Archiv für den Monat: August 2017

Beschwingt

 

Von Rossinis Gazza Ladra über den Ring bis zu Reimanns Medea reichen die CDs oder gar DVDs, mit denen die Oper Frankfurt ihre künstlerische Arbeit dokumentiert. Als erste Operette gibt es nun die Aufzeichnung der konzertanten Aufführung von Léhars Der Graf von Luxemburg vom Jahreswechsel von 2015 zu 2016. Erstaunlich ist, dass es das neben der Lustigen Witwe und dem Land des Lächelns populärste Werk des Komponisten vorher in Frankfurt nie zu erleben gab, es sich also um eine echte Erstaufführung für die Stadt handelt.

Durchweg mit gestandenen Opernsängern besetzt sind die sechs Rollen, die des hohen, hier allerdings ebenfalls leichtfertigen Paars, des Buffopaars und die beiden komischen Alten. Daniel Behle findet wie seine Kollegen den angemessenen leichten Ton für die auf den beiden CDs aufgezeichneten Gesangsnummer, hat eine präzise Diktion, die Lust an voll ausgekosteten Acuti, so im „So liri, liri, lari“, den Schwung und die Leichtigkeit und viel Schmelz, aber ohne die Gattung oft kompromittierendes Schmalz. Beinahe noch mehr staunen macht Camila Nylund, auf der Opernbühne nicht gerade im leichten Fach zu Hause, die viel Zuckerguss auf den Stimmbändern zu haben scheint, deren Sopran voller Süsse und Geschmeidigkeit ganz schlank geführt wird und zu Beginn des 2. Akts auch zu sehr innigen Tönen findet. Angemessen hebt sich das Buffopaar akustisch ab, sie, Louise Alder mit feinem Zwitscherstimmchen als Juliette, er, Simon Bode als Armand, mit flexiblem Pedrillo-Tenor.  Sonor klingt Sebastian Geyer als Fürst Basilowitsch, seine ewige Geliebte und schließlich doch Ehefrau wird von Margit Neubauer köstlich im urkomischen Sprechgesang zum Highlight des dritten Akts.

Mit hörbarer Lust ist der Chor unter Tilman Michael bei der ungewohnten Sache, die Koreanerin Eun Sun Kim lässt das Orchester bei Polka und Mazurka auftrumpfen, sich aber auch einer raffinerten Agogik, so in den Introduktionen zur  Arie zu Beginn des zweiten Akts, befleißigen. Nicht überhören lässt sich, wie animiert das Publikum auf die ungewohnte Kost reagiert, ehe es auf den musikalischen Übermut des Schlusses mit ebenso emphatischem Beifall reagiert (Oehms  Classics 968). Ingrid Wanja  

Nicht nur „Martha“…

 

Wer hat nicht alles Lionels Arie aus der der Flotow-Oper Martha gesungen! Jeder Tenor von Rang von Caruso bis Kaufmann tat es. Aber auch jedes Wunschkonzert im Radio oder in Bodenmulden wurde damit bis in die Sechziger beglückt. Und die Liste der Gesamteinspielungen und Querschnitte ist eine Reise durch die Aufnahmegeschichte. Aber eben – nicht nur Martha beweist Flotows Können auf dem Gebiet der gehobenen Unterhaltung des mittleren 19. Jahrhunderts. Auch die (drei weiteren dokumentierten) Opern Alessandro Stradella (u. a. hinreißend Werner Hollweg bei Gala und dem BR – leider wie auch die Capriccio-Einspielung mit Jörg Dürrmüller vergriffen), Zilda (bei Line als Fatme angeboten mit Ingeborg Hallstein, dto. BR) sowie die heitere Witwe Grapin (dto. Line mit Franz Fehringer vom HR) sprechen von Flotows Gespür für das Heitere. Und Alessandro Stradella ist einen eigenen Artikel in naher Zukunft in operalounge.de wert. Und bei youtube gibt´s ein bizarres Dokument aus Indra – einen Marsch nach Motiven der Oper von Carl Neumann, der beim Berliner Gardeschützen-Battalion war und die Musik zur Parade eingerichtet hatte…

Orchestermusik von Flotow bei Sterling

Aber kennt jemand noch den Titel seiner Pariser Oper  von 1844, L´esclave de Camoens? Seine schmissige Bühnenmusik zu Wilhelm von Oranien in Whitehall  von Gustav Edler Gans zu Putlitz? „I´m not making this up!“ würde Anna Russell jetzt sagen, denn den Dichter mit dem putzigen Namen wie den Titel gibt’s wirklich, die Musik auch. Eine nicht mehr ganz neue CD von Sterling (2007/ CDS 1070-2) vereint nicht nur die schmissigen zwei Klavierkonzerte (Hans Wiesheu dirigiert das Pilsener Philharmonische Orchester mit dem fabelhaften Pianisten Carl Peterson am Klavier) mit der ebenfalls kaum bekannten „Jubel-Ouvertüre“ und eben der Bühnenmusik zu Wilhelm von Oranien.

Die andere CD von Sterling ist ein kammermusikalisches Schatzkästchen voller  Petitessen von Offenbach und Flotow für Klavier und CelloCarl Petersson und Estera Rajnicka spielen so abenteuerliche Titel wie eben den Sklaven des Camoens, einen hinreißenden Galop de Servantes, eine  Valse de Greewich und zwei weitere Variationen aus Martha neben Köstlichkeiten von Offenbach (Au bord de la mer, Souvenir du bal, La prière du soir, Ballade du Pâtre, La retraite und einen bezaubernden Danse norvegiénne – letztere mit akutem Cello-Einsatz/2012/ Sterling CDS 1668-2). Sehr schmissig.

Duette für Klavier und Cello von Flotow und Offenbach bei Sterling

Mehr zu Friedrich von Flotow gibt es im Booklet zur ersten CD vom Dirigenten, dem Orchesterwerk unter Hans Peter Wiesheu, der den Komponisten aus der Sicht eines Musikers beschreibt. Es zeigt sich, dass Flotow eben kein Ein-Opern-Komponist war und dass sein übriges recht umfangreiches Werk (nachzulesen bei Wikipedia) zu Unrecht vergessen ist.  G. H.

 

Ein näherer Blick auf den unterschätzten und nur für die Martha verantwortlich gemachten Flotow lohnt sich. Informationen zu Flotows Leben aus dem wie stets (fast) unersetzlichen Wikipedia: Friedrich von Flotow (Nr. 258 der Geschlechtszählung) gehört zu den bekanntesten Vertretern der seit 1241 urkundlich nachgewiesen Familie Flotow, die zum mecklenburgischen Uradel gehört. Er wurde 1812 geboren als zweites von vier Kindern und ältester Sohn des Gutsbesitzers und preußischen Rittmeisters Wilhelm von Flotow (1785–1847; Nr. 174) auf Teutendorf (heute ein Ortsteil von Sanitz) und Wendfeld und dessen Frau, Caroline Sophie Rahel von Böckmann (1792–1862). Beide Eltern waren musikalisch gebildet. Der Vater spielte Flöte, die Mutter Klavier. Von seiner Mutter erhielt Flotow im Privatunterricht seine ersten Musikkenntnisse.

M.me Darcier, rôle de Griselda dans L’esclave de Camoens, Théâtre de l’opéra comique, Galerie dramatique/ BNO

Sein Vater hatte für Flotow eigentlich eine diplomatische Laufbahn geplant, doch als sein musikalisches Talent offenbar wurde, ließ sein Vater ihn auf Empfehlung des Klarinettenvirtuosen Ivan Müller die Laufbahn eines Musikers einschlagen. Von 1828 an studierte er am Conservatoire de Paris Komposition bei Anton Reicha und Klavier bei Johann Peter Pixis. Dort freundete er sich unter anderem mit Charles Gounod und Jacques Offenbach an.

Dazu schreibt Hans Peter Wiesheu in seinem lesenswerten Artikel: (…) Im  Sommer 1830 trifft er wieder in Teutendorf ein, im Gepäck eine Vielzahl von Kompositionen, darunter eine fragmentarisch erhaltene Messe. Neben der Oper Pierre et Catherine schrieb Flotow auch ein Klavierkonzert in c-moll, dessen „Uraufführung“ unter kuriosen Verhältnissen bei den Proben kurz vor Weihnachten 1830 im Theater in Güstrow über die Bühne ging. Die in der Partitur vorgeschriebe­nen Bläser waren nicht besetzt, nur einige Streicher waren anwesend. Dann kam es zu klein­städtischen Streitereien, der Cellist verließ die Probe, die daraufhin abgebrochen wurde. Nach­dem man sich wieder versöhnte, gab es eine weitere Probe am nächsten Tag. Der Konzertabend kam, das Haus war – wie Flotow schreibt – brillant besetzt. Am Schluss des ersten Satzes sprang eine Klaviersaite. Die Reparatur hätte beinahe zu Streitereien zwischen den beiden rivalisierenden Klavierverkäufern in Güstrow geführt. Einer von beiden hatte aber schon kräftig dem Rotwein zu­gesprochen, sodass ihn ein Nachtwächter nach Hause bringen musste. Das Konzert endete – so Flotow – ohne weiteren Zwischenfall zur allge­meinen Befriedigung.

Im Jahr 1830 war Flotow für kurze Zeit nach Deutschland zurückgekehrt. Hier komponierte er seine ersten dramatischen Werke: Pierre et Cathérine, Rob Roy und La duchesse de Guise, die er dann in Paris nicht ohne Mühe zur Aufführung brachte. Die Frische der Melodien und der heitere Sinn, der sich in diesen Werken aussprach, fanden Anklang, und unaufgefordert übertrug ihm 1838 der Direktor des Théâtre de la Renaissance die Komposition des zweiten Aktes der Genreoper Le Naufrage de la Méduse, die binnen Jahresfrist 54 Mal aufgeführt wurde.

Friedrich von Flotow: Illustration zur Uraufführung von „Alessandro Stradella“/ BNO

Dazu auch Hans Peter Wiesheu: (…) Ein zweites Klavierkonzert entstand 1831, das bis heute ohne Uraufführung im Konzertsaal blieb. In der Thematik nicht unbeeinflusst von Carl Maria von Weber, wartet dieses Konzert mit der Beson­derheit der Viersätzigkeit (Scherzo als 2. Satz) auf. Lange vor Brahms (geboren erst 1833!) kompo­nierte Flotow also bereits ein viersätziges Klavier­konzert und übernimmt damit die Form der Symphonie für das Solokonzert. Das Thema der langsamen Streichereinleitung des ersten Satzes wird im 4. Satz als Klammer maestoso durch das ganze Orchester wiederholt, bevor eine kurze Coda zum Ende führt. (…)

Durch seine Studienjahre bei Reicha war Flotow u.a. mit Adolphe Adam, Charles Gounod, Hector Berlioz, Giacomo Meyerbeer und Francis Auber befreundet. Rossini lernte er eben­so wie Victor Hugo, Honore de Balzac, Prosper Merimee und Heinrich Heine in den musikalischen Salons kennen. Heine war kein großer Freund dieser gelegentlich doch recht dilettantischen Dar­bietungen. Manche Musiker nannte er „Leute, die zu den schlimmsten Hoffnungen Anlass boten.“ (…)

Auf die oben genannten  Opern folgten in kurzen Zwischenräumen Le forestier (1840), L’esclave de Camoëns (1843) und das in Gemeinschaft mit Friedrich Burgmüller und Edouard Deldevez komponierte Ballett Lady Harriet (1844).  Das Jahr 1838 sollte zwei entscheidende Begegnungen bringen. Er hört zum ersten Mal Frederic Chopin spielen und begegnet der Zigarre rauchenden Dichterin Georges Sand.

Hans Peter Wiesheu zitiert: „Die Gesellschaft brach auf, auch ich empfahl mich, ent­zückt, in dem Gastgeber einen vollendeten Kavalier kennengelernt, den berühmten Chopin gehört und die berühmteste Schriftstellerin Frankreichs rauchen gesehen zu haben.“ Und weiter:

Friedrich von Flotow: „Alessandro Stradella“ mit Werner Hollweg vom BR bei Gala

Etwa zeitgleich lernte Flotow einen jungen Deutschen kennen, der sich Jakob Eberscht nannte, ausgezeichnet Cello spielte und sehr arm war. Flotow versprach ihm, Zutritt zu den Salons zu ver­schaffen. Gemeinsam komponierten sie 12 Baga­tellen für Cello und Klavier. Bei einer Soiree hatten sie Gelegenheit, ihre Kompositionen der Öffent­lichkeit vorzustellen. Die beiden Musiker waren mit ihren Stücken so erfolgreich, dass sie diese im Winter 1838/39 über 100 Mal in diversen Salons spielen mussten. Eberscht lernte dabei das Pariser Leben kennen, das Grundlage seiner späteren Operettenerfolge werden sollte. Die Freundschaft hielt lebenslang, zuletzt trafen sich die beiden Freunde 1878 in Paris. Eberscht entstammte einer jüdischen Kantorenfamilie aus Köln. Indirekt verdankt die Musikwelt also der Hilfsbereitschaft Flotows die Welterfolge des Komponisten, der sich in Frankreich Jacques Offenbach nannte. 1839 schrieb Flotow das Trio de Salon, das von Jules Offenbach (Violine. Bruder von Jacques), Jacques Offenbach (Violoncello) und Flotow (Klavier) in einem Pariser Salon uraufgeführt wurde. (…)

1844 konnte er mit der in Hamburg uraufgeführten Oper Alessandro Stradella seinen ersten großen Erfolg vermelden. Zusammen mit seiner in Wien uraufgeführten Oper Martha oder Der Markt von Richmond bildet sie den Grundstock für Flotows hohen Bekanntheitsgrad. Die Libretti der beiden Opern stammten von Friedrich Wilhelm Riese (Pseudonym: Wilhelm Friedrich), der beim Schreiben auf ältere Werke, die unter der Mitarbeit von Flotow entstanden, zurückgriff. So basiert der Text von Martha auf Lady Harriet.

(…) 1855 übernahm Flotow die Intendanz des Theaters in Schwerin. Er komponierte für seine Musiker u.a. zwei Streichquartette, wovon eines bei einem Brand verloren ging, sowie eine Violin­sonate und mehrere Melodramen auf Texte von Franz Freiherr von Gaudy. Zur Wiedereröffnung des Schweriner Schlosses 1857 schrieb er die Jubel- Ouverture und die mecklenburgische Gelegen­heitsoper Johann Albrecht. Ebenfalls für Schwerin komponierte Flotow 1861 für die Aufführungen des Schauspiels Wilhelm von Oranien in Whitehall von Gustav Edler Gans zu Putlitz eine Introduktion und 4 Zwischenaktsmusiken. Vorurteile, Antisemi­tismus und Schikanen der Hofbürokratie veranlassten Flotow seine Stelle als Intendant aufzu­geben. Sein Freund Gustav zu Putlitz wurde sein Nachfolger. Erneut zog Flotow nach Wien.(Wiesheu)

Friedrich von Flotow: Frontespiece des Librettos zur Oper „L´esclave du Camoens/ OBA

Von Flotows spätere Opern, wie zum Beispiel Die Großfürstin (1850, Libretto von Charlotte Birch-Pfeiffer), Rübezahl (1853, Libretto von Gustav Gans zu Putlitz) oder Albin (1856, Salomon Hermann Mosenthal), konnten keinen nachhaltigen Erfolg erringen und erscheinen nur als blasse Reproduktionen der früheren Werke.

1848 kehrte Flotow wieder nach Mecklenburg zurück, um das Erbe seines Vaters anzutreten. Am 21. August 1849 heiratete er Elisabeth von Zadow (1832–1851).[3] Im November 1855 heiratete er nach dem frühen Tod Elisabeths die Tänzerin Anna Theen (1833–1872), die ihm drei Kinder, Wilhelm (1855–1872), Friedrich (1857–1918) und Karoline (1851–1864), gebar.

Inzwischen war Flotow 1855 zum Hoftheaterintendanten in Schwerin berufen und zum großherzoglich mecklenburgischen Kammerherrn ernannt worden. Zur Einweihung des Neuen Schweriner Schlosses komponierte er 1857 die Oper Johann Albrecht, Herzog von Mecklenburg. Aus dieser Schaffensperiode stammt auch La Veuve Grapin. 1863 gab er seinen Posten auf und zog nach Wien, wo er in die Künstlergemeinschaft Die grüne Insel eintrat, für die er viele Lieder komponierte.

Später beteiligte sich Flotow an der Gründung der deutschen Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten, die, ähnlich der heutigen GEMA, die Urheberrechte der Komponisten schützen sollte. Nachdem von Flotow sich in Wien 1867/68 von seiner Frau Anna hatte scheiden lassen, heiratete er am 9. August 1868 ihre Schwester Rosina Theen (1846–1925). Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor.

Grab von Friedrich von Flotow auf dem Alten Friedhof in Darmstadt/ wiki

Von 1880 an lebte Flotow bei seiner Schwester Bernhardine Rößner in Darmstadt, wo er eine Villa erworben hatte. Dort starb er fast gänzlich erblindet am 24. Januar 1883 drei Wochen vor Richard Wagner. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Darmstadt.

Von seinen übrigen Kompositionen sind unter anderem eine ansprechende Musik zu Shakespeares Wintermärchen, einige Ouvertüren, Klaviertrios, zwei Klavierkonzerte und etliche Lieder anzuführen (eine Auflistung findet sich bei Wikipedia).

Und zum Schluss doch noch „Martha“: Adelina Pattia als Lady Hariett/ Dover Books

Von Flotow kann nicht als bahnbrechender Tondichter gelten. Er lehnte sich unter anderem an Komponisten der Opéra comique – namentlich Auber und Boieldieu, aber auch Offenbach – an, deren geistreiche Grazie er sich bis zu einem bestimmten Grad aneignete. Gemeinhin eignete sich Flotow jedoch keinen ausgeprägten Personalstil zu, sondern komponierte eklektizistisch. So verweisen liedhafte Elemente auf das deutsche Volkslied. Charakteristisch am auffälligsten sind jedoch die am italienischen melodramma orientierten Solistenthemen, die stark an Donizetti erinnern.

In den Opern Flotows finden sich keine gesprochenen Dialoge. Allerdings sind sie nicht etwa wie Wagners Opern durchkomponiert, sondern bestehen aus einzelnen, aneinandergereihten Gesangsstücken, die durch Rezitativpassagen verbunden werden.

Alles in allem ist seinen Werken eine gewisse Originalität nicht abzusprechen, und selbst der strengere Kritiker muss die leichte, lebendige Bewegung, den anmutigen Melodienfluss, die geschickte und effektvolle Instrumentierung derselben anerkennen, die Flotows Opern leicht konsumierbar machen. Nicht ohne Grund war Martha die meistgespielte Oper in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Quelle Wikipedia)

Visuelle An- und Abreize

 

Vor ca. dreißig Jahren war das Schleswig-Holstein Musikfestival im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu guten Sendezeiten vertreten. Ein Festival im Sommer, für das man neben Konzertmitschnitten auch schöne Landschaftsaufnahmen und Berichte vom Sommer am Meer produzierte, die den Reiz und die Attraktivität von Kultur und Kulturlandschaft kombinieren sollten. Wer mit solchen Erwartungen zu der bei Dynamic erschienenen DVD mit dem Mitschnitt des Eröffnungskonzerts des Veneto Festival 2014 greift, wird wahrscheinlich enttäuscht. Kulturlandschaften gibt es überhaupt nicht, die knapp 69-minütige Aufnahme zeigt lediglich wenige Ausschnitte der Chiesa degli Eremitani in Padua. Die  Fresken von Andrea Mantegna haben den Lauf der Zeit nicht unbeschadet überstanden und sind nur teilweise restauriert, aber das war es auch schon, hier gilt’s trotz DVD nur der Musik. Doch auch für einen  Konzertmitschnitt  wirkt die Bildregie bestenfalls routiniert, man schaut und hört zu und irgendwie schaut man bald nicht mehr so oft hin und schweift ab. Musikalisch wartet die DVD immerhin mit der Ersteinspielung einer Messe von Baldassare Galuppi auf. Galuppi (1706-1785) ist überwiegend als Opernkomponist überliefert, in der Spätphase seines Schaffens war er in Venedig als Kirchenmusiker tätig und komponierte 27 Messen, dazu Glorias, Kyrien, Magnificate sowie Psalmen und Motteten.

Die Missa per il riscatto degli schiavi von 1765 hat einen ungewöhnlichen Anlass, die Fürbitte für venezianische Bürger, die von Piraten entführt wurden und denen ein Schicksal als Sklaven im Orient drohte. Die Wohlhabenden konnten mittels Lösegeldzahlungen befreit werden, für ihre glückliche Heimkehr wird hier musiziert. Eine lediglich dreiteilige Messe – Kyrie, Credo und Gloria, ohne Sanctus, Benedictus und Agnus dei. Der Zweck der Messe wird ansonsten ganz formal im üblichen Rahmen ausgedrückt, musikalisch ist die Messe nur von formalem Reiz. Da die DVD kein besonders aussagekräftiges Beiheft hat, bleibt der Betrachter über die weitere Einordnung des Werks im Unklaren. Bei Mozarts Krönungsmesse KV317 weiß man dann, woran man ist und wird auch nicht richtig glücklich. Mit I Solisti Veneti unter seinem Gründer Claudio Scimone hat man ein Ensemble und ein Dirigenten von Rang, doch die Vorzüge des Orchesters werden akustisch nicht hervorgehoben. Es mag eventuell am technischen Equipment des Verfassers dieser Zeilen liegen, dass der besondere Klang der Solisti Veneti nicht zur Geltung kommt und er lieber auf CDs zurückgreifen würde. Die Solisten Roberta Canzian, Laura Polverelli, Aldo Caputo, Marco Bussi sowie der Lege Artis Chor aus dem russischen Sankt Petersburg bieten eine ordentliche Leistung. In der Summe bleibt der Verdacht, dass diese Aufnahme nur als Erinnerung für Publikum und Teilnehmer taugt. (1 DVD, Dynamic, 37740)

Das britische Ensemble The Sixteen unter seinem Gründer und Leiter Harry Christophers hat sich in seiner Diskographie bereits ausführlich Claudio Monteverdis Werk gewidmet. Unter anderem liegt die Messa in illo tempore (1610) vor, ebenso auf drei CDs die Selva morale e spirituale von 1641 und die posthume Messa a quattro voci et salmi. Monteverdis Marienvesper Vespro della Beata Vergine von 1610 wurde von The Sixteen 2014 eingespielt und aufgrund der tadellosen Stimmleistungen für einen Grammy in der Kategorie „Best Choral Performance“ nominiert, es gelingt dem britischen Ensemble, die Vesper schlank und transparent, aber manchen vielleicht etwas zu protestantisch-nüchtern zu interpretieren. Die Konkurrenz ist allerdings groß, Gardiner (die DG-Aufnahme wurde dieses Jahr bei Archiv mit umfangreichem Booklet neu aufgelegt), Harnoncourt, Savall und Alessandrini – die beste Interpretation kann man ausführlich abwägen. Bei der BBC erschien eine Sonderedition Monteverdi in Mantua – The Genius of the Vespers. Diese enthält die beiden CDs der Marienvesper und zusätzlich eine DVD mit einer Dokumentation der BBC über Monteverdi, die nur in englischer Sprache vorliegt. Moderiert von Simon Russel Beale sieht man eine informative und gut gemachte ca. einstündige Sendung mit schönen Aufnahmen aus Mantua, The Sixteen singen Beispiele aus Montverdis Werk. Als Kennenlern-Set für kulturbeflissene Monteverdi- und Italien-Fans kann diese Zusammenstellung reizvoll sein und stellt einen schönen Beitrag zum Monteverdi-Jahr dar (2CD + 1DVD, CORO, COR16237) Marcus Budwitius

Der Star ist das Orchester

 

Von den immerhin zehn Opern von Antonin Dvorák ist die 1901 uraufgeführte Rusalka sicherlich die bedeutendste und zudem auch die weithin meistgespielte. Als „lyrisches Märchen in drei Akten“ bezeichnet, lassen sich viele Parallelen zur deutschen Undine, zur dänischen kleinen Meerjungfrau und zur französischen Melusine finden. Die Überschreitung natürlicher Grenzen wird dem ungleichen Liebespaar Nixe und Prinz zum Verhängnis, was der Oper einen durchaus moralischen Unterton verleiht. Anlässlich der Salzburger Festspiele 2008 entstand eine vielbeachtete, szenisch von Jossi Wieler und Sergio Morabito betreute und auch kritisch beäugte Produktion dieses Werkes („szenischer Totalausfall“, Die Presse), welche zumindest akustisch zurecht modernen Referenzstatus beanspruchen darf.

Orfeo hat die Liveaufnahme vom 17. August 2008 aus dem Haus für Mozart der Allgemeinheit zugänglich gemacht (C 792 113 D). Ungewöhnlich ist hier besonders das Orchester: Es handelt sich um das legendäre, durch die harte Hand George Szells zu Weltruhm geführte Cleveland Orchestra, „das europäischste aller amerikanischen Orchester“, welches in diesem Zusammenhang seine erste Opernproduktion überhaupt bestritt. Am Pult der in Österreich nur allzu bekannte Franz Welser-Möst, seit 2002 Musikdirektor in Cleveland, dem es gelingt, eine Klangpracht sondergleichen zu entfalten, sowohl in den lyrischen als auch in den dramatischen Momenten. Welser-Möst agiert hier deutlich eindrucksvoller als in seiner recht glücklosen Zeit als Musikdirektor der Wiener Staatsoper (2010–2014). Kongenial die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, die ihre reichhaltige Erfahrung hier selbstredend voll ausspielen kann.

Die Sängerbesetzung lässt keine Wünsche offen. Zuvörderst muss hier Piotr Beczala als Prinz genannt werden. Man muss schon weit zurückgehen, um eine ähnliche ideale Rollenverkörperung zu finden. Schönklang mit Tiefgang. Gleich danach freilich die von Camilla Nylund gesungene Titelrolle, welcher dank verschwenderischer stimmlicher Mittel die volle Bandbreite zwischen großer Verinnerlichung und ausufernder Drastik zur Verfügung steht. Ihre Widersacherin, die fremde Fürstin, hat mit Emily Magee einen verführerischen Gegenpol. Alan Helds eher unkonventioneller Wassermann (Bariton statt Bass) hält die Balance zwischen Macht und Ohnmacht. Das sehr hohe Niveau setzt sich in den übrigen Rollen nahtlos fort: Birgit Remmert gibt eine beängstigende Wasserhexe Jezibaba; Anna Prohaska, Stephanie Atanasov und Hannah Esther Minutillo brillieren als Waldnymphentrio. Kurzum: Eine musikalische Sternstunde, wie sie selten geworden sind. Dvoráks Opernhit wird allenfalls von der Tschechischen Philharmonie unter Václav Neumann mit rein tschechischen Solisten (Supraphon) noch idiomatischer dargeboten. Das Cleveland Orchestra als heimlicher Star der Aufnahme jedenfalls hat eindrucksvoll bewiesen, dass man es nicht nur symphonisch zu den „Big Five“ rechnen darf. Daniel Hauser

Ars gallica im Konzertsaal

 

Um das Oeuvre von Camille Saint-Saens steht es im Moiment mehr als gut – der künstlerische Direktor des Palazetto Bru Zane, Alexandre Dratwicki, frönt seiner Leidenschaft für eben diesen Komponisten, dessen Oper Le Timbre d´Argent gerade (2017) in Paris aufgeführt und für die CD (Ediciones Singulares) festgehalten wurde. Lieder von Saent-Saens erschienen bereits zum Klavier unter der Schirmherrschaft des Palazetto (Tassis Christoyannis bei APARTÉ AP 132/ harmonia mundi), nun also die Orchesterlieder bei Alpha Classics (Alpha 273) unter Markus Poschner und dem Orchester der Italienischen Schweiz. Mit den beiden herausragenden Solisten Yann Beuron/ Tenor und Tassis Christoyannis/ Bass stehen wieder zwei Säulen der Palazetto-Aktivitäten vor uns, die exzellente Diktion und erstklassigen Stimmeinsatz garantieren und die mit dieser hoch interessanten CD ein so seltenes Programm vorstellen, das zu Unrecht vergessen ist. Orchesterlieder gibt es eben nicht nur von Strauss oder Reger, sondern auch von den französischen Komponisten wie Berlioz, Gounod oder Saint-Saens. Im Folgenden dazu ein Artikel von Sebastién Foerster vom Palazetto Bru Zane aus der Beilage der Alpha-Classics-CD.

 

Camille Saint-Saens 1875/ Wiki

«Wenn Sie für Ihr Lied Lust auf ein Orchester haben, tun Sie sich keinen Zwang an, das Orchesterlied ist eine soziale Notwendigkeit; gäbe es welche, so würde man in den Konzerten nicht dauernd Opernarien singen, die dort oft einen jämmerlichen Eindruck erwecken.» (Camille Saint-Saens, Brief an Marie Jaell, 1876)

Mit den Genies ist es wie bei manchen Leuchttürmen: Ihr starkes Licht blendet oft mehr, als es den Weg weist. Im Bereich des französischen Liedes schienen die Meisterwerke Faurés, Duparcs, Chaussons, Debussys und Ravels manchmal wie eine spontane, wunderbare Generation aus dem Nichts hervorzuquellen. Die Aufmerksamkeit nur auf diese Höhepunkte zu beschränken, hieße ein ganzes Jahrhundert von Überlegungen und Kämpfen in Frankreich rund um die Frage des Liedes und besonders des von einem Orchester begleiteten Liedes zu verschmähen: Seit den orchestrierten Romanzen zu Beginn des 19. Jh. über die ersten Orchesterlieder von Hector Berlioz und Félicien David bis schließlich zur Jahrhundertwende das bekannte Goldene Zeitalter erreicht wurde, steuert das Korpus der Lieder von Camille Saint-Saens unbestreitbar zur Geschichte und Entwicklung dieser Gattung bei.

Saint-Saens widmet sein Genie sehr früh der Komposition von Liedern für Gesang und Klavier und nutzt manchmal seinen Elan, um sie gleich auch zu orchestrieren: So schreibt er L’Enlevement über ein Gedicht von Victor Hugo erst für Klavier, dann für Orchester im Jahre 1848, als er erst dreizehn Jahre alt ist; das Gleiche gilt für Reverie (wieder Hugo), das er 1851 vertont und orchestriert, und 1852 für Le Pas d’armes du Roi Jean (Hugo), das als eines seiner Meisterwerke betrachtet wird. Darauf folgen 1853 Feuille de peuplier überein Gedicht von MmeAmableTastu, dann 1855 L’Attente und La Cloche (Hugo) sowie Plainte (Tastu). Unter den fünfundzwanzig Orchestermelodien, die in seinem Katalog verzeichnet sind, wurden bis heute neunzehn aufgenommen: Die Zeitspanne zwischen den Kompositionen bezeugt allein schon das Engagement des Komponisten, da siebzig Jahre zwischen L’Enlevement und Papillons (Renée de Leche) und Angelus (Pierre Aguetant) liegen, wobei beide 1918 und Aimons-nous (Theodore de Banville) 1919 komponiert wurden.

Bemerkenswert ist, dass dieses echte Engagement oft bei weitem nicht von rein musikalischen Gründen motiviert scheint In der Mitte eines Jahrhunderts, in dem die Begeisterung des Publikums für die Oper und das Theater über allem steht, in dem der Einfluss der deutschen Musik immer größer wird und die französischen Komponisten Mühe haben, ihre neuen Werke in Konzerten zu Gehör zu bringen, ist die Entwicklung der Liedgattung ein ebenso künstlerisches wie politisches, ja nationalistisches Anliegen. In diesem Kontext scheinen Saint-Saens‘ Motivationen drei Hauptanliegen zu entsprechen.

Das erste: Der Kampf gegen die erdrückende Vorherrschaft der Opernarien in den Konzertprogrammen, wobei die Opern meist von ausländischen Komponisten stammen. Saint-Saens‘ quasi systematische Widmungen an Sängerinnen und Sänger zielen also darauf ab, dass sich diese an der Förderung des neuen Repertoires beteiligen.

Das zweite Motiv ist die Behauptung, das Gedicht sei der Musik überlegen, was den Komponisten dazu veranlasst, die Verse auf die Melodie zu schmieden „wie ein Goldschmied einen Edelstein fasst“. In seiner gesamten Korrespondenz und seinen zahlreichen Schriften trifft man immer wieder auf einen Camille Saint-Saens, der es für seine Mission hält, für ein klassisches Verständnis des Verses und der Prosodie einzutreten. Unpassende Akzente, falsche Silbentrennungen und Zeilensprünge, wie sie zeitgenössische Operetten- und Opernkomponisten verwenden – vor allem wenn sie wie Offenbach und Flotow aus anderen Ländern stammen – liefern ihm Stoff zu einem permanenten Kampf und nicht weniger häufigen Klagen.

Drittens geht es ihm darum, durch seine Arbeit und Überlegungen zu einer echten Ars gallica beizutragen, wie es sich die Societé nationale de musique ab ihrer Gründung im Jahre 1871 im Zusammenhang mit der Niederlage gegenüber Preußen zur Aufgabe gemacht hatte. Untersucht man den besonderen Fall des Orchesterliedes, so wird klar, dass sich dieses spezifisch französische Genie voll und ganz der hier auf das Lied angewandten Instrumentationsarbeit widmete, das heißt dem, was man Orchesterfarbe nennt.

All diese Nuancen und Motivationen sind im oben zitierten Brief an Maire Jaell erkennbar, wobei die Verwendung des deutschen Wortes „Lied“ unbestreitbar daran erinnert, dass sich der französische Komponist mit der Tradition des deutschen Liedes verbunden fühlt: So drücken L’Enlevement, Extase (Victor Hugo), La Feuille de peuplier und Reverie, deren Strophenformen nur von einem melodischen Motiv begleitet werden, einen einzigen Zustand aus, während gebrochene Akkorde und Arpeggios vorherrschen, die für eine für Klavier konzipierte Begleitung typisch sind.

Aber auch Besonderheiten von Saint-Saens‘ Kunst treten zutage: ein gewisser Sinn für Pittoreskes und (manchmal schwarzen) Humor, ja für Fantastisches durchzieht den Danse macabre (Henri Cazalis), Les Fées und Le Pas d’armes du Roi Jean. In letzterem und in mehreren anderen Liedern (Les Cloches de la mer, Desir d’amour, Aimons-nous, Papillons, Souvenances) erreicht die Kunst des Koloristen Außerordentliches: Jede Strophe hat ihre eigene Textur, jedes Bild seine Klangatmosphäre.

Die Präzisionsarbeit der beiden Interpreten Yann Beuron und Tassis Christoyannis hinsichtlich der Eloquenz wird dem ästhetischen Projekt des Komponisten vollkommen gerecht: Das Wort hat die Vorherrschaft, das Orchester dient.

Camille Saint-Saens im Konzert 1913/ efemeridespedrobeltran.com

Letzter charakteristischer Aspekt: die Exotik, deren Verfechter Saint-Saens unbestreitbar ist und die die drei orchestrierten Stücke der Mélodies persanes op. 26 für Singstimme und Klavier prägt. La Splendeur vide, Au cimetière und La Brise verwenden jedes auf seine Art alte Tonarten, Ostinato-Rhythmen, die ein Gefühl von Wehmut hervorrufen, und Melismen im Gesang. Genau das Richtige, um ein Publikum zu betören, das auf unbekannte Sinnlichkeiten besessen ist.

Die Experimente, die am französischen Lied danach vorgenommen wurden, sind zweifellos in der Nachfolge von Camille Saint-Saens‘ Kompositionen zu verstehen: sowohl als akzeptiertes Erbe, als auch als Ablehnung bestimmter, als rückläufig beurteilter Konzeptionen. So war das Terrain frei für eine außerordentliche Vertiefung der Arbeit über die Orchesterfarbe, aber auch für die unausweichliche Emanzipation der Musik jenseits der Sphäre der Poesie. Sébastien Troester/ Übersetzung Palazetto Bru Zane/ Silvia Berutti-Ronet/ Alpha Classics/ Foto oben: Camille Saint-Saens/ Wikipedia

Märchentante

 

Nun auch ein Buch geschrieben wie bereits viele ihrer Kollegen und Kolleginnen hat Katia Ricciarelli und setzt damit nicht in Erstaunen, weil sie es überhaupt tat, sondern ob des Sujets, das sie gewählt hat. Nicht ihre erfolgreiche Karriere als Sängerin, nicht ihr Wirken als Direttore artistico des Festivals in Macerata, das ihr einige der interessantesten Spielzeiten zu verdanken hat, und nicht die leidenschaftliche Liebesgeschichte, die sie mit José Carreras verband, noch die Ehe mit dem Fernseh-Superstar Pippo Baudo und der unerfüllte Kinderwunsch, an dem eine ganze Nation dank vieler Illustriertenberichte Anteil nahm, sind Gegenstand der ca. 150 Seiten, sondern „Vi canto una storia“ (Ich singe euch eine Geschchte) ist der Titel des Buches mit dem Zusatz „L’opera racontata ai ragazzi“ (Die Oper den Kindern erzählt).

Katia Ricciarelli präsentierte ihr neues Buch „Vi canto una storia“ in ganz Italien, hier in Brindisi/ Brindisi.time.it

Wie viele italienische Musiker macht sich La Ricciarelli offensichtlich Sorgen über den Mangel an musikalischer Erziehung in italienischen Schulen, über den Niedergang der klassischen Musik in ihrem Heimatland, der Riccardo Muti erst unlängst äußern ließ, Italien sei nicht mehr das Land der Musik, sondern das der Musikgeschichte.

Offensichtlich ist es das Ziel der Autorin und ihres Mitautors Marco Carrozzo, Kinder für den Besuch von Opern zu gewinnen, und sie erfindet dazu eine Rahmenhandlung, in der sie nacheinander vier Kindern mit unterschiedlicher Skepsis gegenüber  der Gattung die Handlung von Opern als fiabe speciali (besondere Märchen) erzählt und schließlich mit allen Vieren die Oper „Hänsel und Gretel“ besucht und damit einen Riesenerfolg erzielt.

Skeptisch macht den erwachsenen und wohl auch den jugendlichen Leser die Menge von Zufällen, die die Sängerin immer genau das richtige Kind, die richtige Situation und die passende Opernhandlung zusammenfinden lassen. Auch geht es ausschließlich um Inhaltsangaben, nie um die Musik, und da zudem noch das Libretto nicht spannend nacherzählt wird, sondern Inhaltsangaben im Präsens geboten werden, die von Fragen und Bemerkungen unterbrochen werden, der Bezug zum Märchen als roter Faden sich durch das Buch zieht, wird suggeriert, dass  der Wert einer Oper sich an ihrer Nähe zum Märchen bemessen lässt. Geht es, selten genug, wirklich um die Oper, so um die Stimmgattungen, dann werden nur die Bezeichnungen, also Sopran usw. genannt, aber nicht einmal erwähnt, dass es um die Höhe der jeweiligen Stimme geht. Dass auch einmal ein Pamino erwähnt wird oder  der Inhalt vom Barbiere nicht ganz korrekt wiedergegeben wird und Hänsel und Gretel ohne Taumännchen und Engelsschar auskommen müssen, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Auch Kinder dürften die Rahmenhandlung als zu betulich-neckisch-sentimental ansehen, und sie werden dazu gebracht zu glauben, dass Opern, wie der Text mehr als nahelegt, besondere Märchen sind, nur weil Ricciarelli  diejenigen ausgewählt hat, die das mehr oder weniger glauben machen wie Elisir, Falstaff, Barbiere, Cenerentola, Zauberflöte und Barbiere.  Il Canto, der doch im Titel zumindest in Verbform vorkommt, spielt so gut wie keine Rolle außer im Anhang, in dem CDs und  DVDs, möglichst mit dem Sopran unter den Mitwirkenden, empfohlen  werden. Hübsch ist das Cover mit einer von Opernfiguren umgebenen jugendlichen Katia Ricciarelli, ansprechend sind auch die Zeichnungen von Desideria Guicciardini im Buch (Edizione Piemme, Mailand 2016, ISBN 978-88-566-5248-2). Ingrid Wanja

Walpurgisnacht

 

Wer sich für Lieder und Balladen von Carl Loewe interessiert, sollte jetzt genau hinhören. Die Sopranistin Dorothe Ingenfeld hat für ihre CD „Von Müttern und Töchtern“ ein Stück ausgewählt, das es bisher offenbar nur einmal auf Tonträger schaffte: die Walpurgisnacht auf einen Text von Willibald Alexis. Der aus Breslau stammende Schriftsteller, der zwischen 1798 und 1871 lebte, gilt als Begründer des realistischen historischen Romans in der deutschen Literatur und somit als Vorläufer von Theodor Fontane. Er war nur zwei Jahre älter als Loewe. Die Walpurgisnacht ist ein frühes Werk und bildet mit Treuröschen und Herr Oluf als Opus 2 eine Gruppe. Es ist ein Dialog zwischen Tochter und ihrer Mutter, die sich in dessen Verlauf als Hexe herausstellt, die in der Walpurgisnacht „oben auf dem Blocksberg gewacht“ hat. Blocksberg ist eine alternative Bezeichnung für den Brocken im Harz, die im Zusammenhang mit dem Hexenmythos verwendet wird. Der Dialog, auf die Fragen der Tochter folgen die Antworten der Mutter, offenbart eine völlig zerrüttete Beziehung. Erstmals tauchte die Ballade als Tondokument in der Gesamtausgabe der Lieder und Balladen von Loewe bei cpo auf und wird dort von Gabriele Rossmanith gesungen.

Jetzt folgt ihr Dorothe Ingenfeld mit einer sehr pointierten Interpretation nach, deren CD als Einspielung des Deutschlandradios beim Label dreyer gaido herausgekommen ist (CD 21103). Am Klavier begleitet wird sie wechselseitig von Anita Keller und Katrin Dasch. Die drei Frauen haben gut recherchiert und dem Vernehmen nach viel mehr Lieder zum Thema gefunden, als letztlich auf eine CD passten. Es dominieren die Komponisten mit den großen Namen: Mozart, Brahms, Schumann, Reger, Wolf, Chopin, Schubert, Pfitzner, Wagner, Franz, Haydn, Mahler und der erwähnte Loewe. Britten ist mit A Charm die absolute Ausnahme. Lieder nach einem Thema auszuwählen und nicht zu vorderst nach den stimmlichen Voraussetzungen hat seine Tücken. Nicht alles gelingt perfekt, auch die Walpurgisnacht nicht. Insgesamt aber ist eine höchst interessante Produktion zustande gekommen.

Rätselhaft ist, warum diese Ballade, die zu Loewes besten Schöpfungen gezählt werden darf, ein solches Schattendasein führt. Die betuliche Uhr, die mit den Namen des Komponisten am engsten verknüpft ist, hat es mehr als fünfzig Einspielungen gebracht, Edward, das formale Gegenstück zur Walpurgisnacht, auf mindestens fünfundzwanzig. Liegt eine Erklärung in der Tatsache, dass die Gesänge Loewes über Jahrzehnte eine Männerdomäne waren, die Walpurgisnacht aber unbedingt eine Interpretin verlangt? In der Sekundärliteratur finden sich allerlei Hinweise auf das Stück. Lula Mysz-Gmeiner (1876 bis 1948), eine berühmte Altistin, Lehrerin und Schwiegermutter von Peter Anders, hat sich mit der Walpurgisnacht zwar beschäftigt, sie letztlich aber wohl nicht in ihr Repertoire aufgenommen. Überliefert ist ein Briefwechsel mit Max Runge, der nach dem Tod Loewes im Auftrag der Familie die Lieder und Balladen herausgegeben hat. Runge hatte die Sängerin nach einem Liederabend offenbar ermuntert, sich auch der Walpurgisnacht anzunehmen. Ihre Antwort vom 23. November 1926: „Die Walpurgisnacht ist mir natürlich bekannt … sie liegt mir jedoch in der Originallage zu hoch und verliert bei Transposition in meine Stimmlage.“ Sie wolle sich aber erneut damit beschäftigen – „vielleicht kann ich sie doch singen“. Was daraus wurde, ist mir nicht bekannt. Aufgenommen hat die Sängerin allerdings die Ballade Herr Oluf aus derselben Opus-Gruppe. Eine weitere Spurt führt zu Richard Wagner nach Bayreuth. Im Januar 1881 vermerkt Frau Cosima in ihrem Tagebuch: „R. trägt einige Balladen von Loewe vor, wie er sagt, um zu zeigen, was an uns Germanen verlorengegangen ist.“ Loewe galt etwas in Wahnfried. Noch in Venedig, drei Monate vor seinem Tod, fantasierte er auf einem neuen Flügel und ließ dabei auch – wie es Cosima ausdrückt – den Jüngling von Elvershöh mit einfließen. Gemeint ist die frühe Ballade Elvershöh, die noch an anderer Stelle des umfangreichen Tagesbuchs erwähnt wird wie auch Herr Oluf, Der Wirtin Töchterlein und der in seiner Dramatik an Shakespeare erinnernde Edward nach einer Übersetzung von Herder aus dem Schottischen. Die Walpurgisnacht trägt bei Cosima den Titel „Hexen“. So wird sie auch in einigen älteren Ausgaben bezeichnet. Loewe selbst soll diesen Namen auch gebraucht haben.

Eine wichtige Quelle in diesem Zusammenhang ist die Autobiographie „Mein Leben“ von Lilli Lehmann, die bei der ersten geschlossenen Aufführung des Ring des Nibelungen 1876 in Bayreuth die Woglinde sang: „Bei Wagner kamen wir … allabendlich zusammen … nur Liszt nebst den nächsten Bayreuther Freunden waren diesem Kreise zugestellt. Gura sang viel Löw’sche Balladen, die Wagner ganz besonders liebte. Hier war es auch, wo er mir Löwes Ballade Walpurgisnacht vorsang, deren Bedeutung er besonders hervorhob und Jos. Rubinstein aufstehen hieß, um sie selbst zu begleiten, weil er (gemeint ist Joseph Rubinstein) den Geist des Gedichts resp. der Komposition nicht richtig erfasste.“ Wagner habe sich verwundert gezeigt, dass die Ballade „nie gesungen würde, die doch mächtig sei, und legte sie mir besonders ans Herz“. Obwohl die Lehmann mehr als zehn Lieder aufgenommen hat, Loewe ist leider nicht dabei. Rüdiger Winter