Archiv für den Monat: August 2017

Lotfi Mansouri

 

Der bedeutende Regisseur und Entrepreneur Lotfi Mansouri starb am 30. August 2013 in San Francisco. Lotfallah „Lotfi“ Mansouri (* 15. Juni 1929 in Teheran), war ein US-amerikanischer Operndirektor und -regisseur iranischer Herkunft.

Auf Wunsch seines Vaters ging Mansouri an die University of California, Los Angeles (UCLA), um Medizin zu studieren, wurde aber auf Grund seiner Begabung als Sänger bald von Irving Beckman, dem Leiter des Opern-Workshops der Universität entdeckt. Er trat als Statist in einer Inszenierung der Oper Otello der San Francisco Opera auf und erhielt auf Grund seiner äußerlichen Ähnlichkeit mit dem Sänger 1956 die Titelrolle in dem Film The Day I met Caruso.

Joan Sutherland und Lotfi Mansouri hinter der Bühne von „The merry Widow“ 1980 in San Francisco/ Parlando-The-COC

Kurze Zeit später erhielt er eine Einladung des Los Angeles City College, die Aufführung von Mozarts Così fan tutte zu leiten und wurde auf Grund dessen Assistent Professor an der UCLA. Er erhielt ein Stipendium für eine Ausbildung bei Lotte Lehmann an der Music Academy of the West in Santa Barbara und wurde dort 1959 Assistent von Herbert Graf.

Als Graf 1960 als künstlerischer Direktor an die Zürcher Oper verpflichtet wurde, lud er Mansouri, der in diesem Jahr die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt, ein, ihn als Regisseur zu begleiten. Im ersten Jahr in Zürich leitete er vier große Produktionen: die europäische Erstaufführung der Oper Amahl and the Night Visitors von Gian Carlo Menotti sowie die Verdi-Oper La traviata, Don Pasquale von Donizetti und Samson et Dalila von Saint-Saëns. Von 1965 bis 1976 war Mansouri Regisseur an der Oper von Genf.

Während seines Aufenthaltes in der Schweiz leitete er als Gast auch Aufführungen in Italien (u.a. an der Scala) und den USA (u.a. an der Metropolitan Opera und der Santa Fé Opera). 1971 erhielt er den Auftrag des iranischen Kultusministers, das Opernhaus von Teheran aufzubauen, dessen Bühnenproduktionen er bis 1975 leitete.

1976 wurde Mansouri Generaldirektor der Canadian Opera Company in Toronto, die er zwölf Jahre lang leitete. In der Zeit entstanden mehr als dreißig neue Opernproduktionen, darunter zwölf kanadische Erstaufführungen. Zu nennen sind Bergs Lulu und Wozzeck, Brittens Death in Venice, Wagners Meistersinger von Nürnberg und Thomas‘ Hamlet. 1983 führte er die Einblendung der englischen Übersetzung fremdsprachiger Operntexte während der Aufführung ein, ein Verfahren, das bald weite Verbreitung in Nordamerika fand.

Von 1988 bis 2001 war Mansouri Generaldirektor der San Francisco Opera. Hier entstanden u.a. Aufführungen von John Adams‘ The Death of Klinghoffer (1992), Conrad Susas Dangerous Liaisons (1994), Stewart Wallaces Harvey Milk (1996), André Previns A Streetcar Named Desire (1998) und Jake Heggies Dead Man Walking (2000). In Zusammenarbeit mit der Kirow-Oper wurden Prokofjews Krieg und Frieden, Mussorgskis Boris Godunow, Glinkas Ruslan und Ljudmila, Tschaikowskis Eugen Onegin u.a. aufgeführt. 2005 ehrte ihn die San Francisco Opera mit einem Galakonzert und er erhielt die San Francisco Opera Medal. (Quelle Wikipedia, mit Dank! Foto oben: Lofti Mansouri/ Free Social Encyclopedia for the World/ alchetron)

Audrey & John and Fritz

 

„Es war einmal…“, so beginnen Märchen. Und ein Märchen geschah in den sanften, wogenden Hügeln der englischen Sussex Downs, als der reiche Entrepreneur und Großgrundbesitzer John Christie für seine junge Frau ein Theater mitten im Grünen baute. Er war theaterbesessen und hatte bereits 1930 auf dem geerbten Grund des Herrenhauses von Glyndebourne nahe Lewes Opernaufführungen installiert: The Abduction from the Serail und die mitwirkende  Blonde alias Audrey Mildmay kennen und  lieben gelernt. Im Jahr darauf heirateten sie, und bereits 1931 wurde mit dem Bau eines kleinen Theaters begonnen, dessen Dimensionen und Repertoireauswahl den 02begrenzten stimmlichen Mitteln seiner jungen hübschen Frau angepasst wurden.

Im Folgenden also eine Märchengeschichte mit Folgen bis heute und anschließend ein umfangreicher Artikel von Jürgen Schaarwächter aus dem Booklet der Warner-Edition „Mozart – Fritz Busch in Glyndebourne“ mit freundlicher Genehmigung aller Beteiligter (s. nachstehend).

 

Szenenausschnitt aus der Glyndebourner Idomeneo-Produktion 1951/ vom Cover der LP-Ausgabe bei World Record Club 1979/ EMI/ Foto von Angus McBean, dem jahrzehntelangen „Hausfotografen“ Glyndebournes.

So bizarr es klingen mag – der 2. Weltkrieg kam John  Christie zu Hilfe bei dem Engagement herausragender Künstler, sowohl Sänger wie Dirigent und künstlerisches Personal. Nazi-Deutschland hatte da schon zahllose Theaterschaffende vertrieben, so den berühmten Dresdner Dirigenten Fritz Busch (1890 – 1952) sogar nach Buenos Aires, wo er Chef des Colón wurde, nachdem Kollegen wie Karl Böhm und andere mit den Nazis gemeinsame Sache machten und ihn denunzierten. Busch wurde die treibende künstlerische Kraft in Glyndebourne bis zu seinem Tod 1952 und blieb dem Hause bis dahin treu. Andere, wie Jani Strasser oder der Regisseur Carl Ebert (1887–1980), waren ebenfalls Emigrées und fanden in Glyndebourne bei Audrey & John ein willkommenes Zuhause, eine künstlerische Heimstatt auf hohem Niveau.

Warner hat nun in einer bemerkenswerten 9-CD-Box Fritz Buschs Mozart-Dokumente aus Glyndebourne versammelt. Man kennt die drei Gesamtaufnahmen, aber die angehängten zwei Querschnitte sind zumindest für Deutschland neu (Cosi fan tutte kam zuletzt bei Testament genial überspielt heraus). Die auf diesen fünf Aufnahmen versammelten Künstlernamen weisen so bedeutende Sänger wie Louise Helletsgruber, Irene Eisinger, Koloman von Pataky auf – auch sie auf der Flucht aus Wien und den anderen Opernzentren Europas. Audrey Mildmay fütterte sie durch und schenkte pausenlos Tee bei den Proben aus (wie berichtet wurde), sorgte sich um die Ihren und war eine bezaubernde Gastgeberin. Aus der freien Welt kamen die charismatische Ina Souez aus Amerika sowie Aulikki Rautawaara aus Finnland, beide wunderbare Sopranistinnen. Bizarr ist die Verpflichtung von Willi Domgraf-Fassbaender (1897 – 1978; laut Wikipedia NSDAP-Mitglied und strammer Nazi – ein verwirrendes Engagement in dem bis in die Achtziger hinein deutsch-aversen Glyndebourne-Betrieb; über 80 Jahre Glyndebourne berichteten wir in operalounge.de 2016).

„Busch at Glyndebourne“ bei Warner – Audrey Mildmay und John Christie, Glyndebourne Archive

Christie (1899 – 1953) liebte seine Frau und Mozart, schon wegen der stimmlichen Möglichkeiten für sie. Busch liebte ebenfalls Mozart und hatte neben Verdi reichlich Mozart in Dresden vor dem Krieg dirigiert. Carl Ebert (als Ersatz für den dankenden Max Reinhardt) war mit dabei, als die erste Premiere im neuen Haus über die Bühne ging: Le Nozze di Figaro, bemerkenswerter Weise für die Zeit in Italienisch (sort of, wenn man den Anglo-Anteil hört), aber 1934/5 ohne Rezitative eingespielt – eine Praxis, die sich ja bis zu Karajans Figaro 1949 gehalten hat. Man traute den Hörern die „langen“ Buffa-Rezitative dieses damals wenig bekannten Werkes zumal auf den teuren Schellacks nicht zu. Parallel dazu wurde 1935 Cosi fan tutte gespielt und aufgenommen, 1936 folgte Don Giovanni.  Auch diese beiden Opern waren kein Standardrepertoire und zeigen die innovative Kraft der Glyndebourne-Macher, die diese drei Opern in ganz kurzer Zeit in Sussex auf die Bühne brachten. Und es erscheint uns heute als ein Wunder, dass Glyndebourne auch noch eine Firma (Parlophone, später Columbia/ EMI) fand, die diese drei Gesamtaufnahmen auf unzähligen Schellacks zu produzieren wagte, die ersten ihrer Spezies (die in der Folge bei ebenso vielen Firmen bis heute herauskamen, zuletzt bei Naxos). Mozart wurde damals nicht viel gespielt und wenn dann verschnitten und natürlich in Englisch. Noch nach dem Krieg gab es den Tristan in Italienisch in Covent Garden (wo Thomas Beecham Mozart vorantrieb und Maggie Teyte mit dünner Stimme darin mitwirkte). Bemerkenswert also, dass Glyndebourne in so kurzer Zeit zum Zentrum des italienischen Mozart in England und später in Europa wurde.

Buschs musikalische Wirkung ist für die Zeit unglaublich modern, agogisch, mit Drive und Schwung. Hört man diese Vorkriegsopern heute, mag man nicht an ihr historisches Entstehungsdatum glauben. Er holte die besten Musiker aus London und aus den Flüchtlingslagern, trimmte den heute berühmten Chor (Jani Strasser) zu Höchstleistungen und achtete auf ein überzeugendes Interplay der singenden Akteure. Die Dokumente profitieren von Eberts Regie, den man auf dem bezaubernden Film „On such a night“ bei den Proben beobachten kann. Regie- und Musiktheater vom Feinsten also.

„Busch at Glyndebourne“ bei Warner – bemerkenswerte Ina Souz auf ihrer einzigen LP/ OBA

Die Besetzungen sind noch heute beispielhaft. Ina Souez (1903 – 1992; Fiordiligi und Donna Anna) kam aus Amerika. Sie hat eine bemerkenswerte Stimme, voller Feuer und Sinn für´s Drama. Es gibt eine LP mit Arien von ihr, wo sie auf dem Cover vor ihrem recht freizügigen Porträt als Norma posiert – eine bemerkenswerte Frau in der Tat, die für ihre Auftritte in Glyndebourne aus Covent Garden (Micaela) los geeist werden musste. Louise Helletsgruber kam aus Wien (1901 – 1967/ Donna Elvira/ Dorabella) und vereint die besten Eigenschaften der Wiener Mozartschule mit cremigem Gesang und schönem Affekt. Willi Domgraf-Fassbaender ist sein bekanntes Selbst. Audrey Mildmay (1900 – 1950) bleibt eine idiomatische (!) wenngleich dünnstimmige Susanna (pace Mrs. Christie, aber Ihre scones waren vielleicht besser). Aulikki Rautawaara (1906 – 1990/ Contessa) zeigt ebenfalls einen gutgeschulten, pastosen Mozart-Sopran. Der vor allem in GB gefeierte Tenor Heddle Nash (1894 – 1961) ist sich für den Don Basilio nicht zu schade und gibt einen gepflegten Ferrando, an dessen Seite Domgraf-Fassbaender großformatig-präsente Figur macht. Der kanadische John Brownlee (1900 – 1964) singt den Conte/ Alfonso und blieb in London und New York ein gefeierter Star. Und schließlich ist Irene Eisinger (1903 – 1994) eine zuverlässige Despina im Vorkriegssoubretten-Modus.  Für mich sind es die Damen, die hier in allen drei Opern das Rennen machen.

 

Busch at Glyndebourne Warner – „Le Nozze di Figaro“ 1934/ Szene/Glyndebourne Archive

Nach diesen drei  Mozart-Gesamaufnahmen war kein Geld mehr da für weitere. Das Projekt Idomeneo blieb liegen. Und es kam der Krieg, der mit seinen deutschen Bomben auch England erschütterte. Glyndebournes Spielbetrieb ruhte, das Theater und das Herrenhaus wurden zum Krankenhaus und Erholungsheim für verwundete Soldaten. Erst 1950 kam das Festival wieder auf die Beine. Christies, Busch und Ebert waren zur Stelle. Und es gab dann wieder Mozart pur, mit jungen, vielversprechenden Sängern aus Großbritanien, Wien, Europa. Glyndebourne nahm wieder Fahrt auf, als Festival mit Konzerten bei den Londoner Proms und gastweise beim Edinburgh Festival, mit neuen Produktionen.  Cosi fan tutte und Idomeneo sind als Querschnitte von 1950/ 51 aus diesen Nachkriegsjahren erhalten. Und mit was für glorioser Besetzung. Die ganz junge Sena Jurinac, Erich Kunz, Blanche Thebohm, der britische Alround-Tenor Richard Lewis (Geschmackssache, aber sehr beliebt), Mario Borelli, der junge aufstrebende Alexander Young (der sich zu einem Tenorstar entwickelte) und manche mehr. Birgit Nilsson wurde ausgebootet – sie wollte zu viel Geld. Der spätere Met-Intendant Rudolf Bing war Opern-Manager. Wieder dirigiert Fritz Busch, und auch das bekannt prachtvoll.

Da ist sie – die wunderbare Sena Jurinac als Contessa 1955 in Glyndebourne/Szene aus dem Film „On such a night“/ Glyndebourne Shop

Zudem erlebt einer dieser beiden Querschnitte, Idomeneo,  seine CD-Premiere. Es gab beide nach der Columbia-Erstausgabe in den späten Siebzigern nur als LPs in der begehrten EMI-Billigserie World Record Club mit Szenenfotos vorne drauf – wunderbar. Così fan tutte fand den Weg zu Testament. Idomeneo erscheint nun zum ersten Mal als CD. Beide sind eine mehr als willkommene Bonusgabe der Warner Classics, die mit dieser fabelhaft restaurierten Mozart-Edition Fritz Busch und Glyndebourne ein Denkmal setzen. Dank aber vor allem an Audrey & John Christie für ihr gelebtes Märchen, dem wir diese inspirierten  und inspirierenden Aufnahmen verdanken. Geerd Heinsen

 

Mozart – Fritz Busch at Glyndebourne; Warner Classics 8 CD, dreisprachige Beilage verschiedener Autoren; 0190295801748.. Und als PS.: Erinnert werden soll auch an die beiden Live-Mitschnitte der Londoner Glyndebourne-Konzerte 1950/51, Cosi fan tutte und Idomeneo, beide  also komplett von Busch dirigiert und weitgehend mit der LP-Besetzung der Querschnitte, also wieder Sena Jurinac, Richard Lewis und andere, aber diesmal – ohne Rücksichten auf bestehende Platten-Verträge – mit Leópold Simoneau, Birgit Nilsson (jaja), Alfred Poell und anderen mehr. Diese beiden also bei Immortal Recordings mit Hilfe des BrüderBuschArchivs in wirklich sehr passablem Klang und englisch-sprachiger Ausstattung. Unbedingt als Zusatz empfehlenswert und in operalounge.de oft besprochen, auch der Film von 1955, „On such a night“, über den operalounge.de mehrfach berichtete. G. H.

 

 

Glyndebourne: Pausenfreuden auf grünen Wienen/Glyndebourne Archive

Und nun der Artikel von Jürgen Schaarwächter vom BrüderBusch Archiv im Max-Reger-Institut, Karlsruhe: Das „englische Salzburg“: Fritz Busch und Mozart in Glyndebourne (aus dem Beilageheft zur neuen Warner-Edition). Eine Begegnung mit weitreichenden Folgen: 1930 produzierte John Christie auf seinem Anwesen Glyndebourne Die Entführung aus dem Serail, und schon im folgenden Jahr heiratete er die Blonde der Inszenierung, die kanadische Sopranistin Audrey Mildmay. Schon im Januar 1932 wurde mit dem Bau eines Opernhauses begonnen, dessen musikalische Ausrichtung einerseits auf die Interessen und Fähig­keiten der Hausherrin ausgerichtet, ansonsten aber als durchaus ambitioniert zu bezeichnen war. Nicht zuletzt weil der deutsche Dirigent Fritz Busch im Rah­men der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ seinen Posten als Generalmusikdirektor der Dresd­ner Staatsoper verloren hatte, konnte das folgende Schreiben der Agentin Frances Dakyns von November 1933 auf fruchtbaren Boden fallen: „Dear Fritz, There is a Mr. John Christie, who has built an Opera House (stage ungefähr wie Residenz Theatre in München) in the country at his house (in Sussex) GLYNDEBOURNE near Lewes. He has viel Geld und eine hübsche Frau – eine Sängerin – Zerlina. He is a good business man and thinks he can make good opera pay in England.“  Büschs Interesse war geweckt, in den folgenden Wo­chen konkretisierten sich seine Vorstellungen stetig. Doch erst als klar wurde, dass sich seine Verpflichtun­gen in Buenos Aires wegen finanzieller Schwierigkei­ten der dortigen Oper drastisch verkürzen würden, konnte er fest zusagen. Nun war es allerhöchste Zeit, Musiker für das Festival zu engagieren, der designier­te Generalmanager Rudolf Bing (Glyndebourne bis zu seinem Wechsel an die Metropolitan Opera 1949 verbunden) konnte nahezu täglich Rapport geben. Dem musikalischen Team gehörten neben Busch Jani Strasser, Hans Oppenheim und Alberto Erede an.

 

Glyndebourne: Das künstlerische Vor- und Nachkriegs-Garantie-Duo – Carl Ebert und Fritz Busch/GOF

Anfang Februar wurde klar, dass man Max Reinhardt nicht als Regisseur für die Eröffnungssaison gewinnen könnte; statt seiner wurde auf Buschs Anraten Rein­hardts Schüler Carl Ebert verpflichtet. Ebert, der der als Nazigegner 1933 Deutschland verlassen hatte, hat­te sich seit einem gemeinsamen Berliner Maskenball 1932 und einer Salzburger Entführung im selben Jahr als enger „Bruder im Geiste“  Buschs erwiesen – so­wohl in Bezug auf seine politische Einstellung als auch mit Blick auf den Perfektionsdrang in Richtung auf das „Gesamtkunstwerk“ Oper, in dem szenische Dar­bietung, musikalische Ausarbeitung, Ausstattung und Lichtkunst eine unlösbare Einheit ergaben.

Sechs intensive Probenwochen gingen dem ersten Festival voraus, und es mag nicht überraschen, dass sich Busch derart verausgabte, dass er, so berichtet seine Frau, „unmittelbar vor der ersten Aufführung einen leichten Herzanfall erlitt, mit dem er Glynde­bourne eröffnet hat, weil er sich weigerte, irgend­welche Rücksicht darauf zu nehmen.“ Insgesamt konnte er mit der Besetzung der Eröffnungssaison (Le nozze di Figaro und Così fan tutte) zufrieden sein. Willi Domgraf-Fassbaender, einst Mitglied der legen­dären Berliner Kroll-Oper, übernahm Guglielmo und Figaro, die ausgewiesene Mozart-Sängerin Luise Helletsgruber von der Wiener Staatsoper Cherubino und Dorabella, der bedeutende englische Tenor Heddle Nash Ferrando und Basilio. Außerdem waren u.a. Ina Souez als Fiordiligi, Roy Henderson als Graf und Aulikki Rautawaara als Gräfin mit von der Partie; und nicht zu vergessen Audrey Mildmay als Susanna. Unter dem Namen „Glyndebourne Festival Orchestra“ spielten fast ausnahmslos Mitglieder des London Symphony Orchestra.

Glyndebourne – die Rasenflächen warten auf die Pausenbesucher zum Dinner im Freien auf Wolldecken/ Glyndebourne Archive

.Der Eröffnungsabend (28. Mai) war ein Triumph; Audrey Mildmay bezauberte durch ihre Frische und ihren Charme sowie durch die Reinheit ihres Italienisch (damals – man kann es auch auf den Schall­platten hören – noch eine Seltenheit). Über Domgraf-Fassbaenders überschwänglichen Figaro gingen die Meinungen auseinander, doch insgesamt war sich die Presse einig, dass die Aufführungen der Perfektion extrem nahe gekommen seien. Dieser Nimbus umgibt die Klangdokumente dieser ersten Jahre noch heute. Die erste Saison endete mit einem Defizit von £7.000 – Christie hatte ein deutlich schlechteres Ergebnis befürchtet. Einen nicht unwesentlichen Anteil an den Einnahmen (neben den damals ausgesprochen hohen Eintrittspreisen von £2) nahm schon damals die Ver­köstigung in den Pausen ein – die exklusive Weinliste von Glyndebourne war legendär.

Die Saison 1935, die zusätzlich Neuinszenierungen von Die Entführung aus dem Serail und Die Zauberflöte brachte, für die das Bühnenhaus des Theaters vergrö­ßert worden war, war doppelt so lang wie die vorher­gehende – in gut vier Wochen fanden 25 Aufführun­gen statt. Der deutsche Tenor Walther Ludwig wurde als Belmonte und Tamino engagiert, Ivar Andresen, mit dem Fritz Busch seit vielen gemeinsamen Dresd­ner Jahren gut bekannt war, übernahm Osmin und Sarastro, der Australier John Brownlee debütierte als Don Alfonso und Sprecher. Die junge schottische So­pranistin Noel Eadie sprang kurzfristig für die Partien der Konstanze und der Königin der Nacht ein, Aulikki Rautawaara übernahm neben der Contessa die Pamina, Heddle Nash neben dem Basilio den Pedrillo. Luise Helletsgruber, die auf die Partie der Pamina gehofft hatte, wurde in der folgenden Saison durch die Donna Elvira getröstet, eine Paraderolle, mit der sie auch in Salzburg Triumphe feierte. Roy Henderson und Willi Domgraf-Fassbaender teilten sich die Partie des Papageno; außerdem war Domgraf-Fassbaender als Figaro und (alternierend mit Carl Ebert) als Bassa Selim zu erleben.

„Cosi fan tutte“: die LP-Ausgabe bei WRC/ EMI

Die bei den Salzburger Festspielen vergleichs­weise ungeliebte Così fan tutte blieb ein Renner in Glyndebourne – nach den sechs Aufführungen 1934 wurde die Oper bis 1939 insgesamt 27-mal gegeben. Auch Le nozze di Figaro blieb ohne Unterbrechung im Programm und war – nach ebenfalls sechs Aufführun­gen in der ersten Saison – bis 1939 insgesamt nicht weniger als 40-mal zu hören. In der Saison 1935 ergab sich kurzfristig eine Terminkollision – Ina Souez war gleichzeitig an Covent Garden als Micaela in Carmen engagiert, und erst nach einigem Hin und Her wur­den die Termine entzerrt, so dass Souez, von Busch in diesem Zusammenhang als die „vielleicht beste[…] Sängerin des Glyndeb. Ensembles“  beschrieben, auf die man unmöglich verzichten könne, allen Verpflich­tungen nachkommen konnte.

Die Verbindung zu Rundfunk und Schallplattenin­dustrie zeugt von der Weitsicht des Unternehmens Glyndebourne. Die Veröffentlichung von Buschs Interpretationen der drei da Ponte-Opern Mozarts 1934-36 für His Master’s Voice war damals singulär – zwar war schon seit 1907 diverses italienisches Standard-Repertoire (Rossini, Verdi, Puccini, Verismo) produziert worden, aber noch nie eine vollständige Mozart-Oper. So war gänzlich unabsehbar, wie sich die Sets mit 17 (Le nozze di Figaro), 20 (Così fan tut­te) und 23 (Don Giovanni) Schellackplatten verkaufen würden. Um zu sehen, wie sich die ganze Sache an­ließ, wurde 1934 mit einer mobilen Aufnahmeeinheit zunächst nur einen Vormittag lang aufgenommen (am 6. Juni); die restlichen Aufnahmen zu Le nozze di Figa­ro entstanden am 24. und 28. Juni 1935 (nur in einer Rolle ergaben sich Besetzungsinkonsistenzen: Der Doktor Bartolo wurde 1934 von Norman Allin, 1935 – und nur für die Schallplatte – vom damals 27-jährigen Italo Tajo gesungen, damals Mitglied des Opernchores). Um die Oper „handhabbar“ zu machen, wurden im Vergleich zur Live-Aufführung zahlreiche Kürzungen vorgenommen, insbesondere in den Rezitativen; doch auch Basilios Arie im vierten Akt, in den Aufführungen wichtiges Element zur Bewahrung der Proportionen des Ganzen und laut Kritiken ein eige­ner Höhepunkt, wurde aus den Aufnahmesitzungen gestrichen.

Glyndebourne – das Herrenhaus/ Wikipedia

Es ist interessant zu sehen, dass die Einspielung des Figaro mit jener der Così verschränkt erfolgte – die Aufnahme von Mozarts letztem Dramma giocoso fand von 25. bis 28. Juni 1935 und damit zwischen den restlichen Aufnahmesitzungen für Figaro statt. Dass weder Entführung noch Zauberflöte für Tonträger mitgeschnitten wurden, lag möglicherweise zum Teil in der nicht idealen Solistenbesetzung begründet, aber sicher auch in dem deutlich beschränkteren Markt für deutschsprachige Oper. Der erste Rundfunkmitschnitt erfolgte am 18. Juni 1936 durch die B.B.C. – eine unvollständige Übertragung von Le nozze di Figaro mit Mariano Stabile als Figaro.

 

Mozart und Glyndebourne: Louise Helletsgruber sang die Donna Elvira und Dorabella/ kulturpool.nl

Als Musterbeispiel des musikalischen und dar­stellerischen Zusammenspiels wird allgemein – auch wegen der fast gesellschaftsspielartig angelegten Personenkonstellation – Cosi fan tutte angesehen. Das „Doppelpaar“ und die beiden Drahtzieher der Handlung sind in perfekter Balance gehalten, und ge­rade als Ensembleleistung ist die Oper wohl auch in Glyndebourne so erfolgreich gewesen (schon beim Fi­garo waren zuerst die Ensembles eingespielt worden). Und in der Tat überstrahlen die Ensembleszenen nicht selten wegen des Miteinanders der Singakteure die Einzelleistungen. Im Rückblick betrachtet, sind neuere Einzelleistungen sicher jenen der frühen Jahre gleich­wertig oder überlegen – in musikalischer Hinsicht etwa sollte Sena Jurinac ihre Vorgängerin Ina Souez als Fiordiligi mit Leichtigkeit übertreffen (auch wenn Souez, die sich in Don Giovanni hörbar wohler fühlt, Spitzentöne bietet, nach denen Elisabeth Schwarz­kopf die ihren modelliert haben könnte). Eine weitere Qualität der frühen Glyndebourner Opernaufnahmen ist die Lebendigkeit des dramatischen Ausdrucks, der sich auch ohne die Optik vermittelt. Dieser dramati­sche Ausdruck ist besonders auch in den Rezitativen greifbar, und die Technik, die Secco-Rezitative mit dem Flügel zu begleiten, scheint heute weniger falsch als der Einsatz des Cembalos neben dem modernen Or­chester.

 

Es würde zu weit führen, wollte man sämtliche Folgesaisons in Glyndebourne bis 1939 im Detail betrachten. Im Vorfeld der Spielzeit 1936 wurde der Zuschauerraum auf 433 Plätze vergrößert; sie wurde am 29. Mai mit Don Giovanni eröffnet. John Brownlee übernahm die Titelrolle, Ina Souez, Luise Helletsgruber und Audrey Mildmay waren das Damentrio. Roy Hen­derson übernahm (neben Guglielmo und Papageno) den Masetto, der von Busch sehr geschätzte Koloman von Pataky von der Wiener Staatsoper den Ottavio. Als Leporello, Doktor Bartolo und Osmin brillierte der Neuzugang Salvatore Baccaloni – ein heute legendärer Singdarsteller, mit dem Busch viele Male zusammen­arbeitete. Alexander Kipnis übernahm den Sarastro, der dänische Tenor Thorkild Noval den Tamino, Aulikki Rautawaara war wieder die Pamina. 1937 sah keine Neuinszenierung in Glyndebourne, und auch die Tonträgerkooperation mit His Master’s Voice wurde auf Eis gelegt (bezeichnenderweise entstand Thomas Beechams Zauberflöten-Einspielung 1937/38 in Berlin).

Mozart in Glyndebourne – John Brownlee als Don Giovanni 1935/ Glyndebourne Archive

Erst 1950 – mittlerweile war das Edinburgh Fes­tival als Ableger von Glyndebourne gegründet wor­den – war Fritz Busch zurück in Sussex. Die erste Mozart-Neuinszenierung war Die Entführung aus dem Serail. Die Besetzung der Oper stellte Busch abermals nicht ganz zufrieden. Auch ließ sich eine Einspielung nicht realisieren – Endre Koreth, der Glyndebourner Osmin, war bereits von Decca für eine Gesamtauf­nahme engagiert worden, die aber unter Josef Krips mit dem Ensemble der Wiener Staatsoper zustande kam. Così fan tutte hingegen beglückte Busch zu­tiefst. Der Funke sprang wieder über, die intensive Probenarbeit wurde belohnt, die Presse überschlug sich. Binnen kurzer Frist wurden von His Master’s Voice Aufnahmesitzungen anberaumt, um Mitte Juli, zu Halbzeit des Festivals, zumindest Highlights aus Cosi einzuspielen. Für 1951 wurden Neuinszenierun­gen von Don Giovanni und Idomeneo angesetzt – für Idomeneo sollte es die erste professionelle Aufführung in Großbritannien werden (in einer von Hans Gäl eingerichteten, stark gekürzten Fassung). Ein neues Mozart-Ensemble bildete sich heran, das ohne Frage den Besetzungen in Wien oder Salzburg gegenüber mithalten konnte. Neben Jurinac wurde der kanadi­sche Tenor Léopold Simoneau verpflichtet, den Busch in New York entdeckt hatte. Richard Lewis, der Ferrando von 1950, übernahm die Titelrolle im Idomeneo und blieb alleiniger Rolleninhaber in Glyndebourne bis 1974. Am schwierigsten zu besetzen war die Sopran­partie der Elettra – nachdem Hilde Zadek und Blan­che Thebom die Rolle abgelehnt hatten, schlug Busch die junge Birgit Nilsson vor, mit der er in Stockholm zusammengearbeitet hatte. Carl Ebert lehnte die nor­dische Kühle ausstrahlende Sängerin ab, doch wurde sie mangels Alternative engagiert. Ihre Honorarfor­derungen für ihre Mitwirkung an der Produktion von Ausschnitten aus der Oper für die Schallplatte (die am 2. und 3. Juli in London erfolgte) sorgten dafür, dass sie in den wenigen ihren Part betreffenden Ausschnitten durch den Cherubino der Saison Dorothy MacNeil er­setzt und nie wieder nach Glyndebourne eingeladen wurde. Auch Simoneau (der kontraktlich an das nie­derländische Philips-Label gebunden war) konnte auf dem schönen Klangdokument nicht mitwirken, das später mit dem Grand Prix du Disque ausgezeichnet wurde. Bei der (vom Rundfunk übertragenen) vorletz­ten Aufführung von Don Giovanni am 19. Juli 1951 erlitt Busch während des ersten Aktes einen Schwächean­fall und übergab während der Pause den Taktstock an seinen Assistenten John Pritchard, der nach Buschs Tod 1952 die Wiederaufnahmen des Idomeneo dirigier­te und 1964 Nachfolger Vittorio Guis als musikalischer Leiter des Festivals wurde. Jürgen Schaarwächter, 2017 Max-Reger-Institut mit BrüderBuschArchiv, Karlsruhe

 

Busch und Mozart in Glyndebourne: der Autor Jürgen Schaarwächter/ BrüderBuschArchiv

Wir danken ganz außerordentlich Dr. Schaarwächter und Bertrand Castellani von Warner Classics für die Genehmigung zur Übernahme des Textes aus dem Beilage-Booklet der neuen Edition  „Mozart – Fritz Busch in Glyndebourne“. Jürgen Schaarwächter vom BrüderBuschArchiv hat in zahlreichen Veröffentlichungen über die Mozart-Aufnahmen Fritz Buschs in Glyndebourne geschrieben, so auch in den Boklets zu den Live-Mitschnitten bei Immortal Performances;

Margot Hielscher

 

Eine Ikone des deutschen Ufa-Films, Margot Hielscher (* 29. September 1919 in Berlin), starb am  20. August 2017 in München. Die Schlagersängerin, Schauspielerin und Kostümbildnerin war der Inbegriff der Vertreterin der dauerhaft  heiteren, charmanten und gutgelaunten Darstellerin, der es auch nach dem Krieg gelang, sich auf der Leinwand und im öffentlichen Bewusstsein zu halten.

Hielscher absolvierte zunächst von 1935 bis 1939 eine Ausbildung als Kostümbildnerin und Modedesignerin. Dabei kam sie in Berlin zwangsläufig auch mit Film- und Gesangsgrößen jener Zeit in Berührung. Sie wurde zur Fortbildung in Gesang und Schauspielerei ermutigt und ließ sich bei Albert Florath und Maria Koppenhöfer ausbilden.

Spät, aber doch – „Hallo Fräulein“ 2009 bei Bear Family: Margot Hielscher

Ab 1939 arbeitete sie als Kostümbildnerin beim Film. Dabei wurde sie von Theo Mackeben entdeckt, der sie sogleich für den Film engagierte. In dem Streifen Das Herz der Königin spielte sie 1940 ihre erste Rolle neben Zarah Leander. Durch ihre Rollen in verschiedenen Liebeskomödien, bei denen sie auch als Sängerin hervortrat, zählte sie bald zu den beliebtesten Darstellerinnen des deutschen Films während des Zweiten Weltkriegs. Sie unternahm während der Kriegszeit und auch danach mehrfach Tourneen als Sängerin zur Truppenbetreuung.

Ihren Karrierehöhepunkt erlebte Margot Hielscher jedoch erst nach dem Krieg, seit sie als Sängerin vor begeisterten GIs auftrat. In dem Film Hallo Fräulein (1949), zu dem sie auch das Co-Drehbuch beisteuerte, fanden sich teilweise ihre Erlebnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder. Während der Dreharbeiten lernte sie ihren künftigen Ehemann, den Filmkomponisten Friedrich Meyer, kennen, den sie zehn Jahre später heiratete.

Fortan hatte die gesangliche Karriere für sie Vorrang, in Filmen trat sie häufig bei Gesangseinlagen auf. In den Jahren 1957 und 1958 vertrat Margot Hielscher die Bundesrepublik beim Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne. 1957 belegte sie mit dem Lied „Telefon, Telefon“ den 4. Platz, 1958 mit dem Lied „Für zwei Groschen Musik“ den 7. Platz. Der Musiker und Entertainer Götz Alsmann bezeichnete ihre Stimme später einmal als Mischung aus Jazzgesang und Operettensopran.

In den 1960er Jahren moderierte sie im Bayerischen Fernsehen ihre eigene Talkshow Zu Gast bei Margot Hielscher, in der rund 700 Prominente (unter anderem Maurice Chevalier und Romy Schneider) zu Gast waren.

Kammerkätzchen im deutschen Film: Margot Hielscher/ filmreporter.de

Zahlreiche Auftritte in Fernsehserien bis in die 1980er Jahre erhielten sie dem Publikum. 1991/92 trat sie in Berlin im Theater des Westens in dem Sondheim-Musical Follies neben Eartha Kitt, Brigitte Mira und Renate Holmauf. Eine ihrer letzten TV-Rollen spielte sie 1994 in der Serie Der Nelkenkönig, danach zog sie sich vom Filmgeschäft zurück. Daneben war sie selbst Gast in vielen großen deutschen Unterhaltungsshows, so unter anderem 1998 bei Boulevard Bio. Von da an war sie vor allem durch Bühnenauftritte präsent, so 2006 in der Philharmonie im Gasteig, 2007 in der Berliner Philharmonie und 2008 in der Komödie im Bayerischen Hof.

Insgesamt wirkte Margot Hielscher in 60 Spielfilmen und in etwa 200 Fernseh-Produktionen mit. Darüber hinaus sind über 400 Gesangsaufnahmen von ihr erhalten. Bei der Produktion des im September 2010 veröffentlichten Albums Mezzanotte von Ulrich Tukur war Hielscher seine Duettpartnerin bei dem Lied „Hörst du das Meer“?

Margot Hielscher lebte seit 1942 im Münchner Stadtteil Bogenhausen (Herzogpark). Noch 1941 hatte ein Verehrer, der Schauspieler Fritz Odemar, sein Wohnhaus im westhavelländischen Semlin verkauft, um der jungen Schauspielerin mitten im Krieg einen Pelzmantel zu Füßen legen zu können. Für die 22-Jährige hatte er eine Wohnung in der Hildegardstraße 1 in Berlin angemietet. Hielscher pflegte Bekanntschaften unter anderem zu Erich Kästner, Benny Goodman und Joachim Fuchsberger. 2011 besuchte Götz Alsmann sie und unterhielt sich mit ihr über ihr Leben und Werk. Dieses Gespräch dokumentiert der einstündige Film Herr Alsmann trifft Frau Hielscher von Klaus Michael Heinz, ausgestrahlt im WDR Fernsehen am 1. November 2011.

Margot Hielscher starb im August 2017 im Alter von 97 Jahren in München. (Quelle Wikipedia)

Jaja, der Vetter dort …

 

„Sind auf dem Weg zum Weißen Roß! Wo wir logieren bis übermorgen.“ Wer sich im Rosenkavalier ein bisschen auskennt, dem ist auch dieser Gasthof geläufig. Ochs bringt ihn ins Spiel, als er sich in Reisekleidern Zutritt zum Schlafgemach der Marschallin verschafft. Mit seiner bescheidenen Entourage ist er soeben in Wien angekommen und beabsichtigt, zunächst im „Weißen Ross“ zu logieren, bis sich die Türen des Palais seiner Zukünftigen, des „Fräulein Faninal“ öffnen. In der Oper ist nichts zufällig. In einem 1989 erschienen Aufsatz ging der österreichische Unternehmer Artur Hartlieb-Wallthor, der sich auch als Musikforscher betätigt, auf Spurensuche. Er fand – auch unter Verweis auf andere Quellen – heraus, dass es einen Gasthof „Zum Weiszen Rossz“ auf der Taborstraße gegeben habe. Erstmals ist die Straße 1409 erwähnt worden. Sie folgt dem Weg, den Ochs bei seiner Reise aus den Provinzen nach Wien nahm.

Der Librettist Hugo von Hofmannsthal, der ein außerordentlich gebildeter und mit den historischen Örtlichkeiten seiner Heimatstadt Wien, wo er 1874 geboren wurde, vertrauter Mann gewesen ist, hat derlei Örtlichkeiten und andere Bezüge, die der historischen Überprüfung standhalten, in seine Textvorlage eingebaut. Nicht allein, um das Geschehen mit tatsächlichen Fakten zu konkretisieren und zu unterfüttern. Es dürft mehr ein Spiel gewesen sein. Mitunter auch ein Versteckspiel, an dem sich der interessierte Leser selbst beteiligen kann. Anregungen in Hülle und Fülle bietet das Buch „Der Rosenkavalier – Textfassungen und Zeilenkommentar“ aus dem Hollitzer-Verlag (ISBN 978-3-99012-348-5). Herausgegeben wurde es von Dirk O. Hoffmann in Zusammenarbeit mit Ingeborg Haase und dem schon erwähnten Artur Hartlieb-Wallthor. Die Illustrationen stammen von Friederika Richter. Einmal in Besitz, fällt es schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Diese Erfahrung habe ich gemacht. In seiner Mischung aus wissenschaftlicher Akribie, unterhaltsamen Mitteilungen und gelegentlichen Mutmaßungen ist es eine vorzügliche begleitende Lektüre für die Beschäftigung mit der Oper von Richard Strauss. Neugierde auf die nächste Vorstellung ist geweckt. Kritisch geweckt. Mit diesem Buch im Kopf oder unter dem Arm werden Zuschauer Regisseuren so schnell nichts durchgehen lassen. Liegt eine der unzähligen Einspielungen im Player, kann das Buch zum Mitlesen nützlicher sein als ein herkömmliches Libretto. Nicht alle Plattenproduktionen sind vollständig. Es gibt große und kleine Striche, auf die in den Booklets fast nie eingegangen wird. Nicht allen Sängerinnen und Sängern gelingt es, den wienerischen Dialekt nachzuahmen. Es sei denn, sie stammen aus Wien. Er geht weit über die phonetische Aussprache hinaus. Im Rosenkavalier herrschen ganz eigene Gesetze für die Konversation und die sprachlichen Aspekte des Handlungsverlaufs, was einen Großteil seines Reizes ausmacht.

Der Text des Erstdrucks von 1911 wie er sich in Buchausgaben von Hofmannsthal findet, und das Libretto mit dem Hinweis auf den Komponisten Richard Strauss aus dem Verlag Adolf Fürstner werden als Paralleldruck gegenübergestellt. Schwarz auf weiß steht nun der poetische Titel fest: Der Rosenkavalier. Bis kurz vor Drucklegung hatte Strauss „Baron von Lerchenau“ präferiert. Alle Veränderungen sind gefettet. Zudem wird sichtbar, was weggelassen wurde und was hinzugekommen ist. Es entsteht das Abbild eines einzigartigen und hoch professionellen und hoch konzentrierten Arbeitsprozesses zwischen Dichter und Komponist, wie er sich auch im beiderseitigen Briefwechsel ausdrückt. Hofmanntshal hatte den ersten Aufzug Mitte Februar bis Anfang Mai 1909 niedergeschrieben. Die Uraufführung fand am 26. Januar 1911 statt. Deutlich tritt der Anteil von Harry Graf Kessler am Werden des Rosenkavalier hervor. Er darf getrost als Mitautor gelten, fühlte sich in dieser Position aber nicht genug gewürdigt, was zur Entfremdung mit Hofmansthal führte. Am Ende der jeweiligen Seiten gibt es grau unterlegt Erklärungen zu einzelnen Wörter, Örtlichkeiten, Gegenständen, Sachverhalten und den mundartlichen Wendungen, die die Realisierung dieser Komödie für Musik so schwierig, ja fast unmöglich machen. Gern gehen die Autoren auf Nummer sicher. Beispielsweise glauben sie erklären zu müssen, dass es sich bei einem Alkoven um eine „Bettnische, oft mit Vorhang“ handelt, ein Wisch als „wertloses Schriftstück“ gilt und partout mit unbedingt zu übersetzen ist. Ein bisschen Volkshochschule kann ja nicht schaden.

Der ausführliche Zeilenkommentar, der auch den eingangs nur angetippten Aufschluss über den Gasthof gibt, beansprucht fast die Hälfe der 280 Buchseiten. Er ist – wie ich finde – der spannendste Teil und dürfte in der Opernliteratur einzigartig sein. Gebohrt wird in den tiefen Schichten. Keiner Figur und keiner Verhaltensweise bleibt die Nachforschung erspart, auch den stummen Rollen nicht. Was ist Erfindung? Wofür gibt es reale Bezüge? Gesten und Textstellen werden entschlüsselt und analysiert. „Jedes Ding hat seine Zeit.“ Fast eine ganze Buchseite wird auf diesen berühmten Ausspruch der Marschallin verwendet, den die Autoren auf das Bibelzitat (Prediger Salomon) „Ein jegliches hat seine Zeit“ zurückführen und als Indiz für die Frömmigkeit und Bibelfestigkeit der Fürstin werten. Es wird auf Shakespeare („Komödie der Irrungen“) verwiesen, der sich dieser Weisheit genauso bediente wie Tschaikowski im Eugen Onegin oder Marlene Dietrich im Pete-Seegers-Song „Glaub, Glaub, Glaub“. Eine Frage aber, die mich schon lange umtreibt, fand ich nicht beantwortet. Auf Bitten des Barons obliegt es der Marschallin, einen von Hofmannsthal erdachten Aufführer, den späteren Rosenkavalier, für den ersten Bräutigamsbesuch im Hause Faninal zu bestimmen: „Wen denn nur … den Vetter Jörger? Wie? Den Vetter Lamberg?“ Beide Namen sind keine zufällige Erfindung. Im Kommentar heißt es: „Die Jörger gehörten zu den vornehmsten Familien zur Zeit Maria Theresias und die Lamberg waren ein altes österreichisches Adelsgeschlecht, das im 14. Jahrhundert in Krain bedeutende Besitzungen erwarb. Hofmansthal bezog sich auf die Familie schon in der Erzählung ,Der Verführer‘ (entstanden um 1900).“ Übereinstimmend finden sich die Namen beider Vetter im Paralleldruck. In Einspielungen und bei Aufführungen wird aber aus Jörger der Vetter Preysing und aus Lamberg der Vetter Lambert. Selbst in der italienisch gesungenen Produktion mit Marcella Pobbe als Marschallin aus Rom von 1963 ist das genau herauszuhören. Ist diese Änderung Bestandteil einer ganz bestimmten Edition? Geht sie auf Strauss zurück? Schließlich waren die Preysings ein altes Adelsgeschlecht seiner bayerischen Heimat, dem er sich womöglich verbunden fühlte, während die Provenienz des Namens Lambert ehr schlichter Natur sein dürfte. Solche Petitesten am Rande sind nicht als Kritik zu verstehen, allenfalls steigern sie die Lesefreude und sind Anlass, eigene Nachforschungen zu betrieben. Dem Buch aus dem Verlag Hollitzer in Wien ist eine große Verbreitung zu wünschen. Rüdiger Winter

Düster-düsterer-am düstersten

 

Versuchen üblicherweise Regisseure und Bühnenbildner im Sferisterio von Macerata die unglücklichen Bühnenmaße zu kaschieren , so wählten 2013 Francisco Negrin und Louis Désiré für Il Trovatore den entgegengesetzten Weg und betonten sie durch ebenso lange und schmale Tische und Bänke, rot bei Momenten des Hasses und der Rache und weiß bei denen der Liebe beleuchtet. Eine Art Wachturm im Hintergrund, auf dem sich der Tod im il rogo mehrfach wiederholt und vielmals Nonna bzw. Madre wie Nipotino bzw. Figlio in verbrannten Gewändern und selbst schlimm zugerichtet umhergeistern, machen dem Zuschauer deutlich, mit welchen Traumgespinsten die unglückliche Azucena zu kämpfen hat. Aber auch die Getreuen des Conte oder die Zingari wirken wie Untote, die Kostüme sind durchweg in Schwarz, selten blitzt Rot auf, gehalten, und der Tod ist allgegenwärtig, wie der Kampf ausgerechnet mit Sensen nahelegt. Wird es besonders dramatisch, also oft, geraten die Kandelaber an der Rückwand ins Flackern, erscheinen die Bewegungen des Chores stark ritualisiert. Geschickt wird von einem Bild ins nächste übergeleitet, und so kommt man, was bei ohnehin spät beginnenden Vorstellungen im Freien wohltuend ist, mit einer Pause aus. Regie und Bühne gelingt es, die Düsternis, die bereits in Handlung und Musik angelegt ist, noch erheblich zu verstärken.

Verdis Oper „Il Trovatore“ aus Macerata bei Dynamic

Die DVD von Dynamic zeigt eine Wiederaufnahme von 2016 in abgesehen von der Azucena neuer Besetzung, aber man findet unter YouTube auch Ausschnitte von 2013 und stößt zwangsläufig dabei auf die Aufnahme von dem „echten“ Schuss auf Cavaradossi Fabio Armiliato und seine Tosca Raina Kabaivanska, die verzweifelt Aiuto und nach einem Medico ruft.

So dramatisch ging es beim Trovatore weder 2013 noch 2016 zu, die Sängerbesetzung allerdings lässt sich durchaus hören und sehen, auch wenn der Manrico ein noch unerfahrener Debütant in seiner Partie ist. Piero Pretti ist ein stattlicher Bursche mit einer bereits zum tenore eroico tendierenden Stimme, etwas hart klingend, aber mit sicherer Höhe auch in der Stretta und dem begehrten Squillo die Ensembles überstrahlend. Von ähnlicher Stimmqualität ist der Luna von Marco Caria, ein dunkler, kerniger Bariton mit Brunnenvergiftertimbre, der sich in den rasanten Cabaletten wohler fühlt als im Balen del suo sorriso, das Dirigent Daniel Oren, ansonsten sicher und routiniert, sehr langsam interpretiert. Auch 2013 dabei war Enkelejda Shkosa, deren Azucena durch einen runden, warmen Mezzosopran von schönem Ebenmaß erfreut. Eine echte Verdi-Stimme, auch für die frühen Opern geeignet, hat Anna Pirozzi für die Leonora, eine hochpräsente Mittellage und atemberaubende Piani und Schwelltöne, aber leider zuweilen mit einem unangenehmen Klirrklang in der Extremhöhe. Höchst achtbar meistert Alessandro Spina die schwierige Partie des Ferrando mit all ihren Finessen. Gern weilt die Kamera auf der Ines von Rosanna Lo Greco, denn sie ist weitaus hübscher als die eher einem älteren Divenideal huldigende Sängerin der Leonora und hat dazu einen angenehmen Mezzo. Die bewährte Qualität von Chor und Orchester, siehe Otello von dort, lässt sich auch auf dieser DVD bewundern, und über unbekanntere, aber tüchtige Sänger freut man sich sowieso mehr als über die altbekannten (Dynamic 37769Ingrid Wanja      

Für flotte Beine

 

Er gehört zu den bekanntesten Wiener Operetten-Komponisten überhaupt – Carl Millöcker. Vor allem sein Bettelstudent ist berühmt geworden. Nun ist eine CD erschienen bei cpo mit Orchestermusik von ihm, und das ist – wie könnte es bei einem Wiener Operettenkomponisten anders sein – vor allem Tanzmusik. Anders als Strauß oder Ziehrer war Millöcker kein Leiter einer Tanzkapelle, sondern ein Theaterpraktiker. Er war in Sachen Tanzmusik kein Routinier. Was nicht heißt, das er keine amüsante Stücke schreiben konnte, die sich auf ähnlich hohem Niveau bewegen. Im Gegenteil. Seine Instrumentierung weist eine erstaunliche Sorgfalt auf, die sich in ihrer Durchsichtigkeit und Eleganz an den Wiener Klassikern orientiert.  Erstaunlich, dass man seine Musik so wenig spielt – er hatte nicht den Hang, seine Zeitgenossen mit rasselnder und lärmender Musik zu blenden, er war kluger Komponist, der sich oft mehr Gedanken gemacht hat über die Wirkung von Operetten und Tanzmusik als viele berühmte Kollegen. Nicht selten finden sich ganz zarte, getupfte oder sensible Töne in dieser doch eigentlich für handfeste Zwecke gedachten Gebrauchsmusik Dieser seltsam sphärische Zauber, der über manchen Kompositionen schwebt (etwa dem Pizzicato-Walzer), erinnert mitunter an den jüngeren Hellmesberger.

Ob Ouvertüre, Marsch oder Walzer – diese Auswahl dürfte Freunden Wiener Operettenmusik höchst willkommen sein! Denn erstaunlicherweise gibt es von einem so begabten Komponisten wie Millöcker wenig Orchesterwerke auf Tonträgern. Außer einigen alten Boskowsky-Einspielungen und diversen, meist gräßlich uminstrumentierten Piecen in den Kellern unserer Rundfunkanstalten existiert so gut wie nichts. Insofern ist diese CD eine Pioniertat, für die man nur dankbar sein kann.

Christian Simonis‘ Art, dieses Musikgenre zu dirgieren habe schon immer gemocht seit seiner sensationell pointierten und leichtfüßigen Hellmesberger-CD mit den Göttinger Sinfonikern vor fast 20 Jahren.

Er ist kein Haudrauf- Dirigent, sondern immer ein bißchen verhalten-distanziert, aber das bekommt diesen fragileren Tanzmusiken wie Hellmesberger und Millöcker sehr gut, und grade hier passt sein Stil, der es mit der lauten Fröhlichkeit nicht übertreibt, wieder perfekt. Alles federt, manches wirkt fast kammermusikalisch. Nach der hübschen Gung’l – Album mit den Nürbergern  (auch bei cpo) ist auch dies wieder mal keine überflüssige, sondern erfreuliche, wenn nicht sogar notwendige Ergänzung des Repertoires in Sachen Leichte Klassik. (Carl Millöcker: Waltzer – Märsche – Polkas; Nürnberger Symphoniker ; Christian Simonis cpo 555004-2)

 

 Jerome Kern gehört zu den wichtigsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts – von 1905 bis in die 40er Jahre hinein haben seine Operetten, Musicals und Filmmusiken das Land geprägt. Jetzt ist beim Label Nimbus Records eine pralle Doppel-CD erschienen mit 51 großen Jerome-Kern-Songs.

„His 51 finest“ – diese Ankündigung ist sicher etwas vollmundig, denn der Superlativ vermittelt den Eindruck, man könne von diesem exzellenten Muiscalkomponisten wirklich so etwas wie einen Extrakt erstellen, der auf 2 CDs die tatsächlich besten Aufnahmen präsentiert. Das ist bei einem so fruchtbaren Songwriter, der in seinem Leben mehr als 700 Musiknummern verfasst hat, einfach unmöglich.

Der eigentliche Kanon der Aufnahmen allerdings die Interpretion inzwischen unlöslich, zwingend und makellos mit der Komposition verwoben ist, bleibt tatsächlich so überschaubar, das er vermutlich bequem auf eine einzelne CD passt – die Astaire-Songs aus „Swing-Time“, Paul Robeson singt „Ol’man river“ und Frank Sinatra „The song is you“. Der Rest ist im wahrsten Sinn des Wortes Interpretationssache und dem Geschmack des Kompilators überlassen – viele klassische Songs sind so oft so gut interpretiert worden, dass schwer zu entscheiden ist, wer die beste Einspielung produziert hat.

Eigenwillig überzeugend: Die hier getroffene Auswahl ist recht eigenwillig, aber überzeugend. Mal kein Paul Whiteman and his Orchestra und kein Kern höchstselbst am Klavier, dafür Ikonen wie Dinah Shore, Bing Crosby, Howard Keel und eine Menge gute Dancebands der Dreißiger, die in meinen Augen viel zu unbekannt sind in Deutschland. Und sogar britische Tanzensemble wurden berücksichtigt wie Ambrose and his Orchestra – die noble zurückgenommene Art der Briten passt überraschend gut zur distinguierten Eleganz vieler Nummern Kerns.

Vielleicht also nicht die ultimative Auswahl an Kern-Musical-Songs – die wird es nie geben, es sei denn, man wagte sich an eine 100-CD-Box. Aber doch eine sehr kurzweilige, deren Akzent zu Recht auf den 30er und 40er Jahren liegt, der glücklichsten Kern-Ära. Einige wichtige frühe und späte Beispiele interessanter Kern-Interpretationen sowie einige wenige Film-Ausschnitte runden das Album ab (The song is you – Music of Jerome Kern mit Fred Astaire | Bing Crosby | Frank Sinatra | Paul Robeson u.v.a. Nimbus Records RTS 4310). Matthias Käther

Enzo Dara

 

Keinem Rossini-Fan ist der Name Enzo Dara unbekannt – der bedeutende italienische Bass-Buffo (geboren 19. Oktober 1938) starb am 25 August 2017 und bleibt als wunderbarer Vertreter eines köstlichen Humors und genialer Darstellung in Erinnerung.  Sein Debüt in der Opr erlebte er 1960 in Fano als Colline in Puccinis „La Bohéme“. In Reggio Emilia hingegen entdeckte er 196 als Don Bartolo in Il „Barbiere di Siviglia“ seine Eignung für komische Partien. Beim Festival dei Due Mondi in Spoleto ist er 1969 Mustafa in „L’Italiana in Algeri“, und an der Scala zwei Jahre später ist er wieder Don Barolo in der Produktion des Barbiere di Siviglia, dirigiert von Claudio Abbado. Ebenfalls mit der Scala ist er auf deren Tournee am Royal Opera House von London 1976 als Dandini in „La Cenerentola“.

Enzo Dara in „Il viaggio á Reims“ an der Scala/ Foto Lelli e Masotti/ Teatro alla Scala

Er ist wiederum Don Bartolo an der Met in New York im Jahre 1982. Andere Theater, an denen er gesungen hat, sind die Staatsoper Wien,  die Nationaloper von Paris, das LIceu von Barcelona, die Oper von Monte Carlo, das Opernhaus von Houston. Er war der erste Barone di Trombonok in der modernen Version von „Il viaggio a Reims“ in Pesaro und an der Scala sowie Wien.
Seine besten Gaben waren die vokale Beweglichkeit (agilità vocale), sei es im canto vocalizzato, sei es vor allem in der sillabazione veloce, und ein angeborener Sinn für das Komische, der nie übertrieben wurde. Dank der Interpretation von Rollen wie Don Pasquale, Don Bartolo, Don Magnifico, beginnend mit den Siebzigern, verkörpert er „eine Säule bei der Wiedergeburt des Belcanto“.  Seit dem Ende der Achtziger widmete er sich vorzugsweise der Regie.
Enzo Dara war auch Schriftsteller und Journalist. 1994 veröffentlichte er sein erstes Buch „Auch der Buffo in aller Bescheidenheit“, eine Sammlung von Erinnerungen, Anekdoten und Betrachtungen über die Welt des Operntheaters,  das er erst als Liebhaber und Student, dann als Sänger in den verschiedenen Abschitten der Karriere erlebt hatte. (Quelle italienische Wikipedia/ Übersetzung Ingrid Wanja/ Foto oben: Enzo Dara als Don Magnifico/ allmusic)

Zu selten aufgeführt

 

Nicht aus dem Sichwundern heraus kommt man beim Genuss der Aufführung von Berlioz‘ Opéra Comique Béatrice et Bénédict von Glyndebourner Festival 2016, dem Staunen darüber, dass dieses zauberhafte Werk nicht öfter aufgeführt wird. Seine Verehrung für Shakespeare brachte der Komponist, verheiratet mit einer berühmten Shakespeare-Schauspielerin, dazu, als Libretto das Lustspiel Much Ado about nothing zu wählen, wobei viel von den geistreichen Dialogen, den Wortspielen, mit denen sich die beiden Titelfiguren beharken, im gesprochenen Text erhalten blieb, während die Arien, Duette und Terzette, aus neun wurden im Verlauf der Zeit fünfzehn Nummern, freier gestaltet  und  musikalisch von atemberaubender Schönheit sind, so das Duett zwischen Héro und Ursule, das es an Sinnlichkeit und romantischem Flair durchaus mit der Nuit d’ivresse aus den Trojanern aufnehmen kann.

Das Stück spielt in Messina, das die siegreich aus einem Feldzug zurückkehrenden Kämpfer, darunter Bénédict und sein Freund Claudio, erwartet. Claudio liebt glücklich und erwidert Héro, Bénédict liegt im Dauerstreit mit Béatrice, den er sofort nach seiner Rückkehr wieder aufnimmt. Durch eine List ihrer Freude werden die beiden Streithähne davon überzeugt, dass sie einander lieben, so dass am Ende nicht eine, sondern zwei Hochzeiten gefeiert werden.

Zum Vorspiel, das einige der später verwendeten Themen aufgreift, werden viele weiße, aus den verschiedensten Stilepochen stammende Stühle über die Bühne geschleppt. Trotz des Handlungsortes Messina wird die Bühne nie bunt, sondern Kulissen (Barbara de Limburg) und Kostüme (Laurent Pelly, der zugleich Regisseur ist) sind in verschiedenen Grautönen gehalten, letztere im Stil der Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts. Schachteln und Schubladen, in die sich die beiden Titelhelden auch symbolisch nicht wollen stecken lassen, sind die einzigen Kulissen, die sich beliebig aus- und zuklappen, verschieben und verstellen lassen, so dass Bewegtheit nicht durch Farbenspiel, sondern Beweglichkeit erzeugt wird.

Die Regie weiß nicht nur die Solisten espritreich zu führen, sie macht auch aus den vorzüglich singenden Chormitgliedern (Leitung Jeremy Bines) einfallsreiche Schauspieler, hält stets die Waage zwischen Poesie und Komik und lässt den Himmel im Hintergrund heiter strahlen oder düster dräuen.

Stéphanie d’Oustrac ist die quirlige, kratzbürstige Béatrice mit apart timbriertem Mezzosopran feiner Konturen, der sich im zweiten Akt zu schöner Fülle entfaltet. Die Zerrissenheit der Figur zwischen Emanzipationsstreben und dem nach Liebesglück weiß sie perfekt mitzuteilen. Eine blonde Schönheit ist Sophie Karthäuser, die der Héro nicht nur viel sanfte Anmut verleiht, sondern sie auch mit warmem, rundem Sopran singen lässt. Katarina Bradić ist beider Freundin Ursule mit sattem Mezzo. Blasser als die Damen bleiben die beiden Liebhaber: Paul Appleby, der zunächst zwischen Tenor und Bariton nagesiedelt erscheint, im zweiten Akt in seiner großen Arie aber mit einer strahlenden Höhe brillieren kann. Claudio ist der etwas konturenlos bleibende Philippe Sly. Zwei köstliche Typen gibt es mit dem Chorleiter Somarone und seiner als Parodie auf die Gattung angelegten Fuge (Lionel Lhote) und dem Herrscher Léonato, dem Georges Bigot viel Bühnenpräsenz verleiht. Der Chor glänzt außer mit der bereits erwähnten Fuge noch mit einem ebenso köstlichen Trinklied. Antonello Manacorda sorgt mit dem London Philharmonic Orchestra dafür, dass es im Orchestergraben ebenso brillant, spritzig und elegant zugeht wie auf der Bühne. Die DVD  ist purer, knappe zwei Stunden dauernder Genuss (Opus Arte 1239 D). Ingrid Wanja    

Das Archiv der Firma Ricordi

 

Wer noch immer den schönen und gutsortiertern Geschäften von Ricordi, einst nicht nur in jeder größeren italienischen Stadt eine Fundgrube für den Musikfan, nachtrauert, der erhält durch einen prachtvollen Bild- und Textband mit dem Titel Eine Kathedrale der Musik – Das Archivio Storico Ricordi Aufklärung über die Geburt, Entwicklung und Erfolge und schließliche Zerschlagung des einstigen Familienbetriebs über vier Generationen von Verlegern, die von 1808 bis 1919 nicht nur das italienische Musikleben entscheidend beeinflussten. Der Vergleich des Archivs mit dem kirchlichen Bauwerk stammt übrigens vom Komponisten Berio, und der Leser und Betrachter der zahlreichen Fotos ist zunehmend geneigt, ihm in seinem Urteil zuzustimmen.

Ein schöner Bild- und Textband: „Eine Kathedrale der Musik – Das Archvio Storico Ricordi“ im Prestel Verlag

Es fällt auf, dass auf dem Cover des Bandes kein Verfassername zu finden ist, erst ganz hinten innerhalb des Impressums ist Caroline Lüddersen als „Autorin“ genannt, als Verlage Bertelsmann und Prestel, da erstere Besitzer des Archivs, das sich jedoch in Mailand befindet, sind, obwohl sie den Verlag Ricordi einige Jahre nach seinem Erwerb 1994 wieder verkauften. Eine stärkere Hervorhebung des Verfasserinnen-Namens wäre durchaus angebracht gewesen, denn ihre Ausführungen sind hochinteressant, umfassend und angenehm zu lesen.

Die Autorin erläutert in einer Einleitung ihr Vorgehen, das den Leser von einer Geschichte des Verlags bis 1994 über dessen Bedeutung für die Weltkulturgeschichte führt und schließlich im Anhang eine Auflistung der Dokumente bietet, zu denen allein 8000 handschriftliche Partituren und 10 000 Libretti gehören. In einer „Kleinen Geschichte des Verlags Ricordi“ wird diese nach dessen jeweiligen Besitzern gegliedert, deren jeder einen Beinamen, so wie man es von den Medici kennt, zugeteilt bekommt. So verläuft die Entwicklung des Verlags aus kleinsten Anfängen von Giovanni- dem Fleißigen über Tito I. den Geselligen, Giulio das Genie und Tito II. den Kosmopoliten ehe dessen nach Meinung des Vaters missratener Sohn die Reihe abbricht und von da an (1919) eine Doppelspitze das Unternehmen führt.

Tito Ricordi/ Archivio storico, Prestel

Die Verlagsgeschichte ist natürlich zugleich Kulturgeschichte, die Ricordis profitieren vom Blühen der Hausmusik, kämpfen um das Urheberrecht und gegen die Freiheiten, die sich Interpreten „ihrer“ Komponisten nehmen, setzen sich mit der Konkurrenz Sonzogno auseinander, sind Komponisten wie Verdi und Puccini nicht nur Geschäftspartner, sondern Freunde und Förderer. Sie müssen nicht nur Geschäftsleute, sondern können durchaus auch künstlerisch tätig sein. Verdienstvoll ist, dass das Buch auch die vielen heute nicht mehr allseits bekannten Komponisten wie Catalani, Boito, Franchetti, Alfano oder Montemezzi berücksichtigt, ebenso Korngold, der ebenfalls von Ricordi verlegt wurde.

Ein besonderes Interesse gilt natürlich dem Verhalten der Verlagseigentümer während der faschistischen Epoche, die in Italien bekanntlich wesentlich länger dauerte als in Deutschland, weil früher begann. Der Krieg verschonte auch das Archiv nicht, seine Räume wurden am 13.8.43 zerbombt, aber man hatte die größten Schätze zuvor in Sicherheit gebracht, wozu allerdings offensichtlich nicht Aldo Finzi gehörte, dessen Werk verschollen ist.

„La Casa Ricordi“, ital. Spielfilm von Carmine Gallone 1954/ Szene/ RAI TV

War es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert die Kammer- und Hausmusik gewesen, die im Mittelpunkt des Verlagswesens stand, so wurde es zunehmend die Oper, nach 1945 aber sicherten die Cantautori der populären Musik und das Schallplattengeschäft das Überleben der Firma. Über die Jahre hinweg konnte man erleben, wie die klassische Musik in den Ricordi-Läden aus dem Zentrum der Verkaufsräume in immer abgelegenere Ecken verbannt wurde. Bertelsmann begann mit der Katalogisierung und Digitalisierung, machte aus der Sammlung, die als Wirtschaftsarchiv gegründet worden war, ein Forschungsarchiv, zeigte bereits 2013 in der Berliner Repräsentanz und auch in anderen Städten besonders wertvolle Stücke und begann 2016 mit dem Erstellen einer Collezione Digitale.

Nur staunen kann man über die Fülle interessantesten Fotomaterials, seien es Gegenüber-Stellungen von handschriftlicher und gedruckter Partitur, Autographe von Rossini, Bellini, Donizetti, Libretti und deren Änderungen durch die Zensur, Regiebücher oder der Briefwechsel zwischen Komponist und Verleger über Otello, sogar Anmerkungen über Dauer und Stärke des Beifalls bei der Uraufführung. Viele Szenenfotos erstrecken sich über eine Doppelseite und man bewundert  Bühnenbild und Kostüme vergangener Zeiten, über die damit mehr ausgesagt wird, als ihr Schöpfer beabsichtigt hatte, d.h., sie legen Zeugnis ab für 200 Jahre Kulturgeschichte und wecken im Betrachter den Wunsch, nun auch einmal im Internet zu begutachten, wieweit die oben erwähnte Collezione bereits gediehen ist (Prestel Verlag, 225 S., Register, Personenverzteichnis, Bibligraphische Hinweise, Fotonachweis,  ISBN 978 37913 5624 2; oben ein Ausschnitt aus dem Rocordi-Poster zu „Turandot“/ AR). Ingrid Wanja

Felicia Weathers zum 80.

 

1977 sang Felicia Weathers im Bremer Theater am Goetheplatz eine Reihe von „Salome“-Vorstellungen, die ich fast alle gesehen habe. Ich war fasziniert von ihrer Ausstrahlung, von ihrer Bühnenpräsenz und von ihrer schlanken, unverwechselbaren Stimme. Wir sind ins Gespräch gekommen, insbesondere über ihre Dalibor-Aufnahme mit Sándor Kónya unter Rafael Kubelik. Aus diesem ersten Kontakt hat sich eine nun schon vierzig Jahre währende Freundschaft ergeben. Ich habe sie später in zahlreichen Liederabenden und Recitals erlebt – auch als Schauspielerin, als sie vor gut zehn Jahren in dem Stück „I Have A Dream – Die Martin Luther King Story“  von Gerold Theobalt zusammen mit Ron Williams auftrat.

Jede Begegnung mit Felicia Weathers, die auf eine sehr erfolgreiche Karriere zurückblicken kann, ist ein Gewinn. Ihr Charme, ihre Herzlichkeit und ganz besonders ihr ansteckender Humor haben mich bis heute bezaubert. Und von ihrer klugen Sicht der Dinge – egal ob es um Musik, um Politik, um Philosophie oder um Lebensweisheit geht – kann man nur profitieren. Es ist kaum zu glauben: Felicia Weathers ist am 13. August 2017 stolze 80 Jahre geworden. ich gratuliere herzlichst!

 

Felicia Weathers: Spirituals & Folksongs bei Decca

Felicia Weathers, Tochter eines Juristen aus St. Louis, begann ihre Ausbildung an den Universitäten von Washington und Indiana, wo Dorothea Manski und Charles Kullmann ihre Gesangslehrer waren. „Mein Studium in Amerika war viel breiter als man es hier kennt“, sagt sie. „Hier ist man beschränkt auf das Singen, man studiert Oper oder Lieder. Bei uns muss man alles machen: also auch Bühnentechnik, Bewegung auf der Bühne, Regie-Kursus usw.“. Daneben hat sie auch Psychologie studiert und erhielt zweimal die Ehrendoktorwürde verliehen.

Ihre eigentliche Karriere bekann, wie bei vielen amerikanischen Sängern, in Europa. 1961 war sie Preisträgerin eines internationalen Sängerwettbewerbs in Sofia, wurde anschließend von Herbert Graf nach Zürich geholt, wo die Königin der Nacht und die Zerlina (Don Giovanni) ihre ersten Rollen waren. Noch im selben Jahr ging sie für eine Spielzeit ein festes Engagement in Kiel ein, wo sie bereits die Salome sang. Von Kiel aus entwickelte sich die Karriere der jungen Sängerin, die innerhalb von zwei bis drei Jahren zum Weltstar aufstieg, in schwindelerregendem Tempo. Sie war schnell Gast an der Bayerischen Staatsoper,  wo sie in Rudolf Hartmanns Salome-Inszenierung sensationelle Erfolge hatte. Bald eroberte sie sich die großen deutschen Opernhäuser wie Köln, Frankfurt, Stuttgart, Berlin und Hamburg, wo ein Glanzpunkt ihre aufregende Teena in Schullers The Visitation war.

Schon 1962 lud Karajan sie ein, neben Birgit Nilsson und Franco Corelli in Wie die Liu in Turandot zu singen. Daneben war sie an der Wiener Staatsoper u.a. als Butterfly und Aida zu hören, Partien, die sie sehr häufig gesungen hat. „Dabei hatte ich überhaupt nicht vorgehabt, in Deutschland oder Europa zu bleiben. Schließlich befand sich meine ganze Familie drüben.“

Bald war sie Gast an den großen Bühnen der Welt: In London sang sie Elisabetta (Don Carlo), in Chicago die Renata in Prokofieffs Der feurige Engel, Jenufa in San Francisco. An der Metropolitan Opera debütierte sie 1965 als Lisa in Pique Dame. Sehr häufig sang Felicia Weathers, die auch in den Opernhäusern in Paris, Budapest und Edinburgh zu hören war, in Italien, wo sie u.a. in der Hindemith-Oper Sancta Susanna auftrat.

Daneben wurde schnell die Schallplatten-Industrie auf sie aufmerksam. Für Decca sang sie mehrere Recitals ein, deren Spannweite von italienischen Opernarien, Strauss-Liedern über Musicals bis hin zu ungarischen Volksliedern von Kodaly und Spirituals reicht. Besonders herausragend sind ihre Arien von Verdi und Puccini sowie ihr Recital mit italienischen Opernarien. Wolfgang Denker

 

Felicia Weathers: Verdis Elisabetta/ Foto WD

Vor einiger Zeit führte ich mit Felicia Weathers ein Interview, das hier noch einmal in Erinnerung gerufen werden soll. Anfang der siebziger Jahre wurde es plötzlich stiller um Sie. Was waren die Gründe? Es gab in meinem Leben private Einschnitte durch meine Scheidung. Ich habe mich in dieser Zeit sehr zurückgezogen, wollte in dieser Zeit auch mehr für meinen Sohn da sein. Und ich wollte endlich einmal ‚Felicia’ kennenlernen. Meine Karriere ging ja so schnell, dass ich nie dazu kam, mich selbst zu analysieren. Für mich persönlich war das eine hervorragende Zeit, denn ich bin wirklich bis zu den Grundlagen meines Seins gegangen. Vielleicht war es auch eine besondere Form von Eitelkeit. Und dann passierte es, dass meine Eltern beide auf einmal starben, was für mich ein Schock war. All diese Sachen waren für mich so stark, dass ich einfach psychologisch und seelisch nicht mehr weiter konnte. So habe ich etwa von 1970 bis 1975 fast nichts von mir hören lassen. Aber in dieser Zeit habe ich kennenlernen müssen, wer meine Freunde waren, wer meine Feinde waren und sind, wer für mich etwas tun würde und wer nicht – all diese Dinge kamen heraus. Und sofort kamen die Gerüchte: Ah! Kann sie nicht mehr singen? Und sogar mein New Yorker Manager hat mich angerufen: ‚Bist Du noch da? Wir haben gehört, dass Du im Irrenhaus bist. Jemand hat gesagt, Du seiest eingeliefert worden.’

Dies nur zur Anschauung, wie die Sachen laufen können. Die Leute wollen immer etwas Sensationelles hören. Ich kann den Leuten aber leider Gottes nichts Sensationelles bieten, da müssen sie auf die Stars vom Film schauen. Aber bei mir werden sie es nicht finden. Ich bin stockbürgerlich und  ein ganz einfacher Mensch…

Wie und wo wurde der Faden der Karriere wieder aufgenommen? Nach einer gewissen Zeit war mein Sohn alt genug. Und ich hatte auch wirklich das Gefühl, wieder arbeiten zu müssen. Und so habe ich wieder angefangen, peu a peu, aber ohne große Publicity. Denn mir war auch in der Publicity früher vieles passiert. Man hat viel über mich geschrieben, von dem vieles stimmt, aber eben viele dieser Jet-Set-Geschichten auch nicht. Auf alle Fälle: Ich wollte einfach arbeiten und sehen, ob ich es noch kann. Zuerst habe ich in Bern gesungen, dann verschiedene Gastvorstellungen in Deutschland. Und sehr viel in Italien und Frankreich.

Welche Rollen, welches Repertoire standen da im Vordergrund? Ich habe z. B. in Frankfurt Suor Angelica gesungen oder meine erste Minnie  in Toulouse. Ich will nicht sagen, dass meine Liebe nicht der Oper gehört; es ist eine wunderbare Sache, eine Rolle zu interpretieren. Aber ich bin auch zu sehr vielen Liedern gekommen. Und da liegt mir stimmlich, ob Lied oder Oper, Strauss sehr gut. Daher setze ich auch meistens Strauss, aber auch Brahms auf das Programm. Und ich habe eine Neigung zu Hugo Wolf, der komischerweise in Deutschland nicht so viel gehört wird. Schubert liegt mir als Mensch weniger, obwohl er wirklich, wirklich schöne Lieder geschrieben hat. Aber Schumann ist mir von beiden doch der liebere. Dann, wo ich mich sehr wohl fühle, sind alte Lieder von Dowland, Rameau, Händel, Purcell. Das ist Reinigung für die Stimme.

Felicia Weathers: Verdi- und Puccini-Arien bei Decca

Sie haben auch viele Spirituals bei Auftritten mit deutschen Männerchören gesungen. In der Zeit als ich wieder angefangen hatte zu singen, hatte ich viele Auftritte deutschen Männerchören zu verdanken. Es waren sehr herzliche Menschen mit einer Liebe zur Musik, die zwar laienhaft, aber doch ehrlich, echt und schön war. Das hat mir sehr geholfen, Musik und Publikum auch von einer anderen Seite zu betrachten. Nun begegnete ich bei diesen Chören immer Arrangements von Spirituals, die zwar sehr schön waren, aber von der harmonischen Struktur, vom Kontrapunkt und Rhythmus, von der ganzen Idee her nicht zu unserer Musik passten. Es war vielleicht eine Melodie von uns, aber es hat nichts mit dem zu tun gehabt, was diese Musik für uns bedeutet. So musste ich mich immer mit einem Arrangement zurechtfinden, was total europäisch war. Dabei haben Spirituals mit dem afrikanischen Rhythmus der Sprache zu tun, mit Geben und Zurückgeben, mit Predigt und Antwort. Das ist alles ein Spiel, eine Geschichte, die in einem Lied abläuft. So kann z. B. das Klavier oder andere Stimmen den Rhythmus der Arbeit und der Arbeitsgeräte enthalten. Es erschien mir sehr reizvoll, für diese Männerchöre, die schöne Stimmen und auch begeisterte Sänger haben, Arrangements zu schreiben, damit sie traditionelle Spirituals richtig singen können. Meine Absicht war, zwei Dinge zu tun, was andere Arrangeure nicht getan haben: Das sind die Akzente und einen phonetischer Text unter den englischen zu setzen – deutsch phonetisch, sodass es für die Sänger problemlos lesbar ist. Denn wenn wir z. B. Konsonanten weglassen, dann hat das eine Bedeutung bei uns. Das ist wie ein Dialekt, ist auch Tradition. Und dass diese Tradition respektiert wird, darum bitte ich, das ist mein Anliegen.

Felicia Weathers: Schicksalsrolle Salome/ WD

Warum gibt es überhaupt so wenig europäische Sänger, die Spirituals singen? Wahrscheinlich haben sie es nicht versucht. Bis auf Fischer-Dieskau, der hat es schon versucht und gut gesungen. Also, sie können es schon. Aber das hängt auch mit einer anderen Tradition zusammen, die hier Gott sei Dank allmählich gebrochen wird. In Deutschland denkt man bei Liederabenden nur an klassische deutsche Lieder. Wir sagen „Recital“. Das heißt alles, eine bunte Palette. Nicht zu bunt, aber wir singen Lieder, wir singen Chansons von Faure oder Duparc oder Debussy. Wir singen auch spanische Lieder, z. B. de Falla und Granados. Dann werden auch schöttische, russische oder ungarische Volkslieder auf das Programm gesetzt. Oder auch antike Arien. Aber auch das ändert sich in Deutschland durch die Programme internationaler Sänger, die eben nicht nur Lieder bringen.

Sie sind auch als Regisseurin hervorgetreten.  Ich bin jetzt wieder aus meinem Schneckenhaus gekommen. Aber ich hoffe, ich werde verstanden, dass ich nicht nur herauskomme, um zu singen. Sondern ich will das tun, was ich tun muss, wo ich etwas geben kann. Und das hat nicht nur mit singen zu tun. Ich singe sehr gern noch und werde es auch weiter tun. Aber ich bin jung und gesund genug, um mehr als eine Sache zu tun. Ein Ponnelle kann Regie, Bühnenbild und Kostüme machen; ein Karajan kann dirigieren und inszenieren – und es wird bewundert.  Und niemand hat gefragt: „Wie kommen Sie dazu, zwei Dinge auf einmal zu machen?“ Aber wenn ein Sänger etwas anderes macht, denkt man sofort: Hoppla, es muss etwas los sein mit seiner Stimme. Das liegt wahrscheinlich an der weitverbreiteten Auffassung, dass ein Sänger zu dumm ist, etwas anderes außer singen zu machen. Das ist natürlich nicht der Fall. Sehr oft trifft man einen Sänger, der auch Arzt ist, oder der Psychologie oder Chemie vorher oder gleichzeitig studiert hat. Ich habe sogar auch etwas Naturwissenschaft studiert, was auch zur Musik passt. Denn ich glaube, Musik ist auch eine mathematische Frage. Also war mein Entschluss: Warum sollte ich einfach nur singen, wenn ich jetzt die Energie habe, auch etwas anderes zu tun.

Ihre erste Regiearbeit war Madama Butterfly 1980 in Heidelberg? Ja, dann habe ich in Amerika zwei Projekte gemacht: Zum einen einzelne Opern-Szenen an einer Universität im Rahmen von Meisterklassen. Dann für die National Opera in New York und Philadelphia Il Trovatore.

Ich glaube, heutzutage muss man sich selber kümmern, wenn man ernsthaft etwas machen will. Man kann nicht irgendwo oben sitzen und sagen: Hier bin ich, Leute, jetzt mache ich dies oder das. Ich glaube nicht, dass ich solch ein Mensch bin. Ich möchte viel lieber die Leute animieren, mir solche Dinge anzubieten, die mich fordern, bei denen ich mein Können zeigen kann.

Felicia Weathers: Arien bei Decca

Würde Sie nicht eine Salome-Inszenierung reizen? Ja und nein. Ich habe in einer solchen Vielfalt von Salome-Inszenierungen gesungen: Salome im Pop-Stil mit kurzem Rock, Salome mit Polizisten auf der Bühne… – mein Gott, was alles noch! Für mich waren die Inszenierungen in München von Hartmann, von Rennert an de Met und von Marherita Wallmann in Rom die wichtigsten. Mir fehlt in den meisten Inszenierungen immer das Gefühl von heißem Wind über Wüstensand. Ein Wind geht durch das ganze Stück, ist in der Musik. Man spürt, dass die Wüste nah sein muss. Das ist etwas, was der Hartmann damals gemacht hat. Bei Margherita Wallmann hat alles pulsiert. Sie hatte die ganze Bühne in Rot, mit blutroten Teppichen, alles strahlte Hitze aus. Man brauchte nur auf der Bühne zu stehen, dann war es schon sehr erotisch.

Wenn ich Salome inszenieren sollte, ich glaube, ich würde das Bühnenbild ganz sandfarben machen, dann mit roten Feuerfarben, Sonnenuntergangsfarben. Wenn ich an die Inszenierung selbst denke, würde ich vielleicht, wie Ponnelle, alles in zwei oder drei Dimensionen machen; mit Hintergrundszenen, Seitenszenen. Es würde bestimmt nicht alles auf der vorderen Bühne spielen. Aber meine Inszenierungsideen sind nicht komplett, sind wahrscheinlich auch nicht meine eigenen. Ich habe ein Stückchen von hier, ein Stückchen von da. Ich kann das nicht total ausschalten, um zu sagen, wie würdest du, Felicia, für dich das machen.

Felicia Weathers mit dem Sänger Ron Williams/ WD

Welche Erfahrung haben Sie selbst mit Regisseuren gemacht, was ist für Sie besonders wichtig? Für mich ist es am schlimmsten, wenn ich mit einem Regisseur arbeite, und wir fangen gleich an – und es gibt überhaupt keine Erklärung. Als ob der übersieht, dass er mit intelligenten Menschen arbeitet. Wir müssen eine gewisse Intelligenz haben, sonst würden wir diese Noten und diese Musik nicht interpretieren können.

Und eine Geschichte zum Schluss: Bei einer Salome ist mir mit einem Regisseur folgendes passiert: Er kam vom Schauspiel, hat dieses Stück als Schauspiel gesehen und es auch zwei Wochen als Schauspiel inszeniert. Bis er nicht mehr weiterkonnte und er irgendwie zugeben musste, dass da doch wohl auch ein paar Noten dabei sind. Und er musste fast total wieder von vorne anfangen. Dann hat er es aber recht gut gemacht und wir sind gute Freunde geworden. (Wolfgang Denker)

Bahnfahren mit Barry

 

Da wäre man gerne mitgefahren. Es muss eine recht kurzweilige Zugfahrt gewesen sein, auf der Rainer Simon, mit Verstärkung durch Felix von Böhm, seinen Chef Barrie Kosky von Berlin nach Bayreuth begleitete. Rund fünf Stunden dauert die Fahrt, die wie im Fluge vorbeigegangen sein muss und die sie anschließend dokumentierten: Nächster Halt: Bayreuth. Eine Zugfahrt mit Barrie Kosky (Wolff Verlag; ISBN-10: 3941461230, ISBN-13: 9783941461239). Das auf 80 Seiten gestreckte Ergebnis liest sich wie von selbst. Freilich nichts, was der auskunftsfreudige Kosky nicht schon irgendwo einmal erzählt hätte; auch die Hinweise zu seiner Meistersinger-Inszenierung, dem Grund der Reise, las man im Vorfeld der Bayreuth-Premiere. Sie lassen sich natürlich auch hinterher nochmals gut nachlesen und sind überhaupt ein guter Einstieg in die Inszenierung und Koskys differenziertes Wagner-Bild, einerseits „der Soundtrack des Dritten Reiches“, „andererseits war er nicht für das Dritte Reich verantwortlich. Verantwortlich ist er allerdings für all die schrecklichen Dinge, die er über Menschen gesagt und geschrieben hat“. Die ihm von Katharina Wagner vorgeschlagenen Meistersinger waren kein Wunschstück,Tannhäuser und Parsifal hätte ich mir vorstellen können. Aber Die Meistersinger! Auf keinen Fall. Das Stück handelt so sehr von deutscher Nationalität und deutscher Kultur, dass ich immer das Gefühl hatte, ich müsse davor fliehen“. Und was hat ihn zur Zusage bewogen: „Und dann … bin ich auf etwas sehr Spannendes gestoßen… gestoßen, dass für mich zum Auslöser für alles Weitere wurde: Wagner hat sich mit Hans Sachs identifiziert. Er hatte großes Mitgefühl für die Figur und nennt sich in ein paar Briefen an Cosima sogar selbst Hans.“  Und schon hat man Koskys Inszenierung: „im Kern dreht sich das Stück um Wagner selbst. …Wagner schreibt nicht nur über deutsche Traditionen, deutsche Musik und deutsche Lieder, sondern behandelt auch seine eigene Rolle innerhalb dieser Tradition… Im Zentrum … steht also Wagners Eigenliebe. Dazu kommt noch die Liebe zu Cosima, die er später heiraten wird und die sich in Eva widerspiegelt“. Das weitere zentrale Thema ist für Kosky Gericht und Urteil: „Wer urteilt über wen? Wer legt fest, wie Kultur zu sein hat… Und auf welche Art und Weise wird gerichtet?“ und dadurch der Bezug zu den Nürnberger Prozessen, in denen „vor einer weltweiten Öffentlichkeit auch ein ganzes Land, dessen Gesellschaft und Kultur angeklagt (wurde) – wie kein anderes Land zuvor“.

Kosky Bahnfahren Wolff Verlag

Kosky spricht über die Kunst des Regieführens, über Musik und Theater als Droge, über die Komische Oper, über die von jüdischen Komponisten geprägte Geschichte der Berliner-Operette – und Hingabe. Immer wieder kommt er dabei auf die ungarische Großmutter zu sprechen – mit dem Akzent „wie Bela Lugosi in seinen amerikanischen Horrorfilmen“ und ihrer Mischung aus Judith und Blaubart und Gräfin Mariza – die mit Madama Butterfly Barries Liebe zur Oper entfachte. Kálmán und Bartók, Leichtes und Ernstes prägten fortan seinen Musikgeschmack, eine eminente Vielfalt der Stile und Richtungen, mit denen er sich wohlfühlt und die er von Ball im Savoy bis zu den Meistersingern virtuos beherrscht und bedient, „Am Mittwoch möchte ich Tristan und Isolde hören, am Donnerstag Carmen, am Freitage Adele, am Samstag Schostakowitsch und am Sonntag besuche ich ein Rockkonzert. … Ich würde mich zu Tode langweilen, stets nur die großen Werke des 19. Jahrhunderts zu inszenieren“. Kosky ist bekennender Zugfahrer. Die Gespräche lassen sich bequem fortsetzen. Das kann also noch nicht alles gewesen sein. R. F.

Ambiance und Impression

 

Die große Nadia Boulanger war Pianistin, Organistin, Dirigentin, Komponistin und eine legendäre Pädagogin und Kompositionslehrerin. Als sie 1979 im Alter von 92 Jahren starb, soll sie während ihrer langen Tätigkeit ca. 1200 Schüler unterrichtet haben, darunter finden sich Namen wie George Gershwin, Aaron Copland, Astor Piazzolla, Quincy Jones, Philip Glass, Dinu Lipatti, Daniel Barenboim, Idil Biret, Leonard Bernstein, Igor Markevitch, John Eliot Gardiner u.v.a.m. Sie begann früh, Unterricht zu erteilen, 1921 wurde sie Professorin am Conservatoire américain de Fontainebleau, ab 1948 bis zu ihrem Tod war sie dessen Direktorin. Fast 60 Jahre hielt sie mittwochs in ihrer Wohnung Kompositionsanalysen. Der Regisseur Bruno Monsaingeon besuchte sie dort und drehte in den 1960er und frühen 1970ern einen Dokumentarfilm über Boulanger, den er „Mademoiselle“ betitelte, denn so ließ sich die zeitlebens unverheiratete Französin von ihren Schülern ansprechen, und der das von der Lehrerin und Persönlichkeit Boulangers ausgehende Charisma einfangen sollte. Mademoiselle heißt auch die Doppel-CD des amerikanischen Labels Delos, die sich der Komponistin Nadia Boulanger widmet. Ihr eigens kompositorisches Schaffen entstand bevor sie sich ihrer akademischen Laufbahn widmete. Sie selber tat es als unbedeutend ab, obwohl sie 1908 einen zweiten Preis beim renommierten Rom-Wettbewerb gewann. Ihre jüngere, früh verstorbene Schwester Lili (1893-1919) galt als talentierte Komponistin, sie gewann als erste Frau 1913 dem Rom-Preis, beider Vater gewann in 1835 mit 19 Jahren. Von den hier 37 eingespielten Werken sollen 13 Ersteinspielungen sein, elf unveröffentlichte Kompositionen (acht Lieder und drei Klavierstücke) wurden aus Boulangers Manuskripten transkribiert. Insgesamt kann man von einer Gesamteinspielung ihres Schaffens in den Genren Lied, Solo-Klavier, Orgel sowie Cello mit Klavier sprechen. Boulangers eigenen musikalischen Vorlieben waren persönlicher ästhetischer Natur, sie bewunderte Debussy und Ravel, setzte sich für Stravinsky ein, aber nicht für Schönberg und die Wiener Schule und hatte auch nie einen deutschen Schüler. Sie war auch eine Pionierin der alten Musik, die Monteverdi, Bach und Rameau spielte. In Nadia Boulangers Musik hört man die Einflüsse von Debussy und Fauré, ein französischer Klang zwischen Spätromantik und Impressionismus mit vielen chromatischen Elementen, durchaus originell, farbig und oft Stimmungen beschwörend. Die Lieder entstanden zwischen 1901 und 1922, ihr erstes Lied „Extase“ schrieb sie vierzehnjährig, ihr letztes Lied “J’ai frappé” mit 35. Ein Text stammt von Boulanger – „Soir d’hiver“ handelt von einer sitzengelassenen Mutter mit Kind, dazu namhafte Lyrik, u.a. von Victor Hugo, Verlaine, Materlinck sowie Heinrich Heine, den Boulanger in deutscher Lied-Tradition vertonen wollte.

Die Lieder sind in in Deutsch eingespielt, alle drei „O schwöre nicht“, „Was will die einsame Thräne“, „Ach, die Augen sind es wieder“ singt Tenor Alek Shrader, der in den USA bereits den David in den Meistersingern und den Alfred in der Fledermaus gesungen hat und mit sehr guter Aussprache fast durchgängig überzeugt. Mit Shrader, dem Sopran von Nicole Cabell und vor allem dem französischen Bariton Edwin Crossley-Mercer hat man sich für renommierte Sänger entschieden, die das Zuhören leicht machen. Boulanger zeigt unterschiedliche Ansätze, es gibt glückliche und ekstatische Liebeslieder, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, Erwartung und Zurückweisungen, oft fragil, melancholisch, traurig und dissonant, das Klavier kontrastiert oder untermalt, sie umspielt zurückhaltend den Text oder läßt keine Zweifel. Angeordnet hat man die Lieder nicht nach Entstehungszeit, sondern in freier Variation mit dem Zweck, eine abwechslungsreiche Programmabfolge für die Zuhörer zu präsentieren, die den intimen Charakter der Salonmusikaufführungen nachahmen will. Die Orgel-Werke wurden in Paris auf der Cavaillé-Coll Orgel in der Madeleine aufgenommen, eine Orgel, die Boulanger selber spielte. Der eingefangene Orgelklang ist nicht optimal, man steht vor einer zweidimensionalen Klangwand, wie man sie aus alten Aufnahmen kennt. Organist François-Henri Houbart spielt die „Trois improvisations“ von 1911 und „Pièce sur des airs populaires flamands“ von 1915. Zwei Klavierwerke sind vorhanden, „Vers la vie nouvelle“ aus dem Jahr 1917 fand seinen Anlaß im 1. Weltkrieg, beginnt düster und gewinnt zunehmend Zuversicht, die „Trois pièces pour piano“ sind drei Miniaturen von ca. jeweils einer Minute mit unterschiedlicher Tönung zwischen Nachdenklichkeit und Unbekümmertheit. Die „Trois pièces“ für Cello und Klavier stammen aus dem Jahr 1914, „Modéré“, “Sans vitesse et à l’aise” und “Vite et nerveusement rythmé” klingen, wie sie heißen, Cellist Amit Peled und Pianistin Lucy Mauro fangen diese Stimmungen mit schönem Klang ein. Bis auf die Orgelwerke wurde alle Musik in der Bloch Hall der West Virginia University mit sehr gutem Klangbild aufgenommen. Ein ausführliches Beiheft in englischer Sprache wertet die interessante und sehr gut gemachte Einspielung zusätzlich auf. (2 CDs, Delos, DE3496) Marcus Budwitius

Neuer Anfang, neues Ende

 

Nach der Schönen Müllerin nun Schwanengesang. Der Bariton Bo Skovhus erarbeitet sich bei der österreichisches Firma Capriccio die drei großen Liederzyklen von Franz Schubert. Die Winterreise ist im Booklet der Neuerscheinung bereits angekündigt. Den Dioskuren gleich, die auch Schubert so hymnisch besungen hat, erscheinen auf den Covern der Sänger und seine Begleiter Stefan Vlader in fast schon antiker Pose. Das ist vom Wiener Fotografen Roland Unger sehr wirkungsvoll arrangiert. Diese Alben wollen auffallen – und müssen es auch. Schließlich stellen sich Skovhus und Vlader einer übermächtigen Konkurrenz. An Aufnahmen dieser Werke ist kein Mangel. Neue Produktionen müssen aber nicht nur mit perfekter Verpackung sondern auch inhaltlich punkten können. Der Schwanengesang (C5292) fällt schon mal dadurch aus dem Rahmen, dass die übliche Zusammenstellung mit vierzehn Liedern um fünf erweitert wird. Dabei handelt es sich um die ebenfalls späten Lieder Sehnsucht, Am Fenster, Wiegenlied, Bei Dir allein und Herbst. Verändert ist auch die Reihenfolge. Nanu! Liegt die falsche CD im Player?

Begonnen wird nämlich mit Sehnsucht, geendet mit Abschied. Irritierend ist der Verweis auf die Nummer 967 im so genannten Deutschverzeichnis. Damit hatte der Musikwissenschaftler Otto Erich Deutsch (1883–1967) alle Werke Schuberts in chronologischer Folge angeordnet. Der Schwanengesang findet sich im Verzeichnis in der gebräuchlichen Form, die auf den Verleger Tobias Haslinger zurückgeht. Der hatte die im Herbst 1823 komponierten Lieder nach Texten von Heine und Rellstab, die offensichtlich als Zyklus konzipiert waren, eigenmächtig um die Taubenpost des Dichters Johann Gabriel Seidl erweitert und geschlossen herausgegeben. Im Booklet der Neuerscheinung wird diese Lesart vom Musikwissenschaftler Gerhard Persché kritisch hinterfragt. Unter Bezugnahme auf die Schubert-Biographie von Hans Jürgen Fröhlich (Fischer-Verlag/ISBN 978-3596250110) heißt es, dass der schwerkranke Schubert die Lieder noch gar nicht aus der Hand geben wollte, bis sie nicht die „vollkommenste Gestalt“ erhalten hätten. Er sei dazu aber gezwungen gewesen, weil er Geld für Medikamente brauchte. Haslinger habe nur einen Gulden pro Lied gegeben. „Fröhlich nennt dieses Verhalten niederträchtig, zumal Haslinger später an Schubert Unsummen verdiente“, heißt es im Booklet-Text. Sein Autor hegt Zweifel, dass die Schubert die Lieder von Heine und Rellstab von „Anfang an als Zyklus angedacht hatte“. Was für die Heine-Lieder noch zutreffen mag, vermittle in der Kopplung mit Rellstab „eher den Eindruck einer zufälligen Collage“. Natürlich könne „ein beflissener Dramaturg den Zyklus unter ein gemeinsames Motto zwingen – das des Trennungsschmerzes“. Dessen Behandlung sei bei Rellstab und Heine „völlig unterschiedlich“. Die angeklebte Taubenpost, die letzte Liedkomposition Schuberts, wirke „als wäre Spitzweg in Musik gesetzt“, resümiert Persché. Die Vermutung, „dass Haslinger das Lied einfach an die Sammlung anheftete, weil es ihm übrig geblieben war“, sei nicht von der Hand zu weisen.

Auf der neuen CD findet sich die Taubenpost nun an dritter Position. Skovhus und Vlader hätten an der traditionellen Reihung „zu Recht Anstoß“ genommen und dieses Lied in eine eigene Gruppe mit den anderen Seidl-Liedern gebettet. So sei ein Schwanengesang-Triptychon mit Heine im Zentrum und Rellstab, angereichert mit Herbst und Abschied, zum Schluss. Vlader: „Es ist uns natürlich bewusst, dass diese Version keinen musikwissenschaftlich haltbaren Anspruch auf eine vom Komponisten intendierte Fassung darstellt, das tut aber das ,Original‘ auch nicht.“ Diese Einspielung versteht sich als Angebot, als Anstoß für weitere Untersuchungen und Deutungen. Das allein macht ihren Reiz und ihren Wert aus. Wer diese CD erwirbt, sollte also zuerst das Booklet genau lesen und seine eigenen Überlegungen anstellen. So vorbereitet, erweist sich das ambitionierte musikalische Angebot als spannend und aufregend. Shovhus, der auch auf den Opernbühnen mit unterschiedlichsten Partien aktiv ist, gehört nicht zu den klassischen Schönsängern. Dafür ist sein rauchiges Timbre viel zu individuell. Dramatische Passagen geraten mitunter ungenau und verschwommen. In der deutschen Aussprache nahezu perfekt, gibt sich der gebürtige Däne grüblerisch. Als suche er nach dem tieferen Sinn der Lieder. Obwohl er als Interpret einen betont  männlichen Eindruck hinterlässt, ist er alles andere als ein stimmlicher Macho. Im Kern ist er sensibel und sehr empfindsam. Für den späten Schubert sind das immer noch die besten Voraussetzungen. Dabei unterstützt ihn sein Pianist Vlader, der auch als Dirigent in Erscheinung tritt, mit gelegentlich eigenwilliger Tempowahl. Beide sind ein vorzügliches Team. Rüdiger Winter

Halbszenisch und voll musikalisch

 

Wesentlich mehr Freude als an der Calixto-Bieito-Traviata einige Jahre zuvor dürften die Hannoveraner 2016 an der unter einer Glaskuppel hinter dem Rathaus ihrem Tode entgegen fiebernden Violetta gehabt haben, während die des katalanischen Regisseurs mit einem höhnischen „Oh, gioia“ kerngesund und mit Taschen voller Geld die Bühne des Opernhauses verlassen hatte. Halbszenische Aufführungen scheinen zunehmend in Mode zu kommen, denn sie setzen die Regie nicht dem Vorwurf aus, sich nichts Revolutionäres haben einfallen zu lassen, und bewahren das Publikum davor, sich fragen zu müssen, ob ihm wirklich die Oper geboten würde, die auf dem Spielplan stand.

2000 Zuschauer konnten im vergangenen Jahr (2017 gab es Rigoletto) auf Stühlen vor der Bühne, weitere 20 000 am Masch-See picknickenderweise am von Gudrun Schröfel geschickt arrangierten Opernspiel teilnehmen, festlich verhielt sich auch der Park mit einem schüchternen Feuerwerk beim Fest im ersten Akt, und die Lichtregie bezog sogar den prächtigen Bau des Rathauses in die Produktion mit ein. Einige Möbelstücke wie Spiegelkommode („Come son mutata“), Kandelaber, Schreibtisch oder Lagerstätte geben den Sägern die Möglichkeit zum sinnvollen Agieren. Die Dirigentin Keri-Lynn Wilson geht gemeinsam mit der NDR Radiophilharmonie sorgsam mit ihnen um und steuert außerdem zwei sensible Vorspiele zum gelungenen Abend bei, und das Schlussduett Violetta- Alfredo wird mit aufgemachten Strichen gesungen.

Ein hochkarätiges Sängertrio ist der Garant für eine auch den DVD-Betrachter in ihren Bann ziehende Aufführung. Thomas Hampson hat mit dem Padre Germont seine beste Verdi-Partie gefunden, legt ihn als zunächst wie einen Finsterling und Wüterich strafenden Racheengel an, findet in seinen Zweifeln zu immer  differenzierterer Haltung, und ist für „Di provenza il mar“ ein die Klischees meidender Interpret, der zur Cabaletta zusätzlich noch viel szenische Aktion bietet. Nur beim ersten Registerwechsel sind Unsicherheiten hörbar, sein Eingreifen im zweiten Teil des zweiten Akts ist von großer vokaler Autorität und Legato und Phrasierung die eines Italieners.

Einen auch optisch sehr überzeugenden, jungenhaften Alfredo spielt der sardische Tenor Francesco Demuro mit noblem Timbre, fein abgedunkelten Spitzentönen und perfektem canto elegiaco. Die Diktion ist beispielhaft, und zu allem Guten kommt noch eine nach oben gesungene Cabaletta.

Geschmackssache dürfte das Timbre von Marina Rebeka sein, einer Lettin, in deren Sopran doch auch Slawisches mitschwingt, die recht nuancenlos beginnt und den hohen Ton am Schluss des ersten Akts vermeidet. Sie ist eine Violetta-Spezialistin, auch als Einspringerin in dieser Rolle gern gesehen und oft gefordert, und im Verlauf des Abends werden Spiel und Gesang auch immer variationsreicher wie die Abendkleider, von denen das erste durchaus an das Zweite Kaiserreich erinnert. Ein sehr schönes Piano hat der Sopran für „Dite alla giovine“, feine Schwelltöne und ein zu Herzen gehendes „Amami, Alfredo“, und sehr agogikreich gelingt „Addio del passato“, so dass man auch die zweite Strophe noch gern hört, und die Dumpfheit des „Ma se tornando“ ist gewollt und besonders eindrucksvoll.

Einen angenehmen Mezzosopran zeigt Sharon Carty als Flora, spitz bleibt Ania Vegry als Annina, Bassbalsam verströmt Martin-Jan Nijhof als Doktor Grenvil.

Obwohl nur halbszenisch und obwohl nur DVD, erreicht diese Traviata das Herz des Konsumenten und stellt den Kritiker zufrieden. Weiter so, auch 2018 (Naxos 2.110568). Ingrid Wanja 

 

In diese musikalische Lobeshymne stimmte auch der Rezensent des Rigoletto 2017 in operalounge.de ein!

Die „Unvollendete“ als Entdeckung

 

Der Dirigent Sergiu Celibidache (1912–1996) war eine streitbare Persönlichkeit. Seine Selbstinszenierung als „Musik-Guru“ in späten Jahren traf nicht auf ungeteiltes Echo. Offizielle Einspielungen im Tonstudio lehnte er aus verschiedenen Gründen ab. Gemessen daran ist sein diskographischer Nachlass erstaunlich groß. Chronologisch reichte sein Repertoire von Bach bis Hindemith, auch wenn die Spätromantik mit Bruckner und Brahms selbstredend das Gros ausmachte. Besonders EMI hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten um die Verbreitung seiner überlieferten Tonaufnahmen gekümmert. Trotzdem gibt es auch heute noch Entdeckungen in Sachen „Celi“ zu machen. Die Münchner Philharmoniker, denen der gebürtige Rumäne in den siebzehn letzten Jahren seines Lebens als Chefdirigent vorstand, bereichern nun auf ihrem Eigenlabel (MPHIL0004) die Diskographie um zwei weitere Facetten: Franz Schuberts „Unvollendete“ und Antonin Dvoráks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“.

Die nur zweisätzige sogenannte „Unvollendete“, die mit ihren etwa gleich langen Sätzen tatsächlich eine in sich abgeschlossene Einheit darstellt, ist seit ihrer späten Uraufführung 1865, Jahrzehnte nach Schuberts Tod, ein Dauerbrenner. Beinahe kurios, dass erst jetzt eine Münchner Aufnahme unter Celibidaches Stabführung auftaucht. Das Werk fehlte in der ansonsten umfangreichen EMI-Edition. Dies vorweg: Es lag nicht an einer unzureichenden Tonqualität. Der Live-Mitschnitt datiert auf den 30. September 1988 und fand in der akustisch problematischen Philharmonie im Gasteig statt. Von etwaigen Problemen ist zumindest in der Tonaufnahme nichts zu merken. Das Klangbild präsentiert sich voll und detailreich. Entgegen dem Klischee wählt Celibidache auch keine extrem langsamen Tempi: Das Allegro moderato kommt auf 12:14, das Andante con moto auf nur minimal längere 12:22 (Karl Böhm braucht in seiner letzten Aufnahme, die für mich Referenzstatus besitzt, 12:59 und 12:17). Freilich handelt es sich (man möchte sagen: zum Glück) gleichwohl um eine insgesamt getragene Interpretation. Im geheimnisvollen Kopfsatz entsteht hier zuweilen eine gar beängstigende Stimmung. Obschon alle lyrischen Momente voll auskostend, versteht es Celibidache, die dramatischen Ausbrüche in ihrer ganzen Unerbittlichkeit ausspielen zu lassen (und das zuweilen vorwärtsdrängender, als man glauben möchte). Der zweite Satz profitiert vom unnachahmlichen Innehalten und Zurücknehmen des Dirigenten. Bei diesem spätromantisch angehauchten Schubert hat man im Hinterkopf bereits die Klangwelten Anton Bruckners und versteht die nicht abzustreitende Vorbildfunktion Schuberts für denselben.

Das andere auf der CD enthaltene Werk, Dvoráks letzte Sinfonie, war bis dato unter Celibidache zumindest durch einen 1991 entstandenen Video-Mitschnitt bekannt (DVD bei EuroArts). Die vorliegende Aufnahme stammt vom 16. Juni 1985 und kommt aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz. Das Klangerlebnis ist ähnlich überzeugend wie bereits beim Schubert. Großartiger und prächtiger hat man das einleitende Adagio des Kopfsatzes (10:48; 1991 übrigens 11:16) selten gehört. Das stellenweise sehr zelebrierte Tempo überhöht diesen ohnehin schon majestätischen Satz noch in besonderer Weise. Bei den forte-Stellen wird es, der brachialen orchestralen Eruption angemessen, dann auch stellenweise flotter. Bei der Feierlichkeit des berühmten Largo übertreibt es der Dirigent für den gewöhnlichen Dvorák-Hörer vermutlich doch: Mit 16:43 übertrifft er hier sogar die sechs Jahre später entstandene Aufnahme um einige Sekunden (und George Szell um beinahe fünf Minuten). Auch hier wird man wieder an Bruckner gemahnt, derjenige Komponist, dem Celibidache vermutlich am nächsten stand, da er seine temporalen Vorstellungen dort am besten umsetzen konnte. Der langsame Satz hat in „Celis“ Deutung etwas Transzendentales an sich. Bewundernswert, wie scheinbar mühelos das Orchester imstande ist, der zuweilen exzentrischen Agogik des Dirigenten zu folgen. Und doch kommt keine Langeweile auf, da die Innenspannung erhalten bleibt.

Sowohl das Scherzo (8:35) als auch das Finale (12:12) fallen rein tempomäßig nicht so stark von anderen Aufnahmen ab (in Ferenc Fricsays berühmter Einspielung mit den Berliner Philharmonikern etwa 8:18 und 11:56). Im explosiven dritten Satz geht es auch bei Celibidache richtig zur Sache, die Münchner Philharmoniker können einmal mehr ihre Qualitäten unter Beweis stellen. Wunderbar hier besonders die zuweilen pastoral angehauchten Holzbläser. Erwartungsgemäß feurig der Finalsatz, ohne vor Pathos zurückzuschrecken. Wie Celibidache die Höhepunkte herausarbeitet und wie für die Ewigkeit in Stein meißelt, dürfte jedem seiner Kritiker Respekt abnötigen. Schlichtweg überwältigend der Durchbruch zur Coda mit genialem Ritardando. Gänsehaut inklusive. Ein ganz exzeptionelles Tondokument. Diese Neuveröffentlichung präsentiert sich in optisch ansprechender aufklappbarer Pappkartonage. Ein knappes Booklet mit Werkerläuterungen in englischer und deutscher Sprache liegt bei. Man darf auf weitere Publikationen aus dem Archiv der Münchner Philharmoniker auf deren Eigenlabel hoffen. Daniel Hauser