Archiv für den Monat: Juli 2015

Unvergleichlich

 

Unvergleichliche Sena Jurinac. Bei Immortal Performances liegt das aufregende Album mit bislang unveröffentlichten Erstaufnahmen vor – Lieder zum Klavier aus Zagreb 1944 auf Lackfolie erhalten (ein betörendes Nebbie Respighis oder auch zwei Wesendoncklieder), dazu weitere Testaufnahmen für die EMI aus London 1950 mit Moore am Klavier (unglaublich intensiv die noch ganz helle Stimme in Mendelssohn-Liedern oder in Schuberts Forelle) und – mir bislang nicht bekannt – die „Vier letzten Lieder“ unter Busch vom Dänischen Rundfunk 1951, die Stimme hier leuchtend-mädchenhaft und erfüllt in jeder Phrase.

Die berühmte EMI-Aufahme: "Idomeneo" im Querschnitt unter Fritz Busch mit Sena Jurinac, Richard Lewis, Birtgit Nilsson und Léopold Simoneau/Foto AngusMCBean/Glyndebourne Archive

Die berühmte EMI-Aufahme: „Idomeneo“ im Querschnitt unter Fritz Busch mit Sena Jurinac, Richard Lewis, Birtgit Nilsson und Léopold Simoneau/Foto AngusMCBean/Glyndebourne Archive

Angekoppelt sind wenig bekannte Ausschnitte aus Operetten und Opern aus den frühen Fünfzigern, angeführt von dem absolut bezaubernden Couplet aus Gasparone (allein schon deswegen würde ich diese Ausgabe kaufen), dazu weiteres vom deutschen Rundfunk der frühen Jahre (Fledermaus, Figaro, Manon) sowie die Duette und Arien unter Ackermann vom SWR 1952 mit Peter Anders. Ach, es ist eine köstliche Lust, diese wunderbare Stimme in diesen frühen Aufnahmen zu hören – diese Süße und dieses Versprechen auf (dann auch eingetretenes) Großes gehen ans Herz. Danke dafür  und meine uneingeschränkte Empfehlung (immortalperformances.org IPCD1013/1-2).

 

Das gilt auch für die gerade mir wieder in die Hand geratene Così fan tutte bei Immortal Performances (vorher bei anderen, aber nun dank der Zusammenarbeit mit dem Brüder-Busch-Archiv und der Karlsruher Max-Reger-Stiftung absolut und gewinnbringend anhörbar) aus London, als bei den Proms 1951 die Glyndebourne-Equipe unter Fritz Busch eine konzertante Vorstellung ihrer legendären Aufführung aus den Susasex Downs gab. Was für eine Besetzung! Sena Jurinac, die wirklich Unvergleichliche, hier ganz am Anfang ihrer Karriere, jung und noch hell im Ton, den sie wenig später mit einem dunkleren, pathosreicheren eintauschte.Diese Fiordiligi volle Poesie und auch einer gewissen Unschuld, voller Würde und Leuchtkraft schließt sich an die obigen Lieder an und stellt wie diese  für mich kostbare un d beglückende Dokumente einer in meinem Herzen ruhenden Sängerin dar. Ihr damaliger Ehemann Sesto Bruscantini macht einen merkurialischen Don Alfonso in gewohnter Spielfreudigkeit und beispielhafter Diktion. Marko Rothmüller, nach England emigrierter Bariton, übertzeugt mit gutsitzendem, markantem Ton. Richard Lewis war nie mein Ding, und auch hier finde ich ihn als Guglielmo steif und troppo brittico, Alice Howland war mir vorher kein Begriff, und sie ist kein Vergleich zur späteren Kollegin Blanche Thebohm, singt aber ordentlich wie auch die etwas piepsige Isa Quensel als qirlige Despina (das ist ja das Attribut, das man immer für diese Partie aufbringt). Chor und Orchester profitieren von Fritz Buschs überragender Leitung – Brio und Agogik paaren sich mit dunklem Schwung, der aus der Così ein Drama macht, ohne die helleren Seiten zu vernachlässigen. Absolut und unbedingt habenswert (2CD Immortal Performances IPCD 1004-2 mit informativer Ausstattung in Englisch). G. H.

 

Und apropos: Erstmals ungekürzt auf CD kam 2013 die ganz wunderbare Aufnahme des Mozartschen Glyndebourne-Figaro von 1955 bei EMI heraus und nun hoffentlich wieder bei Warner erscheinend (ungekürzt, weil nun die original eingespielte Basilio-Arie enthalten ist – die im Booklet der LP-Ausgabe angegebene Marcellina-Arie hingegen wurde nicht aufgenommen oder zumindest nicht veröffentlicht, was wirklich schade ist), und weil auf 3 CDs nun also aufgefüllt mit den Sinfonien 38 und 39, die Vittorio Gui ebenso wie die Oper energisch, unvergleichlich kraftvoll-männlich, federnd, witzig und wie ein Ping-Pong-Tennis-Spiel dirigiert. Im Dialog fliegen die Erwiderungen und Dialoge wie auf der Bühne hin und her, und man goutiert die dichte Tonregie des Regisseurs Carl Ebert, der die Glyndebourne-Produktion kongenial auf der damaligen LP (eine der ersten Stereo-Aufnahmen der EMI) als lebendiges Theater umsetzte. Gesungen wird – bis auf den kleinen Ölfleck der Rise Stevens als matronaler Cherubino – absolut prachtvoll. Ich stehe nicht an zu sagen, dass dies der Figaro aller Träume ist, denn Sena Jurinac (hier als Contessa in der besagten Produktion/OBA), Sesto Bruscantini, Franco Albanese, Hughues Cuenod (irre ölig als Basilio), Monica Sinclair (dto als köstlichste Marcellina) sowie Jeanette Sinclair sind nicht zu überbieten. Graziella Sciutti wurde gegen die Bühnen-Susanna der Elena Rizzieri ausgetauscht – hier flutscht die Sprache nur so. Die Tempi – brisk, aber nicht schnell – und der ganze musikalische Duktus schaffen eine ganz eigene Atmosphäre, der (im Stil der Zeit – und sehr willkommen angesichts mancher steriler Aufnahmen heute – mit Türenschlagen und Fensterscheiben-Klirren) man gebannt lauscht, von der man einfach gepackt ist. Ich kenne kaum einen anderen Figaro so spannend und so gut gesungen/dirigiert – bitte Warner: schnell wieder herausbringen!  G. H. 

Und warum nun dies?

 

Leo Fall gehört zu den großen Operetten-Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts und ist berühmt geworden durch Werke wie Die Rose von Stambul und vor allem Madame Pompadour. Beim Label cpo ist nun seine Oper Paroli erschienen. Ein erstaunliches Frühwerk – das viel Talent beweist. Leo Falls Paroli ist seine allererste gedruckte musikdramatische Partitur – ein Frühwerk von 1902, ein einstündiger heiterer Einakter, aber keine Operette.
Paroli wurde in Berlin uraufgeführt (obwohl man in manchen Quellen falsch Hamburg als Premierenort angibt). Fall lebte damals in Berlin und versuchte, als Komponist Fuß zu fassen; er schlug sich als dritter Kapellmeister am Metropoltheater durch, komponierte Couplets für die aufstrebende Kabarett-Szene. Leider fand er keinen guten Librettisten für seine ehrgeizigeren Projekte. Text und Handlung von Paroli sind derart schlecht, dass schon 1902 die nicht sehr verwöhnte Kritik völlig fassungslos über den gestelzten Unsinn und vor allem die schlechten Witze und Verse war, die da in einem kleinen Theater am Alexanderplatz geboten wurden.

Es geht um einen abgehalfterten Adligen, der einer schönen Müllerin nachstellt, die aber einen einfachen Burschen liebt. Beide überlisten den Mann am Schluss und verpassen ihm einen Denkzettel. Warum klingt so ein Plot bei Offenbach immer geistreich und im deutschen Schwank meist peinlich? Tragikomisch wirkt auch heute noch die Fallhöhe von Wort und Musik. Der Text zieht einem die Schuhe aus, und vertont wird er von einem jungen Mann, der jede Note originell, ambitioniert und hochintelligent setzt.  Da gibt es raffinierte Taktwechsel, sublime Melodik und harmonische Frechheiten – das bewegt sich weit über Niveau des üblichen Singspiels –, mitunter ist sogar schon der musikdramatische Drive Künnekes vorweggenommen.  Der Effekt ist etwa so, als würde Richard Strauss eine Folge von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ vertonen.

Für Ausgrabungen soll man ja immer dankbar sein. Bin ich auch. Danke, WDR! Dennoch irritiert mich hier die Unwichtigkeit des Werks in Relation zum noch nicht Aufgenommenen. Da gäbe so viel Wichtigeres aus Falls Reifezeit zu entdecken – und auch neu einzuspielen, da das Wenige, das auf alten Bändern vorliegt, oft gekürzt, verstümmelt, neu instrumentiert wurde.  Die Spanische Nachtigall könnte man ausgraben, den Nachtschnellzug, auch eine Neufassung der Geschiedenen Frau wäre erfreulich. Warum muss es ein musikalisch zwar interessantes, aber eben doch recht entlegenes und Fall-untypisches Frühwerk sein?

Musikalisch umgesetzt wurde das Ganze jedenfalls in großen Teilen mit vom WDR gewohnter Liebe und Seriosität; ich vermute, das WDR-Funkhausorchester Köln klingt sogar besser als das magere Orchesterchen der Uraufführung. Dirigent Axel Kober macht keinen Versuch, die so vielschichtige, kluge Musik in die Operettenecke zu schieben; der Opern-Ton bleibt gewahrt, und die Sänger sind ausgezeichnet (Anke Krabbe) bis passabel (Andrea Böning).  Der Versuch, das Stück selbst zu retten, ist leider gescheitert, trotz der beim WDR seit den 50er Jahren in Funkoperetten  so bewährten Hörspiel-Technik, Dialog und Erzähler zu verbinden. Ich jedenfalls habe beim Anhören der CD kein Wort verstanden von dem, was da grade passiert. Ist vielleicht auch besser so. Schade, dass das Libretto so miserabel ist (Leo Fall: Paroli mit Anke Krabbe, Andrea Bönig, Jörn Dürmüller, Ralf Lukas; WDR Rundfunkchor Köln; WDR Funkhausorchester Köln, Dirigent Axel Kober; cpo 777 899-2). M. K. 

Generationswechsel

 


Rameaus dritte Oper Castor et Pollux existiert wie auch Dardanus (1739, 1744), Platée (1745, 1749) und Zoroastre (1749, 1756) in zwei Versionen. Doch es gibt eine Besonderheit: Während zwischen den verschiedenen Versionen sonst nur wenige Jahre liegen, sind es in diesem Fall 17. Rameau überarbeitete die wenig erfolgreiche Fassung von 1737 (fünf Akte mit Prolog) im Vergleich zur späteren von 1754 (fünf Akte) umfassend: Der nicht im Zusammenhang mit der Haupthandlung stehende Prolog wurde gestrichen, den ersten Akt komponierte er neu, in den übrigen vier Akten verarbeitete er die Musik der fünf Akte von 1737, der erste und zweite von 1737 entsprechen  überwiegend dem zweiten und dritten von 1756, die Akte 3 und 4 von 1737 kombinierte er zu einem neuen vierten Akt, den fünften Akt unterzog er ebenfalls einen Revision und komponierte neue Musik. Auch in der Handlung änderte sich einiges, Arien und Rezitative wurden gestrichen und neu geschrieben. Die Zweitfassung reüssierte beim Publikum. Der inzwischen 71 Jahre alte Rameau bewies dabei, wie er im Alter auf der Höhe seiner Kunstfertigkeit geblieben war. Durch viele kurze Nummern von nur wenigen Minuten erlebt man eine abwechslungsreiche Oper, die bekannte Klagearie der Télaïre „Tristes apprêts, pâles flambeaux“ ist mit fünf Minuten Länge eine Ausnahme. Harnoncourt und Christie spielten die frühe Version auf Tonträger ein,  Kevin Mallon (Naxos) die spätere.  Hervé Niquet, Christophe Rousset und Emmanuelle Haïm haben sich bei Aufführungen ebenfalls für die Zweitversion entschieden. Aufgrund einer kürzlich entdeckten neuen Handschrift war es möglich, die Instrumentierung in der Zweitfassung noch detaillierter wieder herzustellen und als Grundlage für die vorliegende Neueinspielung zu verwenden. Worin diese Detaillierungen bestehen, bleibt das Beiheft schuldig.

Jean-Philippe Rameau/OBA

Jean-Philippe Rameau/OBA

Der junge Dirigent Raphaël Pichon (*1984) ist aktuell ein Hoffnungsträger der französischen Barock-Szene in dritter Generation nach Jean-Claude Malgoire (*1940) und William Christie (*1944) sowie Hervé Niquet (*1957), Christophe Rousset (*1961), Hugo Reyne (*1961), Marc Minkowski (*1962) und Emmanuelle Haïm (*1962). Sein Ensemble Pygmalion (Orchester und Chor) gründete Pichon 2006, zusammen spielten sie bereits Hippolyte et Aricie (2012) und Dardanus (2013), Castor et Pollux folgte im Gedenkjahr 2014 zur 250 Wiederkehr von Rameaus Tod. Pichons Klang bei dieser Aufnahme überrascht. Er verzichtet auf die oft üblichen historisch informierten Zuspitzungen: Es gibt keine schroffen Akzentuierungen, keine Knalleffekte, kein harsches Aufspielen. Pichons Dirigat ist nach heutigem Maßstab zurückhaltend, es ergibt sich ein flüssiger,  eloquenter, ausgewogener und gelegentlich etwas eintöniger Höreindruck, bei denen die Streichinstrumente im Vordergrund sind. Wo andere Barockexperten auf Effekte zielen würden, bleibt Pichon maßvoll. Bspw. in der 6. Szene des 1. Akts „Entracte – Bruit de guerre“: die Bläser sind im Hintergrund und brechen nicht hervor oder in der 3. Szene des 5. Akts „Tonnerre“: der Donner würde bei anderen Dirigenten durchaus krachender tönen. Vor allem bei den Zwischenspielen, den Airs, Menuetten und Gavotten, können die Musiker filigran musizieren und ihren speziellen Klang modellieren. Es bleibt Geschmacksache, ob der Dirigent mehr instrumentale Details betonen sollte. Pichons Anliegen, die Raffinessen der Partitur zu betonen, wird allerdings nicht jedem unmittelbar gelungen erscheinen.

Bei den Sängern gibt es Licht und Schatten, die der Rahmenbedingungen der Live-Aufnahme geschuldet sein können. Positiv auffallen können vor allem Emmanuelle de Negri, die als Télaïre ausdrucksstark und bewegend singt, Clémentine Margaine, die als Phébé leidenschaftlich und eifersüchtig ist, und Sabine Devieilhe, die drei kleine Rollen vorbildlich präsentiert. Der Tenor Colin Ainsworth als Castor hatte am Aufnahmetag nicht seinen besten Tag erwischt: Er klingt gelegentlich angestrengt und verengt. (Ainsworth sang übrigens auch schon der Naxos Einspielung unter Kevin Mallon den Castor). Sein Bühnenbruder Bariton Florian Sempey ist als feierlich-würdevoller Pollux besser und hat doch auch Eintrübungen. Die kleineren Rollen sind adäquat besetzt, ergänzt von einem engagierten Chor. Es bleibt am Ende ein guter, aber ambivalenter Höreindruck. Der Generationswechsel bei den französischen Barock-Interpreten überzeugt in dieser Aufnahme noch nicht restlos. (Castor: Colin Ainsworth; Pollux: Florian Sempey, Télaïre: Emmanuelle de Negri; Phébé: Clémentine Margaine; Jupiter: Christian Immler; Cléone, Une Ombre heureuse, Une Suivante d’Hébé: Sabine Devieilhe; Un Athlète, Mercure, un Spartiate: Philippe Talbot; Le Grand Prêtre de Jupiter: Virgile Ancely;  Choeur et orchestre de l’Ensemble Pygmalion – Dirigent: Raphaël Pichon; Koproduktion Harmonia Mundi und Ensemble Pygmalion, Live-Aufnahme des Festival Radio France et Montpellier-Languedoc-Roussillon vom Juli 2014. HMC 902212.13Marcus Budwitius

Wagners Fixierungen

 

Wohl galt Richard Wagners Interesse bis zu seinem Tode dem anderen Geschlecht und der Sexualität, die er wohl eher als Eros bezeichnet hätte, denn seine letzte, unvollendet gebliebene Arbeit war ein Aufsatz über Das Weibliche im Menschlichen. Nicht nur diese Tatsache hat den dänischen Autor, Rechtsanwalt und Übersetzer Henrik Nebelong in seinem Buch Liebesverbot! Sex und Antisex in Wagners Dramen (2013 erstmals in Dänisch und nun bei der Dresdner Edition Freiberg) zu den recht apodiktischen Ausführungen über des Komponisten Opern veranlasst, die darin gipfeln, dass trotz des alles andere aussagenden Librettos zum Parsifal im Gral das weibliche und im Speer das männliche Geschlechtsorgan zu sehen seien. Letzteres begegnet uns auch im plötzlich mit frischem Grün bedeckten Stab des Papstes in Tannhäuser. Dem aufmerksamen Leser hätte bereits beim Titel auffallen müssen, dass das Ausrufezeichen, die Vokabel „Sex“ in diesem Zusammenhang und der Begriff Drama anstelle von Oper oder Musikdrama ein besonderes Buch über Wagner erwarten lassen. Sympathisch berührt es allemal, dass der Verfasser sich selbst zur Einseitigkeit seiner Betrachtungsweise bekennt, dass er die seine als nur eine unter anderen möglichen ansieht.

Die Wagner-Kenner nicht überraschende Essenz des Buches besteht darin, dass nach Meinung des Autors alle Werke Wagners die Sexualität zum Thema haben, was als etwas Revolutionäres angesehen wird. Allerdings scheint in dieser Hinsicht Wagner so umstürzlerisch nicht zu sein, denn ersetzt man Sex durch Liebe, dann wird klar, dass es auch vor Wagner kaum eine Oper gab, in der dieses Thema nicht im Mittelpunkt stand, allerdings die Widerstände, die sich der Liebeserfüllung entgegenstellen, bei Wagner durchaus Überraschendes bieten. Nebelong sieht in Wagners Werk durchgehend vom Puppenspiel Leubold und Adelaide bis zum Parsifal den roten Faden, dass hier Biographisches verarbeitet wurde: die verbotene Liebe zur Schwester Rosalie, die sich in Sieglinde oder Elisabeth, und zu Mathilde Wesendonck als Protagonistin, die sich in Isolde wiederfindet, also das Liebesverbot darstellt. Das Thema Inzest sieht er auch im Verhältnis oder eher Nichtverhältnis zwischen Parsifal und Kundry, die zugleich Herzeleide ist. Auch in der Liebe Irenes zu ihrem Bruder Rienzi entdeckt der Autor inzestuöse Züge. Immer wieder kehrt auch der fordernde oder verbietende Vater als Bühnenfigur auf, das zweite Motiv, das eigentlich, betrachtet man das Verhältnis Wagners zu seinem Stiefvater, sich nicht auf biographische Hintergründe stützen kann, und außerdem König Marke, der als ein Beispiel angeführt wird, nicht in dieses Schema passt. Aber neu ist dies alles nicht!

Der Autor betont mehrfach, dass Wagner ein Meister des Symbolismus, Vollender der Romantik sei, deshalb auch die Libretti nicht wörtlich zu nehmen seien. Andererseits werden immer wieder Parallelen zwischen der Handlung der Opern und Geschehnissen in Wagners Leben aufgezeigt, so wenn er die Frage Siegfrieds nach dem Aussehen seines Vaters Wagner selbst zuordnet, von dessen früh verstorbenem wahrscheinlichem Erzeuger es kein Konterfei gab. Auch weiß er den weiblichen Bühnenfiguren durchaus Vorbilder aus Wagners Biographie zuzuweisen, so Minna als verführerische Venus darzustellen. Wenn der Autor allerdings meint, Wagner sei der erste Komponist, der als sein eigener Librettist einen großen Wert auf „den Blick von innen“ auf das Werk legte, dann wertet er wohl einen Künstler wie Verdi ab, dessen Ringen um geeignete Libretti bekannt ist.

Ausführlich wird auch auf die frühen Werke Wagners eingegangen, die sämtlich zumindest auf eines der drei Themen verbotene Liebe (oder Verzicht auf die irdische zugunsten einer „himmlischen“ Liebe), Inzest und verschollener, aber trotzdem präsenter Vater zurückgehen. Bei den späteren Werken ist es dem Autor hoch anzurechnen, dass es auch Interpretationen der Musik, gestützt auf einen umfangreichen Notenanteil am Schluss des Buches, gibt. Ein aufschlussreicher Anmerkungsteil und ein Literaturverzeichnis vervollständigen das Buch. Ist Lohengrin wirklich Gottfried, der mit Elsa schlafen will? Nicht jedem Leser wird diese Möglichkeit einleuchten, und der Autor findet für seine Deutung selbst das Hindernis in dem gleichzeitigen Erscheinen beider auf der Bühne. Die Unvereinbarkeit von „normalem Eheleben mit einer künstlerischen Berufung“ dürfte nicht das grundsätzliche Problem für den Gralsritter sein. Wie bei Lohengrin gibt es auch bei den Interpretationen der anderen Werke Richard Wagners interessante und bedenkenswerte Ansichten und solche, die dem Wunsch des Autors entsprungen zu sein scheinen, auf Teufel komm heraus Sexuelles in den oben genannten Formen auszumachen. So ist der gestrichene Vers aus der Gralserzählung sicherlich sehr

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aufschlussreich. Dem historisch Gebildeten wird auffallen, dass Nebelong eine „gerechte“ Einschätzung der Wartburggesellschaft schwer fällt; auch dürfte, wenn man an des Landgrafen Worte zu Elisabeth denkt, „kalt und heuchlerisch“ nicht die angemessene Einschätzung sein.

Das Buch ist chronologisch aufgebaut, und so steht das Kapitel „Siegfrieds Tod“ weit vor dem über den Ring. Verdienstvoll ist hier die Gegenüberstellung mit der Götterdämmerung, sehr knapp fällt später der Vergleich zwischen marxistischer und psychologischer, das heißt Wagners, Betrachtungsweise aus. Mit dem Ring sieht der Verfasser einen Wandel in Wagners Wertung des Liebesverzichts. Leitete dieser den Mann zunächst in höhere Gefilde des Daseins, so führt er ihn nun zum Machterwerb. Natürlich bieten sich für die Intentionen des Autors viele bisher vernachlässigte Deutungen an wie der Feuerkranz um den Felsen als Vagina, ein Ödipuskomplex für Siegfried, Brünnhilde, die Siegfried nicht lieben, sondern besitzen will, eine völlige Demontage der Siegfriedfigur. Wenn allerdings davon ausgegangen wird, dass Sieglinde und Siegmund wie Siegfried und Brünnhilde ihre erotische Liebe im Jenseits ausleben können, fragt man sich, wo das denn nach der Zerstörung Walhalls stattfinden könnte. Die Begeisterung für seinen Stoff und dessen Deutung lässt den Autor manchmal über ein im Bereich des Möglichen liegendes Ziel hinausschießen. Anders sieht es wohl mit dem „doppelten Selbstportrait“ aus, das Wagner im Liebe und Kunst miteinander verbindenden Stolzing wie im sublimierenden Sachs entworfen haben könnte. Der Ring der Rezension schließt sich mit Parsifal, in dessen dritten ( nicht zweiten Akt, wie es im Buch steht) Akt ein „symbolischer Sexualritus“ vollzogen werden soll mit der Zusammenführung von Schale und Speer. Und weil dem Verfasser dann auch einmal der hohe Anspruch seines Werks zu viel wird, gibt es Sätze wie: „Der Held hat Wichtigeres zu tun, als bei seiner neugierigen Gattin zu bleiben“, was sich allerdings auf Sohn Lohengrin bezieht. Das Buch endet mit Fragen, was immer ein gutes Zeichen ist, und es gibt dem Leser viele Anregungen, sich mit Wagner zu beschäftigen, dem Autor zuzustimmen oder ganz anderer Meinung zu sein (Edition Freiberg; ISBN 978-3-943377-46-0). Ingrid Wanja

Henrik Nebelong/Foto Edition FreibergZu Henrik Nebelong (Foto vom Umschlag der Edition Freiuberg) heißt es im Klappentext: „Der Autor Henrik Nebelong (geb. 1944 in Kopenhagen) ist Rechtsanwalt und war bis 2006 Seniorpartner in einer Dänisch-Deutschen Anwaltskanzlei mit Niederlassungen in Kopenhagen und Berlin. Er war 1999 – 2000 Chef de Mission für Avocats sans Frontières in Kosowo. Nebelong hat vom Fliegenden Holländer bis zum Parsifal sämtliche Musikdramen Wagners ins Dänische übersetzt und kommentiert. Sein 2008 erschienenes Werk Richard Wagner: Liv. Værk. Politik. (R.W.: Leben. Werk. Politik.) ist die erste große dänische Wagnerbiografie seit einem Jahrhundert. Liebesverbot! Sex und Antisex in Wagners Dramen ist sein erstes Buch auf Deutsch.“

Details zum Verlag und zum Autor im Internet zu finden erfordert eine Pfadfinderausbildung. Über Henrik Nebelong gibt es einige Artikel in Dänisch aus jüngerer Zeit anlässlich seiner Beschäftigung mit Wagner, die sich in einer Reihe von dänischsprachigen Büchern niedergeschlagen hat. Die in Dresden angesiedelte Edition Freiberg ist nur mit einem heraldischen Wappen auf ihrer Website vertreten – ein Sortiment ihrer Bücher muss zusammengesucht werden. Das reicht von „Verschenkte Gefühle“ und „Die Gedanken sind frei“ von Erika Seidenbecher bis zu Kyril Wasows „Lehre zum Elektroniker an der Bergakademie Freiberg“. Sich selbst bezeichnet die Edition Freiberg als den „Verlag für junge Autoren und Junggebliebene“.

Das Nachfolgende findet sich auch auf der website der Dänischen Botschaft Berlin, wo der Autor am 22. Juni 2015 – neben anderen Locations, so am 01. August 2015 in Bayreuth in der Markgräflichen Buchhandlung – eine Lesung gab: „Liebesverbot! – Sex und Antisex in Wagners Dramen: Richard Wagner war nicht allein ein großer Komponist. Er war auch ein großer Dramatiker. Sex ist ein durchgängiges Thema in seinen Werken. Wagner sieht die sexuelle Begierde mal als bindende Kraft, mal als eine peinigende Verbannung. In seiner Werken nimmt er den Kampf mit der Bigotterie der bürgerlichen Gesellschaft und seinen eigenen auf einmalige, originelle Weise auf. In symbolhafter und häufig surrealer Formsprache. In „Liebesverbot!“ sammelt der dänische Wagner-Kenner Henrik Nebelong die Fäden seiner lebenslangen Wagner-Analysen zusammen. Das Programm wird begleitet durch Wagner Stücke der Pianistin Natalia Volchenko. Der Abend wurde in Zusammenarbeit mit dem Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg e.V. organisiert.“ (Wenn Sie Fragen zu „Liebesverbot! – Sex und Antisex in Wagners Dramen | Lesung mit Musik“ haben, wenden Sie sich an KÖNIGLICH DÄNISCHE BOTSCHAFT BERLIN – Nordische Botschaften Felleshus.)

Homestory mit Suchtfaktor

 

Diese Musik strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Alles, was an der Symphonia Domestica von Anfang an bemängelt wurde, kann auch zu ihren Gunsten ausgelegt werden. Einer der ersten und prominentesten Kritiker war der französische Schriftsteller und Weltbürger Romain Rolland. Sein Einwand nach der Uraufführung 1904, Strauss habe sich wieder nur mit der eigenen Person beschäftigt, geistert seither durch die Literatur und hat auch Eingang ins Booklet zu einer neuen Einspielung unter Marek Janowski gefunden. Sie ist beim Label Pentatone erschienen, einem Zusammenschluss von Deutschlandradio Kultur, Rundfunk-Sinfonieorchester und Rundfunkchor Berlin (PTC 5186 507). Übrigens hatte Strauss auf den Einwand von Rolland sehr gelassen reagiert: „Ich sehe nicht ein, warum ich keine Sinfonie auf mich machen sollte. Ich finde mich ebenso interessant wie Napoleon und Alexander. Beide Sätze sind in die Musikgeschichte eingegangen.

Strauss gewährte mit dem Werk tatsächlich Einblicke in seine Familienleben, eine Art musikalische Homestory, wie sie heutzutage gern in Zeitungen und im Fernsehen angeboten werden. Insofern empfinde ich dieses Werk als durchaus modern und zeitgemäß. Als Arbeitstitel ist „Mein Heim. Ein sinfonisches Selbst- und Familienporträt“ überliefert.“ Alle Mitwirkenden sind mit einem eigenen Thema versehen. Der Komponist widmete die Symphonia seiner „lieben Frau und unserem Jungen“. Dazu passt das wunderbare Foto der Familie auf dem Cover. Es dürfte um 1905 entstanden sein und gleicht in Arrangement und Kolorit einem Jugendstilkunstwerk. Rolland riet Strauss brieflich, das Werk doch ohne Programm aufzuführen. Darauf entgegnete Strauss, wer „wirklich Musik zu hören verstehe, brauche es wahrscheinlich gar nicht“. Im Booklet ist das alles nachzulesen. Strauss dürfte Recht behalten haben. Vom ursprünglichen Drum und Dran ist nur mehr der Titel übrig geblieben. Die Musikwissenschaft rümpft gelegentlich noch immer die Nase. Ungeachtet dessen setzte sich das Stück durch, erscheint regelmäßig auf Konzertprogrammen und wurde oft eingespielt. Kaum ein Dirigent hat einen Bogen darum geschlagen, selbst Furtwängler nicht. Aktuell sind viel mehr als zwanzig verschiedene Einspielungen auf dem Markt.

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Nun also die von Janowski geleitete Produktion. Der Chef des Rundfunk-Sinfonieorchesters hat sich in jüngster Zeit verstärkt mit Strauss beschäftigt und in Berlin auch Elektra und Daphne konzertant aufgeführt. Seine Interpretation empfiehlt sich allein schon durch das betörende Klangbild. So schön kann Musik von der CD klingen – wenn es denn eine so genannte Hybrid Multichannel SACD ist. Bei diesem Aufnahmeverfahren wird eine höhere digitale Auflösung des Audiosignals verwendet als bei der herkömmlichen Audio-CD. Raumklang lässt sich ohne Datenreduktion speichern. Das Ergebnis ist noch genauer, noch detailreicher, noch differenzierter. Für die Klangfarben von Strauss nahezu ideal. Nur ersetzt auch das ausgebuffteste technische Verfahren nicht den Mann am Pult und sein Orchester, das ebenfalls aus Menschen besteht. Sie müssen sich aber darüber im Klaren sein, was möglich ist bei der Aufnahme. Janowski spart nicht mit Pathos, poltert, wo es etwas zu poltern gibt, kann ironisch sein und kostet die idyllischen Momente genüsslich aus. Unter seinen Händen gerät das Stück zu blankem Genuss mit Suchtfaktor.

Ergänzt wird das Programm mit dem Poem für Männerchor und Orchester Die Tageszeiten aus dem Jahr 1927, mit dem Janowski, sein Orchester und der der Rundfunkchor Berlin auch nicht allein sind auf dem Markt. Es verwendet Verse von Joseph von Eichendorff und wurde vom Wiener Schubertbund in Auftrag gegeben. Dem Vernehmen nach soll sich Strauss zunächst an der gewünschten Textauswahl gestoßen haben, weil wenige sich einige Jahre zuvor Hans Pfitzner für seine Kantate Von deutscher Seele ebenfalls bei Eichendorff bedient hatte. Umso verwunderlicher ist es, dass dem einleitenden originalen Gedicht Der Morgen noch der kleine Vers „Wenn der Hahn kräht“ vorangestellt ist, der sich bei Pfitzner auch findet. Ansonsten gibt es keine textlichen Überschneidungen. Der Zyklus ist Spätromantik vom Feinsten und nimmt Stimmungen vorweg, die erst viel später im Gesang der Wächter in der Frau ohne Schatten, in Daphne oder in den Vier letzten Liedern aufklingen. Rüdiger Winter

Diebisches Paar

 

Nicht die elektronische Steuererklärung verursacht im Melodramma La gazza ladra die Turbulenzen, welche die arme Ninetta an den Rand des Schafotts führen, sondern der Vogel, der sich besonders von glänzenden Gegenständen angezogen zeigt, eine Eigenschaft, die Rossini in eben jener „Diebischen Elster“ sozusagen als Hobby-Ornithologe auf die Bühnenbühne brachte. Die Elster musste Federn lassen, übrig geblieben ist nur die schmissige Militärouvertüre. Als das Rossini Opera Festival 1980 ausgerechnet mit der 1817 uraufgeführten Oper seine Tätigkeit ausnahm, hätte man dem Unternehmen in Rossinis Geburtsort an der Adria kaum Erfolg vorhergesagt. Schienen nicht die bald folgenden La donna del lago, Tancredi, Mosè in Egitto, Maometto Secondo, Bianca e Falliero, Ermione und Otello wichtiger? Ähnliches Erstaunen löste nur der Viaggio aus, die sich fast zu einem Repertoirestück entwickelt hat. Der nachhaltige Einfluss des Stückes ging erst später auf. Ich brauchte auch zwei Anläufe, um mich mit der Gazza ladra anzufreunden, mit der Länge und der unentwegten Folge von Arien und Ensembles, die dem wagnerlangen Zweiakter den gewichtigen Umfang einer Seria geben. Im zweiten Pesaro-Jahr hatte Alberto Zedda, damals quasi noch ein Youngster, die Leitung des Werkes übernommen (die Produktion von 1989 unter Gelmetti wurde dann von Sony mitgeschnitten), und als kundiger Stratege durch das Dorf und den sonderbaren Justizfall geführt, der die ländliche Heiterkeit und Komödiantik mit einen Trauerrand versah, eine echte Semiseria, in der ein unschuldig des Diebstahls bezichtigtes Mädchen zur tragischen Heldin wird und die Mechanismen der Buffa und Seria und Gesellschaftsschranken aufgehoben werden: Die einfachen Menschen, die bislang komisch zu sein hatten, erleiden tragische Schicksale, die Menschen von Stand können hinterhältig und böse sein.

Zum 20jährigen Bestehen schenkte sich Rossini in Wildbad 2009 auch diese Diebische Elster und holte sich für die etwas prominenter aufpolierte und klanglich ausgezeichnete CD-Einspielung (Naxos 8.660369-71) den zuvor schon mehrfach ins Schwarzwaldtal gekommenen Alberto Zedda. Altmeister Zedda, Geburtsjahr 1923, erzählt die harmlose Begebenheit mit der ihm eigenen liebevollen Eloquenz, dass die nach der von den Virtuosi Brunensis hinreichend prickelnd gespielten Sinfonia schablonenhafte Introduzione bereits zu einem Dorffest gerät. Elegant verflechten sich die Ensembles, die Solopassagen und Chornummern, dabei leicht und gewitzt, wie in einem Ballett von Bournonville, in dem Luisa Islam-Ali-Zade mit ihrem tiefdunkel runden, lebensprallen Mezzosopran als Mutter Lucia gleich zu Begin Akzente setzt.

Es braucht seine Zeit, bis Nanetta vom Vorwurf des Diebstahls freigesprochen wird. Das ganze Dorf ist in dieser angeblich auf einer wahren Begebenheit basierenden Geschichte eingespannt, bis alle vom fahrenden Händler Isacco (Stefan Cifoletti), dem als Hosenrolle angelegten Bauernburschen Pippo (Mariana Rewerski), dem Pächterehepaar Lucia und Fabrizio und deren Sohn und Ninettas künftiger Gatte Giannetto bis zu Ninettas desertiertem Vater Fernando und dem fies-lüsternen Bürgermeister ihre Arien gesungen haben. Kenneth Tarver wirkt als Kriegsheimkehrer Giannetto in „Vieni fra queste braccia“ noch etwas befangen, die schöne Tenorstimme etwas grobkörnig, doch bereits im ersten Finale verzaubert er durch federnde Leichtigkeit. Bruno Pratico singt den zerlumpten Soldaten Fernando, Ninettas Vater, mit akzentuierter Wortbehandlung, wenn auch nicht mehr mit früherer Tonfülle, Lorenzo Regazzo ist als Podesta Gottardo, für den ihm eine bisschen die runde Tiefe fehlt, ohne Fehl und Tadel; freilich sollte man nicht an Furlanetto und Ramey bei Gelmetti denken, wie denn überhaupt damals einige Partien einfach glanzvoller besetzt waren, doch wie schließlich Ninettas Unschuld über alle Intrigen und Unterstellungen triumphiert, zählt letztlich der glückliche Gesamteindruck, das Lächeln, das Zedda allen Mitwirkenden in die Stimme zaubert. Natürlich auch María José Moreno, die in ihrer Auftrittsarie noch etwas unpersönlich wirkt, doch bereits im Duett mit dem Vater voll zarter Sopranfülle agiert und unter den Klängen des Trauermarschs glaubwürdig vermittelt, wie aus der zwitschernden Dienstmagd eine würdevoll das Schafott beschreitende Königin wird.   Rolf Fath

 

"La gazza ladra" an der Oper Frankfurt und nun bei Oehms Classics: Sophie Bevan (Ninetta), Federico Sacchi (Fabrizio Vingradito) © Wolfgang Runkel

„La gazza ladra“ an der Oper Frankfurt und nun bei Oehms Classics: Sophie Bevan (Ninetta), Federico Sacchi (Fabrizio Vingradito) © Wolfgang Runkel

Regelmäßig veröffentlicht die Frankfurter Oper Aufnahmen aus ihrem Repertoire, mal als CD und DVD wie den Ring, ansonsten lediglich als CD, allerdings stets ausgestattet mit einem reichhaltigen Booklet, das auch viele Farbfotos enthält. Ersetzen können die natürlich den optischen und damit den Gesamtgenuss an einer Oper nicht, vor allem dann nicht, wenn man dort zwar eine zweisprachige Inhaltsangebe findet, nicht aber ein Libretto, das gerade bei weniger bekannten Werken wie bei der vorliegenden La gazza ladra  von Rossini unverzichtbar erscheint. Irreführend ist auch, dass bei den einzelnen Tracks fast immer nur der als Erster seine Stimme Erhebene genannt wird, da tröstet es auch nicht, dass die Sängerbiographien sehr ausführlich sind. Man hätte die Oper auch auf zwei CDs unterbringen können, ist mit drei Silberscheiben also großzügig verfahren, da hätte doch auch eine DVD möglich sein müssen. Die CD stammt von der Premierenserie im April 2014.

So recht bekannt, ja wunschkonzertverdächtig, ist nur die Sinfonia, die unter Henrik Nánási, zur Zeit noch Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin, soviel militärische Straffheit wie graziöse Gewandtheit hören lässt, elegant auf den Höhe- und Schlusspunkt hin voran getrieben wird, was jeweils auch in den Finali aufs Beste gelingt. Ausgerechnet der Sänger mit dem bekanntesten Namen erweist sich dann als der Schwachpunkt de insgesamt guten Besetzung. Jonathan Lemalu, den man als samtweichen, tiefschwarzen Bass einst kennen gelernt hatte, tritt hier als Fernando Villabella, Vater der als ladra beschuldigten Ninetta mit dumpfer, belegt klingender und schwergängiger Stimme auf. Die Tochter hingegen, weitaus weniger bekannt, kann mit der lyrischen Sopranstimme von Sophie Bevan vom ersten Ton an für sich und ihre Partie einnehmen, geschmeidig und sanft auch in der Höhe klingend, vermag sie die jeweilige Gemütslage zwischen Verzweiflung und Freude, Erschrecken und Erleichterung allein durch den Stimmklang deutlich machen. Ein Gewinn für die Aufführung ist auch Katarina Leoson, die mit sattem Mezzo ihre schöne Arie fast am Schluss der Oper als Lucia für  einen glanzvollen Auftritt nutzt und sich auch gegenüber dem Chor behaupten kann. Einen angenehm timbrierten Bass hat Federico Sacchi für den Fabrizio, ihren Gatten, während der Sohn Giannetto von Francisco Brito mit recht weißem Tenor und zum Falsettieren neigend, aber mit guter Technik vor allem im Finale des 1. Akts gefallen kann.  Ein jungenhaftes Timbre besitzt Alexandra Kadurina für den hilfsbereiten Pippo, einen gern zum Chargieren eingesetzten Charaktertenor Nicky Spence für den Händler Isacco. Der Ninetta nachstellende Gottardo Podestà wird von Kihwan Sim mit farbigem, gut konturiertem Bass gesungen, so wie auch der Giudice von Carlos Krause markant genug für sein Amt klingt. Für die kleine Partie des Kerkemeisters hat Miachael McCown einen hübschen Tenor (Oehms OC 961). Ingrid Wanja

Alan Curtis

 

Zu meinem sehr großen Bedauern hörten wir vom Tod des bedeutenden Dirigenten und Cembalisten Alan Curtis, der am Mittwoch, 15. Juli 2015, verstarb. Die Begegnungen mit diesem humorvollen langbeinigen Exil-Amerikaner gehören zu den herausragenden meines Lebens. Er hatte einen ganz eigenen Humor, war ein leidenschaftlicher Musikwissenschaftler und dazu ein Dirigent des saftigen, diesseitigen Klanges, der seine Sängerinnen ebenso mochte wie die schönen Seiten eines Lebens, das er immer mehr nach Italien verlagerte. Namentlich in Innsbruck, vorher in den USA, erlebte ich ihn als absolut diesseitigen Grand-seigneur, stets elegant gekleidet, sein fesches Bärtchen und seine schmunzelnden Augen als sein optisches Markenzeichen. Er war für mich in seiner Generation einer der ersten lustvollen Barockdirigenten, der sehr früh schon mit den seltenen Titeln überraschte und für Amerika Händel und Cavalli neben Monteverdi entdeckte und diese mit nach Europa brachte. Seine Aufnahmen erst bei Cambridge und RCA, später bei der Deutschen Grammophon, naive und anderen Firmen zählen zu den Meilensteinen der barocken Diskothek (namentlich die jüngsten Vivaldi-Einspielungen). Zu seinen letzten Projekten zählte Cherubinis Médée am Theater Ulm, worüber wir in operalounge berichteten und sein Interview mit Heiko Cullmann brachten.Sein Tod ist wirklich ein großer Verlust. G. H.

Alan Curtis, US-amerikanischer Cembalist, Musikwissenschaftler und Dirigent, starb am 15. Juli 2015  im Alter von 80 Jahren in seiner Wahlheimat Italien. Das von ihm gegründete Orchester „Il complesso barocco“ leitete er bis zuletzt. Der aus Michigan stammende Curtis studierte in Amsterdam bei Gustav Leonhardt. Er galt schon zu Studienzeiten als erster moderner Cembalist, der Werke von Louis Couperin oder auch Opern von Monteverdi und Rameau auf historischen Instrumenten interpretierte. Als Cembalist veröffentlichte er einige Soloaufnahmen, darunter auch J.S. Bachs „Goldbergvariationen“. Auch mit seinem Ensemble „Il complesso barocco“ realisierte er zahlreiche Aufnahmen, viele davon mit Musik von Georg Friedrich Händel. Alan Curtis war einer der Ersten, die die Opern Händels kritisch bearbeiteten, und einer der wichtigsten Bahnbrecher der Händel-Forschung. „Seine Opern bieten komplexe psychologische Strukturen. Früher dachte man immer, dass Händel nur nette Musik komponiert habe, doch er war ein Meister darin, tiefe Gefühle in Musik auszudrücken.“ Am 15. Juli 2015 ist Alan Curtis in Florenz gestorben. Die amerikanische Mezzosopranistin Joyce DiDonato wird mit den Worten zitiert, sie kenne niemanden, der Musik mehr geliebt habe als Alan Curtis. (BR)

Dazu auch Wikipedia:  Alan Curtis (* 17. November 1934 in Mason, Michigan; † 15. Juli 2015 in Florenz) war ein US-amerikanischer Cembalist, Musikwissenschaftler und Dirigent von Barock-Opern. 1977 gründete er das Orchester Il complesso barocco, welches er bis zuletzt leitete. Alan Curtis studierte 1957 bis 1959 in Amsterdam bei Gustav Leonhardt, mit dem er mehrere Bach-Konzerte für Cembali aufführte. An der University of Illinois promovierte er 1960 mit einer Dissertation über die Orgelmusik von Sweelinck. Noch als Student galt er als der erste moderne Cembalist, der die Werke von Louis Couperin und die Opern von Komponisten wie Monteverdi und Rameau mit historischen Instrumenten adäquat darstellen konnte. Platten, die er in den 1960er und 1970er Jahren herausbrachte, enthalten Solo-Klaviermusik, von Rameau und Bach. 1977 gestaltete er den erfolgreichen Versuch in einer konzertanten Aufführung von Händels Oper Admeto das Händelsche Opern-Orchester wieder zu beleben, einschließlich der Nutzung der Theorbe, der Chitarrone und des chromatischen Cembalos. Anschließend wirkte er mehrfach als Dirigent bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Curtis war der Leiter des 1977 durch ihn gegründeten Barockorchesters Il complesso barocco. An der Wiener Kammeroper, seit 2012 zweites Haus des Theaters an der Wien, feierte der Bach Consort Wien unter Leitung von Alan Curtis im Herbst 2013 mit der szenischen Wiederentdeckung von Leonardo Vincis Semiramide einen großen Erfolg.

Alan Curtis/ Screenshot aus Trailer zu DG-Alcina/youtube

Der einsame Held

 

Jon Vickers ist tot. Er starb am 11. Juli 2015 in seiner kanadischen Heimat. Vickers litt an Alzheimer. Seine Familie hat das nicht verschwiegen. Ich hole mir wieder seine Aufnahmen hervor. Dazu muss ich auf die Knie gehen. Denn Vickers steht ganz unten im Regal, weil sein Name mit V beginnt. Ich tue es gern, weil es mir eine angemessene Körperhaltung scheint, seinem Andenken zu huldigen. Seit langem denke ich immer über ein anderes Ordnungsprinzip nach. Jene Sänger, die mir wichtig sind, müssen endlich weiter nach oben, auf Augenhöhe. Jetzt wird mir wieder klar, wie sinnvoll das wäre. Einer wie Vickers gehört nicht ins Souterrain. Was also wieder hören? Siegmund, Tristan, Énée, Samson? Oder doch lieber den Messiah? Auch den Gerontios von Elgar habe ich mir lange nicht vorgenommen, die Winterreise ebenfalls nicht. Ich höre Schumanns Dichterliebe. In deutscher Sprache, mitgeschnitten bei einem Konzert 1967 in New York. Genau danach ist mir. Wieder staune ich, wie flexibel dieser Tenor mit seiner voluminösen Stimme umgehen konnte. Er nimmt sich ganz zurück, dreht die Stimme zu Flüstertönen herunter, macht sie so zart und zerbrechlich, dass aus Musik Farbe wird. Ist das nun Poesie oder Technik? Es wird wohl eine Mischung aus beidem sein. Zumindest ist dieses lyrische Vermögen bei Vickers umso erstaunlicher, weil der Sänger ja eher mit dem hochdramatischen Fach in Verbindung gebracht wird. Seine Ausbrüche ließen die größten Häuser erschüttern. Schumann ist davon weit entfernt. Er geht nach innen, nicht nach außen.

Diese CD mit italienischen Arien, jetzt beim Label VAI, trug zum Ruhm des Sängers entscheidend bei.

Diese ehemalige RCA-CD mit italienischen Arien, jetzt beim Label VAI, trug zum Ruhm des Sängers entscheidend bei.

Ich schätzte Vickers über die Maßen. Nicht sofort und auf Anhieb war das so – aber mit der Zeit immer stärker. Warum? Weil er seinen Rollen ein unverwechselbares Siegel einbrannte, sich nicht um Vorbilder scherte und immer aufs Ganze ging. Ich höre da einen unbeugsamen Willen, mit dem er sich in den Mittelpunkt jeder Aufnahme oder Aufführung zu singen versuchte. Das macht ihn nicht immer sympathisch. Seine Partnerinnen und Partner hatten es gewiss schwer, dagegen anzusingen, mit etwas Gleichwertigem aufzuwarten. Gleichwertig im Sinne von Ekstase, Individualität, Unverwechselbarkeit und eiserner Entschlossenheit. Schöngesang allein konnte ihn nicht ausstechen. Es mussten andere Kaliber sein. Vielleicht war ihm ja nur die Callas gewachsen. Sie soll ihn sehr geschätzt haben. Beide sind mehrfach gemeinsam in der italienischen Fassung von Cherubinis Medea aufgetreten. 1958 in Dallas, 1959 in London, 1961 an der Mailänder Scala. Davon sind Mitschnitte erhalten.

Otello ist von Desdemonas Untreue besessen - Screenshot aus dem Film.

Otello ist von Desdemonas Untreue besessen – Screenshot aus dem Film von Herbert von Karajan.

Vickers stand damals am Anfang seiner internationalen Karrieren, die 1957 mit Gustavo in Verdis Ballo in maschera in Covent Garden begonnen hatte. Erst fünf Jahre später gelangte ein Mitschnitt ins Radio, der inzwischen auf CD in der Heritage Series des Royal Opera House herausgekommen ist. Vickers, den ich nur von seinen Aufnahmen kenne, sticht immer heraus. Ein Ton genügt. Noch bevor man zur Kenntnis genommen hat, wer noch mitsingt, Vickers ist schon da. Manchmal kommt es mir vor, als sei er zu egoistisch gewesen im Ensemble, habe auf seine Partner nicht genug Rücksicht genommen. Er ist mehr Solist und Einzelkämpfer denn jemand, der sich harmonisch in eine Szene einordnet, in der mehrere gleichzeitig singend zusammenwachsen. Selbst bei Duetten gibt es diese Neigung, sich selbstständig zu machen. In Wahrheit dürfte er nicht anders gekonnt haben. Seine Wucht der Interpretation ist raumverdrängend. In den dramatischen Steigerungen wie in der Zurücknahme. Es ist immer hundert Prozent Vickers. Nie weniger. Allenfalls mehr.

Otello mit Mirella Freni als Desdemona – für die Unitel-DG von Herbert von Karajan in Szene gesetzt.

Wenn ich an Vickers denke, denke ich an seinen Tristan, an die letzten Minuten des zweiten Aufzuges – wenn der ratlose Marke am Ende seiner berühmten Klage dem “geheimnisvollen Grund“, nachsinnt, warum Tristan ausgerechnet ihn verriet. Und jetzt kommt es: „O König, das kann ich dir nicht sagen / und was du frägst, das kannst du nie erfahren. / Wohin nun Tristan scheidet / willst du, Isold’, ihm folgen? / Es ist das dunkel / nächt’ge Land / daraus die Mutter mich entstand…“ Für mich muss es die EMI-Studioproduktion unter Herbert von Karajan von 1972 sein. Alle anderen Aufnahmen – es gibt an die zehn Mitschnitte – kommen da nicht heran. Sie allein schafft es, dass das Werk genau an der Stelle ins Transzendentale abhebt. Zumindest habe ich es immer so empfunden. Ich kenne und höre keine Isolde, die ihm gleichwertig gewesen ist. Birgit Nilsson war es allenfalls durch stimmliches Volumen, Kraft und Ausdauer. Beide waren gut aufeinander eingespielt. Ins Land, das Tristan meint, in dem der Sonne Licht nicht scheint, vermochte sie ihm nicht zu folgen. Von Helga Dernesch, Gwyneth Jones, Janis Martin, Berit Lindholm, Janice Yoes oder Roberta Knie ganz zu schweigen. Vickers bleibt stets einsam und auf sich gestellt. Ohne Zweifel wäre ihm vielleicht die Mödl in ihren besten Jahren als Isolde gewachsen gewesen. Was seine Anhänger schätzen an seinem Tristan, störte seine Kritiker, für die er zu brachial gewesen ist. Einen Weg dazwischen findet der englische Komponist Robin Holloway, den Jürgen Kesting in seinem Standardwerk über die großen Sänger zitiert: „Er ist absolut authentisch und auf extreme Weise schmerzlich – das Rasen eines verwundeten Tieres, was Melchior sein könnte, wäre er nicht so ununterdrückbar gutgelaunt.“ Es könne nicht den geringsten Zweifel geben am Rand dieser Tour de force, aber es bleibe ein Extrem – etwas Einzigartiges, als ob die Geschichte dieses eine Mal wahr wäre. Und nun der entscheidende Satz: „Ich kann keinen höheren Tribut zollen; aber ich möchte das nie wieder hören müssen.“ Das sitzt. In ihrer Zuspitzung ist das eine der treffendsten Äußerungen über Vickers, die ich kenne.

Das große Foto oben ist ein Screnshot auf der Pagliacci-Verfilmung unter der Leitung von Karajan.

Das Foto oben ist ein Screenshot aus der „Pagliacci“-Verfilmung unter der Leitung von Karajan bei Unitel-DG

Selbst kam ich über Umwege zu Vickers. Er ist – so meine Erfahrung – nichts für junge Ohren. Nachdem ich mich an Windgassen und Melchior gewöhnt hatte, die doch immer auch so schön singen, brachte jener mein ganz persönliches Weltbild vom Wagnergesang ins Wanken. Er holte mich heraus aus dem Elfenbeinturm des Vorgefassten und eröffnete mir eine viel tiefer gehende Vorstellung künstlerischer Gestaltungsmöglichkeiten. Vickers verunsicherte mich. Er lehrte mich, dass Zuhören mitunter sehr unbequem sein kann. Ich fühle mich bei ihm immer genötigt, über das, was ich gerade gehört habe, nachzudenken oder mit Gleichgesinnten zu diskutieren. Das Letzte, was er mir vermittelte, ist Genuss. Ich finde ihn anstrengend. Er taugt nicht zur Projektionsfläche und ist kein gefundenes Fressen für Fanclubs.

Menschen, die Opern hören und sich mit Sängern gut auskennen, vergleichen gern. Sie wollen herausfinden, wer am besten ist. Dabei kommen ganz unterschiedliche Sachen heraus. Im dem Maße, wie solche Vergleiche Spaß machen, hinken sie. Manchmal kommt es mir so vor, als ob es gewisse Gemeinsamkeiten zwischen Vickers und Max Lorenz gibt. Sonst fiele mir niemand ein. Beide haben Tristan, Siegmund und Parsifal gesungen, auch Otello. Aus der Wiener Staatsoper hat sich von 1942 das so genannte Racheduett mit Lorenz und Mathieu Ahlersmeyer als Jago erhalten. Hinter dem Vorhang einer abenteuerlichen Akustik stürzt sich dieser Otello fast schon in selbstmörderischer Absicht hinunter in die Tiefen seiner Verzweiflung, und löst genau das aus, was Holloway über Vickers schreibt. Lorenz reißt so stark mit, dass man es fast nicht aushält und sich nur davor retten kann, dass man es nie wieder hört. Wie Lorenz ist Vickers der verletzte, der verwundete Held.

CD Walküre Leinsdorf Vickers

Der Siegmund in dieser DECCA-Studioproduktion der „Walküre“ gilt als eine der besten Leistungen von Vickers.

Vickers hat eine beachtliche Zahl von Tondokumenten hinterlassen, meistens Mitschnitte. Nicht alle sind ganz legal auf Tonträger gelangt. Mit sechzehn oder gar noch mehr Aufnahmen, ist der Siegmund in der Walküre Spitzenreiter. Meine Wahl fällt auf die Studioaufnahme der Decca unter Erich Leinsdorf von 1961. Das Pendent dazu ist der von Georg Solti geleitete Londoner Mitschnitt aus demselben Jahr, der erst kürzlich offizielle bei Testament herausgegeben wurde. Noch immer ist nachzuvollziehen, warum Vickers damals so aufhorchen hinterließ. Sein Porträt der Rolle, das so tief blicken lässt in die Seele eines Verfolgten, hat mit den Jahren nichts von seiner packenden Intensität verloren. Er verzichtet auf jedwedes Machogehabe. Beide Dokumente sind Vickers pur. Eine ganze Aufführungsserie von 1975 aus der Met ist darunter. Zweimal ist noch Birgit Nilsson die Sieglinde. Wagner vom Meter. Wer soll das alles hören? Wenngleich viele Sammlerherzen da höher schlagen. Gewiss. Aber macht es wirklich Sinn, wenn auch noch der so und so vielte Mitschnitt im heimischen Regal landet? Opern werden doch nicht aufgeführt, damit sich auch noch der hundertste Mitschnitt auf den Ramschtischen oder bei elektronischen Tauschbörsen wiederfindet.

Im Melodram „Enoch Arden“ von Richard Strauss, das bei VAI erschien, tritt Vickrs als Erzähler in Erscheinung.

Ich kann verstehen, wenn sich Sänger selbst nicht für ihre Aufnahmen interessieren und die Sammelei lieber ihren Fans überlassen. Mitschnitte dokumentieren in ihren Voyeurismus auch die Schwächen, Patzer, die Müdigkeit und den Überdruss, sich schon wieder ins selbe Kostüm zwängen zu müssen. Auch Vickers ist nicht einen Tag wie den anderen. Das macht ihn mir menschlich. Er kann an Grenzen kommen, zumal er ja auf diesen Tonbändern nicht zu sehen ist. Zuviel Vickers in schlechten Tagen ist der Verehrung abträglich. Ich kann ihn nur dosiert hören. Tristan und Isolde wurde schon erwähnt. Fidelio und Samson et Dalila  sind auch mehrfach vorhanden, Aida und Carmen ebenfalls. Bei diesen Werken neige ich letztlich zu den Aufnahmen im Studio, weil sie die überbordende Wucht und Raubeinigkeit dieses Tenors besser integrieren und – wenn nötig – abmildern. Hole ich mir nach einer gewissen Abstinenz mal wieder den Pagliacci-Film Karajans hervor, rührt mich dieser Canio in seiner selbstzerstörerischen Verzweiflung zu Tränen. Mehr noch als der Otello, ebenfalls von Karajan opulent in Szene gesetzt – im Vergleich mit dem unverwüstlichen Leoncavallo-Dauerbenner aber deutlich konservativer. Die Troyens von Berlioz unter Colin Davis bei Philips möchte ich nicht missen. Den Peter Grimes von Britten auch nicht. Vickers hat mit dazu beigetragen, dass diese Werke ihren Platz auf den Spielplänen gefunden haben, obwohl Tenöre in seiner Nachfolge beide Figuren weiter verfeinerten. Von Vickers sind Impulse ausgegangen.

The best of: Die EMI hatte auf dieser CD Ausschnitte aus diversen Aufnahmen zusammen gestellt.

The best of: Die EMI hatte auf dieser CD Ausschnitte aus diversen Aufnahmen zusammen gestellt.

Jetzt, nach seinem Tod, dürfte noch manches hinzukommen. So lehrt es die Erfahrung. Vielleicht der Duca in Rigoletto, der Ferrando in der Cosi oder der Alfred in der Fledermaus? Diese Rollen hat er auch gesungen in seiner frühen kanadischen Zeit, als er noch Zweifel hatte, ob er es je zu etwas bringen würde als Sänger. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Mitschnitte erhalten haben, zumal an den Produktionen auch der Rundfunk beteiligt war. In amerikanischen Sammlerkreisen soll sein Sergej in Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk von 1964 aus San Francisco mit Marie Collier in der Titelrolle kursieren. Etwas mehr Vielseitigkeit könnte der Vickers-Rezeption nicht schaden. Mit dem Laca in Jenufa brach er 1974 an der Met aus dem Kanon der traditionellen schweren Heldenpartien aus. An diesem Haus landete er 1978 noch einen ganz unerwarteten Coup mit dem Wenzel in der Verkauften Braut (in Englisch). Bei seinem Erscheinen schüttet sich das Publikum aus vor Lachen. Es ist ein trügerischer Spaß. Sobald Vickers nämlich den Mund aufmacht, wird einem selbst in diesem rein akustischen Dokument klar, dass es gar nichts zu lachen gab. Rüdiger Winter

Stürme in der Bretagne

 

Während einer Gewitternacht auf der bretonischen Insel Belle-Ile-en Mer, auf der sie aufgewachsen ist,  will der Mezzosopranistin Blandine Staskiewicz die Idee zu ihrer CD mit dem Titel Tempesta gekommen sein, die sie mit Les Ambassadeurs unter Alexis Kossenko verwirklicht hat. Tempesta-Arien im weitesten Sinn, von Naturschilderungen oder eher noch, wie im Barock üblich, von Naturerscheinung verwandten Seelenzuständen bis hin zu Arien, die das Überstandenhaben solcher unerfreulichen Vorkommnisse feiern, hat die Sängerin in ihr Repertoire aufgenommen, das sich vor allem auf Vivaldi und Händel, dazu noch auf je eine Arie von Porpora und Pergolesi stützt.

Aus Porporas Carlo il Calvo stammt die Arie des Adalgiso, und die männliche Rolle wird durch den fein konturierten Mezzosopran, der nie schrill wird, bestens ausgefüllt, der Gegensatz zwischen Unwetter und Stille wird durch unterschiedliche Klangfarben fein herausgestellt, das Scintillare del Sole hörbar gemacht. So wie auch Vivaldis Arien zeichnet sich das Stück durch Intervallsprünge aus, die hier nicht so extrem sind wie bei dem Venezianer und gut gelingen. Eher eine Widerspiegelung des jüngst Erlebten als eine wirkliche tempesta ist der Inhalt von Vivaldis „Sovvente in Sole“ mit einer sanften Introduktion und einer ebensolchen Melancholie auch für die Sängerstimme.  Anders verhält es sich mit der Ouvertüre zu Händels Agrippina, aus der auch die Arie „Pensieri, voi mi tormentate“ stammt und in der sich die Stimme dem Soloinstrument, der Oboe, perfekt anpasst, auch ganz instrumental geführt wird, als wenn nicht die Person, sondern die pura ambizione stessa, die sie beseelt,  zu Wort kommt, die bedrohliche Ruhe vor dem Sturm widergibt. Eine direkte Naturbetrachtung findet sich in Pergolesis Arie des Farnaspe, auch wenn von in seno al mar die Rede ist, also die Naturerscheinung personifiziert wird. Die Arie steigt weit hinunter in Bassgefilde, in Töne, die kaum an die Frauenstimme anzubinden sind. Schöne Schmerzenslaute hat sie hingegen für Händels Zenobia mit „Quando mai spietata sorte“. Leichtgängige Koloraturen verlangt Händels „Brilla nell’alma“, bei denen die Stimme leuchten kann und raffinierte Rubati zusätzlich erfreuen. Im berühmten „Ombra mai fu“ scheint der Mezzo dem Rezitativ eine besondere Bedeutung beizumessen, da hier der Titel der CD gerechtfertigt ist, für die ruhigen Gefilde ist ein ganz weicher Tonansatz die richtige Wahl, wobei leichte Manierismen nicht zu überhören sind. Ein irres Prestissimo kennzeichnet Vivalds „Io son fra l’onde“, eher ein fröhliches Kräftemessen als ein drohender Untergang in den Wellen. Eindeutig die Stürme, die in der Seele toben, sind bei Vivaldis „Agitata da due venti“ gemeint, auch hier führen irrwitzige Intervallsprünge in tiefste, einer Mezzostimme eigentlich nicht zugängliche Tiefen. Zwei Orchesterstücke, das erste sehr an L’estate aus den Quattro stagioni erinnernd, das zweite ein graziöses Spiel wie das von glitzernden Wassertropfen im Sonnenlicht  leiten über zum letzten Track, der Arie der Aminta aus L‘Olimpiade , in der die Stimme zu einem interessanten Wechsel zwischen Pathos und Verspieltheit findet (GCD 923503) Ingrid Wanja         

Gretchen auf Finnisch

 

Seine erste Oper, Anna Liisa, hatte der finnische Komponist Veli-Matti Puumala im Auftrag des Festivals von Savonlinna geschrieben. Uraufgeführt wurde sie 2008 im Rahmen des Helsinki-Festivals. Das Libretto geht auf das in Finnland berühmte gleichnamige Drama von Minna Canth zurück, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte, stark von Leo Tolstoi beeinflusst wurde und deren Theaterstück in mehr als 70 Produktionen gezeigt und mehrere Male verfilmt wurde. Die in zwei CDs vorliegende Vertonung allerdings ist die erste musikalische Umsetzung überhaupt.

Das Stück handelt von einer reichen Bauerntochter, die ein Verhältnis mit einem als Knecht auf dem Hof des Vaters arbeitenden Zigeuner eingeht, von diesem verlassen wird, ein Kind zur Welt bringt und dieses in einem Moment der Verwirrung erstickt. Die Mutter ihres Liebhabers, die zur Mitwisserin wurde, vergräbt die Leiche im Wald. Jahre später kehrt der Ex-Liebhaber ausgerechnet in dem Moment zurück, als Anna Liisa Hochzeit mit einem Bauernsohn halten will. Der Zurückgekehrte und seine Mutter pochen auf die älteren Rechte, drohen mit der Enthüllung des Geheimnisses, wenn er nicht auf den Hof einheiraten kann. Die entsetzten Eltern Anna Liisas willigen ein, weil sie Schmach und Schande fürchten, sollte der Kindesmord enthüllt werden. Anna Liisa jdoch, angeekelt von den Erpressungsversuchen und um endlich für die sie stets gequält habende Schuld zu büßen, stellt sich der irdischen Gerichtsbarkeit. Ein von der Gattin des Komponisten verfasster Prolog zeigt die junge Frau reflektierend und endlich mit sich selbst im Reinen in der Gefängniszelle. Das Werk galt vor ca. 150 Jahren, ähnlich wie Ibsens Nora in Norwegen, als Beispiel für weibliche Emanzipation.

Als schwierigste Aufgabe wertete der Komponist die Verknüpfung einer altertümlichen Sprache mit modernen musikalischen Mitteln. In der Oper verbindet sich Zwölftonmusik mit Elementen der finnischen Volksmusik, die vom Komponisten Toivo Kuula zu Beginn des 20 Jahrhunderts gesammelt worden war, für ein kleineres Orchester von 33 Musikern. Sie erzeugen eine Musik, die mal wie Sphärenklänge, mal bedrohlich wie ein Dräuen im Hintergrund, mal hart und trocken wie Schläge, so vor dem Wiegenlied ohne Orchesterbegleitung, klingen kann. Der Chor zeigt in seiner zeitweisen Allwissenheit Züge des Chors im griechischen Drama. Das sehr ausführliche Booklet enthält auch das Libretto in finnischer wie in englischer Sprache, so dass man ohne Schwierigkeiten der Handlung folgen kann.

Eine sehr anspruchsvolle Partie ist

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die der Anna Liisa, für die Helena Juntunen eine warmen, runden Sopran hat, der auf den Höhepunkten der Erregung auch einmal leicht klirren kann, zarte Töne in der Erinnerung an das

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Kind findet und insgesamt sehr expressiv eingesetzt wird. Einen knorrigen Bariton setzt Jorma Hynninen für ihren Vater ein, während Tanja Kauppinen sich als Mutter am besten im Duett mit der Tochter profilieren kann. Die jüngere Schwester Pirkko wird von Anu Hostikka mit zartem, frischem Mädchensopran gesungen. Die beiden rivalisierenden Verehrer sind den Stimmbändern von Ville Rusanen als Kindesvater Mikko mit schneidigem Charaktertenor und Juha Hostikka mit heldischem Tenor als Bräutigam Johannes anvertraut. Eine als Ethno-Mezzo-Soprano ausgewiesene Stimme hat Sanna Kurki-Suonio für die erpresserische Husso, was bedeutet, dass sie mehr keift als singt. In Deutschland dürfte das wegen drohenden Rassismusvorwurfs angreifbare Stück so nicht aufgeführt werden. Tröstliches verkündet der Bass von Jouni Kokra in der Rolle des Vikars (Ondine 1254 2D) Ingrid Wanja

Lohengrin und das blaue Himmelbett

Peter Anders Ein Stern in dunkler Zeit. In gut gemeinter Absicht wird dieses poetische Etikett dem Sänger nachträglich angeheftet. Als müsse eine Entschuldigung dafür her, dass seine beispiellose Karriere während des Nationalsozialismus begann. Wann denn sonnst? Anders, 1908 in Essen geboren, debütierte 1932 in Heidelberg, kam 1928 nach München und wurde im ersten Kriegsjahr 1939 an die Berliner Staatsoper berufen. Dort eilte er von Erfolg zu Erfolg. Er war ein Liebling des Publikums. Ich bezweifle stark, dass er – wie ein Stern – Licht in das düstere Dasein der Unterdrückten und Verfolgten bringen wollte. Das wäre in seinem Fall zuviel verlangt. Er wollte singen, sonst nichts. In der 10-CD-Collection von Membran (233506) sind etliche Aufnahmen aus seinen frühen Jahren zusammengestellt worden. Sie klingen flott, verbreiten gute Laune. Der Kanonendonner und die Schlachtfelder sind weit weg. Melodienfolgen aus Lehár Lustiger Witwe (1935) und Kálmans Csárdásfürstin (1934) sind dabei. In seinem jugendlichen Überschwang scheint Anders wie geboren für dieses Fach. Überhaupt ist Franz Lehár, der der heimliche Lieblinskomponist Hitlers war, auffällig stark präsent. Als Potpourris wurden Mitte der dreißiger Jahre lockere Zusammenstellungen mit Titeln wie Rendezvous bei Lehár oder Peter Anders bei Franz Lehár produziert. Verführerisch lockt das „Blaue Himmelbett„. Dazu wurden auch schon mal die Berliner Philharmoniker bemüht. Querschnitte durch Bettelstudent (gleich zweimal, 1934 und 1936) von Millöcker und Fledermaus von Strauß runden das ausgesprochen heitere Angebot aus „dunkler Zeit“ ab. Anders hat die richtigen Partnerinnen. Mit der Finnin Aulikki Rautawaara (Csárdásfürstin) und Erna Berger (Fledermaus) wirft er sich die musikalischen Bälle nur so zu.

Die auf zwei CDs verteilten Lieder sind ein Kapitel für sich. In der Mehrzahl wird Anders dabei von Michael Raucheisen begleitet. Aufnahmedaten lassen einen heute noch verwundert zurück – 1943, 1944 1945. Während Berlin in Schutt und Asche versank und die sowjetischen Panzer auf die Stadt zurollten, wurden in den Kellern des Funkhauses Lieder aufgenommen. Nicht nur mit Anders, der allerding sehr gut zu tun hatte. An der als Raucheisen-Edition erst nach dem Krieg veröffentlichten Sammlung wirkten an die fünfzig Sänger mit. Darunter einige, die Hitler und Goebels noch 1944 auf ihre so genannte „Gottbegnadeten-Liste“ gesetzt hatten. Das waren Künstler, die das Regime für unverzichtbar erachtete. Anders konnte seine Karriere nach Kriegsende rasch fortsetzen. Viel Zeit blieb ihm nicht bis zu seinem tragischen Tod 1954. Es waren seine wichtigsten Jahre, die Jahre der Reife. Sie sind bei der Auswahl gehörig berücksichtigt – auch mit dem Vorstoß auf neue Betätigungsfelder. Dazu gehörten der Stolzing in den Meistersingern und der Lohengrin.

Meine Liebe zum Gesang hat viele Namen, einer ist Peter Anders. Seit ich bewusst Musik köre, höre ich seine Aufnahmen. Auch wenn für diesen oder jenen Sänger im Laufe der Zeit die einst noch so heiße Begeisterung abkühlt, Anders ist immer präsent. Er hat seinen unverrückbaren Platz. Ich will mir überhaupt nicht vorstellen, wie es denn wäre, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Nun hat es ihn aber gegeben, und das ist ein Glück für mich und für alle, die ihn ebenso lieben. Das Interesse an diesem Sänger mit der elementaren, unverkennbaren Stimme ist unverwüstlich. Peter Anders am besten zu gedenken heißt, seine Aufnahmen immer wieder neu aufzulegen und in großen Auflagen zu verbreiten. Seine Stimme ist nicht nur etwas für Kenner und kein Geheimtipp. Sie verträgt ein großes Publikum.

1-Membran-Box 2 Peter AndersDas Label Membran hat sich bei der der Pflege seines Andenkens von niemandem überbieten lassen. Davon zeugt auch die Box Peter Anders – Die unvergessene Stimme mit ebenfalls zehn CDs (LC 12281). Es handelt sich um die in der Aufmachung etwas abgespeckte Wiederauflage der Ausgabe im stattlichen Buchformat gelegentlich des 100. Geburtstages des Sängers im Jahr 2008. Wozu Sammler Jahre brauchten, findet sich hier in beiden Editionen auf einen Schlag wohl geordnet beisammen. Dazu noch in sehr ordentlicher Tonqualität. Soll ich nun neidisch sein, dass hier dem Käufer so mir nichts dir nichts in den Schoß fällt, was ich nur mit  Bienenfleiß und Hartnäckigkeit zusammen gebracht habe? Nein und abermals nein! Ich möchte nicht jene Glücksmomente vermissen, wenn einem plötzlich wieder ein lange gesuchtes Lied oder eine akustischer Filmauftritt in die Hände fiel. Mit diesen Boxen liegen weit mehr als die Hälfte aller 450 Titel vor, die Anders auf Tonträgern für Plattenmarkt und Rundfunk hinterlassen hat – und das zu sehr moderaten Preis. Die Boxen sind also kein Luxus von der Anschaffung her, sie sind Luxus durch Inhalt.

Anders überrumpelt seine Hörer mit unendlichem Charme genau so wie er sie mit schneidender Schärfe treffen kann. Es tut weh, wenn er etwa in der Winterreise (in der Edition findet sich die spätere Einspielung mit Günther Weissenborn) Zwiesprache mit seinem Unglück hält, das plötzlich zum Unglück aller Menschen wird, die ihm zuhören. Er ist niemals akademisch, er singt den Moment. Manchmal setzt er alles auf eine Karten, übermütig und strotzend vor Wagemut. Er ist stimmlich ein unerschrockener Tausendsassa. Seine Aufnahmen wirken nicht blutleer von zu vielen Proben. Sie sind knackig und voller Saft. Peter Anders – der Radioliebling, im Traumland der Operette, der Opern- und der Konzertsänger. In diesen Kategorien wird die Fülle dargeboten. Das macht Sinn und erleichtert den Zugriff, da es musikalisch kaum ein Revier gibt, in dem Anders nicht mit Lust und Können wilderte. Von Granada bis zu Othellos Tod, sein ganzes Repertoire ist ausgebreitet. Florestan, Lohengrin, Apollo, Bacchus, Faust, Tamino, Zarewitsch… Ich vermisse nichts. Ganz im Gegenteil, was immer ich von Peter Anders höre, es ist in diesem Moment mein Lieblingsstück. Und wenn es das LiedDie Frau der Frauen ist, bei dem er gurrt wie Zarah Leander. Für mich ist er in allen Kategorien gleich gut aufgestellt und aufgelegt, weil er in der Praxis Musik nicht in Klassen oder Wertigkeit einteilt. Er verwendet auf den Filmschlager nicht weniger Mühe und Können als auf die Gralserzählung. Mir ist er dadurch sehr sympathisch. Anders gilt als Sympathieträger schlechthin. Nicht, dass er so einfach gute Laune verbreiten würde und für Stimmung im Saale sorgte. In seinem Falle wären das schon Unterstellungen. Dieser Sänger ist sympathisch, weil er Musik völlig unprätentiös und uneitel herüber bringt. Es geht nicht um ihn, es geht um das jeweilige Stück. Im Ensemble drängelt er sich niemals vor, er füllt seinen Platz aus und nimmt niemanden etwas weg, was er auch gar nicht nötig hätte.

Die Sensation von rund zwölf Stunden Musik, auf die es die Edition bringt, sind 28 (!) Sekunden Siegmund.Wälse! Wälse! Wo ist dein Schwert? Dein starkes Schwert, das im Sturm ich schwänge?  Mehr nicht. Die kurze Sequenz mit Klavierbegleitung (Hans Geisendörfer, der mit Anders im Unglücksauto saß, in dem ihn der Tod einholte) ist 1954 für den Schulfunk des Nordwestdeutschen Rundfunks Hamburg als Beispiel für das Sängerfach jugendlicher oder italienischer Heldentenor entstanden und auch gesendet worden, dann im Archiv gelandet. Anders hat die Rolle 1953 in Hamburg gesungen. Für einen Mitschnitt würde ich sonst etwas geben. Ich wäre auch gern ein gehöriges Stück älter, nur, damit ich ihn damals selbst hätte hören können in Wagners Walküre. Nun bin ich auf Ahnungen und diese wenigen Sekunden angewiesen. Auch wer nicht dabei war, die Stimme aber gut kennt, der war sich immer völlig sicher, dass Anders als Siegmund ein Ideal verkörpert haben muss. In den Wälse-Rufen ist etwas von Verzweiflung, etwas Flehendes. Dieser junge Mann ist kein sportlicher Schlagmichtot, er hat eine geschundene Seele. Er ist ein Verfolgter, ein Opfer. Seine Wunden, die er seiner Schwester Sieglinde weisen soll, hat er auch an der Seele. Anders hätte als Siegmund Musikgeschichte schreiben können. 28 Sekunden Musik reichen, dass einem plötzlich der Verlust wieder bewusst wird, den dieser sinnlose Unfalltod bedeutet.      Rüdiger Winter

Schemenhafte Momente

 

 

Lena Belkina, Ukrainerin und Jahrgang 1987, gehörte einige Jahre zum Ensemble der Leipziger Oper und wurde u.a. bekannt durch eine Verfilmung der Rossinischen Aschenbrödel-Oper. Auf der neuen Sony-CD Dolci Momenti, ohne magische Bilder, schrumpft ihr Zauber beträchtlich. Zwar besitzt sie  weiche, samtige Tiefen, wirkt aber grell und steifleinern in den Höhen und deutet die so wichtigen kleinen staccati und gruppetti, also all die schönen akustischen Rossini-Loopings nur verwaschen an. Auch  die herzliche Geste und Wärme fehlt mir im hier gesungenen Cenerentola-Schlussrondo, die große Botschaft des Verzeihens, denn schließlich steht ja hier Aschenbrödel vor Ihren Verwandten und vergibt ihnen großzügig alle Schandtaten.

Die Bellini- und Donizetti-Arien klingen etwas besser, bleiben aber deutlich unter Weltniveau. Zugegeben, da ist einiges Bewundernswertes zu hören – einen phänomenalen Stimmumfang besitzt die Sängerin und einen Sinn für die große pathetische Geste. Auf einer Bühne oder im Film macht das gewiss Effekt. Doch im Soloalbum ist der Sänger nackt und allein – da heißt es die Arie so nuanciert zu gestalten, dass man in ihr wie in einem Brennspiegel die ganze Figur entwickelt sieht. Und da scheitert für mich Lena Belkina. Ihre Heldinnen sind mir zu schemenhaft und verwechselbar. Sie leben auf Planeten ohne Atmosphäre, es gibt  keine Zwischentöne, nur Vollschatten oder grelles Licht. Erstaunlich auch, wie angestrengt die Stimme klingt! Selten habe ich so peinlich laut den Willen zum Erfolg aus einem Album herausgehört – in dem kaum eine gelöste, in sich ruhende Note erklingt.

Das Label Sony Classics bringt oft und gern neue Opernstimmen auf den Markt – und wagt den Schritt des ersten Solo-Albums. Volltreffer finden sich unter diesen Experimenten ebenso wie Eintagsfliegen. Hoffnung oder Fehlstart? Nun soll man ja den Mut von Labels, sich mit jungen Stimmen an die Öffentlichkeit zu wagen, nicht noch durch allzu strenge Kritiken untergraben. Doch wie mutig war Sony hier? Wäre es dem Label ernst gewesen, hätte es mehr unternommen als nur zwei wunderhübsche Fotos der gutaussehenden Sängerin in die CD einzulegen und einen launigen kleinen Text bei Karl Dietrich Gräwe zu bestellen. Zum Beispiel wären ein paar Zeilen zur Sängerin in Booklet ganz nett gewesen, auch als Geste der Sängerin als Vertragspartnerin gegenüber. Schon komisch –  eine Weltfirma wie Sony classics scheint nicht einmal die Basics der Höflichkeit in ihrem Geschäft zu kennen. Vermutlich sind die Produzenten der Meinung, eine kleingedruckte Internetadresse sei gut genug für einen Newcomer.  Man soll ja bescheiden anfangen.

Auch sonst entspricht die Präsentation der Arien nicht immer ganz den Standards des 21. Jahrhunderts. Chöre wurden weggelassen, wo sie wichtig sind (wie kann man Romeo in Bellinis I Capuleti e i Montecchi in der Cabaletta so peinlich ins Leere singen lassen?), Zwischenpassagen wurden ebenso gestrichen (Giovannas Arie in Donizettis Anna Bolena ohne die dramaturgisch so wichtige Szene mit Heinrich VIII in der Mitte des Stücks) wie Reprisen (Leonoras Cabaletta aus La Favorite). Da kann auch ein Ausnahmedirigent wie Alessandro de Marchi nicht mehr viel retten (Dolci Momenti: Belcanto – Arien von Rossini, Donizetti und Bellini; Lena Belkina, Mezzosopran
Münchner Rundfunkorchester; Alessandro de Marchi; Sony Classics 88875051432). M. K.

Lieder, Arien & Reynaldo Hahn

 

Die nunmehr dritte CD von Liszt – The Complete Songs ist bei hyperion erschienen, besungen von Gerald Finley, während die beiden ersten von Matthew Polenzani und Angelika Kirchschlager stammen, am Piano sitzt bei allen drei Aufnahmen Julius Drake. Das Konzept der Herausgeber ist nicht das einer chronologischen Abfolge oder einer Einteilung nach den Sprachen, in denen die Texte gehalten sind, sondern umfasst auf dieser dritten CD Lieder aus allen Schaffensperioden, wobei akribisch vermerkt ist, die wievielte Version der jeweiligen Vertonung gewählt wurde, und es werden vier Sprachen, Deutsch, Italienisch, Französisch und Englisch, angeboten. Es finden sich auf der CD sehr bekannte Lieder wie die auf Petrarca-Sonette in der zweiten Fassung und ganz unbekannte, wie Weimars Toten und Wir gedachten der Toten. Das Booklet gibt sehr kenntnisreich und umfassend Auskunft über die jeweilige Fassung der einzelnen Lieder. Die CD beginnt mit Liedern auf Texte von Heine, die in der Vertonung durch andere Komponisten populärer geworden sind, und der englische Bass-Bariton überzeugt sofort mit einer perfekten, akzentfreien Diktion. Für Morgens steh‘ ich auf  nimmt die schön timbrierte Stimme einen schlafwandlerischen Ton an, wird die Verzweiflung des unglücklich Liebenden am Schluss sogar als ein Schatten von Wahnsinn hörbar. Für den Fichtenbaum findet er unterschiedliche Farben für Nord und Süd, überzeugt mit dem gut gestützten Piano, kostet das „einsam“ geradezu aus, wie generell auffällt, dass Finley sich eher dem Wort als dem Fluss der Melodie verpflichtet fühlt. Gleich vier Versionen gibt es von Anfangs wollt‘ ich fast verzagen , Finley wählt die letzte und vermittelt ihre Melancholie gekonnt. Für Weimars Toten muss der Sänger in tiefe Bassgefilde hinabsteigen, wenn es in die Gruft der Dichter und Denke gehtr, und er lässt die Stimme gewaltig anschwellen. In Wer nie sein Brot mit Tränen aß klingt die letzte Zeile markant wie ein Gottesurteil. Die drei Sonette kann man von italienischen Sängern ganz anders hören, hier wird besonders deutlich, dass zwar ein schönes Legato gesungen wird, aber die Textausdeutung als solche dominiert. So klingt der Text nicht mehr wie ein Sonett, sondern wie Prosa, weil gegen den Metrums-Strich gebürstet. Auch fällt auf, wie zergrübelt der Schluss von I‘ vidi in terra klingt. Weniger wegen des Textes als wegen der Vertonung und wegen der Stimme von Finley interessant sind Die Vätergruft und Die Fischerstochter, da in ihrer Thematik doch sehr zeitgebunden. In der Letzteren lässt sich der Sänger auf das Rollenspiel ein, in der Ersteren auf das heute unangemessen klingende Pathos. Im französischen Le vieux vagabond  meistert der Bassbariton eine Oper im Kleinformat und zeigt sich sicher in den gewaltigen Intervallsprüngen, während er in Gastibelza zwischen Beschwingtheit und Abgründigkeit schwankt. Besonders deutlich wird im einzigen englischen Titel, Go not, happy day  die Besonderheit von des reifen Liszt Technik, das Ende musikalisch „offen“ zu gestalten und damit den traurigen Fortgang der Geschichte anzudeuten (CDA 67956Ingrid Wanja 

 

Michaela SchusterMit solch einer prominenten Fürsprecherin kann nichts mehr schief gehen. Brigitte Fassbaender stellt ihrer Fachkollegin ein vorzügliches Zeugnis aus: Michaela Schuster, die wunderbare Sängerin, lotet im Verein mit dem einfühlsamen Markus Schlemmer in ihrem Programm die Schönheiten der romantischen Liedliteratur sensibel und begeisternd aus!… eine Interpretation der Sonderklasse“. Der Mitschnitt von Michaela Schusters Liederabend vom Liedsommer 2012 im südtirolischen Weinort Eppan stellt zwar keine „Bereicherung“ im Sinne der Repertoire-Auswahl dar, präsentiert uns aber unter dem Titel „Morgen!“ eine Opernsängerin, deren Repertoire sich derzeit zwischen Wagner und Knusperhexe einpendelt, mit einem gustösen Liedprogramm (Oehms Classics OC 1833). Schuster zeigt sich als aparte, temperamentvolle Liedsängerin und bringt uns Brahms, Schumann, Reger und Strauss, was sich alles für ihren vollen, gut sitzenden Mezzosopran bestens eignet. „Da unten im Tal“ von Brahms singt sie mit dem direkten Ausdruck eines Volksliedes, „Der Mond steht über dem Berge“ („Ständchen“) klingt so, dass man intensiv hinhört, ohne dass sie das Handwerkszeug eines auch im Charakterfach versierten Bühnentiers ausreizt, und das „Wiegenlied“ wiegt kleine Kinder sicher nicht in den Schlaf, ist aber berührend, dabei klangvoll und großformatig. Das hat alles einen natürlichen Fluss, sitzt sicher. Schuster lässt die Stimme aufgehen und aufblühen, lässt der Klangpracht freien Lauf und hat die Lagen ihrer Stimme sicher im Griff, etwa in „Morgen!“, wo einmal mehr Schlemmers Klangphantasie angenehm auffällt. Alles textdeutlich, klar und warmherzig gestaltet, großformatig und dennoch subtil, etwa in den Reger-Liedern oder in „Ruhe, meine Seele“, und auf eine ein wenig altmodische Art sehr willkommen. Fassbaender hat nicht übertrieben.

 

anne schwanewilmsSchönbergs Vier Lieder op. 2 aus dem Jahr 1899 und Mahlers Kindertotenlieder von 1901-04 sowie seine Rückert-Lieder, deren vier erste 1901 entstanden, und drei Wunderhornlieder„Das irdische Leben“, „Scheiden und Meiden“ und „Aus! Aus!“ – bilden das Programm der aktuellen Lied-Aufnahme von Anne Schwanewilms bei ONYX (ONYX 4146), wo sie unter dem Titel „Das himmlische Leben“ bereits Liszt und Mahler gesungen hat, damals mit Charles Spencer, während sie jetzt von Malcolm Martineau begleitet wird. Schwanewilms entfaltet in Schönbergs Liedern einen sublimen, jugendstilhaft glitzernden Klangzauber, in den sich in den Kinderotenliedern eine morbide trauernd-träumerische Distanz mischt. Schwanewilms singt die Kindertotenlieder, zu denen sie unter der Überschrift „Die Kindertotenlieder singen, ohne dass Zorn und Schmerz die Stimme ersticken“ auch einen Text beisteuert, ohne falsches Sentiment, dabei mit feinfühliger Delikatesse, höhensicher, hell und sicher im Ton, flammend in der inneren Aufruhr bei „In diesem Wetter“, getragen vom sprechenden Spiel ihres schottischen Partners, der sich hier einmal mehr als einer der führenden Lied-Begleiter erweist. Bei aller prachtvoll bannenden Strauss-Üppigkeit gleitet Schwanewilms niemals nur über die Oberfläche dieser Lieder, belässt es nicht bei entrücktem Klangraffinement („Um Mitternacht“), sondern betört unter der edlen Politur ihres strahlenden Soprans mit Farben und Finessen, die vor allem die Rückert-Lieder zu einer Referenz-Aufnahme machen.

 

Ilona DomnichWohin es auch führen kann, wenn Sängerinnen Einführungen schreiben, zeigt Surrender. Voices of Persephone (Signum SIGCD419), in der die aus St. Petersburg stammende, in London ausgebildete Sopranistin Ilona Domnich über das Wort „surrender“ und die Unterweltsgöttin Persephone philosophiert, über die Balance zwischen „darkness and light“ schwafelt, André Gide und Nietzsche bemüht und letztlich die Figuren ihres nicht ungefälligen Arienprogramms für einen leichten bzw. lyrischen Sopran von den reinen Unschuldlämmern bis zu den weisen Frauen in drei Stadien eines Frauenlebens unterteilt. Da wird einem ganz schwindelig. Lust auf die CD macht es keine. Das alles gibt es zum Glück nur auf Englisch. Viele der Partien, Rosina, Gilda, Tatjana und die Figaro-Gräfin, hat sie bereits auf der Bühne gesungen, zumeist in Großbritannien, häufig an Orten, Bühnen oder bei Festivals, von den ich nie gehört habe, manche auch an der English National Opera. Domnich hat sich damit für manche einen guten Ruf erworben. Und sie bewältigt den Mix von Messager, Poulenc über Verdi und Mozart bis zu Rimsky-Korssakow recht gut. Lindas „Oh luce di quest‘ anima“ ist allerdings kein guter Start. Domnich kann Koloraturen singen, doch sie zündet in dieser Zugaben-Nummer kein Feuerwerk ab. Auch von der Rosina sollte sie die Finger lassen. Gut liegen ihr die Elle in Poulencs One-Woman-Show La voix humaine sowie die Jacqueline in Messagers Fortunio, die sie beide auf der Bühne verkörpert hat und deren Szenen sie hier mit silbernen Fäden und intensivem Stimmeinsatz spinnt. Manons Gavotte sing sie ebenfalls mit Charme und Esprit, mit der Fähigkeit zu Kommunizieren, wenn auch ohne feurige Koloraturbrillanz. Die französischen Nummern überzeugen dennoch am meisten. Für Puccinis Magda fehlt es ihr an der Erfahrung einer italienischen Diva, die Figaro-Gräfin ist ein wenig leichtgewichtig. Als Gilda steht ihr im Duett am Ende des zweiten Aktes sowie in der Schlussszene der Oper Leo Nuccis erfahrener Rigoletto zur Seite. Die 500 Aufführungen als buckliger Narr sind an dem damals 72jährigen – die Aufnahme mit der Southbank Sinfonia unter Simon Over entstand im August 2014 – nicht spurlos vorbei gegangen, denn die Stimme wirkt wie eine Ruine, doch dann kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Trotz so vieler Einschränkungen, statt der Gilda wäre vermutlich eine Mimì vorteilhafter gewesen, macht Domnich auf das besondere Potenzial ihrer Stimme aufmerksam. 

 

Reynaldo HahnZur Neutralisation zwischen so viel Gesungenem eignen sich vorzüglich einige Orchesterstücke Reynaldo Hahns. Allein schon wegen der reizvollen siebenteiligen Ballettmusik Le Bal de Béatrice d‘ Este, die einen Sommerabend am Mailänder Hof der Fürstin illustriert, lohnt sich diese Aufnahme (timpani 1CD1231) mit dem Holzbläserensemble Initium und dem Orchestre de Pays de Savoie unter Nicolas Chalvin. Außerdem: zwei späte Stücke, die Sérénade von 1942 und das concerto provencal für Streicher und Holzbläser von 1944, in dem jeder Satz einen der typischen Bäume der Provence beschreibt (Platane, Pinie, Olive). Und als Gegenstück zum Renaissancefest der Béatrice d’Este evoziert das Divertimento pour une fȇte de nuit Wiener Szenen zwischen Haydn und Wiener Walzer.  Rolf Fath

MASSIMO CAVALLETTI

 

Der in Lucca geborene Bariton Massimo Cavalletti zählt bereits seit einigen Jahren zu den gefragten Solisten der internationalen Opernhäuser: Er tritt an der Mailänder Scala, der Metropolitan Opera New York, dem Royal Opera House Covent Garden oder der Wiener Staatsoper auf. Er erweitert wie nur wenige langsam und vorsichtig sein Repertoire und hat dabei einen klaren, langfristigen Karriereplan vor Augen. Cavalletti hatte das Privileg, sich sein jetziges Repertoire sowohl an der Mailänder Scala, an deren Accademia er ausgebildet wurde, als auch als Ensemblemitglied des Opernhaus Zürich mit einigen der besten Dirigenten und Regisseure aufbauen zu können. Mit Beat Schmidt  sprach er während der Probenphase zur Wiederaufnahme von L’elisir d’amore in Zürich unter anderem über die Rolle des Belcore, seine Zeit im Zürcher Opernensemble, über Hoffnungsschimmer in der italienischen Opernkrise und seine Pläne einer behutsamen Repertoireerweiterung.

 

Massimo Cavalletti: Posa an der Mailänder Scala 2013/Foto Brescia e Amisano/ Teatro alla Scala

Massimo Cavalletti: Posa an der Mailänder Scala 2013/Foto Brescia & Amisano/ Teatro alla Scala

Als Belcore im Elisir d’amore kehren Sie im Juni und Juli ans Opernhaus Zürich zurück. Welche Bedeutung hatte die Zeit im Zürcher Opernensemble für Ihre Karriere? Die Zeit am Opernhaus Zürich hat sicherlich eine fundamentale Rolle in meiner künstlerischen Entwicklung gespielt. Die Erfahrungen, die ich dort in sechs Jahren konstanter Zusammenarbeit und über 150 Vorstellungen in wichtigen Partien sammeln konnte, haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Auch die Arbeit und Nähe zu Künstlern von Weltformat haben mir sehr viel gegeben. Ich durfte dort in vielen Rollen debütieren, die heute die Basis meiner Karriere und künstlerischen Aktivität bilden. Am Opernhaus Zürich hatte ich Zeit, in Ruhe zu lernen und Dinge auszuprobieren. Ich würde jedem vorschlagen, eine ähnliche Erfahrung zu machen!

 

 

Massamimo Cavaletti: Ford in "Falstaff" an der Mailänder Scala 2013/ Foto Rudy Amisano/Teatro alla Scala

Massimo Cavalletti: Ford in „Falstaff“ an der Mailänder Scala 2013/ Foto Rudy Amisano/Teatro alla Scala

Wo liegen für Sie die Schwierigkeiten, eine komische Rolle wie den Belcore überzeugend darzustellen? Den Belcore kann man sicherlich als eine komische Rolle bezeichnen, es gibt aber auch durchaus ein Paar Stellen, an denen die Komödie von Schatten durchsetzt wird, wie beispielsweise im Finale des ersten Aktes. In dieser Inszenierung wird ein großer Schwerpunkt auf den märchenhaften Charakter des Stückes gesetzt. Belcore ist ein unbeholfener und zu oft exzessiver, aber sympatischer Feldwebel. Ich habe viel Spaß in dieser Produktion, in der ich bereits im Jahr 2011 aufgetreten bin.

 

Massimo Cavalletti/ Foto Victor Santiago

Massimo Cavalletti/ Foto Victor Santiago

Einen hohen Stellenwert nimmt in Ihrem Repertoire Giuseppe Verdi ein. Vor allem den Ford haben Sie bereits an vielen großen Bühnen verkörpert, unter anderem an der Mailänder Scala und bei den Salzburger Festspielen. Nun folgt im Juli ein wichtiges Verdi-Debüt: Renato in Un ballo in maschera unter Zubin Mehta in Israel. Wann werden Partien wie Rigoletto, Conte di Luna oder Germont kommen? Ich denke, dass ich noch genug Zeit habe, bevor ich in diesen Rollen der „Trilogia popolare“ debütieren werde. Was ich Ihnen schon sagen kann ist, dass die drei Partien, die Sie genannt haben, schon seit Jahren in Arbeit sind. Die Musik ist schon in meinem Kopf und zum Teil auch in meiner Kehle, vor allem Luna und Germont. Bevor ich sie zum ersten Mal singen werde, will ich aber noch warten. Solch ein entscheidender Sprung in meiner Karriere würde mir die Türen zu den tollen Partien, die ich momentan singe, vor allem zu den Belcanto-Rollen verschließen. Und somit würde ich lehrreiche Jahre des künstlerischen Wachstums in meinem aktuellen Repertoire verlieren, die mir bei meinen Debüts in diesen Rollen helfen werden. Diese drei Partien sind nicht unbedingt für Sänger geschrieben worden, die wie ich erst 36 Jahre alt sind, sondern verlangen eine andere Reife. Renato ist eine Art Probe, auf speziellen Wunsch von Maestro Mehta hin und es ist eine Ehre für mich, diese Rolle mit ihm zu debütieren. Es handelt sich aber um konzertante Vorstellungen, das ist etwas ganz anderes, als die Rolle szenisch zu singen. Ich werde noch mindestens ein oder zwei Jahre warten, bis ich mein szenisches Debüt als Renato geben werde.

 

Massimo Cavaletti: Enrico in "Lucia di Lammermoor" an der Mailänder Scala 2014 / Foto Brescia/Amisano©Teatro alla Scala

Massimo Cavalletti: Enrico in „Lucia di Lammermoor“ an der Mailänder Scala 2014 / Foto Brescia & Amisano©Teatro alla Scala

Dieses Jahr haben Sie in Florenz mit dem Riccardo in I puritani ein weiteres wichtiges Rollendebüt gegeben. Können wir uns in Zukunft auf weitere Belcanto-Partien von Ihnen freuen? Im nächsten Jahr stehen keine Rollendebüts auf dem Programm. Ich plane aber, als Ezio in Attila zu debütieren. Natürlich nur, wenn das Theater und die restliche Besetzung stimmt. Ezio ist eine wunderbare Rolle und ausgesprochen lyrisch. Perfekt also, um weiter ins Verdi-Fach hineinzuwachsen.

 

Wie schätzen Sie die derzeitige Situation der italienischen Opernhäuser ein? Man hat den Eindruck, dass die dortige Lage sich mit der Zeit etwas entspannt hat. Eine realistische Einschätzung? Ja, die Dinge haben sich mit der Regierung Renzi geändert. Die Theater werden wieder mit mehr Geld vom Staat unterstützt, spielen und produzieren nicht nur wieder, sondern haben auch angefangen, die Schulden abzubezahlen, die sich in der jüngsten Vergangenheit angehäuft hatten. Man kann von einer ganz klaren Erholung sprechen. Ich hoffe, dass man nun die Gelegenheit ergreift, langfristig zu investieren, Produktionen nicht nur eine Spielzeit lang verwendet und vor allem Touristen verstärkt in die Oper lockt.

 

Massimo Cavalelletti: Proben mit Franco Zeffirelli zu Cavallettis erstem Schaunard an der Mailänder Scala 2005/Archivio della Scala

Massimo Cavalelletti: Proben mit Franco Zeffirelli zu Cavallettis erstem Schaunard an der Mailänder Scala 2005/Archivio della Scala

Auch die Zusammenarbeit mit der Mailänder Scala hat Ihre Karriere geprägt. An der dortigen Akademie haben Sie Ihre Technik bei Luciana Serra perfektioniert. Was haben Sie von Ihrer Zeit an der Akademie der Scala künstlerisch mitgenommen? Ich hatte das unglaubliche Glück, dort ausgebildet zu werden als Leyla Gencer die künstlerische Leitung inne hatte. Dank ihr hatte ich in dieser Zeit tolle Möglichkeiten und habe viel gelernt. Luciana Serra hat die Basis für meine Technik gelegt, mir beigebracht, auf dem Atem zu singen. In diesen Jahren konnte ich in Partien wie meinem geliebten Schaunard, aber auch als Enrico Ashton und Figaro im Barbiere  debütieren. Für einen jungen Sänger von nicht einmal 26 Jahren war es eine außergewöhnliche Chance, diese Rollen an der Mailänder Scala singen zu dürfen.

 

Massimo Cavalletti: Riccardo in "I puritani" in Florenz 2015/ Generalprobe/Foto  Pietro Paolini / Terraproject Contrasto

Massimo Cavalletti: Riccardo in „I Puritani“ in Florenz 2015/ Generalprobe/Foto Pietro Paolini / Terraproject Contrasto

Mittlerweile waren Sie bereits in 70 Vorstellungen und acht verschiedenen Rollen an der Scala zu erleben, eine beachtliche Statistik für solch einen jungen Sänger. Zur Expo in Mailand sind Sie von Juni bis November in vier verschiedenen Rollen zu hören: Escamillo, Figaro, Marcello und Ford. In Il barbiere di Siviglia sind Sie mit Leo Nucci als Figaro doppelt besetzt, den Sie als eine Ihrer großen Inspirationen bezeichnen und der Ihnen immer wieder künstlerische und technische Ratschläge gibt. Was genau konnten Sie von ihm lernen? Um es in einem Wort zu sagen: „Das Theater“. Leo hat mir wahnsinnig viel beigebracht, besonders, was die Verwendung der Musik und des Körpers im Dienste des Wortes betrifft. Zur Erklärung ein Beispiel für alle: Nicht immer ist eine Note oder ein Ton an und für sich effektvoll. Ein Ton schöpft seine wahre Kraft aus der Art und Weise, wie das Wort ausgedrückt wird. Das ist es, was ein wirklich großer Lehrer an seine Schüler weitergeben sollte. Es geht nicht nur um die Tonproduktion alleine. Man kann sehr gut singen, aber dabei sehr langweilig sein. Theater ist Leben und Vitalität, Ausdruck und Kommunikation.

 

Massimo Cavalletti: Marcello in "La Bohème" an der Metropolitan Opera New York 2014/ Foto Marty Sohl

Massimo Cavalletti: Marcello in „La Bohème“ an der Metropolitan Opera New York 2014/ Foto Marty Sohl

Auch an der Metropolitan Opera New York sind Sie mittlerweile regelmäßiger Gast. Nächstes Jahr werden Sie in einer Neuproduktion von Manon Lescaut nach New York zurückkehren. Die  Vorstellung am 5. März 2016 wird in High Definition in viele Kinosäle auf der ganzen Welt übertragen. Haben die Kinoübertragungen die Art und Weise der Arbeit auf der Opernbühne verändert? Ändert sich für Sie etwas in der Darstellung einer Rolle, wenn die Vorstellung im Kino übertragen wird und viele Zuschauer jede kleinste Regung und Bewegung auf der Leinwand verfolgen können? Die HD-Übertragungen sind die neueste Entdeckung, die dabei hilft, die Oper und das Theater in die ganze Welt zu bringen. Das Schöne und Tolle dabei ist der Enthusiasmus von Personen, die vorher nie in der Oper waren, aber ins Kino gegangen sind (zu sehr erschwinglichen Preisen), um sich eine Oper anzusehen und die Oper an und für sich kennenzulernen. Ohne Zweifel müssen die Geschehnisse auf der Bühne und die Interpretation kino- und kameratauglich sein. Man darf nicht ohne Weiteres die Position auf der Bühne verlassen und man muss immer präsent bleiben. Auch die Beleuchtung hat sich geändert und ist kinotauglicher geworden, ebenso die Maske, die so natürlich wie möglich sein muss. Die Vorstellungen, in denen ich bisher mitgewirkt habe und die im Kino übertragen wurden – an der MET (La Bohème 2014), bei den Salzburger Festspielen (La Bohème 2012) oder an der Mailänder Scala (Simon Boccanegra 2010) waren allesamt tolle Erlebnisse und schöne persönliche Erfahrungen.

 

Massimo Cavalletti: Escamillo an der Metropolitan Opera New York 2014/ Foto Ken Howard

Massimo Cavalletti: Escamillo an der Metropolitan Opera New York 2014/ Foto Ken Howard

Und die berühmte Frage zum Schluss: Was machen Sie in Ihrer freien Zeit und wie halten Sie sich fit für die immensen Herausforderungen der Sängerberufs?  Ich koche gerne und mit der Zeit immer gesünder und verwende nur lokale Produkte aus biologischer Landwirtschaft. Mir macht es großen Spaß, spazieren zu gehen, Ausstellungen zu besuchen und jede Gelegenheit zu nutzen, in Kultur und Kunst einzutauchen. Mein liebstes Hobby ist es, Münzen zu sammeln, sowohl alte als auch neue. Wann immer ich die Gelegenheit dazu habe, gehe ich ans Meer oder an den See, denn das Wasser ist der beste Platz, um sich zu erholen. Ich liebe den Frieden eines Ufers und den wunderbaren Duft von Jod in der Luft. Wenn ich Zeit habe, entfliehe ich allem und fahre in meine geliebte Toscana, um meine Eltern zu besuchen und um diese perfekte Kombination von Licht und Land zu genießen, die ich nur dort finde.

 

Massimo Cavalletti ist nach dem 28. Juni noch am 2. und 5. Juli 2015 als Belcore in L’elisir d’amore am Opernhaus Zürich zu erleben. Zu seiner Ausbildung und Laufbahn: www.massimocavalletti.com / facebook.com/maxcavalletti/  twitter.com/MaxCavalletti/  instagram.com/maxcavalletti / Foto oben: Massimo Cavalletti/ Foto VictorSantiago