Nicht nur „Martha“…

 

Wer hat nicht alles Lionels Arie aus der der Flotow-Oper Martha gesungen! Jeder Tenor von Rang von Caruso bis Kaufmann tat es. Aber auch jedes Wunschkonzert im Radio oder in Bodenmulden wurde damit bis in die Sechziger beglückt. Und die Liste der Gesamteinspielungen und Querschnitte ist eine Reise durch die Aufnahmegeschichte. Aber eben – nicht nur Martha beweist Flotows Können auf dem Gebiet der gehobenen Unterhaltung des mittleren 19. Jahrhunderts. Auch die (drei weiteren dokumentierten) Opern Alessandro Stradella (u. a. hinreißend Werner Hollweg bei Gala und dem BR – leider wie auch die Capriccio-Einspielung mit Jörg Dürrmüller vergriffen), Zilda (bei Line als Fatme angeboten mit Ingeborg Hallstein, dto. BR) sowie die heitere Witwe Grapin (dto. Line mit Franz Fehringer vom HR) sprechen von Flotows Gespür für das Heitere. Und Alessandro Stradella ist einen eigenen Artikel in naher Zukunft in operalounge.de wert. Und bei youtube gibt´s ein bizarres Dokument aus Indra – einen Marsch nach Motiven der Oper von Carl Neumann, der beim Berliner Gardeschützen-Battalion war und die Musik zur Parade eingerichtet hatte…

Orchestermusik von Flotow bei Sterling

Aber kennt jemand noch den Titel seiner Pariser Oper  von 1844, L´esclave de Camoens? Seine schmissige Bühnenmusik zu Wilhelm von Oranien in Whitehall  von Gustav Edler Gans zu Putlitz? „I´m not making this up!“ würde Anna Russell jetzt sagen, denn den Dichter mit dem putzigen Namen wie den Titel gibt’s wirklich, die Musik auch. Eine nicht mehr ganz neue CD von Sterling (2007/ CDS 1070-2) vereint nicht nur die schmissigen zwei Klavierkonzerte (Hans Wiesheu dirigiert das Pilsener Philharmonische Orchester mit dem fabelhaften Pianisten Carl Peterson am Klavier) mit der ebenfalls kaum bekannten „Jubel-Ouvertüre“ und eben der Bühnenmusik zu Wilhelm von Oranien.

Die andere CD von Sterling ist ein kammermusikalisches Schatzkästchen voller  Petitessen von Offenbach und Flotow für Klavier und CelloCarl Petersson und Estera Rajnicka spielen so abenteuerliche Titel wie eben den Sklaven des Camoens, einen hinreißenden Galop de Servantes, eine  Valse de Greewich und zwei weitere Variationen aus Martha neben Köstlichkeiten von Offenbach (Au bord de la mer, Souvenir du bal, La prière du soir, Ballade du Pâtre, La retraite und einen bezaubernden Danse norvegiénne – letztere mit akutem Cello-Einsatz/2012/ Sterling CDS 1668-2). Sehr schmissig.

Duette für Klavier und Cello von Flotow und Offenbach bei Sterling

Mehr zu Friedrich von Flotow gibt es im Booklet zur ersten CD vom Dirigenten, dem Orchesterwerk unter Hans Peter Wiesheu, der den Komponisten aus der Sicht eines Musikers beschreibt. Es zeigt sich, dass Flotow eben kein Ein-Opern-Komponist war und dass sein übriges recht umfangreiches Werk (nachzulesen bei Wikipedia) zu Unrecht vergessen ist.  G. H.

 

Ein näherer Blick auf den unterschätzten und nur für die Martha verantwortlich gemachten Flotow lohnt sich. Informationen zu Flotows Leben aus dem wie stets (fast) unersetzlichen Wikipedia: Friedrich von Flotow (Nr. 258 der Geschlechtszählung) gehört zu den bekanntesten Vertretern der seit 1241 urkundlich nachgewiesen Familie Flotow, die zum mecklenburgischen Uradel gehört. Er wurde 1812 geboren als zweites von vier Kindern und ältester Sohn des Gutsbesitzers und preußischen Rittmeisters Wilhelm von Flotow (1785–1847; Nr. 174) auf Teutendorf (heute ein Ortsteil von Sanitz) und Wendfeld und dessen Frau, Caroline Sophie Rahel von Böckmann (1792–1862). Beide Eltern waren musikalisch gebildet. Der Vater spielte Flöte, die Mutter Klavier. Von seiner Mutter erhielt Flotow im Privatunterricht seine ersten Musikkenntnisse.

M.me Darcier, rôle de Griselda dans L’esclave de Camoens, Théâtre de l’opéra comique, Galerie dramatique/ BNO

Sein Vater hatte für Flotow eigentlich eine diplomatische Laufbahn geplant, doch als sein musikalisches Talent offenbar wurde, ließ sein Vater ihn auf Empfehlung des Klarinettenvirtuosen Ivan Müller die Laufbahn eines Musikers einschlagen. Von 1828 an studierte er am Conservatoire de Paris Komposition bei Anton Reicha und Klavier bei Johann Peter Pixis. Dort freundete er sich unter anderem mit Charles Gounod und Jacques Offenbach an.

Dazu schreibt Hans Peter Wiesheu in seinem lesenswerten Artikel: (…) Im  Sommer 1830 trifft er wieder in Teutendorf ein, im Gepäck eine Vielzahl von Kompositionen, darunter eine fragmentarisch erhaltene Messe. Neben der Oper Pierre et Catherine schrieb Flotow auch ein Klavierkonzert in c-moll, dessen „Uraufführung“ unter kuriosen Verhältnissen bei den Proben kurz vor Weihnachten 1830 im Theater in Güstrow über die Bühne ging. Die in der Partitur vorgeschriebe­nen Bläser waren nicht besetzt, nur einige Streicher waren anwesend. Dann kam es zu klein­städtischen Streitereien, der Cellist verließ die Probe, die daraufhin abgebrochen wurde. Nach­dem man sich wieder versöhnte, gab es eine weitere Probe am nächsten Tag. Der Konzertabend kam, das Haus war – wie Flotow schreibt – brillant besetzt. Am Schluss des ersten Satzes sprang eine Klaviersaite. Die Reparatur hätte beinahe zu Streitereien zwischen den beiden rivalisierenden Klavierverkäufern in Güstrow geführt. Einer von beiden hatte aber schon kräftig dem Rotwein zu­gesprochen, sodass ihn ein Nachtwächter nach Hause bringen musste. Das Konzert endete – so Flotow – ohne weiteren Zwischenfall zur allge­meinen Befriedigung.

Im Jahr 1830 war Flotow für kurze Zeit nach Deutschland zurückgekehrt. Hier komponierte er seine ersten dramatischen Werke: Pierre et Cathérine, Rob Roy und La duchesse de Guise, die er dann in Paris nicht ohne Mühe zur Aufführung brachte. Die Frische der Melodien und der heitere Sinn, der sich in diesen Werken aussprach, fanden Anklang, und unaufgefordert übertrug ihm 1838 der Direktor des Théâtre de la Renaissance die Komposition des zweiten Aktes der Genreoper Le Naufrage de la Méduse, die binnen Jahresfrist 54 Mal aufgeführt wurde.

Friedrich von Flotow: Illustration zur Uraufführung von „Alessandro Stradella“/ BNO

Dazu auch Hans Peter Wiesheu: (…) Ein zweites Klavierkonzert entstand 1831, das bis heute ohne Uraufführung im Konzertsaal blieb. In der Thematik nicht unbeeinflusst von Carl Maria von Weber, wartet dieses Konzert mit der Beson­derheit der Viersätzigkeit (Scherzo als 2. Satz) auf. Lange vor Brahms (geboren erst 1833!) kompo­nierte Flotow also bereits ein viersätziges Klavier­konzert und übernimmt damit die Form der Symphonie für das Solokonzert. Das Thema der langsamen Streichereinleitung des ersten Satzes wird im 4. Satz als Klammer maestoso durch das ganze Orchester wiederholt, bevor eine kurze Coda zum Ende führt. (…)

Durch seine Studienjahre bei Reicha war Flotow u.a. mit Adolphe Adam, Charles Gounod, Hector Berlioz, Giacomo Meyerbeer und Francis Auber befreundet. Rossini lernte er eben­so wie Victor Hugo, Honore de Balzac, Prosper Merimee und Heinrich Heine in den musikalischen Salons kennen. Heine war kein großer Freund dieser gelegentlich doch recht dilettantischen Dar­bietungen. Manche Musiker nannte er „Leute, die zu den schlimmsten Hoffnungen Anlass boten.“ (…)

Auf die oben genannten  Opern folgten in kurzen Zwischenräumen Le forestier (1840), L’esclave de Camoëns (1843) und das in Gemeinschaft mit Friedrich Burgmüller und Edouard Deldevez komponierte Ballett Lady Harriet (1844).  Das Jahr 1838 sollte zwei entscheidende Begegnungen bringen. Er hört zum ersten Mal Frederic Chopin spielen und begegnet der Zigarre rauchenden Dichterin Georges Sand.

Hans Peter Wiesheu zitiert: „Die Gesellschaft brach auf, auch ich empfahl mich, ent­zückt, in dem Gastgeber einen vollendeten Kavalier kennengelernt, den berühmten Chopin gehört und die berühmteste Schriftstellerin Frankreichs rauchen gesehen zu haben.“ Und weiter:

Friedrich von Flotow: „Alessandro Stradella“ mit Werner Hollweg vom BR bei Gala

Etwa zeitgleich lernte Flotow einen jungen Deutschen kennen, der sich Jakob Eberscht nannte, ausgezeichnet Cello spielte und sehr arm war. Flotow versprach ihm, Zutritt zu den Salons zu ver­schaffen. Gemeinsam komponierten sie 12 Baga­tellen für Cello und Klavier. Bei einer Soiree hatten sie Gelegenheit, ihre Kompositionen der Öffent­lichkeit vorzustellen. Die beiden Musiker waren mit ihren Stücken so erfolgreich, dass sie diese im Winter 1838/39 über 100 Mal in diversen Salons spielen mussten. Eberscht lernte dabei das Pariser Leben kennen, das Grundlage seiner späteren Operettenerfolge werden sollte. Die Freundschaft hielt lebenslang, zuletzt trafen sich die beiden Freunde 1878 in Paris. Eberscht entstammte einer jüdischen Kantorenfamilie aus Köln. Indirekt verdankt die Musikwelt also der Hilfsbereitschaft Flotows die Welterfolge des Komponisten, der sich in Frankreich Jacques Offenbach nannte. 1839 schrieb Flotow das Trio de Salon, das von Jules Offenbach (Violine. Bruder von Jacques), Jacques Offenbach (Violoncello) und Flotow (Klavier) in einem Pariser Salon uraufgeführt wurde. (…)

1844 konnte er mit der in Hamburg uraufgeführten Oper Alessandro Stradella seinen ersten großen Erfolg vermelden. Zusammen mit seiner in Wien uraufgeführten Oper Martha oder Der Markt von Richmond bildet sie den Grundstock für Flotows hohen Bekanntheitsgrad. Die Libretti der beiden Opern stammten von Friedrich Wilhelm Riese (Pseudonym: Wilhelm Friedrich), der beim Schreiben auf ältere Werke, die unter der Mitarbeit von Flotow entstanden, zurückgriff. So basiert der Text von Martha auf Lady Harriet.

(…) 1855 übernahm Flotow die Intendanz des Theaters in Schwerin. Er komponierte für seine Musiker u.a. zwei Streichquartette, wovon eines bei einem Brand verloren ging, sowie eine Violin­sonate und mehrere Melodramen auf Texte von Franz Freiherr von Gaudy. Zur Wiedereröffnung des Schweriner Schlosses 1857 schrieb er die Jubel- Ouverture und die mecklenburgische Gelegen­heitsoper Johann Albrecht. Ebenfalls für Schwerin komponierte Flotow 1861 für die Aufführungen des Schauspiels Wilhelm von Oranien in Whitehall von Gustav Edler Gans zu Putlitz eine Introduktion und 4 Zwischenaktsmusiken. Vorurteile, Antisemi­tismus und Schikanen der Hofbürokratie veranlassten Flotow seine Stelle als Intendant aufzu­geben. Sein Freund Gustav zu Putlitz wurde sein Nachfolger. Erneut zog Flotow nach Wien.(Wiesheu)

Friedrich von Flotow: Frontespiece des Librettos zur Oper „L´esclave du Camoens/ OBA

Von Flotows spätere Opern, wie zum Beispiel Die Großfürstin (1850, Libretto von Charlotte Birch-Pfeiffer), Rübezahl (1853, Libretto von Gustav Gans zu Putlitz) oder Albin (1856, Salomon Hermann Mosenthal), konnten keinen nachhaltigen Erfolg erringen und erscheinen nur als blasse Reproduktionen der früheren Werke.

1848 kehrte Flotow wieder nach Mecklenburg zurück, um das Erbe seines Vaters anzutreten. Am 21. August 1849 heiratete er Elisabeth von Zadow (1832–1851).[3] Im November 1855 heiratete er nach dem frühen Tod Elisabeths die Tänzerin Anna Theen (1833–1872), die ihm drei Kinder, Wilhelm (1855–1872), Friedrich (1857–1918) und Karoline (1851–1864), gebar.

Inzwischen war Flotow 1855 zum Hoftheaterintendanten in Schwerin berufen und zum großherzoglich mecklenburgischen Kammerherrn ernannt worden. Zur Einweihung des Neuen Schweriner Schlosses komponierte er 1857 die Oper Johann Albrecht, Herzog von Mecklenburg. Aus dieser Schaffensperiode stammt auch La Veuve Grapin. 1863 gab er seinen Posten auf und zog nach Wien, wo er in die Künstlergemeinschaft Die grüne Insel eintrat, für die er viele Lieder komponierte.

Später beteiligte sich Flotow an der Gründung der deutschen Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten, die, ähnlich der heutigen GEMA, die Urheberrechte der Komponisten schützen sollte. Nachdem von Flotow sich in Wien 1867/68 von seiner Frau Anna hatte scheiden lassen, heiratete er am 9. August 1868 ihre Schwester Rosina Theen (1846–1925). Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor.

Grab von Friedrich von Flotow auf dem Alten Friedhof in Darmstadt/ wiki

Von 1880 an lebte Flotow bei seiner Schwester Bernhardine Rößner in Darmstadt, wo er eine Villa erworben hatte. Dort starb er fast gänzlich erblindet am 24. Januar 1883 drei Wochen vor Richard Wagner. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Darmstadt.

Von seinen übrigen Kompositionen sind unter anderem eine ansprechende Musik zu Shakespeares Wintermärchen, einige Ouvertüren, Klaviertrios, zwei Klavierkonzerte und etliche Lieder anzuführen (eine Auflistung findet sich bei Wikipedia).

Und zum Schluss doch noch „Martha“: Adelina Pattia als Lady Hariett/ Dover Books

Von Flotow kann nicht als bahnbrechender Tondichter gelten. Er lehnte sich unter anderem an Komponisten der Opéra comique – namentlich Auber und Boieldieu, aber auch Offenbach – an, deren geistreiche Grazie er sich bis zu einem bestimmten Grad aneignete. Gemeinhin eignete sich Flotow jedoch keinen ausgeprägten Personalstil zu, sondern komponierte eklektizistisch. So verweisen liedhafte Elemente auf das deutsche Volkslied. Charakteristisch am auffälligsten sind jedoch die am italienischen melodramma orientierten Solistenthemen, die stark an Donizetti erinnern.

In den Opern Flotows finden sich keine gesprochenen Dialoge. Allerdings sind sie nicht etwa wie Wagners Opern durchkomponiert, sondern bestehen aus einzelnen, aneinandergereihten Gesangsstücken, die durch Rezitativpassagen verbunden werden.

Alles in allem ist seinen Werken eine gewisse Originalität nicht abzusprechen, und selbst der strengere Kritiker muss die leichte, lebendige Bewegung, den anmutigen Melodienfluss, die geschickte und effektvolle Instrumentierung derselben anerkennen, die Flotows Opern leicht konsumierbar machen. Nicht ohne Grund war Martha die meistgespielte Oper in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Quelle Wikipedia)