprez, and what made him such an influential figure in the history of singing? Because of the way that Opera Rara has developed in the last two years, we have that little bit more freedom. After the success of Les Martyrs and Le Duc d’Albe, they suggested that Duprez would fit me really well, and when I started looking into him I thought ‘Wow, he really was one of maybe five tenors in history that just changed everything’. He started his career as a light lyric, but after studying in Italy he learned a different way of production and acquired a larger sound – he’d discovered how to change the vocal formants to just power through the orchestra, so people started writing for him to capitalise on that.

It’s not that no-one had done this kind of thing at all as a one-off in the past: Manuel Garcia (who came 20 years before Duprez) and some of his colleagues were already singing high Cs in full chest, but the repertoire they sang wasn’t actually written that way. Duprez’s great innovation was that he’d developed a technique to actually sustain this crazy tessitura: Donizetti and the composers immediately afterwards realised they could change the way they wrote for the voice entirely. And those early performances must’ve been pretty scary for Duprez, because the whole world was against him: that entire generation of opera-goers were used to hearing things sung a certain way, and he came along and completely confounded the audience’s expectations. It’s almost the opposite now: if you were to sing ‘Di quella pira’ with a voix mixte on the high C these days, people would boo and think it was the worst thing in the world!

Duprez was in great demand for a couple of years, but it wore on him: when was my age he was already showing signs of vocal atrophy. He sang in the premiere of Benvenuto Cellini when he was 38, and Berlioz was very unhappy: he said words to the effect of ‘He sounds like he’s going to lose his voice the whole time’, and Duprez quit shortly afterwards. He was 42, so it was a pretty short career, but the thing with being a pioneer is that if no-one’s come before you then no-one knows what to do when things get difficult…

Die Autorin: Katherine Cooper von Presto Classical

Even in the context of the kind of repertoire you normally sing, the range on display here is staggering – the first aria alone goes from a low A to high D… Exactly. But the interesting thing is that up until Duprez, everyone was expected to sing two-and-a-half octaves. Male and female voices were all in that zwischenfach [in-between] zone that didn’t continue much longer – because orchestration got heavier, and because the tessitura kept being pushed higher and higher to generate excitement. (Wagner was actually one of the composers who brought it back down – much of his music sits literally a tone lower than most of the other vocal writing of the time).

What’s so interesting about Duprez is not just his range but his versatility. Take the Auber aria on this disc: that’s so light and effervescent that it sounds like it was written for a leggiero tenor, then you go to the Halévy and it’s super-dramatic. If Duprez’s known at all these days, he’s known as being ‘The High C Guy’, but I think if that’s all he’d been then people would’ve tired very quickly! When I started looking into him as a person, I realised that he was constantly in the public eye in different capacities: after he retired from performing, he wrote a book about singing and became a professor, and he was one of the most well-loved mayors for decades in a small town in France.

 Was absolutely everything on here actually written for Duprez, or did you also include any of his signature-roles which were written for other singers? We decided just to focus on what was specifically written for him, though he certainly had other signature-roles, like Arnaud in Guillaume Tell, which was actually written for Adolphe Nourrit. I wanted to include the Rossini Otellobecause I’m known as a baritenor – but then I discovered that Duprez gave the first performances of the role in French! That was really an opportunity not to miss, because literally no-one’s ever heard that French version in modern times – there’s never been a recording. To be honest, there‘s nothing really tailored for Duprez in the new version (certain recitatives and things were re-written), but he was the one who premiered it!

Michael Spyres´Hommage, „Espoir“, an Gilbert Duprez bei Opera Rara (ORR251)

At the other extreme, there’s Halévy’s Guido et Ginevra, which is there thanks to Roger Parker [Opera Rara’s resident musicologist]. I’d heard of it, but looking at the music and singing it was just incredible. When I first opened the score I thought: ‘Hold on – Wagner and all these people who came afterwards, they were just flat-out stealing from Halévy!’

So Duprez clearly had a seismic impact on composers – but do we know how audiences responded? With huge enthusiasm! He became a massive sensation, and that’s why Adolphe Nourrit, who was the leading tenor at the Paris Opera, was dethroned. It wasn’t that Nourrit couldn’t nail high Cs every once in a while, but he didn’t have a technique that could deal with that kind of repertoire with that kind of brilliance – and that’s ultimately why he backed off. Now Nourrit was a true artist and an amazing person: he wrote ballets, he wrote libretti; he was the first person to bring Schubert lieder to Paris. But he also had serious mental health problems: he was maybe what we’d now call bipolar, and battled with alcoholism throughout his life. He knew that Duprez had learned this new technique in Italy, so a year or so after Duprez took Paris by storm Nourrit decided to do the same and went to Naples where he and Donizetti collaborated on what would later became Les martyrs – but Nourrit was terribly isolated and depressed, drinking heavily by himself to self-medicate, and eventually he committed suicide. He was just 39.

Michael Spyres: Benvenuto Cellini/ Foto Mezzo/ www.michaelspyres.com/benvenuto-cellini.html

Poor Duprez felt absolutely terrible, because despite the amicable rivalry the two men were true friends – but people accused him of adding to the pressure Nourrit was under, and he even states in one of the books he wrote late in life that he still felt terribly sad that Nourrit couldn’t deal with the demons within him.

How much of the ornamentation is yours? Every single thing on this disc is as written – other than one high E flat in the Auber aria, and the high D in Otello that I put in just for fun! (It’s the first track on the disc and I thought ‘Hit them with it all!’). Speaking of high notes, I must mention the Act One duet from Lucia di Lammermoor, which appears on Joyce’s album and is just phenomenal. Donizetti and Duprez were the dearest of friends (he wrote six operas that brought Duprez great success), and in the actual manuscript he writes a high E flat for Edgardo in that duet, so that’s what I did on the recording! Now that kind of thing really confirms that Duprez wasn’t a heldentenor – you couldn’t physically get up to a high E flat with a voice and technique like that. And it makes sense – Lucia has so much to sing later on that that’s her moment to ‘only’ sing a high C! Katherine Cooper

Ärgerlich

 

Steriler, unerotischer und sängerfeindlicher dürfte kaum eine Produktion sein als die von  Anne Teresa de Keersmaeker für Mozarts Così fan tutte im Pariser Palais Garnier. Der ideologieverquaste Artikel der belgischen Choreographin im Booklet ließ bereits Böses ahnen, was sich dann in dummem im Halbkreisherumstehen oder in den ungrazilen Verrenkungen und dem bedeutungsvollen Schreiten der den sechs Sängern zugeordneten Tänzer bestätigen sollte. Keinerlei Personenregie gab es für die Sänger, die zudem in langweiligen (Fiordiligi) oder lächerlichen (Despina mit Tüllrüschen) Kostümen (Jan Versweyveld), gänzlich ungeschminkt und für die beiden Damen aus Ferrara mit denkbar unkleidsamen Frisuren dem prallen Licht auf leerer, kreideweißer Bühne (ebenfalls Jan Versweyveld) ausgesetzt waren. Für den Video-Betrachter noch eins drauf setzte die Video-Regie von Louise Narboni, die oft die allein die Tänzer oder auch nur die Beine oder den Hintern derselben ins Bild rückte, während die Sänger ungesehen ihrem Metier nachgingen. Oft standen tänzerische Bewegung und Musik in lächerlichem Kontrast zueinander, so wenn wildes Umhergerenne zu „Soave sia il vento“ einsetzte. Eine tolle Idee ist es natürlich auch, auf alle Requisiten, ob Herzkette oder Heiratsurkunde, Arzttasche oder Schokoladenkanne zu verzichten und  nur im Hintergrund ein Tischchen mit einer Flasche Whisky (?) und einer Flasche Limoncello (?) zuzulassen. Der mit Abstand beste Regieeinfall war das Postieren der Fiordiligi-Tänzerin während der Arie ihres Sängerpendants mit dem Gesicht zur Wand regungslos im Hintergrund. Wenn zum Schluss alle in Gold gekleidet sind und in alle Richtungen auseinanderstieben, bleibt der Zuschauer so ratlos wie verärgert zurück.

Dabei hätte man mit den teilweise durchaus und in jeder Hinsicht attraktiven Solisten ein auch optisch besseres Ergebnis erzielen können. Jacquelyn Wagner ist eine schöne junge Frau, die nicht einmal ihre leicht geröteten (Erkältung?) Nasenränder hatte abpudern dürfen. Ihre zwei Arien sang sie empfindsam und mit berührender Zartheit, sicher und mühelos erscheinend in den Koloraturen von „Come scogli“o, mit einer Stimme wie aus einem Guss. Mit einem schlanken, leichten Mezzosopran, der sich in der Farbe nicht besonders abhob von dem der Schwester, war Michèle Losier eine Dorabella, die ihr Temperament nicht ausspielen durfte. Niedlich anzusehen war die Despina von Ginger Costa-Jackson, die nicht nur als medico und notario leicht chargierend sang. Weder optisch noch akustisch gab Paulo Szots Don Alfonso das Bild eines abgeklärten Philosophen beträchtlichen Alters ab, sondern war in seinem Militärmantel (!) äußerst stattlich und in seinem Gesang ausgesprochen markant. Frédéric Antoun hat eine für einen Mozarttenor recht dunkle Stimme und blieb in „Un aura amorosa“ recht spröde, von der raueren Art war auch der Guglielmo von Philippe Sly, in seinen besseren Augenblicken kernig-farbig. Purer Mozartgenuss wurde vom Paris Opera Orchestra unter Philippe Jordan verbreitet, während Rosas Company Dancers nichts dafür konnten, dass sie den Abend zum Ärgernis werden ließen (Arthaus 109338). Ingrid Wanja    

Hommage an Julie Dorus-Gras

 

Zwei neue Recitals von Opera Rara von Joyce El-Khoury und Michael Spyres lassen das Herz des Belcanto-Liebhabers höher schlagen. Beide wurden mit dem Orchestra The Hallé unter Carlo Rizzi aufgenommen und offenbar waren auch beide Interpreten gleichzeitig im Studio anwesend, denn auf jeder Platte gibt es ein Duett mit dem anderen Solisten.

Der französischen Sängerin Julie Dorus-Gras mit belgischen Wurzeln ist ein  Recital gewidmet, das Joyce El-Khoury eingesungen und Echo betitelt hat (ORR252).Die libanesisch-kanadische Sopranistin erinnert in der Einführung zu ihrer CD an das historische Vorbild Julie Dorus-Gras. Diese Sängerin zählte zur Generation solcher Gesangslegenden wie Adolphe Nourrit und Cornélie Falcon – und natürlich Duprez. 1830 verließ sie Belgien und ging nach Paris, wo sie in Rossinis Le Comte Ory debütierte und ein Jahr später in der Premiere von Meyerbeers Robert le diable triumphierte, wo sie sogar beide Sopranrollen, die der Isabelle und Alice, zu interpretieren imstande war. Oft war sie Partnerin von Duprez’ Vorgänger Nourrit, bis dieser von seinem Nachfolger abgelöst wurde.

Die Sopranistin eröffnet ihre Anthologie mit der Lucia, welche zu Dorus-Gras’ Erfolgsrollen in London 1847/48 zählte. Im Auftritt „Regnava nel silenzio“  lässt sie  eine reizvoll verschattete Mittellage und einen beklommen-geheimnisvollen Ausdruck hören. Nur in der exponierten Höhe gibt es grelle Töne und die Stimme klingt dann weniger angenehm. Mit Michael Spyres singt sie das Duett „Lucia, perdona“ und beide Sänger inspirieren sich gegenseitig zu einer leidenschaftlichen Darstellung dieser Szene.

Sehr verdienstvoll ist die Gegenüberstellung der zwei Sopranpartien aus Robert le diable. In der Premiere 1831 sang Dorus-Gras die Alice, ein Jahr danach erstmals die Isabelle und wechselte künftig zwischen den beiden Rollen. El-Khoury beginnt mit der Isabelle und deren „Robert, toi que j’aime“ und lässt später Alices Romanze „Va, dit-elle“ und ihr Couplet „Quand je quittai“ folgen. Ersteres schwingt sich nach melancholischem Beginn auf zu emphatischen Ausbrüchen bei „Grace pour moi“, während Alices Soli zum einen von eindringlich beschwörendem Charakter sind, zum anderen koketten Ausdruck erfordern. Beiden Figuren wird El-Khoury in ihrer Interpretation gerecht. Zwischen den beiden Nummern findet sich Agathes „Ma prière“ aus Webers Le Freyschütz in der Bearbeitung von Berlioz – ein Stück, das die Dorus-Gras gern bei ihren Konzert-Auftritten gegeben hat. Auch hier steht der fein gesponnenen Stimmführung und dem innigen Ausdruck von El-Khoury der verhärtete Klang ihres Soprans im euphorischen Schlussjubel gegenüber.

Nach der Premiere von Rossinis letzter Oper Guillaume Tell 1829 an der Opéra (mit Nourrit als Arnold) sang Duprez die fordernde Tenorpartie erstmals 1837 bei seinem Pariser Debüt. Die Mathilde an seiner Seite gehörte zu Dorus-Gras’ langjährigen Erfolgen. El–Khoury singt deren Romanze „Sombre foret“ mit Beklommenheit und feinen Schattierungen. Der Sopran klingt in dieser Lage besonders reizvoll.

„Les Martyrs“: Michael Spyres und Joyce El-Khoury bei Proben zur Aufnahme bei Opera Rara// Foto Russell Duncan

Le Pré aux clercs ist die letzte Oper von Ferdinand Hérold, die 1832 an der Pariser Opéra-Comique herauskam und dort mehr als tausend Aufführungen erlebte. Da die Interpretin der Partie der Isabelle nach der Uraufführung wegen Erkrankung ausfiel, übernahm Dorus–Gras die Rolle in wenigen Tagen. Die Arie „Jours de mon enfance“ findet sich am Beginn des 2. Aktes und zeigt Isabelle im Konflikt, ob sie ihren Geliebten, den Baron de Mergy, heiraten kann oder auf Geheiß des Königs den Comte de Comminge ehelichen muss. In der von der Solovioline delikat umflorten Arie kann die libanesisch-kanadische  Sopranistin mit fein gesponnenen Linien aufwarten.

Spektakulär war die Besetzung der Uraufführung von Halévys La Juive 1835 in Paris mit Nourrit als Eléazar, Falcon als Rachel und Dorus-Gras als Eudoxie. Die Arie der Prinzessin im 3. Akt „Assez longtemps/Tandis qu’il sommeille“ mit ihren kontrastierenden Abschnitten, dem sanft wiegenden ersten und dem virtuosen zweiten Teil, ist eine Herausforderung an jede Interpretin und El-Khoury zeigt sich dieser Vorgabe beeindruckend gewachsen.

Mit Duprez in der Titelrolle erschien Dorus-Gras als Teresa 1838 auf der Bühne der Pariser Opéra in der Premiere von Berlioz’ Benvenuto Cellini. Deren Arie „Entre l’amour et le devoir“ als Abschluss des Programms folgt dem Vorbild italienischer Machart mit Cantabile und Cabaletta und die Sopranistin setzt hier einen gelungenen Schlusspunkt, demonstriert noch einmal lyrische Qualität und bravouröses Vermögen. Bernd Hoppe

Spontinis „Agnese di Hohenstaufen“

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Das Theater Erfurt bot  am 1. Juni 2018 eine ganz besondere und von Fans mit rasender Spannung erwartete Premiere: endlich und erstmals in moderner Zeit die originale deutsche Fassung von Spontinis Agnes von Hohenstaufen auf das Libretto von Ernst Raupach. Immer wieder gab es Gerüchte, dass Riccardo Muti das im Original an der Scala oder Eve Queler das in Bonn aufführen wollte. Auch Georg Quander  hatte die Oper während seiner kurzen Amtszeit an der Berliner Staatsoper im Auge: Alle Pläne und Überlegungen kamen zu nichts. Nun endlich brachte Intendant Guy Montavon in seinem bezaubernden die Oper im Juni 2018 heraus. Und der Clou ist eben die originale deutsche Fassung für das Berliner Königliche Opernhaus 1829, an dem Spontini Operndirektor war. Das Werk selbst wird hier bei uns anlässlich der Erfurter Aufführung noch eingehend gewürdigt.

agnese

Spontinis „Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ OF 007, 2 CD

Es ist ja ein Phänomen, dass sich die französischen Opern der Napoleon-Zeit besonders in Italien so lange und immer wieder auftauchend gehalten haben. Das liegt vor allem an dem französischsprachigen Hof des Napoleonbruders Joseph (dann Murat) auf dem Thron von Neapel, der für eine Übernahme des Pariser Repertoires in Italienisch für das San Carlo sorgte. In der Landesprache gingen viele der Ttitel wie Medée, Les Abencerages, Olimpie und andere mehr in das nationale Repertoire ein, anders als im heimischen Frankreich, wo sie von der Romantik und den Nachfolgenden der Wagnerbeeinflussten verdrängt wurden, während Wagner im Ganzen keinen wirklichen Nachruck auf italienische Komponisten bis 1900 ausübte.

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Aber im Vorfeld der Beschäftigung mit Agnes stieß ich auf eine Neuausgabe des bekannten Mitschnitts vom Maggio Musicale Fiorentino 1954 unter Vittorio Gui. Den kannte man nur von mehr oder weniger stumpfen Klanggemengen bei Cetra und manchen anderen grauen Labels. Und so war mein Misstrauen gegenüber der relativ neuen Ausgabe vom Theater selbst, der Opera di Firenze, die ich bei jpc entdeckte (preiswerter als bei Amazon, weil ohne Porto), groß. Dennoch – Corelli in seiner Glorie zu erleben und eine ganze Riege von ersten italienischen Sängern der Nachkriegszeit dazu (leider in der italienischen Fassung, die sprachlich wenig vom Original übriglässt) war die Anschaffung wert.

„Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/Vittorio Gui/ Naxos

Und wer beschreibt meine Übrraschung, dass – ähnlich wie bei der Callas-Vespri bei Testament ebenfalls (1951) aus Florenz – die originalen Masterbänder verwendet wurden, der Sound sich absolut drastisch verbessert hatte, die Stimmen und selbst die Chormassen relativ durchhörbar über die Zeit herüberklangen. Eine Offenbarung! Lucille Udovic überzeugt wesentlich mehr als die mulschigen Mitschnitte der Kolleginnen Leyla Gencer und Montserrat Caballé  unter Muti in Florenz und Rom, und die Florentiner Besetzung im Ganzen unter Vittorio Guis energischer, viriler Leitung allemal. Anita Cerquetti, von der es die überirdisch gesungene Arie gibt („Oh re dei cieli“) hat m. W. die Oper nicht ganz gesungen. Wenn man sich einstweilen mit der italienischen Bastardversion begnügen muss, dann mit dieser. Erfurt wartet.

Es gibt noch weitere Aufnahmen aus dem historischen Repertoire der Opera di Firenze auf deren website als Umschnitte von den originalen Masters – einige werden wir hier ebenfalls besprechen, so vor allem die Abengeragi/Abencerages mit Anita Cerquetti oder eine Traviata mit Cecilia Gasdia. Zu haben sind sie bei den bekannten deutschen Anbietern wie jpc. Und nicht nur wegen Corelli ist die Anschaffung wert („Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ OF 007, 2 CD). G. H.

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„Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ Franco Corelli/ Foto OF

Und nun ein Artikel zum Mitschnitt aus Florenz 1954, den wir dem Beiheft (mit schönen Fotos der Produktion) der oben genannten Edition der Opera di Firenze entnahmen:  Agnese di Hohenstaufen –  Eine Herausforderung für den Intendanten des Maggio Musicale,  Francesco Siciliani . Im Jahre 1819, nach sechzehn erfolgreichen Jahren in Paris, wurde Gaspare Spontini vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. nach Berlin eingeladen, um dort Musikdirektor am Hofe und am Königlichen Theater zu werden. Spontini gelang es, sich neunzehn Jahre auf diesem schwierigen Posten zu halten, trotz eines ihm extrem feindlich gesonnenen Milieus, ständiger Auseinandersetzungen mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten Graf Brühl und der wüsten Angriffe durch die Kritiker, angeführt von Ludwig Rellstab, die in ihm einen Antagonisten zur aufkeimenden deutschen Oper erblickten, einer Entwicklung, an welcher der Italiener ironischerweise einen bedeutsamen Einfluss hatte. Diese Epoche, zwischen Neuschöpfungen und der Neubearbeitung vorhergehender Werke, sah ebenso die Komposition der Bühnenmusik zu Thomas Moores Lalla Rookh (1821); Nuramhal, oder das Rosenfest von Kaschmir (1822), eine Oper in zwei Akten; die dreiaktive Fantasieoper Alcidor, komponiert anlässlich der Heirat von Prinzessin Louise mit Prinz Friedrich der Niederlande (1825); eine grandiose Kantate mit Versen von Ernst Raupach zu Ehren des Besuches von Zar Nikolaus I. in Berlin sowie die historisch-romantische Oper in drei Akten Agnes von Hohenstaufen zu einem Libretto, welches derselbe Raupach seiner eigenen Tragödie Kaiser Heinrich VI. entnahm. Diese monumentale Oper, Spontinis letztes Bühnenwerk, erlebte ihre Uraufführung, begrenzt auf den ersten, bereits zweieinhalbstündigen Aufzug, im Königlichen Theater zu Berlin am 28. Mai 1827. Die vollständige Oper hatte am 21. Juni 1829 Premiere und kam zur musikalischen Untermalung der Heirat Kronprinz Wilhelms mit Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach zustande. Eine radikale Überarbeitung führte zur Letztfassung (Erstaufführung am 6. Dezember 1837). Das Werk stieß größtenteils auf Unverständnis, wobei besonders das mittelmäßige Libretto viel Tadel auf sich zog. Dies führte dazu, dass die Oper bald von den Spielplänen verschwand und erst über ein Jahrhundert später wiederaufgeführt wurde.

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Die erste moderne Produktion 1954 hängt mit der Tradition des Maggio Musicale zusammen, vergessene Werke wieder auf die Bühne zu bringen. Dieses Verdienst gebührt hier, wie in anderen Fällen, Francesco Siciliani, künstlerischem Direktor der Florentiner Oper zwischen 1948 und 1957, einem Mann von vollendeter Kultur und Intuition. So brachte Siciliani bereits 1950 die italienische Premiere von Spontinis Olimpia zustande. Niemand Geringerer als Renata Tebaldi sang die Titelrolle; am Pult stand Tullio Serafin.

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„Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ Giangiacomo Guelfi/ Foto OF

Spontinis letzte Oper war indes eine noch größere Herausforderung. Im Jahr seiner Berufung zum Opernchef in Florenz traf Siciliani dank Serafin auf die junge Maria Callas, deren außerordentliches Talent ihn darin ermutigte, den dramatischen Koloratursopran, der in diesem Repertoire typisch ist, wiederzubeleben. 1948 brachte Siciliani die Callas zu ihrem Debüt beim Comunale in Bellinis Norma. Im Jahr darauf sang sie in Perugia in Stradellas San Giovanni Battista und danach in Aufführungen in Florenz, die Geschichte schrieben: 1951 in Verdis La traviata und in I Vespri Sciiliani sowie in Haydns Orfeo ed Euridice (Dirigent Erich Kleiber), 1952 in Bellinis I Puritani, in Rossinis Armida (gerade wieder bei Warner) und schließlich 1953 in Donizettis Lucia di Lammermoor sowie in Cherubinis Medea unter Vittorio Gui. Eigentlich sollte Maria Callas auch bei der Wiederbelebung der Agnese di Hohenstaufen in der Titelrolle agieren, doch sprang sie am Ende ab. Sich den Schwierigkeiten dieser Rolle bewusst, setzte Siciliani schließlich auf die amerikanisch-kroatische Sopranistin Lucilla Udovich, die hier ihr Operndebüt hinlegte. Als besonders schwierig erwies sich die Rekonstruktion der Partitur, fehlte es doch an einer gedruckten Edition. Es bedurfte der Transkription von Mikrofilmen diverser Manuskripte, die in verschiedenen Bibliotheken lagen. Da es sich als unmöglich herausstellte, in der deutschen Originalsprache zu singen, fertigten Filippo Caffarelli und Vito Frazzi eine italienische Übersetzung an. Die Oper erlebte sodann drei Aufführungen ab dem 6. Mai 1954 im Teatro Comunale als Eröffnung des Festivals. Am Pult stand Vittorio Gui. Als Regisseur wirkte Maner Lualdi mit Bühnenbildern von Erberto Carboni und Kostümen von Silvano Tajuti.

Intendant Siciliani machte niemals einen Hehl aus seiner Meinung, dass es sich bei Agnes von Hohenstaufen um einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Musiktheaters handle. Viele Jahre später organisierte er eine konzertante Aufführung der Rai di Roma unter Riccardo Muti und Montserrat Caballé in der Titelrolle (30. April 1970). Zu diesem Anlass entstand eine neue italienische Übersetzung von Mario Bertoncini. Zudem erfolgten weitere Korrekturen an der Partitur. Der junge Muti war derart beeindruckt, dass er die Oper 1974 neuerlich beim Maggio Musicale Fiorentino mit Leyla Gencer dirigierte.

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„Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ Anselmo Colzani und Lucille Udovich/ Foto OF

Die 1954er Aufführung bleibt nichtsdestotrotz bahnbrechend in der Wiederentdeckung von Spontini wie auch in der Geschichte des Maggio. Der Mitschnitt von der Aufführung vom 9. Mai 1954 vermittelt einen Eindruck von der opulenten Darbietung mit ihren Höhepunkten sowohl im Florentiner Ensemble als auch in der Auswahl der Sängerbesetzung von exzeptioneller Qualität. Vittorio Gui gelingt es mittels gemessener und feierlicher Tempi, eine majestätische Wirkung zu erzielen. Gewisse Verbindungen mit Webers Euryanthe (1823), nicht zufällig beim selben Festival unter Carlo Maria Giuilini gespielt, und besonders zum jungen Wagner, von Rienzi bis Lohengrin, lassen sich feststellen. Trotz der heftigen Schnitte gelingt es Gui, Spontinis Rückbezüge zur Großartigkeit und zum Dekor der französischen Oper als auch zum ungezwungenen Tonfall der deutschen romantischen Oper herzustellen. Er betont die bewundernswerte Verbindung zwischen der spannungsgeladenen Erzählung der Handlung mit der statischen Monumentalität der großen Chor- und Ensembleszenen. Erwähnenswert ist zudem seine Fähigkeit, die Überlagerung von Klangabschnitten in verschiedenen komplexen Szenen stets unter Kontrolle zu halten, sie es im Bankett des ersten Akts mit den Hörnern abseits der Bühne, die Berlioz vorausahnen lassen, oder im superben Finale des zweiten Akts, welches Philipp Spitta als unvergleichlich bezeichnete, wenn zum gigantischen Orchester im Graben eine unsichtbare Gruppe von Streichern und Kontrabässen, die eine Orgel simulieren, der Chor und die Stimmen von nicht weniger als sechs Solisten hinzutreten.

Nicht unähnlich Wagner, bedarf Spontinis Agnes Stimmen von außerordentlicher Robustheit, die nicht vom massigen Orchesterapparat zugedeckt werden, und in dieser Hinsicht ist die Florentiner Aufführung von 1954 ohne Vergleich. In den Arien „Quando la brezza il volto“ in der zweiten Szene des ersten Akts und „O Re die cieli“ in der zweiten Szene des zweiten Akts beschwört Udovich eine Stimmgewalt herauf, die an die junge Callas gemahnt, auch wenn sie über eine geringere technische Finesse und Eigenart des Timbres verfügt. Selbst in den dichtesten Momenten des Ensembles kann sie problemlos herausgehört werden.

„Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ Szene/ Foto OF

Franco Corelli, hier drei Jahre nach seinem Debut in Carmen in Spoleto, sang bereits 1953 in Florenz die Rolle des Pierre Besuchow in der Weltpremiere von Prokofjews Krieg und Frieden unter Artur Rodzinski. Gleichwohl war es besonders sein Pollione in Norma in Rom und Triest an der Seite der Callas, die ihn aufgrund seiner männlichen Kraft im Tonnfall, seines polierten Timbres und seiner Brillanz in hohen Noten zum idealen Interpreten Heinrichs von Braunschweig machten. Tatsächlich erzielt der Tenor beeindruckende stimmliche Kraft und expressive Passion, ein wenig zu Lasten einer heutigen Hörern überbetont und heftig erscheinenden Phrasierung und besonders nachdrücklicher portamenti.

Der dritte große Protagonist dieser Aufnahme ist Giangiacomo Guelfi in der diabolischen Rolle des Kaisers Heinrich VI., ohne Arien oder Ariosi und stets mit eindrucksvoller Deklatomation. In diesem römischen Interpreten findet man einen Bariton mit bronzenem Timbre und imponierend mächtigem Klang. Es war kein Zufall, dass Siciliani sechzehn Jahre später bei einer weiteren Aufführung in Rom wiederum auf Guelfi setzte. Die restliche Besetzung ist ebenfalls von hohem Niveau: Die Amerikanerin Dorothy Dow (Irmengarda), die in dieser Zeit zwischen dramatischen Sopranrollen und Mezzosopranrollen besonders im deutschen Fach wechselte, der Tenor Francesco Albanese (Philipp von Hohenstaufen) und die Baritone Enzo Mascherini (Herzog von Burgund und an der Scala Mabeth zur Lady von Maria Callas) und Anselmo Colzani (Heinrich der Löwe), wie auch die nachdrückliche Präsenz des Erzbischofs von Mainz, gesungen vom Niederländer Arnold van Mill, eines gefeierten Wagnerbassisten. Alle befinden sich in umwerfender stimmlicher Verfassung und meistern das mörderische Libretto des Werkes, von dem Spontini immer behauptete, es sei sein Meisterwerk, und das er der Person widmete, die ihm am meisten bedeutete: seiner geliebten Frau Celeste Erard. Giuseppe Rossi

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Den vorliegenden Text entnahmen wir dem Beiheft zur bei der Opera di Firenze  herausgekommenen CD  (2 CD OF 007; Übersetzung ins Deutsche von Daniel Hauser; Foto oben: „Agnese di Hohenstaufen“ Florenz 1954/ Szene/ Foto OF)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Auf dem Wasser zu singen…

 

Kaum ist der letzte Ton verhallt, der letzte Scheinwerfer erloschen, scheint die Blu-ray Produktion anzulaufen, so auch die von Bizets Carmen auf der Seebühne von Bregenz am Bodensee. Die ist bekannt für ihre raffinierten Bühnenbilder, das von Tosca schaffte es sogar in einen James-Bond-Film, und auch Es Devlin hat mit den beiden aus dem Wasser ragenden, Karten in die Luft werfenden Händen einen symbolträchtigen Rahmen für das Geschehen geschaffen. Die Regie von Kasper Holten korrespondiert damit, wenn bereits zur Ouvertüre und nicht erst im Karten-Terzett eine Carmen die Karten befragt, mit offensichtlich ähnlich traurigem Ergebnis wie drei Akte später. Im Verlauf des Abends werden dann mehr oder weniger passende Bilder auf die zunächst nur von der Rückseite her sichtbaren Karten projiziert. Leider hat man sich dazu entschlossen, aus der Oper ein pausenloses zweistündiges The Best of Carmen zu machen, d.h., ein Highlight reiht sich an das nächste, der Dialog fällt fast völlig weg. Während der Aufnahme gab es Wasser nicht nur von unten, wo Escamillo mit einem Boot anlandete, oder für ein Zigeunerinnenwasserballett oder den Tod Carmens im nassen Element, sondern auch reichlich von oben, so dass Haare und Kleider der Mitwirkenden schnell durchnässt waren. Besonders die Kostüme von Anja Vang Kragh zeigten die Gratwanderung des Festivals zwischen künstlerischem Anspruch und dem Verlangen, ein auch opernungewohntes Publikum zufrieden zu stellen, gaben dem Unternehmen den Anstrich des Revuehaften.

Vorzüglich war die Besetzung der beiden weiblichen Hauptpartien mit der auch optisch idealen Gaëlle Arquez als muttersprachliche Carmen und mit der anmutigen Elena Tsallagova von der Deutschen Oper Berlin als Micaëla. Und da die Technik eine  vorzügliche ist, konnte man sich auch am elegant-erotisch klingenden des Mezzosoprans wie am lyrisch-duftigen Gesang des Soprans rückhaltlos erfreuen. Eher von der in jeder Hinsicht grobschlächtigen Art waren die beiden Herren. Mit monoton weinerlichem Timbre sang Daniel Johansson einen nicht immer intonationssicheren Don José, und auch  Scott Hendricks bewältigte nur mit Mühe sein Auftrittslied und klang recht krude. Feinheiten im Schmug glerquintett gingen leider  beim Bemühen um vokalen Aplomb verloren, der Beginn des vierten Akts war erbarmungslos zusammengestrichen, obwohl gerade hier der Schaulust des Publikums hätte Rechnung getragen werden können. Die Wiener Symphoniker unter Paolo Carignani sorgten dafür, dass von der orchestralen Seite her keinerlei Abstriche an die künstlerische Qualität der Aufführung gemacht werden mussten. Und die Leiche Carmens, von roten Rosen umspült, sorgte dann doch noch für ein schönes Bild als versöhnlichen Abschluss (Blu-ray C-Major 742304). Ingrid Wanja

Literaturvertonungen

 

Das wird nicht gut ausgehen. Caroline Meeber hat ihr Elternhaus in Wisconsin verlassen, um wie Tausende junger Mädchen in den prosperierenden Jahren am Ende des 19. Jahrhunderts ihr Glück in der Großstadt zu machen. Die Ouverture zeigt ihre Ankunft in Chicago. Sie findet eine Anstellung in einer Schuhfabrik, wo sie den jungen Handlungsreisenden Charlie Drouet kennenlernt. Der Aufstieg ist vorbereitet. Drouet überzeugt sie, den Haushalt ihrer Schwester und ihres Schwagers zu verlassen und in einer kleinen von ihm bezahlten Wohnung als seine Geliebte zu wohnen. Wir denken spontan an Manon, die freilich schon hundert Jahre zuvor den Ausbruch probte, oder Louise. An den Glanz der Großstadt, die Verführung durch den Luxus. Durch Drouet lernt Carrie den unglücklich verheirateten Restaurant-Manager Hurstwood kennen und beginnt eine Affäre mit ihm. George Hurstwood, der sie aufrichtig liebt, nimmt den Scheidungskampf mit seiner Frau auf und bricht mit Carrie, der er vormacht, sie müssen zu Drouet ins Krankenhaus, im Zug nach New York auf. Monate später leben die beiden unter dem Namen Wheeler in einer luxuriösen Wohnung in New York . Während Hurstwood immer mehr verkommt, Geld unterschlägt, ohne Arbeit ist, steigt Carrie langsam zum Broadway Star auf, sie erfindet sich sozusagen neu, wie Opernlibrettist Herschel Garfein mit Verweis auf einen heutigen Code bemerkt. Nach einer letzten Begegnung mit Carrie geht George in seine armselige Unterkunft in der Bowery und dreht das Gas auf, während Carrie sich im Theater mit ihrem Song „Why I’m Single“ feiern lässt. Theodore Dreisers Roman Sister Carrie von 1901 ist einer der zentralen amerikanischen Roman jener Jahre und ein Hauptwerk des literarischen Naturalismus, der im Sinne von Zola, ein ungeschminktes Bild des Alltags zeigt und seine Protagonisten unter verschiedenen Rahmenbedingungen beobachtet. In einer der letzten Szenen des Romans und der Oper liest Carrie übrigens in Balzacs Père Goriot. Während Carrie über das Theater den sozialen Aufstieg schafft, geht der einst gut situierte und erfolgreiche Geschäftsmann Hurstwood unter. Also doch anders als erwartet.

Dreisers Roman hätte freilich bereits von seinem Bruder Paul Dresser vertont werden können, der seine Songs der Tin Pan Alley anvertraute, doch obwohl bereits die frühen Musicals die Bühne- auf-der-Bühne-Situationen liebten, war die Zeit für eine derart schonungslose sozialkritische Story nicht reif. Berühmter als Sister Carrie wurde freilich auch erst Dreisers An American Tragedy von 1925, die die Vorlage von Tobias Pickers 2005 an der Met uraufgeführter gleichnamiger Oper ist, in der – neben einer illustren Besetzung – Nathan Gunn den wie Carrie nach sozialem Aufstieg gierenden Clyde Griffiths kreierte.

Sister Carrie von Robert Livingston Aldridge wurde unter weniger günstigen Umständen im Oktober 2016 von der Florentine Opera Company in Milwaukee uraufgeführt (Naxos 2 CD 8.669039-40 mit komplettem Libretto und einer lesenswerten Einführung des Librettisten Herschel Garfein), wobei alle Mitwirkenden der Florentine Opera Company einen guten Job machen und vor allem Keith Pharee mit seinem sämigen Bariton zeigt, dass der Hurstwood durchaus für einen ersten amerikanischen Bariton erstrebenswert sein könnte. Das heißt aber auch, dass der 63jährige Aldridge eine gut singbare Musik geschrieben hat und inmitten all der schier unzähligen Szenen, die beispielsweise auch während eines Duetts von einem Ort zum andere wechseln, und den vielen kleinen Partien, Raum für gesangliche Inseln lässt. Sei es Carries „Everything is paid for“ in Drouets Wohnung oder die zahlreichen Soloszenen Hurstwoods, die ihn – angefangen von „My dears, why have you forsaken me?“ bis zum ergreifenden Rezitativ und Arie „You’re a dandy, Hurstwood“ – für mich zur eigentlichen Hauptfigur der Oper machen, während Adriana Zabala mit reif klingendem Mezzosopran als Carrie wenig Profil entwickelt und Matt Morgan als Drouet etwas anämisch bleibt. Anfangs klingt der Zweiakter nach praktikabler Dutzendware, vieles ist einfach nur nett wie die ausführlichen Essenbestellungen, „Sirloin with mushrooms … stuffed tomatoes…Asparagus…hashed brown potatoes“ und schließlich „Yorkshire pudding“ – „We forgot soup“ – sehr gekonnt sind die buntscheckigen Ensembles, die Duette, mehrere Quartette, doch vor allem die von William Boggs mit dem Milwaukee Symphony Orchestra und dem Florentine Opera Corus gut austarierten großen expressiven Chorszenen entwickeln theatralische Sogkraft. Letztlich ist es vermutlich aber doch eher der Roman und nicht die ordentliche Vertonung, die fesselt.

Der 90jährige Dominick Argento (Miss Havisham’s Fire, Postcard from Morocco) könnte vermutlich alles vertonen. Eine Naxos-Ausgabe (8.559828) vereint zwei seiner Gesangszyklen nach Tagebuchaufzeichnungen, die 13 Lieder The Andrée Expedition (1982) und die acht Lieder From the Diary of Virgina Woolf (1974). Die Tagebucheinträge und Briefe um die 1897 tragische gescheiterte Gasballon-Expedition zum Nordpol von Salomon Andrée, Nils Strindberg und Knut Fraenkel – deren Körper 33 Jahre später geborgen wurden, ebenso wie die Aufzeichnungen von Andrée und Strindberg – sowie die Tagebuchaufzeichnungen der Virginia Woolf geben dem mehrfach in Zürich (Sharpless, Jeletzky) und Frankfurt (Golaud, Luna, bald Nelusco) aufgetretenen Brian Mulligan die Möglichkeit, sich vorteilhaft zu präsentieren. Begleitet von Timothy Long, ist er ungemein kraftstrotzend, ein wenig eindimensional und in den leisen Passagen nicht sehr klangvoll im ersten Zyklus, dann etwas subtiler und klangspielerisch in den von Janet Baker kreierten Woolf-Liedern.

Etwas ratlos stehe ich der umfassenden Darwin-Hommage Age of Wonders des britischen Komponisten Michael Stimpson (*1948) vis-a-vis. Als Auftragswerk zum 200. Geburtstag des maßgeblichen Naturwissenschaftlers 2009 entstand die Abfolge aus einer Violinsonate (The Man Who walked with Henslow), einem Streichquartett (Streichquartett No. 2 The Beagle), einem dreisätzigen Orchesterwerk (An Entangled Bank) und einem weiteren vierteiligen Orchesterstück (Transmutations), deren Abschnitte sich auf die Biografie bzw. das Schaffen Darwins beziehen. Aufgenommen wurden diese Stücke im Februar 2014 in London mit den Solisten Maya Iwabuchi, Fiona Cornall (Violine), Nicholas Bootiman (Viola), Karen Stephenson (Cello) und Tom Poster (Klavier) sowie dem Philharmonia Orchestra unter Stuart Stratford. Angehängt sind die sechs bereits im Jahr 2009 aufgenommenen Beiträge aus Darwins Autobiografie und seinen Schriften, gelesen vom Komponisten, Robert Tear sowie weiteren Sprechern, komplett nachzulesen im (englischsprachigen) Beiheft, das den Hörer anhand der Musikwerke auch auf eine informative Reise durch Darwins Leben führt (2 CD, Stone Records 5060192780/ 80741). Ich gestehe, ich konnte für die beiden CDs nicht die angebrachte Bewunderung aufbringen und die grauschlierigen Transmutations fand ich geradezu frustrierend.    Rolf Fath

Der klagende Hund

 

Was ist das? Nicht Oper oder Musiktheater, kein Schauspiel mit Musik und keine Performance. Eine Konzert-Installation? Am ehesten erinnert der Abend von  Philippe Manourys kein licht nach Elfriede Jelinek als französische Erstaufführung in Straßburg an die szenischen Aufbereitungen der Stockhausen-Uraufführungen einst in Mailand. Philippe Manoury hat für den Abend, der kürzlich bei der Ruhrtriennale seine Uraufführung erlebte und nun in Straßburg zu sehen ist, mit der englisch-deutschen Wortschöpfung Thinkspiel sein eigenes Ding. erdacht. Der 65jährige, eng mit dem IRCAM verbundene Manoury hatte 2001 an der Pariser Oper mit seiner Kafka-Opera K… Aufmerksamkeit gefunden und an der Opéra National du Rhin vor sieben Jahren mit La nuit de Gutenberg zum großen Exkurs über die Entstehung der Schrift von der Antike bis zur Internetgesellschaft im 21. Jahrhundert ausgeholt.

Nun war er bei Elfriede Jelinek und ihrer „kein licht“– Reaktion auf die Unfallserie 2011 in Fukushima gestrandet, deren Unterzeile „(2011/2012/2017)“ anzeigt, dass der Wortblock 2012 um einen Epilog und aktuell um ein weiteren Teil „Der Einzige, sein Eigentum (Hello Darkness my old friend)“ über einen König, der bekommt, was er will, ergänzt wurde, „Und wenn die Welt einstürzt, er verliert seine Fassung nicht“. Wer wohl? Aphorismen und Hellsichtigkeit, Kalauer und Klischees, Witziges und Schales montiert der Text zu einer Wortflut, die keine lineare Erzählweise kennt. Und im aktuellen dritten Teil mit den Trump-Bezügen fast ein bisschen peinlich wirkt.

Cheery erklettert einen Wassertank und liefert sich mittels der Handzeichen seiner Hundeführerin ein fast wie ausnotiert wirkendes Duett mit der Trompete. Der virtuose Dressurakt mit dem niedlichen, punktgenau jaulenden und schwanzwedelnden Terrier lässt bei diesem Klagegesang nicht nur Hundefreunden das Herz aufgehen. Drei Sätze der dreiteiligen musiktheatralischen Aktion sind explizit als Lamento betitelt, wovon das letzte, das bereits von Mahler in seiner dritten Sinfonie aufgegriffene Nachtwanderlied Zarathustras „O Mensch! Gib Acht!“, hier ebenfalls von einem Alt gesungen wird. Doch auch gegen Ende seines gut zweistündigen Stück sammelt Philippe Manoury mit diesem Nietzsche -Zitat nicht spätromantische Fitzelchen ein, sondern bleibt seinem Ton aus herb ausgesplitterter Moderne und Elektronik treu, mit dem er Elfriede Jelineks Text-Würmer umgib. „Und was haben wir gelernt“ fragt B. „Irgendwas werden wir wohl gelernt haben“ antwortet A., die uns sozusagen durch den Abend geleitet haben und nun, in große, durchsichtigen Ballons gepackt, über die vollgeschwemmte Bühne rollen. Nochmals Bellen.

Philippe Manourys Oper „kein licht“ in Strasbourg/ Szene/ Foto Klara Beck

Manoury untermalt das Textungeheuer mit einer gut hörbaren, ja dann doch fast schon spätromantischen, sanft rieselnden und energisch klopfenden, klangsatten Musik sowie wie in Echtzeit elektronisch produzierten Modulen, deren komplizierte Funktionsweise er im Zwischenspiel ebenso aufgreift wie die Folgen des deutschen Atom-Ausstiegs und die Frage, wie man in Zeiten des Internets, das mehrere „Schichten von Daten, Wirklichkeiten … bereitstellt – und die Wirklichkeit darunter verschüttet“, eine Geschichte erzählen soll. Manourys Versuch beschäftigt ein halbes Dutzend europäischer Bühnen. Neben der Ruhrtriennale und der Pariser Opéra-Comique (Oktober) und der Opéra National du Rhin noch die Grands Théâtres de la Ville de Luxenbourg, die Münchner Kammerspiele, das IRCAM und das Kroatische Nationaltheater in Zagreb, die u.a. das Vokalquartett der Zagreber Oper und das von Julien Leroy geleiteten United instruments of Lucilin-Kammerorchester aus Luxenburg beigesteuert haben. In Straßburg hatte das Publikum vor allem seine Freude an der „Hans und Gretel aus Deutschland“-Sequenz mit viel „o lala“, „amour“ und „Moulin Roge“-Kalauern und Drolerien: „Nous sommes Allemands. Nous n’ aiment pas la égerie atom, Mais les Francais ils aiment la énergie atom“ – welche die wunderbar vielseitige Caroline Peters und der trocken charmante Niels Bormann als clowneske Nummer servieren. Ansonsten bleiben die eloquenten Darsteller in dieser konzertmäßigen Installation (Bühne: Katrin Nottrodt. Lange Konzertkleider für Frauen und Männer von Marysol del Castillo) mit Orchester im Hintergrund, Chorquartett und vier Solisten (Sara Maria Sun, Olivia Vermeulen, Christina Daletska und Lionel Peintre) als Elementarteilchen, Überlebende, Gestrandete und Steinzeitmenschen doch deutlich unterfordert. Den vollgepfropften Abend hatte Jelinek-Spezialist Nicolas Stemann als assoziationsreiche Collage eingerichtet mit vielen Video-Einblendungen, die vom Paris-Sightseeing bis zur Umweltkatastrophe reichen, angereichert mit der Trump-Entourage aus Ivana, Ivanka und Melania und einer Atomi-Handpuppen-Spielerei. Das ist manchmal komisch, witzig, mahnend, aber auch ennuyierend-plump, ein Kessel Buntes für Insider. Der eigentliche Start der auf Marc Clémeur gefolgten Eva Kleinitz folgt in einem Monat mit Mozarts Nozze di Figaro (Foto oben: Philippe Manourys Oper „kein licht“ in Strasbourg/ Szene/ Foto Klara Beck)  Rolf Fath

Mehr oder weniger Gelungenes

 

Vielleicht ist Jonas Kaufmann noch kein Otello, aber ganz sicherlich ist er kein Nadir oder Roméo mehr, und ausgerechnet mit des Letzteren „L’amour“ beginnt er seine neueste CD unter dem Titel „L’Opéra“, die ganz dem französischen Fach gewidmet ist. Die Aufnahme entstand im Frühjahr 2017, also ungefähr zur gleichen Zeit, in der der Tenor seinen ersten Otello vorbereitete, eine Kombination, die sich nicht jeder Sänger zumuten würde. Nicht genau auszumachen ist, ob die natürliche Entwicklung der Stimme oder die Arbeit an der dramatischsten Partie der italienischen Oper oder auch beides der Grund dafür sind, dass der Tenor  zu schwer, zu unbeweglich, zu dunkel und an einigen Stellen auch zu tief im Hals des Interpreten steckend für den Veroneser Jüngling klingt, die Partie hier die eines gestandenen Mannes zu sein scheint, so dass  weder der französische Stil noch die Figur adäquat getroffen werden. Ganz anders sieht es mit dem letzten Track, dem Abschied des Enée (das für Covent Garden geplante Rollendebüt fand leider nicht statt) aus Karthago aus, der von dem klugen Aufbau der Interpretation, der strahlenden Höhe am Schluss und dem lyrisch genommenen „Ah! Quand viendra“ profitiert. Dazwischen liegt mehr oder weniger Gelungenes, so ein weit mehr nach Puccini als Massenet klingender Des Grieux, in dessen Duetten mit Manon nur diese, Sonya Yoncheva, dem französischen Komponisten die Stange hält, womit nichts gegen das durchweg perfekte Französisch des deutschen Tenors gesagt sein soll. Gar nicht gefallen können ein zu baritonal klingender Nadir, der sich erst im Refrain des berühmten Duetts vom Partner Ludovic Tézier abhebt, ein in der Höhe zu hauchiger Mylio, der heller und leichter klingen müsste, oder generell bei vielen Tracks die Durchbrechung einer einheitlichen Stimmung zugunsten harter Kontraste, worüber man bei der Blumenarie, die mit einem schönen Schwellton schließt, durchaus diskutieren könnte.

Bei Werthers „Pourquoi“ zieht man natürlich Vergleiche mit der wunderbaren Aufnahme aus Paris und muss feststellen, dass der Tenor spröder geworden ist und verhangener klingt, erfreulich ist die poetische Seite, die er  bei Vascos berühmter Arie entdeckt, für deren Schluss er dann das wünschenswerte heldische Strahlen hat, von dem auch Le Cid und der im zweiten Teil sehr empfindsam auftretende Éléazar profitieren. Gut zu den Berlioz‘schen Orchesterfarben passt die Stimme nicht nur für den Enée, sondern auch für Fausts „Merci, doux crépuscule“, und nicht nur hier, sondern durchgehend erweist sich das Bayerische Staatsorchester unter Bertrand de Billy  als stilsicherer Partner, so dass es fast als undankbar erscheint, dass der Tenor sich in einem Video zur CD in den Räumlichkeiten des Palais Garnier ergeht – weil die CD ja L´Opéra heißt…(Sony 88985390762). Ingrid Wanja

Genre-Hopping

 

Wieder einmal hat sich der Palazetto Bru Zane in seiner Portrait-Reihe (Vol. 4) um die Erforschung und Darlegung der romantischen Musik in Frankreich verdient gemacht. Ein 3-CD-Buch-Album im gewohnten (wenngleich für CD-Regale etwas unbequemen) Hochformat bietet einen umfangreichen Überblick über Félicien Davids Oeuvre, aus dem bislang Lieder, zwei Opern und die Oden-Kantate Le Désert erschienen sind, Le Désert sogar vor Jahren schon in einer Berliner Aufnahme bei Koch/ Capriccio (1982), eine andere Einspielung gab es im vergangenen Jahr beim Palazetto. Weitere Aufnahmen von David sind die Oper Herculanum bei Ediciones Singulares, Lallah-Roukh aus den USA bei Naxos, Lieder mit Tassis Christoyannis ebenfalls bei Ed. Singulares sowie Klaviermusik bei Naxos. David ist nicht mehr wirklich ein Unbekannter.

 

Félicien David: Portrait vol. 4/ Palazetto Bru Zane/ Ediciones Singulares

Nun dirigiert Francois-Xavier Roth am Pult der Brüsseler Philharmoniker und dem Chor des Fämischen Rundfunks die Kantate Colombe ou La Découverte du Nouveau von 1847, das nachgelassene Oratorium Le Jugement dernier und 7 Motetten; weiters gibt es wieder Lieder und Kammermusik  sowie die Ouvertüre zur Oper Le Perle du Brésil – ein wirklich breites Spektrum, das alle Kategorien abdeckt und das diesen interessanten Komponisten in der Mitte des 19. Jahrhunderts beschreibt, der durch seine Reisen namentlich in den Orient eine ganze Stilrichtung hervorgerufen hatte und der zwischen der post-napoleonischen Periode und der Zeit der späteren Romantik in der Musik Frankreichs steht. Mehr als ein deutscher Rezensent kann Alexandre Dratwicki, Musikwissenschaftler und Künstlerischer Leiter des Projektes zur Förderung der romantischen französischen Oper in Frankreich beim Palazetto Bru Zane Venedig zu den hier aufgenommen Stücken etwas sagen, daher folgen im Anschluss seine Ausführungen zu David als Vokalkomponist, die wir seinem Artikel aus der neuen Veröffentlichung in unserer eigenen Übersetzung entnommen haben.

Zu den Vokal-Solisten dieser Aufnahmen zählen Chantal Santon-Jeffery, Julien Behr, Josef Wagner, Jean-Marie Winterling, Cyril Dubois für die Lieder sowie Hervé Niquet am Pult der Brüsseler Philharmonie und dem Chor des Flämischen Rundfunks. Die beigefügten zweisprachigen Artikel (wieder nicht in Deutsch) sind von Ralph Locke (Les horizons d´un voyageur romantique), Gunther Braam (Christophe Colombe, ode symphonique 1847), Alxeandre Dratwicki (Félicien David, d´un genre á l´autre) sowie Erinnerungen von Camille Saint-Saens Nachruf (In mémoriam Félicien David) – außerordentlich lesenswert. Zudem haben wir in operalounge.de viel über David geschrieben. Es lohnt sich nachzulesen, vor allem über seine wirklich bemerkenswerte Oper Herculanum sowie Lallah-Roukh (Félicien David – Portrait Vol 4; 3 CD, Edicones Singulares ES 1020 9788460684398). G. H.

 

Und nun Alexandre Dratwicki: Félicien David (1810–1876) wurde lange Zeit hinsichtlich der Geschichte der französischen Musik gleichsam negiert – ausgenommen die Erwähnung des großen Erfolges seiner sinfonische Ode Le Désert (1844). Er war neben Berlioz nicht nur der Erfinder dieses musikalischen Genres, welches einen signifikanten Anteil an gesprochenem Wort enthält, sondern auch einer der ersten Komponisten der Romantik, der ausgedehnte Reisen in den Orient unternahm. Neben seinem Betätigungsfeld auf dem Gebiet der klassischen Sinfonik und der Komposition von Quartetten und Trios in der österreichisch-deutschen Tradition widmete er sich mit Herculanum (1859) ebenso der Grand Opéra. Dieses CD-Buch zeigt alle Facetten dieses Meisters der Exotik, eines wahrhaftigen Delacroix der Musik. Dem Zuhörer wird es erstmals ermöglicht, die sinfonische Ode Christophe Colombe (1847) zu entdecken wie auch die Schlussapokalypse von Herculanum, die vor der Premiere geschnitten und niemals veröffentlicht wurde: Le Jugement dernier.

 

Der Komponist David in seiner eigenen ewigen Wüste – Karikatur aus „Le Monde qui rire“/OBA

Werke für Stimme und Orchester: Es war der Erfolg von Le Désert, der Félicien David zunächst in der Pariser und kurz darauf auch in der internationalen Musikszene etablierte. Obschon das Werk zunächst aufgrund seines orientalischen Hintergrundes zu gefallen wusste, betonten die Kommentatoren auch die Präsenz des Sprechers, der einen poetischen Text über einem dezenten orchestralen Hintergrund vorträgt. Dieses theatralische Element überraschte das Publikum im Jahre 1844 nicht über die Maßen, war doch die Technik des Melodrama seinerzeit in den Theatern von Paris weit verbreitet, allen voran in der Comédie-Française. Für Verwirrung sorgt zuweilen die Behauptung, es handle sich bei Moïse au Sinaï und L’Éden um frühere Beispiele für dieses spezifische Genre. Tatsächlich aber waren dies Oratorien; keines von beiden wurde indes dem Pariser Geschmack gerecht. Le Jugement dernier ist ebenfalls keine sinfonische Ode, aber auch weder eine Kantate noch ein Oratorium. Dieses Stück, das für beinahe 200 Jahre nur ein Manuskript blieb, ist die Apotheose der Oper Herculanum (1859), ein derart schwierig aufzuführendes Finale, dass es vor der Premiere kurzerhand gestrichen wurde. In der Art der großen Crescendi von Berlioz geschrieben, stellt es den Chor der Erwählten dem Chor der Verdammten gegenüber und überstieg dadurch die vokalen Möglichkeiten der allermeisten Theater. Die erzählerische Bahn, im Libretto klar vorgegeben, erlaubt es uns, die Auferstehung der Toten zu hören – unglücklicherweise können wir sie nicht sehen –; die Trompete erschallt zum Jüngsten Gericht, die Verdammten stürzen kummervoll in den Abgrund der Hölle, während die Erwählten die Herrlichkeit Gottes preisen. Der cor anglais, an Berlioz gemahnend, färbt die Momente von Pein und Selbstprüfung, während die massierten Blechbläser meisterlich in den gemeinsamen Passagen erklingen. Unter all der Raffinesse der Orchestrierung mögen insbesondere die Streicher (teilweise weitreichend unterteilt) in deren oberstem Register herausstechen, besonders hinsichtlich der Harmonik. Die gebieterischen Themen der Hörner und Posaunen, welche den Trompeten des Gerichts folgen, bilden eine Verbindung zum Herculanum: an diesem Punkt vernehmen wir das Motiv des Magnus aus dem Ende des ersten Aufzugs. Es setzt hier seine volle Bedeutung fort, steht es doch in der Oper für den Untergang der dekadenten römischen Zivilisation und hier nunmehr als Symbol für die Apotheose.

Auch wenn Moïse au Sinaï und L’Éden auf wenig Gegenliebe beim Publikum stießen, sorgte Christophe Colombe (1847) doch für eine aufrichtige Rehabilitierung Davids und führte ihn zurück auf die Straße des Erfolgs. Ursprünglich auf drei Teile ausgelegt, entschied sich der Komponist letztendlich für vier. Tatsächlich ist der zusätzliche Abschnitt, La Révolte, in dramatischer Hinsicht die beste Passage. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass David damit seine herausragenden Fähigkeiten als Opernkomponist demonstrieren wollte. Es waren sodann wirklich die Erfolge von Le Désert und Christophe Colombe, die ihm die Türen des Théâtre-Lyrique öffneten. Als Resultat fand dort im Jahre 1851 die Uraufführung von La Perle du Brésil statt, welches lange Zeit berühmt blieb für eine Koloraturarie der Heldin. Aber auch die Ouvertüre – eingespielt für das vorliegende „Portrait“ – verdient es ebenfalls, Eingang ins Repertoire zu finden. Es handelt sich um eine großangelegte Sonatenform mit einer langsamen Einleitung, die deutlich inspirierter klingt und kunstfertiger umgesetzt ist als es im Potpourri-Modell jener Zeit üblich war. Nach einem feierlichen Marschmotiv, das mehrere Male wiederholt wird, kündigen die Holzbläser eine Melodie an, die von den Celli mit Inbrunst aufgenommen wird. Obgleich der für Davids orientalischen Stil typische harmonische Tonfall hier fehlt, können wir eine leidenschaftliche Romantik genießen, die augenblicklich mitteilsam erscheint. Das nachfolgende erweiterte Allegro vermengt meisterhaft verschiedene lebendige Themen, deren Farbenreichtum von den tiefen Registern der Klarinetten bis zu den höchsten Noten der Piccoloflöten geht. In der Nachfolge von Auber und Hérold, zuweilen aber auch mit einem Hauch von Beethoven, erschafft David hier neben den Ouvertüren zu Le Saphier und Lalla-Roukh einen seiner besten orchestralen Sätze.

 

Der Musikwissenschaftler Alexandre Dratwicki ist der wissenschaftliche Leiter beim Projekt Palazetto Bru Zane/ PBZ

Lieder: Oper, romance, Klavierstück: Im 19. Jahrhundert waren die ästhetischen Grenzen zwischen den verschiedenen Genres Grenzen jenseits des instrumentalen Mediums in gewisser Weise durchlässig. Félicien David komponierte Klavierwerke wie Le Soir (Abend), die den Charakter von „Liedern ohne Worte“ besitzen. In Larmes et Regretes (Tränen und Bedauern) gibt er zu erkennen, dass „die Melodie (le chant) breit und mit großem Ausdruck gespielt werden muss“. Quellen der Inspiration und Gemütsverfassung sind sowohl den Domänen der Vokal- als auch der Instrumentalmusik vertraut: dem Salon und dem Opernhaus. Träumereien sind oftmals mit Melancholie (Le Soir hat den Untertitel Rêverie pour piano), Seelandschaften und Exotik gefärbt; vom Titel oder Gedicht mehr heraufbeschworen als von der Musik selbst. Beispielsweise könnte die Romance Éoline in einer Orchestrierung leicht für eine wirkungsvolle Arie der Opéra-Comique gehalten werden. Ihre Klavierbegleitung scheint danach zu schreien, für Streicher umgeschrieben zu werden, während die bescheidenen Ausmaße die Bühnenhandlung nicht allzu lange unterbrächen. Le Ramier gehört zum selben vokalen Stereotyp, wenngleich heiterer im Charakter.

In den 1840er Jahren verwandelte sich die romance schrittweise in die mélodie. Auch wenn David am Ideal des Schlichtheit á la Rousseau festhielt und sehr oft die quasi-hypnotische Strophenform beibehielt, pflügte er bereits das Feld, in welches Berlioz und Gounod ihre Samen setzen sollten. Daher geht der Rahmen von Lamartines Gedicht Le Jour des morts über die herkömmlichen Dimensionen der romance hinaus und mag mit den großen Schubert-Liedern verglichen werden, die in Paris in französischer Übersetzung in Umlauf kamen, ohne sich vor diesen verstecken zu müssen. Man mag die Dramatisierung des Gedichts unterstreichen, die Emanzipation des Klavierparts und die Erhöhung des Ausdrucks in Bezug auf Harmonik und stimmliche Kontraste. Die romance offerierte David ebenso die Möglichkeit, den orientalischen Stil, der ihm solche Erfolge einbrachte, weiter zu entdecken. Dieser Bezug ist offensichtlich in L’Égyptienne mit ihren hochcharakteristischen Rhythmen und tritt subtiler auch in der großartigen Tristesse de l’Odalisque zu Tage. Ein weiterer Denkansatz, den der Komponist nicht geringschätzte, war die soziale oder politische Dimension, den sich das Liedrepertoire selbst verlieh: die Welle kollektiver Solidarität in Cri de charité oder die patriotische Stimulierung in Le Rhin allemand (nach einem Text von Alfred de Musset). Letzteres wurde Ende des 19. Jahrhunderts regelmäßig neuaufgelegt (mit einem Chorteil, der in der vorliegenden Aufnahme weggelassen wurde).

Die Texte entnahmen wir in Ausschnitten dem Artikel von Alexandre Dratwicki: Félicien David, d´un genre á l´autre. Übersetzung Daniel Hauser; Abbildung oben: Detail aus Michelangelos „Jüngstem Gericht“ im Vatikan/ Wikipedia

Herbstliches

 

Bei seiner früheren Plattenfirma Decca hat Matthias Goerne 1999 ein Album mit Bach-Kantaten aufgenommen, bei dem er von der Camerata Academica Salzburg unter Roger Norrington begleitet wurde. Der Bariton interpretierte in seiner Auswahl drei Kantaten – „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ (BWV 56), „Ich habe genug“ (BWV 82) und „Der Friede sei mit dir“ (BWV 158). Nun legt er bei harmonia mundi france die beiden ersten Kompositionen in einer neuen Interpretation vor und zeigt darin eine deutlich gewachsene Reife der Stimme und des Ausdrucks (HMM 902323). Sie klingt nun dunkler und voller, könnte auch in die Kategorie eines hohen Basses eingeordnet werden. Das lässt an den möglichen ersten Interpreten der Kantaten denken, den Leipziger Studenten Christoph Samuel Lipsius, der als Bassist von 1725 bis 27 in der Leipziger Kirchenmusik wirkte.

Die Kantate BWV 56 beginnt mit der Titel gebenden Arie „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“, die Goerne mit samtiger Tongebung und beschwörendem Ausdruck anstimmt. Klang in der früheren Aufnahme die Stimme fokussierter, wirkt sie hier Raum greifender und spiritueller. Die zweite Arie „Endlich, endlich“ formuliert der Sänger mit energischem Zugriff, muss aber in den langen Koloraturketten das Volumen auffällig verschlanken.  Zu berührend tröstendem Ausdruck findet Goerne im Rezitativ „Ich stehe fertig und bereit“.

BWV 82 beginnt gleichfalls mit der Arie, welche der Komposition den Titel gab: „Ich habe genug“. Deren Jenseitssehnsucht setzt der Bariton mit eindringlich flehendem Ausdruck und unendlich sanfter Stimmgebung um. Davon profitiert auch die große Arie „Schlummert ein“ im Zentrum der Komposition mit ihrem wiegendem Rhythmus, welche sich durch Goernes weichen, besänftigenden Ton nachdrücklich einprägt. Die Todeserwartung der letzten Arie „Ich freue mich auf meinen Tod“ gestaltete Bach als lebhaft beschwingten Tanzsatz und Goerne findet dafür einen atemlos drängenden, ekstatischen Duktus.

Diesmal begleitet den Solisten das Freiburger Barockorchester unter der kompetenten Leitung von Gottfried von der Goltz. Das Ensemble ergänzt das Programm mit dem Konzert für Oboe d’amore, das eine Rekonstruktion des Konzertes für Cembalo in A-Dur BWV 1055 darstellt. Dem Kopfsatz Allegro von heiter-anmutigem Charakter folgen ein Larghetto als wiegendes Siciliano und das Allegro man non tanto als hurtiges Menuett. Katharina Arfken musiziert das Konzert mit kantabler Tongebung und virtuoser Technik. Bernd Hoppe

Siegfried Köhler

 

Die Nachricht vom Tode Siegfried Köhlers am 12. September 2017 in Wiesbaden überraschte viele Musikfreunde, die den Dirigenten noch aus seiner Wiesbadener Zeit in Erinnerung hatten, wo er – zu meinem Vergnügen und meiner großen Wertschätzung – das „schwere“ Fach ebenso leitete wir das Heitere. Strauss und Wagner mit den Legenden vom Haus ohne ihn schienen gar nicht vorstellbar. Ich verdanke ihm die Erinnerung an viele wunderbare Abende im stimmungsvollen Wiesbadener Haus. Ein bedeutender deutscher Kapellmeister ist gestorben – solche wie ihn gibt es nicht mehr! Für den Verband Deutscher Harfenisten, zu dem Köhler eine besondere Verbindung schon wegen seiner Grundausbildung als Harfenist hatte, schrieb Kai Adomeit  einen liebevollen Nachruf, den wir mit Dank im Folgenden übernehmen. G. H.

 

Er war eine dieser Persönlichkeiten, die zum Kulturleben in Deutschland dazugehörten wie die Noten zur Musik: Das Ehrenmitglied des VDH Siegfried Köhler. Geboren am 30.Juli 1923 in Freiburg im Breisgau, gehörte er noch jener Dirigentengeneration an, die ihr Handwerk von der Pike auf lernte, wenn auch mit einem ganz besonderen instrumentalen Akzent denn anders als die meisten Dirigenten kam er nicht etwa vom Klavier sondern studierte an der Musikhochschule Freiburg – Harfe! An der dortigen Oper war er denn auch bald regelmäßig als Aushilfe im Orchestergraben zu erleben, bevor er 1941 als Harfenist und Solorepetitor ans Theater Heilbronn ging.

Doch auch an ihm ging der Krieg nicht vorüber, und so tauschte er den Frack 1942 für drei Jahre gegen die Soldatenuniform ein. Aus dem Krieg zurückgekehrt entschied sich Siegfried Köhler für die Dirigentenlaufbahn, wurde 1946 Kapellmeister und 1952 erster Kapellmeister in Freiburg. 1954 verließ er seine Heimat, um als Kapellmeister zunächst nach Düsseldorf, 1957 dann nach Köln zu wechseln. Ab 1962 war er dort als stellvertretender GMD bereits im Interim Leiter des Hauses, bevor er 1964 als GMD an das Staatstheater Saarbrücken ging, wo er auch als Professor Leiter der Dirigierklasse an der Hochschule des Saarlands wurde.

1974 wurde Siegfried Köhler dann Generalmusikdirektor des Hessischen Staatstheaters Wiebaden, dessen musikalischer Leiter er für 14 Jahre werden sollte: Die Verbindung Wiesbaden – Köhler wurde nicht nur in Insiderkreisen zu einem Synonym und bis heute hört man noch in Musikergesprächen Sätze wie „Wer ist eigentlich grad dort Chef?“ – „Jetzt? Na, früher war Siggi Köhler da…..“!

1992 dann, in einem Alter in dem moderne Dirigenten oft schon kürzer treten und sich eigentlich gar nicht mehr fest binden wurde Siegfried Köhler Königlicher Hofkapellmeister an der Oper in Stockholm. Für dreizehn Jahre wurde er dort zu einem Garant für grosse Opernabende bevor er, nun doch etwas kürzer tretend, bis in hohe Alter als reisender Gastdirigent tätig  war.

Legendär waren seine Einspringer, in denen er seine ganze Routine und sein Können mit Spontaneität verband, etwa in Nizza, wo er 20 Minuten vor Beginn einer „Walküre“ eintraf und Orchester und Ensemble zu einem unvergessenen Abend mitriss.

Ich hatte das große Glück, Siegfried Köhler etwa ab dem Jahr 1990, selbst in der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz als Pianist sitzend, erleben zu dürfen. Hier war eine Mischung aus Musikantentum und völlig souveränem Dirigieren zu erleben die, wie ich mit den Jahren lernte, keineswegs selbstverständlich war und ist.

Ohne jegliche Allüren seinerseits – den „Professor“ verbat er sich fast, nannte ihn überhaupt außerhalb der Probe jemand (in allem Respekt, wohlgemerkt!) anders als „Siggi“? – ging es nur um das Werk und seine bestmögliche Umsetzung. Manchmal war durchaus seine Ungeduld zu spüren, wenn er ein Werk dass er aus vollem Herzen dirigierte dem Orchester erst geduldig erklären musste. Wurde es dann in der Probe unruhig hob er dann doch seine Stimme und nie werde ich das Gesicht eines im Dienst schon ergrauten Stimmführers vergessen, der plötzlich ein „Kinder! KINDER! Jetzt seid mal nicht so ALBERN!“ zu hören bekam! Ihm fiel es natürlich leichter als uns, sein berühmtes „steht doch schon alles in den Noten….!“ Und sein ebenso klassisches „leicht, Kinder, alles ganz leicht…“ sind bis heute lebende Erinnerungen an ihn. Doch wenn dann das Konzert anstand, konnte man erleben was hingebungsvolles Musikmachen bedeutet: Mit leuchtenden Augen stand dann ein Dirigent vor dem Orchester der mit so hingebungsvollem Schwung Wagner, Brahms oder auch seine eigenen Werke („ich hab da was geschrieben…“) zelebrierte, dass man sich nach dem Konzert sofort fragte, wann „Siggi“ denn nun wiederkäme.

Wirklich unvergesslich eine konzertante „Elektra“ die der 80-jährige, nach einer etwas mühsamen Probenphase im Konzert, das Orchester und das Publikum einfach mitreißend buchstäblich bis zur Weißglut steigerte.

Als Komponist neigte Siegfried Köhler eher der leichten Muse zu, komponierte einige Musicals  und Orchesterwerke (…kann es denn wirklich einen schöneren Musical-Titel geben als „Sabine,  sei sittsam“?), leider nur wenige Werke für Harfe – die „Humoreske“ ist über den VDH zu beziehen.

Sehr lesenswert ist seine, zur Zeit leider offenbar vergriffene Autobiographie „Alles Kapriolen“, in der er auf seine ganz persönliche, niemals prätentiöse Art aus seinem Leben berichtet. Siegfried Köhler verstarb 94-jährig am 12. September 2017 in Wiesbaden, ein Jahr nach seiner Frau. Er wird der Musik und den Musikern sehr fehlen. Kai Adomeit  (Mit freundlicher Genehmigung des Verbandes Deutscher Harfenisten. Foto oben OBA)

Helga Moira

 

Durch die Todesanzeige erfuhr ich vom Ableben meiner alten Freundin Helga Moira (28.6.1935 Hamburg – 28.8.2017 Berlin), die mit 82 Jahren in einem Berliner Altersheim  verstarb. Wir hatten seit einer Ewigkeit nichts mehr von einander gehört, aber ihre starke Persönlichkeit und ihr selbst für Berliner Verhältnisse exzentrisches Auftreten sind mir im Kopf eingebrannt: Ich hatte sie immer für ihre Kompromisslosigkeit bewundert, für ihren fast übermenschlichen Willen, ihre Träume und Sehnsüchte durchzusetzen, ihre Kunst zu leben. Sie war eine Besessene, die keine Abstriche von ihren Zielen hinnahm. Und sie war eine außerordentlich charmante, liebenswürdige Gastgeberin, eine gebildete Freundin, eine herausfordernde Gesprächspartnerin. Daneben war sie auch eine Zerrissene, Unglückliche, Frustrierte. Beide Seiten gehörten zu ihrem Charakter.

Ich erinnere mich an manche schöne Abendessen in ihrem Haus in Berlin oder in Veronas Restaurants ihrer ganz eigenen Wahl. Sie verbrachte die Sommer mit Blick auf die Arena. Dann riss durch viele Umstände unsere Verbindung ab. Ich sah sie gelegentlich in der Stadt, wenn sie mit ihrem roten Flitzer irgendwo vorbeirauschte. Wir trafen uns nicht mehr, aber  ich hörte, dass sie angefangen hatte zu malen, ganz offenbar mit Erfolg und vielleicht damit auch kompensierend, dass ihre Sängerlaufbahn nicht diesen Weg genommen hatte. Nun ist sie gestorben, und es ist mir ein Bedürfnis, ihr mit dem nachfolgenden Interview einen kleinen Gedenkstein setzen zu können. Mein Kollege Stefan Lauter führte 1981 mit ihr ein Gespräch und fuhr im folgenden Jahr ins spanische Vigo, um sie dort als Lady Macbeth zu erleben und von ihr zu schwärmen. Ich möchte, dass Helga Moira, die mich damals so beeindruckt hat, nicht vergessen wird.

 

Eine Hommage an Helga Moira im „Trentino libero“ 1990

Kompromisslos  –  das  ist  der  Begriff, der  sich bei einem Gespräch mit der charmanten und attraktiven Berliner Sopranistin Helga Moira aufdrängt. Sie ist keine „langweilige“ Schönsängerin; ihre Stimme, die vom hohen Sopran einer Turandot bis zum tiefen Alt einer  Dalila  reicht, ist keine bequeme, sondern verlangt vom Zuhörer ebenso viel Engagement wie von der Sängerin selbst, die sich ohne Schonung gegen sich und gegen ihr Publikum in die Verkörperung ihrer Rollen stürzt. Sie hatte aber auch die besten Pädagogen als Ausbilder ihrer ungewöhnlichen Stimme gehabt: Margarete Klose, Richard Sengeleitner, Margarete Lohmann und Sergio Ravazzin, dem ehemaligen Intendanten der Arena di Verona.

In Deutschland ist Helga Moira – wie der sprichwörtliche Prophet im eigenen Vaterland – erstaunlicherweise weniger aufgetreten als in Italien und in anderen Ländern. Möglicherweise liegt das  an der oben erwähnten Kompromisslosigkeit ihres künstlerischen Credos, vielleicht  aber auch daran, daß ihre Stimme nicht unbedingt den kategorisierenden Vorstellungen eines deutschen    Konzert- und Opernbetriebs entspricht. Ihre Kompromisslosigkeit hat es der  Sopranistin ungarischer Abstammung nie leicht gemacht, in einem normalen Opernbetrieb zwischen Verbeamtung und unzureichenden Probenbedingungen Fuß zu fassen. Ihre Ansprüche an künstlerisch zumutbare Arbeitsbedingungen bei ihren  Auftritten im Opernhaus sind groß. Sie wünscht sich lange Probenzeiten und einen guten  Dirigenten, und sie zählt zu ihren schönsten Gesangserfahrungen  die  Auftritte mit  dem inzwischen verstorbenen Dirigenten Yuri  Ahronovitch in Köln oder ihre zahlreichen Liederabende in Verona.  Arienrecitals führten sie nach Salzburg, Treviso, Soave, Neapel, Rimini und Zevio, wo sie im Rahmen der Maria-Callas·Stiftung  am Eröffnungskonzert teilnahm. Ihre Suor Angelica in  Köln unter  Ahronovitch  zeigte  jedoch  deutlich,  dass  ihre  Stimme gerade im  dramatisch-italienischen Fach zu Hause  ist. Ein  Arien-Abend mit  Ausschnitten  aus Macbeth, Forza  del  Destino,  Aida und Un Ballo in Maschera bescheinigte der Sängerin eine schonungslose Anlage der Partien und ein absolutes Identifikationsvermögen mit der je­weiligen Rolle. Dass sie außer in verschiedenen Operettenauftritten (in Hamburg und Berlin) vor allem im Liedgesang in Deutschland  auffällt  –  besonders in Berlin, ihrem Wohnsitz   –   zeigen die vielen Soloabende, die sie in regelmäßigen Abständen gibt und bei denen sie auf ein festes Publikum rechnen kann. Rundfunkaufnahmen sind ein weiterer Bestandteil  ihrer vielseitigen künstlerischen Arbeit.

Helga Moira als Saffi/ Foto privat

Neben den bereits erwähnten Rollen liebt Helga Moira, wie   diese  Auswahl  aus ihrem Fach bereits zeigt, die dramatischen Partien des italienischen  Repertoires,  in dem sie eine   leidenschaftliche Verfechterin von Oper in der Originalsprache ist (1981 ein  weiterer  Grund für ihre  „Fremdheit“   im  Opernbetrieb  kleinerer deutschsprachiger Häuser!).Ihr langer und häufiger Aufenthalt in Italien sichert ihr die musikalische und  sprachliche Beherrschung dieses großen Repertoires. Ihre Wunschrollen sind die Gioconda, die Turandot (die  ihr vor  allem   auch  von  der psychologischen Anlage der Figur liegt), aber auch die Carmen  oder die  Ortrud stehen  ihre nahe.

Ein Anliegen ist ihr die Wiederbelebung der vergessenen Verismo-Opern (Catalani, Cilea, Mascagni), aber auch Salome oder die  Ariadne  liegen durchaus in ihrem  künstlerischen  und  gefühlsmäßigen Bereich und als Wozzeck-Marie kann man sie sich vorstellen. Unter den modernen Komponisten –  denn  sie scheut  sich nicht  vor  moderner und zeitgenössischer Musik – liebt sie vor allem Aribert Reimann, weil er „einer der  wenigen  Mo­dernen ist , die für die menschliche Stimme zu schreiben verstehen!“. Viel Glück  weiterhin, Helga Moira! Stefan Lauter

 

Opernfestival in Vigo, 23. – 28. März 1982  Spanien, nicht übermäßig reich an Opernspielstätten, hat ein neues Festival in Vigo, das auf die Initiative der Freunde der Oper und der kommunalen Verwaltung Vigo zustande gekommen ist und das seine wesentlichen  Anregungen dem Bariton  Sergio de Salas verdankt, der für einen anspruchsvollen Beginn des ersten Festivals sorgte, als er in zweien der drei ausgewählten Opern (Macbeth, Don Carlo und Il Barbiere di Siviglia) die Baritonpartien verkörperte (Macbeth und Rodrigo). Wenngleich es organisatorisch noch reichlich haperte, und vor allem in der Orchesterleitung sich unüberhörbare Mängel auftaten, muss doch der Wille zu einer geschlossenen Kulturleistung, zu einer anspruchsvollen Opernpräsentation  gelobt  werden, die im einzelnen Achtung – manchmal sogar Bewunderung  –  abnötigte und die, mit mehr Routine und   Organisationserfahrung, sicherlich sehr vielversprechend ist.

Helga Moira mit Sergio de Salas und Kollegen beim „Macbeth“ in Vigo 1982/ Foto OFV

Von drei Opern, die beim ersten Festival aufgeführt wurden, war Verdis Macbeth unzweifelhaft die erfolgreichste. Trotz des weitgehenden Ausfalls des Orchesters (für den der Dirigent Ivan Polidori  nicht unbedingt verantwortlich zu machen war) gelangen den drei Hauptdarstellern außerordentlich packende Leistungen. Helga Moira war eine Lady Macbeth von intensiver Gestaltung, musikalisch absolut sicher, ohne jede Höhenschwierigkeit  besonders  in den finali, sehr eindrucksvoll  in  ihrer  zunehmenden Verwirrung angesichts der Entfremdung von ihrem Gemahl, packend vor allem in der Nachtwandlerszene, in der sie ein faszinierendes Porträt dieser aus der Wirklichkeit verrückten Frau gestaltete. Optisch außerordentlich attraktiv, bot sie eine ausgefeilte und stimmlich wie  schauspielerisch erregende  Rollenstudie. Sergio de Salas als  Macbeth konnte seine markante, höhensichere und gut tragende Baritonstimme mit großem Gewinn einbringen, seine letzte Arie  fand ihn ohne ein Zeichen der Ermüdung, schauspielerisch wie stimmlich war auch er von großer Intensität. Nicola Ghiuselev als Banco nutzte seinen kurzen Auftritt  mit allen Mitteln, sein Solo sang  er mit  schönem schwarzem Bass. Unter den restlichen Mitwirkenden in dieser nicht uninteressanten Inszenierung imponierte zudem der heldische Malcolm von José Gabiel Vivas mit  schmetterndem Tenor. (…)  Stefan Lauter

 

Gewürdigt wurde Helga Moira auch 2016 von der italienischen Zeitung Trentino libero  in einem zusammenfassenden Artikel;  Dank an Wolfgang Denker für die Text- und Fotorecherche!

Zeugnisse grosser Kunst

 

Im Rahmen der Callas Live Remastered Edition der Warner Classics gibt es auch drei Blu-Ray-DVDs mit den Konzerten der Diva in Paris 1958, Hamburg 1959 und 1962 sowie London 1962 und 1964, darin enthaltend jeweils der 2. Akt der Tosca in der Pariser Opéra und in Covent Garden. Letzteres sollte eigentlich eine optische Gesamtaufnahme der Oper werden, aber sie kam nur zum zweiten Akt.

Natürlich sind alle diese Dokumente mehr als bekannt, Fans der Diva werden sich das in verschiedenen Ausgaben bei Arthaus oder EMI bereits gekauft haben. Aber die Blu-Ray-Edition macht schon Sinn, weil die Bilder wirklich gestochen plastisch und scharf sind. Vielleicht manchmal zu scharf, denn die Zeitlichkeit ist auch über die Selige dahin gegangen, und vieles wirkt antiquiert und altmodisch – vor allem die Haartrachten, die von Farah-Dibah-Hochfrisur bis zum kunstvollen Mob rangieren und oft humoristische Kommentare fordern. Auch die Damen des Pariser-Norma-Chores strahlen in ihren weißen Blusen den spießigen Charme von Floristinnen im 10. Arrondissement aus, und niemand kann den von mir so hochgeschätzten Albert Lance gegenüber dem eleganten Renato Cioni für einen strahlenden Herzensbrecher halten. Unglaublich, dass das 1958 als Gala galt . Dennoch – gegen die Pressebälle in Berlin zur selben Zeit ist dies hier la Grande Vie, was man an Funkeln und Glitzern im Publikum der Nerzstolen und Fracks sieht.

Über allem Lässlichen aber triumphiert die Diva. Was sie mit den sparsamen Gesten in den Hamburger Konzerten vor allem in ihrer Vorbereitung vor dem aktuellen Singen schafft, wie sie die Arien andenkt  und mental verinnerlicht  ist nach wie vor umwerfend. Vor ihrer Kunst im Konzert (mehr vielleicht als vor ihrer etwas zu melodramatisch-stereotypen Schauspielkunst in der Tosca gegenüber dem immer noch histrionisch eindrucksvollen Tito Gobbi) verstummt jede spöttische Bemerkung, selbst nach rund 60 Jahren. Auch wenn man manche ihrer Gesten und koketten Seitenblicke auf Maestro Rescigno outriert finden mag. Aber die Essenz, die ureigene Schöpfungskraft der Callas ist in diesen kostbaren Dokumenten bewahrt, den mehr oder weniger einzigen zudem in so hervorragender Bildqualität, sodass diese drei DVDs in jeden Haushalt gehören, der sich mit Oper beschäftigt. Noch immer ist sie die Große, Wunderbare und vor allem Singuläre (Maria Callas in Concert, in den genannten Locations Arien von Bellini, Rossini, Puccini, Verdi, Spontini sowie 2x 2. Akt ToscaWarner Classics  3 DVD Blu-Ray  0190295804206). G. H.

 

Maria Callas in Concert, Paris 1958/ youtube

Nachstehend noch ein paar Informationen zu den hier festgehaltenen Konzerten aus dem beiliegenden Booklet zur 3-DVD-Blu-Ray-Ausgabe bei Warner. Paris 1958: Maria Callas debütierte erst recht spät in ihrer Karriere in Paris. Sie sang ihre erste Oper im Jahr 1939, erlebte ihren ersten Erfolg auf der italienischen Bühne 1947 in Verona, gab 1949 ihr Debüt in Südamerika, schaffte es 1950 an die Scala und wurde 1952 in London, 1954 in Chicago, 1955 in Berlin und 1956 in Wien bejubelt. Auch ihr heiß ersehntes, lange überfälliges Debüt an der Metropolitan Opera in New York gab sie 1956, bevor sie im darauffolgenden Jahr in ihre Heimat Athen zurückkehrte. In Venedig, Rom, Palermo, Mexico City, Philadelphia, Dallas, Madrid, Lissabon und Edinburgh waren die Erfolge und Kontroversen dieses Ausnahme-Jahrzehnts ebenfalls zu erleben. Paris war Maria Callas‘ letzte Station: Hier ließ sie sich bis zu ihrem Tod nieder.

Wollten ergebene Pariser das späte Debüt in ihrer Stadt verteidigen, konnten sie argumentieren, dass der Zeitpunkt keine Rolle spielte. Ausschlaggebend war, dass Maria Callas‘ erster Auftritt an der Opéra den krönenden Abschluss ihrer Karriere, ihre letzte Eroberung darstellte, was die prachtvolle Aufführung im Palais Garnier an jenem Abend bezeugte. Hatte ihr je eine andere Stadt einen solch überragenden Empfang bereitet? Wo sonst hatte sich ein Staatsoberhaupt im strömenden Regen zu einem Opernhaus begeben, in dem sich alles drängte, was Rang und Namen hatte, um eine Aufführung mitzuerleben, die jenseits des Saals auf dem ganzen Kontinent übertragen wurde? Als ihr Auftritt kam, schritt diese schlanke, elegante Erscheinung in ihrem verschiedentlich als scharlachrot oder champagnerfarben beschriebenen Kleid, geschmückt mit geliehenen Juwelen im Wert von einer Million Dollar, die Stufen hinab und präsentierte sich diesem hochkarätigen Publikum — eine Szene wie im Märchen. Die Bühne, auf der sie im Rampenlicht stand, schien für diesen Moment das kulturelle Zentrum Europas, wenn nicht gar der ganzen Welt zu sein.

Das Frühjahr 1958 brachte Erfolge in Amerika mit sich, wenngleich diese von einer vorherigen Gerichtsverhandlung wegen eines Vertragsbruchs in San Francisco und einem Verweis durch die American Guild of Musical Artists überschattet wurden. Später hatte Maria Callas Ärger mit ihrer Mutter und dem Operndirektor Rudolf Bing, erlebte sowohl Erfolge als auch Kränkungen in Mailand, ihren bittersüßen Abschied von der Scala und eine angespannte, gesanglich dürftige und doch unvergessliche Darbietung von La traviata in London. Nach einer Konzerttournee durch die Vereinigten Staaten, die eine hervorragende, aber kräftezehrende Medea in Dallas und einen ebenso strapaziösen, von zahlreichen Schlagzeilen begleiteten Vorfall an der Met mit sich brachte, war sie bereit für Paris.

Maria Callas, Konzert in Hamburg 1962/ Still Warner

Ein weiterer Faktor bereitete ihr damals kontinuierlich größere Sorgen als jedes dieser vereinzelten Vorkommnisse. Schließlich hing alles von ihrer Stimme ab, die sie in der Vergangenheit arg strapaziert hatte: Die Isoldes, Brünnhildes und Turandots aus früheren Jahren hatten unweigerlich ihre Spuren hinterlassen, und auch die Verausgabung im höchsten Register während ihrer kurzen bravourösen Zeit als dramatischer Koloratursopran forderte ihren Tribut. Selbst in ihren besten Jahren, die wohl in den Erfolgen von 1955 gipfelten, hatte manch einer Bedenken an ihrer stimmlichen Darbietung geäußert, die sie nur durch die offensichtliche Genialität ihrer Interpretation ausräumen konnte. Doch Paris hatte sie in jenen Jahren verpasst, und die Stimme, die vor dem dortigen Publikum als Norma die kriegslüsternen Druiden zurechtwies, war bei Weitem nicht die lieblichste der Welt, und auch nicht so mächtig oder fest wie manch andere. Auch als sie die „Casta diva“ sang, kamen wohl einigen Zuhörern redliche Zweifel. Nach all der Publicity, der Keilerei um Karten, der aufwendigen Kostümgestaltung, den Fanfaren und dem Ehrengeleit war dies also nun die Stimme, um die solches Aufhebens gemacht wurde?

Die Kenner der Callas ließen sich von dieser Erfahrung allerdings nicht beirren: Das war nichts Neues, und sie wussten, dass der Glaube an die Sängerin sich am Ende auszahlen würde. Bald würde es wieder einen jener Momente geben, in denen sie ihr unvergleichliches Können mit einer Phrase, bei der Verkörperung einer Rolle oder mit einer besonderen klanglichen Interpretation bewies. Tatsächlich mussten die Pariser auf die Arie aus II trovatore und das „Miserere“ warten, um bestätigt zu sehen, dass sie wirklich die sagenhafte „Kaiserin des Belcanto“ in ihrer Mitte hatten. Es stimmt, dass sie dem Pariser Publikum (in dem sich unter anderem auch Charlie Chaplin, Aristoteles Onassis, Brigitte Bardot, Jean Cocteau und die Windsors befanden) viel Gesprächsstoff bot. 450 Gäste waren hinterher zu einem Galadinner eingeladen: Ich frage mich, wie viele Diskussionen um ihre Darbietung der Kantilene aus Normas Beschwörungsarie, der schelmischen Rosina, der gequälten Tosca oder der Melodiebögen in Leonoras bitteren Klagen vor dem Verlies ihres Geliebten zu den „Miserere“-Gesängen der Mönche kreisten …

 

Maria Callas in Hamburg/ Foto EMI

Hamburg 1959 & 1962: Maria Callas trat erstmals am 7. März 1949 im Auditorium des öffentlich-rechtlichen italienischen Radiosenders RAI in Turin zusammen mit einem Orchester auf. In den Folgejahren gab sie weitere Konzerte in Turin, Rom, San Remo und Mailand, die RAI übertrug. Später sang sie allmählich auch in anderen Ländern Konzerte mit Orchesterbegleitung, die gemeinhin große Ereignisse darstellten. So wurde beispielsweise das Konzert im Odeon des Herodes Atticus in Athen am 5. August 1957 als Heimkehr der Sopranistin gefeiert, die zwar in den USA geboren wurde, jedoch als Vollblutgriechin galt. Einige Monate später weihte sie die Dallas Civic Opera mit einem Konzert in der State Music Fair Hall ein, und trat ab diesem Zeitpunkt bis 1964 regelmäßig in Konzerten auf der ganzen Welt auf, selbst in der Phase, in der sie keine Opernrollen annahm.

Im Mai 1959 unternahm Maria Callas eine Konzerttournee durch Spanien und Deutschland, die in Madrid und Barcelona begann und sie später nach Hamburg, Stuttgart, München und Wiesbaden führte. Am Anfang dieser Tournee litt sie an einer Erkältung, deren Auswirkungen sich noch in Hamburg bemerkbar machten. Dennoch gelang ihr eine reife gesangliche Leistung: Sie meisterte höllisch schwierige Musik mit vollkommener Sicherheit, und ihre Besorgnis über die Konsequenzen der Erkältung auf ihr hohes Register schmälern kaum den beachtlichen Gesamteindruck, den die Sängerin hinterließ.

Anfang 1962 war Maria Callas‘ Bühnenkarriere praktisch zum Erliegen gekommen, und bis 1964, als sie die Tosca in Covent Garden sang, trat sie lediglich bei Konzerten öffentlich auf. Ihre größte Konzerttournee im Jahr 1962 begann am 27. Februar in der Londoner Royal Festival Hall und setzte sich bis März mit Auftritten in München, Hamburg, Essen und Bonn fort.

In den drei Jahren seit ihrem vorherigen Konzert in Hamburg hatte ihre Stimme zwar merklich an Volumen eingebüßt, doch die Sängerin beherrschte sie immer noch vollkommen und gab mit ihrer einzigartigen Mischung aus musikalischem Feingespür, interpretativem Können und schierer mitreißender Kraft, die nur die Callas in Höchstform bieten konnte, ein Konzert, das die Hamburger Fans nicht enttäuschte.

Maria Callas und Tito Gobbi in „Tosca“, London 1964/ Still Warner

London 1962 & 1964: Maria Callas gab ihr internationales Operndebüt 1947 als La Gioconda in Verona und sang während der 1950er Jahre mit wachsendem Erfolg an allen großen Opernhäusern der Welt. Ihre künstlerische Heimat war jedoch die Mailänder Scala, wo ihr Repertoire eine wirklich bemerkenswerte Bandbreite aufwies: von den Klassikern Gluck, Cherubini, Spontini und Mozart über die Belcanto-Opern von Rossini, Bellini und Donizetti bis zu den dramatischen Meisterwerken Verdis und Ponchiellis sowie den Verismo-Werken von Giordano. Zum letzten Mal stand sie in der Saison 1961/62 in Cherubinis Medea auf der Bühne der Scala. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihre Opernkarriere schon beinahe zugunsten der Verlockungen eines glamouröseren Lebens im internationalen Jetset unter der Führung der amerikanischen Gesellschaftsgastgeberin Elsa Maxwell aufgegeben. Die Hauptattraktion für die Callas war jedoch der griechische Schiffsmagnat Aristoteles Onassis, mit dem sie mittlerweile eine enge Beziehung verband.

Bevor sie 1957 Onassis traf, hatte sich die Callas ausschließlich ihrem Gesang gewidmet. Doch auf der Kreuzfahrt, zu der Onassis sie und ihren Ehemann 1959 auf seine Yacht einlud, verliebte sie sich plötzlich zum ersten Mal in ihrem Leben. Ihr Ehemann, der italienische Industrielle Giovanni Battista Meneghini, den sie 1949 geheiratet hatte, war 28 Jahre älter als sie und eher eine Vaterfigur als ein Objekt romantischer Liebe für die junge Maria, deren gerade beginnende Karriere Meneghini so sehr fördern sollte. Doch jetzt, nachdem sie die Opernwelt erobert hatte, war sie geblendet von der Welt der High Society, zu der sie nun gehörte, und vom charismatischen Onassis, von dem sie fest annahm und erwartete, er werde sie nach ihrer Scheidung von Meneghini heiraten. Da sie immer mehr Zeit mit Onassis verbrachte, nahmen ihre Bühnenauftritte rapide ab, bis sie sie 1962 schließlich ganz und gar einstellte und das Publikum sie nur noch gelegentlich bei Konzerten erleben konnte. Am 27. Februar 1962 gab sie in der Royal Festival Hall in London ein Konzert mit dem Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Georges Pretre. Das Konzert war ein Erfolg, obwohl die Kritiker sich teilweise negativ äußerten, und manche Leute begannen zu vermuten, die Callas bleibe der Opernbühne fern, weil ihre Stimme allmählich nachlasse. Dieser Eindruck wurde durch eine missglückte Aufführung von Medea an der Mailänder Scala am 29. Mai bestätigt, als ihre Stimme wirklich in schlechter Verfassung war; der Grund hierfür war jedoch eine schwere Sinusitis, an der sie schon seit mehr als einem Jahr litt. Es sorgte daher für einige Aufregung, als sie neben anderen Kollegen am 4. November 1962 überraschend an der TV-Liveübertragung eines Galakonzerts aus dem Royal Opera House, Covent Garden, teilnahm.

Maria Callas in Hamburg 1962/ Still Warner

Während des Jahres 1963 gab die Callas noch mehrere Konzerte und nahm bei ein paar Studioaufnahmen für EMI in Paris auch weiterhin sporadisch auf, aber ihre Beziehung zu Onassis wurde allmählich gespannt, und sie begrüßte die Chance, Anfang 1964 in einer neuen Inszenierung von Puccinis Tosca nach Covent Garden zurückzukehren. Diese sollte sich als ihr letzter Triumph erweisen.

Nach den sechs Aufführungen von Tosca wurde für Sonntagabend, den 9. Februar 1964, eine „Golden Hour“-TV-Gala in Covent Garden arrangiert, die den gesamten zweiten Akt der Tosca enthalten sollte. Nachdem dies eine Liveübertragung war, gab es keine Gelegenheit zum Schneiden, und in jenen Tagen war die Kameraführung bei so einem Ereignis noch recht primitiv, und die Kamera war meist auf das Gesicht der jeweils singenden Person gerichtet, selbst wenn dies bedeutete, dass man die Reaktion der Callas in gewissen dramatischen Augenblicken nicht sehen konnte. Aber trotz dieser Unzulänglichkeiten ist dieser Mitschnitt der Callas im zweiten Akt von Tosca ein unbezahlbares Dokument, das zumindest einen Teil jenes letzten Bühnentriumphs der großen Diva in einem ihrer Kunst würdigen Rahmen bewahrt.

Aus Texten von J.B. Steane (Paris) und Tony Locantro (Hamburg, London) Übersetzungen: Stefanie Schlatt (Paris, Hamburg), Johanna Mayr (London)/ Quelle Warner Classics)