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 „E la solita storia del pastore“: Jeder Opernfreund kennt das Lamento des Federico aus dem Opern-Drama L’Arlesiana von Francesco Cilea, das bei der Uraufführung 1897 von Enrico Caruso gesungen wurde. Aber es gibt noch eine weitere Tenorarie, die bei der Premiere erklang, die Romanze „Una mattina“. Sie fiel den zahlreichen Umarbeitungen, die Cilea vornehmen musste, zum Opfer und galt bisher als verschollen. Doch 2011 entdeckte Giuseppe Filianoti die Klaviernoten im Cilea-Museum in dessen Heimatstadt Palmi. Der Komponist und Pianist Mario Guido Scappucci orchestrierte und fügte sie, wie ursprünglich vorgesehen, in das Duett im dritten Akt ein. In dieser Form erklang die Romanze erstmals bei einer konzertanten Aufführung im Juli 2012 in Freiburg, die von cpo mitgeschnitten wurde. Der Fund und seine Ersteinspielung ist die werbewirksame Attraktion der Neuaufnahme (wobei es die Arie in der Klavierversion unter dem Titel „Alba novella“ bereits in einer Zusammenstellung von Cilea-Liedern bei Bongiovanni auf CD gibt, auch ist der CD-Markt an Arlesiana-Aufnahmen durchaus voll, nicht zu vergessen die schöne alte bei Cetra mit Tagliavini und die EMI/Hungaroton-Einspielung mit der fabelhaften Spacagna). Doch die Vertonung von Alphonse Daudets gleichnamigem Schauspiel über einen jungen Dörfler, der an der Liebe zu einer leichtlebigen (nie selbst auftretenden) Frau aus der Stadt Arles zerbricht, bietet musikalisch weit mehr als jene beiden Tenorarien. Cilea hat die schwermütige Geschichte, die bereits Bizet zu einer Bühnenmusik inspirierte, in eine gefühlvolle, von einer elegischen Grundstimmung durchzogene Tonsprache übertragen, bei der sich impressionistische Farben, naturalistisches, insbesondere pastorales Kolorit und stürmische Emotionen verbinden.

Der Dirigent Fabrice Bollon erweist sich als starker Anwalt für dieses Stilkonglomerat. Souverän gelingt ihm die Gratwanderung zwischen atmosphärischer Klangmalerei und zupackender Leidenschaft. Die Partie des Federico kommt dem lyrischen Tenor Giuseppe Filianotis sehr entgegen. Er gibt ihr Schmelz und einen melancholischen Unterton und überzeugt auch durch subtile Phrasierung. Die georgische Sopranistin Iano Tamar, die man als starke Singschauspielerin kennt, hat die Rolle der sorgenvollen Mutter Rosa Mamai übernommen. Sie setzt nicht auf plakative Effekte, sondern geht die Figur ganz verinnerlicht, dabei aber gleichwohl gefühlsintensiv an, zumal in der berühmten Soloszene „Esser madre“. Die Entdeckung der Aufnahme aber ist Mirela Bunoaica als Vivetta. Die Rumänin besitzt einen frischen Sopran mit ganz wunderbaren, zart aufblühenden Höhen, die große Leuchtkraft entfalten – eine absolut stimmige Besetzung für die an ihrer vergeblichen Liebe leidenden jungen Frau. Auch Francesco Landolfi macht vokal einen besonders guten Eindruck, weil er den alten Hirten Baldassare nicht nur mit einem warmen, substanzreichen Bariton, sondern auch mit vielen schönen dynamischen Nuancen ausstattet. Mit Juano Orozco und Jin Seok Lee bürgen zwei weitere tiefe Männerstimmen für die Qualität des Freiburger Ensembles, zu dem sich der um die Camerata Vocale verstärkte Freiburger Opernchor klangschön gesellt.

Karin Coper

 

Francesco Cilea: L‘Arlesiana mit Giuseppe Filianoti (Federico), Iano Tamar (Rosa Mamai), Mirela Bunoaica (Vivetta), Kyoung-Eun Lee (L‘Innocente),  Jin Seok Lee (Marco), Francesco Landolfi (Baldassare), Juano Orozco (Metifio); Opern- und Kinderchor des Theater Freiburg, Camerata Vocale Freiburg, Philharmonisches Orchester Freiburg; Leitung: Fabrice Bollonn; cpo 777 805-2, 2 CD