Entdeckungsreise

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.Gelangt eine neue CD mit Philippe Jaroussky auf den Markt, ist es nicht damit getan, einfach mal reinzuhören. Schon gar nicht nebenbei. Und wenn dann noch die geheimnisvoll lächelnde Christina Pluhar gleichberechtigt auf dem Cover in Erscheinung tritt, dürfte endgültig klar sein, dass es nicht nur um Gesang geht. Beide sind seit fünfzehn Jahren künstlerisch eng verbandelt. Sie scheinen sich gesucht und gefunden zu haben. Gemeinsam begeben sie sich auf Entdeckungsreisen, bei denen sie ungeahnte musikalische Erlebnisse und Erfahrungen zutage fördern. Der Franzose Jaroussky ist mit seinem Countertenor, die Österreicherin Pluhar mit ihrem Ensemble L’Arpeggiata, das sie im Jahre 2000 gründete. Für das Publikum in der Rolle des Mitreisenden lohnte es sich allemal. Es kommt voll auf seine Kosten. Obwohl hinter allen künstlerischen Darbietungen die Kernerarbeit der musikwissenschaftlicher Forschung zu ahnen ist, die Hörer – ob in den Konzertsälen oder an den Lautsprechern – merken davon fast nichts. Im Vortrag dominieren Spielfreude und gehobene Unterhaltung über historische Erkenntnisse und Informationen. Und nie umgekehrt. Ihr gemeinsames Album Passacalle de la Follie ist bei Erato erschienen (5054197221873). Es widmet sich der französischen Hofmusik des 17. Jahrhunderts. Aus einer Zeit also, in der in Italien das Madrigal in seiner späten Blüte stand.

Im mehrsprachigen Booklet, das zudem reich bebildert ist, beschäftigt sich der Musikwissenschaftler Alessio Ruffatti mit den historischen Hintergründen, die sich als weit weniger galant darstellen als es das CD-Programm verheißt. „Die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ist in politischer Hinsicht eine für Frankreich und das übrige Europa turbulente Zeit.“ Mit Königsmorden wurde der Kampf um die Macht ausgetragen. „Dabei waren dieselben Protagonisten dieser blutigen Zeit auch große Kunstliebhaber„, weiß Ruffatti. So habe Ludwig XIII. (1601-1643) gemalt, komponiert, Gitarre gespielt und leidenschaftlich getanzt. Sein Bruder und politischer Widersacher Gaston de Bourbon (1608-1660) „verfügte über eine Gruppe von Sängern und ein ganzes Orchester“. Höfische Vokalmusik dieser Zeit – meist handelt es sich um Liebeslieder – ist als Air de Cour in die Musikgeschichte eingegangen. Der Name leitet sich von Air für Lied und Cour für Hof her. Zentrales Instrument ist die Laute. Christina Pluhar, die als Lautenistin auch international einen guten Ruf genießt, ist mit der Neuerscheinung wieder ganz in ihrem Element. Sie spielt vornehmlich eine Theorbe, die zur Familie der Lauteninstrumente gehört und sich durch einen verlängerten Hals auszeichnet. Und sie hat die meisten Titel auch selbst so arrangiert, dass das dunkel timbrierte virtuose Potenzial dieses Instruments voll ausgeschöpft wird. Vier instrumentale Zwischenspiele wie die Improvisation von Les Folies d’Espagne nach Marin Marais, einem Schüler von Lully und Robert de Visèe, einem berühmten Pluhar-Vorgänger am Hof Ludwig XIV. geraten zu Höhepunkten, die den Gesang nicht vermissen lassen. Mit ihnen stehen die Namen anderer bedeutender Vertreter der französischen Hofmusik, darunter von Gabriel Bataille, Antoine de Boësset, Michel Lambert, Etienne Moulinié und Pierre Guédron, in der Trackliste aus insgesamt sechzehn Nummern.

Jaroussky hat seine Kunst von der atemberaubenden Virtuosität mit den nicht enden wollenden Koloratur-Kaskaden längst in ehr sanfte Bereiche verlegt. Sein stimmliches Spektrum gewann an Tiefe im Ausdruck, wenngleich die technische Ausführung inzwischen auch an Grenzen kommt. Hohe Töne klingen oft angestrengt – und in meinen Ohren nicht sonderlich schön. Dabei bleibt der frivole Charme dieser Lieder, deren Texte sich auch in deutscher Übersetzung im Booklet finden, hin und wieder auf der Strecke. Trotz alledem ist der 1978 geborene Sänger von seiner unverwechselbaren Stimmarbe her der Alte geblieben. Wo Jaroussky draufsteht, ist auch Jaroussky drin. Rüdiger Winter