Zwei neue Veröffentlichungen mit Liedern der Spätromantik an der Schwelle zur Moderne – das klingt interessant, vor allem weil die Alben zum Teil Repertoire-Lücken schließen. Um es vorweg zu nehmen, die Freude hält nicht lange an. Der Liedgesang, der nach dem Zweiten Weltkrieg einen wahren Höhenflug erlebte, gehört heute beinahe schon zu den bedrohten, wenn nicht sterbenden Künsten. Macht sich die Krise der Gesangskunst schon in der Oper unüberhörbar bemerkbar, wird sie im bedeutend heikleren und intimeren Liedgesang vollends offenbar.
Marie-Paule Milone nimmt sich auf Solistice des Liedschaffens von Joseph Marx an (SOCD 904). Marx, der über seinen Tod hinaus im übergroßen Schatten von Richard Strauss stand, hinterließ ein reichhaltiges Werk von etwa 150 Klavierliedern. Die Originalität der musikalischen Einfälle bleibt aber deutlich hinter der von Marx‘ Zeitgenossen zurück .Leider ist es der Mezzosopranistin Marie-Paule Milone, die auch als Cellistin auftritt, nicht unbedingt gegeben, den etwas trockenen Stücken Leben einzuhauchen. Idiomatisch durchaus sauber gesungen, lässt die Stimme aber Schönheit des Timbres und akzentuierte Gestaltung vermissen.
Nicht viel besser gestaltet sich der Versuch von Karen Cargill, Lieder des Ehepaares Alma und Gustav Mahler gegenüberzustellen (Records LC 11615). Die angenehme Überraschung stellen die fünf Kompositionen Alma Mahlers dar. Hier hört man doch sehr viel Eigenständiges, Originelles. Kennt man diese Lieder aber in ihrer instrumentierten Fassung, vermisst man in dieser Aufnahme das Flirren der Streicher, die reicheren Farben des Orchesters. Vieles vom Reiz der Stücke geht so verloren. Das gilt noch viel mehr für die Lieder Gustav Mahlers, die ja alle als Orchesterlieder konzipiert waren. Karen Cargill verfügt über einen leicht klirrenden Mezzosopran, technisch gut geführt, aber mit einer Tendenz zum Schrillen. Dazu kommt noch eine suboptimale Textbehandlung. Liedgesang in einem fremden Idiom ist sehr schwer, was man leider auch hört. Schade!
Peter Sommeregger