Archiv für den Monat: März 2023

Klangsinnlicher Strawinski aus Paris

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Ein geschlagenes Jahr ist vergangen, seitdem der finnische Dirigent Klaus Mäkelä sein vielbeachtetes Debüt beim Traditionslabel Decca mit einem kompletten Zyklus der sieben Sinfonien von Jean Sibelius machte. Lange musste man sich gedulden, bis nun die zweite diskographische Signatur des charismatischen Nordeuropäers erfolgt (Decca 485 3946). Die Auswahl der Werke ist gewiss nicht zufällig. Hatte man bei Sibelius aus die Osloer Philharmoniker gesetzt, denen Mäkelä seit 2020 vorsteht, ist es nun das Orchestre de Paris, wo er seit 2022 ebenfalls als Chefdirigent fungiert. Im Fokus stehen diesmal Igor Strawinski und seine beiden Ballette L’Oiseau de feu (Der Feuervogel) und Le Sacre du printemps (Die Frühlingsweihe), eingespielt in der Pariser Philharmonie im September und Oktober 2022. Beide Werke feierten ihre Uraufführung in Paris, der Feuervogel am 25. Juni 1910 im Théâtre National de l’Opéra und die Frühlingsweihe am 29. Mai 1913 im Théâtre des Champs-Élysées. Von daher kann man von einem hohen Grad an Idiomatik hinsichtlich der Wahl des eingesetzten französischen Orchesters sprechen.

Vom Feuervogel gibt es neben der kompletten Ballettmusik (1910) nicht weniger als drei vom Komponisten arrangierten Suiten, die auf 1911, 1919 und 1945 datieren. Einzig die erste Suite bedient sich derselben Instrumentierung wie im ursprünglichen Ballett. In den späteren Suiten hat Strawinski das Orchester verkleinert, so entfielen vor allem die direkt auf der Bühne eingesetzten Blechbläser (drei Trompeten, zwei Tenor-Wagnertuben und zwei Bass-Wagnertuben) und zwei der drei Harfen. Dass Mäkelä nun die vollständige Ballettmusik einspielt, darf ausdrücklich begrüßt werden, da die Diskographie nicht derart umfänglich ist, wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Tatsächlich dominieren die drei deutlich kürzeren Suiten eindeutig und erfolgte die erste Gesamtaufnahme der kompletten Urfassung erst im Jahre 1959 durch Antal Doráti auf dem Label Mercury. Es folgte sodann 1961 die historisch bedeutsame Einspielung durch den Komponisten selbst für Columbia (1967 nahm Strawinski auch noch die 1945er Suite auf). In der Folge nahmen sich bedeutende Dirigenten wie Pierre Boulez (1967), Ernest Ansermet (1968), Seiji Ozawa (1972 und 1983), Dmitri Kitajenko (1991) und Andris Nelsons (2009) der ungekürzten Originalpartitur an. Mäkelä muss sich also hochkarätiger Konkurrenz stellen. Es darf vorweggenommen werden, dass sich die Neueinspielung der Decca in diesem illustren Kreise gut behaupten kann. Mäkeläs Ansatz begreift das Werk noch aus der spätromantischen Tradition heraus und sieht es gewissermaßen als den letzten Ausläufer dieser von Tschaikowski perfektionierten Gattung. Es nimmt insofern nicht wunder, dass es zugespitztere, sozusagen drastischere Deutungen gibt, zuvörderst besagte Ersteinspielung Dorátis, der in seinen späten Jahren übrigens noch eine Neuaufnahme bei Decca vorlegte (1982). Von besonderem Interesse ist freilich die Tatsache, dass das Orchestre de Paris mit schon genanntem Ozawa vor genau einem halben Jahrhundert bereits eine fulminante Darbietung vorlegte. An die sensationell herausgearbeitete Durchleuchtung der Partitur á la Boulez will Mäkelä augenscheinlich nicht anknüpfen. In keiner anderen mir bekannten Aufnahme wird das Bühnenorchester so akribisch hörbar gemacht wie bei Boulez. Mäkelä, dessen Tonfall insgesamt süffiger daherkommt, nimmt sich mit 48 Minuten auch mehr Zeit als seine Vorläufer (Strawinski selbst benötigte fünf Minuten weniger). Dies führt zu einer lyrischeren Note, die diskographisch gewiss eine Bereicherung darstellt.

Ungleich rabiater, gleichsam der Urknall einer neuen Zeitrechnung, kommt natürlich die Frühlingsweihe daher, deren Pariser Erstaufführung unter Pierre Monteux einen handfesten Skandal auslöste. Entsprechend bedeutsam ist freilich Monteux‘ späte Stereoeinspielung für Decca mit dem legendären Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire (1956). Nicht weniger eminent Leonard Bernsteins radikale Deutung (1958), welche auf den Beifall Strawinskis selbst stieß und gut die Eruption vermittelt, welche die Uraufführung wohl ausgelöst haben muss. Mäkelä sieht sich im Falle des Sacre einer noch geballteren Konkurrenzsituation gegenüber, wurde das Werk seit 1929 (Strawinskis Ersteinspielung) doch weit über 100 Mal in dieser Form aufgenommen (Suiten gibt es hier keine). Es ist nicht einfach, weitere Einspielungen besonders hervorzuheben, doch muss gerade die urrussische Interpretation von Jewgeni Swetlanow (1966) auf jeden Fall Erwähnung finden. Aus historischer Warte bedeutsam ist die unter dem Dirigat Leopold Stokowskis entstandene und in frühestem Zweikanalton produzierte gekürzte Fassung für den legendären Disney-Film Fantasia von 1940. Mit gut 35 Minuten Spielzeit befindet sich Mäkelä auch beim Sacre unter den langsameren Interpreten, wobei die durchschnittliche Spieldauer mit etwa 33-34 Minuten nur unwesentlich schneller ist (Bernstein kam in seiner letzten Einspielung von 1982 gar auf 37 Minuten). Nach der recht auszelebrierten Einleitung kommen die Vorboten des Frühlings deutlich weniger schroff hervor als etwa bei Doráti (1959), Leinsdorf (1973) oder Solti (1974), viel eher der Klangästhetik Karajans (1963 und 1977) nahestehend. Die Detailverliebtheit, die dergestalt wiederum zu Tage tritt, ist auf ihre Art faszinierend. Die große dynamische Bandbreite der Einspielung wird bei diesem Werk besonders deutlich, ohne dass ruhigere Abschnitte nahezu unhörbar würden.

Eine in der Summe bemerkenswerte Premiere Mäkeläs und seines Pariser Klangkörpers, welcher womöglich der ganz große Aha-Effekt abgeht, der seinen Sibelius mit den Osloern auszeichnete, und die hie und da beinahe introvertiert daherkommt, aber bei nüchterner Betrachtung eine vollauf legitime Art der Darbietung der beiden Ballettwerke darstellt. Die Textbeilage fällt gediegen aus. Daniel Hauser

Veramente un Mito dell’Opera

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Das überaus tüchtige und liebenswerte Bologneser Label Bongiovanni zeichnet sich von jeher dadurch aus, dass es mit der jeweiligen Aufnahme, in diesem Fall bisher Unveröffentlichtes des Baritons Ettore Bastianini, auch gleich die Kritik mitliefert in dem wie immer knapp gehaltenen, aber informationsreichen Booklet zur CD.

Die Aufnahmen stammen aus den Fünfzigern und zum größten Teil aus dem Opernhaus von Neapel und bieten nur mit Ausschnitten aus Aida das, wofür der früh verstorbene Sänger berühmt war, nämlich als Verdi-Sänger. Daneben gibt es Ausschnitte aus dem Barbier von Sevilla und aus den Verismoopern La Gioconda und Andrea Chénier.

Das Booklet weist den Leser darauf hin, dass Bastianinis Amonasro die tiefe Note auf „cercai“ im Unterschied zu anderen Sängern auf Grund seiner Vergangenheit als Bass genüsslich aussingen kann, aus dem gleichen Grund auch das „morir“ besonders ausdrucksvoll gelingt. Es kann natürlich auch nicht übersehen, dass der Text nicht durchgehend korrekt gesungen wird, während dem heutigen Hörer zunächst einmal die vorbildliche Diktion auffällt, dazu die Fermatenverliebtheit des Sängers, aber auch eine wacklige Intonation, was aufgewogen wird durch die hörbare Lust am Singen, die zutiefst berührt. Die Aida ist Maria Curtis Verna mit hochpräsentem, zu Schärfen neigendem Sopran. Und so hingebungsvoll die Sänger singen, so begeistert reagiert das Publikum auf sie.

Fern aller französischen Eleganz ist natürlich die italienisch gesungene Carmen, aus der das Torrerolied und der Schluss des 3. Akt auf der CD zu finden sind. Da ist auch neben dem Gesang viel los auf der Bühne, der Escamillo Bastianinis neigt zu willkürlicher Phrasierung und recht brutaler Kraftentfaltung. Das vokale Duell mit Don José geht eindeutig zugunsten des Baritons aus.

Viel mehr Freude bereiten die Auszüge aus Andrea Chénier, der Anfang und „Un di mi era di gioia“, in denen eine wunderbare Ausgewogenheit zwischen Schöngesang und Expression herrscht, viel Verachtung im zweiten Stück mitschwingt und die Stimme direkt zum Herzen des Hörers zu sprechen scheint. Wie auch die anderen Tracks vermittelt die Aufnahme den Eindruck, der Sänger stünde dicht neben dem Hörer, dieser sei in das Geschehen mit einbezogen.

Für den Barnaba hat Bastianini so wie auch sein Tenorkollege Gianni Poggi dezente colpi di glottide, grässlich böse und wie in Stein gemeißelt klingt das „O monumento“, raubeinig die Canzone aus dem zweiten Akt, und unbekümmert schmettert der Chor.

Außer dem „Largo al factotum“ gibt es aus dem Barbier noch das Duett mit dem Tenor Eugen Conley, dessen ätherische Stimme kaum zur Vollmundigkeit des Baritons passt, wohl aber besser zu Rossini als Bastianini.

Der Dirigent von Carmen, Gioconda und Andrea Chénier ist Oliviero de Fabritiis, ein Garant für Italianità und Sängerzugewandtheit. Wie ein Gruß aus alten, besseren Opernzeiten, als die Sänger und nicht die Regie Pausengesprächsstoff waren und die Oper zumindest in Italien eine Kunstform für alle, klingt diese in der Reihe Il Mito dell’Opera  erschienene CD (GB 1242-2). Ingrid Wanja         

Spätbarocke Sterne

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Amate stelle ist eine neue CD bei GLOSSA betitelt, welche  Arien für die gefeierte Barock-Primadonna Anna Maria Strada präsentiert (923536). Solistin ist die Sopranistin Marie Lys, spezialisiert im Barock- und Belcanto-Repertoire. Bekannt wurde sie in unseren Breiten durch ihre Mitwirkung in der Vivaldi-Edition von naïve. Die CD wurde im Oktober 2019 in Basel aufgenommen. Das Abchordis Ensemble musiziert unter Leitung von Andrea Buccarella mit starken Akzenten und inspirierenden Vorgaben.

Anna Maria Strada wurde 1703 in der Lombardei geboren und war in Venedig und Neapel engagiert, bevor sie Händel 1729 für seine Zweite Akademie in. London verpflichtete. Dort errang sie den Ruf, die beiden amtierenden und rivalisierenden Diven Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni sogar noch zu übertreffen. Ihre Virtuosität, die Stimmqualität und der lyrische Ausdruck waren legendär. 1737 kehrte sie nach Italien zurück und wurde am berühmten Teatro San Carlo in Neapel engagiert. Das Institut widmete seine Weihnachtsproduktion des Jahres 1740, Porporas Zenobia, Stradas Abschied von der Bühne. Erstmals übernahm die Diva in dieser Aufführung eine Rolle en travestie, dementsprechend wurde der Titel der Oper als Hommage an sie in Tiridate geändert. 1775 starb die Sängerin im Alter von 72 Jahren in Neapel.

In der Programmfolge von zwölf Arien finden sich einige bisher unveröffentlichte Titel. Den Beginnt markiert jene Vivaldi-Oper, welche die Strada in ihrer Karriere als erstes Werk dieses Komponisten interpretierte: La verità in cimento. Daraus erklingt eine Aria der Rosane, „Con più diletto il mio Cupido“, welche eine Alternative für ihr „Solo quella guancia bella“ darstellt. Mit ihren Koloraturkaskaden ist sie von hohem Anspruch und Marie Lys meistert diesen bewundernswert. Der Sopran ist kraftvoll, hell und klar, im Timbre vielleicht nicht unbedingt memorabel, aber sein virtuoses Vermögen ist außerordentlich. Die zweite Nummer stammt aus Domenico Sarros Tito Sempronio Gracco. Es ist die Eingangsarie der Erminia, „Se veglia, se dorme“, welche Strada 1725 in Neapel sang. Dies ist ein empfindsames Legato, das langen Atem und verinnerlichten Ausdruck verlangt. Der dritte Titel ist der erste aus der Feder von Händel, die Aria der Adelaide, „Scherza in mir navicella“, aus dem Lotario, welche Stradas Debütrolle in London markierte. In dieser stürmischen Aria di bravura kann die Solistin der CD erneut mit virtuosem Zierwerk glänzen.

Den Höhepunkt von Stradas Londoner Wirken stellt die Titelheldin in der Alcina dar (1735), aus der Marie Lys die Aria „Ah! Mio cor!“ Interpretiert. Sie verlangt im Gleichmaß Pathos und den Ausdruck seelischen Leids, was Lys beeindruckend gelingt. Dramatischen Aplomb erfordert die Aria der Tusnelda, „Scaglian amore e sangue“, aus Arminio, die Strada 1737 sang, bevor sie nach Italien zurückkehrte. Lys demonstriert hier leidenschaftlichen Zorn und stupende Sicherheit in den Spitzentönen.

Zu den großen Meistern der Italienischen Barockszene zählt Leonardo Vinci, in dessen Eraclea die Strada 1724 die Partie der Flavia sang.  Deren Aria im 1. Akt, „Il ruscelletto amante“, singt Lys bezaubernd kokett und rhythmisch sehr akzentuiert.

Ein anderer Vertreter des Barock ist Leonardo Leo, aus dessen Schaffen sogar drei Beispiele ausgewählt wurden. Aus Achille in Sciro (1740) erklingen zwei Arien – aufgewühlt „Non vedi tiranno“ und expressiv „No, ingrato, amor non senti“, aus Zenobia in Palmira (1725) Aspasias vehementes „Quando irato il ciel“. Es war diese die bedeutendste Partie der Strada in Neapel, wo sie an der Seite von Farinelli brillierte.

Ergänzt wird die Sammlung durch Emirenas mit Koloraturen gespicktes „Infelice in van mi lagno“ aus Baldassare Galuppis Adriano in Siria (1740) und deren empfindsames „Oh, Dio, mancar mi sento“ aus Giovanni Alberto Ristoris Vertonung des Stoffes (1739). Die letzte Nummer stammt aus Nicola Porporas Tiridate, jenem Werk, das die Strada 1740 bei ihrem Bühnenabschied in Neapel interpretierte. Die kantable Aria des Titelhelden, „Vi conosco amate stelle“, welche dem Album den Titel gab, zeugt noch einmal von der starken Ausdruckskraft und dem virtuosen Vermögen der legendären Sängerin und beweist auch die Meisterschaft der aktuellen Interpretin, die hier mit delikaten Trillern und kunstvollen Verzierungen aufwartet (14. 03. 23). Bernd Hoppe

Eitle Nabelschau

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Flüchtig und von weitem betrachtet scheint das Cover von Barrie Koskys Buch einen Markthändler bei der Anpreisung seiner Waren darzustellen, bei näherer Betrachtung allerdings stützt dieser seine ringegeschmückten Hände auf die Rückenlehne der Parkettreihe aus der Komischen Oper Berlin, von der aus er seine Anweisungen an die Bühne zu geben pflegt, und die ist im Hintergrund schattenhaft zu sehen. Und Vorhang auf, Hallo!“ ist der ebenfalls etwas marktschreierische Titel mit dem Untertitel Ein Leben mit Salome, Mariza, Miss Piggy & Co.“, der auf Oper, Operette und Fernsehshow gleichermaßen hinweist. Der Co-Autor ist Rainer Simon.

Nicht nach Lebensabschnitten, sondern nach Opernfiguren ist das Buch gegliedert, zu denen sich außer denen im Titel genannten noch Tatjana, Hans Sachs, Tosca und Mackie Messer gesellen, allerdings prägen diese zugleich einzelne Entwicklungsschritte des aus Australien stammenden Künstlers.  Diesem fernen Erdteil und der dahin aus Europa verschlagenen Großmutter ist das erste Kapitel namens Mariza Down Under gewidmet, die nie ihre ungarischen Wurzeln und die damit verbundene Liebe zu Opern vergaß und sie schon dem Kind Barrie einzuimpfen verstand. Dieses hatte allerdings nicht nur ungarische, sondern durch andere Vorfahren auch weißrussische und polnische Wurzeln. Die Großmutter hatte eine besondere Liebe für die deutsche Sprache, die der Enkel unbedingt lernen sollte. Nicht die Welt osteuropäischer Schtetl allerdings lernte der Junge kennen, sondern die auch recht abgeschlossene der in Melbourne lebenden Juden und mit dreizehn Jahren die erste Operette, mit fünfzehn seinen ersten Tristan.     

Von Gräfin Mariza in Melbourne wird der Bogen zur Tätigkeit an der Komischen Oper geschlagen, dem früheren Metropoltheater, wo der dann Intendant und Regisseur nicht etwa die von ihm der „Spießigkeit“ verdächtigten Strauß und Léhar, sondern Kalman, Straus und Abraham aufführt. Auch Felsenstein, Rothenberger und Schwarzkopf finden keine Gnade vor seinen Augen und Ohren noch der Einsatz von Opernsägern in der Operette. Die Genugtuung, die es der „kleine(n) australische(n) jüdische(n) Schwuchtel“ bereitet, quasi nachträglich noch Hitler besiegt zu haben, „da wir diese  Stücke genießen“, durchzieht viele Kapitel. Daneben gibt es vieles anderes Nachdenkenswertes wie die Überzeugung, Regie solle nicht illustrieren, sondern einen Kontrast oder eine Zutat, die ergänzt, sein.

Der Großvater handelt in Australien mit Pelzen und besitzt als gebürtiger Russe eine reiche Sammlung russischer Musik, darunter viel Tschaikowski. „Jeder Takt seiner Musik….Queerness“, glaubt Kosky schon früh zu erkennen, nachdem er mit 16 seinen ersten Eugen Onegin erlebt hat. An der Komischen Oper wird er sein ganzes Augenmerk und seine Zuneigung auf Tatjana lenken und lässt den Leser an seinen Inszenierungsideen teilnehmen, die auch einen Orgasmus Tatjanas am Ende der Briefszene einschließen. Da verbindet sich das uneingeschränkte Lob für die Sopranistin Asmik Grigorian mit der Einsicht, Ausprobieren und Vertrauen zwischen Sänger und Regisseur seien wichtig, mit der rigorosen Ablehnung des „ganzen Müll, den wir schon hundertmal gesehen haben“, d.h. traditioneller Inszenierungen.

Fühlte sich der schwule Kosky besonders durch Tschaikowski angesprochen, so ist es der Jude Kosky, der Richard Wagner aus verständlichen Gründen eigentlich aus tiefstem Herzen hasst, seine Musik aber liebt, glaubt, ihn als Dubbek höhnisch auf seiner Schulter sitzend zu erleiden und erfährt, dass er ihn durch die Inszenierung der Meistersinger und ausgerechnet in Bayreuth überwinden und verscheuchen kann. Er macht aus dem Paar Sachs-Beckmesser das Wagner-Levi, aus der Handwerkerstadt Nürnberg des 16. Jahrhunderts die der Nürnberger Prozesse. Da selbst nicht mit den für einen Juden nachvollziehbaren Vorbehalten gegenüber den Meistersingern behaftet sein müssende Künstler unter Verkennung der historischen Situation die Ansprache des Sachs für “problematisch“ halten, kann man diese Position Barrie Kosky gewiss nicht nachtragen, wohl aber zweifeln an der Richtigkeit der Aussage, Wagner und andere „bereiteten mit ihrem deutschtümelnden, nationalistischen Schaffen…den Boden für die Reichsmusikkammer“. Die hätte es wohl leider auch ohne Meistersinger gegeben.

Miss Piggy, der drag-queen der Popkultur, die Nurejew zum Sex bewegen will, ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem auch auf Musicals wie Ein Käfig voller Narren eingegangen wird. An Wildes Salome, einem Text, der Queerness atmet, reizt ihn der Geruch eines „in Fäulnis verfallenden Pfirsichs, lässt Verwunderung darüber aufkommen, dass einer der spießbürgerlichsten Komponisten, den Kosky eigentlich nicht mag, „eine solche“, d.h. wunderbare Musik schreibt. Sicherlich haben viele Zuschauer sich wie Kosky selbst an dessen Regieideen, so der von ihm gesehenen Nekrophilie Salomes  berauscht, ob sie auch den Haarstrang, den sie sich aus der Vagina zieht, deuten konnten oder wie Kosky meinten: Sie bläst ihm einen, sei dahin gestellt. Aber immer noch nachvollziehbarer als die auch von Kosky verdammte Darstellung der Salome als die eines Kindesmissbrauchs.

Im Kapitel über Tosca setzt der Regisseur Puccinis Opern mit Hollywoods Melodramen in Beziehung, lässt den opernliebenden Leser aber über einige Ungenauigkeiten stolpern. Da ist einmal ein Foto von Corelli als Don Josè, das ihn angeblich als Cavaradossi darstellt, der aber nie eine spanische Uniform trug. Da wird behauptet, Scarpia wolle Tosca in ihrer Wohnung vergewaltigen und diese sei durchaus fasziniert von Scarpias Brutalität. Da wird Cavaradossi als „selbstverliebt“ und „eitel“, als Narzisst  diffamiert, was vielleicht darauf zurückzuführen ist, dass Kosky in seiner Jugend viele ihm als Cavaradossi erscheinende Lehrer und Mitschüler anhimmelte und nie erhört, ja wohl nicht einmal wahrgenommen wurde. Auch wird nicht jeder Zuschauer wie Kosky in Tosca eine queere Oper sehen, nur weil „all die Körpersäfte, der Schweiß, die Tränen, das Sperma (!), die Tosca auszuscheiden scheint….Ingredienzien queeren Kulturschaffens sind“. Boleslav Barlog an der Deutschen Oper meinte, Cavaradossi glaube an seine Rettung, Kosky vertritt die Ansicht, er stelle sich im dritten Akt nur tot- „mit verheerenden Folgen“. Allerdings, denn wie soll es dann weitergehen? Schüttelt man hier und da den Kopf, überzeugt anderes wieder wie der Bericht über Vorarbeiten zu einer Inszenierung, die allmähliche Entwicklung derselben während der Probenarbeit.

Bereits in der Schule hatte Kosky Weill inszeniert, in der Dreigroschenoper sieht weder ein Meisterwerk „noch ein politisches Bühnenmanifest“, und diese Einsicht bestimmte auch seine Inszenierung am Berliner Ensemble.

Der Epilog ist noch einmal ein Bekenntnis zur Gattung Oper und zum Opernerleben, der Chance, „einen flüchtigen Blick in unser Innerstes zu erhaschen“. So endet ein sehr ehrliches, überschwängliches, nicht in allem und von jedem nachvollziehbares Bekenntnis zur Oper, die wir alle lieben( 250 Seiten Insel Verlag Berlin 2023; ISBN 978 3 458 64370 8). Ingrid Wanja

Was alles veröffentlicht wird …

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Was erwartet der Leser von einem Buch mit dem Titel Diva in violett glänzenden Lettern, das zudem nach den Untertitel Eine etwas andere Opernverführerin trägt? Dazu gibt es das Konterfei einer durch eine Maske lugenden Dame in festlicher Gewandung. Glamour, Erotik, Begeisterung, aber auch fundiertes Wissen um das, zu dem man verführen will, sollten sich doch wohl auf den 425 Seiten vereinen, doch zumindest nach einer kursorischen Lektüre dürfte das Ergebnis der Lektüre beim Opern-Nichtkenner Verwirrung breit gemacht haben, beim Kenner jedoch ein zunehmender Verdruss wegen der mal feministischen Einseitigkeit, mal der Fixiertheit aufs Religiöse und der mangelnden musikalischen Kenntnisse der Autorin Barbara Vinken.

Bereits beim Lesen der Einleitung stößt man auf geheimnisvolle Begriffe wie den der „Maria-Theresia-Klammer“, auf eine „nobilitierte Cavalleria rusticana“, die doch eigentlich nur „Bauernehre“ bedeutet, auf die Behauptung, Oper sei eine „raffiniert witzige Reflexion auf Geschlechterkonstellationen“, Kastraten stellten die „Ent-Naturalisierung der Geschlechterrolle“ dar, wo doch ihr bedauernswertes Schicksal zunächst einfach einmal Folge des Verbots weiblicher Mitwirkender im Kirchengesang war.

Ärgern kann man sich über Fehler und unbeweisbare Behauptungen wie die Zuordnung Cherubinos und Octavians zu den Sopranen, auch dadurch werden sie nicht „engelhaft“, es sei denn, man könne Engeln einen ausgeprägten erotischen Appetit nachsagen. „Selbstherrliche Dummheit“ wird den Tenorpartien nachgesagt, und so scheint es nur folgerichtig zu sein zu behaupten, „keinem wird so übel mitgespielt wie dem Tenor“, „Männlichkeit wird auf der Opernbühne fast durchgehend lächerlich gemacht“. Aber auch andere Stimmfächer bekommen etwas ab, wenn dem Conte Almaviva ein „rumbrüllender Bariton“ angedichtet wird. Hin und weg ist er Leser, wenn ihm mitgeteilt wird:“Die Oper arbeitet an der Re-Interpretation und Umbesetzung des Opfertodes Christi“.

Der Block  „Vorspiel“ ist drei Mozart-Opern gewidmet, beginnend mit Le Nozze di Figaro. Verstört nimmt der Leser zur Kenntnis, dass der brave Figaro „aristokratische Eleganz“ verkörpere, zudem ein „frivoler Strippenzieher“ sei, dass der Leser sich einer „Fehllektüre“ schuldig mache, wenn er annehme, Figaro sei ein Vorbereiter der Revolution. Dafür hat er aber Don Curzio ein „Kuckucksei ins Nest gelegt“, was natürlich bisher noch von niemandem bemerkt wurde. Es gibt ungeheuer viele Zitate aus zeitgenössischer Literatur, fast gar nichts über die Musik, die in einer Oper doch eine gewisse Rolle spielt. Über die des Figaro weiß die Autorin lediglich zu sagen,  Cherubino sei die Inkarnation der schmelzenden, weichen Musik“. Damit nicht genug. Mit Cherubino steht und fällt das Patriarchat und die  Geschlechtsidentität.“ Schließlich versteigt sich die Verfasserin noch zu der unbewiesenen und unbeweisbaren Behauptung, dass im Figaro weniger das Ancien régime kritisiert werde als das republikanische Bürgertum. Cherubino aber verkörpere die „Durchkreuzung der binären Geschlechtsidentität“. Wenn das nicht zur Oper verführt! Zumindest in diesem Kapitel wird nicht vom Werk ausgegangen, sondern diesem eine wohl nicht wenigen Lesern als recht seltsam anmutende Weltsicht übergestülpt. Zumindest zum Weiterlesen wird er damit nicht verführt.

Aber das Kapitel über Tosca soll einen zweiten Versuch, sich verführen zu lassen,  wert sein. Immerhin wird durch die Betitelung mit Nicht von dieser Welt: Göttliche Stimmen die Hoffnung geweckt, man würde nun etwas über den Zauber der Musik erfahren. Zufrieden stimmt erst einmal, dass die deutsche Übersetzung der Arien eine wörtliche ist und nicht wie im Kapitel über Cavalleria rusticana die unsägliche in deutschen Opernhäusern bis zur Umkehr zu Aufführungen in Originalsprache praktizierte.. Über viele Seiten hinweg beschränkt sich die Autorin auf eine ausführliche Paraphrase, gemischt mit Zitaten aus anderer Sekundärliteratur, mit vielen Rückgriffen auf die Geschichte bis hin zu Virginia und Lucrezia als anderen Beispielen für heroisch handelnde Römerinnen. Schon komisch ist der Hinweis darauf, dass Mario Cavaradossi sein Schicksal bereits in seinem Namen, dem cadavere verwandt, trägt. Cavare heißt Ziehen oder Herausnehmen, da wären der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Außer der Architekturgeschichte der drei Handlungsplätze spielt natürlich die Schlacht von Marengo eine Rolle, richtig erkannt, aber falsch ist, dass hier ein Sieg Napoleons über die Heilige Allianz gefeiert wurde. Die wurde erst 1815 nach dem Sieg über Napoleon gegründet. Neben solchen Ungenauigkeiten erschrecken auch immer wieder Sätze wie „Das römische Erbe der Bürgerkriege hat die verspätete Geburt einer geeinten Nation heimgesucht.“ 

Lange muss man auf kurze Bemerkungen zur Musik warten, findet man eine, dann ist auch die eher verstörend wie: „harmonisch verbindend ist auch die weichgefügte, strömende Melodieführung“, nicht weniger der den Seelen angedichtete „umschlungene(n), sphärische(n) Flug“.

Obwohl sicherlich die größte Sympathie Puccinis dem Freigeist Cavaradossi galt und nicht der frömmelnden Tosca, stellt Vinken das Tosca-Kapitel unter einen religiösen Überbau, wenn sie unter anderem im zweiten Akt die Perversion der eucharistischen Wandlung sieht, in der aus Wein Blut und aus Brot „gefoltertes Fleisch wird.

Dass dieses Buch den Leser dazu verführt, sich der Gattung Oper zuzuwenden, darf bezweifelt werden, dass er sich von der Oper abwendet, wenn er noch mehr davon liest, ist zu befürchten (Klett-Cotta 2023; ISBN 978 3 608 11938 1). Ingrid Wanja       

Eine Bedeutende des Belcanto

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Die rumänische Opernsängerin Virginia Zeani (geb. 21. Oktober 1925 in Solovăstru, Siebenbürgen) starb am 20. März 2023. Sie wurde wurde als Virginia Zehan in Solovastru geboren und studierte Literatur und Philosophie an der Universität von Bukarest, während sie ihre Stimme bei Lucia Anghel und Lydia Lipkowska ausbildete. Nach ihrem Umzug nach Italien erhielt sie Gesangsunterricht bei Aureliano Pertile. Ihr frühes Debüt gab sie 1948 als Violetta (!) am Teatro Duse Bologna, was sich als Triumph für die junge Sängerin erwies. Die Violetta wurde zu der Rolle, mit der sie eng verbunden war und die sie im Laufe ihrer Karriere Hunderte von Malen sang!

Virginia Zeani mit Gatten, dem Bassisten Nidola Rossi-Lemeni/ Wikipedia

Diese Rolle, die sie insgesamt 648 Mal sang, führte sie an die größten Theater der Welt, darunter das Palais Garnier in Paris, das Royal Opera House in London und das Metropolitan Opera House in New York. Mit einem Repertoire, das von der Barockoper bis zu zeitgenössischen Werken reicht, wurde sie 1957 von Francis Poulenc für die Rolle der Blanche de la Force in der Uraufführung der Dialoge der Carmelites an der Scala ausgewählt.

Mehr als zehn Jahre lang widmete sie sich den Rollen, die man allgemein als Koloraturen“ bezeichnet, und sang Lucia, Elvira, Amina und Gilda. Bald kamen Norina, Rosina und Fiorilla (unter anderem) hinzu. 1956 gab sie ihr Debüt als Cleopatra in Händels Giulio Cesare an der Scala. Bei der Premiere von Poulencs Dialogues des Carmélites sang sie die Rolle der Blanche. Ihre hervorragende Technik ermöglichte es ihr, die vier Rollen (Olympia, Giulietta, Antonia, Siebel) in Offenbachs Les Contes d’Hoffmann mit Bravour zu singen. Später nahm die Künstlerin weitere lyrisch-dramatische Rollen in ihr Repertoire auf: Aida, Desdemona, Tosca, Magda Sorel in Menottis Consul, Fedora, Cio-Cio-San, Manon Lescaut, Elsa und Senta in Italienisch, Adriana Lecouvreur, Thaïs, Marguerite usw. Als innovative Künstlerin nahm sie an vielen Wiederaufnahmen von Belcanto-Opern teil (z. B. Maria di Rohan, Le Comte Ory, Zelmira, Rossinis Otello, Alzira).  Zeani sang am Bolschoi-Theater in Barcelona, in der Arena di Verona, in Monte Carlo, Paris, St. Petersburg, Mexiko-Stadt, Belgrad, Houston, Budapest, Philadelphia, an der Met und in Wien (Volksoper und Staatsoper). Sie trat mehrmals in Dublin auf und ist dort noch immer in bester Erinnerung.

Ihr nordamerikanisches Debüt gab sie 1965 in Montréal, wiederum in der Rolle der Violetta. Nachdem sie fast 15 Jahre lang leichte Sopranpartien gesungen hatte, wurde sie von Zubin Mehta überredet, ihr Repertoire zu erweitern und schwerere Rollen wie Aida zu singen, die sie erstmals im Salle Wilfrid-Pelletier an der Seite von Jon Vickers, Lili Chookasian, Louis Quilico und Joseph Rouleau sang. 1968 kehrte sie für eine Produktion von Puccinis Manon Lescaut nach Montréal zurück. In ihrer außergewöhnlich langen Karriere, die insgesamt 34 Jahre dauerte, stand sie mit einigen der größten Stars des 20. Jahrhunderts auf der Bühne, von Beniamino Gigli, Giuseppe di Stefano und Franco Corelli bis Alfredo Kraus, Luciano Pavarotti und Plácido Domingo.

Virginia Zeani als Aida/ Zeani.com

1982 zog sie sich von der Bühne zurück und gab ihr wei8teres Debüt an der San Francisco Opera in den Carmelites, diesmal als Mutter Marie. Sie und ihr Ehemann, der Bass Nicola Rossi Lemeni, erhielten anschließend einen Lehrauftrag an der Jacobs School of Music der Indiana University, wo sie 1994 den Titel „Distinguished Professor of Music“ erhielt. Zu ihren zahlreichen Schülern gehören Ailyn Perez, Elizabeth Futral, Marilyn Mims und Vivica Genaux.

Virginia Zeani fiel sofort durch ihre seltene Fähigkeit auf, ihrer Musik einen präzisen Sinn zu geben, indem sie jene seltene Synthese von Belcanto und Ausdruck erreichte, die ihre Interpretationen sowohl für ihre dramatische Sensibilität und Intimität als auch für ihren strahlenden Gesang lobte. Unter all dem hatte Zeanis Timbre jedoch etwas, das direkt ins Herz ging: eine Aura verschleierter Melancholie, eine edel kontrollierte Leidenschaft, die sich vorzüglich mit der betörenden Farbe ihrer Stimme verband, die in der Mitte düster und in der Höhe strahlend war. Es war eine Stimme von faszinierender Weiblichkeit, die sowohl Zärtlichkeit als auch Sinnlichkeit, Elegie und Tragödie auszudrücken vermochte. G. H.

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In einem Interview mit dem kürzlich verstorbenen renommierten kanadischen Kritiker und Musikwissenschaftler Gérald Dubois sprach sie 2021 über Einzelaspekte ihrer Karriere:  Zum Beginn: Ich verließ Rumänien 1947, ich war 21, ich ging im Februar und mein Geburtstag ist im Oktober, also war ich genau 21 Jahre und 4 Monate alt. Hier habe ich sehr viel studiert, aber in Rumänien hatte ich keine Karriere. Ich hatte ein Konzert in der Dalles Hall, mit den anderen Schülern meiner Gesangslehrerin, Lydia Lipkowska, und das war alles, ich hatte keine Karriere. Mein erstes offizielles Konzert war vielleicht, als ich für den italienischen Konsul und Botschafter sang, die mich zu einem Abendessen eingeladen hatten. Aber ich hatte schon viel gelernt, als ich wegging, seit ich 12 war. 12 und ein halbes Jahr alt, um genau zu sein. Im Jahr ’38!

Ich hatte ein sehr seltsames Schicksal. Ich habe sehr jung angefangen, ich habe sehr hart studiert und ich habe nie etwas mehr geliebt als das Singen. Ich glaube, das ist etwas, das einem in die Wiege gelegt werden muss. Man weiß nie, was als Nächstes passiert, aber irgendetwas oder irgendjemand führt dich zu dem, was du liebst, aber nicht unbedingt verstehst, und das gibt dir die Kraft, Zeit und Energie zu investieren, um zu entdecken, was deine Berufung im Leben ist. Die Tatsache, dass man diesen Ehrgeiz hat, etwas zu lernen, ist ein Mysterium, aber gleichzeitig ist es eine Freude, etwas zu verfolgen, das man liebt und das letztendlich nicht wirklich erreichbar ist. Wie kann man Musik „erreichen“?

Ich habe schon als Kind gerne gesungen und alle Vögel und alles, was ich im Garten hörte, imitiert. Ich habe mit 13 Jahren angefangen, und man hielt mich für einen Mezzosopran, dann für einen lyrischen Sopran, dann für einen lyrischen mit Koloraturen. Das Ziel meines Wunsches war immer ein Geheimnis, aber die Anziehungskraft, die ich auf den Gesang ausübte, brachte mich dazu, diesem Wunsch jeden Tag nachzugehen. Ich wusste, dass es mein Schicksal war, zu singen.

Ratschlag zur Langlebigkeit der Stimme: Ich denke, das wichtigste ist, es von Tag zu Tag zu nehmen und nicht zu übertreiben. Danach muss man mit dem Talent, das man an dem Punkt hat, an dem man sich befindet, sein Bestes geben. Man kann nicht entscheiden, was man sein wird, bevor man dort ankommt, wenn man noch jung ist und sich ständig verändert. Selbst nach all den Jahren des Trainings wird sich deine Stimme verändern, und du musst die Geduld haben, dein wunderbares Naturtalent nicht durch zu schnelles Handeln zu ruinieren. Langsam und beständig gewinnt das Rennen.

Was man jedoch tun kann, ist, dass Sie, wenn Sie am Ziel sind, darauf vorbereitet sind, jede Herausforderung zu meistern, die sich Ihnen stellt. Ich glaube, das gefährlichste Verhalten, das ich bei jungen Sängern immer noch sehe, ist, dass sie keine Geduld zum Lernen haben. Sie machen sehr schnell das nach, was sie auf der Bühne oder auf Aufnahmen hören, und sie verändern die Farbe ihres Klangs, anstatt mit Ruhe und Geduld zu lernen.

Virginia Zeani mit Francis Poulenc bei den Proben zu dem „Dialogen der Carmeliterinnen“ an der Scala 1957 / Archivio storico del Teatro alla Scala

Regie gestern und heute: Der größte Unterschied auf den Bühnen heute im Gegensatz zu früher ist die Frage der Regie. Heutzutage ändern einige Regisseure alles: Sie lassen die Opern nicht so erzählen, wie die Komponisten sie wollten. Sie versuchen, das Thema zu modernisieren, was für mich absurd ist, weil ich denke, dass die Oper mit dem Komponisten, der Zeit, in der sie komponiert wurde, und dem Moment der Geschichte, der in dieser speziellen Geschichte eingefangen wurde, verbunden ist. Zu meiner Zeit waren wir diejenigen, die die Inszenierungen, in denen wir auftraten, meistens selbst inszenierten. Es war wirklich eine Teamleistung zwischen den Sängern, dem Dirigenten, dem Regisseur und der Arbeit, die uns aufgetragen wurde. Wir arbeiteten Hand in Hand, um herauszufinden, was der Komponist mit der Musik ausdrücken wollte, und nicht, um einen Weg zu finden, diese Meisterwerke „aufregend“ zu machen: Das sind sie schon, auf so viele Arten.

Die Stimme: Zunächst einmal bleibt das Instrument gleich, nichts ändert sich außer den Farben, je nach Gemütsverfassung der Figur. Das Geheimnis ist, die Richtung der Phrasierung und die Fragen der Oper zu finden. Wenn man die Werke von Poulenc nimmt, die ich gesungen habe, die Dialoge oder auch La voix humaine, die stilistisch nicht dem Belcanto nahe stehen, musste ich die sehr modernen Konzepte verstehen und sie dem Publikum mit einem guten Klang und einer großartigen Diktion erklären, um genau das auszudrücken, was der Komponist in seiner Partitur sagt, wie ich es bei jeder Oper tun würde.

Mit dem Publikum leben: Das Ziel bei jeder Art von Musik ist es, zu kommunizieren, zu teilen, und der Ansatz sollte für alle Arten von Repertoire derselbe sein. Man muss nach der Phrasierung suchen, die die Botschaft der Oper vermitteln soll. Man kann nicht die gleichen Farben für die Rolle der Alissa oder der Blanche verwenden, weil die Phrasen und die Komponisten unterschiedlich sind. Wenn man denkt, dass man einer neuen Rolle etwas geben kann, sollte man das unbedingt tun. Wie aufregend ist es für ein Publikum, jemanden zu hören und zu sehen, der etwas tut, was es noch nie zuvor gehört oder gesehen hat? Neue Geschichten zu haben, ist sehr wichtig.

Es geht darum, dem Publikum jedes schöne Gefühl zu erklären, das man in seinem Herzen hat. Ich mochte es nie, in meinem Gesang aggressiv zu sein, besonders im Belcanto-Repertoire. Ich mochte es immer, jedes Gefühl durch meine Augen und meine Stimme mit Schönheit, Ruhe und Leidenschaft zu vermitteln. Man muss sich mit dem Publikum austauschen, und wenn es die Gefühle, die man hat, versteht und mit ihnen übereinstimmt, bedeutet das, dass man in einer totalen Einheit und einem Austausch von Gefühlen ist. Aber jeder ist anders geboren, und man wird nie jemanden finden, der genau so ist wie man selbst oder der die Dinge genauso empfindet wie man selbst.

Virginia Zeani mit Alfredo Kraus in „La Traviata“ in Lissabon/ Romania.Muzical

Deshalb müssen wir unsere Gefühle zum Ausdruck bringen, indem wir dem Komponisten und dem Librettisten, aber vor allem uns selbst, unserem Hintergrund und unserem Geist treu bleiben. Das ist der Grund, warum manche Leute eine Interpretation einer anderen vorziehen, wir können Schönheit auf eine bestimmte Art und Weise empfinden, die jemand anderes nicht versteht, aber wenn wir das tun, kommen wir einander sehr nahe, und das ist eine der schönsten Sachen: unsere Seelen durch Musik zu vereinen.

Belcanto:  Vom technischen Standpunkt aus betrachtet, nenne ich mein System des Singens folgendermaßen: Auf Italienisch sagen wir „raccogliere i suoni“. Das bedeutet, dass man die Schwingungen, die „Töne“, in einem Punkt, der Maske, versammeln muss, der es der Stimme erlaubt, so viel wie möglich mit so wenig Anstrengung wie möglich zu glänzen, und dass man diese Schwingungen mit dem Zwerchfell unterstützen muss. Wenn man diese Schwingungen in diesem Punkt bündelt, wird man nie müde, im Gegensatz zu breitem, offenem oder lautem Singen, wie man es heute leider oft hört. Dann muss man mit diesen Klängen Emotionen vermitteln, ihnen Farbe geben und die Intention des Komponisten finden. Darüber hinaus muss jede Stimme alles können, vom Koloratursingen bis zum Vibrieren der Töne in Millionen von Farben, und man muss einen Weg finden, dies mit Leichtigkeit zu tun, sonst ermüdet man sich selbst enorm. Der Trick besteht darin, herauszufinden, was man wirklich gut kann, und es zu seinem Vorteil zu nutzen, während man an dem arbeitet, was verbessert werden muss. Belcanto ist letztendlich ein Weg, um jede einzelne Person in der Oper zu einem echten Star zu machen. (Übersetzung P. C.)

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Foto oben: Romania Muzical  

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„Norma“: Musikwerdung des Wortes

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Gerade in letzter Zeit mehren sich wieder Aufführungen von Bellinis opus magnum, seiner Norma. Es fragt sich ob nun Marina Rebeka als Lokalmatadorin (zuletzt in Palermo) oder die unbestreitbar beeindruckende Sondra Radvanovsky an der Met Spuren hinterlassen haben. Ob Hasmik Papian oder Maria José Siri, Sonya Yoncheva, Dimitria Theodossiou, Maria Gresia (sehr beachtenswert in Pisa 2022), Pia Maria Piscitelli oder die irregeleitete Karine Deshayes in Aix (in der von Cecilia Bartoli erstmals vorgestellten, tiefer liegenden Malibran-Version) neben Michael Spyres und der bezaubernden, aber zu kleinstimmigen Amina Idriss: In den letzten Jahren ist die Zahl der Mutigen nicht zu unterschätzen, die sich an der großen Rolle und den wenigen großen Vorgängerinnen abgearbeitet haben.

Rosa Ponselle, legendäre Vorkriegs-Norma/ Wiki

(Über Frau Yoncheva an der Met 2023 schrieb zuletzt die New York Times: „Ohne einen kraftvollen, ausgeglichenen, flexiblen Gesang – „Schönheit des Tons und korrekte Emission“, wie Lilli Lehmann, eine große Norma, es ausdrückte – empfinden wir nicht die nötige Ehrfurcht für die Figur. So verlieren sowohl ihr Sündenfall als auch die von ihr beherrschte Oper ihren Sinn. Yoncheva verrät Bellinis Partitur zwar nicht, aber sie füllt auch nicht die Segel, und das Schiff stagniert…. Das Ergebnis ist eine Art Bleistiftskizze von „Norma“ – nicht unpräzise, aber farblos. Yoncheva verfügt über eine Koloraturgewandtheit, die sie sich aus ihren frühen Tagen als Barockspezialistin bewahrt hat, und vereinzelte hohe Töne treten deutlich hervor. Aber wenn diese Töne die Höhepunkte von geschwungenen Linien sind, sind sie dünn. Sie ist temperamentvoll und gewissenhaft, und ihre Stimme ist nicht hässlich, aber sie ist für diese Musik unzureichend, denn sie verliert weder die Kontrolle noch übernimmt sie das Kommando. Und es ist nicht nur Stärke, die man nicht vermitteln kann, wenn man die Norma stimmlich nicht beherrscht; es ist auch Schwäche. Yoncheva verbringt die meiste Zeit damit, in kleinem Maßstab auf dieser hochfliegenden Leinwand Trübsal zu blasen.)

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Ein erneutes Hören der Norma meiner ungeteilten Adoration, Anita Cerquetti, brachte mich zu grundsätzlichen Überlegungen zur Rolle und zu den Interpretinnen unserer Zeit, bzw. auf erreichbaren Dokumenten. Von der bedeutenden Norma der Vorkriegszeit, Rosa Ponselle (die Tullio Serafin bemerkenswerter Weise über die von ihm oft begleitete Maria Callas stellte), gibt es nur die wenigen RCA-Schellack-Echos (aufregend und irritierend, weil man das gerne ganz und in besserer Technik gehört hätte, vor allem auch das himmlische Duett mit Marion Telva). Aber wie meine kluge Großmutter einst meinte: Sehnsucht ist besser als Erfüllung. Oder auch: Man kann nicht alles haben, wie wahr.

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Zwei Szenen aus Norma, wie man sie auf einer Briefmarke sieht, die San Marino 1999 herausgegeben hat/ hei

Vincenzo Bellini, 1801 in Catania geboren, wird mit Rossini und Donizetti zu den drei Großen der italienischen Oper bis 1850 gerechnet. Seine langen, elegisch getönten und sich lyrisch übersteigerden Melodien gaben den Anstoß für eine neue Klangsinnlichkeit, die in besonderer Weise die romantische italienische Oper beeinflussten und prägten. Dieses Schwelgen im Klang ist eines der wesentlichsten Kriterien im Bellini-Stil, zugleich aber auch das eigentlich Neue in der italienischen Oper auf dem Weg zur Romantik.

La sonnambula, uraufgeführt am Teatro Carcano, Mailand 1831 und sein Hauptwerk, Norma, für die Scala in Mailand ebenfalls 1831, stellen im Nachhinein den Gipfel seines Schaffens dar. Bellinis Norma, eine tragedia lirica in zwei Akten auf das bemerkenswerte Libretto von Felice Romani, ist sicherlich neben Donizettis Lucia di Lammermoor das zentrale Werk der italienischen Opernromantik. Norma wurde zu Recht zum absoluten Inbegriff der hochromantischen Gesangsoper, in der sich Beherrschung des italienischen Belcanto und dramatische Interpretationskunst verbinden, wodurch sich das Werk als die italienische Primadonnen-Oper par excellence durchsetzte.

Zu „Norma“: der originale Cast mit Domenico Donzelli, Giuditta Pasta und Guilia Grisi/ zeitgen. Illustration/ Wiki

Obwohl die Uraufführung mit Giuditta Pasta/ Norma (Abb. oben), Domenico Donzelli/Pollione und der Sopranistin Giulia Grisi /Adalgisa (beide Damen alternierten in der Titelrolel) aus manchen Gründen nicht sofort einschlug, hatten Musik und Libretto in der Folge ein Riesenerfolg. Schon zwei Jahre nach der Uraufführung wurde Norma 1833 in Wien in Deutsch aufgeführt und ging bis Ende der 1830er Jahre um die Welt.

Norma ist für Italien die wichtigste Oper vor Verdi, und sie ruht fest auf den von Rossini vorgelegten Traditionen mit dessen Verwurzelung im 18. Jahrhundert (eben Spontini,  Cherubini und der Gluck-Folge). Musikalisch war Bellini ein Neuerer nach Rossini, dem wichtigsten Komponisten im frühen neunzehnten Jahrhundert vor Verdi. Von Rossini und seinem Lehrer Mayr (mit deutscher Grundausbildung dann italianisiert) übernahm Bellini viele Strukturmerkmale. Und die Norma steht in der direkten Nachfolge der Semiramide Rossinis, die Rossini 1824 als letzte seiner Opern in Italien schrieb. Zudem ist Norma in vielen Zügen eine Vorläuferin späterer Verdi-Opern (ErnaniTrovatoreAida u.a.).

Norma ist aber auch die am wenigsten mit konventionellen Maßstäben zu messende Oper, vergleichbar Wagners Tristan. Ähnlich wie Isolde ist Norma eine überdimensionale Heroine aus dem Bereich des Mythischen, ist Überfrau und gefallene Madonna. Sie steht stimmlich und figürlich für das Ideal des Belcanto auch in Hinsicht auf Verdis Frauenfiguren, ist keine zimperliche Fragile wie viele ihrer Opern-Schwestern dieser Epoche (auch bei Bellini selbst), kein Opfer wie Lucia oder Imogene, sondern Aktive wie Semiramide und später Leonora, eine Herrschende, die leidenschaftlich (und in Sünde) liebt und selbstverständlich dafür bezahlt. Sie ist eben kein Opfer (mehr), sondern eine Handelnde und damit ein ganz neuer Frauentyp. Angelegt von Cherubini (Medée), Gluck (Alceste) und von Rossini, der starke Frauen liebte (und mit einer solchen verheiratet war) und sie zu seinen Opernheldinnen machte.

Zu „Norma“: Lilli Lehmann/ Wiki

Diese Bemerkungen zu einer der komplexesten Opernfiguren sollen von den Worten einer großen Norma-Sängerin ihrer Zeit, nämlich von Lilli Lehmann, begleitet werden: ,“Wenn ich an die wunderbare Zeit meiner ersten Norma in Wien denke und nun darüber grübele, mit einem wie großen Mangel an Wissen und Liebe diese Oper seitdem immer wieder behandelt wird, dann bedaure ich die Künstler, die sich eine so wunderbare und lohnende Aufgabe entgehen lassen, aber auch das Publikum, das damit das beflügelnde Vergnügen verliert, eines Werkes von so reicher Melodik, leidenschaftlicher Handlung und Menschlicher Größe verlustig zugehen. Norma, die so viel Liebe in sich trägt, kann man nichtgleichgültig vorbereiten oder nur als oberflächliches Schaustück vorzeigen. Die Oper muss mit geradezu fanatischer Hingabe gesungen und gespielt, dazu von einem perfekten Chor und Orchester mit künstlerischer Integrität vermittelt, von einem Dirigenten großer Autorität angeführt werden. Und jedem einzelnen Takt muss der musikalische Tribut gezollt werden, der ihm zusteht.“ (Dies ist nachzuerleben – trotz der Lontanisierung der alten Schellacks – auf ihren kratzigen Einspielungen, die sie erst als alte Frau aufnahm.)

Dazu ergänzt der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick: “Die Norma der Lehmann stand unter dem Zeichen der langsamen Kantilene mit dem wunderbarsten Portamento, der sichersten und edelsten Intonation und dem Schwellen der hohen Noten und der floriden Passagen einer reinsten und flüssigen Koloratur. Letztere diente nie einer koketten Wirkung, sondern blieb stets nobel, ernsthaft und der Situation untertan.“ Die nicht minder berühmte Norma-Sängerin in der jüngeren Zeit, Joan Sutherland, äußerte sich ebenfalls dazu: “Wahrscheinlich hat es eine vollkommene Norma nie gegeben. Die Oper verlangt zu viel von einer Sopranistin: die größte dramatische Fähigkeit, übermenschliche emotionale Ausdrucksmöglichkeiten, die beste Belcanto-Technik, die man sich vorstellen kann, zudem eine Stimme von besonderer Qualität und Größe sowie viele andere Attribute mehr.“ Jaja – ob das andere, spätere auch gelesen haben? Man hat da seine Zweifel: Ein Blick in ein Video von der Met mit Frau Yoncheva und einem unbeteiligten Tenor  lässt die Misere der heutigen Norma-Situation ahnen…

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„Norma“ Maria Callas und („Oh Giovinetta!“) Ebe Stignani in Covent Garden 1952/ Foto Roger Wood/ Warner

Musik und Text in Symbiose: Die Beziehung zwischen Musik und Text beherrschte Bellini vollkommen und beeindruckte damit seine Zeitgenossen, später auch Wagner. Es ist die Deklamation in ihrer Vollendung, die die Norma auszeichnet und die sich so schwer für heutige Interpreten realisieren lässt. Diese, also die Musikwerdung des gesprochenen Wortes, macht einen großen Teil der Wirkung in den Bellinischen Opern aus, deren wichtigstes Merkmal der nahtlose, unmerkliche Übergang von Deklamation in die Arie ist. Auch Verdi pries Bellinis lange, schwebende Melodien und Melodiebögen, wie sie vorher noch niemand erfunden hatte, auch Rossini so nicht (oder nur in Ansätzen). Bellini war in der Lage, aus kleinen Takteinheiten in der Wiederholung rhythmische Intervalle zu schaffen, die zu schweben scheinen. Dabei lässt er diese gleichsam pulsieren (auch dynamisch) und dadurch sich nach oben in symmetrischer Form aufbauen, hierin Rossini verpflichtet. Aber anders als bei Rossini schraubt sich die Klimax der Bellinianischen Linie zu einer mit großer Intensität vorgebrachten Explosion empor, in der das aufgestaute Gefühl und die melodische Linie ihre Erfüllung finden. Das Finale des 2. Aktes der Norma ist darin dem letzten Akt des Tristan nicht unähnlich. Der deutsche Komponist ist hierin seinem italienischen Kollegen durchaus verpflichtet. Bellini schuf diese klimaktischen Momente mit strahlenden Farben im Orchester, während die musikalische Vorbereitung darauf eine magische, mesmerisierende Klang-Wirkung hat. Diese Üppigkeit des Explodierenden nach langer Gefühlsschraube kennzeichnet viele der Passagen in der Norma. Ein anderes Wirkungsmoment ist die dynamische, akzellerierende Behandlung von Parallelstimmen, der Führung etwa in den Koloraturbögen der beiden Frauen – auch dies eine Meisterschaft Bellinis in der Folge Rossinis (etwa in Semiramide), die in der beschriebenen Klang-Ekstase mündet.

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„Norma“ Renata Scotto an der Met/Publicity Photo/ Norman Mitchel/ Met Opera Archive

Einige Studio- und Live-Dokumente: So – nun aber endlich ein Blick auf wichtige Interpretationen und Tondokumente. Anlässlich der neueren Decca-Aufnahme mit Cecilia Bartoli, die wegen ihrer „Originalinstrumente“ (und der Malibran-Fassung mit interessantern Wendungen und tiefer gelegten Tessitura) und ihres beharrlichen Rekurierens auf die Interpretation der Seelenfreundin in vieler Hinsicht aus dem Rahmen fällt, hatte ich beim Ersterscheinen noch große Zweifel gehabt. Ut desint vires… und so.

Aber ich stehe nicht an zu sagen, ich habe mich geirrt!  Die Bartoli, mehr noch als ihre etwas dünnen Mitstreitenden, schafft eine Norma hors concours, die sich nicht mit anderen Einspielungen vergleichen lässt. Dies ist eine tiefseriöse, faszinierend durchdachte Interpretation auf dem Boden der Musik vielleicht vor der Creation des Werkes, zum Früheren neigend, Barockes und die neapolitanische Entwicklung ebenso wie Gluck und Rossini  berücksichtigend. Das durchsichtige Orchester und die ungewohnt schlanken Stimmen (Osborn, Jo) vermitteln eine Kammer-Norma, eine Oper für kleine Holz-und Gips-Theater mit eingeschränktem Orchester voller Holzbläser und limitierter Geigen. Absolut nicht 19. Jahrhundert und grande chose für Riesenhäuser á la Met oder Sidney, kein Primadonnenvehikel vor allem. Die Bartoli kostet Feinheiten aus, die ich woanders so nicht gehört habe. Die finali bringen sie natürlich in Bedrängnis, da gibt ihr Medium mehr als es hat, und „In mia man“ endet im klug umschifften Schrei. Vielleicht möchte man das so nicht immer hören, aber als herausragendes Dokument hat dies seine absolute Gültigkeit, ein gelungenes Experiment. Ich hörte sie neulich, als ich im TV den Film „Cecilia Bertoli and friends sah und über ihre klugen, musikhistorischen Bemerkungen zur Rolle neu nachdachte. Was zeigt, dass man (ich) seine Ansichten von Zeit zu Zeit neu bewerten muss …

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„Norma“: Joan Sutherland mit Marilyn Horne und Carlo Bergonzi/ Met Opera Archive

Die Liste der illustren klang-dokumentierten Interpretinnen für die Titel-Partie ist eine ebenso glanzvolle wie relativ kurze, wenn man zwischen dem lauten Applaus der Welt und der Einschätzung der Kenner unterscheiden will – eigene Begeisterung für diese oder jene sind extrem subjektiv und gebaut auf der Vorliebe für ein spefisches Timbre, die Diktion, die Erscheinung und viele extramusikalische Momente mehr. Anders als für die anderen Opern des Belcanto (und Bellinis!) – eben jene kurze Blüte des virtuosen und in engen Stil-Grenzen leidenschaftlichen Gesanges in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – nahmen (und nehmen bis heute) nur wenige Vertreterinnen die geforderten Hürden: Giuditta Pasta, Giulia Grisi, Maria Malibran waren herausragende Normas mehr oder weniger der Entstehungszeit. Blanche Marchisio,Therese Tietjens und Jenny Lind später, Lilli Lehmann, Ester Mazzoleni, Rosa Raisa, Claudia Muzio und Rosa Ponselle galten als  die “klassischen“ Sängerinnen vor und nach dem 1. Weltkrieg. Während dann die Partie in die eisernen Kehlen von Damen wie Maria Caniglia oder Gina Cigna und zur Schwester der Turandot geriet, dem faschistischen Frauen-Ideal verpflichtet. Eine Ausnahme macht die heute kaum noch bekannte und hinreißende, kultivierte und machtvolle  Maria Pedrini (bei ehemals Melodram oder Gala), die ganz in einer damals (1940) vergessenen italienischen Belcanto-Tradition bei der RAI -Vorläuferin unter Ugo Tansini eine gekürzte Version einsang und die wie ein Leuchtfeuer in wüster Landschaft dasteht.

Norma wurde danach – wie von der Metropolitan-Säule Zinka Milanov oder der Caballé interpretiert – zu einer im Dauer-Pianissisimo verharrenden Schwester der Leonora oder Amelia Verdis verallgemeinert. Spätestens gegen Ende der Vierziger war die Kenntnis von der Belcanto(!)-Heldin Norma verloren gegangen, wie überhaupt das Wissen um das Spezifische an Bellini und dem Belcanto hinter einer global-robusten, dem hochexplosiven Verismo verpflichteten Musikalität zurückgetreten war. Riesenhäuser, Riesen-Events und der schnöde Opernalltag hatten Norma plattgemacht.

Die Auswirkungen darauf erstrecken sich über die fünfziger Jahre des vor-vorigen Jahrhunderts bis heute. Denn die Geschichte der Norma-Interpretation ist zugleich auch die Geschichte der Unzulänglichkeit und verwegenen Ambitionen der vielen Ehrgeizigen, die sich dieser Partie und dieses Repertoires bemächtigt haben, nachdem die Pionierinnen wie Callas oder Sutherland das Repertoire geöffnet hatten.

Norma: Maria Dragoni/ NE

Einschub: Vielleicht sollte man an dieser Stelle noch einmal ein Wort über die Bedingungen für die Partie verlieren. Da die Norma zwischen den heroischen und vor allem dunkel timbrierten Heldinnen Rossinis (in der mezzogefärbten Interpretation oft durch seine Frau Isabella Colbran, die u.a. die Semiramide, aber natürlich nicht die Norma gesungen hatte) und den Frauenfiguren der frühen bis mittleren Verdi-Opern steht (also eine Masnadieri-, Oberto- oder Trovatore-Leonora in Richtung auf Aida), ist mit Kanarienvogelstimmen (Sills, Deutekom, Nielsen, Gruberova, Devia, Pratt und andere Unglückliche) nichts gewonnen. Die Norma braucht eine (immer im Rahmen der Belcanto-Anforderungen) machtvolle, unbedingt kontrollierte und dunkle Sopranstimme mit bester Koloratur, mit heroischer Farbe im durchgehenden Register ohne ordinären Brustton und mit eben jener Majestät, wie sie auch die eher übermenschlichen Heldinnen Rossinis zeigen. Norma – ein wirklicher soprano drammatico d agilità – ist der Gipfel des canto di bravura. Norma braucht, wie Bellini selbst sagte, eine voce da carattere enciclopedico – es ist die einzige wirklich dramatische Partie Bellinis. Sie hat ein Finale, das an Wagner erinnert, einfach herrlich!

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Norma: Maria Callas in Paris/ Roger-pic/Warner

Nun also Maria Callas: Zwischen1948 und 1960 sang die Callas diese Partie unangefochten und weltweit von Buenos Aires bis Epidauros und erweckte Norma wieder zum Leben in der Belcanto-Tradition vergessener Tage, die auf Ihre Zeit (und auf uns!) wie eine Offenbarung wirkte und immer noch wirkt. Sie ist und bleibt für meine heutigen Ohren die einzige, die so viele Aspekte der Figur und der Musik, der musikalischen wie charaktermäßigen Anlagen erfüllt. Sicher, ihre Stimme und später die Höhe an sich, ihr manchmal saures Timbre ist Geschmackssache. Aber nach einer Minute vergisst man mögliche Irritationen, zumal die frühen Aufnahmen aus der Zeit von 1952-1955 die Sinnlichkeit und vor allem auch die Üppigkeit der stimmlichen Mittel belegen. Und sie zeigen ihre große Kunst der Deklamation, der „Cornerstone“ jeglicher Belcanto-Oper. Die halbe Arbeit steckt darin, in der Kommunikation der Sängerin mit der Figur und mit dem Publikum.

Die Dokumente aus Mexico von 1950 lassen bereits ahnen, was man 1952 in London (mit einer ganz jungen Joan Sutherland als Clotilde/ Warner) und dann 1955 beim italienischen Rundfunk (meine absolute Lieblingsaufnahme mit einem diesmal nicht stentoralen Del Monacco/Cetra und viele andere) und im selben Jahr an der Scala hören kann – ein stimmlicher und interpretatorischer Idealtyp, geschult dank der Lehrerin Hidalgo und des Dirigenten Serafin im Geiste des Belcanto, mit einer voluminösen Stimme, die in zwar auch ihren Anfängen Turandot, die Walküre Wagners und dessen Isolde sowie Kundry ebenso durchmaß wie die Gioconda Ponchiellis. Dies also ist keine heute übliche Mini-Stimme, sondern die üppige, reife, geheimnisvoll-dunkle einer späteren Lady Macbeth oder einer Nabucco-Abigaille und eben einer Trovatore– und Forza-Leonora, eine Iphigenie Glucks ebenso wie seine Alceste. Klanggewordenes Mysterium. Selbst auf der späte EMI/Warner-Aufnahme neben der fehlgeleiteten präpotenten Christa Ludwig und dem herrlichen Franco Corelli – was für eine Kunst und welches Wissen.

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Maria Pedrini: ihre Norma (hier in Neapel) ist ein Leuchtturm in düsterer Zeit des Belcanto/nachzuhören auf dem Melodram-Doppelalbum (vergr.)/ priv. coll.

Und nach der Callas – eigentlich nur die Cerquetti und die Scotto! „Gäste kamen und Gäste gingen“ – und nur sehr wenige waren ausersehen. Zwar öffnete die Callas das Repertoire für unsere Zeit neu, sang mit derselben Stimme auch die Sonnambula, Lucia und die Verdi-Partien. Aber andere scheiterten beim Versuch und blieben weniger prägnant, selbst wenn mir nun viele (!!!) Musikfans gellend widersprechen und mich beschimpfen werden: die schmalstimige, säuerliche Leyla Gencer als wichtige Zeitgenossin der Callas und immer in deren Schatten, die deutsch-veristisch klindende Marion Lippert, die robuste Monika Pick-Hieronimi, die Griechin Elena Suliotis als glottierende und undisziplinierte Callas-Epigonin, die Amerikanerin Beverly Sills mit willensstarker, drahtiger Soubrettenstimme (deren Mut man mehr bewundert als den Klang ihres schartigen Organs), die trillernde Cristina Deutekom (huhhhhhhh), die Spanierin Montserrat Caballé mit klangschöner Dauer-Pianoleistung ohne viel Charakterisierung (dafür mit sssssspanischem Glottis und einem absolut geilem Videoauftritt in Orange neben einem ungeeigneten Vickers und dto. Veasey) wie auch die nichtssagende Katia Ricciarelli („Ma che corragio“, sagte Renata Tebaldi dazu…), die schumann-seelige Margaret Price, die Afro-Amerikanerinnen Shirley Verrett und Grace Bumbry ohne irgend ein Echo, Sternschnuppen wie die Russin Maria Bieshu (Genossin General), die in Berlin optisch dokumentierte Eleanor Ross, Anna de Cavallieri oder die unterschätzte und von mir sehr geliebte Italienerin Maria Vitale. Die große Renata Tebaldi hat sich weise der Norma enthalten nachdem sie die Callas gehört hatte – welche Einsicht! Zum Zeitpunkt unseres Interviews hatte sich gerade Katia Ricciarelli der Norma bemächtigt. An den Hauswänden von Triest prankten Protest-Plakate „E morta la Norma“. „La povera„, sagte die Tebaldi. Und von Lucia Aliberti hatte sie noch nie gehört …

Anita Cerquetti als Norma mit Widmung/ OBA

Andere Interpretinnen der Partie streife ich jetzt mal – keine von ihnen hat mich über das Sportliche hinaus interessiert. Und da gestehe ich, habe ich weitgehend aufgegeben zu hören, weil mich diese diese hochgehypten, glamourösen Damen nicht mehr interessieren.  Weder die blande Rebeka, die veristische Dessì, die brüllende Dimitrova, die amerikanisch-robuste Goerke, die blasse Bertaglioni, die als Norma absurden Damen Dussmann oder Inga Nielsen, die von mir so geliebte, undisziplinierte  Michele Lagrange mit ihren Caballé-ähnlichen Glottis, Brigitte Hahn somnambul trotz schöner dunkler Stimme, die wüste Negri, die dto. unruhige Orlandi-Malaspina, die sehr russische Penchikova, die hochindividuelle Stapp, nicht die irregeleitete Tomowa, schon gar nicht die Crider und auch nicht Lina Tettriani, die nach dem fulminanten Auftritt 2010 in Paris verschwand und hoffentlich gut geheiratet hat. Maria Gresia  hoffnungsvoll in Parma jüngst hatte ich schon erwähnt (youtube). Vorher gab´s sogar Yasiko Hayashi. Mara Zampieri gab es auch mal, Nelly Miricdioiu machte damit Amsterdam und Bukarest unsicher, Mariana Nicolesco (resta in pace) letzteres ebenfalls, Mariella Devia erlebte einen flopp ebenso wie „Grubsi“ (giammai.) und viele andere. Die Liste ist lang, Sammler schwärmen von der einen oder anderen (die von mir noch als Sopran geschätzte Rosalind Plowright hatte das Geheimnis in der gaumig-dunklen Stimme, aber nicht die Voraussetzungen, schon gar nicht im Tandem mit der Ulrica-gleichen Ewa Podles als Adalgisa.)

Denn natürlich gibt es noch unendliche viele andere, die sich wagten. In Erinnerung ist die wirklich tapfere und sich nicht schonende Sondra Radvanovsky an der Met, sensationell in den lyrischen Tönen und dem leidenschaftlichen Engagement, aber wie ihre Kollegin Joyce Di Donato (ein Fehler als Adalgisa) verbal undeutlich und eher bewundernswert denn überzeugend. Verena Dimidieva will ich übergehen, Karine Deshayes ebenfalls (wenngleich Michael Spyres und die etwas kleindimensionierte Dimina Edris neben ihr in Aix 2022 hohen Posten sind).

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Man findet unter den zahllosen Rollen-Vertreterinnen bis heute nur eine einzige mit einer wirklich üppigen, sogar noch voluminöseren und vor allem schöneren Stimme als die Callas:  Die Italienerin Anita Cerquetti, die der graeco-amerikanischen Kollegin die Norma nachsang (der berühmte Skandal 1958). Ihr römisches Zeugnis der Norma mit einem virilen (wirklich einzigartigen) Franco Corelli und der säuerlichen Miriam Pirazzini ist ein erhebendes Dokument wunderbaren Gesangs, wie es ihn heute nicht mehr gibt und wie er mir automatisch in den Kopf kommt, wenn ich mich durch die vielen (für mich) Lässlichen durchhöre. Vielleicht erreicht die Cerquetti nicht die letzte, zu hart erarbeitete intellektuelle Tiefe der Interpretation der Callas (die ja später unaufhörlich darüber redete, als die Stimme weg war), aber sie erreicht ihre unverkennbar eigene und absolut überzeugende Charakterisierung durch ihre menschliche Würde und stimmliche Vollkommenheit. Sie wird ja bei operalounge.de genügend gewürdigt. Natürlich ist es ein Jammer, dass es keine Studio- oder eine bessere Rundfunkaufnahme von ihr als Norma gibt. Freund Stefan Felderer (der Ton-Techniker für ehemals Melodram) hat aus dem GOP-Mitschnitt-Dokument alles rausgeholt, was möglich ist. Das muss genügen.

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Bedeutend: Szene und großes Duett aus „Norma“ mit Renata Scotto und Mirella Freni bei Decca

Drei weitere Namen ragen aus dem Aufgebot heraus, alle nicht vollkommen, aber doch eindringlich auf ihre eigene Weise. Joan Sutherland war die eher stimmbetonte  Alternative zur Callas ohne deren Wortausdeutung und dramatische Gabe, dafür mit einer technisch makellosen und vor allem fachspezifischen Belcanto (!)-Stimmführung (dank Ehemann Bonynge). Sie machte nach der Callas mit der Norma Furore und zwei Studio-Gesamteinspielungen, deren zweite das Absurde streift dank Caballé als Adalgisa und deren erste sie im Verein mit der bedeutenden Mezzosospranistin Marilyn Horne in unerhört harmonischen, überirdisch-schwebenden Duetten zeigt (auch wenn die Horne eher als Treckerfahrer denn als eine keusche, errötende Jungfrau auftritt). Außerdem singt die Sutherland als einne der ganz wenigen ihre Arie und die Duette in der originalen Tonlage (in C-Dur und F-Dur), während meistens eine Transposition nach moll üblich ist (die Callas allerdings, die sonst nicht die wackelfesteste Kandidatin in der Höhe war, singt 1952 in Covent Garden in der Originaltonart und über der Adalgisa-Linie!).

Die andere bedeutende Norma meines Opernlebens war für mich Renata Scotto, die 1978 unter Riccardo Mutis temperamentvoller Leitung in Florenz eine hochdurchdachte, intelligente und in der Absicht ehrenvolle Druidenpriesterin abgibt, deren Stärken natürlich angesichts ihrer schmaleren Stimmittel eher in der packenden Deklamation und Textausdeutung liegen als in der fulminanten Power, besonders effektvoll im letzten Akt mit Normas Drohung „In mia man“ in der Konfrontation mit dem milde-sauren  Ermanno Mauro. Und da darf man auch die bezaubernde Margherita Rinaldi als Adalgisa nicht vergessen, denn Muti besetzte die beiden Frauenpartien richtig mit einer gewichtigen und einer lyrischen Stimme. Die Scotto hat die Norma zwar ohne Gewinn mit James Levine industriell verewigt (Sony), aber mit Gewinn die große Szene Norma/Adalgisa in A2 (bei 3-Akt-Zählung) mit Mirella Freni bei Decca aufgenommen, hinreißend und habenswert.

Ebenfalls bedeutend: die Decca-Aufnahme der „Norma“ mit Cecilia Bartoli hors concours

Wie kaum eine andere, die Cerquetti ausgenommen, erinnert bei den Jüngeren Maria Dragoni (bei Kikko DVD 2000 Savona, mit bereits drohende Zustandsmanki am Horizont) an die Callas, ohne diese zu kopieren. Beide haben diesen technischen Tick in fiasca zu singen: dieser merkwürdig hohle Klang in der mittleren Tiefe. Beide haben das Glottis im passaggio, ganz eigenwillig.

Es ist die Art, wie sie das Rezitativ gestaltet, wie sie Pathos und Individualität aufkommen lässt. Diese üppige, große Stimme hat durchaus ihre problematischen Momente, aber im Ganzen war dies in jüngerer Zeit die für mich überzeugendste Verkörperung, die engagierteste Auslegung und die beseelteste Stimme für diese Partie.

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Adalgisa als zweiter Stolperstein: Nun singt ja Norma nicht alleine auf der Bühne, wenngleich sie dreiviertel des Abends bestreitet. Da gibt es noch neben dem störenden Papa Oroveso die junge Adalgisa und den strammen Römer Pollione (über Corelli geht da nichts). Um das Kriegsende herum war das neben einer Cigna oder der Callas fast immer die hochgelegene Mezzosopranistin Ebe Stignani, für damalige Zeiten eine Idealbesetzung. Selbst wenn sich das Publikum hörbar das Lachen nicht verkneifen konnte, wenn die junge Callas die säuerliche, aber eben sopranige Veteranin mit „O giovinetta“ adressierte (London 1952/Warner; die Stignani selber mit einer fulminanten Auftrittsarie Normas konserviert – sie hatte die Tessitura/Cetra).

Zu „Norma“: die bezaubernde Margherita Rinaldi, leuchtender Sopran in so vielen Partien, hier als Mozarts Ilia, singt die Adalgisa neben der Scotto in Florenz/ Hob

Traditionell wird diese Partie mit einem klassischen Mezzo verdianischer (oder sogar bizet-scher) Ausmaße besetzt – was ebenso monströs wie falsch ist, denn die Adalgisa sollte ebenfalls ein soprano lirico sein oder zumindest sopranig klingen, zumal ihre Partie im Duett in die höhere Lage führt und die Norma übersingt. Die originale Giulia Grisi war das gegenüber Giuditta Pasta, aber später selber eine bedeutende Norma. Die Rollenbezeichnung Mezzosopran kommt ja erst mit Verdi, vorher gab es die prima donna und die seconda donna. Das gilt auch für Maria Malibran, von der Bartoli bei Decca und in Aix 2022 Karine Deshayes als Vorlage zitiert, die die hochgelegene Amina Bellinis ebenso wie Rossinis tragische Desdemona gab, eben eine dunkle Sopranstimme großen Umfangs. Shirley Verrett und Fiorenza Cossotto sind da in den Dokumenten noch die fähigsten, Fedora Barbieri, Giulietta Simionato, Agnes Baltsa, Stefania Toczycka, Christa Ludwig, Marilyn Horne oder Tatyana Troyanos eher monströs – wenngleich für den Opernfreak ausserordentlich vergnüglich. Eine Quickly ist eben keine Adalgisa, für die man einen Sopranton braucht, nicht Urmutter Erda oder Klytämnestra. So sehr ich die robuste Cossotto in anderen Partien schätze halte ich auch sie für eine Fehlbesetzung ebenso wie die präpotente, total unitalienische Christa Ludwig, beide bei der Callas und die Stimmverhältnisse umkehrend. Und auch die von mir sehr geschätzte Joyce DiDonato, eine kluge und von mir bewunderte Künstlerin, tat sich mit ihrer Adalgisa an der Met keinen Gefallen, das Timbre ist nicht richtig, und sie war auch nicht in guter Form, peccato.

Der Klang und auch die Mischung zwischen der schwereren, dramatischen Stimme der Norma und der helleren (weil jüngeren, unschuldigen) der Adalgisa ist hier wichtig. 1978 verpflichtete Riccardo Muti für Florenz die Scotto erstmals zusammen mit der bezaubernden, mädchenhaften Margherita Rinaldi, und erzielte ein leuchtendes Ergebnis (Legato und andere). Nicht ganz so glücklich war die ein Jahr früher liegende Bemühung in Martina Franca (nun auf Dynamic), als Grace Bumbry (brrrr) neben der etwas kneifigen Lella Cuberli auftrat, auch weil die Bumbry so absolut gar nichts für die Titelpartie mitbrachte. Aber der Gedanke als solcher ist richtig und bis heute selten wiederholt worden (zuletzt eben mit Bartoli/ Jo oder Deshayes/Idriss).

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Die zweite Norma der Callas bei EMI/Warner; trotz Christa Luwig und auch wegen Franco Corelli mehr oder weniger die beste Aufnahme von ihr.

Was bleibt? Ist es kulturpessimistisch, so streng zu sein? Verletze ich viele, die ihre Geliebten hier mies gemacht sehen? Niemand ist im Besitz der Wahrheit, und meine Meinung ist ja nur eine sehr persönliche auf der Grundlage vielen Hörens und Erlebens. Gerade Sondra Radvanovsky (die arme Vielzitierte!) mit ihrer sicher soliden Leistung an der Met hat mir bewusst gemacht, dass solide einfach nicht für Norma (oder für die Isolde) reicht (Frau Yoncheva wird erfrischend vom Kollegen der New York Times niedergemacht, wie oben zu lesen ist.). Solide ist nur die Grundlage, die Basis, der Autopilot.

Aber gilt das nicht auch für fast jede andere Opernpartie? Für Violetta, Leonora oder Alceste? Das Besondere, das den Abend ausmacht? Die Spannung, die Kommunikation, eben das seltene Glück, zu vergessen, dass dort gesungen wird und dass man wieder am Ende des Abends auftaucht wie aus einem tiefen Wasser.

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Und nicht vergessen: Anita Cerquetti als Norma, live 1957 auf diversen Labels, hier die Erstausgabe bei gop, für mich die ultimative Norma. G. H.

Ich lese mich gerade erneut durch Janet Bakers Autobiographie „Full Circle“ hindurch und falle immer wieder über eben diese Begriffe wie Persönlichkeit, Kunst, Integrität, keine Routine, „Dedication“. Auch Dienen an der Kunst (was inzwischen so abgegriffen klingt, aber von tiefer Bedeutung ist). Vieles, was die Baker in Retrospekt  schreibt, ist so wahr und kann für das Singen überhaupt gelten. Dieses bedingungslose, uneitle sich Öffnen für eine Partie ist das, was uns als Publikum erreicht. Und für mich sind das in puncto Norma die zwei oder drei genannten Sängerinnen: Maria Callas, in einer Rolle, in der sie wie in kaum einer anderen Magie schafft, sie ausfüllt, sie mit Leben versieht. Egal in welcher Kombination der zahlreichen Live-Mitschnitte und zwei Studioaufnahmen:  Über allem triumphieren der Genius Bellinis und der von Maria Callas. Und dann ist da neben der Scotto noch Anita Cerquetti in ihrer majestätischen Würde und fast unschuldigen Menschlichkeit. Was sind wir reich! Geerd Heinsen

Alfredo Keils „Serrana“

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„Heróis do mar, nobre povo, // (…) Levantai hoje de novo // O esplendor de Portugal! – Helden der See, edles Volk, (…) //Erhebet heute aufs Neue, //Die Pracht Portugals!“ – Ausgerechnet ein Portugiese mit deutschen Wurzeln ist für diese Nationalhymne verantwortlich: Alfredo Keil. Der kommt nur deshalb in Portugal auf die Welt, weil es seinen Vater, Hans-Christian Keil, als Schneider an den portugiesischen Hof verschlägt. Den Sohn, Alfredo, reizt es weniger, für die Fernandos, Carlos und Manuels dieser Welt Nähnadeln durch erlesene Samtstoffe zu triezen; er studiert Malerei und Musik und setzt sich energisch daran, die portugiesische Oper endlich portugiesisch zu machen. Mit Serrana, im Untertitel Die Frau aus den Bergen, vertont er wagemutig ein portugiesisches Libretto – bei so viel nationaler Bewegung muss die Zeit ja endlich mal reif sein für ein Werk in der Muttersprache, oder? Doch ehe das Stück 1899 mit großem Erfolg am Teatro São de Carlos aufgeführt wird, muss es, man braucht es eigentlich schon nicht mehr zu sagen, erst ins Italienische übersetzt werden.

Sein Lied A Portuguesa komponiert Keil bereits 1891, im Schwung der Empörung über die britische Afrikapolitik. Dass daraus dann zwanzig Jahre später die portugiesische Nationalhymne gezaubert wird, versehen mit einem Text des Dichters Henrique Lopes de Mendonça, erlebt er gar nicht mehr – und glücklicherweise auch nicht, dass das leider das einzige ist, was von seinem Werk überhaupt noch gespielt wird.

Alfredo Keil, Gemälde von Félix da Costa 1909 (Museu de Lisboa, Palácio Pimenta)

Hymne hin oder her, die junge Republik kämpft – und versinkt zugleich im Chaos. Der 1. Weltkrieg destabilisiert nachhaltig, Attentate, Korruption, Inflation, höhlen das System aus, alle paar Monate wechselt die Regierung. Der Ruf nach einem starken Mann wird immer lauter, Portugal schlingert Richtung Diktatur. Ein dunkles Kapitel der portugiesischen Geschichte. …  (soweit Sylvia Roth im SWR 2017 in ihrer vierten Folge der Kleinen Musikgeschichte Portugals).

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Alfredo Keil? Wer war Alfredo Keil? Ein Portugiese, zumal ein patriotischer mit deutschem Namen? Alfredo Keil wurde am 3. Juli 1850 in Lissabon geboren und war väterlicherseits deutscher und mütterlicherseits elsässischer Abstammung.  Sein Vater, João Cristiano (Johann Christian) Keil, ließ sich 1838 als Schneider in Lissabon nieder und konnte den König zu seinen Kunden zählen; seine Mutter, Maria Josefina Stellpflug, gehörte zu einer Familie, die seit dem späten achtzehnten Jahrhundert in Portugal ansässig war.

Im Jahr 1868, noch nicht 18 Jahre alt, geht er nach Bayern, um in München und Nürnberg zu studieren, wo Kaulbach und Keeling seine Lehrer an der Akademie der Bildenden Künste sind. Von dort aus schickte er seine ersten Bilder für eine Ausstellung der Sociedade Promotora das Belas Artes (Gesellschaft zur Förderung der schönen Künste).

1870 zwang ihn der Deutsch-Französische Krieg zur Rückkehr nach Portugal, wo er sein Studium der Malerei bei Prieto und Miguel Lupi fortsetzte. In den Jahren 1874 und 1876 wurde er von der Sociedade Promotora mit einem Preis ausgezeichnet und nahm an mehreren internationalen Ausstellungen teil und wurde dort auch prämiert.

Alfredo Keil: „Serrana“/ Aquarell vom Künstler mit einer Widmung für Jules Massenet/TNSC (National Theatre of S. Carlos), Serrana, Alfredo Keil, Ministério da Cultura, 2002

In der Zwischenzeit wurde er in den eleganten Salons als Komponist von Walzern und Polkas immer beliebter. Seine musikalischen Lehrer waren der Ungar Oscar de Ia Cinna (Klavier) und die Portugiesen Ernesto Vieira (Harmonie) und António Soares (Grundlagen).

Im Jahr 1883 wurde seine einaktige komische Oper Susana nach einem Text von Higino Mendonça im Teatro da Trindade aufgeführt. Am 10. Juni des darauffolgenden Jahres, im Anschluss an das Camões-Jahresjubiläum (1880), wurde seine Kantate Patrie im alten Whitoyne Coliseum unter der Leitung von Filipe Duarte aufgeführt. 1885 und 1886 wurden seine symphonische Dichtung Uma Caçada na Corte und die Kantate As Orientais von der Academia dos Amadores de Música im Trindade-Saal uraufgeführt. Aber es war auch eine Zeit großer Aktivität als Maler, aus der die meisten seiner kleinen Gemälde von Colares stammen.

Dona Branca, sein „Drâme lyrique“ in einem Prolog und vier Akten, wurde am 10. März 1888 im Teatro de São Carlos uraufgeführt und war sein erstes wichtiges Werk. Nach einem Libretto von César Fereal, das auf dem gleichnamigen Gedicht von Almeida Garrett basiert, war es ein großer Erfolg und wurde dort dreißig Mal aufgeführt, bevor es an das Teatro Lírico in Rio de Janeiro weiterging.

Zwei Jahre später setzte das britische Ultimatum eine gewaltige Welle patriotischer Begeisterung in Gang. Um die Gefühle der Nation auf den Punkt zu bringen, komponierte Alfredo Keil den Marsch A Portuguesa, dem Henrique Lopes de Mendonça einen Text hinzufügte, der bald im ganzen Land gesungen wurde. Zu den Klängen von A Portuguesa brach am 31. Januar 1891 in Porto die republikanische Revolution aus, die dazu führte, dass dieser Marsch 20 Jahre lang nicht mehr öffentlich gesungen werden durfte. Bei der Revolution vom 5. Oktober 1910 wurde er vom Volk wieder aufgegriffen und schließlich von der Republik als Nationalhymne angenommen – ein Schicksal, das der inzwischen verstorbene Monarchist Alfredo Keil nicht vorausgesehen hatte.

Alfredo Keil: „Serrana“/ Foto zu einer Aufführung 1909 im Teatro de la Trinidad, Portugal/ Wikipedia

Zurück ins Jahr 1890: In diesem Jahr führte das Teatro Nacional Dona Maria II. zum ersten Mal die historische Tragödie A Morta von Henrique Lopes de Mendonça auf, zu der Keil die Bühnenmusik komponierte. Im selben Jahr veranstaltete er eine Ausstellung, bei der er etwa 300 Gemälde verkaufte. Einer der Käufer war König Luís, der Alfredo Keil 1886 gebeten hatte, eine Kantate zur Feier der Hochzeit von Prinz Carlos mit Prinzessin Amélia von Orleans zu komponieren, woraus O Poema da Primavera entstand (erst 1930 posthum aufgeführt). König Luís widmete der Komponist die Partitur von Dona Branca, die in Paris veröffentlicht wurde.

Die vieraktige „Leggenda mistica“ Irene wurde am 20. März 1893 am Teatro Regio in Turin uraufgeführt. Ebenfalls nach einem Text von César Fereal wurde es zwei Jahre später in Leipzig veröffentlicht und 1896 im São Carlos aufgeführt.

Etwa zur gleichen Zeit vollendete Keil A Serrana nach einem Libretto von Henrique Lopes de Mendonça, das auf der Erzählung Como ela o amava („Wie sie ihn liebte“) von Camilo Castelo Branco basiert. Die Uraufführung fand am 13. März 1899 im São Carlos statt. Ein Auszug für Gesang und Klavier wurde in Rio de Janeiro von einer großen Gruppe von Bewunderern veröffentlicht (ähnlich wie bei der Symphonie „A Pátria“ („Das Vaterland“) von Viana da Mota), mit Illustrationen von Roque Gameiro, Columbano Bordalo Pinheiro und anderen.

Alfredo Keil „A Serrana“ scene II, Act 2, Júlia Coelho, soprano,  Taylor Burkhardt pianist Whitmore recital Hall Columbia, Missouri 2015/ youtube

Während dieser Zeit widmete sich Aldredo Keil weiterhin der Malerei. In seinen letzten Lebensjahren widmete er sich vor allem seinen Sammlungen von Kunstwerken, insbesondere seiner berühmten Musikinstrumentensammlung. Diese umfasste bis zu 400 verschiedene Stücke und ist heute Teil der Sammlung des Museu de Música in Lissabon. Zu seiner wertvollen Gemäldesammlung gehörten ein Goya, ein Luca Giordano, ein Bruegel und zahlreiche portugiesische alte Meister. Seine prächtige Bibliothek umfasste eine Reihe seltener Werke, darunter Manuskripte, einige mit Buchmalerei. Er selbst veröffentlichte die Bände Breve Notícia da Colecção Keil – Instrumentos de música (1904) und Colecções e Museus de Arte de Lisboa (1905).

Alfredo Keil war ein Mann, der die Zuneigung und Wertschätzung von Institutionen und einfachen Menschen gleichermaßen genoss. Diese Universalität, die von allen Schichten des Landes in Anspruch genommen wurde, führte zur Komposition einer Reihe von Gelegenheitswerken, wie dem Hino do Infante Dom Henrique und dem Marcha de Gualdim Pais. Die lyrische symphonische Dichtung A Índia (ursprünglich als Oper gedacht, die jedoch nie vollendet wurde) wurde von der Geographischen Gesellschaft in Auftrag gegeben, um den vierhundertsten Jahrestag der Entdeckung Indiens durch Vasco da Gama im Jahr 1898 zu begehen (die Komposition wurde wegen fehlender finanzieller Mittel eingestellt).

Bei seinem frühen Tod am 4. Oktober 1907 hinterließ Alfredo Keil ein unveröffentlichtes Buch mit Versen, Zeichnungen und Liedern, die er alle selbst angefertigt hatte und die ein Jahr später unter dem Titel Tojos e Rosmaninhos („Ginster und Rosmarin“) veröffentlicht wurden. Ansonsten hinterließ er Skizzen für eine weitere Oper, Simão, o Ruivo, und eine große Anzahl kleiner Vokal- und Instrumentalstücke. (Quelle Wikipedia Poirtugal).

Alfredo Keil: „Serrana“/Costume painted by Roque Gameiro/Denise Pereira & Gerald Luckhurst, “Alfredo Keil e Luigi Manini: Os sons e os tons da didascália operática” in Alfredo Keil em Sintra: 100 anos depois, Câmara Municipal de Sintra, (Exhibition catalog), 2007

Soweit die Bio. Nun aber endlich zur Oper selbst: Am  13. März 1899 wurde also  im S. Carlos Theater in Lissabon A Serrana, ein lyrisches Drama in drei Akten mit einem Libretto von Henrique Lopes de Mendonça, basierend auf dem Roman Como Ela o Amava, von Camilo Castelo Branco Real Teatro de São Carlos uraufgeführt.  Es ist die erste moderne Oper mit einem Libretto in portugiesischer Sprache, die auch populäre Melodien enthält. Es wurde Keils bekannteste Oper sowie ein „echt nationales“ Repertoire-Stück. Obwohl das Libretto ursprünglich in portugiesischer Sprache verfasst war und Keil angedeutet hat, dass er die Musik auf der Grundlage des Textes in dieser Sprache geschrieben hat, wurde die Oper, wie alle ihre Gegenstücke von portugiesischen Komponisten, die im 19. ein Ensemble, dem einige berühmte Sänger der damaligen Zeit angehörten, darunter die Sopranistin Eva Tetrazzini, Ehefrau des Orchesterdirektors Cleofonte Campanini, und der Bariton Mario Ancona, eben – de rigeur –  in Italienisch gegeben.

In der Widmung an Massenet (einen Freund des Komponisten), die am Anfang der Partitur steht, erwähnt Keil Serrana als die erste Oper, die mit einem portugiesischen Text gedruckt wurde, und die 90 Subskribenten, die die Ausgabe finanziert haben, bezeichnen sie als „die erste moderne Oper, mit der die ‚Vulgarização da Musica Portugueza‘ beginnt„. Nach der Tradition des 19. Jahrhunderts ist dies die Partitur, die in der Öffentlichkeit das Bild der Oper prägt und sicherlich zu ihrer Identifizierung als Nationaloper beigetragen hat.

Alfredo Keil: „Serrana“/Costume painted by Columbano Bordalo-Pinheiro/TNSC (National Theatre of S. Carlos), Serrana, Alfredo Keil, Ministério da Cultura, 2002

Es dauerte jedoch bis 1909, ein Jahrzehnt nach der Uraufführung und zwei Jahre nach dem Tod des Komponisten, bis der Impresario Afonso Taveira die Oper in der Sprache, in der sie ursprünglich geschrieben wurde, auf die Bühne des Theaters von Trindade brachte.  Zu dieser Zeit erkannte A Illustração Portuguesa die Oper als Keils populärste an (was sich sicherlich auf die Tatsache bezog, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt fünf Mal aufgeführt worden war) und auch als „echt national“. Diese Popularität wird sich im 20. Jahrhundert widerspiegeln, denn Serrana war sicherlich die meistgesungene portugiesische Oper. Zwischen 1900 und 1979 gab es neun Spielzeiten im Teatro de S. Carlos, vier Spielzeiten im Coliseu bis 1965, im Teatro de S. João do Porto im Februar 1901, im Teatro da Trindade 1909 und dann, in den sechziger Jahren, durch die Companhia Portuguesa de Opera, die es in der portugiesischen Fassung zu einem ihrer Repertoirewerke wählte, sowie 1979 im Teatro Rivoli in Porto. Eine semi-konzertante Aufführung findet sich zudem 2015 im amerikanischen Columbia/Missouri.

2002 und 2019 erfolgten zwei weitere Aufführungen in Lissabon (in portugiesich), letztere ist bei youtube nachzuerleben (in halligem Sound, Maria Pia Jonata singt die Titelpartie, Donato Renzetti dirigiert am Teatro Nacional de São Carlos). Gleich nach der Uraufführung in Lissabon brachte das tüchtige Hamburger Opernhaus eine deutsche heraus. Eine im Netz erwähnte erste und einzige deutschsprachige konzertante Nachkriegs-Aufführung (stark gekürzt in der Originalsprache) vom WDR stammt vom 15. 5. 2005 (wie der Bonner Generalanzeiger am 17. 5. 2005 titelt: Konzertante WDR-Produktion von Alfredo Keils „Serrana“ im!!! Bonner Opernhaus.“; so die Info der Radiozeitung Hör Zu, wie unser Leser Carl Meffert herausgefunden hat: Günter Lamprecht und Claudia Amm sind die Sprecher, und es singen Laura de Souza, Ricardo Tamura sowie Juan-Carlos Mera-Euler mit Helmuth Froschauer am Pult des Rundfunk-Orchesters und -Chores, s. die Buldunterschrift zum Flyer der Bonner Aufführung nachstehend). Der Musikverlag Schott, bei dem  bei der Hamburger Erstaufführung die deutschen Rechte lagen, findet nichts im Archiv.  (G. H.)

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Alfredo Keil: „Serrana“/ Bühnenbildentwurf von Manuel Macedo für Alfredo Keil/ TNSC (National Theatre of S. Carlos), Serrana, Alfredo Keil, Ministério da Cultura, 2002

Im Gegensatz zu den früheren Opern Dona Branca und Irene, die beide ein historisches Thema behandeln und von den Vorbildern der Grand Opéra beeinflusst sind, behandelt Serrana Probleme, die mit dem Leben der Bauern eines Dorfes in der Umgebung von Serra da Estrela verbunden sind.

Wie ihre Vorbilder aus dem späten 19. Jahrhundert verbindet Serrana Elemente, die von der romantischen Oper übernommen wurden, mit anderen, die für die literarischen Strömungen des italienischen Naturalismus charakteristisch sind – verista oder Realisten -, die den meisten dramatischen Werken ab 1870 ihren Stempel aufdrückten.

Romantische Stereotypen werden besonders deutlich in der Organisation des dramatischen Raums: Akt I spielt im Freien, während des Morgens, in einer Taverne mit Tischen; Akt II spielt im Inneren eines wohlhabenden Hauses, während einer stürmischen Nacht, und Akt III spielt am Morgen des nächsten Tages, ebenfalls im Freien. Wir beobachten also eine Entwicklung vom offenen und bukolischen Raum des ersten Aktes zum geschlossenen und intimen Raum des zweiten Aktes und eine Rückkehr zum offenen Raum im dritten Akt, der nun beunruhigend und bedrohlich ist.

Die Dialoge zwischen dem Chor und den verschiedenen Figuren im ersten Akt repräsentieren das Gefühl der Feindschaft zwischen den beiden rivalisierenden Dörfern, während Peter und Zabel im zweiten Akt in einer intimeren Atmosphäre ihre Liebesgefühle zueinander ausdrücken.

Alfredo Keils „Serrana“ in der konzertanten Aufführung des WDR im Opernhaus Bonn – unser Leser Carl Meffert fand den Flyer für die Aufführung beim Rheinischen Musikfest 2005. Danke! Das Konzert im Bonner Opernhaus war am 14. 5. 2005, und zwei Tage später (am Montag) reisten die Mitwirkenden zum Dresdener Musikfest – Motto: „Lissabon – Kulturhauptstadt Europas“ – und führten in der Semperoper das Werk noch einmal (konzertant) auf. Der MDR nahm es – im Auftrag des ‚WDR‘ ? – auf, und dieser sendete es lt. Rundfunkzeitung am 12. 6. 2005 in seinem Dritten Programm. 

In der Beziehung zwischen den drei Akten von Serrana finden wir auch andere der in der italienischen romantischen Oper üblichen Strukturen: Akt I als racconto, die Schilderung der Vergangenheit, aus der die in der Gegenwart erlebte Situation entstanden ist – hier die alte Feindschaft zwischen den Dörfern, Pedro, Zabels erste Leidenschaft, dessen Eifersucht, als er erfährt, dass Zabel mit Marcelo nach Brasilien geht, und das Versprechen, das Lager zu boykottieren – der zweite und dritte Akt sind die eigentliche Entfaltung des Dramas, wobei das charakteristische Liebesduett im zweiten Akt zu finden ist.

In der engen Verbindung zwischen den raphaelischen Elementen der äußeren Natur und der Entfaltung des Dramas wird der Einfluss der französischen Oper besonders deutlich. Ein Beispiel dafür ist das Erscheinen einer Höhle und des Grabes von Petrus auf der Bühne, das von Nabor mit einem groben Holzkreuz markiert wird (III). Der Sturm (II),26 ein allgemeines Symbol für das Herannahen der Tragödie, ist auch eine Projektion der Gemütszustände und der gequälten Leidenschaften, die die Figuren beleben und die aufgrund ihres spektakulären Charakters auf der Bühne ein sehr häufiges dramatisches Mittel im gesamten neunzehnten Jahrhundert darstellen. Es handelt sich im Grunde um eine „Rhetorik der dramatischen Räume“.

Einige der aufgezeigten Merkmale finden sich auch in einer Reihe von Opern aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts – insbesondere in Bizets Carmen und Puccinis Manon Lescaut.  Die dramatischen Themen der tinte forti, die in der Literatur und im Theater der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts präsent waren, leiteten den Übergang von einer romantischen zu einer realistischen Ästhetik ein, was sich unmittelbar in der Oper jener Zeit niederschlug. Eines der Werke, die am meisten zum Erscheinen dieses neuen Genres beitrugen, war Bizets Carmen, in der die Heldin zum ersten Mal eine Frau von niedrigem sozialen Status ist und in der die Gewalttätigkeit von D. Josés Verbrechen aus Leidenschaft auf der Bühne zu sehen ist.

Alfredo Keil: „Serrana“/ Szene Aufführung 1909 am Teatro de la Trinidade/ Wikipedia

In Serrana sind das Thema der Auswanderung aus dem portugiesischen ländlichen Umfeld nach Brasilien, auf das im ersten Akt Bezug genommen wird, die Anwesenheit des Dorfältesten von Malhada (die typische Figur des weisen Dorfältesten – Nabor), die Tatsache, dass die Hauptfiguren dem ländlichen Umfeld angehören, die Verwendung einer für die Region Beira Baixa typischen Sprache und der Gebrauch von Sprichwörtern, die versuchte Vergewaltigung, die Präsenz traditioneller portugiesischer Instrumente wie der Adufe und der Gitarre auf der Bühne oder auch die Bezugnahme auf Aspekte, die mit dem täglichen Leben eines portugiesischen Dorfes verbunden sind, wie die Schafzucht, die Arbeit der Spinnerinnen  oder die Adlerjagd , sind alles Elemente, die es dieser neuen Ästhetik näher bringen.

Aus symphonischer Sicht ist der interessanteste Aspekt in Serrana das Vorhandensein eines symphonischen Intermezzos, mit dem der 3. Akt beginnt und das dazu dient, den Tod von Peter zu beschreiben. Diese Art von Stücken taucht in den Opern der Komponisten der Giovane Scuola als Antwort auf den Symphonismus in Wagners Werken auf und steht auch im Zusammenhang mit dem Aufkommen deskriptiver musikalischer Elemente in der italienischen Oper. Abgesehen von kleineren Bemühungen von Komponisten wie Smareglia (La Falena, 1897-1905) oder Franchetti (Germania, 1902) um eine Wiederbelebung der Wagnerschen Tradition sind bedeutendsten Werke unter diesem Gesichtspunkt  die von Komponisten, die mit dem Verismo verbunden sind – L’amico Fritz (1891), Guglielmo Ratcliff (1895) und Cavalleria rusticana, (1890) von Mascagni oder auch Le Villi (1884) und Manon Lescaut (1893) von Puccini. Die beiden Orchesterintermezzi in Le Villi werden von Texten begleitet, die den Verrat von Roberto, den Tod von Anne bzw. die Legende von Villi beschreiben, und in Manon Lescaut beschreibt das Intermezzo im dritten Akt die Verhaftung von Manon und ihre Reise zum Hafen von Le Havre.

Alfredo Keil: „Serrana“/ Postkarte/ priv coll.

Das Sturm-Intermezzo in Serrana ist ein programmatisches Stück, das sich anhand der Didaskalien, die die Partitur begleiten, in mehrere Momente unterteilen lässt. Zu diesen gehören chromatische Skalen, meist absteigend, sowie eine Reihe von Akkorden, die mit punktierten Rhythmen artikuliert werden, von denen einige diminutiv sind. Dieser Moment erinnert an Wind, Donner und sintflutartigen Regen, Elemente, die bereits im zweiten Akt zu spüren waren.

Um dem Zuschauer ein größeres Gefühl der Authentizität zu vermitteln, verwendet die realistische Oper eine Reihe von Referenzen, die zu einem Bewusstsein der Umgebungen führen, die das Werk darstellen will: Volkstänze und Lieder einer bestimmten Region, dionysische Gesänge (Marcelos Lied „Eva lá no paraíso“, ein Beispiel für das typisch französische chanson à boire), sowie Litaneien, religiöse Hymnen, Prozessionen und malerische Chöre. Die Prozession von Serrana, ein religiöses Element am Ende des ersten Aktes (mit dem ein Choral verbunden ist), erfüllt nicht nur eine dramatische Funktion – den Gegensatz zwischen dem Kampf der Kriegsparteien und der anschließenden Vereinigung durch die Religion -, sondern bringt auch ein starkes Element des Lokalkolorits ein. 

Zum Inhalt/Personen: Zabel, Serrana (dramatischer Sopran) PEDRO, Bauer von Alfatema (Tenor) Marcelo, Bauer von Malhada (Bariton) Nabor, alter Major (Bass) Manuel, Dorfbewohner von Malhada (Bass) ANDRÉ, Sänger (Tenor) Um Pastor (Tenor).

Alfredo Keil/ Illustration zu seiner Oper „Donna Branca“/Wikipedia

Akt I – Die Handlung spielt im Jahr 1820 in dem kleinen Dorf Malhada, das in der Serra da Estrela liegt. Die Männer streiten sich heftig über alte Rivalitäten zwischen den Dörfern, die nun wieder aufleben, da Pedro, aus dem Dorf Alfatema und erste Liebe von Zabel (der Serrana), geschworen hatte, das Fest zu ruinieren, das an diesem Tag anlässlich des Festes von S. Silvestre, dem Schutzheiligen von Malhada, stattfinden sollte. Auslöser für Pedros Revolte war die Nachricht, dass Marcelo, Zabels derzeitiger Lebensgefährte, aus Eifersucht und dem Wunsch, sein Vermögen zu vergrößern, beschlossen hatte, nach Brasilien auszuwandern und das Mädchen mitzunehmen. Obwohl der alte Nabor zur Ruhe mahnt, gelingt es Marcelo, eine Gruppe von Bauern davon zu überzeugen, Pedro und seine Gefährten gewaltsam an der Ausführung ihres Vorhabens zu hindern. Um die Gemüter zu beruhigen, bietet Nabor Marcelo ein Glas Wein an und er stimmt das dionysische Lied „Eva im Paradies“ an. In der Zwischenzeit nähert sich eine Gruppe von Sängern, angeführt von Zabel, und auf Wunsch aller singt sie gemeinsam mit André das Aufforderungslied „Sie nennen mich Rosa nos Montes“.

Dann erscheinen die Bauern aus dem rivalisierenden Dorf Alfatema, angeführt von Pedro. Marcelo und seine Männer gehen zu der Brücke, die die beiden Dörfer trennt, während Pedro, der sich nähert, Marcelo herausfordert. Die beiden Rivalen stehen sich mit vorgehaltener Waffe gegenüber, als Zabel eingreift und sich zwischen die beiden Männer stellt. Mit netten Worten gelingt es ihr, Marcelo zu beruhigen.

Er vereinbarte heimlich ein Treffen mit Pedro für diese Nacht. In der Zwischenzeit geht der Kampf wieder los, der nun von Nabor unterbrochen wird, der die rivalisierenden Gruppen trennt. Die Glocken rufen zur Prozession und alle stimmen ein Loblied auf den heiligen Schutzpatron an.

Alfredo Keil/ „A Portugueza“, die spätere Nationalhymne Portugals/ Wikipedia

Akt 2 – Nachts, im Haus von Marcelo, gehen Zabel und die Spinnerinnen ihrer Arbeit nach, während in den Bergen ein Sturm aufzieht. Verängstigt durch den Sturm verschwinden die Spinner und lassen Zabel allein zurück. Sie fragt sich, was sie für Pedro empfindet, als er auftaucht. Das Mädchen läuft ihm in die Arme, gesteht ihm ihre Liebe und bereut den Moment, als sie sich von Marcelos Reichtum verführen ließ. Die beiden beschließen, wegzulaufen und weit weg von diesem Ort zu leben, als Marcelos Stimme in der Ferne zu hören ist. Zabel beeilt sich, das Gold in ihre Tasche zu packen, wird aber von Pedro ermahnt, der ihr sagt, dass sie dafür keine Zeit hat. Als er durch das Fenster flieht, um nicht von Marcelo überrascht zu werden, schlägt Pedro mit dem Kopf auf einen Stein, was seinen Tod zur Folge hat. Der betrunkene Marcelo bricht die Tür auf, dringt in das Haus ein und versucht, Zabel zu vergewaltigen, die ihn mit einem Messer bedroht und entkommen kann.

Alfredo Keil: „Serrana“/ der Musikwissenschaftler Luis Raimundo hat zu der Oper geforscht und den nachstehend erwähnten Artikel von 2002 verfasst/ link

Akt 3 – Am Morgen findet Nabor die Leiche von Pedro. Verärgert begräbt er ihn in der Nähe einer Höhle und stellt ein grobes Holzkreuz auf. Der alte Mann fragt die Hirten, was passiert ist, aber sie können ihm nichts sagen. Von einer tiefen Traurigkeit geplagt, stimmt Nabor ein Vaterunser an. Zum Erstaunen aller erscheint Zabel auf den Felsen und sieht dement aus. Sie erkennt Nabor nicht, der sie stützt und tröstet und sie an die glücklichen Zeiten mit Peter erinnert.

Angesichts des Entsetzens von Nabor und Zabel kommt Marcelo mit der Waffe in der Hand, bereit, das Mädchen zu töten, das er des Ehebruchs und des Diebstahls beschuldigt. In einem kurzen Moment der Reue bittet er Zabel jedoch, es sich noch einmal zu überlegen und sagt ihr, dass er sie immer noch liebt. Aber die Serrana wirft ihm hasserfüllt die Goldkette vor die Füße und ruft: „Ich widere dich an“. Um das Schlimmste zu verhindern, versucht Nabor, das Mädchen zu schützen, aber Marcelo stößt ihn gewaltsam weg und schießt. Der tödlich verwundete Zabel kriecht zum Grab von Pedro, küsst die Erde und stirbt. Als Marcelo erkennt, welches Verbrechen er begangen hat, flieht er entsetzt.

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Der portugiesische Musikwissenschaftler Luis Raimundo hat sich in der Revista Portuguesa de Musicologia 2000 mit der Oper beschäftigt, der vorstehende Artikel beruht auf seinem Beitrag ebendort; (Raimundo, Luis: «Für eine dramaturgische und stilistische Lektüre von Serrana von Alfredo Keil». Lissabon. Portugiesisches Journal für Musikwissenschaft: 227-274.  Wir danken für seine außerordentlich liebenswürdige Hilfe, die auch die Bereitstellung einiger  Illustrationen umfasst.  Übersetzungen aus dem Portugiesischen Luisa Ferreira

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Die bisherigen Beträge in unserer Serie „Die vergessene Oper“ finden Sie hier

Materialien zu einer Ikone

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Höchsten Respekt nötigt der mehr als tausend Seiten umfassende Band über Leben und Werk von Hans Swarowsky ab, nicht nur wegen seines ungewöhnlichen Umfangs, sondern vor allem wegen der Vielfalt der Themen, die von unterschiedlichen Verfassern zu unterschiedlichen Zeiten ( Einige sind inzwischen verstorben.)  geschrieben wurden oder als Referate bei Symposien gehalten wurden. Der Titel Der Dirigent Hans Swarowsky (18991975) allerdings spricht nur eine Seite der schillernden Persönlichkeit an, die vor allem als Lehrer berühmter Dirigenten bekannt ist. Schüler von Hans Swarowsky gewesen zu sein, entspricht schließlich in Musikerkreisen beinahe einem Adelsprädikat, und das Buch spart zum Glück auch nicht aus, was den österreichischen Musiker vor allen anderen und ganz besonders ausmachte.

Portrait Hans Swarowsky/ This is one of several photos taken by Swarosky’s son Anton/ https://hansswarowsky.com/

Die meisten, insbesondere die einer chronologischen Gliederung unterworfenen Beiträge stammen von Erika Horvath, die beiden Herausgeber Markus Grassl und  Reinhard Knapp sind ebenfalls mit einigen Kapiteln vertreten und betonen in ihrem Vorwort, dass eine der Schwierigkeiten bei der Herausgabe des Buches das dichte Nebeneinanderliegen von Dichtung und Wahrheit war, in der dem Vorwort folgenden Einleitung weisen sie darauf hin, dass der Gegenstand ihrer Bemühungen zugleich, und das betrifft die Nazizeit, Gefährdeter und Belasteter war, also quasi über eine „doppelte Vergangenheit“ zu berichten ist. Künstlerisch sehen sie Swarowsky als sich auf einer Kreuzung von Traditionslinien bewegend, weisen auf den Einfluss von Schönberg, Webern und Mahler hin, auf die Beziehungen zu Strauss und Weingartner, sehen ihn in der Konfrontation Toscanini-Furtwängler auf der Seite des Italieners stehend. In vielem greifen die Herausgeber den folgenden Artikeln vor, so wenn sie davon schreiben, wie Swarowsky   Maßstäbe setzte in der Interpretation, wie er für die Akademiesierung der Musikerausbildung sorgte und wie ihm gerade dies das Prädikat einbrachte, zwar ein guter Lehrer, aber kein besonders guter Dirigent zu sein. Schillernder könnte kaum eine Persönlichkeit sein als die im Buch dargestellte, wobei die uneheliche Geburt, die Tatsache eines jüdischen Vaters und das enge Verhältnis zu Hans Frank ebenso wie wahrscheinliche Spionagetätigkeit für die Alliierten und der Verdacht monarchistischer Gesinnung wie der einer Mitgliedschaft in der KPÖ dazu beitragen, dass man von einer „Ambivalenz von Verstrickung und Distanz“ sprechen kann. Sogar mit dem Gedanken, in die DDR überzusiedeln, soll der in vielen Facetten Schillernde gespielt haben.

Was in der Einleitung bereits angeschnitten wurde, wird von Erika Horvath und anderen anschließend in schöner und kompetenter Ausführlichkeit  dargestellt, wobei das Wissen des Lesers nicht nur um eine Fülle von Fakten über Leben und Werk Swarowskys bereichert wird, sondern auch ein tiefer Einblick in das kulturelle Leben nicht nur im Habsburgerreich, sondern später, als Swarowsky auch in Stuttgart, Gera, Hamburg und Berlin, in Zürich und schließlich in Krakau tätig ist, in das der jeweils betroffenen Region, gewährt wird. Dazu kann der Leser Bekanntschaft machen mit so ziemlich allen maßgeblich die Kultur Mitteleuropas Gestaltenden, sei es Clemens Krauss, Richard Strauss, man kann sie nicht alle aufzählen und wird in den Kampf um die Gestaltungshoheit an vielen bedeutenden Kulturinstitutionen wie der Berliner Staatsoper mit hineingezogen. Immer wieder gibt es Hinweise auf die blühende Phantasie Swarowskys, was zum Beispiel seinen Vater betrifft, wofür sogar ein Erzherzog herhalten muss, weniger lustig ist, dass er seine Haut nur retten kann, indem die Mutter anstelle des tatsächlichen einen Vater aus der Verwandtschaft herbei zaubert, um den Sohn zum Arier zu machen.

In mehreren Beiträgen wird der Leser darüber informiert, dass Swarowsky nicht nur Dirigent und Lehrer vieler späterer Dirigenten (Zubin Mehta meldet sich in dieser Hinsicht und das nicht immer schmeichelhaft zu Wort.) sondern auch Übersetzer von vor allem italienischen, aber auch französischen Libretti war, Mitwirkender beim Capriccio-Libretto und Entdecker von Sängern wie HiIde Güden und, wenn man seinen Feinden Glauben schenken darf, auch Führer eines nicht immer tadellosen Lebenswandels.  Der spielt allerdings beim auch für ihn notwendigen Entnazifizierungsverfahren keine Rolle, anders als seine Schutzbehauptung, er sei ein heimlicher österreichischer Nationalsozialist gewesen. Strauss und Krauss halten ihre schützenden Hände über ihn, in den Machtkampf zwischen Tietjen und Krauss gerät er, eine Anstellung im Reichspropagandaministerium wird ihm nach 45 fast zum Verhängnis. Nur durch ein gefälschtes Attest kann er sich  dem Einsatz für den Endsieg entziehen.

Durchweg lesen sich die einzelnen Kapitel wie ein Abenteuerroman, ohne jemals den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit aufzugeben.  So wird denn auch nicht unnütz darüber spekuliert, ob Swarowsky das Versteck seines Gönners Hans Frank nach dem Krieg verraten hat. Ob so vorsichtig formuliert  auch die psychologischen Gutachten der Amerikaner bei den Entnazifizierungsverfahren waren, daran sollte man keine strengen Maßstäbe anlegen.

Im 3. Teil des Buches, der von den Jahren 1945 bis 1975, also bis zu des Dirigenten Tod, handelt, wird zunächst chronologisch und zwar weitgehend von Erika Horvath vorangeschritten, es gibt aber zugleich eine thematische Gliederung, so wenn Wilfried Koch sich der Nürnberger Ring-Aufnahme, Juri Giannini und Herbert Handt (selber Sänger, Künstler und Dirigent) sich den Opernübersetzungen oder Martin Elste sich dem Schallplattendirigenten widmen. Und das ist längst nicht alles, was dem neugierigen Leser geboten wird, der gut daran tut, ohne den Ehrgeiz, das Buch in einem Atemzug verschlingen zu wollen, sich etappenweise darin voran zu arbeiten. Immer wieder wird er dabei auf das Hauptanliegen Swarowskys stoßen, schlampige Aufführungen zu bekämpfen, den Kampf um die Reinheit der Partitur zu führen. Eine „authentische Aufführungspraxis“, ab 1953 in einer Stilkommission zum Ziel erhoben, ist sein Bestreben, das sich auch in seinen ab 1958 regelmäßig an wechselnden Orten abgehaltenen Meisterkursen äußert.

Waren  in der ersten Lebenshälfte die uneheliche Geburt und die jüdische Abstammung für eine unterbrochene Karriere  und eine späte internationale  Anerkennung verantwortlich, so sind die von Manfred Huss im Epilog beschworenen „Mächte der Finsternis“ in der zweiten Lebenshälfte mehrere Krebserkrankungen.  Ob als solche der Dirigent selbst auch die von Reinhard Kapp in Der (Wiener) Swarowsky-Diskurs angeführten Negativurteile über ihn angesehen hätte, muss reine Spekulation bleiben. Das schlimmste davon dürfte ein „etwas Entscheidendes hat gefehlt“ sein, auch Mehtas :“Er ließ nicht musizieren“, dürfte ihn schmerzen. Aber selbst wenn der umfangreiche Band einiges Unerfreuliche über den Gegenstand seiner Betrachtungen zu berichten weiß, ist er doch ein gelungener Versuch, dem bisher von der Wissenschaft Vernachlässigten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Nach 918 so spannenden wie Erkenntnisse vermittelnden Seiten wird man in einen Anhang von noch einmal weit über hundert Seiten entlassen, Verzeichnis der Aufnahmen, der Übersetzungen Swarowskys, der Editionen und Bearbeitungen Swarowskys, der Absolventen, Studenten und Hörer des Symposiumprogramms, ein Quellenverzeichnis, eine Bibliographie, ein Verzeichnis der Abkürzungen und ein Personen- und Werkregister enthaltend (Der Dirigent Hans Swarowsky (1899 – 1975); Musik, Kultur und Politik im 20.Jahrhundert; Hg. : Markus Grassl und Reinhard Kapp; Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 15; 1052 Seiten; Böhlau Verlag ISBN 978-3-205-78497-5; 2022). Ingrid Wanja

Ein Digest-de-luxe  

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Als die originale Opera-Rara-Ausgabe des Offenbachschen Robinsoe Crusoe herauskam (um 1980 und noch als LPs) lachte ich mich blau beim Hören, denn so lustig und klug hatte ich Offenbach nur in der alten Soundtrack-LP der Vie Parisienne von Barrault erlebt (jetzt sogar bei youtube mit der bezaubernden Suzy Delair, dazu Madelaine Renaud und Jean-Philippe Barrault, einfach umwerfend). Die irrwitzig-kluge Übersetzung des unvergessenen Don White, Mitbegründer und Ankermann von Opera Rara, trug Ihrige dazu bei, diese aberwitzige Operette unter der genialen Hand von Alun Francis zum Leuchten und Explodieren zu bringen. Und die tolle Besetzung mit Yvonne Kenny als resolute Edwige und John Brecknock als schüchterner Robinson tat das Ihrige zum Erfolg. Auf was für Einfälle sind die Librettisten Cormon, Crémieux und natürlich Don White bloß gekommen! Allein der 5-o´clock-tea vor der Abfahrt Robinsons ist eine Sternstunde gesungenen Humors. Das wird nur von dem dto. wunderbaren Christopher Columbus (ebenfalls very english bei Opera Rara, aber nicht in der neuen Box, also bitte den auch noch!) getoppt. Britischer Humor paart sich mit französischem Esprit, unvergleichlich.

Offenbach reitet auf seinem Cello; Karikatur von André Gille/ Wikipedia

Diese meine frühen Offenbach-Offenbarungen finden sich in der nun wieder neu herausgegebenen 2 + 1 Opern-Box bei Opera Rara, Celebrating Offenbach (ORB3). Neben Robinson Crusoe von 1980 gibt es den Vert-vert von 2008 unter David Parry (für mich kein Vergleich mit Alun Francis und deshalb beileibe nicht so rasant wie der Robinson Crusoe, zumal Titelsänger Toby Spence  bei europäischen Nachbarn nicht so ganz zu Hause ist und die polyglotte Besetzung – immerhin Jennifer Larmore als die Sängerin La Corilla  – nicht so wirklich vom Boden hochkommt). Aber immerhin, es ist die einzige Aufnahme bislang. Angekoppelt ist ein köstlicher Offenbach-Abend auf 2 CDs, Entre nous, von 2006, den Michael Haas erfolgreich produzierte und der auf einem gelungenen Londoner Konzert beruht. Hier finden sich die Goodies aus Offenbachs Repertoire, von den Sängern wie Cassandre Berthon, Diana Montague, Mark LeBroq, Elisabeth Vidal und anderen charmant serviert – ein Offenbach Digest-de-luxe (Libretti  gibt es online). Dennoch empfehlenswert, wie die ganze Box als solche. Den erhellende Booklet-Beiltrag schrieb Marcco Ladd, und wir danken Opera- Rara (besonders Moe Faulkner) dafür, diesen Text in unserer eigenen deutschen Übersetzung übernehmen zu dürfen. Die folgt nun nachstehend. G. H.

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Marco Ladd: Die meisten Opernbesucher sind heute mit der Musik von Jacques Offenbach (1819-1880) nur durch zwei seiner Werke vertraut, die an entgegengesetzten Enden seiner Karriere entstanden sind. Das erste ist Orphee aux enfers, die erste abendfüllende Operette, die der Komponist für seine bahnbrechende komische Operntruppe, die Bouffes-Parisiens, schrieb. Obwohl Offenbach bereits vor der Uraufführung des Orphee im Jahr 1858 beim Pariser Publikum beliebt war, da er zu diesem Zeitpunkt bereits etwa dreißig Einakter für die Bouffes geschrieben hatte, prägte der triumphale Erfolg der Operette seinen Ruf für den Rest seines Arbeitslebens. Eine lange kritische Tradition tendiert dazu, Offenbachs kritisches Schicksal mit dem Hof von Napoleon III. zu verbinden, dem letzten Kaiser der Franzosen, dessen halb-autoritäres Zweites Kaiserreich (1852-1870) zu einem Synonym für Dekadenz und Frivolität wurde. In den 1860er Jahren, als sein Ruhm auf dem Höhepunkt war, waren Offenbachs populärste Werke diejenigen, die – wie Orphee – das Regime Napoleons auf die Schippe nahmen, sei es durch respektlose Anspielungen auf Mythen und Legenden (wie in Genevieve de Brabant oder La belle Helene) oder durch köstliche Satiren auf die zeitgenössische Gesellschaft (wie in La Vie parisienne und La Grande-Duchesse de Gerolstein).

Das zweite Werk, auf dem Offenbachs heutiger Ruf beruht, ist zugleich sein letztes: Les Contes d’Hoffmann, eine fünfaktige Opéra fantastique nach drei Kurzgeschichten des deutschen Romantikers E.T.A. Hoffmann, die noch unvollendet war, als der Komponist 1880 starb. Nach dem Sturz Napoleons III. im Jahr 1870, dem demütigenden Ende des Deutsch-Französischen Krieges, ging es für den in Deutschland geborenen Offenbach in dem Land, das er seit seiner Jugend als Heimat bezeichnet hatte, bergab. In diesem ersten Jahrzehnt der Dritten Französischen Republik feierte er in Paris zwar einige Erfolge, doch die Zuneigung des Publikums konnte er nie wieder so stark auf sich ziehen wie zuvor, wie in seiner Blütezeit im Zweiten Kaiserreich. Aus diesem Grund wurde Les Contes d’Hoffmann, eine seriöse Oper, das für eines der wichtigsten Pariser Opernhäuser, die Opéra Comique, geschrieben wurde, oft als ein Versuch Offenbachs interpretiert, sich Respekt zu verschaffen, indem er die komischen Stile, die ihn berühmt gemacht hatten, zugunsten von etwas weniger Frivolem aufgab.

Orphee aux enfers und Les Contes d’Hoffmann gehören zu den einzigen Opern des Komponisten, die nach seinem Tod nie aus dem aktiven Repertoire verschwunden sind, auch wenn die meisten seiner anderen Werke in Vergessenheit geraten sind. Dennoch gibt es vieles, das wir nicht vollständig würdigen können, wenn unser Wissen über seine Musik nur von zwei Werken geprägt ist, so wichtig sie auch sein mögen. Immerhin hat dieser Mann rund hundert komische Opern geschrieben; von seinem Debüt bis zu seinem Tod hatte er ständig zwei oder drei Projekte in Arbeit. Ein frenetisches Tempo, das die Herausforderung widerspiegelt, mit dem sich ständig wandelnden Publikumsgeschmack Schritt zu halten, und dass die Schlüsselrolle unterstreicht, die Offenbachs Operetten und Opéra bouffes standen nicht nur in direktem Zusammenhang mit den Wiener Operetten des frühen 20. Jahrhunderts und dem Broadway-Musical, sondern die immergrünen Tanznummern seiner Werke – vor allem die Walzer – verbreiteten sich auch über die Bühne hinaus in verschiedenen Formen und trugen zu dem bei, was Wissenschaftler als Revolution in der Populärmusik am Ende des neunzehnten Jahrhunderts bezeichnen.

Offenbachs Muse: Hortense Schneider/ Wikipedia

Die Opera-Rara-Box „Celebrating Offenbach“ bietet eine einzigartige Gelegenheit, Offenbachs Werk zu würdigen. Genauer gesagt liegt der Wert dieser Opera Rara-Sammlung darin, dass sie uns sowohl einen Überblick über Offenbachs Schaffen in den dreißig Jahren seines öffentlichen Wirkens gibt als auch auf einen ganz bestimmten Moment in der Karriere des Komponisten einstimmt – die späten 1860er Jahre – als er versuchte, die Gunst eines anderen, etwas gehobeneren Teils des Pariser Publikums zu gewinnen. Die Vielfalt der einundvierzig Auszüge aus Offenbachs weniger bekannten Werken, die auf der Kompilationsaufnahme Entre Nous versammelt sind – sie repräsentieren nicht weniger als dreiundzwanzig seiner komischen Opern, wenn auch nicht die vollen hundert -, gibt uns einen breiten Überblick über den Stil des Komponisten und eine Auswahl seiner erfolgreichsten Nummern. Die beiden Gesamtaufnahmen der Opern Robinson Crusoe und Vert-Vert, die 1867 bzw. 1869 entstanden sind, ermöglichen es uns, die Bemühungen des Komponisten in einem bestimmten Subgenre eingehend zu hören.

Entre Nous (eine eigens für Opera Rara erstellte Sammlung) erinnert uns daran, dass Offenbach mit vielen Spielarten des komischen Musiktheaters arbeitete, auch wenn wir heute dazu neigen, die englischen Begriffe Operette oder komische Oper etwas undifferenziert auf seine Werke anzuwenden. Der Komponist selbst verwendete eine Vielzahl von Gattungsbezeichnungen, von denen die bekanntesten opéra bouffe, opéra comique, opérette und opéra-ferie („Märchenoper“ oder „phantastische Oper“) sind. Alle vier Gattungen – die Unterscheidungen zwischen ihnen sind nicht immer eindeutig – sind in dieser Sammlung vertreten, von frühen Werken, die Offenbach noch als Direktor der Bouffes-Parisiens schrieb, bis hin zur komischen Oper Belle Lurette, die, wie Les Contes d’Hoffmann, bei seinem Tod 1880 unvollendet blieb.

Die ersten Auszüge aus den Einaktern Une Nuit blanche (1855, Opera comique) und Les Deux Pecheurs (1857, Operette) versetzen uns in eine Zeit, in der die Anzahl der auf der Komödienbühne erlaubten Figuren durch die Lizenzgesetze streng begrenzt war (erst die Lockerung dieser Vorschriften ermöglichte es Offenbach, die Orphee aux enfers in voller Länge zu schreiben). ´“Allons, Fanchette, allons“, ein Trinklied mit Bass, Tenor und Sopran, ist in der Tat eine Nummer für das gesamte Ensemble von Une Nuit blanche. Dennoch ist der Stil Offenbachs aus seinen bekannteren späteren Werken bereits erkennbar. Die Musik ist spritzig, die Stimmen deklamieren rhythmisch über einer leichten, stakkatoartigen Streicherbegleitung. Die Orchestrierung  (relativ unkompliziert und leicht an wechselnde Aufführungsbedingungen anpassbar) ist in leuchtenden Farben gehalten, mit schnatternden Holzbläsern, die die Gesangspartien umspielen; die Piccoloflöte steht stark im Vordergrund. Gioachino Rossini soll Offenbach als den „Mozart der Champs-Elysees“ bezeichnet haben, aber in Bezug auf den Orchesterklang sind die Opern von Rossini selbst vielleicht ein besserer Bezugspunkt. Auch in dramatischer Hinsicht haben viele von Offenbachs Werken etwas von Rossini an sich, denn die Figuren bewegen sich fast gegen ihren Willen durch die Possen der absurden Handlungen.

Ein weiteres stilistisches Merkmal von Offenbachs Opern ist seine Vorliebe für leichte, flexible Sopranstimmen, die zu präzisem und virtuosem Gesang in hohen Lagen fähig sind. Eine der berühmtesten Passagen in Les Contes d’Hoffmann ist die Paradearie des Automaten Olympia, dessen mechanistische Koloraturen immer wieder zusammenbrechen, um die darunter liegende Maschine zu enthüllen. Aber Offenbach spielte mit koloraturreichen Kadenzen lange vor Hoffmann. Man höre sich zum Beispiel „Je suis nerveuse, je suis fievreuse“ aus Le Voyage dans la lune (1875) an, einem Opernmärchen, das auf Jules Vernes bahnbrechendem Science-Fiction-Roman basiert, oder „Dansons la chaconne“ aus Monsieur et Madame Denis (1862, opéra comique), in dessen Kadenz ein Sopran wortlos mit einer Soloflöte duettiert, möglicherweise eine Parodie auf Donizettis Lucia di Lammermoor. „Je suis nerveuse“ ist ebenfalls ein Walzer, der wiederum ein wesentliches Merkmal von Offenbachs Stil ist. Walzerlieder waren ein Schlüsselelement für die Attraktivität komischer Opern: Es überrascht daher nicht, dass in Entre Nous immer wieder Walzer auftauchen – von „Salut, salut, noble assemblee“, einem Lied, das eine wundersame Fleischpastete in Genevieve de Brabant (1857, überarbeitet 1867, Opéra bouffe) preist, bis zu „Chez nous la vie est si douce“, dem Finale des zweiten Akts von La Diva (1869, Opéra bouffe), dessen gesamter Schlussteil ein Walzer ist.

Bringt Offenbachs „Robinson Crosoe“ rasant zum Leben: der Dirigent Alun Francis/ Wikipedia

Abgesehen von der tänzerischen Energie entspringt der Humor in Offenbachs Musik aus verschiedenen Quellen. La Diva, eine Oper, die das Verhalten einer kapriziösen Sängerin persifliert, hätte das metatheatralische Vergnügen geboten, Offenbachs Hauptdarstellerin in den 1860er Jahren, Hortense Schneider, eine Version ihrer selbst spielen zu sehen. Die meiste Zeit sind die Lacher jedoch einfacher, in Albernheiten und Farcen, in unerwarteten oder unpassenden Zitaten verwurzelt. In „Prince doux et fort debonnaire“ aus L’lle de Tulipatan (1868, opéra bouffe) quakt der Chor die Begleitung. In „Ce fut a Londres“ aus Belle Lurette (1880, opéra comique) – ebenfalls ein Walzer – wird die schräge Begleitung zu den Silben „bing! bing!“ gesungen, ein unverkennbares Zitat von „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß dem Jüngeren.

Offenbach hatte zwar eine unbestreitbare Begabung für das komödiantische Schreiben, aber er pflegte auch andere Gattungen und Stimmungen. 1864 schrieb er eine romantische Oper, Die Rheinnixen, für die Wiener Bühne. Und in Paris schrieb er vier Werke für eine der Säulen des Pariser Opernbetriebs, die Opera-Comique. Im Gegensatz zur Opéra – der Heimat der ernsten, tragischen Oper in Paris – waren die Werke, die an der Opéra-Comique aufgeführt wurden, im Allgemeinen von leichterem Charakter. Leicht bedeutete jedoch nicht unbedingt lustig und schon gar nicht gewagt. Das Publikum der Opéra-Comique, das sich in der Regel aus angesehenen Bürgern und ihren Familien zusammensetzte, wollte sentimentale Werke mit einem starken moralischen Kern und einer aufrichtigen Darstellung der Gefühle hören.

Angesichts des Rufs Offenbachs als Schürzenjäger wären nur wenige seiner früheren Werke, selbst jene, die als Opéra comique bezeichnet wurden, für dieses besondere Opernhaus geeignet gewesen. Tatsächlich war sein erster Versuch, für die Opera Comique zu schreiben, Barkouf (1861), ein solcher Misserfolg, dass es nach nur sieben Aufführungen zurückgezogen wurde. In den späten 1860er Jahren war die Offenbach-Manie in der französischen Hauptstadt jedoch auf ihrem Höhepunkt, und seine Operetten waren ein Kassenschlager.

So kam es, dass Offenbach eingeladen wurde, in relativ kurzer Folge zwei weitere Werke für die Opéra-Comique zu schreiben. Robinson Crusoe wurde im November 1867 uraufgeführt und erlebte zweiunddreißig Aufführungen. Im März 1869 kehrte Offenbach mit Vert-Vert zurück, das sogar noch erfolgreicher war: achtundfünfzig Aufführungen, eine warme, wenn auch nicht gerade enthusiastische Aufnahme (es sei daran erinnert, dass Orphee aux enfers allein bei seiner ersten Aufführung 228 Mal gespielt wurde).

Die beiden Opern weisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf. Robinson Crusoe (hier in der englischen Adaption des unvergessenen und leider verstorbenen Don White/ G. H.) ist eine lose Adaption des berühmten Romans von Daniel Defoe aus dem Jahr 1719, der so berühmt war, dass er längst in die Populärkultur übergegangen war. Die unmittelbare Vorlage für Offenbachs Librettisten, Eugene Cormon und Hector-Jonathan Cremieux, war eine britische Pantomime, in der der Roman als Abenteuerroman mit einer Liebesgeschichte im Mittelpunkt neu interpretiert wurde: In dieser Erzählung sticht Robinsons mutige Geliebte Edwige selbst in See, um ihren gestrandeten Geliebten zu suchen. Auch Vert-Vert geht auf ein bekanntes didaktisches Gedicht aus dem Jahr 1734 zurück, ist aber eher eine Adaption einer Vaudeville-Komödie aus dem Jahr 1832. In dem Gedicht geht es um den Papagei Vert-Vert, der in einem Kloster aufgewachsen ist und sich auf einer Reise in ein anderes Kloster zahlreiche schlechte Angewohnheiten wie das Fluchen angewöhnt hat; er kehrt zu seinen ursprünglichen Besitzern zurück, kämpft um seine Besserung und stirbt. Die Librettisten Henri Meilhac und Charles Nuitter übertrugen den Namen Vert-Vert auf die Hauptrolle des Tenors, dessen Reise ins Ausland als eine Reise der Selbstfindung und des sexuellen Erwachens dargestellt wird. Vert-Verts neu erworbene „schlechte Angewohnheiten“ erlauben es ihm, sich seine Liebe zu dem Konventsmädchen Mimi, der Sopranistin, einzugestehen.

In beiden Werken passte sich Offenbach dem Zielpublikum und dem Genre an, indem er die gesprochenen Dialoge zwischen den musikalischen Nummern deutlich reduzierte und den Hauptdarstellern gehaltvollere Stücke – echte Arien – zum Singen gab. Dennoch gibt es auch einige Passagen, die von Offenbachs üblichem Stil in auffälliger Weise abweichen. So beginnt der zweite Akt von Robinson Crusoe mit einem achtminütigen Entr’acte, in dem das Meer dargestellt wird: Diese Meeressymphonie“, die über einem stattlichen Dreiertakt an- und abschwillt, besitzt eine verhaltene Größe, die nur in wenigen anderen Werken des Komponisten zu finden ist. In Vert-Vert zieht die hinreißende Arie „Le bateau marchait lentement“ der Titelfigur, die an die verführerische Sängerin La Corilla gerichtet ist, mit ihrer langen, lyrischen Gesangslinie, die sich über einer gedämpften, murmelnden Streicherbegleitung entfaltet, in einen ähnlichen Bann.

Und noch eine Einspielung, die Spass macht: „Offenbach Fantastique: Symphonic Music by Jacques Offenbach“/ Leipziger Symphonieorchester unter Nicolas Krüger/ Genuin GEN20698 erschienen 2020/ das große Foto oben ist dem Cover entlehnt/ Danke!

An anderer Stelle sind die Opern jedoch stärker von Offenbachs Markenzeichen, dem Witz, geprägt, wenn auch ohne den begleitenden Zynismus. Der Beginn von Robinson Crusoe ist eine Komödie der Sitten, in der die bibelzitierende Heiligkeit von Robinsons Vater den verzweifelten Bitten seiner Mutter um eine Tasse Tee gegenübergestellt wird, während die zweite Hälfte des zweiten Aktes direkt komödiantisch ist. Das zweite Paar, Toby und Suzanne, wird von Kannibalen gefangen genommen und tritt in einem Eintopflied auf, das stark an Gilbert und Sullivan erinnert. Und der Versuch der Kannibalen, die blonde Edwige ihrem Gott Saranha zu opfern (mit Anklängen an King Kong), entlockt unserer Heldin weder Schrecken noch Wut, sondern vielmehr ein opulentes Walzerlied, „Take me away to the one I adore“. Nur Man Friday, Robinsons „einheimischer“ Begleiter, scheint sich sowohl in den komödiantischen als auch in den ernsten Rollen völlig wohl zu fühlen. Im Gegensatz dazu ist die Komödie in Vert-Vert zahmer, aber die sentimentalen Elemente der Geschichte sind insgesamt besser integriert; vielleicht wurde sie aus diesem Grund von den beiden Opern besser aufgenommen.

Letzten Endes mag der Wechsel des Tons sowohl in Robinson Crusoe als auch in Vert-Vert dem heutigen Hörer verwirrend erscheinen, denn die weichere Komödie unterscheidet sich überraschend von dem vertrauten Offenbach des Can-Can und der Chorgruppe. Doch die größere Vertrautheit mit dem Stil des Komponisten, die diese Sammlung ermöglicht, macht deutlich, dass diese Opern eine andere Seite von Offenbachs musikalischer Persönlichkeit darstellen. Unerforschtes Terrain, gewiss: aber die Entdeckungsreise lohnt sich. Marco Ladd,. 2022 Opera Rara/ Deutsche Übersetzung Geerd Heinsen 

Isländische Orchesterwerke für die Bühne

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Island nimmt innerhalb der Musikgeschichte der nordischen Länder eine Sonderrolle ein. Spärlich ist die isländische Tradition der klassischen Musik zu nennen, was schon daran liegt, dass es bis 1921 kein landeseigenes Orchester gab und bis 1930 auch kein isländisches Konservatorium. Insofern kann auf gerade ein Jahrhundert zurückgeblickt werden. Der landläufig vermutlich bekannteste Komponist Islands war Jón Leifs (1899-1968), der gleichwohl wiederum einen skurrilen Außenseiter darstellt, nicht typisch ist für die klassische Musik Islands, und dessen schroffes und exzentrisches Werk mitunter als die lauteste Musik überhaupt beworben wurde. Diskographisch ist Leifs allerdings vergleichsweise sehr gut abgedeckt, was so für Páll Ísólfsson (1893-1974), den Begründer der Musikschule Reykjavík, mitnichten gilt. Bis dahin musste eine Ausbildung zum klassischen Musiker zwingend im Ausland erfolgen, in diesem Falle in Leipzig. Anders als Leifs kehrte Ísólfsson nach Beendigung seines Studiums in seine Heimat zurück und wirkte dort nicht nur als Direktor der besagten Reykjavíker Musikschule (1930-1957), sondern war daneben auch Leiter der Musikabteilung des Isländischen Rundfunks (1930-1959) und Organist der Domkirche zu Reykjavík (1939-1968). Die Komponistin Jórunn Vidar (1918-2017) konnte aufgrund der Pionierarbeit Ísólfssons dann als Vertreterin der nächsten Generation isländischer Musikschöpfer bereits am Konservatorium der Landeshauptstadt ihre Studien beginnen.

Das Label Chandos bringt nun eine hochinteressante Scheibe auf den Markt (CHSA 5319), die sich der Musik von Ísólfsson und Vidar annimmt. Es zeichnet, idiomatisch astrein, verantwortlich das Isländische Sinfonieorchester unter der Leitung des britischen Dirigenten Rumon Gamba.

Jeweils zwei Werke der beiden Komponisten wurden berücksichtigt, im Falle von Ísólfsson zwei Bühnenmusiken aus den 1940er Jahren. Die Schauspielmusik zum Drama Das Fest auf Solhaug von Henrik Ibsen (1943) entstand mitten im Zweiten Weltkrieg unter denkbar schwierigen Bedingungen. Obwohl Reykjavík seinerzeit bloß um die 40.000 Einwohner hatte, gelang es, eine eigene Theatergruppe, ein Orchester und das notwendige Publikum dafür zu mobilisieren. Es war als Akt der Solidarität für das deutsch besetzte Norwegen zu verstehen. Die fünfsätzige Bühnenmusik, die einer Suite ähnelt, besteht aus einer Ouvertüre, einem Hochzeitsmarsch, einem norwegischen Volkstanz, dem Portrait eines Bergkönigs und einem abschließenden Trauermarsch und kommt auf eine Länge von einer knappen Viertelstunde. Die Schauspielmusik für Aus Jónas Hallgrímssons Bilderbuch (1945) war gar noch ehrgeiziger und trug patriotischere Züge, war doch die Loslösung Islands von der Krone Dänemark im Vorjahr erfolgt. Der isländische Poet Jónas Hallgrímsson (1807-1845) gilt in seinem Heimatland als Nationalheld. Die Bühnenmusik ist in diesem Falle für bloßes Streichorchester gesetzt, daher leichtgewichtiger, dauert ebenfalls knapp 14 Minuten und umfasst sechs Sätze: ein Vorspiel, einen Marsch, ein Menuett, ein Volkslied sowie abschließend ein Paar isländischer Volkstänze. Wer den gewöhnungsbedürftigen und zuweilen enervierenden Tonfall Leifs‘ im Ohr hat, wird mit Freude feststellen, dass Ísólfsson sich einer deutlich gemäßigteren und letztlich gefälligeren, mehr in der Nachfolge Griegs stehenden musikalischen Sprache bedient, die authentisches Lokalkolorit aufweist.

Jórunn Vidar ist mit Ballettmusik vertreten, zum einen Eldur (Feuer) von 1950, eine knapp zehnminütige Komposition, bei der nach den Worten des Komponisten folgende Bilder in den Sinn kommen: „lodernde Freudenfeuer, Stichflammen, Fanale, Fackeln, Glut, Asche“. Das Feuer, zu Beginn durch einen Feuerstein entfacht, durchläuft verschiedene Phasen, erlischt zwischenzeitlich auch, nur um letztlich wieder aufzuflammen und alles zu verschlingen. Das Ballett wurde zusammen mit der Tänzerin Sigrídur Ármann konzipiert und gelangte als erstes Ballett des neuen Nationaltheaters von Reykjavík auf die Bühne. Dasselbe Team Vidar/Ármann schuf zwei Jahre später auch Ólafur Liljurós, ein Handlungsballett nach einer im Norden sehr geläufigen Volksballade. Diese handelt von Ólafur, der vier Elfinnen begegnet und von diesen betört wird, ihnen aber widersteht und an seinem Gott (in einer Version Christus) festhalten will. Schließlich ringt eine Elfe dem Helden einen Kuss ab, währenddessen sie ihm indes ein zuvor verstecktes Schwert ins Herz stößt. Die kunstvolle Ballettmusik ist etwa halbstündig und untergliedert sich in acht Nummern. Auch die Tonsprache Vidars ist tonal, allenfalls dezent modern und insofern hörbar der Tradition verpflichtet, wobei man durchaus eine Vorbildwirkung gerade Ísólfssons heraushören kann.

Der künstlerische Wert dieser Produktion darf geflissentlich als auf höchstem Niveau bezeichnet werden. Klanglich lässt die Einspielung zudem keine Wünsche offen und liegt neben der gewöhnlichen CD-Spur auch im hochauflösenden SACD-Format, sowohl stereophon als auch als Mehrkanalton, vor (Aufnahme: Eldborg, Harpa, Reykjavík, 13.-15. Juni 2022). Die Textbeilage fällt labeltypisch vorbildlich aus (Einführungstext von Paul Griffiths auf Englisch, Deutsch und Französisch). Insgesamt eine echte Bereicherung für Freunde nordeuropäischer Musik, die Neuentdeckungen aus der Peripherie gegenüber aufgeschlossen sind (13. 03. 23). Daniel Hauser

Zum Abschied Richard Strauss

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Elektra auf der Bühne ohne Strich? Eine Neuerscheinung von Sterling (CDA-1867/1868-2) weckt eine falsche Hoffnung. Der Box mit dem Mitschnitt des Strauss-Einakters vom 4. Mai 1996 aus dem Königlichen Opernhaus Stockholm liegt ein Libretto mit dem kompletten Text der großen Szene zwischen Elektra und Klytämnestra bei. „Was bluten muss? Dein eigenes Genick, wenn dich der Jäger abgefangen hat!“ Im Original folgte darauf eine Flut von Gewaltfantasien, mit denen die gedemütigte Tochter die Mutter konfrontiert. In der Praxis wird diese Stelle auf etwa ein Drittel zusammengekürzt – auch, um die Solistin zu schonen. Die unerschütterliche Birgit Nilsson hat den Strich im Decca-Studio gemeinsam mit dem Dirigenten Georg Solti aufgemacht und damit dieser Aufnahme einen einzigartigen Stempel aufgedrückt. In Stockholm wurde das Experiment durch Laila Andersson-Palme, die 1941 geborene Landsmännin der Nilsson, aber nicht wiederholt. Track 11 der ersten CD ist offenbar irrtümlich der vollständige Text zugeschlagen worden. Gesungen wird er nicht. Muss er auch nicht zwingend. Denn in der Kürze spitzt sich die Situation viel rascher und damit auch wirkungsvoller zu.

Der Mitschnitt in breitem Stereo hält eine höchst spannende Aufführung fest, mit der die Sängerin der Titelpartie Abschied von der ersten Opernbühne ihres Landes nahm. Noch bevor das Orchester zu Beginn wie ein Beil niederfährt, ist ein gellender Schrei zu vernehmen, auf den man auch als Hörer nicht gefasst ist. Es kann nicht schaden, vorsorglich den Lautstärkepegel abzusenken, denn es bleibt nicht bei einem Schrei. Siegfried Köhler ist am Pult auch nicht eben zimperlich und dirigiert eine insgesamt dramatisch aufgeheizte Vorstellung mit vielen rasanten Akzenten der Blechbläser, die man so noch nicht zu vernehmen glaubte. Er war damals Hofkapellmeister in Schwedens Hauptstadt. Für Laila Andersson-Palme fand eine lange und erfolgreiche Karriere ihren fulminanten Abschluss. Sie hatte etwa hundert Rollen gesungen und war Mitte fünfzig. Obwohl gewisse Verschleißerscheinungen nicht zu überhören sind, gelingt ihr mit Professionalität und Erfahrung ein eindrucksvolles mitleidsvolles Porträt der Königstochter, die ihr Dasein im Hinterhof bei den Hunden fristen muss. Alle anderen einheimischen Mitwirkenden sind stimmlich bestens disponiert: Gunilla Söderström (Klytämnestra), Anita Soldh (Chrysothemis), Gunnar Lundberg (Orest) und Lennert Stregard (Aegisth). Niemand lässt sich zu grellen Übertreibungen verleiten. Der Dirigent achtet wohl auch streng darauf, dass die Oper gesungen und an keiner Stelle gesprochen wird. Alle Mitwirkenden sind gut bis sehr gut zu verstehen sind. Sie bezeugen das hohe künstlerische Niveau an diesem Haus.

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Die schwedische Sopranistin Laila Anderson-Palme sang so gut wie alles. Von der Königin der Nacht in der Zauberflöte bis hin zur Elektra, Salome, Brünnhilde und Ortrud. Dazwischen Lulu, Marschallin im Rosenkavalier, Butterfly, Tosca, Lady Macbeth und die Marie in Bergs Wozzeck. Palme im Doppelnamen rührt von ihrer Ehe mit dem renommierten Schauspieler Ulf Palme (1920 bis 1993) her. In allen Sopranlagen unterwegs, gilt sie als eine der vielseitigsten Sängerinnen. Sterling, das 1980 in Stockholm gegründete Label, hat ihr auch ein Doppelalbum gewidmet (CDA-1806/1807-2). Es ist prall gefüllt, lässt nicht eine Minute frei und bildet die Breite ihres Rollenspektrums ab. Auch Lieder gehören dazu. Allein fünf Titel – darunter Morgen, Meinem Kinde und Die Nacht – stammen von Richard Strauss. Musik aus ihrem Heimatland ist bei der Programmauswahl stiefmütterlich behandelt worden. Gerade mal fünf Liedern sind für Ture Rangström abgefallen, nur zwei für Wilhelm Stenhammar. Beide waren Zeitgenossen von Strauss und haben in Berlin studiert und dort Impulse empfangen, die auch herauszuhören sind. Das Opernrepertoire in der Edition ist ausschließlich deutschen und italienischen Ursprungs. Warum nur? Er wurde eine Chance verpasst, die Sängerin auch mit mehr Werken ihrer Heimat vorzustellen, die im Rest Europas weiterhin unbekannt sind. Offenbar mussten die Herausgeber aber auch an die Verkaufszahlen denken, was verständlich ist. Wagner, Strauss, Verdi, Puccini und Mozart gehen eben nach wie vor besser als schwedische Musik. Selbst wenn sie schwedisch gesungen werden wie das Schlussterzett aus dem Rosenkavalier, die Arien der Königin der Nacht, die Butterfly und die Wozzeck-Marie.

An wen erinnert mich die Stimme von Laila Andersson-Palme? An Anja Silja. Die Höhe ist sehr ähnlich, gleißend, grell, manchmal gar gellend, die Tiefe wenig ausgeprägt. Ihre Faszination ist eine andere. Nämlich diese unerschrockene, ja erbarmungslose Vielseitigkeit, die keine Herausforderung scheut. Auf der Bühne muss das stark gewirkt haben. Teile des Publikums lieben diesen Kitzel, wenn das Scheitern mit einer künstlerisch anspruchsvollen Aufgabe in der Luft liegt. In der Schlussszene der Salome kann das leicht passieren, passiert ihr aber nicht. In der Box ist ein Mitschnitt aus der Deutschen Oper in Berlin vom 27. Februar 1984 unter der Leitung von Heinrich Hollreiser zu finden, in dem sie sich erstaunlich wacker schlägt. Neben Elektra dürfte Salome zu ihren größten Erfolgen gehört haben. Sogar an der Met ist sie damit 1981 in einer Vorstellung nachgewiesen. Auftritte gab es auch an der Wiener Staatsoper, in Rio de Janeiro und in Gelsenkirchen.

Aus der dänischen Stadt Aarhus hat sich das Finale der Walküre mit Leif Roar als Wotan erhalten. Mit gut dreißig Minuten ist es der größte Brocken der Edition – und hinterlässt auch den stärksten Eindruck. Wer Aufnahmen dieses Werkes hinterher ist, wird dankbar sein für diese unverhoffte Ergänzung der Sammlung. Sie ist eine entschlossene Brünnhilde, die ihre stählerne Höhe heftig  gegen den zornigen Vater einsetzt wie Peitschen. „Was hast Du erdacht, das ich erdulde?“ Atemlos und gehetzt wirft die Andersson-Palme die Frage hin, dass sich ihre Kritiker wieder versöhnen mit ihr, weil sie der Wahrheit des Moments durch Ausdruck so nahe kommen kann. Diese Edition ist ein Werk der Liebe, nicht des Schöngesangs. Rüdiger Winter

Spass mit Offenbach

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1855 hatte die erste Pariser Weltausstellung stattgefunden, und man hatte feststellen müssen, dass sich das internationale Publikum zwar tagsüber von den prachtvollen Pavillons und dem, was in ihnen ausgestellt wurde, fesseln ließ, dass es aber für den Abend und die Nacht ebenfalls nach Sensationen verlangte, vor allem solchen, die dem Ruf von Paris als Stadt der Liebe gerecht sein würden. In dieser Hinsicht wollte man für die Zweite Pariser Weltausstellung von 1866 vorsorgen und gab dazu Jacques Offenbach den Auftrag für die Komposition einer Operette mit Pariser Flair, aber auch der Einbeziehung von Personal aus den Ländern, aus denen die Gäste der Weltausstellung stammten. La Vie Parisienne nannte sich das Werk, das bereits ein Jahr vor Beginn der Weltausstellung fertiggestellt war und im Theatre du  Palais-Royal uraufgeführt wurde. Einen Skandal wegen der Frivolität der Handlung hatte man befürchtet, zu einem Triumph wurde die Uraufführung, der eine lange Reihe von weiteren Vorstellungen folgte. Dabei ist die Handlung mit unendlich vielen Personen, allein drei weibliche Hauptrollen, mit unendlich vielen Verkleidungen und Maskierungen reichlich kompliziert, obwohl es eigentlich nur um die eine Sache geht: Wie finde ich einen Partner für die nächste Nacht. Damit sich recht viele Besucher angesprochen fühlen, gibt es Dänen (eigentlich Schweden), Brasilianer, Tiroler, Preußen, viele Damen aus Marseille, und so vielseitig wie die Nationalitäten sind auch die Professionen u.a. der drei Diven: Gräfin, Handschuhmacherin und Prostituierte.

In französischer Originalsprache gibt es viele Aufnahmen, maßstäblich die von 1959 mit Jean-Louis Barrault und 1976 mit Regine Crespin und Michael Sénéchal, in deutscher Sprache mit Dallapozza, Holm und Rothenberg oder mit Schramm, della Casa. Hallstein, Schock, Unger und de Kowa, was zeigt, dass das Werk sowohl mit Opernsängern wie mit Schauspielern, oder besser noch, mit Angehörigen beider Berufe aufgeführt werden kann.

Bei der vorliegenden Aufnahme handelt es sich um den gelungenen Versuch des verdienstvollen Venezianer Palazzetto Bru Zane, die Version, die dem französischen Zensor 1866 vorgelegt worden war, wieder herzustellen. Die besteht aus fünf Akten, die Aufführung dauert immerhin drei volle Stunden. Die Produktion trat in den letzten Jahren zunächst ihren Siegeszug durch französische Häuser an, wurde aber auch bereits auf Arte gezeigt und ist nun bei Naxos als Blu-ray erschienen.

Nicht verwunderlich ist bei einem Ausstatter namens Christian Lacroix, dass besonders die Kostüme Aufmerksamkeit erregen. Für sie wird ein ungeheurer Aufwand betrieben, was Stoffmassen, in denen die Damen fast ertrinken, was Farbigkeit, in der Herren fast als blasse Schemen erscheinen, betrifft, wahre Wunderwerke der Kostümbildnerei und  einem seltsamen Hang zu Kariertem frönend. Auch das Bühnenbild ist bemerkenswert, vor allem durch einen Fahrstuhl, der die Bühne um eine Dimension erweitert, aber auch durch kostbar erscheinende Gobelins oder eine phantasievolle Möblierung. Die Figuren, weiß geschminkt, scheinen Stummfilmen entsprungen zu sein, sind liebenswert bleibende Karikaturen, und nicht nur in der Komischen Oper Berlin gibt es Balletttänzer in Korsett und Tutu. Für Diverses ist also auch gesorgt. Urkomisch ist es, wenn sich in der turbulenten Nacht entstehende Menschenknäuel am nächsten Morgen mühsam zu entwirren versuchen, oft noch im letzten entscheidenden Moment entsteht nicht befürchteter Klamauk, sondern es wandelt sich alles ins sympathisch Komische.

 Romain Dumas führt Les Musiciens du Louvre souverän durch die Vorstellung, besonders die Vorspiele vereinen Eleganz und Esprit miteinander. Mit hübschem Soubrettenstimmchen und darstellerischer Souveränität ist Sandrine Buendia die Baronin, urkomisch als Ungetüm von Fell und Haaren und mit präsentem Bariton Franck Leguérinel ihr Gatte. Die Lebemänner Gardefeu und Bobinet werden von Rodolphe Briand mit schmalem, aber prägnantem Tenor und Marc Mauillon mit präsentem Bariton rollendeckend auf die Bühne gebracht. Jodie Devos hat einen spritzigen Koloratursopran für die muntere Gabrielle, Aude Extrémo  einen aparten Mezzo und eine charmante Erscheinung für die Métella, urkomisch ist Ingrid Perruche als Madame de Quimper-Karadec, der Tenor Éric Huchet ist nicht nur Brasilianer, sondern auch Frick und Gontran. Deftig-charmant sind die drei Zofen Elena Galitzkaya, Louise Pingeot und Marie Kalinine. Die tiefen Töne wissen sich mit denen von Laurent Kubla zu behaupten (Urbain, Alfred), die hohen mit Carl Ghazarossian ( Joseph, Alphonse, Prosper). Der Choeur de chambre de Namur tobt sich darstellerisch und musikalisch aus. Eine französische Fledermaus empfiehlt sich für amüsante Silvestervorstellungen (Naxos BD01633). Ingrid Wanja   

Entdeckungsreise

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.Gelangt eine neue CD mit Philippe Jaroussky auf den Markt, ist es nicht damit getan, einfach mal reinzuhören. Schon gar nicht nebenbei. Und wenn dann noch die geheimnisvoll lächelnde Christina Pluhar gleichberechtigt auf dem Cover in Erscheinung tritt, dürfte endgültig klar sein, dass es nicht nur um Gesang geht. Beide sind seit fünfzehn Jahren künstlerisch eng verbandelt. Sie scheinen sich gesucht und gefunden zu haben. Gemeinsam begeben sie sich auf Entdeckungsreisen, bei denen sie ungeahnte musikalische Erlebnisse und Erfahrungen zutage fördern. Der Franzose Jaroussky ist mit seinem Countertenor, die Österreicherin Pluhar mit ihrem Ensemble L’Arpeggiata, das sie im Jahre 2000 gründete. Für das Publikum in der Rolle des Mitreisenden lohnte es sich allemal. Es kommt voll auf seine Kosten. Obwohl hinter allen künstlerischen Darbietungen die Kernerarbeit der musikwissenschaftlicher Forschung zu ahnen ist, die Hörer – ob in den Konzertsälen oder an den Lautsprechern – merken davon fast nichts. Im Vortrag dominieren Spielfreude und gehobene Unterhaltung über historische Erkenntnisse und Informationen. Und nie umgekehrt. Ihr gemeinsames Album Passacalle de la Follie ist bei Erato erschienen (5054197221873). Es widmet sich der französischen Hofmusik des 17. Jahrhunderts. Aus einer Zeit also, in der in Italien das Madrigal in seiner späten Blüte stand.

Im mehrsprachigen Booklet, das zudem reich bebildert ist, beschäftigt sich der Musikwissenschaftler Alessio Ruffatti mit den historischen Hintergründen, die sich als weit weniger galant darstellen als es das CD-Programm verheißt. „Die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ist in politischer Hinsicht eine für Frankreich und das übrige Europa turbulente Zeit.“ Mit Königsmorden wurde der Kampf um die Macht ausgetragen. „Dabei waren dieselben Protagonisten dieser blutigen Zeit auch große Kunstliebhaber„, weiß Ruffatti. So habe Ludwig XIII. (1601-1643) gemalt, komponiert, Gitarre gespielt und leidenschaftlich getanzt. Sein Bruder und politischer Widersacher Gaston de Bourbon (1608-1660) „verfügte über eine Gruppe von Sängern und ein ganzes Orchester“. Höfische Vokalmusik dieser Zeit – meist handelt es sich um Liebeslieder – ist als Air de Cour in die Musikgeschichte eingegangen. Der Name leitet sich von Air für Lied und Cour für Hof her. Zentrales Instrument ist die Laute. Christina Pluhar, die als Lautenistin auch international einen guten Ruf genießt, ist mit der Neuerscheinung wieder ganz in ihrem Element. Sie spielt vornehmlich eine Theorbe, die zur Familie der Lauteninstrumente gehört und sich durch einen verlängerten Hals auszeichnet. Und sie hat die meisten Titel auch selbst so arrangiert, dass das dunkel timbrierte virtuose Potenzial dieses Instruments voll ausgeschöpft wird. Vier instrumentale Zwischenspiele wie die Improvisation von Les Folies d’Espagne nach Marin Marais, einem Schüler von Lully und Robert de Visèe, einem berühmten Pluhar-Vorgänger am Hof Ludwig XIV. geraten zu Höhepunkten, die den Gesang nicht vermissen lassen. Mit ihnen stehen die Namen anderer bedeutender Vertreter der französischen Hofmusik, darunter von Gabriel Bataille, Antoine de Boësset, Michel Lambert, Etienne Moulinié und Pierre Guédron, in der Trackliste aus insgesamt sechzehn Nummern.

Jaroussky hat seine Kunst von der atemberaubenden Virtuosität mit den nicht enden wollenden Koloratur-Kaskaden längst in ehr sanfte Bereiche verlegt. Sein stimmliches Spektrum gewann an Tiefe im Ausdruck, wenngleich die technische Ausführung inzwischen auch an Grenzen kommt. Hohe Töne klingen oft angestrengt – und in meinen Ohren nicht sonderlich schön. Dabei bleibt der frivole Charme dieser Lieder, deren Texte sich auch in deutscher Übersetzung im Booklet finden, hin und wieder auf der Strecke. Trotz alledem ist der 1978 geborene Sänger von seiner unverwechselbaren Stimmarbe her der Alte geblieben. Wo Jaroussky draufsteht, ist auch Jaroussky drin. Rüdiger Winter

Rossini-Feuerwerk

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Das Dramma giocoso L’Italiana in Algeri vom 19. Februar 2022 von Glossa stammt live aus dem Concertgebouw Amsterdam (GCD 921132, 2 CDs). Die Aufnahme bezieht ihren Stellenwert vor allem aus der Mitwirkung des Orchestra of the Eighteenth Century unter Leitung von Giancarlo Andretta. Das Klangbild des Mitschnitts ist sensationell, denn der Dirigent feuert das Orchester zu Atem beraubenden Tempi an. Lange hat man die Ensembles und Finali nicht derart sprühend und mitreißend gehört. Und das Orchester begeistert schon in der Sinfonia mit federndem Spiel und spannender Steigerung. Alle Sänger haben hohen Anteil an dieser faszinierenden Deutung, indem sie die Tempovorgaben des Dirigenten übernehmen und perfekt umsetzen. Ein Paradebeispiel ist das Settimino mit Stretta im 1. Finale, das sich von pianissimo getupften Tönen zu einem konfusen Wirbel und grotesken Nonsens-Lauten steigert, dabei Fahrt in prestissimo-Dimensionen aufnimmt.

In der Besetzung gibt es einen prominenten Namen – Vasilisa Berzhanskaya als Isabella, also der Titelrolle. Die Sängerin hat sich als Rossini-Interpretin bereits international einen Namen gemacht, und so waren an ihren Auftritt hohe Erwartungen geknüpft. Nach meinem Ermessen erfüllt sie diese nicht, klingt zu verhalten in der Tongebung und kann Vergleichen mit ihren illustren Rollenvorgängerinnen Marilyn Horne, Agnes Baltsa, Lucia Valentini Terrani und Ewa Podles nicht standhalten. Schon ihrer Auftrittskavatine, „Cruda sorte!“, fehlt es an Energie. Der Gesang ist delikat, das dunkle, herbe Timbre durchaus reizvoll – Vorzüge, die der Kavatine im 2. Akt, „Per lui che adoro“, gut anstehen würden, aber auch diese klingt wie vieles einfach nur markiert. Den besten Eindruck im Rahmen ihrer eigenen Interpretation hinterlässt sie mit bravouröser Koloratur in ihrem finalen Rondo ,Pensa alla patria“, dennoch hat man auch diese Nummer von anderen Sängerinnen noch weit eindrucksvoller gehört.

Eine Überraschung ist dagegen der junge Tenor Alasdair Kent als Lindoro, der schon in seiner Auftrittskavatine „Languir per una bella“ mit schmeichelndem Klang und zärtlicher Empfindung auf sich aufmerksam macht. Den schnelle Schlussteil der Nummer singt er mit Verve, geschmackvollen Verzierungen und auftrumpfenden Spitzentönen. In die Extremhöhe führt ihn die Kavatine „Oh, come il cor di giubilo“ und ist zudem höchst anspruchsvoll durch das vertrackte Zierwerk. Kent bewältigt diese Herausforderungen bravourös. Überzeugend besetzt ist auch der Mustafa, die andere zentrale Partie des Werkes, mit dem Bassbariton Ricardo Segel. Das köstlich sprudelnde Duettino mit Lindoro „Se inclinassi a prender moglie“ macht er gemeinsam mit dem Tenor zu einem hinreißenden Geschwindmarsch. Seiner Aria „Già d’insolito ardore nel petto“ gibt er mit prägnanter Koloratur und resoluter Stimmführung markantes Profil.

Auch in den beiden Baritonrollen der Oper, Haly und Taddeo, sind mit José Coca Lola und Pablo Ruiz solide  Interpreten zu hören. Letzterer kann in Taddeos Arie „Ho un gran peso sulla testa“ durch buffoneske Tonmalerei brillieren, ersterer in der Aria „Le femmine d’Italia“ gekonnt mit den hüpfenden Tönen jonglieren. Und er macht gemeinsam mit Lindoro und Mustafa das Terzett „Pappataci!“ zu einem großen Vergnügen.

Die Besetzung komplettieren die Sopranistin Lilian Farahani als Elvira und die Mezzosopranistin Esther Kuiper als Zulma. Sie und der Chor (La Cetra Vokalensemble Basel unter Leitung von Federico Sepúlveda) geben den Introduzioni zum 1. und 2. Akt markante Kontur. Und sie führen gemeinsam mit allen Interpreten das Finale II zu einem turbulenten Abschluss des singulären Werkes (14. 03. 23). Bernd Hoppe