Archiv für den Monat: November 2019

Toller Hecht

 

Genau hingucken aufs Kleingedruckte sollte der künftige Leser von Alfred Kirchners Buch Der Mann von Pölarölara, denn da steht Autobiographische Splitter und nicht etwa Autobiographie. So sollte er sich nicht wundern, wenn tatsächlich keine chronologisch oder thematisch aufgebaute Lebens- und Karrierebeschreibung, sondern eine lose Abfolge von Erlebnissen und Eindrücken auf ihn wartet, oft abbrechend, wenn es gerade spannend wird, so beim Lohengrin in Oslo, wenn seitenlang die bange Frage im Raum steht, wie das Publikum die von Regisseur Kirchner verantwortete Inszenierung aufnehmen wird. Ehe das Rätsel gelöst wird, geht es aber zum Kuchenessen mit Tochter Emilia und danach flugs zu einem neuen Thema.

Das Buch beginnt mit der Schilderung eines Bombenangriffs auf des Autors Heimatsstadt Göppingen, die erste Verwunderungen auslöst, weil kein Luftschutzwart verhindert, dass die Familie während des Alarms in der Wohnung bleibt, weil ein Baby nach dem Angriff stumm für das restliche Leben bleibt und weil von Barbarossa behauptet wird, er käme wieder aus dem Kyffhäuser, wenn die Welt befriedet sei. Was hätte er dann noch zu tun? Und war 1945 vor Kriegsende von einer „deutschen Atombombe“ die Rede, nicht nur von einer „Wunderwaffe“, der V2?

Eine gespaltene Persönlichkeit führt uns das Buch vor Augen, kein Ich, sondern einen Alfred, ein Er, einen Mann aus Pölarölara, oft nur Pöla genannt, hinter dem sich der Autor versteckt, was dem Buch einen geschmäcklerischen, koketten Anstrich gibt, wozu auch beiträgt, dass weniger von den Werken, die in Sprechtheater oder Opernhaus auf die Bühne gebracht werden, die Rede ist als von den Reaktionen, oft positiven bis jubelnden Kritiken, die der Premiere folgen. Gern wird die Pose des Möchtegernrevoluzzers eingenommen, der  schockiert, der sich sonnt in der Empörung, die sein Wirken, auch und bereits in der Schule, hervorbringt. Da werden auch Künstler wie Freni und Ghiaurov nicht ausgenommen, selbst wenn Erstere versöhnen müsste, dass er sie für „die beste Violetta“ hält. Mit inzwischen vollendeten 80 noch von Lohengrins „bärenstarker Abschiedsarie“ zu schreiben ist ebenso bemerkenswert wie der Hang zu Umständlichkeiten wie das geschmäcklerische „teilten ihr Schicksal mit dem Kirschgarten“ anstelle von einfach „abgeholzt“ oder das neckische „ein wenig legendär“, ein „nicht ganz unliebenswert“ oder „nicht unanstrengend“.

Obwohl mit bayerischen Behörden oft im Clinch, findet er auch am Gegenpol Berlin wenig Gutes, denn es ist ihm bereits 1957  ein „wunderlicher Misthaufen“,  in dem sich Kriegerwitwen mit Türken zusammentun, was verwundert, weil das Anwerbeabkommen von 1961 stammt.  Viel besser kommt Straßburg mit einer liebenswürdigen Beschreibung weg, über die Zeit in Bremen, in Bochum, am Berliner Ensemble und in Bayreuth wird berichtet und mit Wendungen wie „göttlich“,  „Wunderfrauen“, „Strömen von Tränen“ nicht gegeizt. Lustig ist die Beiläufigkeit, mit der vom Lob eigentlich hassenswerter, weil politisch etablierter Personen wie Bundestagspräsident Lammert berichtet , Sieglinge im ersten Walküre-Akt eine Mitwirkung bei „Winterstürme“ zugestanden wird, es von Kurt Elser zu Harnoncourts „Don Giovanni“ nicht weit ist.

Liebevoll ist die Schilderung von Curt Bois und Bernhard Minetti, von Held und Schellow, gewunden, um der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen zu müssen, die von der Schließung des Schillertheaters, eher eine sehr subjektive Verteidigungsrede als eine Darstellung der Wirklichkeit, so dass es nur nachvollziehbar ist, dass der Autor Berlinern rät, dieses Kapitel nicht zu lesen. Sie wüssten es vielleicht besser, und sie fänden es nicht so gut, dass ausgerechnet das Neue Deutschland zweimal zum Zeugen aufgerufen wird.

Auch der Mann Alfred Kirchner stellt sich in schillerndes Licht, wenn er Andeutungen über die ihm verfallene „schönste Sängerin“ der Deutschen Oper Berlin und die Tänzerin, die sich seinetwegen das Leben nehmen wollte, tröpfeln lässt. Da wird bei manchem Leser das Recherchieren beginnen.

Fotos gibt es leider keine, aber auf solchen wäre ja der Regisseur auch nicht zu sehen.

Nicht besonders aufmerksam ist ein Lektorat, das „versucht ihm… zu lehren“ und „dem unvergessliche Freund“ durchgehen lässt, ärgerlicher aber ist das Überwiegen von Selbstbespiegelung gegenüber Information (265 Seiten  Verlag Hollitzer 2019; ISBN 978 3 99012 627 1). Ingrid Wanja

Mehr Gogol als Puschkin

 

Zu sehr lieben die Russen ihre Tatjana und ihren Lenski, als dass Regisseur Dmitri Tcherniakov ihre Charaktere hätte entstellen können, wie er es in Berlin mit Tristan und Isolde tat, und so sah man beim Gastspiel des Bolschoi Theaters mit Eugen Onegin 2008 in Paris auch nur eine nicht nur von Melancholie angehauchte, sondern depressive Tatjana, einen noch immer poetischen, wenn auch seine Liebesschwüre teilweise ablesenden Lenski. Krasser waren die Eingriffe bei einer dem Suff ergebenen Larina, einem sich angesichts des Liebesdramas im letzten Bild kühl die Manschettenknöpfe schließenden Gremin oder einer Olga, die der Verlust des Ohrrings härter träfe als der des Verlobten. Durchweg in einem Raum, der von einem riesigen Tische beherrscht wird, spielt das gesamte Werk, weder fröhliches Hofleben mit der Herrin huldigenden Bauern noch verschneite Landschaft für die Duellszene, höchstens für den letzten Akt ein prachtvollerer Saal, aber ebenfalls mit Tisch und Stühlen bestückt. Schwierig ist es, die Zeit auszumachen, in die das Werk verlegt wurde, die Kostüme des ersten Teils sprechen für die Zeit kurz vor der Oktoberrevolution, die Frisuren des zweiten Teils für die Fünfziger/Sechziger, aber da gab es nicht mehr die Gesellschaftsschicht, die in ihnen dargestellt wird. Hämisch, lauernd, grobschlächtig, gewalttätig und durchweg unsympathisch sind Herr wie G‘scherr, sorgfältig charakterisierte Kleindarsteller allesamt, unter ihnen die alte Dame besonders herausstechend, die erst lüstern Streit und Duellforderung beobachtet und sich doch schließlich entsetzt abwendet. Diese unsympathische Menge ist sowohl Zeuge des Duells, das ebenfalls im Saal stattfindet, aber hier eine Rangelei um ein Gewehr ist,  wie des Monologs Onegins zu Beginn des dritten Akts. Auch Gremin verkündet seine Verachtung der höfischen gesellschaft vor den Ohren derselben. Gestrichen ist der Triquet, dessen Couplet Lenski übernimmt, auch ein Ballett gibt es nicht. All diese Änderungen tun zwar nicht weh, bringen jedoch weder zusätzlichen ästhetischen noch Erkenntnis-Gewinn.

Natürlich sind die Russen mit einem vorzüglichen Solistenensemble angereist. An seiner Spitze allerdings kein Landsmann, sondern der Bariton Mariusz Kwiecien mit schöner lyrischer Stimme, der darstellerisch die Aura des lebens- und liebesüberdrüssigen Allesverächters vermissen lässt, eher wie ein biederer Landedelmann wirkt.  Wunderschön ist die Tatjana von Tatjana Monogarova, dazu mit einer  Sopranstimme begabt, die rein und klar klingt und keine unangenehme slawische Schärfe aufweist. Einen empfindsamen Abschied vom Leben singt der Lenski von Andrey Dunaev, dem von der pöbelhaften Gesellschaft übel mitgespielt wird.  Dunkel lockend klingt der Mezzo der Olga von Margarita Mamsirova, beachtliche Stimmreste verleihen Emma Sarkisyan der Njanja und Makvala Kasrashvili der Larina. Eine mächtige Röhre, die er genussvoll trompeten lässt, hat Anatolij Kotscherga für den hier recht zwielichtigen Gremin. Prachtvoll singt der Chor des Bolschoi, natürlich seinen Tschaikowski kennt und versteht das Orchester unter Alexander Vedernikov und klingt oftmals angenehmer, als es das Geschehen auf der Bühne eigentlich zulassen dürfte (BelAir BAC 446). Ingrid Wanja

Großer Klang in opulenter Verpackung

 

Eine opulent ausgestatte Aufnahme von Händels Brockes-Passion mit der Academy of Ancient Music legt das Eigenlabel des Orchesters auf drei CDs vor (AAM007). Der attraktive Pappschuber enthält das Album mit den CDs und der Trackliste sowie einen Band mit Einführungstexten, einer Tabelle mit Aufführungsdaten, historischen und Interpretenfotos sowie dem kompletten Libretto. Eine weitere Besonderheit der Ausgabe findet sich auf der dritten CD, welche in  zwei Anhängen Alternativversionen von einzelnen Nummern sowie die erste Aufnahme von Charles Jennens’ englischen Übersetzungen enthält.

Dirigent der Einspielung ist Richard Egarr, seit 2006 Musikdirektor des Orchesters, dem eine lebendige und intensive musikalische Deutung gelingt. Sogleich die Symphonia wird bestimmt von starken Kontrasten, und dieser Vorzug findet sich in der gesamten Einspielung bis zur letzten Nummer. Immer wieder lassen die gezielt gesetzten Affekte aufhorchen, so dass sich nie der Eindruck von Einförmigkeit einstellt. Der Choir  of the Academy of Ancient Music legt schon im Eingangschor, „Mich vom Strikke meiner Sünden“, Zeugnis ab von seiner hohen Klangkultur und differenzierten Tongebung. Mit dem Choral „Ich bin ein Glied an deinem Leib“ beendet er das Werk mit dem Ausdruck von Trost und Zuversicht.

Unter den Solisten ist der Countertenor Tim Mead als Judas der bekannteste Sänger. Seine erste Arie, „Lasst diese Tat“, führt das Orchester mit erregten Figuren ein und der Sänger nimmt diese Vorgabe auf. Auch die Sopranistin Elizabeth Watts als Tochter Zions ist eine renommierte Barock-Interpretin. Sie hat im ersten Teil nicht weniger als sieben Arien zu absolvieren und entledigt sich dieser Aufgabe in souveräner Manier. Die Stimme klingt klar und rein, überzeugt mit empfindsamer Gestaltung. In „Was Bärentatzen, Löwenklauen“ kann sie mit dramatisch erregtem Ausdruck aufwarten. Mit „Die ihr Gottes Gnad’ versäumt“ beendet sie den ersten Teil des Werkes dagegen introvertiert. Im zweiten Teil hat sie sogar acht Arien zu singen, wovon „Die Rosen krönen“, „Laß doch diese herbe Schmerzen“ und „Jesu, dich mit unsern Seelen“ durch besonderen Wohllaut und Innigkeit herausragen. In „Schäumest du“ überzieht sie dagegen den dramatischen Ausdruck mit dem Ergebnis eines keifenden Tonfalls. Die folgende Arie „Heil der Welt“ überzeugt dann wieder energischem Koloraturfluss. Ihr fällt auch das letzte Solo der Passion zu, „Wisch ab der Tränen“, welches sie mit tiefem Ernst vorträgt.

Schließlich ist der Tenor Nicky Spence als eine der vier Gläubigen Seelen in unseren Breiten ein Begriff. Seine erste Arie „Erwäg, ergrimmte Natternbrut“ imponiert durch souveränen Fluss der Koloraturen und expressiven Vortrag. Diese Meriten kann er in „Brich, brüllender Abgrund“ bestätigen. Eine weitere Gläubige Seele  ist der Sopranistin Ruby Hughes anvertraut, die die schönste Stimme der Besetzung hören lässt. Sie ist von weicher Textur, leuchtet und jubelt. Betörend singt sie die wiegende Arie „Was Wunder, dass der Sonnen Pracht“.

Die tragende Rolle des Evangelisten hat der Tenor Robert Murray übernommen. Er gibt den vielen Rezitativen zwingenden Ausdruck und überzeugt auch mit guter Artikulation.  Diesbezüglich ist ihm der Bassist Morgan Pearse als Pilatus, Gläubige Seele und Hauptmann ebenbürtig. Der amerikanische Bassbariton Cody Quattlebaum gibt dem Jesus starkes Profil. Sogleich in seiner ersten Arie, „Mein Vater, mein Vater!“, weiß er mit seiner weichen, resonanten Stimme für sich einzunehmen und berührt besonders im schmerzlichen Solo „Ist’s möglich“.  Die Mezzosopranistin Rachael Lloyd komplettiert das Quartett der Gläubigen Seelen und überzeugt darüber hinaus mit würdevoller Schlichtheit als Maria. Der Tenor Gwilym Bowen kann sich als Petrus mit einer furiosen Arie, „Gift und Glut“, einführen, welche das Orchester mit erregten Figuren einleitet. Das folgende Solo, „Nehmt mich mit“, ist dagegen von kontemplativem Charakter, „Ich will versinken und vergehn“ dann wieder von leidenschaftlichem und „Heul, du Schaum“ von verzweifeltem Ausdruck. Diesen unterschiedlichen Facetten wird der Sänger bemerkenswert gerecht.

Insgesamt ist von einer ausgewogenen, hochrangigen Besetzung ohne Schwachpunkt zu sprechen, welche die Einspielung zu einer bedeutenden macht, die sich auf dem Musikmarkt behaupten wird. Bernd Hoppe

Abseits des Gewohnten

 

Frankreich scheint im 19. Jahrhundert gleich mehrere universell talentierte Komponisten hervorgebracht zu haben, so war der Organist und Komponist Fernand de La Tombelle, ähnlich wie sein Zeitgenosse Saint-Saëns, nebenher auch Schriftsteller und Kolumnist, Bildhauer und Maler, Kunstfotograf, Musikethnologe und Astronom. Palazetto Bru Zane macht erneut mit einem französischen Meister bekannt, dessen vielgestaltiges, im besten Sinne stilistisch eklektizistisches Œuvre zu Unrecht im Schatten seiner bekannteren Zeitgenossen Saint-Saëns und Fauré steht. (cpo)

Gesegnet mit einem ausgeprägten Temperament und von Natur aus neugierig, war Fernand de La Tombelle eine fesselnde und interessante Persönlichkeit unter den Komponisten der französischen Romantik. Er hinterließ ein umfangreiches Œuvre, vielgestaltig und eklektizistisch, in seinem Stil. Es verdient nicht nur aufgrund seiner eigenen Qualität neu entdeckt zu werden, es steht auch für eine soziale und künstlerische Aktivität in Frankreich an der Schwelle zum 20. Jahrhundert.

Dazu schreibt der Palazzetto: This Book contains essays and historical texts by Jean-Christophe Branger, Fernand de La Tombelle, Jean-Emmanuel Filet and Antonia de Peretti Orsini. Gifted with a strong temperament and a curious nature, Fernand de La Tombelle is a highly appealing and interesting figure among French Romantic composers. He left a substantiell oeuvre, protean, stylistically eclectic, even atypical, that deserves reassessment not only for its own merits, but also because it illustrates a certain form of social and artistic activity in France at the turn of the nineteenth and twentieth centuries.

Following the cycle devoted to Fernand de La Tombelle by the Palazzetto Bru Zane during the 2016-2017 season, the release ofthis composer’s CD-book „portrait“ brings him back into the Spotlight. This composer wrote nearly 600 works, but was also a poet, writer, folklorist, chronicler, photographer andpainter, and an enthusiastfor astronomy, archaeology, cycling and motor cars… An encounter with a Romantic humanist.

After Theodore Gouvy, Benjamin Godard and Theodore Dubois, the Palazzetto Bru Zane continues its rediscovery of French Romantic personalities of the 1880s who – having opted neither for Wagnerism nor for the French modernism of figures like Debussy – are today regarded as academic and, for that reason, completely forgotten.

Fernand de La Tombelle was one of them. Fiercely independent – yet by no means revolutionary – by temperament, he is an intere- sting figure in more than one respect. He frequented Grieg, Gounod, d’Indy, Massenet and Saint-Saens (to whom he was very close). His catalogue ranges over every genre, and is complemented by photographs, drawings, paintings, and writings on theoretical and literary subjects as well as works dealing with astronomy and the culinary art (inclu- ding a brief study entitled Les Pätes de Perigueux). The whole constitutes the fruits of the work of an artist with an outstandingly wide culture, worthy of an honnete homme who also did a great deal for the musical education of the working classes. (Key dates 1854: born in Paris, 1878: founds season of organ concerts At theTrocadero; 1888: Premier Prix Pleyel; 1894: creation of the Schola Cantorum; 1896: Prix Chartier of the Institut de France; 1928: dies in Sarlat). 

This new 3-CD-book in the Palazzetto Bru Zane’s ‚Portrait‘ series reveals the multiple facets of a captivating personality, ranging from orchestral music with operatic overtones through introspective Chamber works to Choral music recalling the Renaissance madrigal. The sublime Fantaisie for piano and orchestra would suffice on its own to demonstrate the quality of La Tombelle’s inspiration. To Champion his cause as it deserves, this set calls on no fewer than fourteen soloists, along with orchestra, chorus and conductor.

Fernand de la Tombelle – a Portrait; Hervé Niquet dirigiert die Brussels Philharmonics und den Flemish Radio Choir, Solisten sind  Yann Beuron, Hannes Minnaar, Jeff Cohen, Pascal Amoyel, Emmanuelle Bertrand, François Salque, Hermine Horiot, Adrien Bellom, I Giardini, François Saint-Yves, Nabila Chajai; 3 CD / 111 pages (texts and libretto) Bru Zarne/ Outhere; ISBN : 978-84-09-14162-3

 

Eine veritable Entdeckung sind auch die Lieder von Fernand de La Tombelle. Es entspricht dem Selbstverständnis von Palazzetto Bru Zane, dass bei der ehrenwerten Erforschung der französischen Musik auch die Pflänzchen abseits der Hauptwege gepflückt werden, sprich erstmals 23 unbekannte Mélodies Antoine Louis Joseph Gueyrand Fernand Fouant de La Tombelle veröffentlicht werden. Die Lieder korrigieren oder bereichern die Epoche des französischen Kunstlieds, der Mélodies, des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht, allenfalls bieten sie eine kleine Abrundung. De la Tourelle wird als virtuoser Organist beschrieben, geschätzter Pädagoge, er war zusammen u.a. mit d’ Indy Mitbegründer der Schola Cantorum, darüber künstlerisch vielseitig bewandert, begabt und interessiert. Er hat um die hundert Lieder komponiert, die offenbar vornehmlich im privaten Kreis zur Aufführung gelangten, also spätromantische Solonpiècen, geschmackvoll und mit viel Gefühl für die Flektionen der Texte eingefangen, auch mit schöner Behandlung der Singstimme, ein bisschen im Stil von Massenet und Saint-Saens, häufig Liebeslieder, lyrisch, rezitativisch, meist durchkomponierte Bilder.

Die Texte der Auswahl stammen von Victor Hugo, Alphonse de Lamartine und Théophile Gautier, doch auch weniger bekannte Autoren befinden sich darunter, etwa Pierre Barbier, der Sohn von Jules, und die Baronin de La Tombelle. Als Hausbariton von Palazzetto Bru Zane bringt Tassis Christoyannis für diese im Januar 2017 in Bourges eingespielten Raritäten ein Höchstmaß an Einfühlungs- und Anverwandlungsvermögen mit, einfach eine sachkundige Professionalität; er wird unterstützt von Jeff Cohen, der ihm bei allen Lied-Exkursionen treu zur Seite stand (AP 148). Seine eminente Stilsicherheit, die er bei der Interpretation von Liedern von Lalò, Godard oder Saint-Sanes unter Beweis gestellt hat, verleiht den Interpretationen von Christoyannis fast schon so etwas wie ein Gütesiegel. Sanft beschreibt er Naturstimmungen („Hier au soir“, „Passez nuages roses“), ländliche Idyllen („La Croix de bois“) oder Schmetterlinge, wobei er mit seinem dunklen Bariton die Worte in sanften Pianobereichen beleuchtet, wie um die Patina dieser Gesänge aufzufrischen. Das Exotische dringt in Gestalt des martialischen „Cavalier mongol“ in den Salon, intensives Liebesbegehren kommt in „Promenade nocturne“ zum Ausdruck, volksnahe Szenen in „Vieille chanson“; das 1917 veröffentlichte „Chant-Prière pour les Morts de France“ ist ein elegischer Trauermarsch, wo sich La Tombelle ausnahmsweise auch einen expressiven Ausdruck gestattet, die „Couplets de Chérubin“ nach Beaumarchais bilden eine pralle bühnennahe Genreszene nach. (Foto oben Fernand de la Tombelle, 1890/ Foto Wikipedia). Rolf Fath

 

Pierantonio Tascas „A Santa lucia“

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Das Anhaltische Theater Dessau, wo ich schon so tolle Ausgrabungen wie Esclarmonde und La muette de Portici gesehen habe, entriss am 1. April 2017 das Stück der Vergessenheit und verband es logisch und richtig mit der Cavalleria Rusticana, die diesen Verismo-Doppelabend eröffnete. Vermutlich hatten sich alle Mitwirkenden auf den unbekannten Pierantonio Tasca (1858-1934) gestürzt, denn A Santa Lucia klang wesentlich überzeugender als die musikalisch gezähmte, etwas brav leidenschaftslose Cavalleria. Erstere ist als Übernahme aus Dessau bei cpo (2 CD 7971827) erschienen.

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Die Szene aus dem alten Hafenviertel Neapels, das zum Zeitpunkt seiner Oper A Santa Lucia bereits Geschichte war, wirkt jedenfalls wie abfotografiert. Sie erinnert ein bisschen an den zweiten Akt der Bohème mit ihrem Café Momus-Treiben und ist in ihrer naturalistischen Abbildung so authentisch wie die Morgendämmerung der Tosca, für die Puccini eigens nach Rom gereist war und die Engelsburg bestiegen hatte. Tasca fließt dieses Treiben operettenleicht und unaufwendig aus der Feder, die Volksmenge und die solistischen Einwürfe samt den späteren ariosen Einflechtungen, der leichte, anschmiegsame Canzonen-Ton und die Tarantella, die seinen 75minütigen Zweiakter einrahmt, dazu die Parlando-Unterhaltungen und das südländische Idiom. Doch so unbeschwert wie sich die schaulustigen Neapolitaner gerieren, ist das Stück, dessen Libretto ihm Enrico Golisciani nach einen Schauspiel Goffredo Cognettis eingerichtet hat, nicht. Rosella hat ein Kind vom Fischer Ciccillo, dem Sohn des Austernhändlers Totonno. Sie gibt es als die Tochter ihrer verstorbenen Schwester aus, weil Ciccillo seit seiner Jugend Maria versprochen ist. Maria liebt Ciccillo und unternimmt eifersüchtig alles, um Rosella auszustechen. Es kommt zu einer Auseinandersetzung der beiden Frauen. Nur Totonnos Eingreifen kann Rosella vor dem Gefängnis bewahren. Ciccillo beschließ,t für ein Jahr auf einem Schiff anzuheuern. Das von Eifersucht, aber schließlich tiefer Liebe geprägte Duett der beiden ist ein Höhepunkt der Oper, die ansonsten liedchenhaft kurze Arien bevorzugt. Rosella findet bei Totonno Unterschlupf, der sich in die junge Frau verliebt hat. Bei Ciccillos Rückkehr steckt Maria dem Geliebten, dass nun nicht nur ihrer beiden Hochzeit, sondern auch die von Rosella und Totonno ansteht. Ciccillo sieht sich von beiden betrogen, gesteht seinem Vater, dass Rosellas Kind von ihm ist und stößt die unschuldige Rosella von sich. Diese stürzt sich ins Meer.

A Santa Lucia verdankte seinen kurzen Sensationserfolg vor allem dem Einsatz von Gemma Bellincioni, die zusammen mit ihrem Mann Roberto Stagno, zwei Jahre nachdem sie 1890 in Rom Cavalleria Rusticana erfolgreich zur Uraufführung gebracht hatten, eine Novität für ihre Tournee suchte – die Bellincioni hatte u.a. auch Giordanos Fedora kreiert. So kam es, dass die Oper eines bis dahin unbekannten Komponisten an Berlins Kroll-Oper herauskam. Es folgten weitere Stationen, auch Aufführungen unter Gustav Mahler, der sich ebenfalls für die Cavalleria Rusticana eingesetzt hatte, bis die Oper mit dem Karriereende der Bellincioni in Vergessenheit geriet.

Auch wenn Tascas A Santa Lucia in Dessau durchaus überzeugend gegeben wurde, wird sie wegen ihrer fehlenden musikalischen Dramatik und länglichen Kleinteiligkeit der Cavalleria kaum ihren Platz an der Seite der Pagliacci streitig machen..

Tascas Einakter „A Santa Lucia“ am Anhaltischen Theater Dessau/ Szene mit Rita Kapfhammer (als Maria), Iordanka Derilova (als Rosella)/ Foto Claudia Heysel

Nur Ray M. Wade ist der tenorale Felsen in dem Geschehen, kann im Duett mit Rosella einen kompakten Tenor günstig ausspielen, ein arioses Changieren, das in ähnlicher Form bei Wolf-Ferrari wiederkehrt, doch eher in den Buffoopern als in den auf einen Text Goliscianis entworfenen Goielli della Madonna, wo sich der Verismo zu einem groben Abgesang nochmals nach Neapel begibt. Ulf Paulsen gibt als Totonno, Austernhändler und Vater von Ciccillo und Concettina liegt die Partie überhaupt nicht, nicht in der Höhe und nicht in der vokalen Attacke (und im trockenen Ton); da zieht er sich lieber mit einfarbig festem Bariton aus der Affäre. Iordanka Derilova kann in den beiden Partien der Bellincioni, von der Heuberger gesagt hat, sie sei eine „Doppelgängerin der Duse“ und „die größte Seelenmalerin unter den derzeitigen Opernsängerinnen“, einen großen persönlichen Erfolg verbuchen. Nach Brünnhilden, Ortrud und Elektra und den dramatischen italienischen Partien ist es erstaunlich, zu welch feiner Emission und Lyrik sie als Rosella fähig ist, wo sie natürlich und kraftvoll singt und sich die Stimme noch immer von großer Homogenität zeigt. Die Chormitglieder singen ihre schönen Chöre, die Dörfler ergehen sich in Duetten und Szenen, alles in allem die Sicht des Norditalieners auf das exotische Sizilien, das in Vergas Romanvorlage wesentlich krasser erfasst ist. Auch wenn Tascas A Santa Lucia in Dessau durchaus überzeugend gegeben wurde, wird sie wegen ihrer fehlenden musikalischen Dramatik und länglichen Kleinteiligkeit der Cavalleria kaum ihren Platz an der Seite der Pagliacci streitig machen.

Die Regie wurde in Dessau damals widerspruchslos hingenommen – trotz des nicht zum Stück gehörenden, aus der Cavalleria interpolierten Schreis am Ende, die Aufführung gefeiert, was Markus L. Frank und die Anhaltische Philharmonie für ihren feinsinnigen Tasca verdient hatten, ebenso der Opernchor, dazu der Kinderchor, Rita Kampfhammer als energische Maria, Cornelia Marschall als verständnisvolle Concettina. Und dann hört man auch noch Cezary Rotkiewicz als Tore sowie David Ameln als Stimme des Fischers  Rolf Fath

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.Und zur Oper selbst ein Artikel von Felix Losert: Eine junge Diva, ihr Mann und die Oper eines Freundes aus der Heimat: Im November 1892 kamen die junge Mezzosopranistin Gemma Bellincioni (1864 – 1950} und ihr tenoraler Ehemann Roberto Stagno (1840 – 1897) zu einem ersten Gastspiel nach Berlin. Die Leitung der Kroll­ Oper, des Hauses am Exerzierplatz gegenüber dem Reichstag, wollte mit den berühmten Uraufführungsinterpreten der Cavalleria  rusticana (1890) einen Angriff gegen den kürzlich erlebten, unglaublichen Dauererfolg von Mascagnis Einakter an der Hofoper starten. Und der Clou ihres Gastspiels sollte nichts Geringeres als die Uraufführung einer italienischen  Oper sein, die von den Sänger selbst empfohlen wurde. Es handelte sich um A Santa Lucia vonPierantonio Tasca (1864 – 1934), die nun im April, Mai und Juni 2017 am Anhaltischen Theater Dessau zu sehen ist (Premiere ist der 1. April in der Koppelung mit Mascagnis Cavalleria rusticana).

Zu Tascas Oper „A Santa Lucia“:  Pierantonio und Salvatore Tasca/ collegiomondragone

A Santa Lucia ist neben Leoncavallos Pagliacci und Giordanos Mala vita (beide 1892) eine der ersten Opern, die nach dem Vorbild der Cavalleria eine tragische Handlung bei den Ärmsten der Armen spielen lässt. Das Libretto stammte von Enrico Golisciani (1848 – 1918), der später u. a. mit Wolf-Ferrari zusammenarbeitete. Wie Mascagnis Librettisten hatte auch Golisciani ein originales, veristisches Theaterstück zur Vorlage genommen. Dessen Autor, Goffredo Cognetti, stellte jedoch keine tranche de vie aus dem unterwickelten Hinterland Siziliens auf die Bühne (wie Giovanni Verga in seiner Cavalleria), sondern bot eine Art Fotografie des Alltags vom Neapel des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Golisciani war wie Cognetti ein waschechter Neapolitaner, und so verwundert es nicht, dass allein schon das Libretto ein Neapel der armen Fischer und Straßenverkäufer mit einer Genauigkeit und Lebendigkeit zu schildern vermag , die noch heute verblüfft. Da lässt es sich leicht verschmerzen, dass der tragische Ausgang hier weit weniger dem Schicksal als einer klassischen Intrige zu verdanken ist.

Zu Tascas Oper „A Santa Lucia“: Postkarte mit den beiden Hauptdarstellern Gemma Bellinconi und Roberto Stagna/ OBA

Angesichts eines solchen Sujets ist es eigentlich erstaunlich, dass sich ein Mann wie Tasca dieses Librettos annahm. Tasca wurde als Sohn eines Barons im Palazzo Tasca in Noto, südlich von Siracusa, geboren – wenige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem Verga seine Erzählungen und Dramen spielen ließ. Die adlige Familie Tascas war jedoch  weit besser gestellt als vergleichsweise Turiddus Mamma Lucia. Während Turiddu für den Militärdienst Lola verlassen muss, sieht sich der junge Pierantonio nur von seinem Notenpapier getrennt. Es lohnt sich, aus einer Lebensbeschreibung den Vorbericht zur Uraufführung zu zitieren, der im Berliner Börsen-Courier erschien: „Tasca studirte fleißig und componirte seine erste Oper ‚Bianca‘ [Florenz 1885]. [. ..] Tasca’s Beschäftigung als Componist erhielt eine Unterbrechung durch dessen Militärjahre . Nach beendetem Militärdienst lebte Tasca in Noto, und als der Bürgermeister der Stadt Noto starb, wählte das Stadtverordneten-Collegium einstimmig Tasca zum Bürgermeister. Somit war der junge Komponist mit 22 Jahren der jüngste aller Bürgermeister Italiens. Seine erste Verordnung war originell: Alle Musikkapellen in der Stadt Noto und Umgebung haben Wagnersche Fragmente in ihr Repertoire aufzunehmen. Wie bereits gemeldet, hat Pierantonio Tasca dem Künstlerpaar Stagno-Bellincioni seine neueste Oper gewidmet, und diese fragten bei ihm telegraphisch an, ob er nicht nach Berlin reisen wollte, um die Oper persönlich zu insceniren.  Tasca [. ..]  packte  in aller  Eile seine Sachen zusammen und jagte über Palermo, Neapel, Rom, Florenz, Venedig, München nach Berlin, von wo er seinen Freunden das einzige   Wort  ‚Angekommen‘ meldete.“

Zu Tascas Oper „A Santa Lucia“: Straßenleben in Neapel vor 1900/ Foto vecchio-napoli.it

Tasca inszenierte sein Werk nicht selbst, aber er hat sicher nicht bereut, die lange Reise auf sich genommen zu haben. Denn als am 16. November 1892 die schöne, noch viel zu junge Rosella in den starken Armen Ciccillos ihr Leben aushaucht, bricht in der Kroll­ Oper das Publikum in Tränen und dann in rasende Begeisterung aus. Mit einer „tief eingreifenden Wirkung und einem so stürmischen äußeren Erfolg, wie er seit Mascagnis ‚Cavalleria rusticana‘ hier nicht erlebt worden ist“, so schrieb die Vossische Zeitung am nächsten Morgen, endete die Premiere. In den nächsten Jahren wurde A Santa Lucia nicht nur in Berlin wiederaufgenommen, sondern u. a. in Wien, Hamburg (hier unter der Leitung von Gustav Mahler), Prag, Triest, Manchester und Genua nachgespielt. Es ist erstaunlich, dass auf diese Weise eine italienische, ja: eigentlich neapolitanische Verismo-Oper von einem Publikum gefeiert wird, das die liebevollen Details im Lokalkolorit gar nicht würdigen konnte und die Geschichte vom Leben und Sterben im Hafenviertel für reichlich exotisch und sogar sonderbar hielt.

Zu Tascas Oper „A Santa Lucia“: der Pallonetto di Santa Lucia in Neapel vor 1900/ Wiki

Übrigens findet sich in keiner zeitgenössischen Kritik ein Hinweis darauf, dass man sich bewusst gewesen wäre, mit Tascas Oper einen Blick auf eine versunkene Welt geworfen zu haben: Nach einer Cholera-Epidemie, die gerade in den Slums der Altstadt furchtbar gewütet hatte, war auch das Viertel um die Kirche St. Lucia Ende der 80er Jahre abgerissen und so grundlegend modernisiert worden, dass sich Straßenszenen wie die in der Oper dort nicht mehr abspielten. Nun standen dort – wie heute – große Hotels für (damals deutsche) Touristen und mondäne Uferpromenaden an der Stelle der Buden der Fischverkäufer.

Tascas Oper wurde auf deutschsprachigen Bühnen bis zum Ersten Weltkrieg häufiger gegeben als Andrea Chénier und Manon Lescaut. Der große Erfolg ist, was die Musik angeht, kein Missverständnis gewesen. Tasca komponierte eine gefällig und leicht fließende Musik, die sich geschmeidig den rasch wechselnden Situationen auf der Bühne anpassen kann. In der großartigen Einleitung mit ihren durcheinander singenden Solisten und Chorgruppen bietet er ein bis dato ungeahnt realistisches Abbild großstädtischen Straßenlebens. Hier, dann im Auftrittslied Ciccillos (das eigentlich eine veritable Canzone napoletana ist) und der Einleitung zum zweiten Akt mit den aus der Ferne herüber klingenden Rufen der Fischer, zeigt sich Tasca als intimer Kenner der Musik Neapels. Als Glanzstück des Werkes wurde von der zeitgenössischen Kritik das große Liebesduett am Ende des ersten Aktes gefeiert. Es ist aus kurzen Abschnitten gebildet, die genauer und rascher dem Gespräch der Liebenden zu folgen vermögen als die großbogigen Themen des frühen Mascagni oder Puccini. Hier im Duett findet Tasca dennoch zu einer Melodie voller Ekstase, die nicht nur das Berliner Publikum Anno 1892 begeisterte, sondern auch am 26. Oktober 2012 das im Theater Erfurt bei der Aufführung von A  Santa Lucia in der  Veranstaltungs-Reihe „Oper am Klavier“.  Bei dieser Gelegenheit – höchstwahrscheinlich die erste Aufführung seit 97 Jahren – zeigte sich die Oper insgesamt als ein für die Sänger (Shivko Shelev und Oxana Arkaeva  waren als Liebespaar zu hören) dankbares und das Publikum mitreißendes Werk.

Zu Tascas Oper „A Santa Lucia“: Operndirektor Felix Losert/ Foto Anhaltisches Theater Dessau

Mitte der 1890er Jahre galt Tasca mit seiner Neapel/Berlin-Oper im deutschsprachigen  Raum  als  wichtiger  Vertreter der „jungitalienischen Schule“ neben Mascagni und Leoncavallo – bis Puccini seinen internationalen Siegeszug antrat. Die wenigen weiteren Opern Tascas, darunter Pergolesi, das im Berliner Theater des Westens 1898 uraufgeführt wurde, und eine Vertonung des berüchtigten Librettos zu La Lupa, das Giovanni Verga ursprünglich Puccini zugedacht hatte (Noto 1932), zogen jedenfalls keine größeren Kreise. Dass jedoch kaum ein Musiklexikon über Tasca und seine neapolitanische Verismo-Oper Auskunft gibt, ist nicht zu rechtfertigen. Felix Losert

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Klassenkampf und Goldrausch

 

Dass Hanns Eisler (1898-1962), der landläufig vermutlich berühmteste DDR-Komponist, zeitlebens österreichischer Staatsbürger war, obwohl ihm gerade in Wien viel Ablehnung entgegengebracht wurde, darf gleichsam als bezeichnend gelten für diesen bedeutenden und widersprüchlichen Künstler, dem die DDR ihre Nationalhymne verdankte. Soweit ging Eislers Bekenntnis zum neuen ostdeutschen Staatssozialismus offenbar nicht, sich formal um die dortige Staatsbürgerschaft zu bemühen. Obwohl in Leipzig geboren, verlebte er seine Jugend in Wien. Und doch sollte ihn am Ende seines Lebens doch gerade die Verbindung nach Leipzig neuerlich beschäftigen. 1959 gab nämlich das dortige Gewandhausorchester die nun von Capriccio (C5368) vorgelegte Leipziger Sinfonie in Auftrag, vor deren Fertigstellung der Komponist freilich starb. Erst 1998, anlässlich des 100. Geburtstages Eislers, wurde das Werk von seinem Komponistenkollegen Tilo Medek (1940-2006) vervollständigt und am 8. Oktober 1998 im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt. Es sollten weitere zwei Jahrzehnte ins Land gehen, ehe 2018 die Weltersteinspielung dieser Leipziger Sinfonie – beinahe zwangsläufig in Leipzig – zustande kam. Das MDR-Sinfonieorchester Leipzig unter der Leitung von Jürgen Bruns liefert eine makellose Darbietung der schroffen Tonsprache. Im Grunde genommen besteht das Werk aus Montagen von Eislers Filmmusiken aus den 1950er Jahren, die in der frühen DDR zustande kamen. Einzig der erste Satz stammt noch gänzlich aus Eislers eigener Feder; den Schlusssatz musste Medek sogar vollständig selbst rekonstruieren. Dazu bediente er sich, um Authentizität bemüht, des reichhaltigen von Eisler hinterlassenen Œuvre. Obwohl bekennender Kommunist, wusste auch Hanns Eisler selber nicht so recht, wieso er diese Sinfonie überhaupt schrieb, wie aus einer Äußerung kurz vor seinem Ableben 1962 bekannt ist. Das kaum zwanzigminütige Stück besteht gleichwohl ganz klassisch aus vier Sätzen. Für das Finale bediente sich Medek des 1957 entstandenen Linken Marsches, diesen freilich leicht verfremdend, um es nicht zur glorifizierenden Apotheose des Sozialismus verkommen zu lassen. Obwohl es sich also um eine Rekonstruktion handelt, darf man in gewisser Weise vom musikalischen Testament Eislers sprechen.

Die neun Sätze umfassenden Trauerstücke aus Filmpartituren von 1961/62 wurden für diese Einspielung von Jürgen Bruns und Tobias Faßhauer 2015 arrangiert und wiederum mit dem MDR-Sinfonieorchester eingespielt. Grundlage war wiederum Filmmusik der heute praktisch vergessenen Filme Aktion J und Esther. Ihre genuine Herkunft kann diese fragmentarisch anmutende Musik schwer verleugnen, ist das längste Stück doch gerade zweieinhalb Minuten lang. Sie bedarf für ihre volle, vom Komponisten beabsichtigte Wirkung wohl tatsächlich des filmischen Kontexts – eine gewisse grundsätzliche Problematik bei einer isolierten Aufführung von Filmmusik außerhalb des Lichtspielhauses.

Von ihren Dimensionen her am ausgedehntesten dann die halbstündige Filmmusik zum preisgekrönten französischen Dokumentarfilm Nuit et Brouilliard (Nacht und Nebel) von Alain Resnais (1956). Die verstörende Dokumentation behandelt die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ein Jahrzehnt zuvor. Die vorliegende Aufnahme wurde 2015 mit dem Kammersymphonie Berlin, wiederum unter Bruns, im Berliner Konzerthaus eingespielt. Diese Partitur hat nun den Vorteil, dass sie noch ohne Einschränkungen vollständig der Hand Eislers entstammt, daher auch weniger zusammengeschustert daherkommt und interessanterweise auch ohne den Film ihre Wirkung entfaltet. Bereits für diese Filmmusik bediente er sich teilweise einer vorherigen Komposition, nämlich seiner eigenen Schauspielmusik für Johannes R. Bechers 1953 entstandene Tragödie Winterschlacht um die Schlacht von Moskau im Zweiten Weltkrieg. Die Musik, bestehend aus 13 Sätzen, ist, dem furchtbaren Sujet angemessen, grimmig, eindringlich und perfekt abgestimmt auf die Filmsequenzen in Schwarzweiß (das KZ Auschwitz unmittelbar nach der Befreiung 1945) und Farbe (das zerfallende KZ Auschwitz 1955). Sie steht qualitativ den in dieser Ära entstandenen Werken von Prokofjew und Schostakowitsch in nichts nach. Mit einigem Recht darf Nacht und Nebel als das Hauptwerk auf dieser CD gelten. Eine in allen Aspekten formidabel geglückte und wichtige Ergänzung nicht nur für Eisler-Enthusiasten, die außerdem hervorragend klingt. Daniel Hauser

 

Das fängt nicht gut an: Auf dem Cover dieser Neuerscheinung ist ein Gemälde zu sehen, das 1929 entstand. Gemalt hat es Otto Griebel und nicht Giebel – wie es im Copyright-Hinweis im Innern des Booklets schwarz auf weiß heißt. So ein Fehler, gewiss nicht mehr als ein harmloser Vertipper, macht stutzig. Wird denn alles andere stimmen? „Internationale“ hat Griebel sein Gemälde genannt, das zum Bestand des Deutschen Historischen Museums Berlin gehört. Der Maler wurde 1895 im sächsischen Meerane geboren und starb 1972 in Dresden. Stilistisch wird er der Neuen Sachlichkeit zugerechnet. Einerseits gibt das Bild eine Vorstellung von Arbeitern als Masse. Andererseits löst sich diese Masse in individuellen Figuren auf. Masse erscheint nicht als gesichtslose Ansammlung von Personen einer bestimmten sozialen Gruppierung, sondern bildet die Summe von einzelnen Menschen mit hochindividuellen Gesichtern. Im Original ist das Bild fast zwei Meter breit und lässt eine ungleich stärkere Wirkung zu als in dieser geschrumpften Form.

Was Griebel gemalt hat, setzte Hanns Eisler in Töne. Wenigstens auf dieser CD, bei der es sich um Vol. 1 einer neuen Edition der Lieder dieses Komponisten handelt, erschienen bei MDG (613 2001-2). Eisler, so ist im sehr lesenswerten Text des Booklets von Steffen Schleiermacher, dem Pianisten der Produktion, zu lesen, dürfte an die fünfhundert Lieder komponiert haben, die einschlägigen Nummern aus Bühnen- und Filmmusiken mit eingerechnet. „Bei dieser auf vier CDs konzipierten Sammlung kann es also nicht um das gesamte Liedschaffen des Komponisten gehen, sondern um eine möglichst repräsentative Auswahl der klavierbegleiteten Lieder“, heißt es. Die meisten Kompositionen folgen Texten von Bertolt Brecht, mit dem Eisler eng zusammengearbeitet hat. Eine Ausnahme bildet gleich als Auftakt das „Bankenlied“ von Jean Baptiste Clement (1836 – 1903), einem französischen Sänger, der sich sozialistischen Ideen verschrieben hatte. Walter Mehring hat den Text ins Deutsche übertragen. Komponiert wurde es für Ernst Busch, der es schneidend und anklagend vorgetragen hat in diversen Einspielungen. Schleiermacher verweist auf den aktuellen Bezug, der sich derzeit allerdings am ehesten in Parteitagsreden der Linken findet. Holger Falk, der Sänger der Lieder, betont in seinem Vortrag gemeinsam mit seinem Pianisten die rasanten musikalischen Strukturen, den Einfallsreichtum und weniger die klassenkämpferische Absicht. Das ist so auch bei den anderen Liedern zu beobachten, mit denen es politisch heftig zur Sache geht. Damit setzt sich der Bariton von althergebrachten Interpretationen deutlich ab. Es ist, als würden diese Gesänge salonfähig und ihre Duftmarke aus Arbeiterschweiß abgeschüttelt. Das Publikum hört hin und lässt sich einen guten Wein dazu einschenken. Anders sind diese historischen Gesänge so kompakt wohl kaum zu ertragen.

 

Hanns EislerKalifornische Ballade: Wer sich auf diese CD einlässt, wird mit einem spannenden Kapitel Zeitgeschichte konfrontiert. Erschienen ist sie bei Berlin Classics (0300933BC). Bei der Ballade handelt es sich um eine Rundfunkerzählung, 1932 in Berlin begonnen, 1934 im Londoner Exil fertiggestellt. Der Kommunist und Jude Eisler hatte sich nach der Machtergreifung Hitlers vor der Verfolgung durch Flucht in Sicherheit bringen müssen. Die Dramatik der historischen Umstände dieses Werkes spitzte sich nochmals dadurch zu, dass der mit Eisler befreundete Textdichter, der Schriftsteller Ernst Ottwalt, 1936 in Moskau verhaftet und in ein sibirisches Lager verschleppt wurde, wo er 1943 umgekommen ist. Eine Oper stalinistischen Terrors – alles nachzulesen im so ausführlichen wie informativen Text im Booklets von Peter Deeg und Jürgen Schebera.

Erstmals wurde das Stück beim Rundfunk in Brüssel in flämischer Sprache ausgestrahlt, gesungen von Ernst Busch, der ebenfalls ins Exil gegangen war. Die lange Zeit als verschollenen gegoltene Aufnahme auf Lackfolienplatten ist erst kürzlich aufgespürt worden. Sie findet sich auf der CD gemeinsam mit einer Produktion in Originalsprache, die 1968 beim DDR-Rundfunk entstanden ist. Diesmal ist Hermann Hähnel der Solist. Beide sind sich nicht unähnlich in Timbre und Ausstrahlung. Sie verkörpern einen Typ, wie er Eisler vorgeschwebt haben mag für seine Komposition, die sich dem neuen Medium Rundfunk zuwendet und mit althergebrachten bürgerlichen Kunstformen bricht. Busch ist noch schärfer im Ton und pointierter im Ausdruck als Hähnel. Er verfügt über ein breiteres Gestaltungsspektrum.

Thematisiert wird die Lebensgeschichte des umstrittenen Ländereibesitzers Johann August Suter, der 1834 aus der Schweiz nach Amerika ausgewandert war und als „Kaiser von Kalifornien“ zu zweifelhaftem Ruhm kam. Als auf seinem Boden Gold entdeckt wurde, löste das den sagenhaften Goldrausch aus, dem Suter, der auch Sklaven hielt, selbst mit eigenen Soldaten nicht mehr Herr werden konnte. Er verlor seinen Besitz und starb 1880 völlig verarmt in Washington. Eine Geschichte, die Schriftsteller und Regisseure in ihren Bann zog. Eisler und Ottwalt nutzten sie für eine scharfe Kapitalismus-Kritik. Ergänzt wird das Programm der neuen CD mit Ausschnitten aus diversen Bühnen- und Filmmusiken, darunter Die letzte Nacht (1929/1930), Kamrad Kasper (1932) und Draw the Fires, die englische Fassung des Theaterstücks „Feuer aus den Kesseln“ von Ernst Toller. Vier Lieder für Arbeitermütter, die 1932 entstanden, das Lied „Die Spaziergänge“ aus dem Film Kuhle Wampe von 1932, der „Fallada“-Song aus der Märchenrevue Es war einmal singt Gisela May. Die im Dezember des vergangenen Jahres verstorbene Sängerin war 1957 von Hanns Eisler entdeckt und gefördert worden. Barbara Ranke

Musikalischer Glanz in verwirrender Optik

 

Weiter auf dem Vormarsch zum Counter-Gipfel ist der polnische Sänger Jakub-Józef Orlinski, der bei Erato/Warner Classics unter Vertrag steht und bei der Firma nach seinem Debütalbum (Anima sacra) nun eine zweite CD vorlegt (Facce d’Amore), zudem in der DVD-Veröffentlichung von Händels Rodelinda, Regina de’Langobardi als Unulfo mitwirkt (0190295420321, 2 DVD). Diese wurde am 11. Oktober 2018 in der Opéra de Lille aufgezeichnet und ist eine Koproduktion mit dem Teatro Municipal de Santiago und der Opéra National de Chili. Jean Bellorini verantwortete die Inszenierung, das Bühnenbild und das Lichtdesign, Macha Makeieff entwarf die Kostüme.

Der Regisseur schildert das Geschehen aus der Sicht von Rodelindas Sohn Flavio, der kurz zuvor seinen Vater verloren hat. Das Kind (Aminata Diouaré) geistert dann auch von Anfang bis Ende durch die Szene, sitzt oft an der Rampe mit einer Puppe, die seiner Mutter Rodelinda gleicht. Puppen sind überhaupt omnipräsent in dieser Produktion, die Sänger werden von solchen gedoubelt, in der Luft tanzen Marionetten und immer wieder werden die Protagonisten selbst zu solchen, wenn sie Strumpfmasken über den Kopf ziehen und sich in marionettenhaften Bewegungen ergehen müssen. Der künstliche Anstrich der Inszenierung ergibt sich auch durch Neonröhren, die von oben herabgesenkt werden und sich zu Rahmen verbinden, welche die Figuren als Gruppenfotos einschließen. Auf Fließbändern fahren Dekorationsteile herein, so ein Zimmer mit ornamentierter Tapete, in welchem Rodelinda ihre Auftrittsarie „Hò perduto“ singt und mit reizvoll sinnlichem Sopran von leicht negroidem Vibrato aufhorchen lässt. Mit Jeanine De Bique aus Trinidad in der von Francesca Cuzzoni 1725 in London kreierten Titelrolle stellt sich eine hierzulande unbekannte Händel-Interpretin vor. Ihre zweite Arie, „L’empio rigor“, ist von flammendem Furor, „Ombre, piante“ von tiefer Empfindsamkeit und „Morrai“  von energischem Zugriff mit imposanten Spitzentönen. „Spietati“ im 2. Akt zeugt von der grenzenlosen Liebe zu ihrem Sohn und wird im Da capo von bravourösen Trillern geschmückt. Im letzten Akt kann die Sängerin mit dem leidvoll verzweifelten „Se’l mio duol“ ihr reiches Empfindungsspektrum zeigen und in der finalen Arie „Mio caro bene!“ gebührend jubeln.

Rodelindas vermeintlich toter Ehemann Bertarido war die große Kastratenpartie des Werkes, kreiert von Senesino. Hier ist sie dem britischen Counter Tim Mead anvertraut, dessen Auftritt vom Orchester energisch akzentuiert wird. Seine Stimme hat sich beeindruckend entwickelt, so dass er im Rezitativ „Pompe vane di morte!“ starke Emotionen vermitteln kann. Die nachfolgende Arie „Dove sei“ beginnt mit einem schwebenden Ton und ist erfüllt von weichem, zärtlichem Klang. Das Da capo wird angemessen verziert, ohne manieriert zu wirken. Die Optik wechselt hier durch ein herab fahrendes Gitter zu einer grafisch-abstrakten. Bei „Confusa“, das den 1. Akt beendet, kann Mead eindrucksvoll auftrumpfen, während das „Con rauco“ im 2. Akt mit seinem sanft murmelnden Klang einen stimmungsvollen Kontrast markiert. Eines von Händels wunderbaren Duetten, „ Io t’abbraccio“, beschließt diesen Aufzug. In seinem klopfenden Rhythmus suggeriert es Herzschläge, und tief bewegend verschlingen sich hier die Stimmen von Rodelinda und Bertarido. Im 3. Akt beklagt der gefangene Bertarido hinter einer Gittertür mit  elegischen Tönen sein Los, bevor ihm die Bravour-Nummer des Werkes, „Vivi tiranno!“, zufällt. Man kann sie mit heftigerer Attacke singen, aber sein Vortrag hat schönen Fluss und die gelenkigen Koloraturen sowie das originell verzierte Da capo beeindrucken.

Mit ihm muss sich Orlinski als Bertaridos treuer Freund Unulfo messen. Seine Stimme lässt einen jugendlich-lebhaften Klang hören, die tänzelnden Rhythmen von „Fra tempeste funeste“ setzt er auch körperlich um. Das „Un zeffiro“ im 3. Akt tupft er lieblich und sanft, legt gar ein paar turnerische Kunststücke ein.

Von Grimoaldo wurde Bertarido einst von Thron gestürzt, Benjamin Hulett gibt der zwiespältigen Figur mit seinem Tenor markantes Profil. Die Stimme klingt zupackend und viril, meistert die Koloraturläufe souverän. Besonders „Tuo drudo“ im 2. Akt imponiert mit seinem vehementen Ausdruck und den energischen Koloraturen. Im aufgewühlten Rezitativ „Fatto inferno“ des letzten Aktes wächst er mit existentiellen Ausbrüchen, die Eifersucht und Zorn schildern, über sich hinaus, während die nachfolgende Arie „Pastorello“ in ihrem wiegenden Duktus und der schmeichelnden Stimmgebung dazu einen wirkungsvollen Kontrast darstellt.

Die zweite weibliche Rolle der Oper ist Eduige, Bertaridos Schwester, die am Ende von Grimoaldo zur Gattin genommen wird und sich mit ihrem Alt deutlich von der Titelheldin absetzt. Die Amerikanerin Avery Amereau trumpft schon im ersten Auftritt bei „Lo farò“ mit flammendem Ton und fulminanter Expression auf. Den 2. Akt eröffnet sie vehement mit „De’miei scherni“, das ihren Zorn und die Racheabsichten schildert. Beim tänzerisch beschwingten „ Quanto più fiera“ kann sie dagegen mit sanfteren Klängen aufwarten.

Die noch dunklere Farbe bringt der Bassist Andrea Mastroni als intriganter Garibaldo ein, der den König heuchlerisch berät, ihn aber ermorden will. Die resonante Stimme ist von autoritärer Wirkung, vermag vor allem in „Tirannia“ gehörig aufzutrumpfen. Der Sänger komplettiert die insgesamt exzellente Besetzung auf hohem Niveau. Alle Akteure lassen am Ende ihre Standpuppen hüpfen und vereinen die Stimmen jubelnd zum Schlusschor „Dopo la notte“, während im Hintergrund die Fensterreihe eines Neubaublockes einen eher tristen Eindruck abgibt.

Mit Le Concert d’Astrée spielt ein renommiertes Barock-Ensemble, das seinen ständigen Sitz an der Opéra de Lille hat. Nicht minder bedeutend ist dessen künstlerische Direktorin Emmanuelle Haim, die am Pult bzw. Cembalo ein Feuerwerk an Händelschen Zauberklängen entfacht und mit affektvollem Musizieren bis zum Schluss für Spannung sorgt. Unter den derzeit vorhandenen Aufnahmen nimmt diese Neuproduktion einen exponierten Rang ein. Bernd Hoppe

JOHN WEGNER

 

Der australische Heldenbariton John Wegner, bekannt für seinen Einsatz auf der Bühne und seinen psychologischen Tiefblick, ist verstorben. Der mehrfache Preisträger des Helpmann Award hatte 2014 eine Parkinson-Diagnose erhalten, wodurch eine wichtige Karriere abgebrochen wurde, von der viele glaubten, dass sie auf ihrem Gipfel angelangt war. Er starb am 19. November 2019.

„Es macht mich sehr traurig, vom Tode eines der größten Sänger Australiens zu hören“, sagte Lyndon Terracini, künstlerischer Leiter der Opera Australia. „John war ein großartiger Sänger-Schauspieler, der jede seiner Rollen verinnerlichte und an den größten Opernhäusern der Welt sang. Er hatte eine äußerst erfolgreiche Karriere in Europa sowie in Australien. Er war auch einer der nettesten Menschen, die man jemals trifft. Ein wunderbarer Kollege und ein echter Mensch. Im Namen aller Mitarbeiter der Opera Australia möchte ich seiner Frau Mignon und seiner Familie mein tief empfundenes Beileid aussprechen.“

Wegner wurde 1950 geboren und zog 1955 mit seiner Familie von Westdeutschland nach Australien. Als Schullehrer, der nachts in Amateur-Musicals auftrat, erhielt er ein Associate-Diplom in Oper und Musiktheater am Victorian College of the Arts. Seine Opernkarriere begann, als er als zusätzliches Chormitglied einer Produktion der Meistersinger von Nürnberg an der Australian Opera mitwirkte. Beeindruckt von Wegners Talent, arrangierte der Chorleiter ein Vorsingen beim Musikdirektor Richard Bonynge, der Wegner später als Bassisten einlud. Nach und nach übernahm Wegner in den ersten Jahren größere Rollen und glaubte, dass der Wendepunkt in seiner Karriere kam, als er für Donald Shanks als Boris Godunow einsprang. Seine Auftritte führten zu einem Bayreuther Stipendium, mithilfe dessen er bei führenden Sängern in Europa vorsingen und diese beobachten konnte. Ungefähr zu dieser Zeit begann Bonynge zu vermuten, dass Wegner kein echter Bass war, und als Wegner 1990 zu weiteren Vorspielen nach Europa zurückkehrte, nannte er sich selbst einen wagnerischen Heldenbariton.

Bei einem weiteren Vorsingen in Karlsruhe stellte sich bald schon der Erfolg ein, führte dieses doch zu einem Vertrag für seinen ersten Ring-Zyklus, in welchem er als Wotan auftrat. Er absolvierte zwei weitere Ring-Zyklen in Deutschland, bevor er den Mut aufbrachte, sich in Bayreuth für ein Vorsingen zu bewerben. Nachdem er sich an diesem bedeutenden Haus im August 1996 beworben hatte, bot man ihm die Rolle des Donner im Rheingold an, als der ursprünglich geplante Sänger ausfiel. So kam es 1997 zu seinem Bayreuther Debüt. 2001 trat er dort als Biterolf im Tannhäuser auf, 2003 als Telramund im Lohengrin und als Klingsor in Christoph Schlingensiefs radikaler Inszenierung des Parsifal unter der musikalischen Leitung von Pierre Boulez. Diese Produktion betrachtete Wegner als einen Höhepunkt in seiner Karriere.

Auch als sein Ansehen in Europa wuchs, kehrte Wegner häufig nach Australien zurück. In Erinnerung bleibt vor allen Dingen sein erster australischer Ring-Zyklus in Adelaide als Wotan im Jahre 1998. 2004 übernahm er in seinem zweiten australischen Ring den Alberich, für den er einen Helpmann Award als bester männlicher Opernsänger erhielt. Wegner kehrte 2007 an die Australian Opera (jetzt Opera Australia) zurück, wo er die Bösewichte in Les Contes d’Hoffmann sang. 2008 übernahm er an diesem Hause den Claggart in Billy Budd, 2009 den Boris in Lady Macbeth von Mzensk, 2010 den Jack Rance in La fanciulla del West und 2010 den Scarpia in Tosca. 2009 gelang ihm ein Doppelsieg mit dem Helpmann Award sowohl als bester männlicher Künstler (für Billy Budd) als auch als bester männlicher Künstler in einer Nebenrolle (für Lady Macbeth von Mzensk), etwas, was es zuvor nie gegeben hatte.

Wegners Parkinson-Diagnose im Jahre 2014 hinderte ihn daran, in seinem dritten australischen Ring-Zyklus, diesmal an der Opera Australia, mitzuwirken; er selbst bezeichnete es als „Bauchschmerzen“.

Er wurde 2016 zum Mitglied des Order of Australia ernannt, da er „als weltberühmter Opernbariton und als Botschafter des kulturellen Rufes Australiens den darstellenden Künsten ausgezeichnet gedient“ habe. Wegner hinterlässt seine Frau Mignon. Justine Nguyen (Den Nachruf entahmen wir mit Dank dem australischen Online-Magazine Limelight Magazine/  Limelight Arts Media Pty Ltd/ Übersetzung Daniel Hauser; Foto oben John Wegner als Wotan im Adelaide Ring 1998/ Foto Adelaide Opera)

Delizie variés

 

Geradezu jubeln tat ich bei der Besprechung des Ur-Faust Gounods vom Palazzetto jüngst, denn Benjamin Bernheim schien mir der Gott-gesandte Tenor des (französischen) Fachs zu sein. Seine strahlende Höhe, seine unglaubliche ardeur, seine beste Diktion und seine Rolleneignung des ungestümen und auch bedenkenlos seiner Hose ebenso wie seinem Herzen folgenden jungen Mannes hatte ich so in langer Zeit nicht mehr gehört. Erzfranzösisch.

Hélas. Die neue und erste Arien-CD (bei DG) wird dem nicht immer gerecht. Vielleicht ging´s bei der Aufnahme 2018 zu schnell zu. Vielleicht – und ganz bestimmt – wurden manche Stücke unter dem etwas lustlos klingenden Emmanuel Guillaume mit dem Prager Philharmonischen Orchester zu oft wiederholt, bis Tontechniker, Dirigent und ermüdeter Tenor zufrieden waren. Egal – die Arien fallen in ihrer Wirkung und Bewältigung eklatant auseinander. Manches ist wunderbar – so der Traum des Des Grieux (Manon), der unglaublich sanft, zärtlich, visionär und pianissimo-mezza-voce-gesungen wird, wo die ganz gelungenen Kopftöne (so unentbehrlich für das französische Repertoire) wie kleine Perlen fallen. Auch der Nemorino ist so angelegt, schmachtend, zärtlich. Godards Dante betört mit Wohlklang.

Anderes eben nicht. Der anfängliche Werther bleibt blass und wenig ossianisch. Roméo könnte liebeskranker und stürmischer sein (und bekommt vom Orchester keine rauschhafte Unterstützung). Da fällt der Vergleich mit Roberto Alagna nicht zu Gunsten Bernheims aus, der eben doch recht nichtssagend bleibt (wenngleich natürlich höhensicher und bestens in der Diktion). Der Edgardo (Lucia di Lammermoor) ziemlich  ungerührt vom Schicksal seiner Geliebten. Lenski und Berlioz´ Faust nicht wirklich memorabel (im Vergleich zu Gedda oder Verreau). Auch der Gounodsche Faust wiederholt für mich nicht die magische Wirkung des Palazzetto. Alfredo, Duca oder auch Rodolfo (Luisa Miller) sind mehr als ordentlich, mit strahlender Höhe, sicuro (ma ci sono anche altri…)

Aber ich stelle auch für mich fest, dass die Stimme eigentlich recht wenig Persönlichkeit besitzt, nicht sofort wieder erkennbar ist, blass bleibt im Timbre-Eindruck. Unter – eben – Druck verdickt sie sich, namentlich in der Mitte. Sehr viel Metall in der mittleren und hohen Lage kündigt sich an (wie jüngst für mich zu viel in der Pariser Traviata..), um die dramatischen Partien zu bewältigen. Auf Kosten der Süße des Tons, den ich so beim Palazzetto-Faust bewunderte).  Und was ich auch entdecke und was mich bei Sängern immer stört ist dieses gewisse Einschleifen in den Ton, soft palate, wie bei z. B. Thomas Hampson im Gegensatz zu Thomas Allen. Besonders in den Parlando-Passagen fällt mir bei Bernheim der sich ankündigende Ansatz zum weichen Gaumen auf.

Dennoch – vieles auf der neuen CD des young-and-coming Helden der internationalen Opern-Szene berechtigt zu großer Freude. Lange nicht mehr gab es einen jungen Tenor mit so scheinbar müheloser, strahlender Höhe, mit so fabelhafter Diktion und so gutem technischem Singen. Ausdruck ist was anderes, auch was Individuelles. Aber manches geht eben auch schnell, vielleicht zu schnell: Alfredo an der Pariser Oper jüngst, Wien, Berlin, Chicago, die Met – alles scheint nun möglich. Die glamourös gestylte Website Bernheims ziert eine Rolex-Zeit-Uhr. Und die internationale Karriere ist bereits unterwegs (wie man youtube entnehmen kann). Ich hole meinen Palazetto-Faust heraus und schwelge… (Benjamin Bernheim: Arien/ Werther, L´Elisir d´amore, Roméo et Juliette, La Traviata, Eugen Onegin, Rigoletto, Manon, Lucia di Lammermoor, Faust, Luisa Miller, Dante, La Damnation de Faust, La Bohème; Prague Philharmia, Dirigent Emmanuel Villaume; DG 483 6078).  Geerd Heinsen

In Gälisch: Robert O’Dwyers“Eithne“

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In Zeiten von Brexit, Backstop, Good Friday Abkommen oder erneuter Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten, also Pro-Republik-Irland-Tendierenden und Pro-Großbritannien-Verbleibenden, Nord-Irlands und der ebenso bewusst vorsichtigen Republik selbst ist es auch für Außenstehende lohnend, sich an die gemeinsamen kulturellen Wurzeln dieser so schmerzhaft geteilten Insel zu besinnen, die so lange und ebenso schmerzhaft dominiert unter der Jahrhunderte langen Fremd-Herrschaft in mannigfaltiger Hinsicht gelitten hat und deren kulturelle Identität von der englischen oft bis zur Unkenntlichkeit überdeckt wurde.

Das gilt auch und vor allem für die Literatur und Musik Irlands, die zur Zeit des Komponisten Robert O´Dywyer es unglaublich schwer hatte, zu einer eigenen Identität zu finden, ein eigenes Idiom in sprachlicher wie musikalischer Hinsicht zu erfinden und aus dem eigenen Fundus der Folklore und der zaghaften, eher amateurhaften Versuchen eine Selbständigkeit zu entwickeln. Vor Robert O´ Dywer (1862 – 1949; von ihm nachstehend mehr) hatte es nur mehr oder weniger gehobene Folklore, Balladen eines Thomas Moore und anderen gegeben (das romantische Europa ging der Legende vom gälischen Ossian durch den Iren Robert McPherson/ 1736 – 1796 auf den Leim, in Erinnerung heute nur noch durch Massenets Zitat im Werther). Aber eine Oper im eigenen irischen Idiom gab es eben nicht. Man sang von der Sehnsucht nach Befreiung vom britischen Joch oder der Schönheit der grünen Insel am Kamin, in den Kneipen oder den Music-Halls.

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Robert O´Dwyers Oper „Eithne“: die rte lyric Aufnahme vom Konzert 2017 in Dublin

Mit absoluter Überraschung und vielleicht das Objekt der Bewunderung überschätzendem Beifall wurde im Oktober 2017 im republikanischen Dublin von dem Chor der  National Opera Irlands und  dem RTE National Symphony (Radio) Orchestra unter Fergus Sheil Robert O´Dwyers  Oper Eithne von 1909 konzertant in modernen Zeit erstaufgeführt: Eine Oper über die mythische Vergangenheit Irlands in eben gälischer Sprache. Davon liegt nun die CD-Übernahme bei RTE Lyric vor, dem Radiosender der Republik, der das Konzert vom Oktober 2017 übertragen hatte, den Jubel des Konzertpublikums eingeschlossen (RTECD 1568/ 2 CD).

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Es ist dies eine Oper über die mythische Vergangenheit der gälischen Insel, mit Königsfindung, Giganten, magischen Vögeln, Fabelwesen, einer tragischen Liebesgeschichte natürlich (die schöne Eithne muss aus einem Zauber befreit werden und den High King heiraten, während ein anderer Ritter sie begehrt). Um 1900 begann auf der Insel eine Renaissance irischer Selbstfindung auch auf dem Musiksektor, und die 1902 gegründete Gaelic League spielte dabei eine entscheidende Rolle. Bereits 1904 beauftrage sie O´Dwyer mit der Komposition zu einem Libretto von Tadgh O´Donoghue, Cran ach Oir/ The Tree of Gold, die erfolgreich in Dublin aufgenommen wurde. Der Bariton und promovierte Musikwissenschaftler Gavan Ring beschreibt die Umstände zur Komposition der Oper Eithne im folgenden Artikel, den wir mit seiner Genehmigung dem Programmheft zur Aufführung 2017 entnahmen. Das Booklet zur neuen CD-Ausgabe bietet für nicht Gälisch-Sprechende neben dem Text von Gavan Ring das Libretto in englischer Übersetzung, während die Tracks in der irischen Sprache verbleiben, die in ihrer Schreibform noch verwirrender als Tschechisch aussieht und keine Hilfe beim Auffinden der Solonummern ist. Wir lernen aber, dass „… ard a mian chun fialdh lae gréine“ eben „Freude für die Jagd an diesem sonnigen Tag“ heißt, das ist doch was!

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„Ossian“, Gemälde von Anne-Louis Girodet/Wiki

Gavan Ring ist auch der prachtvolle High King in dieser Aufnahme aus der Concert Hall in Dublin, wo seine Kollegen Orla Boylan/ Eithne, Robert Tritschler/Ceart, Imelda Drum/Nuala sowie Brendan Collins, Eamon Mulhall, John Molloy, Robert McAllister, Rachel Croash, Fearghal Curtis, Eoghan Desmond und Conor Breen zusammen mit den genannten Kräften unter Fergus Sheil diese musikalisch sehr an Brahms, Mendelssohn, Sullivan und eine runde Mischung irischer Balladen erinnernde große spät-romantische Oper vorstellen. Sie mag in ihrem musikalischen Eindruck für kontinentale Ohren vielleicht nicht die genialste Schöpfung sein (und scheint mir in der Instrumentierung interessanter als von der Erfindung her), aber ihre ideologisch-patriotische Wirkung war damals bedeutend. Wir haben im vereinten Nachkriegseuropa ganz vergessen, dass Irland (1801 nach jahrhundertelanger Besatzung offiziell an Großbritannien angeschlossen) erst 1937 eine Republik wurde (ohne Nordirland, das bis heute in zwei sich bekämpfende Lager gespalten ist) und 1949 aus dem Vertrag mit Großbritannien austrat. Erst 1998 gab die Republik offiziell ihren Anspruch auf Nordirland auf, nachdem 1985 ein  Waffenstillstand mit der pro-republikanischen Sinn Fein und das sogenannte Karfreitags-Friedens-Abkommen, erreicht worden war, das wegen eines harten Brexit heute bedroht ist. G. H.

 

Robert O´Dwyer: „Eithne“/ der Autor und Bariton Gavan King/ Konzert in Dublin 2017/ Foto website Gavan King

Und nun der Artikel von Gavan Ring zur Oper Eithne und deren Komponisten Robert O´Dwyer: Der vom irischen Musikwissenschaftler Joseph Ryan als „farbiger Charakter“ beschriebene Robert O’Dwyer wurde am 27. Januar 1862 in Bristol als Sohn irischer Eltern geboren. Er wurde dort in verschiedenen Kirchen als Chorknabe und Organist ausgebildet, bevor er seine Karriere als Tenor bei der Carl Rosa Opera Company und anschließend als Dirigent begann – sein erster Einsatz mit dem Taktstock ereignete sich, als er 1891 erfolgreich für den Chefdirigenten während einer Carl-Rosa-Aufführung von Wallace‘ Maritana einsprang. Es schlossen sich weitere Engagements bei verschiedenen britischen Wandergruppen an, bevor er sich 1897 in Dublin niederließ. Im Jahre 1900 wurde man landesweit erstmals auf O’Dwyer aufmerksam, als seine Orchesterouvertüre Rosalind den ersten Preis beim Belfast Feis Ceoil gewann. Diese Leistung stand am Anfang von O’Dwyers erfolgreichster Dekade als Komponist – eine Periode, in der er einer der Stimmführer wurde im Bestreben hinsichtlich der Etablierung einer unverwechselbaren nationalen Schule der irischen Musikkomposition.

Überaus nationalistisch und ein starker Befürworter einer Wiederbelebung der irischen Sprache (irisch Gaeilge), wurde er nicht lange nach seinem Erfolg mit Rosalind Mitglied der Conradh na Gaeilge (Liga des Irischen) und gründete 1902 den Festchor der Liga. Die Liga gab sogleich Chormusik bei O’Dwyer in Auftrag. Den Anfang machte eine Reihe von vierteiligen Liedern, genannt Amhrán an Oireachtais (1902). Bereits 1904 beauftragte die Liga O’Dwyer indes in Kooperation mit dem bekannten Schriftsteller Tadhg O’Donoghue mit einem Opernprojekt, das den ersten Akt des irischen Märchens Crann an Óir (Der Goldbaum) vertonten sollte. Dieser erste Aufzug wurde beim Oireachtas na Gaeilge, dem alljährlichen Festival der Liga, im selben Jahr aufgeführt und entpuppte sich insgesamt als großartiger Erfolg.

Robert O´Dwyer: „Eithne“/ Kozert in Dublin 2017/ Orla Boylan/Foto Opera Theatre Company

In der Hoffnung, den Erfolg von Crann an Óir wiederholen zu können, verlangte die Liga von O’Dwyer für das Festival von 1909 etwas Ähnliches. Der Komponist entschied sich für die märchenhafte Legende von Éan an cheoil bhinn (Der Vogel der süßen Musik), die ihm die Basis für den Plot von Eithne lieferte. Die Geschichte dieser Legende selbst war bereits allgemein bekannt innerhalb der Kreise der Liga des Irischen, da sie bereits als Teil des unveröffentlichten Geschichtenwettbewerbs im Zuge des Festivals von 1901 eingereicht und 1908 schließlich publiziert worden war. O’Dwyer gewann den renommierten Wissenschaftler und Dramatiker Tomás Ó Ceallaigh als Librettisten für Eithne. Ó Ceallaigh, ein aus Sligo stammender Priester, war sehr aktiv in der Formierung der irischen kulturellen Wiedergeburt im Laufe des frühen 20. Jahrhunderts; seine Übersetzung von W. B. Yeats Meilenstein Cathleen ni Houlihan im Jahre 1902 verschaffte ihm einen großen Bekanntheitsgrad.

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Das Libretto entstand in weniger als einem Monat im Juli 1909; die Proben für Eithne begannen, als O’Dwyer in seinem Haus in Rathmines komponierte. Er engagierte zudem drei Kopisten für die Orchesterparts. Der Kompositionsprozess ging so hektisch vonstatten, dass der Abend vor der Vollendung von Eithne mit der Generalprobe zusammenfiel. Eithne erlebte seine Uraufführung am 2. August 1909 und lief bis zum 5. August im Round Room der Dubliner Rotunda (dem heutigen Ambassador Theatre). Die von einem Orchester von vierzig Musikern und einem Chor von sechzig Sängern begleiteten und von O’Dwyer persönlich geleiteten Aufführungen waren ungeheuer erfolgreich und wurden von der Kritik mit Lob überschüttet. Dies führte dazu, dass man innerhalb der Liga ein Komitee einsetzte, das die Publizierung der Gesangspartitur initiierte und eine Wiederaufnahme der Oper für 1910 beschloss. Das unter dem Vorsitz des bekannten irischen Mediziners Sir Charles Cameron stehende Komitee bestand aus Vertretern der künstlerischen, politischen und gesellschaftlichen Intelligenzija Dublins, darunter Douglas Hyde und die Countess Markiewicz.

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Robert O´Dwyer: „Eithne“/ Kozert in Dublin 1910 Besetzungsliste und Details/ Foto Opera Theatre Company

Die Aufführungen am Gaiety Theatre im Mai 1910 wurden von der Kritik sogar mit noch mehr Hochachtung bedacht und der Erfolg übertraf selbst den vom Vorjahr in der Rotunda. Die Irish Times schrieb: „Die Oper wurde begeistert aufgenommen und Mr. O’Dwyer erschien etliche Male mit den Direktoren auf der Bühne, um den Applaus nach dem Ende jeder Szene entgegenzunehmen.“ Obwohl die Gaiety-Vorstellungen nicht abhängig waren von der Fertigstellung der Orchesterpartitur, erwiesen sich die Proben des Jahres 1910 als weitere rasende Erfahrung. In einer interessanten kleinen Anekdote des Freeman’s Journal wird erwähnt, wie O’Dwyer in der Eröffnungsvorstellung 1910 seinen Dirigierstab vergaß: „Der arme Mr. O’Dwyer hat sich mit den Proben etc. beinahe selbst zu Tode gearbeitet, und an diesem Abend wusste er kaum, ob er auf seinem Kopf oder auf seinen Absätzen stand, bevor er das Dirigentenpodium erreichte; und dann bemerkten wir, dass er nun wieder er selbst war. Doch als er im Begriff war, seinen Platz einzunehmen, fiel ihm auf, dass er seinen Dirigierstab vergessen hatte. Der Bühnenmanager rannte hinüber zu einem kleinen Geschäft auf der anderen Straßenseite, kaufte einen Stock für einen Penny, kürzte ihn um ein Stück und übergab ihn Mr. O’Dwyer. Damit dirigierte er die erste Aufführung von Eithne.“

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Eithne lief vom 16. bis 21. Mai 1910 am Gaiety Theatre, wurde jedoch unterbrochen durch das Begräbnis von König Eduard VII., dass es notwendig machte, das Theater während der beiden letzten Vorstellungen zu schließen. Dies bedingte einen Verlust von 200 Pfund – heute ungefähr 25.000 Euro –, die O’Dwyer selbst bezahlen musste.

Obschon O’Dwyers Großtat mit Eithne ihm eine Professur für irische Musik am University College Dublin verschaffte und seine vorzügliche Reputation in Irland bis zu seinem Tode 1949 fortdauerte, blieben verschiedentliche Bitten um eine Wiederaufnahme von Eithne unerhört. Auch wenn die Aufführungen von 1909 und 1910 tatsächlich sehr positiv aufgenommen worden waren, führten die wenig später verstärkt aufgeworfenen sozialpolitischen Fragen wohl auch dazu, dass das Werk an Popularität einbüßte. Die Opernszene in Dublin im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde hauptsächlich durch einen Appetit auf ausländisches Repertoire gestützt. Nach der Ausrufung der Republik im Jahre 1922 wurde Irlands kulturelle Anschauung zunehmend in sich gekehrt und Kunstmusik stand nur mehr wenig im Zentrum. Einheimische Erfindungen wie Eithne konnten diesem Typus des kulturellen Paradigmas nicht genügen. Gavan Ring ( Übersetzung Daniel Hauser)

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Robert O´Dwyer: „Eithne“/ der Autor und Geschichtswissenschaftler Axel Klein/ Foto website

 Dazu auch ein Artikel des Musikwissenschaftlers Axel Klein über Keltizismus in der irischen Oper: Robert O’Dwyers Eithne ist einer der bedeutendsten Beiträge zum Keltizismus in der irischen Musik – ein Trend, der besonders an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verbreitet war und der auf entsprechende Entwicklungen innerhalb der Literatur, des Schauspiels und der bildenden Künste reagierte. Anders als im Falle der meisten anderen Vertreter dieser Kunstgattungen, sind die musikalischen Entsprechungen weitgehend vergessen. Eithne erinnert uns daran, was wir verloren haben. Wir sollten und könnten einen ausgewogeneren Blick auf diese Epoche der irischen Kunst wiederbeleben, indem wir die Zeit und eben die Musik mehr in den Fokus stellten.

Definieren wir Keltizismus für unseren Zweck als einen Rückgriff auf Figuren, Geschichten, Legenden oder Mythen durch einen zeitgenössischen Künstler. Diese sind Teil des gemeinsamen Erbes der früheren Kelten. Im Falle von Irland geht dies oftmals bis lange vor die frühe Christianisierung zurück, bis zu den Legenden der Fianna oder den Ereignissen in den Annalen der vier Meister. Oftmals schlachten solche Werke existierende irische Legenden aus, indes spielen nicht selten halbauthentische oder erfundene Charaktere, die ein keltisches Klischee erschaffen, ebenfalls eine Rolle.

Der Keltizismus in der irischen Oper begann weder mit O’Dwyer noch endete er mit ihm. Sein Ruhm liegt beinahe ausschließlich in Eithne begründet. Die Anfänge des Wiedererwachens der verlorenen keltischen Vergangenheit Irlands beginnt im 18. Jahrhundert. In der Operngattung sind die ersten Werke The Milesian (1777) des in Dublin geborenen Charles Thomas Carter (um 1735-1804) und vielleicht die musikalischen Theaterstücke Genius of Ireland (1784) und The Island of Saints (1785) des eingewanderten italienischen Komponisten und Impresario Tommaso Giordarni (um 1733-1806) – der heute in erster Linie für seine Tenorarie Caro mio ben bekannt ist. Ob die beiden letzteren Werke überhaupt als Opern bezeichnet werden können, ist eine andere Frage, doch sind wir auf sichererem Terrain mit Thomas Simpson Cookes Thierna-na-Oge oder The Prince of the Lakes (1829), anglisiert von Tír na nÓg, dem mythologischen Land der ewigen Jugend. Interessanterweise erfuhren sowohl Carters Milesian als auch Cookes Thierna-na-Oge ihre Aufführungen nicht auf irischen, sondern auf englischen Bühnen.

Robert O´Dwyer: „Eithne“/ der Komponist 1921/ DRG

Cork war der Ort der nächsten irischen keltizistischen Oper. Es handelt sich um Amergen, geschrieben von Paul McSwiney (1856-1890) und erstaufgeführt am 23. Februar 1881 in Cork. Das Werk erregte seinerzeit erhebliches lokales Interesse. Verschiedene Zeitungen berichteten täglich über den Fortgang der Proben, und während der fünf Aufführungen war das Haus „bis auf den letzten Platz besetzt vom Boden bis zur Decke“. McSwineys eigenes Libretto konzentrierte sich auf eine versuchte wikingische Invasion Irlands, die aufgrund des Heldenmutes von Amergen fehlschlägt, der das Leben des irischen Hochkönigs Conaire Mór rettet und zum Dank dafür dessen geliebte Tochter Adela zur Frau erhält.

Kurz nach der Jahrhundertwende erfasste die Welle an keltizistischen Opern ganz Irland. Die erste war Connla of the Golden Hair (1903) von William Harvey Pélissier, einem ziemlich obskuren Komponisten, der um 1873 in Clonmel in der County Tipperary geboren wurde und während des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts in Dublin aktiv war. Das Werk gewann den Kantatenpreis (!) beim Feis Ceoil im Mai 1903, wurde als Resultat dessen gedruckt und verlegt und erlebte eine konzertante Aufführung. Die Publikation zeigt klar Pélissiers Intentionen in Sachen Oper, unter anderem eine sehr detaillierte Liste an Leitmotiven, die von Wagner inspiriert wurden. Das Libretto des Komponisten basiert auf einer alten irischen Erzählung aus dem Königszyklus, ursprünglich genannt Echtrae Chonnlai (Connlas Abenteuer). Es erzählt verschiedene, zunächst erfolglose Versuche verführerischer Elfen, den Opernhelden nach Moy-Mell zu locken, ein mythologisches Elfenland; am Ende sind diese Versuche von Erfolg gekrönt. Geht man von der Partitur aus, handelt es sich keinesfalls um ein schlechtes Werk; es weist einige reizvolle Chöre und ein paar wirklich dramatische Momenten auf, auch wenn die Leitmotividee ein wenig überambitioniert erscheint.

Im Dezember desselben Jahres wurde Muirgheis (1903) von Thomas O’Brien Butler (1861-1915) uraufgeführt, ein Stück mit dem Untertitel „Die erste irische Oper“ mit Verweis auf sein irisches Libretto. Dies entpuppt sich freilich als eine von Thadgh O’Donoghue vorgenommene irische Übersetzung eines englischen Textes von Nora Cheeson und George Moore. Wahrscheinlich war zwar eine irischsprachige Aufführung geplant, doch da die erste (und einzige) Vorstellung auf Englisch gesungen wurde, geht die Ehre, die erste Oper auf Irisch zu sein, tatsächlich an O’Dwyers Eithne. Muirgheis löste eine hochgradig kontroverse Rezeption aus, die sich vor allem mit der Frage beschäftigte, ob die löbliche Idee einer irisch-keltischen Handlung im Einklang zu bringen sei mit einer vergleichsweise unreifen Musik.

Weder O’Dwyers Eithne (1909) noch die einaktige Oper The Tinker and the Fairy (1910, nach Douglas Hyde) von Michele Esposito (1855-1929) können der Unreife bezichtigt werden. Letztere wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls ein lohnendes Werk, das nach einer modernen Aufführung verlangte. Der produktivste Komponist keltizistischer Opern war gleichwohl Geoffrey Molyneux Palmer (1882-1957) mit Werken wie Finn Varra Maa (1917), Sruth na Maoile (1923), der komischen Oper Grania Goes (1924) und Deirdre of the Sorrows (1925), der ersten eines beabsichtigten „Cuchulainn-Zyklus“ von drei Opern, der indes aufgrund Palmers schlechtem Gesundheitszustand eingestellt werden musste. Sruth na Maoile war eine weitere vollwertige ernste Oper auf Irisch – und die letzte ihrer Art. Spätere Produktionen von Éamonn Ó Gallchobhair (1906-1982) während der 1940er und 50er Jahre gehörten einem eher leichten Typus an. Axel Klein (Übersetzung von Daniel Hauser)

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Beide Artikel entnahmen wir mit sehr freundlicher Genehmigung der Autoren Gavan Ring und Axel Klein dem Programmheft zur konzertanten Aufführung der Oper 2017 in Dublin. Zu beziehen ist die neue CD (RTE lyric fm 2 CD 158) über den online-shop von rte-lyric und in ausgesuchten Geschäften. Abbildung oben:Edmund Blair Leighton „The End of The Song“ 1902 Wikipedia.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Verdienstvoll, aber …

 

Keine Spur von Atonalität, dafür viel Wagner und Strauss im Orchester und Puccini in den Gesangsnummern finden sich in Italo Montemezzis 1943 via Radio (NBC) uraufgeführtem Einakter L‘Incantesimo (Die Verzauberung), ohne dass das Echo darauf auch nur vergleichbar war mit dem auf die bekannteste seiner Opern, L’Amore dei tre Re, die sich 25 Jahre lang im Repertoire der Met gehalten hatte, von Toscanini dirigiert wurde. Montemezzi war nicht etwa einer der europäischen Emigranten aus faschistischen Ländern in den USA, sondern mit einer reichen amerikanischen Erbin verheiratet und durchaus im Briefwechsel mit Mussolini, den er für die Aufführung seiner patriotischen Oper La Nave, deren Libretto von d’Annunzio stammte und die in operalounge.de anlässlich ihrer amerikanischen Präsentation ausgiebig vorgestellt wurde, zu interessieren versuchte.

L’Incantesimo  erlebte seine szenische Uraufführung erst nach dem Tode des Komponisten 1952 in der Arena di Verona. Wenn man den heutzutage zwischen Aida, Carmen und Tosca sich bewegenden Spielplan des Freilichttheaters betrachtet, bewundert man den Mut der damaligen Spielplangestalter. Jüngst gab es in Lettland einen Abend mit der Kombination Pagliacci/Incantesimo, eine gute Idee, ein hochpopuläres mit einem unbekannten Werk zu koppeln.

Das Werk spielt im Mittelalter in einem Schloss zu Füßen der Alpen zur Winterszeit. Der Schlossherr Folco (Bariton) erwartet die Ankunft des Wahrsagers  Salomone (Bass), der ihm erklären soll, was es bedeutet, dass er auf der Jagd in einer von ihm erlegten sterbenden Hirschkuh seine Gattin Giselda (Sopran) zu erblicken glaubte. Der Ersehnte erscheint gemeinsam mit dem einstigen Rivalen, Rinaldo (Tenor) um die Gunst Giseldas, der sie immer noch liebt und zu erobern hofft. Salomone erklärt, es sei der Mangel an Liebe, die Folco nur in Verbindung mit dem Tod spüren könne,  die zu der Erscheinung geführt habe. Er müsse an den Ort der  blutigen Tat zurückkehren, und wenn er dort anstelle der Hirschkuh seine Gattin finde und ihren Körper zurückbringe, sei er der Liebe fähig. Rinaldo benutzt die Abwesenheit des Gatten, der nur den Kadaver des Tieres finden wird, dazu, Giselda seine Liebe zu erklären. Diese will seinem Werben nachgeben, wenn es ihm gelingt, am Morgen aus dem verschneiten Garten einen in voller Frühlingspracht zu zaubern – dann würde sie an die Kraft der Liebe glauben und die Seine werden. Das Wunder geschieht und die Oper endet mit der ekstatischen Anrufung von l’amore durch Giselda.

Die über alle Maßen verdienstvolle Firma Bongiovanni aus Bologna, die sich trotz inzwischen fast hundertfünfzehnjährigen Bestehens nur mit einem „70 anni“ schmückt, hat einmal mehr einer vergessenen oder eigentlich nie recht auf der Bühne präsenten Oper zur Wiederentdeckung verholfen, wenn auch leider mit einer teilweise mehr als heiklen Besetzung. Denia Mazzola Gavazzeni, Witwe des besonders um den Verismo verdienten Dirigenten Gianandrea Gavazzeni, singt nicht nur in L’Incantesiomo, sondern auch in der folgenden Debussy-Kantate L’Enfant Prodigue die weibliche Hauptrolle. Die Stimme klingt nun ausgesprochen ältlich, brüchig, bricht auch manchmal einfach weg, und anstelle von scherzosa klingt sie ausgesprochen nervosa. Nur die Musikalität der Sängerin bewahrt sie vor der totalen Katastrophe.Ebbene, allora Rinaldo“ ist eine tremolierende Bankrotterklärung.

Bei Debussy wird zumindest der Sopran nicht unter Druck gesetzt und klingt damit angenehmer in der Rolle der verhärmten Mutter. Markig, viril und dunkel ist der Bariton von Armando Likaj, ausgesprochen metallisch und den Charakter des starren Folco angemessen treffend. Gut gelingt ihm die Jagd-Erzählung in ausdrucksvoller Verhangenheit. Als Vater bei Debussy weiß er auch mildere Töne anzuschlagen, und auch der Tenor Giuseppe Veneziano kann die angenehme Stimme strömen lassen, die zuvor bereits bei „si, l’amore tutto può“ als Rinaldo durch ihr Strahlen aufgefallen war. Als Salomone lässt Fulvio Otelli einen dumpfen Bass hören.

Der Chor, La Camerata di Cremona, der zuvor wenig zu tun hatte, kann im Bonus, FaurésCantique de  Jean Racine“, für sich einnehmen, das Orchestra Filarmonica Italiana unter Marco Fracassi glänzt bei allen Stücken in den fein ziselierten Einleitungen und behauptet auch als Begleitung der Sänger seine Position als hochprofessionelles Musikerensemble (GB 2498/99-2Ingrid Wanja 

Analytiker und Psychologen

 

Neben dem gründlichen Studium sämtlicher Quellen zur Vorbereitung einer Inszenierung komme es sogar vor, so Dmitri Tcherniakov, „dass ich den Ort besuche, an dem die Oper spielt, egal, wie weit entfernt er ist, wie ich das zum Beispiel während der Vorbereitung zu Dialogues des Carmelites gemacht habe, als ich nach Compiègne in ein Karmelitisches Kloster gereist bin, um mich dort mit den Nonnen zu unterhalten. Die Inszenierung selbst ist dann am Ende ganz unabhängig von dieser historischen Basis entstanden“. Für seine Züricher Inszenierung der Debussy-Oper Pelléas et Mélisande im Mai 2016 musste er nicht nach Allemonde reisen und hat für das in einem Märchenmittelalter auf dem Schloss des Königs von Allemonde spielende Stück als sein eigener Ausstatter einen hohen, modernen loftartigen Raum entworfen. Wohnhaus und Praxis in einem, mit schräger Wand und Abtrennung zum Essbereich, von dem aus man auf einen Wald im Wandel der Jahreszeiten blickt, Sitzwürfel, zwei Couches im vorderen Bereich, Flachbildschirme und Kameras, die die Patienten im Nebenraum beobachten (DVD Belair BAC157).

Hier wohnt eine Familie von Therapeuten, die sich gerne selbst beobachtet und analysiert. Golaud hat den Ehrenkodex gebrochen, sich in eine Patientin verliebt, diese geheiratet und mit in dieses Haus gebracht. Klar, dass der ohnehin selbst psychisch deformierte Golaud ausrastet, nachdem er Mélisandes Beziehung zum jüngeren Halbbruder aufgedeckt hat und sich vom smarten Arzt zum ausrasenden Gewaltmenschen wandelt. Der bärtige Kyle Ketelsen bildet mit seinem schweren, kernigen rauen Bariton als viriler Golaud vom Typ angelsächsischer Hochschulprofessor den rechten Gegensatz zum schmal-zarteren, übersensiblen Pulloverträger Pelléas, den Jacques Imbrailo mit weichem Mozart-Bariton gibt. Nicht nur Golaud erlaubt sich schwerer Übergriffe, auch Arkel scheut sich nicht, sich der Frau seines Enkels zu nähern.

Es ist frappierend, wie in diesem Intellektuellen- und Therapeuten-Milieu, wo der Senior-Analyst Arkel mit seiner Schwiegertochter Geneviève am Esstisch die Familiensituation durchdekliniert, Maeterlincks Text neue Farben annimmt und Allgemeinplätze wie Arkels, „Wir sehen unser Schicksal immer von ganz hinten“ beim Kamerablick ins Behandlungszimmer einen neuen Klang erhält. Wie Geneviève bei aller scheinbaren Offenheit und Direktheit hinter Arkels Rücken Pelléas Zeichen macht, wie er sich zu verhalten habe. Oder wie sich Mélisande und Geneviève nebeneinander auf die Liegen betten und Geneviève Mélisandes Ängste in der Manier der Analytikerin deutet. Der bildkräftige, symbolastige Text nimmt in diesem klinischen Umfeld neue Nuancen an, ohne sein Geheimnis einzubüßen. Tcherniakov macht aus dem Fünfakter einen spannenden Psycho-Thriller, in dem auch Arkel und Geneviève, oft stiefmütterlich behandelte Figuren, als dominante Repräsentanten der Analytiker-Szene ständig geistig präsent sind; selbst Pelléas‘ kranker Vater tritt in Erscheinung. Der im Text angelegte Blick in menschliche Abgründe wird bei Tcherniakov zum Blick in die Abgründe der Seele, eben ein Psycho-Thriller wie ihn Debussy in seinen beiden Fragmenten nach Poe, La chute de la maison Usher und Le diable dans le Beffroi, nicht zu Ende führte und der in dem scheinbar so geordneten Ambiente um so perfider ausfällt. Mélisande ist eine seelisch schwer zerrüttete, immer wieder von schmerzlichen Erinnerungen geplagte Frau, die Golaud von Anfang an nicht liebt. Sie wird Opfer einer dysfunktionalen Familie, die sich selbst nicht heilen kann. Auslöser für Mélisandes Leiden ist möglicherweise Golaud, der sich nicht nur an ihr vergriffen hat. Corinne Winters spielt diese Mélisande auszeichnungswürdig, sing flatterhaft zart. Einzig bei Pelléas, der ihre Verschlossenheit respektiert, scheint sie sich zu lösen – während Golaud diese Nähe vom Nebenzimmer aus beobachtet, den verständnisvollen älteren Bruder spielt, gleich darauf Mélisande vor den Augen des Pélleas würgt und dessen Hand auf ihre Brüske drückt. Tcherniakov spielt dieses geschlossene System der Beziehungen und Abhänigkeiten – immer wieder die sprechenden Bilder am Esstisch – so gekonnt durch, dass ich diese Aufführung mit großer Faszination gesehen habe, umso mehr als mit Yvonne Naef und Brindley Sheratt als Geneviève und Arkel und dem sehr sauber singenden Damien Göritz als sich mit Kopfhörern gegen seine Umwelt abschirmender und später selbst als Analytiker versuchender Yniold und dem von Alain Altinglou mit zunehmender Dringlichkeit dirigierten Orchester und Chor auch der musikalische Teil bestens ausgerichtet war.

 

Maurice Ravels Debussy-Hommage Shéhérazade stand in diesem Sommer (2019) auf dem Programm eines Berliner Waldbühnen-Konzerts mit den Berlinern Philharmonikern unter Tugan Sokhiev – außerdem Sergej Prokofjews Leutnant Kije-Suite op. 60 und Romeo und Julia-Suite in einem Arrangement Sokhievs – bei dem sich die als neuer Stern am französischen Opernfirmament gegrüßte Marianne Crebassa der Orchesterlieder annahm. Crebassa singt auf diesem Mitbringsel für die Daheimgebliebenen (EuroArts 2067794) die drei Orchesterlieder mit starker Bildkraft und aparter Linie, beschwört mit dunklem Timbre auf eindringliche Weise die von Ravel und Tristan Klingsor in verschwimmenden Farben gemalten exotischen Paläste. Ihre Stimme ist nicht durchgehend elegant verblendet, weshalb sie trotz der Ausdruckskraft und Beweglichkeit ihres Mezzosoprans noch nicht an große Vorbilder heranreicht. Rolf Fath

Anspruchsvolle Neuaufnahme

 

Das in unseren Breiten noch unbekannte Label LINN legt eine im Mai/Juni 2018 in London produzierte Aufnahme von Händels Samson auf drei CDs vor (CKD 599). Im Februar 1743 wurde das Oratorium in Londons Covent Garden uraufgeführt und markierte die Abkehr des Komponisten von der italienischen Oper. Das letzte Werk des Genres der opera seria kam 1741 zur Premiere – mit nur wenig Erfolg. Danach setzte Händel den Messiah in Musik und begann, sich dem Samson in der Dichtung John Miltons zu widmen. Nach der erfolgreichen Uraufführung wurde das Werk in den folgenden Jahren unter Händels Leitung in den unterschiedlichsten Besetzungen gespielt.

Bei der aktuellen Aufnahme steht am Pult des 1995 gegründeten Barockensembles Dunedin Consort dessen Musical Director John Butt, der eine dramatisch pulsierende Deutung bietet. Händel hatte einige seiner biblischen Oratorien als Sacred Drama bezeichnet, was die Bedeutung des dramatischen Elementes in der Musik bestätigt, und der Dirigent befolgt diese Vorgabe konsequent. Dem Chor fällt in diesem Werk eine bedeutende Aufgabe zu, und der Tiffin Boy`s Choir (Einstudierung: James Day) erfüllt sie bravourös. Die Gesänge strahlen in majestätischer Pracht, besonders im Finale, wenn Samsons Sieg über den Tod gefeiert wird.

Das vorwiegend englische Solistenensemble wird angeführt von Joshua Ellicott in der Titelpartie, der eine stilistisch kompetente Interpretation liefert. Die Stimme des Tenors ist von weicher Textur, was seiner klagenden ersten Arie „Torments, alas“, ideal entspricht. Ergreifend ist „Total eclipse!“, was den Zustand des Blinden, der das verlorene Licht beklagt, eindrücklich schildert. Wunderbar formt er Samsons Abschiedsarie im 3. Akt, „Thus when the sun“, in der er das Bild der untergehenden Sonne und seinen wieder erlangten Frieden beschreibt.

Sophie Bevan ist eine Dalila mit energischem Sopran. Ihr Duett mit Samson im 2. Akt, „Traitor  to love“, ist ein vehementes Kräftemessen. Samsons Freund Micah ist hier keinem Countertenor anvertraut, sondern wird von der Altistin Jess Dandy wahrgenommen. Ihr Timbre ist freilich genügend androgyn, um eine männliche Figur suggerieren zu können. Träumerisch entrückte Klänge lässt sie im Arioso „Then long eternity“ vernehmen, in der nachfolgenden Arie „Joys that are pure“ wirken die Koloraturen etwas matt. In „Return, O God“ im 2. Akt erklingt die Stimme in ruhigem Fluss. Mary Bevan übernimmt die Soli von A Virgin, An Israelite Woman und A Philistine Woman mit hellem, klarem Sopran. Ihr fällt die berühmte Tauben-Arie „With plaintive notes“ zu, in der sie zärtliche und leuchtende Töne hören lässt. Zudem gebührt ihr am Ende des Werkes der jubelnde Gesang „Let the bright seraphim“. Reizvoll klingt der Sopran von Fflur Wyn als A Virgin und A Philistine Woman. In der Arie „It is not virtue“ kann sie besonders brillieren.

Hugo Hymas übernimmt die Soli von An Israelite, A Philstine und A Messenger mit leichtem, flexiblem Tenor. Die Bässe Matthew Brook als Samsons Vater Manoa und Vitali Rozynko als Philisterkrieger Harapha sorgen für kontrastierend tiefe Töne. Ersterer führt sich imponierend ein mit der energischen Arie „Thy glorious deeds“ und erfüllt auch „Just are the ways of God“ zu Beginn des 2. Aktes mit Nachdruck. Weicher, aber sinnlich-resonant klingt Rozynko, der in der prahlerischen Arie„Hounour and arms“ auftrumpft und Samson im Duett „Go, baffled coward“ Paroli bietet.

Neben den Referenz-Aufnahmen des Werkes (Somary, Leppard, Harnoncourt, Christophers) kann sich diese Neuaufnahme durchaus behaupten. Bernd Hoppe

Dokument früher Reife

 

Eigentlich ein „intermedium“, ein Pausenfüller innerhalb einer Oper, war das vom Professor Rufinus Widl beim erst elfjährigen Mozart als dessen zweites Bühnenwerk in Auftrag gegebene Apollo et Hyacinthus, fast ausschließlich für Knabenstimmen, weil für die Aufführung an einem Salzburger Gymnasium bestimmt, komponiert. Entsprechend jugendfrei war die Handlung, die anstelle einer homosexuellen Leidenschaft Apollos für Hyacinthus eine Freundschaft schildert, dazu die gleichzeitige Liebe des Gottes zu der Königstochter Melia, die Erfüllung findet, während die diese Beziehung störenden Elemente Hyacinthus als gleichnamige Blume, der Bruder der Prinzessin, Zephyrus, als mildes Lüftchen enden.

Auf der bei Signum Classics 2019 erschienenen CD sind zwar auch Salzburger, The Mozartists unter Ian Page, zu hören, aber durchweg Erwachsene, seien es Frauen- oder Countertenorstimmen, abgesehen vom König und Vater und zwei Priestern, die männlichen Stimmen anvertraut sind. Der Tenor Andrew Kennedy setzt für den König und Vater Oebalus einen schlanken Charaktertenor ein, ausdrucksvoll in den wichtigen Rezitativen und zugleich kraftvoll und empfindsam in seiner Arie „Ut navis in aequore“. Klara Ek hat einen zarten, empfindsamen Mädchensopran von seltener Anmut für die umworbene Melia, der in „Laetari iocari“ sichere Intervallsprünge und insgesamt eine beachtliche Virtuosität wahrnehmen lässt. Im Duett mit Apollo zeigt sie durchaus auch einiges Temperament. Der Griechengott ist Lawrence Zazzo anvertraut, der ihn mit nobel-sinnlichem Countertenor und viel vokaler Autorität singt. Dem zweiten Countertenor, Christopher Ainslie, wurde der Zephyrus zugewiesen, den er mit weniger präsenter, aber von zarter Tragik umflorter Stimme singt, in seiner Arie etwas verhuscht, aber mit einem schönen Triller endend. Bleibt noch der Sänger des Hyacinthus, der eine Sängerin ist, Sophie Bevan mit frischem, mit den Instrumenten um die Wette strahlendem Sopran, der in der allerdings selten geforderten Tiefe matt klingt. Pure Munterkeit hingegen sind The Mozartists und machen aus der frühreifen Angelegenheit eine durch und durch muntere Unternehmung (2 CDs Signum Classics  CD577). Ingrid Wanja

 

Facettenreich

 

Die französische Firma Aparte bringt zwei Recitals heraus, welche die Herzen von Barockfreunden und Raritäten-Sammlern höher schlagen lassen. Beide wurden Ende 2018 bzw. Anfang 2019 aufgenommen – das erste im September in Metz in Zusammenarbeit mit dem Centre de musique baroque de Versailles. Es trägt den Titel „L’opéra du roi soleil“ und wird gestaltet von der englischen Sopranistin Katherine Watson und dem Ensemble Les Ambassadeurs unter Leitung von Alexis Kossenko (AP 209). Das Programm umfasst Ausschnitte aus der französischen Oper des 17. und 18. Jahrhunderts, darunter seltene oder erstmals aufgenommene Titel, wie es das Anliegen des koproduzierenden CMBV ist. Gleich der Auftakt, die Arie der Eurydice, „Ah! que j’éprouve bien que lámoureuse flamme“, aus Louis de Lullys Orphée von 1690, ist eine Rarität. Es ist ein getragenes Lamento, das Eurydices Zweifel, ob Orphée sie noch liebt, eindrücklich wiedergibt. Die Sopranistin lässt einen schmerzlichen Tonfall hören, welcher der  existentiellen Situation perfekt entspricht.

Der folgende Komponist, Marin Marais, ist in der Barocklandschaft kein Unbekannter. Aus seiner Oper Alcyone, die in dieser Saison am Gran Teatre del Liceu von Barcelona gezeigt wird, erklingen die Ouverture sowie die rhythmisch reizvolle Marche pour les und das pompöse Deuxième Air des Matelots. Aus Ariane et Bacchus gibt es sogar vier Ausschnitte – die wehmütige Arie der Titelheldin, „Croirai-je“, die sehr delikat musizierte Symphonie du sommeil, das Air pour les flutes und das Rondeau. In diesen Instrumentalstücken imponiert das Orchester mit farbigem, akzentuiertem Spiel.

Auch von André Campra finden sich in der Programmfolge mehrere Titel. Aus seinem Idoménée  von 1712 bzw. der Version von 1732 gibt es die feierliche Chaconne, die Arie der Illione „Espoir des malheureux“ und die Arie der Vénus „Coulez, ruisseaux“. Auch die Arie der Zaide, „Mes yeux“, aus L’Europe galante von 1697 steht in ihrem Lamento-Charakter ganz in der Tradition der tragédie-lyrique. Vier Szenen aus Téléphe (1713) bringen die Sarabande und drei Arien von La Pythonisse, von denen besonders die letzte, „Quelle épaisse vapeur“, durch ihren majestätischen Charakter heraus ragt.

Natürlich darf in einer solchen Anthologie Jean-Baptiste Lully nicht fehlen. Es finden sich die Arie der Galatée, „Enfin, j’ai dissipé la crainte“, aus Acis et Galatée (1686), welche von Watson zunächst gefühlvoll, später sehr engagiert vorgetragen wird, die wehklagende Arie von Une Femme affligée, „Deh, pangete al pianto mio“, aus Psyché und die tänzerisch beschwingte Marche pour la cérémonie des Turcs aus Le Bourgeois gentilhomme.

Zu erwähnen sind noch Titel von weiteren unbekannten Komponisten – eine furiose und eine klagende Arie der Titelheldin aus Circé von Henri Desmarest sowie zwei Szenen aus Werken von Jean-Baptiste Stuck. Aus dessen Thétis et Pélée erklingt in pompöser Feierlichkeit und Koloraturjubel das Air ajouté „Non sempre guerriero“, aus Polydore die Arie der Ilione „C’en donc fait“, welche noch einmal den Sopran in seiner technischen Kompetenz und sensiblen Gestaltungsintensität zeigt. Benrd Hoppe

 

Nicht weniger originell ist das Recital mit der Sopranistin Sophie Karthäuser und dem Ensemble Le Concert de la Loge unter Julien Chauvin (AP 210). Es wurde im Oktober 2018 im Pariser Louvre bzw. im März 2019 im Conservatoire Jean-Baptiste Lully in Puteaux aufgenommen und trägt den Titel „Haydn – L’Impatiente“. Auch hier finden sich unbekannte Komponisten, wie die dreisätzige, dramatisch pulsierende Symphonie en ré mineur, op. 10 no 1 von Louis-Charles Ragué, welche die Anthologie beendet, oder die Arie der Titelheldin, „Il va venir“, aus Jean-Baptiste  Lemyones Phèdre. Dagegen nimmt sich der Auftakt der Programmfolge geradezu populär aus. Es ist Haydns Symphonie no 87 en la majeur, deren Untertitel „L’Impatiente“ der Sammlung den Titel gab. Das Orchester verleiht dem 1. Satz, Vivace, federnden Schwung, breitet das folgende Adagio mit starker Empfindung aus, setzt im Menuet – Trio übermütige Akzente und beschließt  die Komposition mit heiterem Elan. Auch die Arie der Eurydice, „Fortune ennemie“, aus Glucks Orphée et Eurydice ist ein sattsam bekannter Titel. Die Anthologie wird vervollständigt von weiteren Raritäten – der Arie der Titelheldin „C’ est votre bonté“ aus Antonio Sacchinis Chimène ou Le Cid, der Arie der Dircée „Age d’or“  aus Johann Christoph Vogels  Démophon und der Arie der Éliane „O sort“ aus André-Ernest-Modeste Grétrys Les Mariages samnites. Sophie Karthäuser lässt in den Gesangsnummern einen reizvoll timbrierten Sopran hören, der in den lyrischen Szenen mit reicher Empfindung berührt und in den dramatischen mit flammender Intensität imponiert. Bernd Hoppe

 

Ein originelles Konzept erdachte der katalanische Countertenor Xavier Sabata für sein im Januar 2018 aufgenommenes Recital bei APARTÉ (192). Unter dem Titel L’Alessandro amante stellt er elf Arien aus zehn Barockopern von acht verschiedenen Komponisten vor, die sich sämtlich mit der Person Alexander des Großen oder einer aus dessen Umfeld beschäftigen. In der Geschichte der Oper ist Alexander eine der am meisten in Musik gesetzten Figuren – Metastasios Libretto Alessandro nell’Indie von 1726 wurde über 65mal vertont. Die Spanne des Programms reicht chronologisch von Antonio Draghis La Vittoria della fortezza (Uraufführung 1687 in Wien) bis zu Leonardo Leos Alessandro in Persia (1741, London) und bietet die Möglichkeit, den vielschichtigen Charakter des berühmten Feldherren zu beleuchten – den Kämpfer und Liebhaber. Darunter finden sich viele Raritäten, so die beiden Titel von Giovanni Battista Bononcini, welche die Anthologie eröffnen – das straffe Preludio aus seinem Abdolomino (1711, Neapel) und die Arie von Alessandros treuem Begleiter Efestione „Da tuoi lumi“ aus L’Euleo festeggiante nel ritorno d’Alessandro Magno dall’Indie (1699, Wien). Später folgt aus dieser Serenade noch eine klagende Arie des Alessando, „Chiare faci“. Sabata nimmt vom ersten Ton an mit seiner weichen, sinnlichen Stimme für sich ein, die sanft und wohltönend erklingt, in den Koloraturläufen mit gebotener Virtuosität aufwartet. In zwei Arien der Titelhelden aus Opern Händels, welche die einzig bekannten der Sammlung markieren, kann der Counter besonders imponieren. Aus Poro, re dell’Indie (1731, London) singt er das getragene, emotionsstarke „Se possono tanto“, welches er im Da capo phantasievoll variiert, aus Alessandro (1726, London) „Vano amore“, wo er energisch auftrumpft und mit einem rasanten  Koloraturfeuerwerk brilliert.

Giovanni Battista Pescettis Vertonung von Metastasios Libretto wurde 1732 in Venedig uraufgeführt. Der Komponist war später der Lehrer von Josef Myslivecek und Antonio Salieri. Sabata stellt Alessandros Arie „Serbati a grandi  imprese“ vor, die in ihrem wiegenden  siciliano-Rhythmus die Schönheit und Sanftmut seiner Stimme besonders herausstellt. Aus dem frühesten Werk der Zusammenstellung, Draghis Einleitung zum Ballett La Vittoria della fortezza, erklingen zwei kurze Arietten Alessandros im Canzonetta-Charakter. Den neapolitanischen Stil vertritt Francesco Mancini mit Alessandro il Grande in Sidone, uraufgeführt 1706 in Neapel. Daraus ist die Arie des Eumene, „Spirti fieri“, zu hören, in welcher der Counter mit heroischer Verve aufwartet und einmal die Agilität seiner Stimme demonstriert. Auch Leonardo Vincis Version (1730, Rom) repräsentiert diesen Stil. Alessandros Arie „Serbati a grandi  imprese“ war vorher bereits in Pescettis Vertonung zu hören, hier klingt sie eher beschwingt, doch lässt sie mit ihren getupften staccati Sabatas Stimme gleichfalls zu schöner Wirkung kommen.

Leonardo Leo führt zum galanten Stil. Seine Oper nennt sich Alessandro in Persia (1741, London). Die Arie der Titelfigur, „Dirti, ben mio“, ist eine zärtliche Liebeserklärung, die Sabata mit schmeichelnden Tönen formuliert. Mit Nicola Porporas Poro (1731, Turin) endet das Recital höchst spektakulär, denn der Komponist widmete sie der Kastraten-Legende Farinelli. Poros Arie „Destrier ch’all’armi usato“ porträtiert den Feldherren Alexander mit Koloraturbravour und schmetterndem Klang der Trompeten und Hörner, die im Wettstreit mit dem Sänger auch mal in Bedrängnis geraten.

Sabata unterstreicht mit dieser CD eindrucksvoll seine prominente Position unter den derzeit führenden Vertretern seiner Gattung.

Das den Sänger begleitende Ensemble Vespres d’Arnadí unter Leitung von Dani Espasa kann sich schon im Eröffnungsstück imponierend profilieren, wie auch in den später folgenden Instrumentalnummern – der gewichtigen Sinfonia aus Agostino Steffanis Il Zelo di Leonato (1691, Hannover) und der tänzerischen aus Francesco Mancinis Alessandro il Grande in Sidone (1706, Neapel). In den Klangteppich des Orchesters ist die Stimme Sabatas harmonisch eingebettet, wirkt aber dennoch stets präsent. Bernd Hoppe