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In einer gefeierten Berlin-Premiere an der Staatsoper Unter den Linden war die Mezzosopranistin Katarina Bradić wieder in der Titelrolle von Bernard Foccroulles „Cassandra“ zu erleben – eine Partie, in der sie bereits in der Brüsseler Uraufführung auf der Bühne stand. Im Interview mit Beat Schmid spricht sie über die emotionalen und stimmlichen Herausforderungen dieser Rolle, ihre Beziehung zu Berlin und ihren Weg durch unterschiedlichstes Repertoire, von Händel bis hin zur Gegenwart.
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Die Berlin-Premiere von „Cassandra“ liegt hinter Ihnen, und die Kritiken waren durchweg begeistert. Wie war die Rückkehr zu dieser Rolle – emotional, stimmlich und künstlerisch – auf einer neuen Bühne? Diesmal fühlt sich das Singen der Cassandra ganz anders an. Ich glaube, ich trage ihren Schmerz jetzt tiefer in mir, was mir erlaubt, sie mit etwas weniger unmittelbarer Emotion zu singen. Das tut der Stimme gut – besonders bei einer so tragischen und temperamentvollen Figur wie Cassandra.
Es gab viele Details, die für die neue Bühne angepasst werden mussten: Licht, Kameraführung, Positionen auf der Bühne, insbesondere der Pool mit dem Wasser. Für mich war der Umgang mit den Büchern, die aus den Regalen fallen eine besondere Herausforderung. Es ist schwer vorherzusagen, wie sie sich verteilen und ob sie mir genug Raum lassen, um mich zu bewegen und später für den „Bienentanz“. Man muss flexibel und bereit sein, ein wenig zu improvisieren.
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Sie haben die Cassandra in Brüssel uraufgeführt und nun in Berlin neu interpretiert. Was hat der neue Kontext der Rolle hinzugefügt, und wie hat sich Ihre Beziehung zur Figur verändert? Dass ich die Rolle bereits in Brüssel gesungen habe, hat meine Sicht auf die gesamte Oper reifen lassen – besonders auf die Figuren, mit denen ich auf der Bühne in Beziehung stehe. In Brüssel war ich so auf die Musik konzentriert, dass ich erst jetzt merke, wie sehr mir damals der Raum im Kopf fehlte, um die feinsten Nuancen des Librettos wirklich zu begreifen. Diese machen nun dramaturgisch viel mehr Sinn für mich.
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Die Oper behandelt aktuelle und komplexe Themen: Klimakrise, Mythos, Wahrheit und Verleugnung. Wie hat das Berliner Publikum im Vergleich zu Brüssel reagiert? Gab es Überraschungen? Ich habe das Gefühl, dass das Publikum in Brüssel wie in Berlin sehr gut auf die Oper reagiert hat. Da ich in Berlin mehr Menschen kenne, habe ich persönlich auch mehr Rückmeldungen bekommen – und freue mich sehr, dass das Publikum die Musik ebenso geliebt hat wie das Libretto und die Geschichte. Von der Bühne aus konnte ich beobachten, dass der Zuschauerraum mit jeder Vorstellung voller wurde – das spricht für sich.
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Sie haben an allen drei großen Berliner Opernhäusern Hauptrollen gesungen – was selten ist! Wir erinnern uns an Ihre Lucretia und „Negar“ an der Deutschen Oper, Ihre Händel-Rollen und die Sphinx in „Oedipe“ an der Komischen Oper oder „Amor vien dal destino“ an der Staatsoper. Wie erleben Sie Berlin als Stadt für Sänger und Künstler? Was unterscheidet die Häuser Ihrer Erfahrung nach? Berlin ist eine unglaublich reiche Stadt, wenn es um Kultur geht! In Europa kann man das vielleicht nur mit Paris und London vergleichen. Drei Opernhäuser, die fast alle Sparten inklusive Ballett spielen – das ist ein Privileg, für Künstler wie für Publikum.
Als ich als Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin begann, stand ich noch am Anfang meiner Karriere. Ich lernte das Handwerk auf der Bühne mit mittleren und kleinen Rollen, mit Ausnahme der Lucretia. Dort sang ich von Mozart bis zur zeitgenössischen Oper, nur nicht das mir so geliebte Barock-Repertoire – das war nicht Teil des Spielplans. Zum Glück kam bald die Komische Oper mit ihrer legendären „Xerxes“-Produktion von Stefan Herheim – damit bekam ich Zugang zum Barock. Seitdem kehre ich regelmäßig als Gast an die KOB zurück, fühle mich dort sehr zuhause und singe Rollen von Barock bis Moderne.
Dank René Jacobs sang ich an der Staatsoper Berlin erstmals die Lavinia in Steffanis „Amor vien dal destino“. Damals war das Haus noch im Umbau, und wir spielten im Schiller-Theater. Dass ich jetzt „Cassandra“ im Stammhaus Unter den Linden singen darf – zur Zeit der Lindenblüte – ist für mich etwas ganz Besonderes.
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Sie haben einige der wichtigsten Frauenrollen der Oper gesungen, darunter Carmen und Dalila. Wie nähern Sie sich Figuren, die das Publikum zu „kennen“ glaubt? Ich trete nie mit den Erwartungen des Publikums an eine Rolle heran. Man weiß ja nie, wer im Saal sitzt und was erwartet wird – und das sollte auch gar keine Rolle spielen, denn es setzt einen nur unter Druck. Wenn man etwas nur tut, um anderen zu gefallen, verleugnet man sein authentisches Selbst, auf der Bühne wie im Leben. Ich versuche, mich mit der Figur zu verbinden, so wie ich sie verstehe. Wenn meine Sichtweise stark von der des Regisseurs abweicht, suche ich trotzdem eine Begründung dafür und versuche, beide Visionen zu vereinen. Am Ende kann ich nur mein Herz und meine Seele auf der Bühne geben – und dem Publikum überlassen, ob es meinen Weg annimmt oder nicht.
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Auch Carmen haben Sie gesungen – eine Rolle, für die es unzählige Interpretationen gibt, die als Referenz gelten. Wie sieht Ihre persönliche Carmen aus, und wie hat sich Ihre Interpretation über die Jahre verändert? Mir ist wichtig, dass meine Carmen nicht banal in ihrer Sexualität und Verführung ist. Ich sehe sie als Frau, die sich ihrer Reize sehr bewusst ist und sie einsetzt, um zu bekommen, was sie will. Aber sie tut das nicht aus Bosheit, sondern auf kapriziöse Weise – das ist ihre authentischste Eigenschaft. Als sie erkennt, dass sie sich in eine Lage manövriert hat, in der sie zur Zielscheibe wird und sogar ihr Leben in Gefahr ist, sucht sie keinen unehrlichen Ausweg. Sie bleibt stur entschlossen, sich und ihre Freiheit zu verteidigen – mutig und souverän bis zuletzt, auch im Angesicht des Todes.
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Anfang des Jahres sangen Sie die Titelrolle in Händels „Orlando“ am Théâtre du Châtelet in Paris. Was war die größte Herausforderung, sich in diesen gequälten Krieger hineinzuversetzen? Die größte Herausforderung war nicht, in seinen Kopf zu schlüpfen – sondern in seine Kehle! Ich habe zwar schon Rollen mit ähnlich tiefer Lage gesungen, aber nie eine mit so vielen Arien – acht Arien und zwei Duette. Das ist ein gewaltiger Kraftakt für eine Frauenstimme, und es hat mich etwa ein Jahr gekostet, bis ich die Partie in meine Stimme „eingepackt“ hatte.
Eine zusätzliche Schwierigkeit: Nicht wirklich zu weinen während Angelicas Arie „Se fedel vuoi, ch’io ti creda“. Wenn ich das tat, war meine Nase völlig verstopft und der weiche Gaumen angeschwollen – was das Singen der folgenden Arie „Fammi combattere“ sehr erschwerte. Aber die Regieanweisung war, tieftraurig zu sein, und mein Kollege sang so berührend, dass ich nicht immer nur „gespielt“ weinen konnte.
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Sie haben eine starke Affinität zu Händel. Was zieht Sie immer wieder zu seiner Musik, und was verlangt sie von einer Sängerin – emotional und technisch? Die Rollen in Händels Opern, die gut zu meiner Stimme passen, sind sowohl männliche als auch weibliche Figuren – was beides eine große Anziehungskraft für mich hat. Es sind meist keine romantischen Charaktere, sondern Rollen mit feurigem Temperament, das sich in Koloraturarien ausdrückt – oft durchsetzt von Eifersucht und Wut. Das kann auf der Bühne sehr anstrengend sein, aber genau das macht für mich den Reiz daran aus.
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Sie bewegen sich mühelos zwischen Barock, Romantik und zeitgenössischer Oper. Wie halten Sie Ihre Stimme flexibel – und gibt es ein Genre, in dem Sie sich besonders zuhause fühlen? Für mich ist der wichtigste Faktor: Zeit. Ich muss mir genug Zeit geben, damit sich meine Stimme langsam und sanft an die Technik anpassen kann, die eine neue Rolle in einem neuen Stil verlangt. Natürlich ist es nicht einfach, vom Barock zur zeitgenössischen Musik zu wechseln oder umgekehrt – die Gesangslinien, Rhythmen und Ausdrucksformen sind extrem unterschiedlich. Jeder Stil, ja jede einzelne Rolle verlangt etwas Eigenes von der Stimme. Dafür muss man sich die nötige Zeit nehmen, um den passenden Ausdruck zu finden, ohne die Stimme zu überfordern.
Noch herausfordernder ist für mich der Wechsel von einer Mezzo- zur Alt-Tessitura – das geht nicht einfach mit einem „Hebel zum Umschalten im Kopf“. Ich muss meinen Körper neu einstellen und Werkzeuge finden, um einen optimalen, klangvollen Ton zu finden.
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Nach einer so intensiven und facettenreichen Rolle wie Cassandra – was steht als Nächstes an? Und gibt es ein Traumprojekt, das noch auf Sie wartet? Mein nächstes Projekt ist wieder „Orlando“ – diesmal in Luxemburg. Wieder springe ich von einer modernen Mezzorolle zurück zu einer barocken Altpartie. Ich bin ehrlich gesagt sehr gespannt, wie meine Stimme auf diese Rückkehr zu Orlando nach Cassandra reagieren wird.
Eines meiner Traumprojekte – von vielen – ist Mahlers 2. Symphonie. Ein Komponist und ein Werk, das jede Zelle meines Körpers anspricht und beimt Hören eine Art transzendentes Erlebnis auslöst (alle Fotos Dragana Branković). Beat Schmid