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Eigentlich bricht es mir das Herz, die Ikone des Opern-Gesangs, Maria Callas, nicht mehr bei ihrer alten Stammfirma EMI zu sehen. Die Unbill der globalen Wirtschaft hatte vor rund 4 Jahren auch die Ehrwürdige erreicht. Die EMI war in den letzten 20 Jahren vielfach in Bedrängnis, wurde immer wieder verkauft. Aber sie behielt stets ihren Namen und damit ihre Identität (sowie ihren unglaublichen Back-Katalog, der stets ihr großes Asset war). Die Künstlernamen bei der EMI (ehemals der Sammelname für die Tochterfirmen wie Electrola, Voce del Padrone, Fonotipia, Voix de son Mâitre und viele mehr, schließlich auch Virgin assoziiert) sind Legion und Musikgeschichte, sind Lebensgeschichte für uns viele Ältere, die ihr erstes Geld in Aufnahmen wie den legendären Furtwängler-Tristan oder die erste Schwarzkopf-Ackermann-LP oder Gieseking mit Mendelssohn investiert hatten. Und natürlich in Maria Callas.
Maria Callas – ein ganz anrührender Moment der Unschuld und Überraschung am Schreibtisch/ca. 1952/Bruno Tosi – siehe auch dessen website.
Meine Callas-Karriere begann mit einem Norma-1-LP-Querschnitt, noch kiloschwer mit der Scala zweifarbig vorne drauf, die ein Freund von mir besaß und die wir morgens, mittags und nachts spielten. Dann fiel mir ein Salzstreuer drauf, die Platte bekam einen dicken Kratzer, was instrumental zum Ende der Freundschaft führte. Ich kaufte ihm eine neue (25.- DM, unglaublich für mich als armer Student) und behielt die LP mit Kratzer, die den Grundstock für meine Callas-Sammlung ausmachte. Und 20 Jahre lang bekam ich die Stimme nicht mehr aus dem Ohr. Erst kaufte ich die italienischen, dann die englischen Callas-Platten, die anfangs nur als mörderisch teure Importe erhältlich waren. Dann berappelte sich der Vertrieb der Electrola in Köln (ASD) und übernahm mehr und mehr ins deutsche Programm.
Maria Callas: Norma in Rom 1950/Fabbri Editore
Da hatte ich die Diva noch als Tosca in London erleben können, die letzte Norma in Paris ließ ich aus, ebenso die schreckliche Abschiedstournee, für die ich meine Karte wieder verkaufte – ich wollte sie so nicht mehr sehen bzw. hören. Zumal man inzwischen auch die Live-Aufnahmen hatte, die in allen Fällen an Intensität die Studioaufnahmen übertreffen, nur eben im Klang nicht.
Maria Callas: Gioconda in Verona 1947/Cetra
Klang war bei den Callas-Studio-Aufnahmen immer das Problem. Die ersten stammen von 1949 von der Cetra (Tristan, Norma 2x, Puritani 3x,, und die Cetra hatte schlechtes Plattenmaterial) unter Arturo Basile am Orchester der RAI Turin. Und es war mit diesen Arien, dass eine junge und ziemlich füllige, kompakte Graeco-Amerikanerin namentlich in den USA (wo die Firma Soria für den Vertrieb der Cetra sorgte) über Nacht bekannt wurde. Über die fulminante Gioconda aus der Arena di Verona zur gleichen Zeit wusste die Welt eher weniger, die war auf Vermittlung des Kollegen Rossi Lemeni zustande gekommen. Dies alles ist bekannt und x-mal erzählt worden. Auch dass die Callas als erste Gesamtaufnahme besagte Gioconda 1952 und dann die Traviata 1953 aufnahm, die ihr den Weg zur Voce-del-Padrone-Einspielung der Oper versprerrte, weil sie eine Klausel mit der Cetra hatte. Die Callas, sagt man, habe getobt, als sie hörte, dass die Stella die Violetta bei der Voce del Padrone (später EMI) sang, aber so war´s eben.
Maria Callas: die berühmten Einspringer-„Puritani“ in Venedig 1949/L´Opera
Dann trat Walter Legge auf den Plan, Gatte Menighini regelte das Geschäft. Die EMI-Gesamt-Aufnahmen begannen 1953 mit der Cavalleria (1954 angekoppelt an die Pagliacci), der legendären und absolut unerreichten De-Sabata-Tosca, gefolgt von den Puritani und der ersten Lucia di Lammermoor 1953, Il Turco in Italia 1954 und natürlich der ersten Norma 1954. 1955 folgten die Butterfly, Aida, Rigoletto, 1956 die Bohème, der beispielhafte Trovatore und der Ballo in Maschera, 1957 die wunderbare Turandot, der köstliche Barbiere (als erste Stereoaufnahme), die herzerreißende Sonnambula. Es ist, als ob Legge ahnte, wie wenig Zeit die Callas noch Stimme hattte. Sie sang ja auch bereits seit Beginn der Vierziger, was man gerne vergisst – die Athener Karriere.
Für mich ist mit den Callas-Aufnahmen Mitte der Fünfziger Schluss (die Medea von 1957 gehörte wie die Traviata und Gioconda nicht in den Kanon der EMI und wurde später hinzugekauft – es ist eine Einspielung der Mercury, die durch viele Hände ging, von Philips über Cetra bis sogar zur Deutschen Grammophon).
Maria Callas: Rossinis Armida in Florenz 1952/L´Opera
Sicher, die zweite Norma von 1960 hat ihre großen Momente und natürlich Franco Corelli (aber auch die sich drängelnde Christa Ludwig), die zweite Gioconda von 1959 hat an gestalterischer Tiefe deutlich gewonnen, aber sie sind eher dem Stereozwang der Zeit geschuldet (und wer will bei dem Schinken viel Charakter, wenn´s die Stimme nicht mehr wirklich hergibt). Ebenso auch die zweite Tosca, und wie auch die ziemlich gewöhnungsbedürftige Carmen leiden die späteren unter dem schnellen Stimmverfall sowie dem akuten Wobble und erreichen nicht das Spontane, das Überspringende der ersten Aufnahmen – auch wenn mich manche jetzt für überkritisch halten. Ähnlich wie die späteren Recitals mit französischen Arien und Verdi etc. sind die Einspielungen nach 1957 mir schmerzhaft im Ohr, und ich höre zu sehr die Anstremgung, mit Kunst das stimmliche Un-Vermögen zu überdecken. Die frühen Recitals sind es ebenfalls, die mich immer wieder zur Callas bringen – die Puccini Arien von 1954, die „Lyric and Coloratura Arias“ von ebenfalls 1954, „Maria Callas alla Scala“ und die wunderbaren „Operatic Arias“ mit der Adriana und Wally (dto.).
Maria Callas: Turandot in Venedig 1949/L´Opera
Klang ist das kritische Wort. Die ersten EMI-Aufnahmen (wenn man die italienische Voce del Padrone mal als solche zuordnet, der Barbiere di Siviglia war eine originale EMI-Aufnahme aus London und damit die erste Stereoaufnahme in der Serie) waren natürlich in mono, erst 1956 begann die EMI mit ihren Stereo-Versuchen, für das Ausland schneller als fürs heimische englische Publikum (der Rosenkavalier der Schwarzkopf existiert in Mono und Stereo und das aus unterschiedlichen Aufnahmesitzungen vormittags und nachmittags…). Diese Unterschiede verwischten sich bei der EMI in späteren CD-Ausgaben, die eine fragwürdige Restaurierung des Klanges aufwiesen. Künstliches Stereo war die Regel (bereits bei den späteren LP-Remakes schon), und die beiden letzten Remake-Serien in Blau und Schwarz klangen besonders technisch, als die Techniker die Aufnahmen fast wie mit einer Einheitsformel durch den Equalizer schoben, nicht nett und weit vom originalen Klangbild entfernt. Abhilfe kam zu einem gewissen Grad von Naxos, die die rechtefreien Aufnahmen aus den alten LPs rekonstrierten und einen wirklich warmen, runden Klang nach-schufen, der den originalen LPs wesentlich näher kam als alles, was man nach den alten Platten gehört hatte. Jetzt rumpelte bei den Puritani sogar die Straßenbahn wieder um die Scala herum, was die Tonmeister späterer EMI-Ausgaben wegretouschiert hatten.
Und nun gibt es eine große Maria-Callas-Studio-Edition bei Warner (0825646339914)! Als die alte EMI in Konkurs ging, schnappte sich die große Universal den Riesenbrocken, wurde aber vom Kartellamt gezwungen, zumindest den Klassikbereich (weitgehend) abzugeben, eben an die Warner – wenngleich das alles ein bisschen im Nebel des globalen Business bleibt. Man spricht nicht gerne darüber, denn der Name EMI liegt bei der Universal und einige Aufnahmen der Klassik wohl auch, welche – ist nicht herauszubekommen. Der Löwenanteil jedenfalls liegt nun bei Warner, die bereits mit ihrer Karajan-ex-EMI-Edition ein Zeichen gesetzt und viele ehemalige Virgin-Stars auf dem alten und nun wieder neubelebten Warner-Label Erato untergebracht hat, wo der alte Virgin-Chef Alain Lanceron nun Boss geworden ist: Man fällt auf die Füße. Und natürlich will Warner mit solchen Ausgaben wie Karajans oder nun der Callas auch die Früchte ihrer Millioneninvestition sehen will. Speriamo.
Der große De-Luxe-Brocken ist das dicke Booklet, das der Callas-Ausgabe bei Warner beiliegt. Hier sind nicht nur wirklich seltene und hochklassig aufgelöste Photos versammelt, sondern es gibt „Rechenschaftsberichte“ der originalen und späteren Remastering-Crew, die sich einträchtig auf den Stufen zum berühmten Abbey-Road-Studio ablichten ließen(Foto nebenstehend/Warner). Zum Teil werden die alten Aufnahme-Protokolle vorgelegt, auch die Protokolle der späteren Remastering-Vorgänge und Frequenzgänge abgebildet – allerdings nur für die späteren Stereo-Aufnahmen (soweit mir ersichtlich). Tony Locantro steuert einen intelligenten Artikel bei (gabs den nicht schon?) und die mehrsprachigen Übersetzungen sorgen für 111 Seiten. Das ist wirklich seriös und macht ganz sicher einen großen Anreiz, die dicke Box zu kaufen, während man auf die ebenfalls bei EMI herausgegebene Live-Box der Callas wartet (wo ich mit Spannung hoffe, dass der Fehler beim Macbeth berichtigt wird – da wurde das Finale Akt 1 mit der Gencer aufgefüllt und eben nicht korrigiert, während im Original der Ton absackte und die italienischen Nachrichten sich durchdrängten). Wirklich, das dicke Buch als Beilage zur Studio-Box ist ein Gewinn. und das gibt´s nicht einzeln, sondern nur im Verbund mit der Studio-Box.
Maria Callas: Violetta in Südamerika 1948-1948/Cetra
Aber Maria Callas bei Warner remastered – des Kaisers neue Kleider? 69 CDs, 39 Studio-Aufnahmen von 1949 bis 1969 in einer luxurlösen Box mit besagtem üppigem Booklet und einer Extra-CD-Rom für die Libretti (gab´s aber auch bei der EMI zuletzt): „Warner Classics unveils the most ambitious and extensive project ever undertaken in the name of the Maria Callas catalogue: a pioneering remastered edition of her complete recordings.For the first time this century, a team of world-class sound engineers at London’s Abbey Road Studios — where Callas herself recorded Verdi arias in 1958 — returned to her original master tapes to bring previously unimaginable clarity and depth to the legacy of the most iconic opera star of all time. They worked painstakingly for more than a year to bring the project to fruition, and the results will enable listeners to experience the voice of Callas as never before. The authoritative Maria Callas Edition will comprise a lavish boxed set of her 39 newly remastered studio recordings (totalling 69 discs) from 1949 to 1969 — each with the original sleeve art preserved“.
Schreibt die Firma selbstbewusst. Die originalen Covers wurden nachgedruckt als etwas fragiler Slim-Papp-Schuber, bei dem der 3-CD-Inhalt etwas geklemmt drin steckt und die Einzel-Beilage sich im Rudimentären hält: Tracks/Aufnahmedatum, ein kurzer Artikel zur Einspielung und den Umständen – sehr verdienstvoll, Autoren sind Fachkräfte wie Ira Siff (the famous one, but what a name!) oder Michel Roubinet sowie ein nettes bekanntes historisches Rollenfoto.
Remastered. Was ist nun dran am neuen Klang aus Abbey Road, dem legendären Aufnahme-/Produktionszentrum der EMI in alten Tagen, nun mitgekauft von Warner? Newly remastered from the original tapes at Abbey Road Studios, lese ich in den Booklets von 2014, (das hieß es aber auch noch bei den verschiedenen EMI-Ausgaben).
Nun denn – ans Werk. Ich lege die erste Norma von 1954 auf, die Ouvertüre klingt sehr/zu hell/grell, die Streicherhöhen mir zu metallisch, das Klangbild sehr durchhörbar, sehr weitgestreckt (dies ist eine originale Mono-Aufnahme), sehr plastisch. Der erste Chor ein wenig zu scharf auf der Höhe, Polliones Auftritt gut gestaffelt – aber über allem liegt eine gewisser technischer Aspekt. So hat das damals sicher nicht geklungen! Und mich stört auch sehr, dass an den Trackübergängen absolut nichts zu hören ist. Nach dem letzten Ton tut sich ein großes digitales Nichts auf, besonders beim Kopfhörer bemerkbar. Die Aufnahme wird tot, kein Atmen, keine Nebengeräusche, an denen die originalen doch so reich war – da hörte man Atmen, das Heben der Arme bei den Streichern, sogar den alten Serafin schnaufen. Das eben machte diese Einspielungen so lebendig und unterscheidet sie von den sterilen digitalen neuen. Zur Korrektur höre ich die von mir ohnehin favorisierte Naxos-Überspielung. Und siehe da: Das Dunkle, Geheimnisvolle der alten LPs ist wieder da, dieser sonore Klang des Scala-Orchesters unter Tullio Serafin (der hier eben auch mal schnauft). Die Streicher haben Tiefe und mystische Farbe, die Chöre sind vielleicht nicht so präsent, aber doch machtvoll und eben nicht technisch aufgehellt. Und La Divina behält mehr von ihrem Majestätischen, ihrem Unvergleichlichen. Man hört sie atmen! Damals. Wie auch auf der absolut oberaffengeilen (pardon) Gioconda 1!
Maria Callas mit Max Lorenz 1955 (Wien?)/Lorenz
Es ist vielleicht ganz grundsätzlich eine Frage der Ästhetik. Will man eine „moderne“ Akustik des hellen, obertonigen Klangs, oder will man die warme, runde und eher geheimnisvolle der alten LP-Aufnahmen? Man weiß ja, wie die originalen Bänder dieser Zeit klingen, wenn man sich die sensationellen Überspielungen der Testament-Aufnahmen anhört, die mit ihren diskreten Remakes etwa von Bayreuth-Aufnahmen Maßstäbe gesetzt haben. Auch der Karajan-Tristan bei orfeo ist ein Beweis für eine solche vorsichtige Bearbeitung. Warners Abbey Road, will mir scheinen, geht diesen Weg nicht, und ich habe den ganz leisen (und sicher total unbegründeten) Verdacht, dass man vielleicht eher den bewährten Methoden der älteren EMI-Remakes gefolgt ist. Vielleicht waren es sogar dieselben Tontechniker? Oder sogar dieselben Überspielungen? Sicher nicht….
Das ist nicht bei allen CDs so – „Callas at la Scala“ zeigt die Solostimme gedämpfter, weniger nach vorn gestellt als bei der schwarzen EMI-Serie. Das ist bei den Puccini-Arien ebenso, die Stimme ist gegenüber der Naxos-CD weniger präsent-nach vorne geschoben, aber dort wärmer, klangschöner. Die Adriana Lecouvreur auf den „Operatic Arias“ ist der interessanteste Fall, weil alle drei Ausgaben (Warner, Emi-Schwarz, Naxos) ein eigenes Klangbild haben. Ich liebe das dunkle von Naxos immer noch, aber Warner scheint mir durchsichtiger, durchhörbarer, unmittelbarer (und damit der EMI sehr, sehr, sehr ähnlich – auch hier breitet sich ein digitales Loch aus, wenn es keine Musik mehr gibt).
Und so geht es fort. Im ganzen scheint mir, dass die Studio-Recitals der Warner die Nase vorn haben, auch weil sie per Aufnahme intimer sind und natürlich keine Chöre haben. Die Gesamtaufnahmen sind mir in einigen Fällen vor allem in den tutti und finali zu technisch-digital-aufgehellt (Norma 1, auch Gioconda 1, Puritani oder La Sonnambula): Im Vergleich zur Naxos-Überspielung, die runder, dunkler und irgendwie authentischer klingt, sind die aufgefrischten Bänder der Warner heller, bei den Streichern metallischer, die Stimmen wie ein Quentchen mit dem Regler hochgeschoben, dto. heller, weniger persönlich. Es ist wie bereits gesagt eine Frage des Anspruches, der Ästhetik. Ich habe mir die Mühe gemacht und bin in den Laden vom Horenstein Café in der Fechnerstraße in Wilmersdorf gegangen, die Adresse für LPs und Vinyl-Klassik in Berlin. Und dort haben wir nochmal die originalen ersten englischen EMI-LPs eben der Puccini-Arien gehört, und mein Eindruck bestätigte sich. Mit einer hervorragenden Anlage wiederholte sich der Eindruck von den Naxos-Aufnahmen und damit von den originalen LPs. Zumindest damals hatten sich die Tontechniker und Produzent Walter Legge das so gedacht.
Maria Callas: Fiorilla im „Turco in Italia“ an der Scala 1955/Piccagliani/EMI
Das alles ist für neue und jüngere und Erst-Käufer total irrelevant. Der musikalische und interpretatorische Wert der Aufnahmen der Callas umgeben von illustren Kollegen (Barbieri, Di Stefano, Monti, Panerai, die hinreißende Amadini und viele mehr) unter ersten Dirigenten wie von Karajan, De Sabata oder Serafin ist unerreicht und bietet noch heute Lektionen in Gesang und Interpretation.
Deshalb hab ich mir für diese Besprechung die früheren Aufnahmen der Sängerin herausgesucht, weil sich hier das Wunder der Callas, aber eben auch das Wunder eines wunderbaren Ensembles und der genialen Produktionsstrategie Walter Legges entfaltet. Die Norma 1 ist mit der Callas ungeheuer dicht und vor allem dem Wort verpflichtend besetzt. Keine wie sie singt „In mia man tu sei alfine“ so wie sie, keine singt „Non posso“ wie sie, wenn sie ihre Kinder nicht umbringen kann, und keine kann die Stimme so sanft machen wie in ihrer Cavatine an den Mond oder wie als Amina/Sonnambula oder Elvira in den Puritani „Qui la vove sua suave…“ ist eine Übung in Legato, in Keuschheit, in Erwartung, in Mädchenhaftigkeit – unerreicht, haben müssend. Adriana Lecouvreurs Arie „Io son l`umile ancella“ hat es so nie wieder gegeben, und die Arie der Wally von derselben CD verfolgt einen/mich über Tage. Überhaupt sind die elegischen Arien die nachhaltigeren, wenngleich die freche Rosina (in der Originaltonart!) aus dem Barbiere oder die dto. kesse Fiorilla (Turco) ihre köstlichen Momente haben und eine andere, weniger gewohnte Seite der Callas zeigen. Sie schafft es auch, der ewig langen Arie der Giulia in der Vestale Struktur und Spannung zu geben (kein leichtes). Ah, sie ist eine Meisterin der Gestaltung, und gibt jeder Frauen-Figur ein eigenes Gesicht – kein Recital lässt einen unberührt, und ihre Figuren in den Gesamtaufnahmen sind plastisch-haptisch.
Maria Callas: Bühnendebüt als Santuzza/“Cavalleria rusticana“ am 2. April 1939 im Athener Theater Olympia/Foto in Petsalis-Diomidis „The unknown Callas“
Über die Callas und ihre Interpretationen ist alles gesagt, einfach alles, und ich geniere mich wirklich, nun meine hochpersönliche Meinung auch noch denen der Millionen anderen hinzuzufügen. Ich denke, Callas muss man – wie wirklich wahre Künstler und ihre Kunst – ganz alleine für sich erleben, sich nicht von dem Hype erdrücken lassen, sich ihr mit offenem Ohr und Herzen nähern. Wie in einem anderen Artikel zu ihrem Geburtstag hier in operalounge.de geschrieben, sind es für mich die Aufnahmen aus der ersten Häfte ihrer Karriere, die für mich das „Wunder Callas“ ausmachen. Defintiv ist da die erste Gioconda mit ihrer brutalen Kraft des Schlusses und der hier eher instinktiven Zartheit des „Enzo, come t´amo“ oder „Oh madre mia, quanto mi costi...“. Da ist die erste Traviata der Cetra, die auch ein Muss für ihre Wertschätzung darstellt, auch wenn die Callas später viel subtiler und raffinierter gesungen hat. Hier ist sie unverstellt, pumperl-rund und noch am gestalterischen Tasten. Das macht das Hören so spannend, wenn man ja weiß, was kommen wird. Wie auch ihre ersten RAI-Arien. Man hört, was sein wird, noch etwas unklar-unkonturiert und voller ungebändigter Kraft, aber deutlich, in nuce sozusagen. Die beiden Bellinis, La Sonnambula und I Puritani, zählen für mich zu den großen, wunderbaren (weil voller Wunder) Aufnahmen der Diva, auch weil einfach alle hier toll sind und sie ihre doch noch so riesige Stimme einer kürzlichen Isolde und Kundry (und Brünnhilde!) so zart und keusch klingen lassen kann – zudem ist das schmissig dirigiert und bei dem guten Klang einfach eine Wucht.
NMaria Callas: Norma an der Scala 1952/Piccagliani/Segalini
Jede ihrer Norma-s ist eine der gültigen Interpretationen für alle Zeit. Trotz Mario Filippeschi (huh) ist die erste Studioaufnahme schon sensationell, weil hier die Priesterin Norma ersteht, robust und kriegerisch, weniger fraulich als später, weniger differenziert vielleicht, aber mit einer so intakten Stimme wie kaum später wieder (aber da schwärme ich für die Live-Norma von der RAI 1955 als die ultimative). Und Ebe Stignani ist als Adalgisa richtig, sopranig, erfahren. Verdi, Puccini und Mascagni zeigen ganz unterschiedliche Frauen in der Callas-Interpretation. Gilda ist mädchenhaft und keusch, Leonora/Trovatore entschlossen, kämpferisch, eine Schwester der Norma. Aida ist mein Ding nicht, da passe ich, und auch die Forza nicht, aber zweifelsfrei ist die Callas hier hochindividuell und von ihrer Bühnenerfahrung in diesen oder ähnlichen Rollen profitierend.
Maria Callas mit Mentor Tullio Serafin ca. 1952/Tosi
Manon Lescaut, Santuzza/Cavalleria (die sie ein einziges Mal als Studentin 1939 in Athen gab) und Nedda/Pagliacci (die sie nie auf der Bühne sang, Nedda ist auch eigentlich keine Partie für sie) leben in einer eigenen Welt, mal kokett und mal depressiv, mal verführerisch und mal todessüchtig, ebenso erstaunlich wie die unglaubliche De-Sabata-Tosca, die ihr viel Einsatz und Geduld abverlangte, weil De Sabata mit ihrem Italienisch nicht zufrieden zu stellen war. Auch dies die gültige Aufnahme für alle Zeiten. Es ist die Turandot, die meine ganze Liebe hat: eine gar nicht kalte Prinzessin, eher ein verwirrtes Kind, keine frigide, sondern nicht wachgeküsste junge Frau (wie Callas-autobiographisch!!!). Zumal Eugenio Ferrandi der sexy Calaf par excellence ist (wäre da nicht die zickige Schwarzkopf als Liù…). Nachstehend folgt meine Liste der Begehrlichkeiten, die jeder, der die Callas erneut oder erstmals hören möchte, haben sollte. Die große Chance, die unerreichte Sängerin heute wieder und noch einmal in modernem Sound zu hören ist jetzt da. Die Box für knapp 200.- enthält alle Studioaufnahmen, wie sie die EMI bereits im eigenen lustlosen Schuber zuletzt veröffentlicht hatte.
Maria Callas: Fidelio in Athen 1944/Petsalis-Diomides
Die erneute Beschäftigung mit den neuen Warner-Überspielungen brachte mir die immense Freude und Bereicherung, mich noch einmal mit der Callas zu beschäftigen, die ich ein wenig in meinem Hinterkopf abgelegt hatte – gehört, geschätzt, präsent war sie mir immer gegenwärtig. Aber es ist ein Unterschied, an sie zu denken als Maßstab aller Dinge oder sie erneut zu beurteilen, zu staunen, zu vergleichen auch mit anderen (Anita Cerquetti zum Beispiel), sie wieder in Besitz zu nehmen, sich zu eigen machen. Egal in welcher Edition: Was sind wir doch reich an ihr, immer noch. Geerd Heinsen
Das Foto oben zeigt die Callas auf einem alternativen Publicity-Foto der EMI/Piccagliani für ihre LP „Callas alla Scala“, Maria Callas im Kostüm der Vestalin. Lesehinweis: Besonders zu empfehlen für die frühen Jahre der Callas ist The unknown Callas – the Greek years von Nicholas Petsalis-Diomidis im Verlag Amadeus Press Portland 2001; ISBN 1-57467-059-X
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Die besprochenen Einzel-Aufnahmen bei Warner (ab Ende September bzw. Ende Oktober im Handel): 0825646341146 Bellini: La Sonnambula; 0825646341184 Bellini: I Puritani; 00825646341115 Bellini: Norma (1); 825646340835 Cherubini: Medea; 0825646340903 Mascagni: Cavalleria rusticana; 0825646341085 Ponchielli: La Gioconda; 0825646341009 Puccini: Turandot; 0825646340989 Puccini: Manon Lescaut ; 0825646341030 Puccini: Tosca (1); 0825646340897 Rossini: Il Barbiere di Siviglia; 00825646340880 Rossini: Il Turco in Italia; 0825646340859 Verdi: La Traviata; 0825646340941 Verdi: Il Trovatore; 0825646340132 Lyric & Coloratura Arias; 0825646340125 Callas at La Scala; 0825646340170 Puccini Recital