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Noch ein Ballet von Adolphe Adam. Jetzt geht es um Griseldis, neu bei Naxos unter Dario Salvi (8.574621-22). Erstaunlicher Weise ist das keine Meterware, sondern hier gibt es ein paar Überraschungen, die vom „normalen“ Ballett abweichen und in Richtung Oper gehen. Griseldis ist ja ein bekannter Topos in der Oper, von Scarlatti bis Massenet. Dies hier hat damit aber gar nichts zu tun, zu meiner eigenen Überraschung. Hier gibt es eine völlig andere Handlung und war eine Hommage war an die Tänzerin Carlotta Grisi(* 28. Juni 1819 in Visinada, als Caronna Adela Giuseppina Maria Grisi † 20. Mai 1899 in Saint-Jean, Genf, Schweiz). Sie war Tänzerin und sang zudem (die berühmten Opernsängerinnen Giusitta und Gulia Grisi waren ihre Cousinen). Man hat ihr schmeicheln wollen und namensgleich diesen Titel gewählt. Giselle war ja Adams Kassenschlager. Adam hat bekannter Maßen viele Ballette geschrieben, 13 oder 14 Ballette gibt es von ihm. Und zwei davon waren immer vergleichsweise sehr populär. Giselle und mit ein bisschen Abstand der Corsair. Die anderen werden eben jetzt allmählich wiederentdeckt. Besonders, weil sich das Label Naxos dahinter klemmt. Mit Griseldis erscheint bei denen bereits das fünfte Adam Ballett auf CD. Bisher gibt es so seltene Titel wie das Patenkind der Feen oder Orpha. Und ich finde das toll, dass das Label das macht. Adam ist schon ganz wichtig für die Geschichte des Balletts.
Er ist der erste bedeutende, überhaupt moderne Ballettkomponist. Derjenige, der das Handlungsballett zwar nicht gerade erfunden hat, aber es zur romantischen Großform erhoben hat. Ohne ihn ist dieser Wandel von der vergnüglichen Tanzeinlage, die es ja vor allem in Opern gab, zum programmatischen Abend à la Schwanensee gar nicht denkbar. Und er hat der Ballettform entscheidende Schübe in Richtung Moderne verpasst. Er hat zum Beispiel das Leitmotiv im Ballett eingeführt. Er hat große Spannungsbögen innerhalb der Akte eingebaut und vieles mehr.
Griseldis ist so ein innovatives Ballett. 1848 aufgeführt. Und das ist besonders spannend, weil hier Adam versucht, das Ballett auch um die Attraktionen der Oper zu erweitern. Zum Beispiel gibt es einen unsichtbaren Summchor, der im Vorspiel auftaucht. Das ist schon verrückt. Natürlich gibt es hier auch den ganzen pseudoromantischen Kram, der damals hochmodern. Wieder ein Prinz und eine Prinzessin, die sich da finden wollen. In einem surrealen Moldawien, irgendwo im Böhmischen Wald. Und es gibt auch Beschwörungen, eine große Hypnoseszene, Mesmerismus. Also alles wie gehabt. Aber wenn man genauer hinsieht, dann staunt man doch über die aufklärerische Struktur in diesem Werk. Adam wollte mehr schreiben als nur ein Ballett von der Stange. Diese Bilder, diese Tableaus, sind den fünf Sinnen gewidmet. Eine schöne Idee. Sie sind überschrieben mit Sehen, Hören, Berühren, Riechen, Schmecken. Das letzte Bild ist dann nochmal eine Transzendenz. Das heißt dann Einsicht, wo man auf eine höhere Sphäre gelangt. Ganz schön philosophisch für so einen Entertainment-Komponisten.

Carlotta Grisi in der Titelrolle von „Giselle“ (1. Akt), 1842/Wikipedia
Adam hat sich bemüht, eine recht komplexe Handlung zu vertonen und eben nicht so viel Dekoratives zu schreiben. Es gibt erstaunlich viele handelnde Elemente und nicht so viel Drumrum-Brimborium, wo nur auf- und abgetanzt wird. Vieles ist zum Teil sehr schön instrumentiert in fast Meyenbeerscher Manier, sehr melodiös. Der Clou ist, dass dieses Stück auf einen Megastar, Carlotta Grisi, zugeschnitten war. Sie hatte sich damals rar gemacht, und man überlegte, was man der Prima Donna bieten musste, dass sie wieder auf die Bühne zurückkehrte. Und kam auf eine gemischte Offerte, eben tanzen und singen. Und deswegen hat man ihr auch ein paar Takte zum Singen gegeben – ein Grisi-Doppel-Akt sozusagen.
Und das ist hier natürlich auch zu hören. Ich hätte mir ich eine andere Vokal-Besetzung gewünscht. Maria Jelic auf dieser neuen Aufnahme ist nicht gerade ein Superstar. Schade wirklich, weil sie eigentlich mit der Gesangseinlage der Höhepunkt des Werks ist und hier doch ziemlich schütter wirkt. Ich finde es aber dennoch total außergewöhnlich, dass in einem Ballett überhaupt gesungen wird. Der Dirigent Dario Salvi ist die Seele solcher Entdeckungen, nicht nur bei Naxos. Man muss das so deutlich sagen. Er buddelt in den Archiven, ediert das Material und klemmt sich mit enormer Leidenschaft hinter solche Projekte. Im Detail dirigiert er vielleicht nicht immer elegant, finde ich. Seine Art zu dirigieren ist mir in der letzten Zeit auch bei anderen Aufnahmen ein bisschen zu effekthascherisch. Die Tutti werden oft sehr harsch und sehr rasselnd mit Berserkerwut durchgeklappert. Was dann bei Adam manchmal auch kurkapellig klingt. Schade. Die Sofia-Philharmonie kommt ihm da auch entgegen und entwickelt eine plakative Lust an rumsigen Effekten (Sofia Philharmonic Orchestra, Sofia Philharmonic Choir). Das macht zwar oberflächlich gesehen was her, aber auf die Dauer raubt es Adam die Eleganz. Salvi klang mit anderen Klangkörpern schon substanzieller und auch subtiler. Dazu kommt hier diese Aufnahmequalität. Die Philharmonie Sofia wirkt erstaunlich ungeeignet, topfig, , mit dumpfem Hall. Das stört auf die Dauer. Die Aufnahme wurde sogar als Weltpremiere angekündigt. Über diese erwähnten Mängel (namentlich die Sopranistin) muss man drüber weghören, und deswegen muss man auch zufrieden sein mit dem, was wir jetzt hier haben. Wie bei älteren Schwarzmarkt-Titeln und Radioaufnahmen muss man sich das ein bisschen schön-hören, anders werden wir´s nicht noch einmal bekommen. Und die Musik ist ja über weite Strecken solide gespielt. M. K./G. H.