Archiv für den Monat: August 2014

Nach viel Richard nun mal Johann Str.

An den großen Opernhäusern und bei internationalen Festspielen hat er Mozart, Verdi und Wagner gesungen. Jetzt ist Wolfgang Schöne bei den Stauferfestspielen im baden-württembergischen Göppingen vom 12. bis 20. September 2014 der Sittenwächter Conte Carnero im ZigeunerbaronHanns-Horst Bauer unterhielt sich mit dem Bariton über Rollenwechsel, Marktwert  und das Singen im Alter.

Wolfgang Schöne 01-001Sie singen nach Ihrer glanzvollen internationalen Karriere als Opern- und Konzertsänger bei den Stauferfestspielen in Göppingen den Conte Carnero im Zigeunerbaron von Johann Strauß. Wie kam es dazu? Meine Frau spielt hier schon die ganzen Jahre als Geigerin im Orchester mit. So habe ich natürlich alle bisherigen Aufführungen gesehen und mich auch immer wieder mit den Beteiligten unterhalten. Man wusste also von mir. Und  Sabine Layer, die Dirigentin des Zigeunerbaron, kenne und schätze ich seit Jahrzehnten. Wir haben Liederabende zusammen gemacht und auch Oratorien aufgeführt. Sie hat mich einfach gefragt, ob ich nicht Lust hätte, da mal mitzumachen. Und ich hatte Lust. Ich mache das einfach aus Spaß. Solistisch zu singen habe ich in dieser Partie, mit Ausnahme eines kleinen Couplets und den Ensemble-Szenen, nicht so viel. Für mich als Drahtzieher der Handlung, ich bin der Vorsitzende der Sittenkommission, steht mehr der gesprochene Text im Vordergrund. Aber es ist ja nicht meine erste Operette. Den Dr. Falke in der Fledermaus habe ich natürlich schon oft gemacht, in Paris, Barcelona und an anderen großen Häusern.

Wolfgang Schöne 09Welche Bedeutung haben Ihrer Ansicht nach solche regionalen Festspiele, von denen es ja viele in Deutschland gibt? Am Anfang war ich, ehrlich gesagt, schon ein wenig skeptisch. Aber nach den ersten Aufführungen war ich total begeistert vom enorm großen Publikumsinteresse und natürlich von der sängerischen, musikalischen und szenischen Qualität. Fasziniert hat mich aber auch, wie hier Chöre, Schulen und Vereine aus der Region eingebunden werden und so eine Identität für das Publikum schaffen. So etwas muss man unterstützen, ohne dabei auf den eigenen Marktwert und die Gage zu schauen. Das dürfte den anderen Solisten, unter Ihnen übrigens auch mein früherer Stuttgarter Bassbariton-Kollege Karl-Friedrich Dürr als Schweinezüchter Zsupan, genauso gehen. Ich freue mich richtig drauf.

Wolfgang Schöne 02-001Sie waren bis 2005 festes Ensemblemitglied der Stuttgarter Staatsoper. Wie sieht Ihr sängerischer Alltag heute aus? Auch nach meinem offiziellen Abschied von Stuttgart habe ich permanent weiter gesungen. Und ich singe auch jetzt noch regelmäßig nicht nur Konzerte, sondern auch Oper, zuletzt etwa den Musiklehrer in  Ariadne auf Naxos in Hamburg oder den Arkel in Pelléas und Mélisande in Essen und erst kürzlich auch  in  Nantes und Angers.

Mit 74 noch auf der Bühne  stehen zu können, was bedeutet das für einen Sänger? Bekommt man da noch reizvolle Offerten? Für mich ist das Gott sei Dank kein Problem.  Ich werde immer noch von den Agenten angeboten. So singe ich demnächst auch wieder den wunderbaren Elias von Mendelssohn oder die h-Moll-Messe von Bach. Ich habe also noch zu tun in den Bereichen, in denen ich immer gesungen habe. Und ich hoffe sehr, dass das auch noch eine Weile so geht. Meine Frau wäre sicher die Erste, die mir sagen würde, wenn es Zeit zum Aufhören wäre. Meistens merkt man das selber ja nicht so schnell, oder man will es einfach nicht wahrhaben.

Wolfgang Schöne 03-001Woran liegt es, denken Sie, dass Sie immer noch stimmlich souverän in Oper und Konzertsaal auftreten können? Das ist schwer zu erklären. Aber es ist sicher sehr viel Glück dabei, wenn man sein 50jähriges Singjubiläum feiern kann. Das ist schon die Ausnahme und bei Baritonen und Bässen wohl eher möglich als bei Tenören. Bei mir liegt es unter anderem wohl auch daran, dass ich relativ spät angefangen habe, hochgradig professionell zu singen. Zudem bin ich nie ein Risiko eingegangen und habe  mir beim Rollenwechsel vom lyrischen über den Charakter- bis hin zum Heldenbariton verantwortungsbewusst sehr viel Zeit gelassen, sodass sich meine Stimme langsam weiter entwickeln konnte und nie beschädigt wurde. Zudem habe ich mir zwischen den einzelnen Produktionen immer wieder Pausen gegönnt.  Den Hans Sachs in Wagners Meistersingern habe ich erst mit 60 in Hamburg zum ersten Mal  gesungen. Heute wäre ein Sachs – die längste Männerpartie, die es überhaupt gibt – rein physisch natürlich nicht mehr machbar.

Plácido Domingo, exakt so alt wie Sie, singt jetzt große Bariton-Partien, wie zuletzt in Salzburg zusammen mit Anna Netrebko in Verdis Trovatore. Wie finden Sie das? Die physische Abnutzung des Stimmapparats ist durch die eigentlich unnatürlich hohe Lage bei einem Tenor sehr groß. Das kann man nicht so lange durchhalten. Abgesehen davon, dass Tenöre irgendwann nicht mehr glaubhaft als jugendliche Liebhaber auf der Bühne auftreten können. Dass Domingo  jetzt Bariton-Partien singt, davon halte ich gar nichts. Natürlich kann er die Noten alle singen, aber er wird immer sein eigentlich nicht passendes Tenor-Timbre behalten. Die Stimme hat einfach nicht die Farbe, die er für eine Bariton-Rolle  braucht, um auf der Bühne glaubwürdig zu wirken. Domingo bleibt auch bei noch so vielen „Baritönen“ immer ein Tenor, den ich persönlich kenne und sehr schätze.

Wolfgang Schöne 04-002Nun schlagen die Herzen der Opernfans bei den Männerstimmen in der Regel ja eher für Tenöre als für Baritone und Bässe. Fühlt man sich also solcher da nicht ein wenig in den Hintergrund gedrängt? Wenn man in Italien zum Essen geht, wird man im Hintergrund aus dem Lautsprecher nie eine Bariton-Arie hören, immer nur Pavarotti und Kollegen. Es ist nun mal so, dass die Tenor-Nummern populärer sind. Damit muss man leben.

Vor Ihrer Gesangskarriere waren Sie Volksschullehrer. Aktivieren Sie Ihre pädagogischen Erfahrungen auch für Gesangsunterricht und Meisterkurse? Ich habe mal ein Jahr lang aushilfsweise an der Musikhochschule Karlsruhe unterrichtet. Das habe ich zeitlich aber kaum mit meinem Beruf als Sänger auf die Reihe gebracht. Und Unterrichten ist, das muss ich ehrlich sagen, nicht so mein Ding. Deshalb habe ich auch nie an eine Professur gedacht. Allerdings gebe ich doch hin und wieder Einzelstunden.

Wolfgang Schöne 05-001Vom Lehrer zum Sänger – wie kam es zu dieser Entwicklung? Ich hatte beim Studium Musik als eines meiner Hauptfächer, und mein Professor hat mir geraten, einen Gesangslehrer zu suchen, da ich ihm im Chor aufgefallen war. Sehr zum Leidwesen meiner Eltern, die mich lieber weiter als Beamten mit sicherem Einkommen gesehen hätten. Das waren für mich nie zwei Welten, die nicht zusammenkommen können. Deshalb bin ich wohl auch als erfolgreicher Sänger immer völlig normal und nahbar geblieben, habe nie Starallüren gekannt. Dabei hatte meine Mutter einen wunderbaren, fast schon professionellen Sopran und hat mich schon früh in den Kirchenchor mitgenommen, wo wir um die Wette gesungen haben.

Wo und wie haben Sie in Sachen Oper Blut geleckt, wie man sagt? Einerseits beim Studium in Hamburg. Da wurde ich in die Opernklasse aufgenommen, wo wir einen ganz wunderbaren Lehrer hatten, der uns mimische Grundkurse vermittelt hat. Andererseits konnte ich bei den Eutiner Freilichtfestspielen als Ottokar in Webers Freischütz erste Bühnenerfahrungen sammeln. Dort habe ich auch den Grafen in Lortzings Wildschütz und den Escamillo in Carmen gesungen. So hatte ich von Anfang an einen Fuß in der Operntür.

Wolfgang Schöne 006-001Sie waren 33 Jahre lang nonstop Ensemblemitglied der Stuttgarter Oper. Woran erinnern Sie sich da besonders gerne? Ich habe in Stuttgart so wahnsinnig viele Partien gesungen, dass es schwer ist, da Highlights herauszugreifen. Ganz sicher gehören dazu alle Götz Friedrich-Inszenierungen, vor allem aber seine Frau ohne Schatten, in der ich den Barak gesungen habe. Das ist eine meiner Lieblingspartien geblieben, weil sie total auf meinen Charakter, meinen Leib und meine Stimme zugeschnitten ist. Götz Friedrich hat meine Laufbahn ganz entscheidend mitgeprägt. Er hat mich vom einfachen Sänger zum Darsteller gemacht.

So konnten Sie auch in einer außergewöhnlichen Glanzrolle als aufgedonnerte Mamm´ Agata brillieren… Ja, in Donizettis Viva la Mamma, der einzigen komischen Rolle, die ich jemals auf der Bühne verkörpert habe. Was war das für ein verrückter Spaß! Meine Rollen habe ich immer alleine gemacht, ganz ohne Korrepetitor. Ich lerne die Partien, lese jede Menge über die Oper und höre mir auch CD-Aufnahmen an. Dann mache ich mir ein ziemlich genaues Bild von der Figur, das ich nach Möglichkeit auch in die Regiearbeit einbringen möchte. Probleme gab es nur dann, wenn ich gemerkt habe, dass der Regisseur schlecht vorbereitet war. Und manchmal habe ich mich auch gefragt, wie ein Dirigent Karriere machen kann mit dem, was er den Sängern auf der Bühne und seinen Musikern im Orchestergraben bietet? Natürlich habe ich auch viele Dirigenten erlebt, die ganz wunderbar waren, Silvio Varviso in Stuttgart zum Beispiel, aber auch solche, die fast niemand gekannt hat, die keinen berühmten Namen hatten. Ähnliches erlebt man übrigens auch mit Sängern. Der große Name allein macht´s nicht. Es ist schon eigenartig und erschreckend, was da bis hinauf zu den großen Festspielen über Machenschaften, Agenten und Connections so manchmal läuft.

Wolfgang Schöne 07-001Oper wird heute mit großen Namen spektakulär und mit viel Hype vermarktet. Man denke nur an den Reisezirkus von Anna Netrebko, Rolando Villazón oder Jonas Kaufmann. Nutzt das dem Genre? Schaden tut es unserem Metier ganz sicher nicht. Zudem gab´s das ja schon immer. Man denke nur an die Begeisterung für die Drei Tenöre.

 

Biographie: Wolfgang Schöne wurde 1940 in Bad Gandersheim geboren, arbeitete zunächst als Volksschullehrer und studierte ab 1964 in Hannover und Hamburg  Gesang, wo er 1969 sein Diplom als Konzertsänger und Musikpädagoge ablegte. Sein Debüt als Opernsänger hatte er 1970 bei den Eutiner Festspielen mit der Rolle des Ottokar in Webers Freischütz“ 1973 wurde er nach einem erfolgreichen Gastspiel als Guglielmo in Mozarts  Così fan tutte an das Staatstheater Stuttgart engagiert, dem er bis 2005 als festes Ensemblemitglied treu blieb. 1978 wurde er dort zum Kammersänger, 2006 zum Ehrenmitglied ernannt. Schöne sang zu Beginn seiner Karriere zunächst das lyrische Bariton-Fach. Später kamen große Charakterpartien hinzu. Schließlich übernahm er auch die großen Wagner-Partien für Heldenbariton und wirkte bei zahlreichen Uraufführungen mit. Von 1974 bis 1993 sang Wolfgang Schöne regelmäßig an der Wiener Staatsoper und trat auch bei den Salzburger Festspielen auf. Gastspiele führten ihn  zum Maggio Musicale nach Florenz, zu den Festspielen von Glyndebourne, an das Teatro La Fenice in Venedig, an das Gran Teatre del Liceu in Barcelona und an die Opéra Bastille in Paris. Wolfgang Schöne war auf der Konzert- und Opernbühne gleichermaßen zuhause und musizierte mit den führenden Orchestern der Welt, wie den Wiener und den Berliner Philharmonikern, den Orchestern von Chicago, Cleveland, Philadelphia und New York oder dem Concertgebouworkest Amsterdam. Dabei arbeitete er mit  Dirigenten wie Georg Solti, Riccardo Muti, Zubin Mehta, Lorin Maazel oder Simon Rattle zusammen. Von der New York Times wurde er für „die Schönheit seines tiefen Stimmregisters und seine Ausdruckskraft“ gefeiert.

Alle Fotos: Hanns-Horst Bauer

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Musik, die aus der Kälte kam

Shakespeares „Othello“ und die „Schlacht von Stalingrad„: Passt das denn zusammen? Auf einer CD schon. Gut 63 Minuten. Da wäre noch Platz gewesen für anderes. Doch besser nicht. Die Rede ist von Filmmusiken, die der armenische Komponist Aram Khachaturian schrieb. An „Othello“ kann ich mich selbst noch sehr gut erinnern. Dieser Film lief einst in der DDR in jedem Kino. Bunt, sehr bunt und ernst und tragisch. Mehr Historiendrama als individuelle Liebestragödie. Charlie Chaplin sprach vom „größten historischen Film, der je gedreht wurde“. Nun ja. Chaplin hatte keine Berührungsängste mit den Russen im Kalten Krieg. Er zahlte dafür. Der Nähe zum Kommunismus verdächtigt, wurde ihm nach einem Auslandsaufenthalt 1952 Rückkehr in die USA verwehrt.

Dem Regisseur Sergej Jutkewitsch brachte der Film 1956 den Regiepreis von Cannes ein. Sergej Bondartschuk, später selbst ein bedeutender Regisseur, hatte die Titelrolle übernommen. Als Desdemona schien Irina Skobzewa wie aus einem Hollywood-Streifen entliehen. Für mich war dieser Othello die erste Begegnung mit Shakespeare. Und nicht die schlechteste. Sie saß, war elementar und gewaltig. Ich denke gern daran zurück und habe den Film erst kürzlich mit einiger Anteilnahme wiedergesehen, wenngleich sich die Wucht des ersten Eindrucks nicht mehr einstellte. Auch Filme haben ihre Halbwertzeit. Die Musik von Khachaturian lässt den Film historischer erscheinen, macht ihn zumindest nicht moderner. Beim Zuschauen wird sie eher als Untermalung wahrgenommen und stört nicht, beim Hören von der CD fehlt die Verbindung zur Handlung, wenngleich die einzelnen Titel inhaltliche Bezüge haben wie Venice oder Othellos Farewell from the Camp. Das reicht nicht. Desdemona hat sogar ein Arioso, das als Vokalisen von Jana Simcisko anrührend vorgetragen wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Musik über weite Strecken zwar sehr lyrisch aber auffallend wehleidig klingt. Im Finale tritt dann der unvermeidliche gefühlsreiche Chor – auch mit Vokalisen – hinzu. Wortlos klagt es sich besser. Der Komponisten hält sich sehr zurück, trumpft nicht so berauscht auf wie sonst.

CD Othello und StalingradDies bleibt der Musik zum Stalingrad-Film vorbehalten, der die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg und den Sieg der Roten Armee erbarmungslos vorführt. Wer sich den Tort antun will, kann diesen Streifen, der auf dem Höhepunkt stalinistischer Götzenverehrung gedreht wurde, bei youtube in düsterem Grau ansehen. Dort gibt es ja auch fast alles. Khachaturian hat 1949 aus der Filmmusik eine Suite zusammengestellt, die auf der CD zu hören ist. Diese CD nun hat inzwischen ihre eigene Geschichte. Sie wurde im Juli 1989 in der Concert Hall des Slowakischen Rundfunks mit dem dortigen Radio Symphony Orchestra unter Adriano eingespielt. Adriano? Genau! – der 1944 geborene schweizerische Dirigent, der nur unter seinem Vornamen auftritt und für das Label Marco Polo

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tätig war, bei dem die CD auch zunächst erschien. Nun wurde sie von Naxos übernommen (8.573389).

Im Produktionsmonat war der Eiserne Vorhang noch nicht gefallen, die Slowakei noch Teil der sozialistischen Tschechischen Republik, deren Führung besonders Moskau-treu gewesen ist. Sei’s drum. Wer die CD kauft, der dürfte genauer Bescheid wissen, denn sie ist ja nicht unbedingt das ideale Mitbringsel zum Geburtstag von Mutti. Grundsätzlich finde ich es gut, dass auch solche Musik im Angebot ist und bleibt. Denn sie hat ihre Macht über uns Deutsche verloren. Sie ist Geschichte. Noch haben die aktuellen Irrungen und Wirrungen im Verhältnis zwischen Deutschland und Russland nach dessen Vereinleibung der Krim den Kunstmarkt nicht erreicht. Gegenseitige Sanktionen betreffen „nur“ Technologien, Waffen auf der einen, Obst und Gemüse auf der anderen Seite. Musik darf nicht reglementiert werden. Sie muss frei bleiben – und handelt es sich auch um einen Propagandaschinken von Aram Khachaturian, der schwer runter geht.

Rüdiger Winter

Das Foto oben ist ein Screenshot aus dem sowjetischen Film Film mit Sergej Bondartschuk als Othello und Irina Skobzewa als Desdemona.

 

 

 

 

Groß, schwer und immer etwas anders

Es ist schon wieder mehr als zwanzig Jahre her, dass die Aufnahmen italienischer Arien mit Jon Vickers bei VAI auf CD erschienen sind. Höchste Zeit also, sie wieder auf den Markt zu bringen. Die Initiative hat Preiser Records ergriffen (PR 93489). Gut so. Eigentlich bin ich ein Verfechter der Eins-zu-eins-Übernahme des Originals, das es einst auch als Langspielplatte gab. Das garantiert die ursprüngliche konzeptionelle Absicht und dokumentiert den Zustand der Stimme zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Preiser schienen die ursprünglich vierundvierzig Minuten LP-Länge wohl zu mickrig und legte noch gehörig drauf. Darf es ein bisschen mehr sein? Wenn es denn sein muss, darf es. So wurde die Arienfolge, die im Juli 1961 von der RCA in Rom mit dem Orchester des dortigen Opernhauses unter Tullio Serafin eingespielt wurde, mit Ausschnitten aus Studio-Gesamtaufnahmen anderer Werke aufgefüllt, die – und das spricht dafür – etwa zur gleichen Zeit entstanden sind wie die Arien-Platte: der monströse Messiah (Thomas Beecham, RCA 1959), Fidelio (Otto Klemperer, EMI 1962), Samson et Dalila (Georges Pretre, EMI 1962), Aida (Georg Solti, Decca 1961/1962) sowie Walküre (Erich Leinsdorf, Decca 1961).

Im Gegensatz zu den einzelnen Arien sind diese ergänzenden Bonus-Aufnahmen in den letzten Jahren ohne großen Aufwand zu beschaffen gewesen, wenn sie nicht ohnehin in den meisten Plattenschränken stehen. Zwar sind die Anfänge und Schlüsse gut geschnitten, so dass der Gedanke an Entnahmen aus Gesamtaufnahmen gar nicht erst aufkommt. In den meisten Fällen ergeben sich die makellosen Schnitte ohnehin aus den Werken, wo es an der richtigen Stelle Generalpausen gibt. Preiser hat – und das spricht wieder einmal für das Label – ausdrücklich die Herkunft aus Gesamteinspielungen ausgewiesen. Stückwerk ist es trotzdem. Das musikalische Ereignis bleiben ohnehin die italienischen Arien und Szenen aus La Gioconda, Don Carlo, L’Arlesina, Pagliacci, Andrea Chénier, Tosca, Il Trovatore und Otello.

Wie ein Fremdkörper hat sich die ebenfalls italienisch gesungene „Ach so fromm“-Arie aus Martha darunter gemischt – groß und schwer gesungen wie das übrige Programm. Bei Vickers klingt eben alles etwas anders. Das machte ihn berühmt, das machte seinen Eigenwert aus. Dadurch polarisierte er auch – bis heute. Für mich ist dieser kanadische Tenor, die 1926 geboren wurde, ohne Alternativen nicht vorstellbar. Habe ich eine seiner Aufnahmen gehört – und ich höre sie immer wieder gern – verlangt es mich sofort nach einer anderen mit einem anderen Sänger. Ich habe stets das Gefühlt, dass man das, was Vickers vorträgt, eigentlich anders singen müsste. Dennoch bin ich nie los gekommen von ihm.

Rüdiger Winter

 

Novembriges

Die Schrecken des Jüngsten Gerichts, die in der Offenbarung des Johannes geschildert werden oder wie wir sie durch des Schuldknechts Weib in Hugo von Hofmannsthals Jedermann kennen –  „Und denkst nit an dein eigen Schuldbuch, das du mußt vor den Richter bringen, Wenns kommt zu den vier letzten Dingen?“ –  sind das Thema von Louis Spohrs Oratorium Die letzten Dinge. Mit seinem zweiten, am Karfreitag 1826 in Kassel uraufgeführten Oratorium stellte sich der hessische Hofkapellmeister Spohr in eine Reihe mit Händel, Haydn und Mendelssohn, ein Mittler zwischen Klassik und Frühromantik. Auf einen Schlag war er ein hochberühmter Mann. Den Gipfel seiner Popularität erreichte er 1843 mit Der Fall Babylons, der kürzlich in einer Braunschweiger Aufnahme von 2013 (Coviello Classics) den Interessierten wieder ins Bewusstsein gerückt wurde. Im 20. Jahrhundert schwand Spohrs Bekanntheit rapide, seine Faust-Oper wird gelegentlich als Schlüsselwerk hochgehalten, seine Jessonda – einst ein Standardwerk – wohlwollend erwähnt, ohne dass die Versuche, an denen es nicht fehlte, zu einer Spohr-Wiederentdeckung führten. Die Werke sind keine dramatischen Würfe. Ich erinnere mich an eine mit Varady, Behle, Thomas Moser, Fischer-Dieskau und Moll prominent besetzte, aber sehr längliche konzertante Jessonda unter Geld Albrecht (bei Orfeo erschienen) in Hamburg. Von dramatischem Feuer sind auch Die letzten Dinge nicht durchlodert, aber es handelt es um eine geschmackvolle, gediegene Umsetzung der Spohr von Friedrich Rochlitz eingerichteten Bibel-Texte, die die Grundfragen der Menschheit berühren. Beide Teile des 75minütigen Werks werden durch eine ausgedehnte und wirkungsvolle Ouvertüre bzw. Sinfonie eingeleitet, die nicht ohne instrumentale Finessen sind, der Text ist sicher in Soli, Chöre und Rezitative gegliedert, wobei die Parts der Solisten unauffällig und schmucklos in das von Spohr für Laien konzipierte, bildhaft lebendige Chorgeschehen eingebetet sind. Spohrs Apokalypse ist eher tröstlich als bedrohlich.

Ivor Bolton tritt mit dem Mozarteumorchester Salzburg und dem Salzburger Bachchor als beredter Fürsprecher Spohrs auf. Ohne auf plakative Effekte zu schielen, schält er die dramatischen Momente mit sicherem Instinkt heraus. Die komplex verflochtene Musik bringt er mit rhythmischer Präzision und breit aufgefächerten Choreinwürfen zu großer Leuchtkraft, etwa im Höhepunkt Gefallen ist Babylon, an dessen bizarre Wildheit sich das versöhnliche Solistenquartett Selig sind die Toten anschließt. Für das vortreffliche Konzert am 6. Juni 2013 hatte sich Bolton ein hochrangiges Gesangsquartett aus treuen Anhängern ausgewählt: voran Sally Matthews, deren dramatisch ausgereifter lyrischer Sopran immer wieder über dem Geschehen leuchtet, dazu Katherine Goeldner mit einem fast schon zu gewichtigen Mezzosopran für die unaufwendige Aufgabe, den feinen Tenor von Jeremy Ovenden und den kernig interessanten Bariton von Andrew Foster-Williams.

Rolf Fath

 

Louis Spohr: Die letzten Dinge mit Sally Matthews, Katharine Goeldner, Jeremy Ovenden, Andrew Foster-Williams; Salzburger Bachchor; Mozarteum Orchester Salzburg; Leitung: Ivor Bolton; 2CD Oehms Classics OC 438

Catels Oper „Les Bayadères“

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Obwohl heute kaum noch bekannt, muss Charles-Simon Catels Oper Les Bayadères doch zu dessen bedeutendsten Bühnenwerken gezählt werden (dazu auch der Artikel zu seiner Sémiramis, ebenfalls vom Palazetto Bru Zane bei Ediciones Singolares hier in operalounge.de). Das Werk konnte sich erfolgreich gegen Spontinis Vestale behaupten und erfreute sich auch außerhalb Frankreichs großer Beliebtheit (1810 im Théâtre de la Republique uraufgeführt; 1821 war die Oper immer noch so berühmt, dass sie zur Eröffnung der Salle Pelletier 1821 gewählt wurde – eine bemerkenswerte Langlebigkeit in jener Zeit). Kein Geringerer als der junge Hector Berlioz begeisterte sich 1822 bei seiner Ankunft in Paris für das Werk. Die in Indien angesiedelte Handlung bedingt zahlreiche musikalische Exotismen, und die Oper besticht besonders durch ihre meisterhaft durchgeformten Szenen der Aktschlüsse. Der Palazetto Bru Zane und Ediciones Singolares erweiterten unseren Opern-Horizont einmal mehr durch eine bemerkenswerte Rarität der frühromantischen französischen Oper.

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Charles-Simon Catel/OBA

Charles-Simon Catel/OBA

Opern wie Lakmé oder Le Roi de Lahore und auch Meyerbeers Africaine haben hier ihre Vorläuferin (nicht nur in puncto Sujet) – eine ganz neue Ästhetik kündigt sich an, die auf dem sich entwickelnden Kommunikationsgeflecht der post-revolutionären Zeit beruht. Gleichzeitig stellt sich auch das Bedürfnis des aufgestiegenen Bürgertums nach Pracht und Luxus dar. Eine affluente Schicht drängt ins Theater, die durch die aufkommende Industrialiserung und die Erschließung neuer Märkte (Kolonien) wohlhabend geworden ist und die den durch die Revolution beseitigten Adel ablöst. Dies ist eine spannende Epoche des Übergangs. Eine zeitgenössche Kritik beschreibt die begeisterte Aufnahme bei der Uraufführung der Bayadères und widmet sich vor allem auch den renommierten Sängern: Adolphe Nourrit sang auch den Arnold in Rossinis Guillaume Tell, der Bass Prosper Dérivis zählte zu dem Stars seiner Zeit (Robert le Diable), die Sopranistin Alexandrine-Caroline Branchu war die Julia in Spontinis Vestale, Médéé Cherubinis, Amazily im Fernand Cortez und prägende Diva de l´Empire. !

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Die Aufnahme ist eine Pracht! Vor allem in Hinsicht auf Stimmen und Interpretation.- idiomatisch perfekt sind die durchweg frankophonen Sänger ein Labsal für´s Ohr. Inzwischen hat sich so etwas wie eine Dauer-Equipe an jungen Sängern für dieses Repertoire herausgebildet, die kompetent und engagiert mit Text und Musik umgehen, ein großes Verdienst auch vom Palazetto. Phiilippe Do zum Beispiel singt hier den Tenor-Helden Démaly mit Verve und Leidenschaft, gibt den Worten Bedeutung.  Dies ist kein langweiliger Konzertabend in Sofia – dies ist erfülltes Singen! Das gilt auch für seine Kollegen, die bis in die kleinste Rolle (so die drei Bayadèren Jennifer Borghi, Mélodie Ruvio und Katia Velletaz ganz prachtvoll) hervorragend besetzt sind. Die tapfere, entschlossene Bayadère Laméa ist mit Chantal Santon dunkel und lockend vertreten, eine schöne Stimme voller Potenzial. Alndré Heyboer gibt den Bösewicht Olkar mit leichtem Bass und bester Diktion – auch er ebenso charaktervoll wie angenehm im Timbre. Mathias Vidal sticht mit seinem Rustal im ersten Akt hervor. Federic Caton macht einen würdevollen Brahmanen, Thomas Bettinger gefällt als Rutrem ebenso wie Thill Mantero und Karen Durand in kleinen Rollen. Und natürlich freut man sich über den erfahrenen und woanders oft gehörten Eric-Martin Bonnet in den Cameo-Partien des Salem und Irnanès sowie als Maratten-Offizier.

"Les Bayadères": "The assault and taking of Seringapatnam" von henry Singleton, 1800/OBA

Zu Catels „Les Bayadères“: „The assault and taking of Seringapatnam“ von Henry Singleton, 1800/OBA

Über allem wacht der Dirigent Didier Talpain mit ebenso schwungvoller wie kompetenter Hand. Er gibt am Pult von Solamente Naturali (Milos Valent) und der Musica Flora (Marek Strynd) sowie den National Bulgarian Choir Svetoslav Obretenov (Ilia Mihaylov) eine bemerkenswerte Vorstellung voller Wucht, aber auch voller Valeurs der Sinnlichkeit – so in den wunderbaren Soli der Bayadère oder des Tenors Do, voller Schattierungen dieser bemerkenswerten Oper zwischen Mozart und der frühen Romantik. Die großen Chorszenen und die wirklich fabelhaften Aktschlüsse künden Kommendes an – und ich habe mehr als einmal Anklänge an Délibes und Meyerbeer gehört. Dies ist ein weitreichendes Werk voller Überraschungen. Dazu kommt die wirklich bemerkenswerte Ausstattung (wenngleich ich das Buchformat nach wie vor für lästig halte). Drei spannende Aufsätze vom Dirigenten selbst, vom Musikwissenschaftler Gérard Condé und vor allem auch von José Bros zu der Primadonna der Uraufführung, Alexandrine-Caroline Branchu, machen interessanten Lesestoff (in Französisch und Englisch), zusammen mit dem zweisprachigen Libretto eine willkommene Bereicherung für die Fans der romantischen Oper in Frankreich. Haben müssen! G. H.

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Nun also der Text von Didier Talpain, den wir dem CD-Buch bei Ediciones Singolares entnahmen: Les Bayadères, oder Exotik zwischen Klassizismus und Romantik: In mehrfacher Hinsicht – Thema, musikalische Behandlung, Stil… – scheint Les Bayadères zwischen zwei verschiedenen Ästhetiken angesiedelt zu sein. Zunächst einmal in seinem „orientalischen“ Rahmen: 1810 uraufgeführt, liegt es ungefähr auf halbem Weg zwischen den oft farcenhaften Turqueries des mittleren 18. bis frühen 19. Jahrhunderts und dem „orientalischen Traum“ der Romantiker.

Zu Catels „Bayadères: der Autor und  Didier Taipan/Palazetto Bru Zane

Zur ersten Kategorie gehören Glucks Le Cadi dupe (1761) und Les Pelerins de La Mecque ou la Rencontre imprevue von 1763 (Haydn verwendete das gleiche Libretto für sein Incontro improvviso von 1775), Mozarts Entführung aus dem Serail (1782), Gretrys La Caravane du Caire (1783), Joseph Martin Kraus‘ Soliman II ou les Trois Sultanes (1789) und sogar Webers Abu Hassan (1811, also zeitgleich mit Catels Les Bayaderes) und Rossinis L´Italiana inAlgeri (1813).

In den Jahren 1810-20 änderte sich die Herangehensweise der Romanciers und Librettisten an die „Ostfrage“. Das Lachen rückte in den Hintergrund – auch wenn gelegentlich noch ein Werk in der Art eines Buffa auftauchte, z. B. Cherubinis Ali Baba ou les Quarante Voleurs von 1833 (Teile des Werks waren jedoch schon viele Jahre zuvor für Koukourgi, 1793, geschrieben worden, das nie aufgeführt wurde) und später Der Barbier von Bagdad von Peter Cornelius (1858)) – und das Gefühl rückte in den Vordergrund. Der Orient faszinierte weiterhin, aber auf eine andere Art und Weise. Er war in den europäischen Hauptstädten besser bekannt, wo die Leser oft Zugang zu den Berichten der Reisenden hatten. Und um zu träumen und andere zum Träumen zu bringen, musste man weiter reisen, nach Indien, China, Ceylon

Zu Catels „Bayaderes“: Adolpe Nourrit war Tenor der Uraufführung/Wikipedia

Nach den Wüsten des Mittelmeerraums kamen die feuchten Wälder des Fernen Ostens, während die glühende Sonne von Kairo, Algier oder Mekka durch die schwerere Atmosphäre von Benares oder Colombo ersetzt wurde. Raffinesse, geheimnisvolle Umgebungen, „religiöse Exotik“ usw. standen von nun an auf der Tagesordnung. Zu den französischen Opern dieser Zeit, die in Paris aufgeführt wurden, gehörten Le Dieu et la Bayadère (Auber, 1830), Les Pécheurs de Perles (Bizet, 1863), L’Africaine (Meyerbeer, 1865; trotz ihres Titels spielt sie hauptsächlich in Indien), La Princesse Jaune (Saint-Saens, 1872), Le Roi de Lahore und Lakmé (Massenet bzw. Délibes; beide 1883).

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Auch in Catels musikalischer Bearbeitung von Les Bayadères hat man das Gefühl, zwischen zwei Ästhetiken zu stehen, sowohl im allgemeinen Stil des Werks als auch in der Handhabung des Orchesters und der Stimme. Die lyrische Tragödie, die auf Geschichten aus der klassischen Mythologie oder der Antike basiert, erlebte ihre letzte große Zeit in den Jahren 1780-90 mit den französischen, italienischen und deutschen Komponisten wie Lemoyne, Vogel, Sacchini und Salieri, die sich an Glucks Reform hielten. Mehrere Werke von Musikern der folgenden Generation knüpften ebenfalls an diese Tradition an (einige von ihnen wurden nicht an der Pariser Opéra, sondern an der Opéra-Comique, dem Theatre Feydeau, uraufgeführt): Horatius Cocles (Mehul, 1794), Télémaque (Lesueur, 1796), Medéé (Cherubini, 1797) und Sémiramis (1802) von Catel selbst. Während des Ersten Französischen Kaiserreichs (1804-1815) entstand ein neuer Zweig: die Opéra heroique. Den Anfang machte zweifellos Gaspare Spontinis La Vestale von 1807, der größte Erfolg dieses Komponisten, der viele Gemeinsamkeiten mit Les Bayadères aufweist. Die opéra heroique ebnete natürlich den Weg für die etwa zwanzig Jahre später aufkommende grand opéra, wie sie von Auber, Meyerbeer, Halevy und anderen verkörpert wurde und die praktisch bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Mode bleiben sollte.

Alle Bestandteile der opéra heroique, von denen viele später in der großen Oper übernommen wurden, sind auch in Les Bayadères vorhanden: ein historisches Thema (die Rivalitäten zwischen Demaly, dem Rajah von Benares, und den Mahratta-Kriegern im Indien des 14. Jahrhunderts); prächtige Bühnenbilder, die sowohl Innenräume (den Harem im ersten Akt, den Palast im dritten Akt) als auch Außenräume (den öffentlichen Platz in Benares im zweiten Akt) darstellen; Tänze, die sorgfältig in die Handlung eingearbeitet sind (das für die ersten Aufführungen des Werks gedruckte Programmheft nennt 32 Tänzer im ersten Akt, 28 im zweiten Akt und 60 im dritten Akt); große Chöre (33 Männer und 26 Frauen, die (im Programmheft) angekündigt werden), die Catel viele Möglichkeiten für ihren Einsatz bieten: 2 oder 3 Stimmen für die Favoriten oder die Bayadéres, 4- oder 5-stimmige gemischte Chöre, 6-stimmige doppelte Männerchöre (für die Schlacht zwischen den Indianern und den Mahrattas). Das Ergebnis ist ein prächtiger Festzug, ein visuell prächtiges Werk, bei dem am Ende des dritten Aktes mehr als 130 Künstler auf der Bühne stehen.

Zu Catels „Les Bayadéres“:Alexandrine-Caroline Branchu sang die Laméa in der Uraufführung/OBA

Catels Orchester ist typisch für die romantische Epoche, bereits mit vielen Blechblasinstrumenten (4 Hörner und 3 Posaunen, zusätzlich zu den 2 Trompeten), aber sein „östliches“ Schlagwerk – Triangel, Becken und große Trommel – wurde von Mozart fast dreißig Jahre zuvor in Die Entführung aus dem Serail verwendet. Streicher und Holzbläser werden in der Tradition der Wiener Klassiker behandelt, außer in den begleiteten Rezitativen (sie werden alle begleitet), in denen Catel, wie andere seiner Zeit auch, zu dramatischen Zwecken viel Tremolo einsetzt.

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Die Behandlung der Stimme ist in mancherlei Hinsicht innovativ. Die Charakterisierung der Rollen ist natürlich traditionell. Die heroische Bayadère Lamea lehnt sich zum Beispiel an Glucks Iphigénie (Iphigénie en Aulide, 1774; Iphigénie en Tauride, 1779) oder Salieris Hypermnéstre (Les Danaides, 1784) an. Aber man kann nicht umhin, in dem intensiven Lyrismus ihrer Rolle im dritten Akt eine Vorwegnahme von Meyerbeers Alice (Robert le Diable, 1831) oder sogar von Gounods Mireille in der gleichnamigen Oper von 1864 zu sehen. Und während die drei Bajaderen offensichtlich an die drei Damen in Mozarts Die Zauberflöte (1791) erinnern, kündigen die beiden Tenöre Rustan und Demaly Meyerbeers Robert und Rimbaut in Robert le Diable an, und der mächtige Olkar nimmt den Nelusko in L’Africaine desselben Komponisten vorweg. Eine Verbeugung vor der Vergangenheit also und gleichzeitig eine ausgestreckte Hand in die Zukunft.

Les Bayadères, ein grandioses Werk mit einer Musik von konstanter Raffinesse und einem Ton, der im Laufe der Handlung immer bewegter wird, hatte alle Voraussetzungen für einen Erfolg. So ist es nicht verwunderlich, dass das Werk elf Jahre nach seiner Uraufführung für die Einweihung des Salle Le Pelletier ausgewählt wurde, in dem die Pariser Oper von 1821 bis zu ihrer Zerstörung durch einen Brand im Jahr 1873 untergebracht war und der durch das Palais Garnier ersetzt wurde. Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator/ Charles-Simon Catel (1773-1830) : Les Bayadères mit Chantal Santon, Philippe Do, Andre Heyboer, Mathias Vidal, Katia Velletaz, Jennifer Borghi,Musica Florea, Solamente Naturali, Didier Talpain, 2 CDs Ediciones Singolares

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Zu Catels „Les Bayadéres“: Dérivis als Olkar der Uraufführung/Blibliothèque Musée d´Opera/Palazetto

Und hier eine zeitgenössische Aufführungskritik der Uraufführung am Théâtre de la Republique in Paris von 1810: Aus Littérature Dramatique, pp. 2011; M: Catel. Les Bayadères: Die Bayadèren sind indische Tänzerinnen und gleichzeitig Ordensfrauen, die dem Brahma-Kult anhängen. Ihre Aufgabe ist es, die Sinnlichkeit durch Tänze anzuregen, die die Strenge unserer Sitten als unanständig und lasziv ansieht. Die Orientalen sind nicht so skrupulös: Sie lieben in diesen Tänzen genau das, was wir ihnen vorwerfen; der Zweck scheint ihnen die Mittel zu rechtfertigen, die Wirkung scheint ihnen zu schön, um die Ursache zu verdammen. Die Völker, deren Religion mit ihren Sinnen in Einklang steht, bei denen die Sinnlichkeit ein Teil der Moral ist, bieten gute Opernthemen. Im Lauf von zivilen Uneinigkeiten erschien eine Bayadère am Théâtre de la République. Dieses Theater war ein bisschen zu ernsthaft (schwer) für eine solche Gestalt. Die Autorin war eine Frau und diese Frau war die Schauspielerin, die die Bayadère darstellte: Sie war schöner als alle Bayadèren Indiens und sie war nicht glücklich. Anstatt sich an ihren Geist und ihre Anmut zu halten, hielt man nur an ihrer Sekte fest. Sie verehrte Schirven; die Anhänger von Wistnou, die an diesem Tag verstärkt im Parterre befanden, erregten sich gegen die Schauspielerin mit einer heiligen Wut und sie zerrissen aus ihrem Glauben heraus das Stück.

"Les Bayadéres": Stich um 1830/OBA

Zu Catels „Les Bayadères“: Stich um 1830/OBA

Die Bayadèren der Oper hatten ein anderes Schicksal wie die der République: Die Zuschauer  empfanden sich derselben Religion zugehörig wie die Darstellerinnen, die Darstellerinnen regten die Zuseher zu großer Sinnlichkeit an und sie wurden mit Applaus belohnt. Die Geschichte der Bayadèren  bietet mir viele interessante Details, die ich nicht weit zu suchen brauchte: Die Abhandlung (Dissertation) von Herrn Jouy lässt über dieses angenehme Thema nicht viel zu wünschen übrig, aber man muss sich beeilen, die Geschichte der ersten Aufführung dieser Oper, die lang erwartet wurde, ist in diesem Augenblick mehr wert als eine ganze Abhandlung der Tatsachen und Gesten aller Klöster der Bayadèren.

Inhalt – Akt 1: Ein indischer Prinz, dessen Hauptstadt Benares ist, eine Stadt, in der die Brahmanen eine berühmte Lehrstätte haben, befindet sich in einer grausamen Lage. Er ist zu der Zeit angekommen, als das Gesetz Brahmas verlangt, dass er eine Gattin unter seinen Frauen auswählt: Der Unglückliche liebt keine von ihnen: Sein Herz gehört einer Bayadère, der es ihre Religion verbietet, zu heiraten. Ich habe nicht genug Studien an der Schule von Benares gemacht, um genau zu wissen, ob der Rajah oder indische Prinz, der Demaly heißt, die Bayadère Lamea zwar nicht zu seiner Gattin, aber doch zu seiner Geliebten machen könnte. Dieser Passus müsste sich in der Verfassung der Ordensleute des Ganges befinden. Ich bin versucht zu glauben, dass Brahma ihnen nur die Aufgabe zuteilte, Begierden zu erwecken, ohne ihnen zu erlauben, sie zu befriedigen, da der Rajah Demaly so verzweifelt ist und sich so bitten lässt, eine Gattin zu wählen. Vergeblich drängen ihn die Anführer der Brahmanen und seine Minister; aber ein Anführer der Maratten namens Olkar hilft ihm aus seinen Sorgen: Während seine Priester und Minister ihn bei Vergnügungen und Festen einschläfern, überrascht Olkar Benares, erobert den Palast, lässt den Rajah in Eisen legen, bemächtigt sich der Frauen und erspart ihm so die Unannehmlichkeit, eine von ihnen zu wählen. Das ist der erste Akt, recht aktionslos, aber voll von charmanten Tänzen und sehr ansprechenden Musikstücken.

"Les Bayadéres": anonymer Stich um 1810/OBA

Zu Catels „Les Bayadères“: anonymer Stich um 1810/OBA

Im zweiten Akt sieht man den Anführer der Maratten damit beschäftigt, das berühmte Stirnband des Wistnou zu bekommen, das durch seine Kostbarkeit alle Schätze Asiens wettmacht. Der Rajah hat dieses wunderbare Juwel versteckt, und auch die wildesten Drohungen können ihn nicht dazu bewegen, es herzugeben. Olkar glaubt nichts Besseres tun zu können als sich an die Bayadère Lamea zu wenden, die so großen Einfluss auf den Geist des Rajah hat: Aber Lamea ist nicht nur eine Bayadère, sondern auch eine Heldin; sie haucht ihrem Geliebten nicht nur Sinnlichkeit ein, sondern auch Mut. Sie hat schon die treuesten Untertanen des unglücklichen Rajah versammelt: Sie plant eine Revolution.  Die Sinnlichkeit hat Demaly ins Verderben gestürzt, nun soll die Sinnlichkeit Olkar ins Verderben stürzen. Lamea verschwört sich mit ihren Gefährtinnen gegen den Sieger. Und diese Verschwörung der Tänzerinnen wird Demaly wieder auf den Thron setzen. Es ist diese Verschwörung, die den Erfolg der Oper garantiert. Lamea akzeptiert den Handel, der Olkar ihr auferlegt :Sie sieht den gefangenen Prinzen, tut so, als ob sie ihn überzeugen will, das Band Wistnous herzugeben, aber tatsächlich tut sie es, um seinen Mut durch die  Hoffnung  neu zu erwecken. Sie kehrt zu Olkar zurück, täuscht ihn mit einem falschen Bericht und berauscht ihn mit der Idee, das kostbare Band Wistnous bald zu besitzen Der wilde Maratte ist schon halb besiegt durch die Sinnlichkeit, die ihn von allen Seiten umgibt, die Bajaderen umkreisen ihn, bedrängen ihn und entwaffnen scherzend den stolzen Krieger. Dieselbe Vorgangsweise wenden sie gegen die Soldaten an, die noch weniger Widerstand leisten als ihr Anführer: Die Bayadèren nehmen ihnen Stück für Stück ihre Waffen weg, bekleiden sich damit und tanzen, so verkleidet, einen Militärtanz von ganz neuer Art.

"Les Bayadéres": der Librettist Etienne de Jouy/OBA

Zu Catels „Les Bayadères“: der Librettist Etienne de Jouy/OBA

Diese Mischung von sinnlichen und kriegerischen Bildern ist voll Charme; und das schwache Geschlecht bietet, indem es seine Weichheit und seine Anmut dem starken Geschlecht anbietet, die reizvollste und hübscheste Maskerade. Der Kampf und Sieg der Bayadèren über die Maratten (oder Maralten, er schreibt das jedes Mal anders!) erinnern an den Triumph der Nymphen über die Skythen in Das belagerte Kythira, einer opéra comique von Favart, die 1748 in Brüssel aufgeführt wurde, dann 1754 an der Opéra Comique. Die Idee dieser Art Liebeskrieg ist noch viel älter, weil Favart gemeinsam mit Fagan 1738 den ersten Entwurf dieses Themas in Prosa und mit Couplets aufführen ließ. Zu diesen Zeiten wurde diese opéra comique in die grand opéra  gebracht mit einer Musik von Gluck und dennoch mit wenig Erfolg.

"Les Bayadéres": zeitgenössische Darstellung eines indischen Harems/OBA

Zu Castels „Les Bayadères“: zeitgenössische Darstellung eines indischen Harems/OBA

Die komische Oper von Favart, voll von Witz, Anspielungen, galanten Zweideutigkeiten, ist noch besser zu lesen, als aufgeführt zu sehen; und um sie gut aufzuführen, braucht es eine Art Talent, die nicht das der Tänzerinnen der Opéra ist. Das Schauspiel der Bayadèren verliere die Hälfte ihres Reizes, wenn man darin spräche, die Nymphen von Favart schmeicheln ständig dem Geist derer, die welchen haben: Die Bayadèren wirken auf alle, die Augen haben, sie erwecken alle Ideen, die auf natürliche Weise aus den Sinnen entstehen. Diese Szene, in der der Tanz die Hauptrolle spielt, ist also nicht weniger neu, selbst nach Das belagerte Kythira; eine entzückende Allegorie, wo man die Skythen sieht, die auf Befehl des Mars Kythira belagern, die Hauptfestung der untreuen Venus, aber wo es für die ganze Besatzung nur fünf oder sechs Nymphen gibt. Nach einigen Ausfällen und eigenartigen Kämpfen, werden die Skythen gefangen, mit Blumen gefesselt und von den Nymphen im Triumphzug herumgeführt.

"Les Bayadéres": anonymer Stich nach einer Statuette von Auguste Barre 1838/Palazetto Bru Zane

Zu Castels „Les Bayadères“: anonymer Stich nach einer Statuette von Auguste Barre 1838/Palazetto Bru Zane

Diese Szenen sind mehr einfallsreiche als sinnlichen Komödienschönheiten; die Schönheiten der Bayadèren gehören eher der Pantomime, dem Tanz, der Musik an und hängen von einem großen Ensemble ab: Sie erwecken mehr Gefühle als Ideen und beschäftigen besonders die Augen und Ohren, zur großen Erleichterung des Geistes und des Herzens. Während die Maratten den Bayadèren die Waffen geben, bewaffnen sich die Anhänger Demalys, befreien ihren Prinzen schlagen die entwaffneten Maratten in die Flucht. Und diese zweite Revolution beendet den dritten Akt, der allein wie eine ganze Oper ist und die Mängel des ersten und vor allem des zweiten Akts aufwiegt. Nicht dass dieser dritte Akt nicht voll von Heroismus wäre, aber von einem etwas kalten Heroismus. Die Bayadère, nachdem sie ihren ganzen Charme dafür eingesetzt hat, Demaly wieder auf den Thron zu setzen, verweigert es, diesen Thron mit ihm zu teilen und stimmt nur zu, ihn zu heiraten, wenn das Hochzeitsbett ein Scheiterhaufen ist. Demaly, weniger um seine Großzügigkeit zu beweisen als ihr ein Recht auf die Krone zu geben, tut so, als sei er in einem Kampf, den er mit den Maratten führte, tödlich verwundet worden; Der große Brahma seinerseits verkündet, dass das Heil Demalys sehr unsicher ist, wenn er stirbt, ohne verheiratet zu sein. Also braucht der sterbende Prinz eine Frau für das Heil seiner Seele, aber da in diesem Land jede Witwe ihren Ehemann ins Jenseits begleitet, fühlen sich die Frauen demalys wenig bereit zu diesem extremen Treuebeweis. Keine will ihm für diese verhängnisvolle Reise die Hand geben. Nur Lamea opfert sich mit heroischer Leidenschaft; aber in dem Moment, wo sie mit Demaly sterben wird, hebt sich ein Schleier; sie sieht ihn sehr lebendig auf dem Thron, statt des Todes, den sie erwartet hat, warten auf sie die Ehren und Freuden in der glücklichsten Vereinigung, dem würdigen Preis für ihre Liebe und ihren Mut.

"Les Bayadéres": tanzende Bajadere um 1830/Bibliothèque Musée Opéra/Palazetto

Zu Castels „Les Bayadères“: tanzende Bajadere um 1830, eine sehr erotische Darstellung des  Genitalbereiches/Bibliothèque Musée Opéra/Palazetto

Diese Rolle der Lamea ist erhaben: Diese Bayadère ist eine große tragische Prinzessin und fast eine Corneille-Heldin, zumindest durch die Erregung der Gefühle. Nichts ist mehr geeignet, die Talente von Madame Branchu als Darstellerin zu zeigen, und ich bin nicht überrascht, dass sie in dieser Beziehung sehr geschmeichelt von der Rolle war. Die Sängerin muss nicht weniger zufrieden sein, denn sie hat schöne Arien zu singen: Diese Arien sind übersät von gesanglichen Merkmalen, die ihr nur Schwierigkeiten machen, um ihr Triumphe zu bereiten. Madame Branchu lässt weder als Darstellerin noch als Sängerin zu wünschen übrig und hat nur zu wünschen, dass solcher Ruhm dauerhaft sei, dass sie genug Kraft habe, ihn lange zu erhalten. Der Rajah Demaly ist ein recht unbedeutender Held neben seiner Bayadère: Seine Rolle ist weniger anstrengend; man entthront ihn, man setzt ihn wieder ein, ohne dass er etwas dazu beiträgt. Die Zärtlichkeit ist die Basis seiner Rolle. Und das Beste. Das er hat, ist eine zarte Arie, die er sehr zart singt mit einer sanften und melodiösen Stimme. Die Musik ist meist angenehm und abwechslungsreich, gut an das Thema angepasst, öfter schöne Arien, schöne Ensemblestücke, manchmal Lärm,, Verschwommenes, Reminiszenzen.

"Les Bayadéres": Das Innere der Salle Pelletier, wo die Oper zur Eröffnung des Hauses 1821 gegeben wurde/Bibliothèque Musée Opéra/Palazetto

Zu Castels „Les Bayadères“: Das Innere der Salle Pelletier, wo die Oper zur Eröffnung des Hauses 1821 gegeben wurde/Bibliothèque Musée Opéra/Palazetto

Man kann Catel verzeihen, dass er sich selbst herangezogen hat und in den Bayadèren fast seinen Schritt der Skythen in Semiramis reproduziert hat. Wenn das Publikum das Recht hat, die Wiederholung eines Musikstücks, das ihm gefällt, zu verlangen, warum sollte der Schöpfer dieses Stücks nicht dasselbe Recht haben.  Nicht zu vergessen sind die Maschinen und Dekorationen, die wichtige Elemente einer Oper sind. Das größte Lob, das man den Bayadèren spenden kann, ist zu sagen, dass man darin noch etwas zu bewundern gefunden hat nach all den Wundern, so viel Ruhm, so viel Himmlischem, so viel Paradiesen, die seit einiger Zeit auf diesem Theater aufeinanderfolgen und die Bewunderung schon erschöpft zu haben scheinen. (10 April 1810)

.(aus: Cours de Littérature Dramnatique, V.; PARIS. — IMPRIMERIE DE CASIMIR, RUE DE LA VIEILLE-MOMIFAIE , No. 12. RECUEIL PAR ORDRE DE MATIÈRES DES FEUILLETONS DE GEOFFROY, Tome Cinquieme, Paris Pierre Blanchard. Librairie 1825); Die Abbildungen im Text sind, soweit gekennzeichnet, dem Booklet der Neuaufnahme der „Bayadères“ bei Ediciones Singolares entnommen. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Operhier

Gottlob Frick

Auf einer Jugendreise geriert ich in Berlin mehr zufällig in eine Aufführung der Götterdämmerung in der Staatsoper Unter den Linden. Den Hagen sang Gottlob Frick. Seine Hoiho-Rufe zu Beginn der Mannen-Szene ließen den großen Saal regelrecht erbeben. So etwas hatte ich bis dahin noch nie gehört in meinem Leben und würde es nie mehr vergessen. Der Name des Sängers aber sagte mir damals nichts, obwohl ich schon für Wagner entflammt war. Das sollte sich bald ändern. Ich sammelte seine Platten, wurde diese Stimme nicht mehr los. Egal in welcher Rolle. Und deren gibt es viele. Seine unverwechselbare Stimme, die aus hundert anderen auf Anhieb herauszuhören ist, wurde für mich zu einem Inbegriff dafür, was Sänger ausdrücken können. Frick ist mir nie über geworden. Den Hagen höre ich immer noch am liebsten von ihm – ob im Studio im gerühmten Ring des Nibelungen unter Solti bei Decca oder live in Bayreuth: Gänsehaut immer noch garantiert. Vor zwanzig Jahren ist er gestorben. Sein künstlerisches Erbe wird von der Gottlob-Frick-Gesellschaft in Ölbronn bewahrt, wo es auch eine Gedenkstätte gibt. Deren Präsident Hans A. Hey erinnert für Operalounge.de an den Sänger. Rüdiger Winter

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Gottlob Frick als König Philipp in Verdis „Don Carlos“ / Foto: GFG

„Das Timbre der Stimme von Gottlob Frick einmal gehört, verliert man nicht aus dem Ohr“: Mit dieser Aussage in seinem Standardwerk „Die großen Sänger“ trifft der deutsche Doyen der Gesangsexperten, Jürgen Kesting den Nagel auf den Kopf. Gottlob Frick, dessen Todestag sich am 18. August 2014 zum 20. Mal jährt, gilt als Inkarnation des schwarzen Basses. Er ist der deutsche Universalbassist, der durch die Vielzahl seiner hinterlassenen Tondokumente und die Unverwechselbarkeit seiner volltönenden, mit außergewöhnlicher Schönheit und fließendem Melos des Gesanges strömenden Stimme bis heute eine Popularität genießt, wie sie wahrscheinlich von keinem anderen deutschen Bassisten erreicht wird. Der international renommierte Kritiker John B. Steane begründete die Aufnahme von Gottlob Frick in seine Liste der 100 bedeutendsten Sänger in „The Great Tradition“ unter anderem mit folgender Charakterisierung: „Was den Wagnerischen basso profondo betrifft, so konnte die neuere Zeit – gemeint sind die 40er – 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts – nur auf einen Namen setzen – Gottlob Frick ein Turm der Stärke im stärksten Ensemble und einer der größten Bassisten überhaupt. Seine Stimme ist trotz des machtvollen Volumens stetig, geschmeidig und schön. Fricks zweieinhalb Oktaven-Bass ist bewundernswert durchgebildet und bleibt in seinem ganzen Umfang voll präzise. Sein Gefühl für Rhythmus ist stark und er kann sowohl Legato als auch Staccato vorbildlich singen, ohne seine Zuhörer um den satten Stimmklang zu betrügen.“

Frick als Boris

In einem Opernquerschnitt als Boris Godunow in der gleichnamigen Oper von Mussorgsky

Gottlob Frick wurde 1906 in Ölbronn als 13. und jüngstes Kind einer Försterfamilie geboren. Sein Gesangstalent entdeckten Kenner beim Singen nach einer Treibjagd. Bereits beim Vorsingen wurde er an die Staatsoper Stuttgart engagiert. 1934 erhielt er den ersten Solistenvertrag in Coburg. Es folgten Engagements in Freiburg und Königsberg. Dort hörte ihn Karl Böhm und verpflichtete ihn an die Dresdner Staatsoper. Über 10 Jahre gehörte Frick dem ruhmreichen Ensemble der Semper-Oper an. 1950 wechselte er an die Deutsche Oper Berlin. Von dort aus begann die glanzvolle nationale und internationale Karriere des Bassisten, die ihn an alle bedeutenden Opernhäuser und Festspielplätze der Welt führte. Allein an der Wiener Staatsoper sang er rund 500 Vorstellungen. In seiner 58 Jahre langen Sängerlaufbahn hat er nahezu all die Könige, die Priester, die Geister, die Finsterlinge des Bassfaches eindrucksvoll verkörpert. Durch den ihm angeborenen Mutterwitz war er auch ein Meister des Heiter-Komischen. Er sang und spielte die heiteren Bühnengestalten der Spieloper so kontrastreich und intensiv, dass all die Trunkenbolde, Plumpsäcke und Schwerenöter vor dem geistigen Auge des Hörers geradezu suggestiv sichtbar werden. Auch als Oratorien- und Konzertsänger hatte Frick große Erfolge.

1971 nach einer umjubelten Aufführung von Wagners Götterdämmerung mit Frick als Hagen in München erklärte der Sänger völlig unerwartet, dass dies sein letzter Wagnerabend gewesen sei. Zum Glück gelang es, ihn noch für gelegentliche Gastspiele hauptsächlich in Wien, München und Stuttgart zu gewinnen. Fricks allerletztes, öffentliches Auftreten fand am 26. Januar 1985 in Heilbronn statt. Frick war während seiner Karriere auf den Bühnen der großen Opernhäuser zuhause, seine Heimat war für den bodenständigen, bescheiden gebliebenen Gemütsmenschen jedoch zeitlebens sein geliebter Geburtsort Ölbronn.

Dorthin – in sein am Waldrand gelegenes Haus – zog er sich zurück, um zu jagen, zu entspannen und den großen Freundes- und Verehrerkreis in dieser geruhsamen Idylle zu empfangen. Besonders häufig besuchte der Tenor Fritz Wunderlich seinen väterlichen Freund. Aus dieser Heimat- und Naturverbundenheit erklärt sich wahrscheinlich auch seine besondere Liebe zum Volkslied. Die warmherzige Persönlichkeit des Sängers wird in seinen Volksliedinterpretationen am ursprünglichsten erlebbar. Frick gestaltet die romantischen Weisen mit ungekünstelter Natürlichkeit und einer Echtheit des Empfindens, die anrührt und ergreift. Am 18. August 1994 ist der König der deutschen Bässe in Begleitung einer riesigen Trauergemeinde auf dem Dorffriedhof seiner Heimatgemeinde zur letzten Ruhe gebettet worden.

Kaum ein anderer Bassist erhielt zu Lebzeiten und postum so zahlreiche Ehrungen wie Gottlob Frick. Dem dreifachen Kammersänger wurden Orden bis hin zum Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Ölbronn ehrte seinen großen Sohn und Ehrenbürger mit einem Gottlob-Frick-Weg. In Mühlacker wurde der Konzertsaal im „Mühlehof“ nach dem Sänger benannt. Die Stadt Heilbronn widmete seinem Gedenken einen Platz im Herzen der Stadt. 1995 wurde die Gottlob-Frick-Gesellschaft gegründet. Die wichtigsten Ziele der Gesellschaft sind: Das Andenken an Gottlob Frick und andere Sängerlegenden zu erhalten, junge, hochbegabte Sänger zu fördern und die Begegnung der Generationen zu ermöglichen.

1997 konnte im Rathaus in Ölbronn eine Gedächtnisstätte eingeweiht werden. Hier wurde eine imposante Retrospektive in Bild und Ton, sowie eine Sammlung von Erinnerungsstücken zusammengestellt. Höhepunkt des Wirkens der Gesellschaft ist ein jährliches Künstlertreffen mit Festakt, Festkonzert, Verleihung der Gottlob-Frick- Medaillen und Empfang. An kaum einem anderen Ort versammelt sich eine so große Zahl von Gästen aus dem künstlerischen Bereich, darunter weltberühmte Sängerinnen und Sänger, wie im Operndörfle Ölbronn. Eine weltweite Einmaligkeit ist das originelle Gästebuch, in dem die Händeabdrücke berühmter Künstlerpersönlichkeiten verewigt sind. Die Ausstellung ist ein Who is Who der jüngeren Operngeschichte und reicht von Theo Adam bis Georg Zeppenfeld.

Ein Sängerportrait: Das Foto oben entstammt der Schallplatte von Eurodisc, die noch antiquarisch zu finden ist

Das Foto oben ist der Schallplatte von Eurodisc entnommen, die nur noch antiquarisch zu finden ist

In München findet am 14. September 2014 und in Wien am 12. November 2014 eine Veranstaltung zum Gedenken an den 20. Todestag von Gottlob Frick statt. Wodurch erklärt sich die weiter wirkende Popularität von Gottlob Frick? Selbst der Musikfreund, der ihn nicht mehr persönlich erlebte, spürt in den Tondokumenten: Hier singt ein in sich ruhender Mensch mit der ganzen Ausdrucksskala des begnadeten, gereiften Künstlers. Das Herz, die Seele, inneres Erfülltsein sind es, die in dieser Stimme mitschwingen. Fricks Botschaft, die sich durch seine Sangeskunst mitteilt, wird verstanden über Generationen hinweg – auch noch 20 Jahre nach seinem Tod. Hans A. Hey 

Ein neues Image für Bach

Gemeinsam wollen sie der Internationalen Bachakademie Stuttgart (IBA)  behutsam ein neues Image verpassen. Mit dem neuen Akademieleiter Hans-Christoph Rademann und seinem Intendanten Gernot Rehrl sprach Hanns-Horst Bauer über Kultur, Wirtschaft und ein Wechselbad der Gefühle.

Ein Jahr ist es nun her, dass Sie die 1981 von Helmuth Rilling gegründete Internationale Bachakademie Stuttgart übernommen haben. Wie haben Sie sich „eingelebt“? Rademann: Ich bin schon etwas erstaunt, wie schnell dieses erste Jahr in Stuttgart vergangen ist. Das hat sicher mit den vielfältigen Aufgaben zu tun, die hier auf uns zugekommen sind. Das war für mich ein richtiger Sprint. Rehrl: Ich habe wieder einmal, trotz meiner fast 25-jährigen Erfahrung im Kulturmanagement, lernen müssen, dass Veränderungsprozesse einfach Zeit brauchen. Da ich ein ungeduldiger Mensch bin, dachte ich, so manches ließe sich schneller entwickeln. Aber es scheint uns zumindest geglückt zu sein, das klassische Bildungsbürger-Publikum, das bereits da war, mitzunehmen und zugleich neue Besucherschichten  anzusprechen.

Internationale Bachakademie Stuttgart:  Gernot Rehrl (links) u. Hans-Christoph Rademann/  Foto Boris Schmalenberger

Internationale Bachakademie Stuttgart: Gernot Rehrl (links) u. Hans-Christoph Rademann/ Foto Boris Schmalenberger

Wie haben Sie die nicht ganz einfache Übergangssituation, in der Helmuth Rilling sich bei der Wahl seines Nachfolgers übergangen und verletzt gefühlt hatte, gemeistert? Rademann: Auch wenn wir beide damit gar nichts zu tun hatten, war ich doch sehr erschrocken und gleichzeitig innerlich berührt. Aber ich habe mir dann klar gemacht, dass ich mir mit dem reichen Erfahrungsschatz, den ich mitbringe, keine Sorgen um die neue Aufgabe machen muss.  Rehrl: Mich haben die Querelen im Vorfeld kaum belastet, weil meine Aufgabenstellung in der Zukunft lag, nämlich für die Bachakademie eine neue Ära einzuleiten. Es waren jedoch  für uns beide die hohe Schule der Diplomatie und eine hohe Sensibilität im zwischenmenschlichen Bereich gefragt. Ganz sicher hat dann bei der offiziellen Amtsübergabe die Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck mit zu einem harmonisch geglückten Übergang beigetragen.

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann / Foto Hanns-Horst Bauer

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann / Foto Hanns-Horst Bauer

Was hat Sie an Stuttgart und an den Führungspositionen bei der renommierten Bachakademie gereizt? Rademann: Als man mich gefragt hat, ob ich die Nachfolge von Helmuth Rilling antreten wolle, habe ich mich zunächst schon etwas gewundert, war dann aber doch der Meinung, dass sich die Findungskommission schon etwas dabei gedacht haben dürfte. Zunächst befand ich mich dann in einem Wechselbad der Gefühle. Auf der einen Seite war mir schon klar, dass es eine enorme Herausforderung für mich sein würde, in die großen Fußstapfen eines Helmuth Rillings zu treten. Andererseits habe ich die wunderbaren Chancen und Möglichkeiten dieses Amts gesehen, wobei mich hier das Umfeld, das Zusammenspiel von Kultur und Wirtschaft, ganz besonders gereizt hat. Außerdem brauche ich Herausforderungen. Und das ist eine, an der ich ganz sicher weiter wachsen kann.  Rehrl: Solchen Herausforderungen habe ich mich in meinem beruflichen Leben ganz bewusst immer wieder gerne gestellt. Dabei ging es mir darum, etwas zu gestalten, besser: etwas umzugestalten. Hier in Stuttgart, das beim Ranking der Kulturstädte Deutschlands immerhin Platz 1 einnimmt, hat mich vor allem gereizt, eine Institution wie die Bachakademie publikums- und gesellschaftsgerecht in eine gute neue Zeit zu führen. Spannend ist für mich dabei die Vielfalt der Aufgaben: Musikfestival, die Ensembles, Abonnement-Reihen, der Akademie-Gedanke und schließlich das Sponsoring sowie Fundraising.

Internationale Bachakademie Stuttgart: Gernot Rehrl/ Foto Hanns-Horst Bauer

Internationale Bachakademie Stuttgart: Gernot Rehrl/ Foto Hanns-Horst Bauer

Wie wichtig sind Sponsoren und Mäzene für Ihre Arbeit? Rehrl: Wenn man bedenkt, dass wir die Bachakademie mit gut 70 Prozent Eigenleistung betreiben, dann ist das schon beachtlich. Diese Zahl in einer Zeit zu halten, in der wir wissen, dass sich das Publikum nicht gerade vergrößert, dürfte nicht einfach sein. Sponsoren für die Kultur zu finden, ist heute nicht leicht, da sie sich gerne auch anderweitig positionieren. Wir haben zwar durchaus neue Sponsoren, müssen aber leider auch beobachten, wie andere sich umorientieren. Rademann: Viele Sponsoren und Mäzene halten uns die Treue, manche engagieren sich sogar noch stärker als vorher. Dafür sind wir sehr dankbar. Ich würde mir natürlich wünschen, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass es bei der finanziellen Unterstützung nicht um Personen gehen sollte. Im Vordergrund müsste die Institution, der Inhalt und die Idee, die dahinter steckt, stehen. Die Gesellschaft mag sich rasant wandeln, aber ob sich der Mensch als Individuum in der Hinsicht wandelt, dass ihm Werte plötzlich egal sind, sodass er sie über Bord wirft, das bezweifle ich. Da ist die Arbeit der Bachakademie mit dem Leitsatz „Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit“ enorm wichtig. Wenn wir hier die größten musikalischen Kunstwerke des Abendlandes mit Johann Sebastian Bach im Mittelpunkt präsentieren, kann das nie etwas an Aktualität einbüßen. So erfüllen wir auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe.

Was hat Sie beide hier in Stuttgart zusammengeführt? Rehrl: Wir kennen uns bereits seit 1998, als ich beim Bayerischen Rundfunk Manager des Rundfunkchors war und man mir Hans-Christoph Rademann als Chordirigenten empfohlen hatte. Nahezu 15 Jahre später haben wir uns in Berlin wiedergetroffen.

Internationale Bachakadiemie: Hans-Christoph Rademann an der Tür zur Bachakademie/Foto Hanns-Horst Bauer

Internationale Bachakadiemie: Hans-Christoph Rademann an der Tür zur Bachakademie/Foto Hanns-Horst Bauer

Wie wollen Sie die Bachakademie in eine neue Zukunft führen?  Rehrl: An die Akademie werden heute ganz andere Anforderungen gestellt als bei ihrer Gründung. Wir wollen uns mit der weltweit einzigartigen Marke „Bach“ kreativ auseinandersetzen. Rademann: In unserem ersten Jahr haben wir sehr viele Dinge weitergeführt, sind aber gerade dabei zu überlegen, ob wir nicht doch noch stärker auf Veränderung und Erneuerung setzen sollten. In den letzten Jahren haben sich Markt und Konzertbetrieb, aber auch die Vorstellungen des Publikums und die Ansprüche an eine Interpretation vehement verändert. Gerade im Bereich der Barockmusik haben sich bahnbrechende Entwicklungen vollzogen, die keine Launen, keine Moden sind, sondern etwas mit dem Erkenntnisstand zu tun haben. Die Bachakademie war, das ist unser Eindruck, so etwas wie ein abgeschlossener Zirkel. Den wollen wir öffnen.

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann/ Foto Holger Schneider

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann/ Foto Holger Schneider

Mit welchen Schlüsseln? Rehrl: Das läuft über neue programmatische Ansätze, vor allem aber über Projekte. Beispielsweise über unser großes Tanzprojekt „BACHBEWEGT!“, das gerade bei jungen Menschen sehr gut ankommt. Dabei bewegt die Musik des Thomaskantors nicht nur die Herzen, sondern auch die Körper. Nicht nur die der teilnehmenden Schüler, sondern generationenübergreifend auch die  ihrer Freunde, Eltern, Großeltern und Verwandten. Oder das Projekt „Trimum“, eine interreligiöse Begegnung zwischen Christen, Juden und Muslimen sowie das Junge Stuttgarter Bachensemble (JSB) mit Teilnehmern aus aller Welt. Rademann: Ich glaube daneben aber auch weiterhin an die Macht der Konzerte als eine Form der Musikvermittlung, die durchaus Zukunft hat. Deshalb bemühe ich mich  darum, jeden einzelnen Besucher auch wirklich zu erreichen. Jeder soll emotional von der Musik ergriffen werden, denn Musik ist ein Therapeutikum, das sogar heilende Wirkungen entfalten kann. Dafür sensibilisiere ich ganz bewusst  Chor und Orchester, die eine psychologische Verbindung zum Publikum herstellen sollten. So versuche ich eine große Authentizität herzustellen.

Und wie sehen die Veränderungen bei den Ensembles der Bachakademie aus? Rademann: Unsere exzellente Gächinger Kantorei habe ich als Chorspezialist in den letzten Monaten schon sehr stark qualitativ verändert und werde sie noch weiter verändern, was Homogenität und Intonation betrifft. Sie soll eine entscheidende Rolle im Kreis der weltbesten Chöre spielen. Rehrl: Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen wir uns auf dem Markt anders positionieren. Rademann: Aber ich fühle mich da überhaupt nicht unter Druck und will niemand nacheifern. Die Bachakademie soll in Zukunft ein international bedeutendes Kompetenzzentrum sein für die Musik der verschiedensten Epochen. Natürlich mit dem Schwerpunkt Johann Sebastian Bach, dessen Musik uns in Schwingungen versetzt,  die uns frei und lebendig macht.

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann (links) u. Gernot Rehrl/ Foto Hanns-Horst Bauer

Internationale Bachakademie Stuttgart: Hans-Christoph Rademann (links) u. Gernot Rehrl/ Foto Hanns-Horst Bauer

Was haben Sie mit dem bestens etablierten Musikfest Stuttgart, das jedes Jahr Ende August/Anfang September stattfindet, vor? Rademann: Wir sind derzeit bemüht, die Politik dafür zu sensibilisieren, dass das Musikfest Stuttgart kein Aktionismus der Bachakademie ist, sondern dass es ein großes überregionales Festival für Stadt und Land sein soll. Das kann es nicht zum Nulltarif geben.

Und was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre? Rehrl: Dass sich die Akademie zeitgemäß aufstellt und damit attraktiv und interessant ist. Rademann: Eine Bachakademie mit weltweiter Ausstrahlung, von Politik und Wirtschaft tatkräftig unterstützt und ein Publikum, das voll hinter uns steht.

 

CD Schütz, Psalmen Davids, Rademann-001Biographien: Hans-Christoph Rademann wurde 1965 in Dresden geboren und studierte an der dortigen Musikhochschule Chor- und Orchesterdirigieren. Bereits während seines Studiums gründete er den Dresdner Kammerchor. Von 1999 bis 2004 leitete er als Chefdirigent den NDR Chor. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Alte Musik, insbesondere die Erschließung unbekannter Schätze der sächsischen Musikgeschichte. 2000 erhielt er den Ruf zum Professor für Chorleitung an die Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« in Dresden.  Seit 2007 ist Hans-Christoph Rademann Chefdirigent des RIAS Kammerchors. 2010 wurde er Intendant des von ihm gegründeten Musikfests Erzgebirge. Im August 2013 übernahm Rademann von Helmuth Rilling die Leitung der Internationalen Bachakademie Stuttgart. Für seine Verdienste um das Dresdner Musikleben erhielt er im Juli dieses Jahres den Kunstpreis der Stadt Dresden. Seine zahlreichen CD-Aufnahmen wurden mehrfach mit  Preisen ausgezeichnet. Mit Kammerchor und Barockorchester Dresden realisierte er aktuell für den Stuttgarter Carus Verlag die erste Heinrich-Schütz-Gesamtaufnahme, zuletzt veröffentlicht die Psalmen Davids (Vol.8) und die Auferstehungshistorie (Vol.9). Bei harmonia mundi France ist soeben seine Maßstab setzende Aufnahme des Magnificats von C.P.E. Bach erschienen.

CD Bach, C.Ph.E. Magnificat, Rademann-001Gernot Rehrl wurde 1955 in Bamberg geboren. Nach seinen Studien im Fach Violine und Dirigieren an der Musikhochschule Würzburg ging er 1988 ins Orchestermanagement nach Wien. 1990 wurde er Leiter des künstlerischen Betriebsbüros der Münchner Philharmoniker und leitete danach die weltweite Konzerttätigkeit des Windsbacher Knabenchors. 1997 wechselte Rehrl zum Bayerischen Rundfunk und übernahm dort zunächst das Management des BR-Chors  und ab 2000 des Münchner Rundfunkorchesters. 2009 wurde Gernot Rehrl Intendant der Rundfunkorchester und –chöre GmbH Berlin (ROC), 2013 schließlich Intendant der Internationalen Bachakademie.

Licia Albanese

 

Die langjährige Sopransäule der Metropolitan Opera New York, Licia Albanese (eigentlich Felicia Albanese), starb am 15. August 2014 in New York/Manhattan im Alter von 105 Jahren. Sie wurde am 22. Juli 1909 in Bari geboren und bei Giuseppina Baldassare-Tedeschgi ausgebildet.  Sie verließ 1939 Italien nach ihrem Bühnendebüt als Madama Butterfly am Teatro Lirico Mailand und Auftritten in regionalen Theatern, nahm 1940 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an, heiratete 1945 Jahr den Finanzmann und Vorsitzenden der amerikanischen  staatlichen Rennorganisation Joseph Grimma und wurde zu einem Synonym des damaligen Met-Standards, als sie im alten wie im neuen Haus mehr als 400 Aufführungen vor allem das lyrische Fach mit Ausflügen ins schwerere wie Madama Butterfly (mehr als 300 mal), Mimì oder Tosca sang. Aber auch die San Francisco Opera profitierte von Ihrer Anwesenheit – sie sang dort von 1941 – 1961 in mehr als 120 Aufführungen.

Licia Albanese als Manon an der Met//Bridge Puglia USA

Licia Albanese als Manon an der Met//Bridge Puglia USA

Es war ihre permanente Verfügbarkeit, die ihr einen Namen der Zuverlässigkeit und des hohen Standards sicherte und die sie immer wieder auch kurzfristig einspringen ließen, so für die Bayreuther Aufnahme des Lohengrin bei Reldec/Decca. Obwohl sie auch an Häusern wie Covent Garden und großen Bühnen Amerikas sang, war sie doch eine Met-Sängerin, und ihre Aufführungen der Violetta, Butterfly oder Mimì waren Legion – sie war beste „Met-Ware“ und stand für die damaligen Qualitäten des Hauses. Die Langlebigkeit ihrer gutsitzenden, hellen und höhenbetonten Sopranstimme war ebenfalls legendär: Noch 1985 gab sie die alternde Diva Heidi Schiller in Sondheims Musical Follies mit den New Yorker Philharmonikern. 1966 hatte sie sich von der Met zurückgezogen, trat aber dort regelmäßig noch in den Galas auf und sang mit bestsitzender Stimme den „Star spangled Banner“. Ihre offizielle musikalische Hinterlassenschaft ist nicht sehr umfangreich (La Bohème und eine Live-Manon von der Met/CBS/Naxos und einige LPs/CBS/Naxos), aber ihre inoffiziellen Livemitschnitte gibt es reichlich, an ihr kommt kein Sammler vorbei. Im Folgenden eine biographische Wertschätzung der Sängerin von David Patmore in Naxos´ unersetzlicher Reihe von Künstlerbiographien. G. H.

 

Licia Albanese an der Met/Melancon/Wiki

Licia Albanese  als Butterfly, Foto oben als Violetta, beide an der Met/Melancon/Wiki

In 1940 Albanese made her début at the Metropolitan Opera, New York, as Butterfly and achieved immediate success: she was to reprise this rôle on seventy-two occasions at the Metropolitan. She stayed with the company for twenty-six years, until in 1966, insulted by what she considered a derisory contractual offer by manager Rudolf Bing, she returned the document unsigned. At the Metropolitan Albanese sang a total of 427 performances of seventeen rôles in sixteen operas, establishing herself as one of her generation’s pre-eminent interpreters of Violetta/La traviata, and excelling as Manon/Manon Lescaut in addition to Butterfly. Other parts which she sang with the company included Nedda/Pagliacci, Marguerite/Faust, Susanna/Le nozze di Figaro, Donna Anna/Don Giovanni, Giorgetta/Il Tabarro, Tosca, Micaela, and Lauretta. She also sang regularly with the San Francisco Opera, whose music director Gaetano Merola she greatly admired, giving 120 performances of twenty-two rôles between 1941 and 1951.

Licia Albanese als Tosca an der Met/Roger Gross

Licia Albanese als Tosca an der Met/Roger Gross

The high esteem in which Albanese was held in America may be judged by the fact that it was she whom Toscanini invited to sing Mimì in the fiftieth anniversary broadcast of La Bohème, the first performance of which he had conducted in Turin in 1896. So successful was this that the maestro asked Albanese to sing Violetta in his subsequent broadcast of La traviata, also in 1946. Both these productions were afterwards released commercially on disc. Albanese made her Chicago début in 1941 as Micaela and went on to sing as a distinguished guest in Baltimore, Cincinatti, Philadelphia, San Antonio and St Louis. In 1951 she returned to La Scala, as Butterfly, which she also sang in the same year at Rio de Janeiro. She retired from the stage in 1970, but remained a force in opera in America through her teaching and the Albanese Puccini Foundation, which annually awards substantial cash grants to young opera singers.

Licia Albanese wird 1995 von Präsident Clinton die Medal of Artistic Award der USA überreicht/Bridge Puglia UA

Licia Albanese wird 1995 von Präsident Clinton die Medal of Artistic Award der USA überreicht/Bridge Puglia UA

Albanese’s voice in her early career had a most appealing freshness and innocence, as may be heard in her 1938 recording of La Bohème (Mimì) with Gigli, and in the excerpts from the 1937 Covent Garden production of Turandot (Liù) with Eva Turner, conducted by Barbirolli. Later her voice filled out, while retaining its range, flexibility and beauty of tone: her 1954 recording ofManon Lescaut, opposite Jussi Björling, is a fine example of her mature art. Other recordings of note are the studio recording of Carmen (Micaela) conducted by Fritz Reiner, and a live recording of La rondine (Magda) from 1960. Albanese possessed a strong dramatic instinct and sought to make her performances as fresh as possible, giving them considerable dramatic edge as well as musical warmth.

David Patmore (A–Z of Singers)/ Naxos Rights International Ltd..

 

Licia Albanese als Desdemona in San Francisco/SFO

Licia Albanese als Desdemona in San Francisco/SFO

Ein Live-Interview von 1988 mit Licia Albanese findet sich auf der website von Bruce Duffie This interview was recorded on the telephone on February 26, 1988.  A portion was published in The Massenet Newsletter in July, 1989, and other sections were used (along with recordings) on WNIB in 1998.  It was fully transcribed, re-edited and posted on this website in 2012. To see a full list (with links) of interviews which have been transcribed and posted on this website, click here.   Award – winning broadcaster Bruce Duffie was with WNIB, Classical 97 in Chicago from 1975 until its final moment as a classical station in February of 2001.  His interviews have also appeared in various magazines and journals since 1980, and he now continues his broadcast series on WNUR-FM, as well as on Contemporary Classical Internet Radio. You are invited to visit his website for more information about his work, including selected transcripts of other interviews, plus a full list of his guests. You may also send him E-Mail with comments, questions and suggestions.

Aus dem Vollen geschöpft

Wer, bitte, ist Tannenhäuser? Der Grafiker, der die Box mit den Opernmitschnitten unter Wilhelm Furtwängler gestaltete, muss ein Verehrer von Ludwig Tieck sein. In dessen Geschichte vom „Getreuen Eckhard“ kommt ursprünglich jemand dieses Namens vor – inzwischen aber längst der Schreibweise angepasst, wie sie auch Richard Wagner für seinen aufmüpfigen Minnesänger wählte – Tannhäuser. Dieser und kein anderer ist natürlich gemeint. Der Druckfehler auf der Außenseite dieser als Würfel gestalteten Neuerscheinung von The Intense Media (600168), der sich auch im Innern hartnäckig hält, ist der Rede nicht wert. Denn Furtwängler hat die Oper gar nicht komplett dirigiert hinterlassen. Es geht lediglich um knapp zwanzig Minuten aus der Wiener Staatsoper, dazu noch verteilt auf die Jahre 1935 und 1936. In die Besetzung der Titelrolle teilen sich Max Lorenz und Gotthelf Pistor. Sie treten nur fragmentarisch in Erscheinung. Die Romerzählung fällt aus. Dafür betet der ungarische Bariton Alexander Sved seinen Abendstern in höchster Verzückung an, was auch nach gut achtzig Jahren noch zu Herzen geht.

Ohne Druckfehler geht es auch in der Trackliste nicht ab. Wenn Tannhäuser im Sängerkrieg die Venus anruft, tut er es in der gedruckten Form mit „Die Göttin der Liebe“. Das könnte ein Schlager sein. Es liegt auf diesem Werk grafisches Ungemach, das sich bei anderen Opern in Petitessen verliert. Wenn beispielsweise im dritten Aufzug des Tristan aus die „alte ernste Weise“ plötzlich die „alte erste Weise“ wird, dann Schwamm drüber. Wenigstens ist Frida Leider richtig geschrieben in der Besetzungsliste von Szenen aus der Londoner Götterdämmerung von 1936 – nämlich ohne das sonst oft übliche und falsche -ie-. Das versöhnt. Auf Furtwängler käme man bei den Tannhäuser-Szenen nicht. Die sehr eingeschränkte Akustik gibt es gar nicht her. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Sinn der Veröffentlichung, die aufs rein Dokumentarische beschränkt bleibt. Eine so große Furtwängler-Edition sollte auch durchgehend nach Furtwängler klingen. Damit sind die kritischen Aspekte weitgehend abgehandelt.

Kirsten Flagstad als Fidelio bei den Salzburger Festspiele

Kirsten Flagstad als ausdrucksstarke Fidelio-Leonore bei den Salzburger Festspielen 1950 / Foto: Flagstad-Archiv Hamar

Alles andere steht auf der positiven Seite. Der bislang im heimischen Regal vorhandene, gut halbe Meter Opern-Furtwängler schrumpft plötzlich auf knappe vierzehn Zentimeter, ein großer Vorteil solcher Boxen. Für das Label stellt sich die Ausgangslage des Materials günstig dar. Es kann in die Vollen greifen. Alle Werke sind – wenn auch über viele Jahre verstreut – bereits auf dem Markt gewesen, mitunter gar unter namhaften Etiketten. So hatte die EMI schon bald ihre schützende Hand auf Liveaufnahmen von Furtwängler gehalten, was gar nicht hoch genug anzurechnen war. Damit wurde ein Gegengewicht zu den Angeboten des grauen Marktes geschaffen, der zwar erst mit den Titeln bekannt gemacht hatte, in der klanglichen Aufbereitung aber an Grenzen stieß. Plötzlich klang Furtwängler wieder ihm gemäßer. Mozarts Hochzeit des Figaro, 1953 in deutscher Sprache in Salzburg mitgeschnitten, erschien 1996 offiziell in der EMI-Festspielreihe, gleiches gilt für die Zauberflöte, Verdis Otello (beide 1951) und Beethovens Fidelio mit Kirsten Flagstad (1950). Eine Aufnahme, die nun beim sehr willkommenen Wiederhören erneut großen Eindruck macht. Die Flagstad, damals schon Mitte fünfzig, lässt ihre stimmlichen Malaisen durch Ausdruck und Eindringlichkeit der Gestaltung vollkommen vergessen. Bei den Salzburger Festspielen wurde Don Giovanni unter Furtwänglers Leitung dreimal mitgeschnitten. Rechnet man den berühmten Film dazu, der auch auf DVD zu haben ist, und bei dem es sich um eine Mischfassung handeln soll, kommt man auf vier Dokumente. Intense Media hat sich – und das ist gut so – für die Aufnahme von 1950 entschieden, die sich in einigen tragenden Partien von den übrigen unterscheidet. Ljuba Welitsch ist die Donna Anna, Tito Gobbi der Don Giovanni und Irmgard Seefried die Zerlina. Die EMI veröffentlichte 1986 den Mitschnitt von 1954 in dem die genannten Partien – wie im Film – von Elisabeth Grümmer, Cesare Siepi und Erna Berger verkörpert wurden. Mit Ausnahme des Films singt Elisabeth Schwarzkopf immer die Elvira.

Ljuba Welitsch, die Salzburger Donna Anna 1950 unter Furtwängler

Ljuba Welitsch sang im 1950 die Donna Anna  im „Don Giovanni“ unter Wilhelm Furtwängler/ Foto: OBA

Was noch aus Salzburg? Der unheimliche Freischütz von 1954 mit der bis zur Unerträglichkeit gespannten Ouvertüre in bester akustischer Verfassung. Elisabeth Grümmer ist die Agathe, Rita Streich das Ännchen, Hans Hopf der Max und Kurt Böhme der Kaspar. Sie brauchen viel Atem und Ausdauer, um dem Dirigenten, der es nicht eilig hat, folgen zu können. Wie nicht anders zu erwarten bei Furtwängler, stellt Richard Wagner die umfangreichste Abteilung der Edition. Überraschungen sind erwartungsgemäß nicht dabei. Tristan und Isolde ist in Auszügen zweimal vorhanden. Einmal von 1947 aus dem Berliner Admiralspalast, dem Ausweichquartier der zerbombten Staatsoper, als sich Frida Leider als Regisseurin versuchte. Zur Erinnerung: Erna Schlüter ist nun die Isolde, Ludwig Suthaus der Tristan. In der Wiener Staatsoper wurden bereits 1941 und 1943 unter ziemlich abenteuerlichen Umständen große Teile aus allen drei Aufzügen festgehalten mit der nicht eben höhensicheren Anny Konetzni und Max Lorenz. Sie sind vor zwanzig Jahren im Rahmen der legendären Edition Wiener Staatsoper – live beim Label Koch/Schwann erstmals erschienen und offenkundig von dort in der selbenTrack-Einteilig übernommen worden. In der Gesamtaufnahme der Meistersinger von Nürnberg von den Bayreuther Kriegsfestspielen 1943 konnten die Fehlstellen – die Szene „Verweilt! Ein Wort“ nach dem Einleitungschor der Gemeinde und das Quintett in dritten Aufzug – auch nicht ergänzt werden. Wie denn auch? Sie scheinen endgültig verloren.

Den Salzburger "Figaro" in deutscher Sprache mit Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin gab es ursprünglich bei der EMI.

Den „Figaro“ in deutscher Sprache mit Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin gab es schon bei der EMI in der Salzburger Festspielreihe

Kein Ruhmesblatt in der umfangreichen Diskographie Furtwänglers sind die Meistersinger, die er 1938 in Nürnberg beim Reichsparteitag der Nationalsozialisten leitete. Sie sind mit vier Szenen dokumentiert, darunter der Fliedermonolog des Sachs (Rudolf Bockelmann), seine Szene „Gut’n Abend, Meister“ mit Eva (Tiana Lemnitz) und der Wach-auf-Chor. Wie mag Furtwängler sich dabei gefühlt haben? Im Publikum langweilten sich reihenweise Funktionäre, denen das Interesse an Wagner erst durch Hitler befohlen werden musste. In seinem Buch „Heroische Weltsicht“ berichtet Sebastian Werr bemerkenswerte Einzelheiten über das „fehlende Interesse an Wagner innerhalb der Bewegung“. Auf der Rückseite der entsprechenden CD-Hülle ist etwas verkürzt die Rede davon, dass die Vorstellung anlässlich des Reichsparteitages nach dem Anschluss Österreichs im März/April 1938 stattgefunden habe. Das ist zwar grundsätzlich richtig. Der Zusammenhang beider historischer Ereignisse ergibt sich aber daraus, dass der Parteitag in diesem Jahr erstmals Reichsparteitag Großdeutschlands genannt wurde. Es sollte übrigens der letzte sein. Nach dem Krieg wurde Furtwängler auch die Teilnahme an dieser gigantischen Propaganda-Veranstaltung der Nationalsozialisten scharf angelastet.

Kirsten Flagstad - hier als Brünnhilde mit Furtwängler in Mailand - ist die am häufigsten dokumentierte Sängerin der Edition

Kirsten Flagstad – hier als Brünnhilde mit Furtwängler in Mailand – ist die am häufigsten dokumentierte Sängerin der Edition / Foto: OBA

Fünfzehn von insgesamt einundvierzig CDs belegt der Ring des Nibelungen von 1950 aus der Mailänder Scala. Das schafft. Als es noch keine CD gab, kam die erste Veröffentlichung auf Schallplatten einer Sensation gleich. Bis dahin hatte es keinen kompletten Ring als Livemitschnitt auf Tonträgern gegeben. Frühere Dokumente sind erst lange danach an die Öffentlichkeit gelangt. Inzwischen sind mehrere komplette Veröffentlichungen dieses Ringes auf CD zustande gekommen, die mit der Zeit immer besser im Klang wurden. Davon profitiert auch die Edition. Noch einmal versammelte sich die von Furtwängler angeführte Sängergeneration, die bald abtreten würde, um ihr Zeugnis dafür abzulegen, wie Wagner zu singen ist. Bis heute lässt sich – für Künstler wie für schlichte Opernfreunde – daraus Honig ziehen. Die Aufnahme gleicht einem Monument. Ein Jahr später wurden die ersten Bayreuther Festspiele nach dem Krieg abgehalten, die auf dem Grünen Hügel – und nicht nur dort – eine neue Zeitrechnung im musikalischen Umgang mit Wagner einleiteten. Die wenigsten Sänger, die in Mailand dabei waren, schafften es in diese Zukunft. Lorenz sprang nur noch zweimal ein, Treptow nahm seinen Mailänder Siegmund nur für die ersten beiden Bayreuther Jahre mit, danach verlegt er sich auf kleinste Rollen. Einzig der 1899 geborene Ludwig Weber, der als Fafner, Hunding und Hagen an der Scala mit dabei war, sang in Bayreuth bis 1961 in allen Rollen, die Wagner Opern für seinen schweren dunklen Bass hergeben.

Die Edition wirbt damit, „erstmals den Versuch“ zu unternehmen, „alle erhalten gebliebenen Tonaufnahmen der von Furtwängler geleiteten Opernaufführungen in Komplettfassungen oder Ausschnitten zu dokumentieren“. Solches Selbstlob kennt man, es ist erlaubt. Klingeln gehört nun mal zum Geschäft. Stimmen tut es nicht. Als Versuch um Vollständigkeit kann die schöne Sammlung durchaus gelten. Es gibt aber – wie bereits angedeutet – noch etliche Mitschnitte mehr, darunter Don Giovanni, Zauberflöte, Fidelio. Oft mehrfach. Und vielleicht kommt ja irgendwann noch etwas dazu.

Rüdiger Winter

 

Lücken im Repertoire geschlossen

Zwei neue Veröffentlichungen mit Liedern der Spätromantik an der Schwelle zur Moderne – das klingt interessant, vor allem weil die Alben zum Teil Repertoire-Lücken schließen. Um es vorweg zu nehmen, die Freude hält nicht lange an. Der Liedgesang, der nach dem Zweiten Weltkrieg einen wahren Höhenflug erlebte, gehört heute beinahe schon zu den bedrohten, wenn nicht sterbenden Künsten. Macht sich die Krise der Gesangskunst schon in der Oper unüberhörbar bemerkbar, wird sie im bedeutend heikleren und intimeren Liedgesang vollends offenbar.

Marie-Paule Milone nimmt sich auf Solistice des Liedschaffens von Joseph Marx an (SOCD 904). Marx, der über seinen Tod hinaus im übergroßen Schatten von Richard Strauss stand, hinterließ ein reichhaltiges Werk von etwa 150 Klavierliedern. Die Originalität der musikalischen Einfälle bleibt aber deutlich hinter der von Marx‘ Zeitgenossen zurück .Leider ist es der Mezzosopranistin Marie-Paule Milone, die auch als Cellistin auftritt, nicht unbedingt gegeben, den etwas trockenen Stücken Leben einzuhauchen. Idiomatisch durchaus sauber gesungen, lässt die Stimme aber Schönheit des Timbres und akzentuierte Gestaltung vermissen.

CD Lider von den MahlersNicht viel besser gestaltet sich der Versuch von Karen Cargill, Lieder des Ehepaares Alma und Gustav Mahler gegenüberzustellen (Records LC 11615). Die angenehme Überraschung stellen die fünf Kompositionen Alma Mahlers dar. Hier hört man doch sehr viel Eigenständiges, Originelles. Kennt man diese Lieder aber in ihrer instrumentierten Fassung, vermisst man in dieser Aufnahme das Flirren der Streicher, die reicheren Farben des Orchesters. Vieles vom Reiz der Stücke geht so verloren. Das gilt noch viel mehr für die Lieder Gustav Mahlers, die ja alle als Orchesterlieder konzipiert waren. Karen Cargill verfügt über einen leicht klirrenden Mezzosopran, technisch gut geführt, aber mit einer Tendenz zum Schrillen. Dazu kommt noch eine suboptimale Textbehandlung. Liedgesang in einem fremden Idiom ist sehr schwer, was man leider auch hört. Schade!

Peter Sommeregger

Intelligent und karrierebewusst

Meistens tritt das Ehe- und Sängerpaar Daniela Dessì und Fabio Armiliato gemeinsam vor die Öffentlichkeit, wie viele CDs und DVDs bezeugen können. Nun ist ein handliches Büchlein mit dem Titel Appassionata dem Sopran allein gewidmet, und wie so oft in Italien ist der Verfasser Mario Dal Bello zugleich Autor, Fan und Freund, der in einer Reihe von Interviews den Leser Einblicke in den Karriereverlauf, die künstlerischen und privaten Ansichten der Sängerin gewinnen lässt. Schnell gewöhnt sich der Leser an die Häufung von Adjektiven wie sincera, raffinata, sensibele, oft noch mit einem –issima verstärkt, und mag ihnen nach Beendigung der Lektüre nicht einmal widersprechen, denn Daniela Dessì erweist sich bei ihren Aussagen tatsächlich als all das und als intelligente Gestalterin ihrer Karriere noch dazu. So natürlich wie das Landleben in Gussago bei Brescia, das die beiden Genueser zu schätzen scheinen, äußert sich die Künstlerin über ihre Herkunft, Kindheit, Entdeckung der Musik und der eigenen Stimme, die sie bereits als Siebzehnjährige ihren ersten Opernauftritt haben lässt. Aus dem Mezzosopran wird ein Sopran; vom Barock über die neapolitanische Schule, Rossini, Mozart führt der Weg zu Verdi, der künstlerisch gesehen der marito, und Puccini, der l’amante ist. Erst nach 25 Jahren Karriere hat La Dessì ihre erste Norma gesungen, kürzlich Turandot und Santuzza, und Lady Macbeth ist in Vorbereitung.

Treffend weiss der Sopran die unterschiedlichen Arbeitsweisen der berühmten Dirigenten zu charakterisieren, mit denen sie zu tun hatte. Dass sie allerdings Karajan in Ostberlin getroffen haben soll, erscheint recht unwahrscheinlich, anders als der Bericht von dem stundenlangen Musizieren gemeinsam mit dem Maestro. Kürzer geraten die Ausführungen über die Regisseure, und Geheimnisse, wie die die ihr Di Stefano über die Callas anvertraute, werden natürlich nicht gelüftet. Domingo und Pavarotti geben Anlass für nett Anekdotisches.

„Pensare prima di cantare“ bewahrte die Stimme davor, überstrapaziert und in Krisen getrieben zu werden, für fast vergessene Komponisten wie Zandonai wird von der kritisch das Musikleben kommentierenden Sängerin eine Lanze gebrochen. Die Besonderheiten des japanischen Publikums finden ebenso Beachtung wie Ausflüge in´s Cross Over.

Natürlich ist eines der wichtigsten Themen die Ehe mit Fabio Armiliato, auch er bereits einmal verheiratet und mit einem Kind aus erster Ehe. Die Organisation des Familienlebens zweier Sänger, die Frage nach Für und Wider von Liebesszenen auf der Bühne mit fremdem oder vertrautem Partner, all das wird in sympathischer, schlichter und überzeugender Weise diskutiert. Ein ganzes Kapitel ist der Beziehung zu Suora Rosalina gewidmet und ihrer gemeinsamen Arbeit für eine Gruppe suchtgefährdeter Jugendlicher, die Daniela Dessì durch Musik auf den rechten Weg zu bringen versucht.

Der Folge von Interviews schließt sich eine Biographie der Sängerin an. Das Buch wird vervollständigt durch eine so umfangreiche wie sorgfältig gemachte Diskographie und einen Fotoblock mit vielen noch nie veröffentlichten Aufnahmen. Ein ähnliches, jedoch Fabio Armiliato gewidmetes Buch könnte man nur begrüßen.

Ingrid Wanja  

 

Mario Dal Bello: Appassionata – Incontro con il soprano Daniela Dessì, 75 Seiten, Paoline Editore, ISBN 978 88 315 4446 7  

Maurizio Graziani

 

Der italienische Tenor Maurizio Graziani ist im Alter von 60 Jahren in seiner Heimatstadt Macerata am 30. 07.2014 gestorben. Graziani war vor allem als Belcanto-Sänger bekannt, der sich aktiv für die öffentliche Verbreitung des Repertoires einsetzte.  Graziani studierte am Rossini-Konservatorium in Pesaro bei Carlo Bergonzi, Franco Corelli und Rina Filippini. Außerdem nahm er Unterricht bei dem bekannten Opernsänger Mario del Monaco. Während seiner rund 50 Jahre langen aktiven Karriere feierte er auch international große Erfolge. Neben regelmäßigen Auftritten in der Arena di Verona, dem Teatro Grande Brescia und dem Bellini in Catania war er auch in Japan, Australien und den USA zu hören. Bekannt war er außerdem für seine Nebentätigkeit, in der er ein Uhrengeschäft in Macerata führte.

Maurizio Graziani/OBA

Maurizio Graziani/OBA

Dazu auch die sehr persönliche Würdigung von Fernando Pallochini in La Rucola/Notizie de Macerata: L’amicizia con Maurizio Graziani è nata nei lontani anni ’70, quando il sottoscritto faceva l’agente di commercio nel settore dell’orologeria e dell’argenteria e il padre di Maurizio gestiva in viale Trieste, a Macerata, un negozio di articoli da regalo. Fu Maurizio, provetto orologiaio, ad allargare l’attività al settore dei preziosi e dell’orologeria. Era piacevolissimo parlare con lui di tanti argomenti, nacque una amicizia e una stima reciproca che mai si è interrotta, anche se ultimamente i nostri incontri erano divenuti rari. Un giorno, con timidezza, mi disse che stava studiando canto. Era stato contagiato dalla vicinanza dello Sferisterio! Inizialmente lo preparò il Maestro Silvano Pietrosi per poi passare al Conservatorio Rossini di Pesaro seguito dal Maestro Emma Raggi Valentini e all’Accademia Lirica Mozarteum di Salisburgo. E’ stato anche allievo dei Sesto Bruscantini, Gianni Raimondi, Giuseppe Di Stefano, Carlo Bergonzi e Franco Corelli. Non aveva una “vocetta”, come alcuni hanno insinuato, ma dopo averlo ascoltato dal vivo e su registrazioni abbiamo scritto più volte di una voce chiara, limpida, che arrivava agli acuti con facilità: era bravo Maurizio! E il successo gli è arrivato da ogni parte del mondo, con platee amplissime dove riceveva l’applauso corale di 5000 persone e anche presso le ristrette cerchie degli ospiti di regnanti. Ha cantato ovunque (Macerata, Novara, Alessandria, Livorno, Pisa, Ferrara, S. Severo, Cremona, Piacenza, Trapani, Modena, Verona, Catania, Cosenza, Brescia, Palermo, Pavia, Bergamo, Trieste, Sassari, Venezia, Bologna, Firenze, Roma, Torino, Genova, Ravenna, Atene, Helsinki, Londra, Freiburg, Bonn, Buenos Aires, S. Paolo, Brasilia, Tokyo, Kyoto, Osaka, Nara, Sapporo, Nagoya, Palm Beach, Oslo, Baltimora, Avenches, Graz, Vienna, Madrid, Amburgo, Seoul, Dublino, San Gallo, Sofia e Lipsia, solo per citare alcune città), forte di un repertorio assai vasto (“L’Amico Fritz”, “Gianni Schicchi”, “La Traviata”, “Nabucco”, “Rigoletto”, “Tosca”, “Madama Butterfly”, “Macbeth”, “Carmen”, “Cavalleria Rusticana”, “Pagliacci”, “I due Foscari”, “Il Trovatore”, “Il Guarany”, “Manon Lescaut”, “Adriana Lecouvreur”, “La Bohème”, “La Fanciulla del West”, Andrea Chénier”, “Stiffelio”, “Simon Boccanegra”, “Fedora”, “Turandot”, “Un ballo in maschera”, “Luisa Miller”, “La forza del destino”, “I Masnadieri”, “Norma” e nei Requiem di Verdi e Mozart) e sempre nei ruoli da protagonista. Inutilmente abbiamo provato a riportarlo allo Sferisterio, addirittura ci fu chi gli richiese un… provino! Naturalmente rifiutò quella che considerava, giustamente dato che era ben conosciuto da chi lo voleva “provare”, una umiliazione. Un anno arrivammo persino a organizzargli una cena, presenti il Sindaco Meschini e gentile consorte e tanti amici del mondo culturale maceratese, e lo chef Amoroso, che allora gestiva un ristorante in via Roma, inventò per l’occasione un piatto tanto speciale quanto prelibato: gli gnocchetti alla Graziani. Ma non ci fu verso di riportarlo allo Sferisterio. Nonostante ciò è stato presente quando, insieme con alcuni amici della lirica, organizzammo un incontro presso il salone dell’Hotel Claudiani per parlare dello Sferisterio, nel periodo in cui questo era in piena crisi di presenze e di incassi, una serata con interventi di prestigiosi personaggi, ricca di suggerimenti. Alla fine mi si avvicinò, ci abbracciammo e mi disse: “Fernando, è inutile quanto fate, ho sperato ma questa sera pur con la presenza di persone di grande portata, nessuno degli Amministratori cittadini è intervenuto a parlare”. Amava lo Sferisterio, da maceratese e da tenore. Oggi un male improvviso ci ha privato del nostro amico e della sua bella voce. Senza dubbio ci mancherà Maurizio. Fernando Pallocchini

Wie auf dem Blog von Concertodautunno zu lessen ist: Nato a Macerata, inizia giovanissimo i suoi studi musicali con il M° Silvano Pietrosi; successivamente si iscrive al Conservatorio “Gioacchino Rossini” di Pesaro dove inizia lo studio del canto con il M° Sig.ra Emma Raggi Valentini. Inoltre ha frequentato l’Accademia Lirica di Osimo e l’Accademia Lirica Mozarteum di Salisburgo. Ha perfezionato i suoi studi con i maestri: Arrigo Pola, Ettore Campogalliani, Antonio Tonini, Paride Venturi, Sesto Bruscantini, Gianni Raimondi, Giuseppe Di Stefano, Carlo Bergonzi, Franco Corelli. Dal 1989 ad oggi ha cantato nelle città di: Macerata, Novara, Alessandria, Livorno, Pisa, Ferrara, S. Severo, Cremona, Piacenza, Trapani, Modena, Verona, Catania, Cosenza, Brescia, Palermo, Pavia, Bergamo, Trieste, Sassari, Venezia, Bologna, Firenze, Roma, Torino, Genova, Ravenna, Atene, Helsinki, Londra, Freiburg, Bonn, Buenos Aires, S. Paolo, Brasilia, Tokyo, Kyoto, Osaka, Nara, Sapporo, Nagoya, Palm Beach, Oslo, Baltimora, Avenches, Graz, Vienna, Madrid, Amburgo, Seoul, Dublino, San Gallo, Sofia, Lipsia, ecc., nelle opere “L’Amico Fritz”, “Gianni Schicchi”, “La Traviata”, “Nabucco”, “Rigoletto”, “Tosca”, “Madama Butterfly”, “Macbeth”, “Carmen”, “Cavalleria Rusticana”, “Pagliacci”, “I due Foscari”, “Il Trovatore”, “Il Guarany”, “Manon Lescaut”, “Adriana Lecouvreur”, “La Bohème”, “La Fanciulla del West”, Andrea Chénier”, “Stiffelio”, “Simon Boccanegra”, “Fedora”, “Turandot”, “Un ballo in maschera”, “Luisa Miller”, “La forza del destino”, “I Masnadieri”, “Norma” e nei Requiem di Verdi e Mozart. Ha collaborato nelle varie rappresentazioni con i Maestri: Nello Santi, Massimo De Bernart, Maurizio Arena, Angelo Campori, John Neschling, Angelo Cavallaro, Anton Guadagno, Donato Renzetti, Andrea Licata, Viatoslav Sutej, Piergiorgio Moranti. Nel 2004 è stato Calaf nella produzione di Turandot del Teatro Coccia di Novara..

Der Komponist als sein eigener Dichter

Der Dichter-Komponist Peter Cornelius ist heute eigentlich nur noch durch seine heitere Oper Der Barbier von Bagdad bekannt, aber auch diese beginnt von den Spielplänen zu verschwinden. Das umfangreiche Liedschaffen des von Liszt und Wagner beeinflussten Komponisten ist dagegen weitgehend unbekannt. Einzelne Zyklen wurden sogar erst posthum veröffentlicht. Cornelius schrieb sich seine Liedtexte größtenteils selbst und griff nicht auf zeitgenössische Lyrik zurück, dies stellt in jedem Fall eine Besonderheit dieses Oeuvres dar.

1-Lieder Cornelius 4In Co-Produktion mit dem Bayerischen Rundfunk legt Naxos nun das gesamte Liedschaffen Cornelius‘ erstmals auf CD vor. Die Sopranistin Christina Landshamer, der Tenor Markus Schäfer und die Baritone Hans Christoph Begemann und Mathias Hausmann nehmen sich im Wechsel der verschiedenen Liederzyklen an (CD 18.572556 und CD 48.572859). Matthias Veit ist ein durchaus sensibler Begleiter am Klavier. Die teilweise sehr kurzen einzelnen Nummern bestechen einerseits durch einen schlichten, anrührenden Volkston, andererseits macht sich innerhalb der Zyklen auch eine gewisse Gleichförmigkeit bemerkbar, die den Hörgenuss etwas schmälern. Dort, wo der Klavierpart etwas bewegter ausfällt, z.B. in den „Neun Geistlichen Liedern“ werde die einzelnen Stücke schon etwas eigenständiger, prägnanter. Überhaupt scheinen mir die Lieder mit religiöser Thematik im Ganzen gelungener, stärker in Ausdruck und Emotion.

Insgesamt ein sicherlich lohnender Versuch, den Komponisten und sein Liedschaffen der Vergessenheit zu entreissen, aber letztlich doch mehr von dokumentarischem Wert. Ihren Weg in die Konzertprogramme dürften die Lieder dauerhaft wohl nicht finden.

Peter Sommeregger

179 Lieder-Marathon

Immer, wenn ich mich von Strauss erholen muss, greife ich zu Strauss. Zu seinen Liedern. Die Opern kann ich nicht ständig hören, die Orchesterstücke auch nicht. Aber die Lieder schon. Sie sind mir unverzichtbar. Eine ewige Liebe, die nie erkaltet, die sich immer wieder erneuert. Noch fast ein Kind, habe ich die ersten Lieder gehört. Es muss etwas in ihnen sein, was auch junge Ohren aufnehmen können. Strauss ist in seinen Liedern viel zugänglicher, als es zunächst den Anschein hat. Sie sind auf eine unverwechselbare Weise melodiös. Für Brahms oder Schumann habe ich viel länger gebraucht.

Strauss-Festival in Garmisch Partenkirchen: Zum Jubiläumsfestival hat es geklappt: Ministerpräsident Horst Seehofer und Ehefrau Karin wurden von Intendantin Prof. Ks. Brigitte Fassbaender (links) und Erster Bürgermeisterin Dr. Sigrid Meierhofer (re.) in Garmisch-Partenkirchen willkommen geheißen. © Foto: Ilka Trautmann

Strauss-Festival in Garmisch Partenkirchen: Zum Jubiläumsfestival hat es geklappt: Ministerpräsident Horst Seehofer und Ehefrau Karin wurden von Intendantin Prof. Ks. Brigitte Fassbaender (links) und Erster Bürgermeisterin Dr. Sigrid Meierhofer (re.) in Garmisch-Partenkirchen willkommen geheißen.
© Foto: Ilka Trautmann/Keisbote

Strauss hat mehr als zweihundert Lieder komponiert. Auch wenn jetzt die Opernfraktion protestiert, für mich bilden sie das Fundament des ganzen Werkes. Insofern passt es gut, dass zur Feier seines 150. Geburtstages alle seine Lieder mit Klavierbegleitung geschlossen eingespielt wurden, vom ersten bis zum letzten Opus. Die Strauss-Klavierlieder-Edition im Umfang von neun CDs ist beim Label Two Pianists Records erschienen (über Naxos, TP1039312). Es gibt auch andere sehr kompakte Editionen, zum Beispiel von Dietrich Fischer-Dieskau (EMI/Warner) oder Andreas Schmidt (RCA) – von den unzähligen Einzelaufnahmen, auch noch mit Strauss höchst selbst am Klavier, ganz zu schweigen. Irgendein Lied fehlt aber immer. Nun der Anlauf zur Vollständigkeit.

1-CD-Box Alle Klavierlieder StraussDas Liedschaffen lässt sich in mehrere Kategorien einteilen, die reinen Klavierlieder sind die umfänglichste. Davon hat Strauss selbst einige der bekanntesten orchestriert wie „Meinem Kinde“ oder „Morgen“. Wieder andere wie „Traum durch die Dämmerung“ oder „Heimliche Aufforderung“ sind von fremder Hand mit Orchesterbegleitung versehen worden. „Zueignung“ gibt es sogar in zwei Orchesterversionen, einmal von Strauss selbst und dann von Robert Heger, der dieses Handwerk genauso gut beherrschte wie die Dirigierkunst. Die kleinste Gruppe sind die originären Orchesterlieder mit den „Vier letzten Liedern“ im Zentrum. Deren Klavierfassung, die Waltraut Meier und Ljuba Welitsch offiziell eingespielt haben, stammt nicht vom Komponisten. Schließlich hat Strauss selbst fremde Lieder instrumentiert – nämlich Schuberts, „Ganymed“ sowie Beethovens „Ich liebe dich“ und „Wonne der Wehmut“. Sie werden im Werkverzeichnis als eigenständige Stücke aufgeführt. Leider habe ich davon keine Einspielungen ausfindig machen können.

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Die schönsten Impressionen, hier noch einmal Brigitte/Foto Ilka Trautmann/Kreisbote Fassbaender

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Die schönsten Impressionen, hier noch einmal Brigitte Fassbaender /Foto Ilka Trautmann/Kreisbote 

Zurück zur Klavierlieder-Edition. Brigitte Fassbaender, die umtriebige Leiterin der Richard-Strauss-Festivals in Garmisch im Juni 2014, hat gehörig mitgemischt und dem Ganzen ihren künstlerischen Stempel aufgedrückt. Die Melodramen „Enoch Arden“ nach dem Text von Alfred Tennyson – hier in der üblichen deutschen Übersetzung von Adolf Strodtmann – und „Das Schloss am Meere“ auf ein Gedicht von Johann Ludwig Uhland hat sie für sich selbst reserviert. Die Fassbaender bringt mit ihrem gut gestützten Mezzo für die Sprechrollen gute Voraussetzungen mit. Eine gewisse Monotonie liegt in den Werken selbst begründet, nicht in der Interpretation. Sie stört aber nicht. Der monströse „Enoch Arden“ passt mal gerade auf eine CD. In Garmisch, wo Strauss viele Jahre seines Lebens zubrachte und starb, wurde aufgenommen. Akustisch ist nicht alles geglückt, weil von idealen Studiobedingungen nicht die Rede sein kann. Elan und Begeisterung zeichnen das Unternehmen aus, nicht akustische Akkuratesse. Nur einen Monat hat es gedauert, bis alles im Kasten war. Nicht selten wurden zwölf Stunden hintereinander gearbeitet. Diese Besessenheit ist auch zu spüren in einer gewissen musikalischen Hatz. Für die Arbeit an Details, die für Strauss-Lieder eigentlich unabdingbar ist, fehlte oft die Zeit. Routine aber klingt anders.

Brigitte Fassbaender hat das Liederprojekt auf den Weg gebracht. das Foto stammt aus der Box.

Brigitte Fassbaender hat das Liederprojekt auf den Weg gebracht. – Das Foto von Marc Gilsdorf stammt aus der Box.

Alle Sänger werfen sich mit einer unglaublichen Hingabe auf ihre Aufgaben. Nicht, dass drauflos gesungen würde. Das nicht. Mich hat die Unbefangenheit und Frische beeindruckt, mit der manches Lied, das man tausendmal gehört hat, plötzlich herüber kommt. Das ist die große Stärke dieser Edition. Ich habe mir den Selbstversuch erspart, möchte aber darauf wetten, dass man locker alle 179 Lieder hintereinander hören könnte und anschließend Strauss immer noch lieben würde. Das würde in etwas neun Stunden dauern. Zur Wahrheit gehört, dass es von vielen Titeln eindeutig bessere Aufnahmen gibt – so es sie überhaupt gibt. Beim Hören musste ich aber nicht einen Moment lang an die Schwarzkopf, die Güden, die Della Casa, an Fischer-Dieskau, Fritz Wunderlich oder Peter Anders denken, die allesamt die vielleicht exemplarischsten Einspielungen hinterlassen haben. Diese Edition gewinnt durch ihre Jugend und ihren Charme. Meist sind die Gesangsleistungen noch mehr Versprechen als Meisterschaft. Und das sind die Mitwirkenden: Anja-Nina Bahrmann, Juliane Banse, Christiane Libor (Sopran) Michelle Breedt, Anke Vondung (Mezzo-Sopran), Jeongkon Choi, Christian Elsner, Brenden Gunnell, Lucian Krasznec, Martin Mitterrutzner (Tenor), Markus Eiche, Manuel Walser (Bariton) Andreas Mattersberger (Bass). In die Begleitung teilen sich Christoph Berner, Burkhard Kehring, Malcolm Martineau, Wolfram Rieger und Nina Schumann. Christoph Eß (Horn-Solo), Yamei Yu (Violin-Solo). Alle sind auch abgebildet, oft im Ambiete der mit Kunstgegenständen vollgestopften Garmischer Villa, bis auf Eduard Schönach, der das kurze Trompeten-Solo am Ende der „Heiligen drei Könige aus dem Morgenland“ bläst. Die Entscheidung für diese Fassung ist genau so lobenswert wie der Einsatz des Horns (Christoph Eß) im Lied „Alphorn“ und der Violine (Yamei Yu) in „Stiller Gesang“. So gehört sich das.

1-Strauss - CD einzeln

Jede einzelne CD ist mit einem anderen Porträt des Komponisten versehen.

Am Beginn steht das „Weihnachtslied“, das Strauss mit sechs Jahren komponierte, am Schluss „Malven“, entstanden im Jahr vor seinem Tod, „mit unerwarteten harmonischen Wendungen und Härten sowie einem klanglich spärlichen Satz“, wie die Musikpublizistin Elisabeth Schmierer im Strauss-Handbuch, das hier bereits besprochen wurde, hervorhebt. Strauss schenkte das Lied der verehrten Maria Jeritza, die es unter Verschluss hielt. Erst nach ihrem Tod wurde es 1985 von Kiri Te Kanawa in New York uraufgeführt und inzwischen auch mehrfach eingespielt. Bei den diesjährigen Osterfestspielen in Salzburg sang Anja Harteros eine von Wolfgang Rihm hergestellt Orchesterfassung, eingefügt in die „Vier letzten Lieder“. Nun ja. Diese Bearbeitung betonte zwar den erstaunlich progressiven Ansatz des alten Strauss, bricht damit aber aus der himmlischen Geschlossenheit des berühmten Zyklus aus. Für ein Festival war das eine gute Idee. Für den Alltag wohl ehr nicht praktikabel. In der Edition singt Juliane Banse „Malven“ leider nicht sehr verständlich. Da fällt es nicht auf, dass der Text von der Schweizer Dichterin Betty Knobel stammt und nicht von Goethe, wie es irrtümlich in der Trackliste heißt. Ein kleiner Tippfehler, der die Qualität des umfangreichen Textapparates, der auch eine Tabelle der Werke nach dem Jahr ihres Entstehens, alle Liedtexte, ein Grußwort der Fassbaender und Biographien der Mitwirkenden enthält, nicht schmälert. Nicht gespart wurde bei eindrucksvollen Fotos von Strauss in unterschiedlichsten Lebenslagen.

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Konzert  mit Juliane Banse und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Prag, das unter der Leitung von Tomas Brauner /Foto Ilka Trautmann/Keisbote

Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen: Konzert mit Juliane Banse und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Prag unter der Leitung von Tomas Brauner /Foto Ilka Trautmann/Keisbote

„Richard Strauss: Ein Leben in Liedern“ nennt Jürgen May seinen aufschlussreichen Begleittext, der schon mehr ein Essay ist. Es zeichnet ihn wie die ganze Sammlung aus, dass kein Bogen um dunkle Seiten im Liedschaffen von Strauss gemacht wird. Hier gilt‘s der Vollständigkeit! Gemeint sind die Titel, mit denen sich der Komponist den braunen Machthabern empfahl. Dazu zählt bespielweise das Lied „Das Bächlein“. Damit stattete Strauss im November 1933 bei Propagandaminister Goebbels seinen Dank für die Ernennung zum Präsidenten der Reichsmusikkammer „verehrungsvoll“ ab. Rätselhaft ist, warum Strauss die Vorlage als Gedicht von Goethe ausgibt. Irrtum? Oder Kunstgriff, um das tatsächlich von Charlotte Oth stammende Gedicht in seiner Wirkung auf den Adressaten etwas aufzuwerten? Bei Strauss weiß man das nie so genau. Immerhin träumt das Bächlein in dem schlichten Text davon, dass jener, der es „gerufen aus dem Stein“, werde „mein Führer“ sein. Musikalisch sind Motive aus Schuberts „Schöner Müllerin“ verarbeitet, die auch Goebbels geschätzt haben soll. May vertritt die Auffassung, dass sich derlei Lieder – neben dem „Bächlein“ gehören noch „Sankt Michael“ und „Blick vom oberen Belvedere“ nach Gedichten des nationalsozialistischen Dichters Josef Weinheber dazu, dem Strauss in Wien begegnete, – „von der Gestaltung heutiger Konzertprogramme und Einspielungen disqualifizieren, sofern nicht ein „dokumentarischer Kontext“ gegeben sei.

1-CD-Box Andreas Schmidt StraussDer Bariton Andreas Schmidt, der 153 Lieder von Strauss eingespielt hat mit Rudolf Jansen am Klavier, ließ die strittigen Titel nicht weg („The complete Lieder with Piano“). Sie sind in ihrer Problematik auch nicht explizit ausgewiesen. Jedenfalls gibt es in der nun wieder aufgelegten Sony/RCA-Box von 1999 mit seinen Aufnahmen keinen entsprechenden Kommentar. Sie werden als gegeben hingenommen, dem Werk zugehörig, wie das schon Elisabeth Schwarzkopf und George Szell bei der Einspielung der attraktiveren Orchesterfassung 1969 in London für die EMI handhabten. Der praktische Strauss hatte das 1933 als Klavierfassung komponierte „Bächlein“ zwei Jahre später orchestriert und nunmehr der Sängerin Viorica Ursuleac als Zeichen seiner „wärmsten Dankbarkeit für Marschallin, Kaiserin, Chrysothemis und Arabella“ zukommen lassen. Edita Gruberova singt es in der Sammlung aller Orchesterlieder beim Label Nightingale Classics (NC 000072-2), eingespielt zwischen 1998 und 1999. Im Booklet wird der „unangenehme Beigeschmack“ des Liedes diesmal sehr wohl vermerkt. Als ich es vor vielen Jahren zum ersten Mal hörte, kannte ich die Hintergründe nicht. Meine Unbildung gab mir die Unschuld, mit der ich das Lied fröhlich aufnahm. Mir scheint, dass sich Werke auch aus dem Kontext ihres Entstehens lösen können, wenn sie gut genug sind. Das „Bächlein“ halte ich trotz alledem für ein Meisterwerk.

1-CD - Schwarzkopf Lieder Strauss

Elisabeth Schwarzkopf ist auf dieser CD auch mit dem umstrittenen Lied „Das Bächlein“ zu hören.

Zurück zu Schmidt. Seine Aufnahmen entstanden zwischen 1993 und 1998 für Sony Music im Studio des Senders Freies Berlin. Eine gesammelte Neuauflage gibt es bei RCA (88843015182), erweitert um eine CD mit Frauen-Liedern, die ein Wiederhören mit Juliane Banse bringen. Nicht nur vom Umfang her ist diese Edition für mich maßstäblich. Sie ist auch künstlerisch höchst interessant. Ihr stärkster Eindruck ist die Geschlossenheit der Interpretation. In diesem Falle erweist es sich als Vorteil, dass ein und derselbe Sänger innerhalb weniger Jahren ein Dreiviertel aller Lieder des Komponisten eingespielt hat. Das hätte auch schief gehen können, weil in dieser Konzentration Potenzial an Einförmigkeit und Langerweile lauert. Nicht so bei Schmidt. Er holt aus jedem einzelnen Titel das Höchstmaß an Poesie heraus. Ein schwieriges Unterfangen ist das, denn nicht alle Vorlagen stammen von Goethe und Heine. Nicht immer war Strauss bei der Auswahl seiner Texte wählerisch. Er konnte auch drittklassiger Lyrik etwas abgewinnen – und genau das findet der Sänger heraus.

Der Strauss-Sänger Andreas Schmidt/Foto swex.de

Der Strauss-Sänger Andreas Schmidt/Foto swex.de

Schmidt klingt meist sanft. Obwohl er die Lieder hörbar sehr gut studiert hat, bleibt immer der Eindruck, als taste er sich gemeinsam mit seinem Publikum erst heran. Er nimmt die Zuhörer mit und setzt ihnen kein musikalisches Fertiggericht vor. Schmidt kommt von der evangelischen Kirchenmusik her und hat auch bei Dietrich Fischer-Dieskau studiert. Das hört man auch. Eine bessere Basis lässt sich kaum denken. Doch im Gegensatz zu seinem Meister, dessen Vortragsstil mit zunehmenden Alter etwas apodiktisch wurde, singt Schmidt – wenn der sprachliche Vergleich denn erlaubt ist – ergebnisoffen. Es könnte immer alles auch noch ganz anders sein. – Das Foto oben ist ein Ausschnitt des Titelbildes der CD-Box mit Andreas Schmidt bei RCA.

Rüdiger Winter

 

Tiefer Griff in die Archive

Früher war alles besser! Wirklich? Drei Wiederveröffentlichungen aus dem historischen Bereich geben Anlass, sich auch einmal kritisch mit der guten (noch gar nicht so) alten Zeit auseinanderzusetzen. Da ist zum einen Rossinis L’Italiana in Algeri (Urania Records WS 121.235) aus dem Jahr 1963, ursprünglich bei der Decca erschienen. Auf den ersten Blick ist hier geradezu ein Traumensemble versammelt. Teresa Berganza, Luigi Alva, Fernando Corena, Rolando Panerai. Das ist wahrlich schwer zu toppen, speziell wenn der immer etwas unterbewertete Silvio Varviso am Pult steht.

Inzwischen ist ein halbes Jahrhundert vergangen, es hat eine immer noch anhaltende Rossini-Renaissance gegeben, die Festivals von Pesaro und Wildbad haben für den Komponisten neue Standards geschaffen. Ohne jetzt Namen nennen zu wollen, gibt es heute doch wieder den Typus von Rossini-Tenor und Koloratur-Mezzo, wie er wohl ursprünglich von Rossini gedacht war und ganz anderes mit seiner Stimme anstellen kann, wie die bei aller Kultiviertheit vergleichsweise eindimensionale Teresa Berganza. Auch der elegante Luigi Alva ist bei Mozart sehr viel besser aufgehoben. Am ehesten trifft noch Varviso mit dem Orchestra de Maggio Musicale Fiorentino den passenden Ton, das richtige Tempo.

1-Francesca das RiminiNoch weiter zurück in die Archive führt die Begegnung mit einer über sechzig (!) Jahre alten RAI-Aufnahme von Zandonais veristischem Reißer Francesca da Rimini (Urania Records WS 121.192). Nördlich der Alpen begegnet man diesem Werk höchst selten, kürzlich hat es aber sogar die Met in New York wieder aufgeführt. Die Oper gehört bestimmt nicht zu den großen Würfen ihrer Zeit, bietet aber den drei Protagonisten dankbare, spektakuläre Rollen. Immer vorausgesetzt, die Sänger sind ihren Partien gewachsen. Vom Volumen her haben da weder Maria Caniglia, Giacinto Prandelli und Carlo Tagliabue Schwierigkeiten damit. Die 1951 unter Antonio Guarnieri entstandene Einspielung kommt aber für alle etwas zu spät. Speziell Maria Caniglia, für mich der Inbegriff einer Verismo-Diva, hatte ihre große Zeit in den Dreißiger-Jahren, hier klingt sie teilweise peinigend scharf, auch fehlt es ihr an der notwendigen Durchschlagskraft. Nicht viel besser ergeht es ihren Partnern, diese Besetzung war auch 1951 schon von gestern.

1-FerrierEtwas anders liegen die Dinge bei einer Brahms, Mahler und Gluck gewidmeten CD Kathleen Ferriers (Praga Digitals PD /PSD 350 109). Unglaublich, dass diese Sängerin heute schon über hundert Jahre alt wäre, leider auch schon über sechzig Jahre tot ist. Auch diese Wiederveröffentlichung bekannter Aufnahmen ist wohl den Jubiläen geschuldet. Nach wie vor kann man sich an dem Schöngesang und unverwechselbarem Timbre der Künstlerin nicht satt hören. Wahrhaftig eine Jahrhundertstimme, sofort zu erkennen, und bis heute unerreicht. Bei der Brahms’schen „Alt-Rhapsodie“ begegnet man etwas überrascht Clemens Krauss am Pult, die Mahlerschen Kindertotenlieder dirigiert Bruno Walter, beides Sternstunden der Schallplattengeschichte. Zudem ist die Klangrestaurierung hervorragend, dem Standard der Decca-Box eindeutig überlegen. Ein kleiner Wermutstropfen: das Booklet ist zwar erstaunlich umfangreich, in Teilen aber fehlerhaft, so findet man z.B. bei den Liedtexten auch solche, die auf der CD gar nicht gesungen werden. Sei’s drum!

Peter Sommeregger