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Da saß ich nun vor der Aufnahme des Moniuszkoschen Paria und wusste nicht recht, wo anfangen, denn nach einer abenteuerlichen Detektivgeschichte hörte ich noch einmal die Musik und fragte mich, war es das alles wert? Unsere Reihe Vergessener Opern ist ja in operalounge.de eine Erfolgsserie von inzwischen einigen Folgen. Und natürlich hat das Aufspüren des Vergessenen sehr oft etwas mit den eigenen Obsessionen und der von unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten nur noch weiter angestachelten Neugier des Suchenden zu tun.
In diesem Falle war das Objekt der Begierde Moniuszkos Paria, den ich – 2014 und lange bevor nun heute/2023 die Oper in zwei oder drei Variationen zur Verfügung steht und auch als Video bei youtube zu sehen ist – als ein verschwommenes, dunkeltrübes VHS-Video von dem Kollegenfreund und Polen-Liebhaber Carl Hiller vor vielen (!) Jahren bekam, das ich mir beim Überspielen auf DVD noch einmal anschaute. Die Optik war die der Aufführung in Warschau 1981, der Ton unterlegt mit akutem Brummen – eben die x-te Kopie. Aber man sah Exotisches: Federn, Palmen, Goldlamée am Meter und Sänger, die von links nach rechts schritten. lndisches offenbar oder zumindest Fernöstliches, Üppiges. Perlenfischer oder so? Und das von Moniuszko, dem Schöpfer der patriotischen, vaterländischen Halka, dem Erzpolen, der mir weitgehend nur von alten Muza-LPs und ein paar Eindrücken einer muffigen Aufführung in Posen (beim dortigen E. T. A. Hoffmann-Festival) im Gedächtnis war? (Um der Wahrheit die Ehre zu geben – es gibt und gab zumindest die Halka und das Gespensterschloss auch in westlich zugänglichen Aufnahmen/EMI u. a., von Halka sogar ein modernes Video aus Warschau) Bei meinem Hang zum Orientalischen war eine Neugier geweckt. Woher bekam ich nun den Paria (die unbefriedigende Aufnahme von Dux aus Stettin und Naxos aus Posen gab´s da noch nicht) und was war ,,dran“ an ihm? lch machte mich auf die Suche.
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„Paria“/Stanislaw Moniuszko/3 Slawische Komponisten: Michael Kleopas Oginski, Frederic Chopin und Stanislaw Moniusko (aus: Slawische Komponisten, 1890)/OBA
Im Internet gibt es lnformationen, Hinweise auf Produktionen in Warschau, Krakau, Lodz, Stettin, zuletzt aus Posen/2023, einige von der Regisseurin Maria Foltyn. Hanna Lisowska (ehemals verdiente Sopranistin an der Berliner Lindenoper) hatte auf dem Video aus Lodz gesungen, Antoni Wicherek dirigierte. Aber die Musik? Nichts. Ein, zwei Arien auf Tenor- und Sopran-LPs/CDs von Ochman und Zylis-Gara, die Appetit machten. Der Zufall führte mich ins Deutsche Rundfunkarchiv in Babelsberg, wo die Schätze der aufgelösten DDR-Funkanstalten lagern. Schon der Beginn meiner Suche dort war mit Widerständen gepflastert. So beamtig, so wenig hilfsbereit, so fafnerisch Schätze verwaltend hatte ich noch keine Mitarbeiter eines Archives angetroffen. Es war, als ob man in ein privates Wohnzimmer eingebrochen wäre… Mürrisch, widerwillig ließ mich der Oberaufseher in den angegammelten, handgetippten/-geschriebenen Karteikarten suchen, unwillig wies man mit dem Finger auf einen defekten Kopierapparat/Drucker, inkompetent suchte man im Computer nach Titeln, Namen, Aufführungen.
„Paria“/Stanislaw Moniuszko/ die Regisseurin und ehemalige Kulturministerin Maria Foltyn war entscheidend an der Wiederbelebung der Oper beteiligt/AKPA
Aber oh Wunder – allen menschlichen Widernissen zum Trotz hatte ,,man“ einen Paria dokumentiert, nicht etwa verfügbar! Es war die Übernahme einer Rundfunkaufnahme aus Krakau von 1971 unter Antoni Wicherek. Aber es war eben eine Übernahme, also sah ,,man“ sich außerstande, diese Aufnahme (ehemaliges Brudervolk oder nicht) zur Verfügung zu stellen, weder für mich privat (was man beim DRA sonst gegen eine Gebühr kann!!!) noch beruflich – Übernahme war Übernahme, und das war das (bei einem Dokument von 1971!). Ohne einen Persilschein (i. a. Unbedenklichkeitserklärung) vom polnischen Rundfunk war’s das. lch dachte nach.
„Paria“/Stanislaw Moniuszko/Der Dirigent Antoni Wicherek beim Jubiläum des Theater Wielki Warschau 1993/TWW
Ein Bekannter hat einen polnischen Lebensgefährten, den bat ich – nach drei vergeblichen e-mails in Englisch nach Polen – um Übersetzung eines Briefes in dieser Sache an den Rundfunk in Krakau und – ach diese reizenden Polen! – geriet an einen liebenswürdigen Herrn vom Tonarchiv, der mir bedeutete, dass Radio Krakau erstens nicht der Produzent der Aufnahme gewesen sei (sondern das dortige Sinfonieorchester) und dass zweitens alles Vorwende-Material inzwischen im zentralen Radioarchiv in Warschau gelagert sei, dem eine Dame vorstünde. lch dankte und schrieb an dieselbe. Keine Antwort. Weder beim ersten, zweiten, dritten, geschweige denn vierten Mal.
„Paria“/Stanislaw Moniuiszko: Der große polnische Dichter Adam Mickiewicz/Stich von Jan Mieczkowski/OBA
lch begab mich wieder ins Internet und fiel über einen Eintrag zum Paria auf der Homepage der Adam-Mickiewicz-Gesellschaft in Warschau. Dort gibt es bezaubernde Mitarbeiterinnen, von denen eine sich meiner erbarmte und in wunderbarem Deutsch mir ein altes Programmheft vom Paria in Warschau zuschickte und mit mir nicht nur eine charmante Korrespondenz begann, sondern auch der störrischen Direktorin des Radioarchives auf den Leib rückte. Die überraschende Auskunft war nun, dass das Radioarchiv sich nicht als Eigentümer der gesuchten Aufnahme sah – da müsse ich in Krakau nachfragen! Hmmmm. Zurück in Krakau, entschloss sich der besagte Herr vom dortigen Archiv zu einer Sonderleistung und bescheinigte mir nun, dass das Rundfunkarchiv in Babelsberg (man erinnert sich?) mir die Aufnahme zur Verfügung stellen solle. Dies alles dauerte mehr als ein halbes Jahr. Und dann geschah das zweite Wunder: Wenig später erreichten ,mich zwei schlichte CDs aus Krakau! Man war dort über alles hinweg gesprungen und hatte mir die Aufnahme einfach zugeschickt. Der nette Herr vom Tonarchiv! Nun hatte ich meinen Paria, legte ihn mit zitternden Händen auf – und war nicht wirklich hingerissen! lch hörte ein im Prolog schwungvolles Werk, mittelprächtig gesungen, sicher ansprechend musiziert, aber doch von schwerem Duktus und etwas breiiger Konsistenz. Und tue mich schwer, etwas zur Oper zu sagen, in deren Kenntnis ich soviel Energie gesteckt habe. So ist das mit den Ausgrabungen manchmal – Sehnsucht ist oft besser als Erfüllung …
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„Paria“: Das alte Opern-Theater in Lodz von Fryderik Sellina ca 1910/wikipedia
ldentitätsfigur in einem zerrissenen Land: Wie sein zeitlich naher Kollege Ponchielli und viele andere ist auch Stanislaw Moniuszko eigentlich nur mit einem seiner Operntitel bekannt, der Halka, die seinen größten Ruhm, aber auch seine Zwangsjacke bedeutete. Halka war die Oper der polnischen Selbstfindung und ldentifikation, danach wurde dieser Ruhm für seinen Schöpfer eher zur Falle, denn alle seine weiteren Opernwerke wurden daran gemessen. Der Erwartungsdruck einer Wiederholung eben dieser lnhalte wurde übermächtig.
Wenn man über Moniuszko spricht, muss man die Situation Polens in jener Zeit berücksichtigen. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gab es physisch kein eigenstaatliches Polen mehr. Das Gebiet war aufgeteilt in einen (weiß-) russischen, litauischen und deutschen Teil – eine Situation, die bis zum ersten Weltkrieg anhielt. ,,Polnisch“ war man nur in ethnischer und kultureller Hinsicht. Polnisch war eine Sprache und ein kulturelles Zugehörigkeits-Gefühl, und der verzweifelte Aufstand der polnischen lntelligenz gegen die russische Oberherrschaft 1863 endete ebenso blutig wie katastrophal für die Beherrschten. In diesem Lichte ist es von enormer Bedeutung, die Beiträge polnischer Künstler/Komponisten/Dichter zu sehen, die mit ihren Werken eine Klammer für die Menschen in den besetzten Gebieten schufen. Moniuszko war einer der wichtigsten davon.
„Paria“/Stanislaw Moniuszko/OBA
Er wurde 1819 in Ubiel, einer Kleinstadt nahe dem weißrussischen Minsk, als Sohn wohlhabender Landbesitzer geboren und kam früh mit Musik und Kunst in Berührung. Sein Vater hatte in Napoleons Armee gedient und galt als ein bekannter Dichter und Maler, seine Mutter eine begabte Amateurpianistin, die das Talent ihres Sohnes erkannte und ihm die ersten Stunden gab. 1827 zog die Familie ins damals russisch geführte Warschau um, wo Moniuszko am Konservatorium bei Freyer Unterricht erhielt und ein Studienfreund von Chopin war. 1830 zog die Familie wegen finanzieller Schwierigkeiten nach Minsk zurück. Wegen des zunehmenden russischen Einflusses veranlasste sein Vater 1834 seinen Abgang vom Gymnasium und schickte ihn nach Berlin (und nicht nach Moskau oder St. Petersburg, wie man erwarten sollte), wo er an der Singakademie bei Rungenhagen studierte. Seine bisherigen Opernkenntnisse wurden in Berlin auch im Sinne einer westeuropäischen Prägung erweitert und vertieft (Spontini war Chef der Hofoper, der italienische Einfluss wurde durch Werke von Weber, Marschner und Lortzing komplementiert).
„Paria“/Stanislaw Moniuszko/Das Theater Wielki in Warschau um 1900/OBA
Nach den ersten Kompositionen (kleine Werke, Operetten, die in Vilnius und auch in Warschau aufgeführt wurden) kam der Durchbruch mit der Halka, die erstmals in Vilnius in der Zweiakt-Fassung 1848 gegeben wurde, in der Folge für Warschau umgearbeitet und schließlich ihre bekannte Vieraktfassung erhielt. 1858 hatte sie am Wielki ihren großen Erfolg und wurde zur polnischen Nationaloper, weil hier erstmals polnische Charaktere in einem tragischen Sujet und dazu noch in einer packenden Klassen-Auseinandersetzung auf die Bühne gebracht wurden. In seinem wichtigen Buch über Moniuszko (,,Musik für die Nation“) schreibt Rüdiger Ritter (Professor an der Universität Oldenburg, Angaben nachstehend) über die Probleme der nationalen Selbstfindung Polens, über nationale Selbstverständigung durch Musik und vor allem über Halka, über diese Oper als nationaler Mythos, der entscheidend zur Erfüllung politischer und kunstästhetischer Postulate beitrug. Spannend ist dabei auch der Weg der Halka im politischen Verständnis dieser und der nachfolgenden Zeit (bis hin zur Epoche des Sozialismus), nämlich vom ungeliebten sozialkritischen Werk zum nationalen Mythos, der Legenden produziert: das Nationalsymbol Halka als Eckstein der polnischen politischen Mythologie.
„Paria“/Stanislaw Moniuszko/OBA
Die Untersuchungen Ritters umfassen ein weites Spektrum. Er beschreibt absolut spannend die Wirkungsweise der Moniuszkoschen Musikwerke auf ihre Zeit, das politische und ethnisch-kulturelle Selbstverständnis jener Jahre, die Wirkung der Musik im gesellschaftlichen Kontext und vor allem über Moniuszko und die ldee einer eigenständigen polnischen Nationalmusik, in welches Muster Moniuszko hineingepresst wurde. Seine Musik – meint Ritter zu Recht – wurde zu einer nationalen Klammer in einem Land ohne eigentliches polnisches Territorium. Den Novemberaufstand von 1830/31 sieht Ritter als Höhepunkt eines Konzeptes auch der politisch engagierten Musik, die entscheidend zu dem (vergeblichen) Aufbegehren beigetragen hatte.
„Paria“/Stanislaw Moniuszko/“Halka“ in Lodz/TWL
Der Erfolg der Halka in Warschau machte auch den Erfolg ihres Komponisten. Er ging auf eine Tournee durch Westeuropa, traf Smetana in Prag und Liszt in Weimar und komponierte seinen Flis (Der Flößer) in Paris. Zurückgekehrt akzeptierte er den Posten eines Operndirektors am Wielki in Warschau und brachte hier 1858/60 Flis und die Hrabina (Die Gräfin) heraus. Jan Checinski, sein späterer Autor für den Paria, schrieb das Libretto zum Verbum nobile (1861). Während der Arbeit am Straszny Dwor (Das Gespensterschloss; 1865) schwappten die Aufstände von 1868 ins Theater über, das Wielki wurde zu einer Kaserne umfunktioniert, Moniuszko verlor seinen Posten und wurde Direktor der Akademie, des späteren Konservatoriums. Die Folgen des Aufstandes gegen die russische Besatzung waren streng, und die Zensur regierte. Moniuszkos hochpatriotisches Gespensterschloss wurde nach nur drei Aufführungen zurückgezogen. Das nachfolgende Werk, Paria, hatte denn auch ostentativ kein polnisches Sujet (oder so schien es), sondern spielte ganz eskapistisch im exotischen lndien (damals sehr beliebt und oft verwendet), scheiterte aber eben darum 1869/1872 nach nur wenigen Aufführungen – die immer noch politisch aufgeheizte (polnische) Öffentlichkeit hatte eine zweite Halka, ein politisches Statement, erwartet und war enttäuscht. Moniuszko – verletzt und frustriert – starb wenig später (am 4. Juni 1872) an einer Herzattacke.
„Paria“/Stanislaw Moniuszko/Indischer Tempel von James Ferguson ca. 1850/OBA
Die Enttäuschung der Öffentlichkeit traf besonders den Paria. Schon 1860 (so zitiert Ritter eine Zeitung) schrieb man: ,,Nach dem hübschen Flis etc. ist es jetzt Zeit für eine zweite Halka, wir verlangen und erwarten sie!“ Die Ablehnung der neuen Oper resultierte aus der frustrierten Erwartung des Publikums, das sich von seiner Besatzung gedemütigt sah und auf ein Fanal zu weiterem Widerstand wartete. Dabei konnte nicht wahrgenommen werden, dass Moniuszko musikalisch außerordentlich experimentiert, neue kompositorische Finessen gewagt hatte, weil er seine in Halka begonnene sozialkritische Haltung verschärfte und in Delavignes Vorlage eine ideale Entsprechung für die Geißelung inner-polnischer Zustande sah. Im Vorfeld, bei Ausschnitten der Oper in einem Konzert 1860, war bereits aufgefallen, wie anders diese Musik nun klang und wie wenig Lokalkolorit zu hören war. Man kritisierte die schwache Charakterzeichnung der Figuren, vermisste Tempeltänzerinnen, Ganges und schwankende Palmen und blieb eben darin in bestürzender Oberflächlichkeit stecken.
“Paria”/Stanislaw Moniuszko/Indische Landschaft von James Ferguson um 1859/OBA
Paria ist eben keine kitschige lndienoper. Es ist ein großangelegtes Werk, das nur scheinbar in Fernost spielt. Seine musikalische Nähe zu Wagner ist unüberhörbar, die Arienführung ist nicht mehr nur eine Nummernfolge, sondern eingebettet in stimmungsvolle und vor allem auch durchkomponierte Umfelder. Wagners Einfluss beschränkt sich aber wohl nur auf das Vorhandensein einiger charakteristischer Elemente. Ritter schreibt zu Recht: ,,Neben Rezitativen, die der Wagnerschen Prosodie angenähert sind, gibt es ebenso traditionelle …“ Zumal sich hier auch Übernahmen aus früheren, zum Teil nicht realisierten Werken finden. Die Instrumentation wurde als zu groß, zu laut empfunden und überlagere zum TeiI die Singstimmen, die Ouvertüre verglich man mit der Einleitung zum 3. Akt des Lohengrin.
„Paria“/Stanislaw Moniuszko/Hanna Lisowska als Neala in Lodz 1993/TWL
,,Moniuszko“, schreibt Ritter, ,,hatte mit der Komposition der Oper ein langgehegtes Projekt verwirklicht; schon zu Beginn seiner Komponistenlaufbahn hatte ihn der Stoff fasziniert. Mit (dieser) war er keineswegs von seiner Konzeption der engen Verbindung von sozialkritischer und nationaler ldee abgewichen, auch wenn die sozialkritische Zeichnung hier besonders scharf ausfiel… Der Misserfolg des Paria verdeutlicht, dass die Rezeption eines neuen Werkes Moniuszkos mittlerweile im Rahmen eines statischen, festgelegten Systems erfolgte.“ Moniuszko selbst hielt hingegen seinen Paria für seine beste Komposition, selbst nach der übereilten Warschauer Absetzung, und pries das Werk gegenüber dem Direktor der Petersburger Oper als ,,hinsichtlich des künstlerischen Wertes unvergleichlich besser als Halka.“
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Moniuszko/“Paria“/Zenon Kowalski/Szene aus der Aufführung in Lodz/TWL
Die Oper selbst rechtfertigt diese Einschätzung meines Dafürhaltens nicht wirklich – es fehlt jene inspirative Kraft der Halka oder die schwungvolle Dynamik des Straszny Dwor mit seiner in die Füße gehenden Ouvertüre. Eindrucksvoll sind hier die großen Chorsätze, einzelne Arien wie die des ldamor, der Auftritt seiner Geliebten Neala, eine wirklich schöne Bariton-Arie des Dzares, die an eine Totenklage erinnert. Aber der Hörer braucht nach einem stimmungsvollen Prolog doch bis zum letzten Akt, um dem Drama auch musikalisch etwas abzugewinnen. Hier nun, in der großen Konfrontation zwischen Vater und Sohn und vor allem auch zwischen dem Paria und seiner Brahmanen-Braut, kommen die memorableren musikalischen Momente, die von entsprechender Instrumentalisierung getragen werden.
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„Paria“/Stanislaw Moniuszko/Szene Stettin 2007/Opery na Zamku
Verbreitung: Den Paria gab es überraschenderweise relativ oft in der polnischen Nachkriegszeit des Sozialismus, nachdem das Werk nach der Premiere 1869 schnell verschwand und sich für die Zwischenzeit nur wenige Belege finden (selbst der fleißige Seeger/Oper hat keine). Nach dem Krieg war vor allem Maria Foltyn eine treibende Kraft für die Wiederbelebung mit Produktionen am Wielki in Warschau und weiteren in Posen, Lodz und Breslau. 2007 bzw. 2009 gab es noch eine in Stettin. Die Rundfunkaufnahme aus Krakau 1971 wurde bereits genannt, eine TV-Aufnahme wurde 1981 vom Wielki Warschau erneut unter Wicherek gemacht, und es kursierte eine VHS-Kaufversion aus Lodz von 1993 mit der Lisowska, Bednarek und Kowalski unter – wieder einmal – Wicherek (musikalisch mit Abstand das beste Dokument, auch dank der fulminanten Lisowska, und durchaus üppig in der Perlenfischer-Folge). Die Stettiner Aufführung von 2007 (wiederholt im Dezember 2009) unter Warcislaw Kunc kam bei Dux 2008 heraus und ist einfach nicht wirklich überzeugend gesungen bzw. dirigiert, zumal die Beilage es nur zu einer polnisch-italienischen Version des Librettos schafft – das trägt nun wirklich nicht zur Verbreitung jenseits von europäischen Grenzen bei (DUX 0686/87, 2 CDs). Zuletzt, 2023, kam bei Naxos eine weitere CD-Aufnahme aus Posen heraus (Jacek Kaspczyk). Geerd Heinsen
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Moniuzskos Oper „Paria“ 2023 im Gastspiel der Posener Oper in der Berliner Philharmonie. s. Bericht/ Iwona Sobotka sang die Neala und erinnerte im Timbre an andere berühmte polnische Sopranistinnen wie Teresa Kubiak oder Teresa Zylis-Gara/ Foto: K. Bieliński / Polish National Opera
Inhalt: Der Titelheld und Heeresanführer ldamor stammt aus der untersten Schicht der indischen Gesellschaft, der Kaste der Parias, und hält diese Tatsache geheim. Dank seines militärischen Talentes und seiner Heldenhaftigkeit kann er jedoch einen der höchsten gesellschaftlichen Range einnehmen, nämlich den Posten des Anführers der Kriegerkaste. Im Prolog gibt es einen Zwischenfall, als ldamor seinen Kameraden von seiner Liebe zu Neala, der Tochter des Oberbrahmanen, erzählt. Ein zerlumpter Mann wird aufgegriffen, den die Soldaten töten wollen – es ist ldamors Vater, den dieser unerkannt freilässt. ldamors Braut Neala, die Tochter Akebars, verachtet zwar ebenso wie die Angehörigen ihres Standes die Kaste der Parias, ihre Liebe zu ldamor ist jedoch stärker, als ldamor ihr seine Herkunft gesteht (Akt 1). Sie will seine Frau werden, und die Hochzeit wird mit großem Prunk angesetzt (Akt 2). Nichts scheint dem Glück der beiden im Wege zu stehen, da niemand außer Neala von der Herkunft ldamors weiß. Während der Hochzeitsfeierlichkeiten (Akt 3) jedoch erscheint der Vater ldamors im Tempel, der Bettler Dzares. Verzweifelt darüber, dass sein Sohn seine Kaste verlassen hat, offenbart er ldamors Herkunft als Paria. Da den Angehörigen dieser Kaste das Betreten des Tempels verboten ist, muss Dzares bestraft werden. ldamor tritt zur Verteidigung seines Vaters auf. Im Zorn beleidigt er den Priester. Zur Strafe dafür muss auch er sterben. Neala aber, vom eigenen Vater verflucht, geht gemeinsam mit Dzares in die Verbannung (Handlung nach Ritter).
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Und schließlich: Als eines der wichtigsten und objektiven (und vor allem wenigen!) Bücher in deutscher Sprache über Moniuszko, seine Zeit und seine Wirkung beziehe ich mich auf die 790 Seiten starke (Doktor-)Arbeit von Rüdiger Ritter, Musik für die Nation – der Komponist Stanislaw Moniuszko in der polnischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, das als Band 6 in den Oldenburger Beiträgen zur Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Oldenburg im Verlag Peter Lang 2005 erschienen ist (Peter Lang Verlag, Frankfurt/M, 2005, ISBN 3-631-52829-9; www.peterlang.de) und eine profunde Quelle darstellt. Mein Dank gilt auch Christopher Kidula für die Übersetzungen, dem Kollegen Dieter-David Scholz, der charmanten Natalia Dubinska vom Adam-Michiewicz-lnstitut sowie Jerzy Pawlczyk von Radio Krakau für seine außerordentlich liebenswürdige und unorthodoxe Hilfe. Geerd Heinsen