Spass mit Offenbach

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1855 hatte die erste Pariser Weltausstellung stattgefunden, und man hatte feststellen müssen, dass sich das internationale Publikum zwar tagsüber von den prachtvollen Pavillons und dem, was in ihnen ausgestellt wurde, fesseln ließ, dass es aber für den Abend und die Nacht ebenfalls nach Sensationen verlangte, vor allem solchen, die dem Ruf von Paris als Stadt der Liebe gerecht sein würden. In dieser Hinsicht wollte man für die Zweite Pariser Weltausstellung von 1866 vorsorgen und gab dazu Jacques Offenbach den Auftrag für die Komposition einer Operette mit Pariser Flair, aber auch der Einbeziehung von Personal aus den Ländern, aus denen die Gäste der Weltausstellung stammten. La Vie Parisienne nannte sich das Werk, das bereits ein Jahr vor Beginn der Weltausstellung fertiggestellt war und im Theatre du  Palais-Royal uraufgeführt wurde. Einen Skandal wegen der Frivolität der Handlung hatte man befürchtet, zu einem Triumph wurde die Uraufführung, der eine lange Reihe von weiteren Vorstellungen folgte. Dabei ist die Handlung mit unendlich vielen Personen, allein drei weibliche Hauptrollen, mit unendlich vielen Verkleidungen und Maskierungen reichlich kompliziert, obwohl es eigentlich nur um die eine Sache geht: Wie finde ich einen Partner für die nächste Nacht. Damit sich recht viele Besucher angesprochen fühlen, gibt es Dänen (eigentlich Schweden), Brasilianer, Tiroler, Preußen, viele Damen aus Marseille, und so vielseitig wie die Nationalitäten sind auch die Professionen u.a. der drei Diven: Gräfin, Handschuhmacherin und Prostituierte.

In französischer Originalsprache gibt es viele Aufnahmen, maßstäblich die von 1959 mit Jean-Louis Barrault und 1976 mit Regine Crespin und Michael Sénéchal, in deutscher Sprache mit Dallapozza, Holm und Rothenberg oder mit Schramm, della Casa. Hallstein, Schock, Unger und de Kowa, was zeigt, dass das Werk sowohl mit Opernsängern wie mit Schauspielern, oder besser noch, mit Angehörigen beider Berufe aufgeführt werden kann.

Bei der vorliegenden Aufnahme handelt es sich um den gelungenen Versuch des verdienstvollen Venezianer Palazzetto Bru Zane, die Version, die dem französischen Zensor 1866 vorgelegt worden war, wieder herzustellen. Die besteht aus fünf Akten, die Aufführung dauert immerhin drei volle Stunden. Die Produktion trat in den letzten Jahren zunächst ihren Siegeszug durch französische Häuser an, wurde aber auch bereits auf Arte gezeigt und ist nun bei Naxos als Blu-ray erschienen.

Nicht verwunderlich ist bei einem Ausstatter namens Christian Lacroix, dass besonders die Kostüme Aufmerksamkeit erregen. Für sie wird ein ungeheurer Aufwand betrieben, was Stoffmassen, in denen die Damen fast ertrinken, was Farbigkeit, in der Herren fast als blasse Schemen erscheinen, betrifft, wahre Wunderwerke der Kostümbildnerei und  einem seltsamen Hang zu Kariertem frönend. Auch das Bühnenbild ist bemerkenswert, vor allem durch einen Fahrstuhl, der die Bühne um eine Dimension erweitert, aber auch durch kostbar erscheinende Gobelins oder eine phantasievolle Möblierung. Die Figuren, weiß geschminkt, scheinen Stummfilmen entsprungen zu sein, sind liebenswert bleibende Karikaturen, und nicht nur in der Komischen Oper Berlin gibt es Balletttänzer in Korsett und Tutu. Für Diverses ist also auch gesorgt. Urkomisch ist es, wenn sich in der turbulenten Nacht entstehende Menschenknäuel am nächsten Morgen mühsam zu entwirren versuchen, oft noch im letzten entscheidenden Moment entsteht nicht befürchteter Klamauk, sondern es wandelt sich alles ins sympathisch Komische.

 Romain Dumas führt Les Musiciens du Louvre souverän durch die Vorstellung, besonders die Vorspiele vereinen Eleganz und Esprit miteinander. Mit hübschem Soubrettenstimmchen und darstellerischer Souveränität ist Sandrine Buendia die Baronin, urkomisch als Ungetüm von Fell und Haaren und mit präsentem Bariton Franck Leguérinel ihr Gatte. Die Lebemänner Gardefeu und Bobinet werden von Rodolphe Briand mit schmalem, aber prägnantem Tenor und Marc Mauillon mit präsentem Bariton rollendeckend auf die Bühne gebracht. Jodie Devos hat einen spritzigen Koloratursopran für die muntere Gabrielle, Aude Extrémo  einen aparten Mezzo und eine charmante Erscheinung für die Métella, urkomisch ist Ingrid Perruche als Madame de Quimper-Karadec, der Tenor Éric Huchet ist nicht nur Brasilianer, sondern auch Frick und Gontran. Deftig-charmant sind die drei Zofen Elena Galitzkaya, Louise Pingeot und Marie Kalinine. Die tiefen Töne wissen sich mit denen von Laurent Kubla zu behaupten (Urbain, Alfred), die hohen mit Carl Ghazarossian ( Joseph, Alphonse, Prosper). Der Choeur de chambre de Namur tobt sich darstellerisch und musikalisch aus. Eine französische Fledermaus empfiehlt sich für amüsante Silvestervorstellungen (Naxos BD01633). Ingrid Wanja