Für flotte Beine

 

Er gehört zu den bekanntesten Wiener Operetten-Komponisten überhaupt – Carl Millöcker. Vor allem sein Bettelstudent ist berühmt geworden. Nun ist eine CD erschienen bei cpo mit Orchestermusik von ihm, und das ist – wie könnte es bei einem Wiener Operettenkomponisten anders sein – vor allem Tanzmusik. Anders als Strauß oder Ziehrer war Millöcker kein Leiter einer Tanzkapelle, sondern ein Theaterpraktiker. Er war in Sachen Tanzmusik kein Routinier. Was nicht heißt, das er keine amüsante Stücke schreiben konnte, die sich auf ähnlich hohem Niveau bewegen. Im Gegenteil. Seine Instrumentierung weist eine erstaunliche Sorgfalt auf, die sich in ihrer Durchsichtigkeit und Eleganz an den Wiener Klassikern orientiert.  Erstaunlich, dass man seine Musik so wenig spielt – er hatte nicht den Hang, seine Zeitgenossen mit rasselnder und lärmender Musik zu blenden, er war kluger Komponist, der sich oft mehr Gedanken gemacht hat über die Wirkung von Operetten und Tanzmusik als viele berühmte Kollegen. Nicht selten finden sich ganz zarte, getupfte oder sensible Töne in dieser doch eigentlich für handfeste Zwecke gedachten Gebrauchsmusik Dieser seltsam sphärische Zauber, der über manchen Kompositionen schwebt (etwa dem Pizzicato-Walzer), erinnert mitunter an den jüngeren Hellmesberger.

Ob Ouvertüre, Marsch oder Walzer – diese Auswahl dürfte Freunden Wiener Operettenmusik höchst willkommen sein! Denn erstaunlicherweise gibt es von einem so begabten Komponisten wie Millöcker wenig Orchesterwerke auf Tonträgern. Außer einigen alten Boskowsky-Einspielungen und diversen, meist gräßlich uminstrumentierten Piecen in den Kellern unserer Rundfunkanstalten existiert so gut wie nichts. Insofern ist diese CD eine Pioniertat, für die man nur dankbar sein kann.

Christian Simonis‘ Art, dieses Musikgenre zu dirgieren habe schon immer gemocht seit seiner sensationell pointierten und leichtfüßigen Hellmesberger-CD mit den Göttinger Sinfonikern vor fast 20 Jahren.

Er ist kein Haudrauf- Dirigent, sondern immer ein bißchen verhalten-distanziert, aber das bekommt diesen fragileren Tanzmusiken wie Hellmesberger und Millöcker sehr gut, und grade hier passt sein Stil, der es mit der lauten Fröhlichkeit nicht übertreibt, wieder perfekt. Alles federt, manches wirkt fast kammermusikalisch. Nach der hübschen Gung’l – Album mit den Nürbergern  (auch bei cpo) ist auch dies wieder mal keine überflüssige, sondern erfreuliche, wenn nicht sogar notwendige Ergänzung des Repertoires in Sachen Leichte Klassik. (Carl Millöcker: Waltzer – Märsche – Polkas; Nürnberger Symphoniker ; Christian Simonis cpo 555004-2)

 

 Jerome Kern gehört zu den wichtigsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts – von 1905 bis in die 40er Jahre hinein haben seine Operetten, Musicals und Filmmusiken das Land geprägt. Jetzt ist beim Label Nimbus Records eine pralle Doppel-CD erschienen mit 51 großen Jerome-Kern-Songs.

„His 51 finest“ – diese Ankündigung ist sicher etwas vollmundig, denn der Superlativ vermittelt den Eindruck, man könne von diesem exzellenten Muiscalkomponisten wirklich so etwas wie einen Extrakt erstellen, der auf 2 CDs die tatsächlich besten Aufnahmen präsentiert. Das ist bei einem so fruchtbaren Songwriter, der in seinem Leben mehr als 700 Musiknummern verfasst hat, einfach unmöglich.

Der eigentliche Kanon der Aufnahmen allerdings die Interpretion inzwischen unlöslich, zwingend und makellos mit der Komposition verwoben ist, bleibt tatsächlich so überschaubar, das er vermutlich bequem auf eine einzelne CD passt – die Astaire-Songs aus „Swing-Time“, Paul Robeson singt „Ol’man river“ und Frank Sinatra „The song is you“. Der Rest ist im wahrsten Sinn des Wortes Interpretationssache und dem Geschmack des Kompilators überlassen – viele klassische Songs sind so oft so gut interpretiert worden, dass schwer zu entscheiden ist, wer die beste Einspielung produziert hat.

Eigenwillig überzeugend: Die hier getroffene Auswahl ist recht eigenwillig, aber überzeugend. Mal kein Paul Whiteman and his Orchestra und kein Kern höchstselbst am Klavier, dafür Ikonen wie Dinah Shore, Bing Crosby, Howard Keel und eine Menge gute Dancebands der Dreißiger, die in meinen Augen viel zu unbekannt sind in Deutschland. Und sogar britische Tanzensemble wurden berücksichtigt wie Ambrose and his Orchestra – die noble zurückgenommene Art der Briten passt überraschend gut zur distinguierten Eleganz vieler Nummern Kerns.

Vielleicht also nicht die ultimative Auswahl an Kern-Musical-Songs – die wird es nie geben, es sei denn, man wagte sich an eine 100-CD-Box. Aber doch eine sehr kurzweilige, deren Akzent zu Recht auf den 30er und 40er Jahren liegt, der glücklichsten Kern-Ära. Einige wichtige frühe und späte Beispiele interessanter Kern-Interpretationen sowie einige wenige Film-Ausschnitte runden das Album ab (The song is you – Music of Jerome Kern mit Fred Astaire | Bing Crosby | Frank Sinatra | Paul Robeson u.v.a. Nimbus Records RTS 4310). Matthias Käther