Archiv für den Monat: Dezember 2013

Der unbekannte Richard Strauss

Das Richard-Strauss-Jahr 2014 wirft seine Schatten voraus: Erfreulicherweise werden anlässlich des 150. Geburtstags des Komponisten auch Lücken im bisher eingespielten Repertoire geschlossen. Als Komponist von Chorwerken ist Strauss einer breiten Öffentlichkeit nicht unbedingt bekannt. Umso überraschender und erfreulicher ist das Erscheinen der vorliegenden CD bei Coviello Classics (COV 41213). Insgesamt acht a-capella-Chöre sind zu hören, und von Nummer zu Nummer steigert sich der Hörgenuss. Der große Instrumentalist Strauss erweist sich hier auch als ein Meister kompliziertester Chorsätze, zaubert ein vollen, warmen Glanz aus den Kehlen der Damen und Herren des Rundfunkchores Berlin. Michael Gläser ist der Dirigent der Aufnahmen, die einzelnen Werke sind in unterschiedlichen Phasen von Strauss’ Schaffen entstanden, beginnend in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, bis in die späten 1930er-Jahre.

Strauss - ChorwerkeDie meisten Texte stammen von Friedrich Rückert, einer von Schiller. Das vielleicht interessanteste Stück der CD ist An den Baum Daphne – eine Art Epilog zu der Oper Daphne. Strauss verwendet hier textliches und musikalisches Material aus der Oper, der Chor entstand allerdings erst Jahre später und ist nicht für eine gleichzeitige Aufführung gedacht. Das ungewöhnlich umfangreiche und höchst kompetent von Boris Kehrmann zusammengestellte Booklet gibt dem Hörer eine Fülle an wertvollen Informationen, die zum besseren Verständnis der Werke nicht unerheblich beitragen. Alle Liebhaber der Strauss’schen Opern sei diese CD wärmstens empfohlen, denn es sind bisher weitgehend unbekannte Facetten des  Komponisten zu entdecken. Für mich persönlich die wichtigste und interessanteste Strauss-CD seit langem!

Als Strauss 1913/14 das Ballett Josephslegende nach einem Sujet von Hofmannsthal für die Pariser Oper komponierte, war er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Mit Salome, Elektra und Rosenkavalier hatte er Welterfolge erringen können, die bis heute andauern. Das Ballett wurde im Mai 1914 an der Grand Opéra in Paris uraufgeführt, nicht unumstritten, aber doch ein Erfolg. Niemand konnte ahnen, dass durch den wenige Wochen später beginnenden Ersten Weltkrieg das alte Europa völlig aus den Fugen geraten würde. Für Strauss bedeutete es erst einmal, dass sein jüngstes Werk international kaum nachgespielt wurde. Bis heute ist Josephslegende eines der am wenigsten bekannten Strauss-Werke. Neeme Järvi unternimmt nun mit seinem Royal Scottish National Orchestra den Versuch einer Ehrenrettung, zumindest auf Tonträgern (Chandos CHSA 5120). Das blendend disponierte Orchester und sein charismatischer Dirigent bieten alle erdenklichen Kräfte auf, um dem Werk zu einer optimalen Wiedergabe zu verhelfen, aber gerade die hohe Qualität der Einspielung macht vielleicht endgültig klar, dass man es mit einem völlig uninspirierten Stück zu tun hat.

josephslegende (Heger)Das Sujet böte genügend Gelegenheiten, der Salome ähnlich erotisches Irrlichtern und Schwüle zu entwickeln, aber trotz aller flirrenden Streicherfiguren und der insgesamt raffinierten Instrumentierung breitet sich Langeweile aus. Strauss gelingt es nicht, während des knapp einstündigen Werkes auch nur einen markanten musikalischen Einfall zu präsentieren. Bedauerlich, und erstaunlich für einen Komponisten, dem die Einfälle vorher und nachher nur so zuflogen. Zwei Füller machen die CD interessant: die (instrumentale) Liebesszene aus Feuersnot und als Rarität das op.1 des zwölfjährigen Strauss, seinen dem bierbrauenden Onkel gewidmeten Festmarsch. Zumindest als Schließung einer Repertoire-Lücke ist die CD durchaus empfehlenswert.

Peter Sommeregger

Die Josephslegende ist schließlich auch noch in einer Einspielung von 1952 bei Acanta (233593) herausgekommen. Robert Heger dirigiert das Orchester der Bayerischen Staatsoper München. Aber auch aus der historische Distanz kann sich das Ballett nicht zu einem Meisterwerk emporschwingen. Während Järvi mit orchestraler Pracht um die Eigenständigkeit des Werkes bemüht ist, klingt es bei Heger ein bisschen wie ein aus mehreren Opern zusammengestricktes Potpourri. Und Die Frau ohne Schatten, die erst fünf Jahre später das Licht der Welt erblicken wird, kündigt sich bereits hörbar hier und da an.

 R.W.

„Wer ist so feig, der jetzt noch könnte zagen“

Stephan Märki und das Weimarer Modell  oder Der Kampf um ein Theater: Nicht um den Kampf der Schweizer gegen die Habsburger Fremdherrschaft geht es trotz des Zitats aus Schillers Wilhelm Tell in diesem Buch, sondern um den Kampf des Schweizer Intendanten Stephan Märki um den Bestand des Weimarer Nationaltheaters, das er zwölf Jahre lang leitete, ehe er 2012 nach Bern wechselte. Ihm und seinem „Weimarer Modell“ ist es zu verdanken, dass das traditionsreiche Haus, vor dem die Statuen von Goethe und Schiller stehen und in dem die erste demokratische Verfassung Deutschlands erarbeitet wurde, nicht zugunsten der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt abgewickelt wurde oder zumindest die Sparte Oper und damit die Staatskapelle verlor.

Nicht den engen Mitarbeitern sind die klarsten Aussagen über die Intendanz Märkis zu verdanken, sondern einem Juristen, einem Manager (Alexander von Witzleben)  und einem Journalisten (Hans Hoffmeister, wegen seiner Verdienste um den Erhalt des Hauses dessen Ehrenmitglied). Peter Raue, der den Vertrag für Märki aushandelte, beschreibt eindrucksvoll, wie Märki bereits in Potsdam versucht hatte, das dortige Musiktheater zu retten, wie er in Weimar eine Podiumsveranstaltung organisierte,  an der auch Richard von Weizsäcker und Antje Vollmer teilnahmen, und wie einen Tag danach der Stadtrat sich gegen die Pläne der Landesregierung, die Fusion beider Theater,  entschied. Raue ist es auch, der klar und  nachvollziehbar erläutert, welches die Grundelemente des Weimarer Modells sind, so der Austritt aus der Tarifgemeinschaft, die Einführung eines Prämiensystems  und die Verpachtung des Theaters durch die Stadt an die GmbH, zu der das Theater, das ab 2008 Staatstheater und damit finanziell gesichert ist,  umgestaltet wurde. Für Erfurt fiel mit dem wohl letzten deutschen Neubau  eines Opernhauses dank des Prestigestrebens der Landesregierung  auch ein dicker Brocken ab.

Den weitaus umfangreichsten Teil des Buches gestaltete Thomas Schmidt, seit 2003 Geschäftsführender Direktor des Nationaltheaters, der unter dem Titel „“Whatever works – ein Abschied in acht Sequenzen“ mit recht geschmäcklerischen Titeln, denen jeweils noch ein Vers voran gestellt ist, über die Zusammenarbeit mit Märki berichtet. Dabei erfährt man eigentlich mehr über den Verfasser und seine Verfassung als über den zu Würdigenden.  Immerhin liest man nicht nur etwas über den (von Schmidt) selbst aufgebrühten Tee und die schwarze Schlafcouch im Intendantenzimmer, auf der er (Schmidt) träumte, etwas, sondern auch über die wichtigsten Produktionen wie den Ring unter St. Clair, über Faust, den auf dem Rütli stattfindenden Wilhelm Tell, über Jenufa und  Lady Macbeth von Mzensk. Zwei Opern inszenierte Märki selbst: Tosca und Elektra.

Unter den vielen Autoren, die mal mehr Märki, mal mehr sich selbst würdigen, sind der Dramaturg und Operndirektor Karsten Wiegand, viele, die sich zu Schauspiel und Tanztheater äußern und hier nicht berücksichtigt werden,  Opernregisseur Michael Dißmeier, der u.a. über das spontane Engagement von Catherine Foster und die Tosca-Produktion berichtet, sowie Martin Hoff, der dies über die der Elektra tut, und der Gefeierte trägt selbst unter dem Titel „Das Prinzip Chefdramaturge – Geschichten einer Liebe“ zu dem Buch bei. Michael Schulz schreibt über das Weimarer Modell und über das Sängerensemble seiner Opernproduktionen wie des Don Carlo. Auch die Dirigenten der Ära Märki wie George Alexander Albrecht kommen zu Wort. Sogar in Tell nachempfundener Versform würdigt Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, den Scheidenden. Zwei Damen von den Grünen waren ebenfalls seine Mitstreiterinnen: Antje Vollmer und Katrin Göring-Eckardt und verbanden den Einsatz für Weimar mit dem Schätzenlernen des ehemaligen rasanten Rennfahrers als besonnenen Theaterleiter. Zum Schluss kommt noch einmal Thomas Schmidt mit „Zehn letzte Fragen“ zu Wort und erfährt auch viel Privates von Märki.  Als wichtiger jedoch bleiben die politischen und künstlerischen Aussagen im Gedächtnis, besonders dort, wo Politik und Kunst und das Ringen um Letztere gegen Erstere stattfinden. Ein sehr umfangreicher Bildteil macht das Buch noch wertvoller. Der Anhang bietet eine umfassende Chronik von Inszenierungen und Konzerten sowie ein Verzeichnis aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Theater der Zeit ISBN 978-3-942449-44-1).

Ingrid Wanja    

Leoncavallos „Mameli“

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Mit Nationalhymnen ist es so eine Sache. Sports- und Fußballfans werden manche dieser Melodien von bedeutenden Meisterschaften her kennen, aber kaum wissen, wer die Texte verfasst hat. Das dürfte auch für Italiens „Fratelli d’Italia“, auch „Inno di Mameli“ genannt,  gelten. Musikfreunde können nun mit Wissen punkten, wenn sie Ruggero Leoncavallos Oper Mameli, die gerade bei Bongiovanni veröffentlicht wurde, erwerben.

Denn in ihr geht es um eben jenen Autor der Hymne, den italienischen Dichter, Patrioten und Garibaldianhänger Goffredo Mameli, der 1849 mit nur 21 Jahren bei der Verteidigung der Republik Rom an den Folgen einer Verletzung starb. Natürlich erklingt das Hymnenthema auch mehrmals in der Oper, die 1916 während des ersten Weltkriegs in Genua uraufgeführt wurde. Mit Riesenerfolg, denn Hintergrund des Stücks ist die historische Unabhängigkeitsbewegung Italiens und die Verteidigung der Römischen Republik, was das Publikum zu Recht als Anspielung auf die aktuelle politische Lage verstand – zu diesem Zeitpunkt tobten die Isonzo- Schlachten gegen Österreich und das Land hoffte auf einen Sieg der eigenen Armee.

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Zu Leoncavallos Oper: Der Freiheitsheld Goffredo Mameli/ Wikipedia

Mameli spielt 1848/49 und behandelt zwei romantisch ausgeschmückte Episoden in der Vita des Revolutionärs: seine Flucht aus Mailand während der Märzrevolution, die verknüpft wird mit der Liebesbeziehung zu Delia, der Tochter des Genossen Terzaghi, und seinen Tod während der kämpferischen Auseinandersetzungen in Rom. Leoncavallo zeigt sich in dem 90-minütigen Werk von seiner effektvollsten Seite, die Musik ist geprägt von Pathos, Patriotismus und kämpferischem Geist. Hoch emotionale, melodisch überschwängliche Arien, Duette und Terzette, untermalt von einer stürmischen Orchesterbegleitung, reihen sich pausenlos aneinander und sorgen für eine Dauerspannung. Silvio Frontalini, der sich nicht das erste Mal für unbekanntes veristisches Repertoire einsetzt, ist auch bei Mameli mit Enthusiasmus und Leidenschaft bei der Sache, auch wenn ihm das ukrainische Orchester nicht immer homogen folgt. Antonio De Palma macht als Titelheld vokal beste Figur. Er singt sich ohne Ermüdungserscheinung mit robustem, heroischem Tenor und viel Emphase durch die anstrengende Partie. Lorenzo Battagion als Terzaghi trumpft gleich zu Beginn mit einem flammenden Kampflied auf und lässt auch im weiteren Verlauf die Vorzüge eines kraftvollen Baritons hören. Weniger gut steht es um Natalia Margarit, Proteée/Gattin des Dirigenten und bereits in früheren Aufnahmen durch ihre riskante Stimmverfassung bekannt, deren Sopran von stimmlicher Frische weit entfernt ist. Einige Spitzentöne sind imposant und auch an Durchschlagskraft fehlt es ihr nicht, doch ihre unorganische, unkultivierte Tonproduktion ist mehr als gewöhnungsbedürftig. Das ist umso bedauerlicher, weil der Dirigent nur mit ihr diese vielen spannenden Titel der Opernliteratur eingespielt hat (so Ponchiellis Promessi sposi ebenfalls bei Bongiovanni und andere mehr). Die übrigen Rollen sind Staffage und nur mäßig besetzt. Der reißerischen Wirkung Mamelis tut dies aber keinen Abbruch. Karin Coper

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Ruggero Leoncavallo: Mameli mit Antonio De Palma (Mameli), Lorenzo Battagion (Carlo Terzaghi), Natalia Margarit (Delia), Barbara Vivian (Gräfin Belgioioso), Luciano Grassi (Enrico & Emilio Dandolo/ 1. & 2. ufficiale), Giampaolo Vessella (Luciano Manara/ Un sergente austriaco/ 3. ufficiale); Coro Monti Verdi di Tirano & Coro la Réit di Bormio;  Orchestra Filarmonica Nazionale Ucraina di Donetsk; Leitung: Silvano Frontalini; Bongiovanni GB 2457-2

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Sie wäre neunzig geworden…

Maria Callas wäre am 2. Dezember 2013 neunzig Jahre alt geworden. Sie gilt als die ‚Primadonna assoluta‘ des 20. Jahrhunderts; am 16. September 1977 verstarb die Operndiva einsam in ihrem Pariser Appartement.

Das sind die Eckdaten eines allzu öffentlichen Lebens, über das absolut alles gesagt worden ist, das zum Hauhaltswort jedes Opernbegeisterten und vieler anderer geworden ist, die über ihre Gewichtsprobleme, ihre Liebessehnsucht, ihr Lebensunglück, ihre Karriere und ihre Familienverhältnisse mehr wissen als über ihre Kunst. Und ganz ehrlich – es ist die Kunst dieser großen Interpretin, dieser ersten Sängerin der Moderne im 20. Jahrhundert, die noch heute zu uns spricht. Mir ist es egal, ob sie mit Onassis schlief und mit Meneghini nicht, ob sie ein uneheliches Kind oder eine Abtreibung hatte, ob sie gemein zu ihrer Mutter war oder umgekehrt unter dieser litt, ob sie Skandale provozierte (sie war wie alle kreativen Menschen hoch sensibel und eben hochempfindlich, aber unendlich zuverlässig). All das hat nur sekundär etwas mit der einmaligen interpretatorischen und instinktiven Kraft zu tun, die man noch heute in ihren Dokumenten hört. Denn eben diese sind es – ausgekocht, zu häufig durch Computer  geschickt, überkommerzialisiert und allgegenwärtig bis zum Erbrechen ob in Schnipseln, Auszügen, Gesamtaufnahmen mit und ohne Rauschen -, die uns als Zeugnis dieser fast seherischen Kraft überliefert sind. Alles andere ist Projektion, Ausbeutung, Willkür. Ist zu oft Material für jene, die kaum etwas mit Musik und Kunst zu tun haben. Wie sagte eine berühmte Kollegin so richtig (in unserem Interview): “ Ich fülle das leere Leben vieler Fans!“ und da hatte sie wirklich recht. Und was die Einschätzung des Callas-Mentors betrifft: Tullio Serafin hielt die Ponselle für die größte Sängerin seines Jahrhunderts, nicht M. C.. Dennoch hat kaum keine in ihrer Generation so sehr das Repertoire geöffnet wie sie, neue Opernpartien einstudiert und ein ganzes Segment des Vergessenen ans Licht gehoben.

Und auch das ist ein Aspekt meiner Callas-Rezeption: Ich höre sie mir heute kaum noch an. Ich hatte meine Callas-Total-Phase von mehr als 40 Jahren, als ich mich ihr Tag und Nacht auslieferte (diese wunderbaren Livemitschnitte aus den USA, als die LPs noch 25.- DM kosteten und ich mir als armer Student das Geld dafür vom Essen absparte), ihre Stimme so verinnerlichte, ihre Interpretation mich so beherrschte, dass ich sie heute kaum noch auflege, selten ans Regal gehe, um ihre CDs herauszuholen. Ich hab sie einfach in mir, in meinem Kopf und meinem Ohr, ich kenne fast jede Phrase. Und ich habe kürzlich vieles an (für mich) Lässlichem, Entbehrlichem wieder fortgegeben, vor allem die späten Aufnahmen aus London und Paris, die für mich nicht so gültigen Mementi live in Athen/Stuttgart/Hamburg/Berlin usw., in Amerika, die Tourneen, auch die ganz frühen Dokumente in Mexico oder Buenos Aires, ihre Duette mit Pudel oder ihre beklagenswerten Auftritte am Juilliard College, wo sie ihre brüchige Stimme noch einmal vorführt und zeigt, wie gering ihre pädagogische Begabung und ihr Selbstbewusstsein waren.

Mich interessieren ihre Dokumente als Widerhall ihrer Kunst und ihres Willens zum individuellen Ausdruck. Und die teilen sich in drei Gruppen – in die frühen, kraftvollen von 1949 bis ca. 1955, in die passablen, erträglichen und immer noch überraschenden bis 1957 und in die unerträglichen, bemitleidenswerten, tränentreibenden bis zum Schluss – wir sprechen von maximal 15 Jahren! Je dünner die Stimme wurde, desto pathetischer das Resultat, denn der Wille reichte zum Schluss nicht mehr aus, wie man den herzergreifenden Mitschnitten der Abschiedstournee entnehmen kann und wie sie sicher selber erkannte. Je mehr die Frau Maria Callas hervortrat, desto blasser wurde die Künstlerin. Oder anders herum: Je unbedingter sie sich der Musik zuwandte, desto etonnanter, nachdrücklicher war ihre Kunst.

Meine Lieblingsaufnahmen sind daher die frühen, die das Versprechen aufzeigen, etwas ihre erste Gioconda von 1952 bei der Cetra, überhaupt die Cetra-Aufnahmen der ersten Stunde (1949) mit den ganz wunderbaren Auszügen aus den Puritani, dem bis heute unerreichten Liebestod der Isolde (in Italienisch, so wie sie weise alles in Italienisch und später leider in rollendem Französisch sang – ihre Carmen von 1964 gehört zu meinen Albträumen). Ihr Parsifal 1950 und ihr Live-Nabucco 1949 profitieren von diesem Versprechen in der dunklen, üppigen Stimme, von diesem tastenden Gestaltungswillen, bei dem die schiere Kraft eben noch die Oberhand hat und sich nachdrücklich und sensationell durchsetzt, fast brutal im Macbeth 1952 – was der Rolle der Lady eine bis heute unerreichte Authentizität gibt. Niemand nach ihr hat das je wieder so gesungen, und das ist ein Attribut, das für einige ihrer Rollenproträts bis heute gilt. Die Phrase „In vostra man`“ aus den Vespri unter Kleiber 1951 ist mir wie eingebrannt im Hirn, „La luce langue“ aus dem Macbeth 1952 an der Scala ebenfalls – das hat das niemand nach ihr so gemacht, selbst die von mir hochverehrte Scotto nicht (und dieses unglaubliche „Ho dato tutto a te“ aus der Norma geht mir bis heute nach, vom ordinär-elementaren „Suicidio“ aus der Gioconda 1 ganz zu schweigen).

Es sind diese frühen, experimentierenden Versuche zu einem eigenen Ausdruck, die durch die geballte power hindurch scheinen, die sich dann in den Belcanto-Rollen zeigen, wie die unglaubliche Anna Bolena von 1957 (eine ihrer Sternstunden) mit dem fast unanständig ausgehaltenen „Giudici ad Anna, ad Anna?“, wo die Welt erst still steht und dann explodiert. Von den vielen Lucia di Lammermoor-Mitschnitten ist mir der aus Rom 1957 der liebste (unter Serafin/Melodram/Arkadia), mehr noch als der aus Berlin unter Karajan 1955 (das ist mehr Karajans Show) – in Rom ist sie kränklich und rafft alle ihre und ihr bewusste Kunst zusammen. Man hört die Künstlerin, die ums Überleben kämpft und aber auch alles aufwendet dafür – eine absolut große Leistung. Und natürlich die Norma – die Rolle, in der ich bis heute kaum eine andere Sängerin hören kann. Es gibt viele Aufnahmen von ihr damit, die wichtigste scheint mir die von der RAI/Cetra 1955 zu sein, im Sommer vor der Eröffnung der Scala mit Stignani und dem wirklich seriösen Del Monaco, der mal nicht brüllt (es gibt auch einen Video-Clip daraus). So konzentriert, so rollengerecht, so hochdifferenziert und stimmlich in Bestform kenne ich keine andere Norma-Einspielung von ihr (und anderen). 1955 ist für mich der Apex ihrer Karriere, von da an geht´s sukzessive bergab. Wobei man immer vergisst, wie lange die Callas wirklich aufgetreten ist, nämlich schon in den deutschen Besatzungszeiten Athens, immer voll aussingend und sich in den Proben auch nie schonend, das macht eine Stimme nicht langlebiger. Sie war eben keine Kalkulierende, sondern eine Brennende.

Ich würde fast immer die Live-Aufnahmen vorziehen, wenn es Alternativen zu Studioaufnahmen gibt und würde bei den Studio-Aufnahmen absolut immer die Naxos-Überspielungen haben wollen. Sie sind von den alten LPs abgenommen und werden dem originalen, etwas trockenem Klang gerecht, der die Stimmen voranstellt und Tiefe und Fülle besitzt. Man hört sogar auf den Puritani die Straßenbahn wieder um die Scala rumpeln. Die EMI hat keinen guten Job mit den Callas-Schätzen gemacht. Die beiden Veröffentlichungsschübe Ende 1990 und 2000 (blaue und schwarze Edition und dann nochmal die Großschuber Anfang dieses Jahrhunderts) sind lieblos durch die Einheitsmaske eines Equalizers geschoben. Und der Skandal, den Macbeth mit ihr erneut in der mit der Stimme der Gencer geflickten Version herauszugeben (Finale 1. Akt), ist schon bezeichnend.

Inzwischen sind die Live-Aufnahmen weitgehend bei der EMI (heute Warner) gelandet, auch da ziehe ich in fast allen Fällen die älteren Melodram-Ausgaben vor, zumal Stephan Felderer, Sohn der Firmenchefin Ina del Campo, ein begnadeter Tontechniker war/ist und zum Beispiel aus der Rossinischen Armida Wunderwerke an Informationen herausholte. Natürlich ist die De-Sabata-Tosca von 1955 mit der Callas wunderbar und einmalig und auch als Rolle unerreicht bis heute, natürlich ist sie hoch effektvoll in der Cavalleria (1954 in den „fetten“ Jahren, so oder so gemeint), und selbst als Butterfly (1955 unter Karajan) zeigt sie Facetten der Partie auf, die ich so woanders nicht höre, wenn ich sie höre (s. oben). Sie ist für mich eine der spannendsten Elviren in den Puritani (1953 bei EMI unter Serafin – jung, und süß und sogar höhensicher), eine ravissante Leonora im Trovatore (1956 ebenfalls unter Karajan), auch eine spannende Turandot (menschlich und sehr differenziert und eben keine Brüllmaschine/1957 unter Serafin mit der zickigen Schwarzkopf fehlbesetzt wie auch die Ludwig in der 2. EMI-Norma mit dem glorios-stentoralen Corelli). SonnambulaPuritaniAnna Bolena, Lucia di Lammermoor sind die Belcanto-Hinterlassenschaften der Sängerin und zeigen sie im Kern ihres Schaffens. Die kaum wirklich hörbaren Auftritte bei Gluck lasse ich mal aus, das ist nur was für Hordcore-Fans. Wobei man auch gern  die eindrucksvolle Medea vergisst, von der es viele gibt und wo ich die Ricordi/Mercury/Cetra/EMI-Aufnahme vorziehen würde (1957 unter Serafin mit dem rollendeckenden Mirto Picchi als Giasone), weil sie die klassizistische Vorlage des Werkes voranstellt und nicht wie woanders das veristische Element der Bastard-Bearbeitung darüberstülpt. Natürlich soll man einzelne andere nicht vergessen. So den Barbiere di Siviglia, wo das „Ma…“ der Callas in ihrer Auftrittsarie Geschichte geschrieben hat und man sie auch mal humorvoll erlebt (EMI 1957). Auch die bewusste Aida (1951) aus Mexico mit Del Monaco, den sie auf der hohen Note aushungert, ist eine Erwähnung wert, sicher auch ihre anderen Verdi-Partien, aber da finde ich sie nicht so einzigartig, „nur“ interessant. Das gilt auch für den Pirata New York 1957 und den Poliuto (dto., Scala mit einem fetzigen Corelli).

Und schließlich ist da die Traviata, die sie nach frühen Erfahrungen in Südamerika wie eine Blaupause erstmal bei der Cetra 1953 einspielte (das Exklusivpaket mit Arien, Gioconda 1 und Traviata) und wo die gestalerische Kunst hinter der aus den Nähten knackenden Robustheit zurückbleibt – Violetta pumperlgesund, aber doch schon mit einem Krankenschein in der Hand. Aber es gibt so viele aufregende Versionen der Partie, namentlich die unter Giulini an der Scala in der berühmten Visconti-Produktion 1955 (EMI, Melodram und viele andere), und die sie wie bei der Norma im selben Jahr in ihrem Zenit zeigt, in der unglaublichen Balance zwischen Kunst und Können.

An Einzelaufnahmen liebe ich neben den erwähnten Cetra-Erstaufnahmen ihre früheren EMI-LPs/CDs, so die herrlichen Puccini-Arien unter Serafin (1954), die dto. „Lyric & Coloratura Arias“„Callas alla Scala“ (1955 Serafin, und was für ein ungewöhnliches Programm!), sogar die schon angegriffenen „Mad Scenes“ (1958 unter Rescigno, diese wie die vorhergehenden inzwischen im Großschuber der EMI, Callas als Stapelwaren eben). Die späteren Einzel-LPs/CDs sind gewöhnungsbedürftig und ich höre da zuviel rohes Fleisch.

Es gibt eine Theorie (von Harold Rosenthal, dem Begründer des englischen Opernmagazins Opera und eminenter Stimmenkenner seiner Zeit), dass die vielbeschworene Belcanto-Ausbildung der Callas bei Elvira del Hidalgo in Athen die ursprünglich riesige Stimme der Callas wie durch ein Nadelöhr zwängte und dadurch zwar wendig, aber auch klein machte, so als ob man einen Jeep mit einem Porsche-Motor versehen würde, was zur Kurzlebigkeit der Stimme beitrug. Darüber kann man sich streiten, wenngleich die Dokumente aus der üppigen, robusten Nachkriegsphase dem zuarbeiten würden. Es gibt aber noch eine Anekdote um Rosenthal, der – befragt zu seiner Meinung zur Callas-Norma in London 1952 – antwortete: „Wonderful, but isn´t it sad?“ und andeutete, dass er den kommenden Verschleiß bereits hören konnte – eine weitsichtige Bemerkung.

Was bleibt – bei allen Hinterlassenschaften der Callas (und ich rede jetzt auch von den zum Teil sehr altmodisch anmutenden Video-Dokumenten aus London, Paris und andernorts – wenngleich es aus Paris das „Concert idéal“ von 1958 mit einer absolut charismatisch-leuchtenden Callas unter Georges Prêtre gibt), ist eine Handvoll an Aufnahmen, die sie in ihrer unbestrittenen Glorie zeigen – modern in punkto Rollenauffassung, hochindividuell und leiser, intensiver, menschlicher als viele Stimmen ihrer Zeit in der Folge des Klangideals des italienischen Faschismus (Gina Cigna und Kollegen), entdeckungsfreudig und stets frisch in der Interpretation, unverkennbar und ungeheuer intensiv. Vielleicht so intensiv, dass sie mich verfolgt, dass ich sie nicht nebenbei spielen kann, dass ich zuhören muss. Sie hat ganz sicher die Welt der Oper verändert, hat etwas Eigenes, Unverwechselbares geschaffen. Aber sie hat es nicht verdient, von vielen nur zur Projektionsfläche wie ein Popstar gemacht zu werden, ihr Nachleben auf Fotos zwischen klebrigen Plastikhüllen zu verbringen, nur Kommerzware auf Grabbeltischen zu werden, quergeschnitten und ausgekoppelt für Kaffee-Reklame oder als Objekt der Selbstdarstellung missbraucht zu werden (ich erinnere mich genau an die Callas-Schwester Jackie mit deren Riesen-Smaragd-Collier auf der faltigen Brust bei einer Pressekonferenz morgens um 11.00 in Mailand). Das, was sie heute nur noch zu sein scheint, war sie sicher nicht. Geerd Heinsen

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Und auf Arte/Arthaus DVD: Der Filmemacher Philippe Kholy gestaltete sein Porträt der Diva auf Arte als großangelegten biografischen Roman über ein außergewöhnliches und am Ende tragisches Schicksal. Zahlreiche Archivausschnitte zeigen die Callas auf der Bühne, im Interview aber auch als Mitglied der High Society, zusammen mit Aristoteles Onassis oder Grace Kelly. In diesem Dokumentarfilm offenbart sich die unergründliche Doppelnatur der Callas. Sie ist die strahlende Heldin der großen Bühnen der Welt, von der Mailänder Scala über die Metropolitan Opera bis zur Pariser Oper, die Künstlerin, die sich mit harter Arbeit und eisernem Willen ihre Rollen erarbeitet. Sie ist aber auch die ungeliebte Tochter ihrer Mutter, die emotional Abhängige, die in Aristoteles Onassis ihren Traumprinzen ersehnt und am Ende an diesem Traum zerbricht. „Callas Assoluta“ lässt eine tragische Heldin wieder aufleben, der alles im Übermaß zuteil wurde: eine unvergleichliche Stimme, musikalische Begabung, Zielstrebigkeit, Ruhm und Ehre, aber auch Enttäuschung und Einsamkeit. Auf DVD bei Arthaus (101-476 Bluray) – absolut habenswert!

Aus Frau Fluth wird Mrs. Ford

Der anhaltende Trend zum absoluten Primat der so genannten Regie auch im Musiktheater hat über die Jahre auch nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung des Repertoires genommen. Es gibt tatsächlich Opern, deren Handlung in einer ganz bestimmten Zeit abläuft, die nur in einem ganz bestimmten Ambiente Sinn machen und verständlich sind. Naturgemäß werden sie von den heute dominierenden Regisseuren nicht geliebt, deren Verständnis von Regie sich in einem mehr oder minder bizarren Bühnenbild, und Protagonisten in wahlweise Feinripp-Unterwäsche oder ähnlich unpassender Kleidung erschöpft. Eine Spezies der Oper ist so akut vom Aussterben bedroht: die deutsche Spieloper. Kein Opernhaus, groß oder klein, konnte in der Vergangenheit ohne Zar und Zimmermann, Martha oder eben die Lustigen Weiber von Windsor auskommen. Vorbei!

In Zeiten, in denen der Regisseur das Werk seiner Wahl bestimmt, haben sie keine Chance. Einmal mehr sind es die Tonträger, die jene Werke noch am Leben erhalten und sie für die jüngere Generation bewahren. Aber auch hier scheint Eile geboten, die jüngsten Aufnahmen der erwähnten Werke sind schon Jahrzehnte alte historische Aufnahmen. Brilliant Classics (94702) hat nun die ursprünglich für die Deutsche Grammophon 1976 in Berlin entstandene Aufnahme wieder aufgelegt. Das ist im Prinzip erfreulich, aber auch  dem freundlich geneigten Ohr kann nicht entgehen, dass die Einspielung trotz der hochkarätigen Besetzung Schwächen hat. Diese liegen beispielsweise in der etwas unglücklichen Auswahl der Stimmen. Sowohl Kurt Moll und Bernd Weikl als auch Edith Mathis und Helen Donath klingen vom Timbre her zu ähnlich, um jederzeit unterscheidbar zu sein. Auch die Idee, an Stelle langwieriger Dialoge einen Erzähler einzuführen, verstärkt den insgesamt etwas sterilen Eindruck der Aufnahme. Der Dirigent Bernhard Klee, vielleicht nicht zuletzt seiner Ehe mit der damals hoch gerühmten Edith Mathis wegen zu einem lukrativen Plattenvertrag gekommen, meistert seine Aufgabe tadellos, aber auch nicht mehr.

Kurt Moll ist erwartungsgemäß imposant im Einsatz seiner damals schier unerschöpflichen stimmlichen Mittel. Kaum zu glauben, dass man diesen Sänger auch noch heute vereinzelt auf der Bühne erleben kann. Hanna Schwarz, Edith Mathis und Helen Donath lassen vokal kaum Wünsche offen, wenn man von der bereits erwähnten Ähnlichkeit der Stimmen letzterer einmal absieht. Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist der Fenton Peter Schreiers, der seines näselnden Tons wegen nicht so recht begeistern kann. Seltsamerweise wirkt er überhaupt nicht jugendlich, eher wie ein ältlicher Bewerber um Ännchens Hand. Einen richtigen Bock haben die Redakteure des knappen Booklets geschossen: Die Besetzungsliste gibt die Namen der handelnden Figuren auf Englisch, aus Frau Fluth wird so Mrs. Ford, usw. Das verwirrt unnötig und ist vor allem nicht korrekt. Das so etwas erst Rezensenten auffällt, muss bedenklich stimmen.

Peter Sommeregger

 

81Pahq4gSFL._SL1500_Die obige Wiederauflage der Lustigen Weiber ist eine gute Gelegenheit, auf eine weitere aus dem Opern-Programm der Brilliant Classics aufmerksam zu machen – die musikalisch bedeutende Euryanthe von Weber unter Marek Janowsky, einst Flagschiff der EMI und nun hier. Wenn man sagt „musikalisch bedeutend“ dann gilt das für die instrumentale und chorische Seite, denn Janowski zaubert hier einen – von ihm gerne geleugneten – deutschen Klang fast Furtwänglerscher Farbe, dunkel und geheimnisvoll, Cello-/Bratschen-betont im repertoire-bewussten Klangkörper der Staatskapelle Dresden, die auch die Kooperation der EMI mit der DDR-Firma Eterna belegt, bei deren beider Firmen diese Aufnahme zeitgleich erschien, ein Ost-West-Projekt des sich erwärmenden Kalten Krieges (1974). Janowski schafft Klangwunder und bietet einen farbenreichen Weber mit herrlichen Aufschwüngen und durchaus abgründigen Momenten.

Leider wird nicht wirklich überzeugend gesungen, denn mit der damaligen Starsängerin Jessye Norman hat man als Titelträgerin eine monströse Verkörperung vor sich, sprachlich überkorrekt und leblos und stimmlich doch unlebendig-allürig, unangenehm hollywoodian rollensprengend. Und auch Nicolai Gedda ist kein strahlender romantischer Held (mehr?), zumal damals seine Stimme schon sehr ausgezehrt und irgendwie falsch besetzt klingt. Das fiese Paar sind die Gewinner, denn Rita Hunter schafft sich gellend durch die gemeine Eglantine, mit der möchte man sich nicht anlegen, und ihre Koloraturen fliegen wie Messer durch die Luft. Tom Kraus macht sonor seinem Zorn Luft und beeindruckt wieder einmal durch die Kunst seines schön gefärbten Bassbaritons. Siegfried Vogel gibt gewohnt Hochqualitatives als König, die kleinen Rollen sind mit Renate Kramer und Harald Neukirch ebenso fabelhaft besetzt wie sonst in anderen Partien bekannt. Der absolute Top-Chor des Rundfunks Leipzig steht unter Leitung von Hans Neumann – nie hat es einen besseren deutschsprachigen Chor gegeben, wage ich zu sagen – man versteht absolut jedes Wort wie auch in den herrlichen Aufnahmen des Elias und Paulus bei Philips, das war wirklich unglaubliche Chorkultur. Insofern sind die Nebenschauplätze dieser Aufnahme die eigentlich, das hohe Paar enttäuscht(e). Und leider blockiert diese Einspielung den Katalog für eine dringend notwendige neue (3 CD Brilliant Classics 94682).

Geerd Heinsen

 

Steffanis „Alarico il Batha“

 

Seit dem „Steffani-Projekt“ von Cecilia Bartoli und Diego Fasolis mit seinem Ensemble I Barocchisti bei der Decca, das mit Opernarien und geistlichen Werken von Agostino Steffani bekannt machte, ist der Komponist wieder im Gespräch. Kürzlich gab es aus dem Sendesaal Bremen eine Übertragung seiner Niobe, die sicher bald den Weg auf die CD finden wird.

Da kommt eine Veröffentlichung der italienischen Forma CONCERTO, die sich dem gänzlich unbekannten Dramma per Musica des italienischen Komponisten, Alarico il Baltha, cioè l’Audace, Rè di Gothi, widmet, natürlich sehr gelegen, möchte man von seiner Musik doch möglichst viel hören. Die Initiative des Scarlatti Camera Ensembles ist also durchaus lobenswert und verdienstvoll. Die Interpretation des Werkes, das wie die Niobe 1687 entstand und in Frankfurt/M. uraufgeführt wurde, allerdings ist eine große Enttäuschung, um nicht zu sagen ein Ärgernis. Da sind derart dilettantische Sänger am Werk, dass man sich in einer Laienaufführung wähnt. Dabei ist der Einstieg mit einer vom Ensemble inspiriert musizierten Ouvertüre durchaus viel versprechend, wie denn die Einspielung überhaupt orchestral ihre Meriten hat. Die getragenen Passagen erklingen mit sublimer spielerischer Kultur und feierlichem Ernst, die dramatischen mit den Emotionen des Zornes, der Rache und Eifersucht mit gebührendem Furor. Im Werk finden sich einige von Melchior d’Ardespin komponierte Tänze, wie jener der Thrakier am Ende des 1. Aktes, der der Kavaliere am Schluss des 2. oder der festliche Tanz der Soldaten zum Finale, die mit Delikatesse und rhythmischer Verve ertönen. Grandios die Trompeten, die beispielsweise den ersten Auftritt des Titelhelden glanzvoll und festlich ankündigen.

Alarico ist König der Goten, der vom Hauptmann der römischen Armee, Stilicone, besiegt, in dessen Palast aber freundschaftlich aufgenommen wurde. Stefania Maiardi ist mit dieser heroischen Titelrolle hoffnungslos überfordert, singt sie mit strengem Mezzosopran von knapper Höhe und jammerndem bis heulendem Ton. Sucht sie im Ausdruck die Vehemenz, klingt sie keifend und schimpfend (so in „Su su begl’occhi alteri“ gegen Ende des 1.Aktes). Beim nachfolgenden „Perdonatemi“ scheitert sie an der Tessitura, es liegt ihr eindeutig zu hoch. Das Finale des Aktes schließlich ist der traurige Offenbarungseid einer Sängerin in hilfloser Überforderung. Will man ein einziges positives Detail anmerken, so dieses, dass man den hysterisch vibrierenden Ton im letzten Aufzug als Ausdrucksmittel werten könnte. Noch schlimmer Guerino Pelaccia als Stilicone, der mit gequältem Tenor einen unbeschreiblichen Klangbrei produziert, mit den Koloraturen überfordert ist und einzig in den Rezitativen erträglich wirkt. Mit Semiamira, Königin von Thrakien, die Alarico liebt, hat er im 3. Akt ein Duett zu singen, das einen Tiefpunkt der Aufnahme darstellen dürfte. Denn auch Loretta Liberatos Gesang ist eine Prüfung. Mit ordinären Brusttönen versucht sie Effekt zu machen, lässt jaulende Koloraturen hören und ist mit ihrer Altstimme dafür ohnehin zu schwerfällig und holpernd. Den römischen Kaiser Honorio gibt Lee Ji-Young mit einem Mezzo, der zwar kein Gesicht hat, aber immerhin in der Stimmproduktion und im Vortrag eine solide Leistung erbringt. Ihre Arie im 2.Akt („Hor che mi torni“) singt sie ohne Tadel. Honarios Schwester Placidia, die von Alarico wegen ihrer Schönheit begehrt wird, ist mit der Sopranistin Won Mi-Jung Capilupi einer der wenigen vokalen Lichtpunkte der Aufnahme. Da hört man eine jugendliche Stimme von weichem, rundem Ton, die genügend Flexibilität besitzt für die Koloraturketten und damit keinerlei Mühe hat. Besonders klangvoll gelingt ihr „Dove mai“ im 2. Akt, das zudem mit tiefer Empfindung vorgetragen wird. Dann gibt es noch die römische Patrizierin Sabina, die Stilicone ehelichen soll, aber Honario liebt. Maria Carla Curìas herber Sopran heult sich zunächst larmoyant durch die Partie und kann erst im 2. Akt mit einem beherzt gesungenen „Han battaglia“ und beim wiegenden, von der Flöte lieblich umspielten „Palpitanti“ punkten. Sabinas Vater Pisone ist mit Luca Casagrande ein Besetzungsunglück der unglaublichen Art. Wie ein Laiensänger unter der Dusche säuselt, mauschelt und heult sich der Bariton durch die Partie – mit einer Stimme ohne Sitz und Kern, mit intonationstrübem, dumpfem, ersticktem Klang. Man kann diesen Auftritt nur als unfreiwillige Gesangsparodie werten. Zum Glück gibt es noch Marco Democratico, der als Honorios Sklave Lindoro für all die gesanglichen Qualen auf diesen drei CDs entschädigt. Mit seinem sonoren Bass von substanzreicher Tiefe und pointiertem, farbigem Gesang gelingt es ihm überzeugend, dieser buffonesken Figur des Stückes (in Leporello-Nähe) plastischen Umriss zu verleihen, indem er beispielsweise die Koloraturen als spöttisches Gelächter umsetzt. Man hat dieser Weltpremiere mit großer Erwartung entgegen gesehen und ist nun umso enttäuschter über die Veröffentlichung. Es hat wohl seinen Grund, dass CONCERTO erst jetzt die bereits 2004 von Centaur Records produzierte Oper herausbringt.

Bernd Hoppe

 

Agostino Steffani: Alarico il Baltha, cioè l’Audace, Rè de Gothi (Maiardi, Curìa, Ji-Young, Casagrande, Liberato, Capilupi, Pelaccia, Democratico; Scarlatti Camera Ensemble) CONCERTO CD 2039-3 (3 CD)

 

 

Ein halber Meter Karajan

Der junge Karajan! Kaum ist das geschrieben, will es schon wieder in Frage gestellt werden. Für mich ist er niemals jung im herkömmlichen Sinne gewesen, übrigens auch äußerlich nicht. Es gibt dieses so wunderbare wie problematische Foto, das ihn 1941 mit der Sopranistin Germaine Lubin vor dem Bühneneingang der Pariser Oper zeigt. Große Teile Frankreichs, einschließlich Hauptstadt, waren seit einem Jahr von der deutschen Wehrmacht besetzt. Herbert von Karajan, gerade mal 33 Jahre alt, wirkt merkwürdig ältlich und verklemmt in Gesellschaft der um zwanzig Jahre älteren Sängerin, die für ihre Nähe zum nationalsozialistischen Feind bis an ihr Lebensende würde büßen müssen. Er war um diese Zeit bereits ein Star. 1938 gelang ihm nämlich aus dem Stand der Sprung nach oben mit einem auswendig dirigierten Tristan an der Berliner Staatsoper. Das „Wunder Karajan“, von dem damals ein Kritiker schrieb, war geboren.

Ich möchte vom frühen und vom späten Karajan reden. Dazwischen sehe ich die eigentliche  Meisterschaft mit den beiden ersten Gesamtaufnahmen der Beethoven-Sinfonien, einmal mit dem Philharmonia Orchestra (1951-1955) und dann bereits in breitem Stereo mit seinen Berliner Philharmonikern (1961-1962), deren Leitung er 1956 übernommen hatte.Der erste Zyklus findet sich in einer groß dimensionierten Edition, die das Label The Intense Media / Documents den Jahren 1938 bis 1960 dem Schaffen Herbert von Karajans gewidmet hat (600001). 117 CDs, in der großen Schachtel kleine Schachteln, gegliedert nach Komponisten. So ist die Übersicht gewahrt. Aufs Wesentlichste sind die Informationen beschränkt. Solisten, Orchester, Aufnahmejahr, live oder Studio. Knapp ein halber Meter wird dafür im Regal fällig. Zur Einführung gibt es einen guten, faktenreichen Text von Günter Raake, in Deutsch und in Englisch, versehen mit zwei Fotos – wahlweise gedruckt und auf CD-ROM. Das ist alles – und es ist genug. Wir wollen ja hören und nicht so viel lesen. Es ist schon genug geschrieben worden über Karajan. Wer besonders genau hinhört beim frühen Karajan, ist nicht selten regelrecht hingerissen. Mir geht es so. Der spätere wird – bei allem Respekt vor der Lebensleistung – gefälliger und kann auch schon mal als akustische Kulisse bei häuslichen Verrichtungen herhalten.

An den Aufnahmen der Sinfonien von Jean Sibelius wird das besonders stark deutlich. Karajan hat bekanntlich keinen kompletten Zyklus vorgelegt. Die 3. Sinfonie, die er nach eigenem Bekunden nicht verstanden haben soll, fehlt immer. Die Erste gibt es nur einmal, die Auswahl an sinfonischen Dichtungen ist begrenzt. Das vergessene Frühwerk Waldnymphe wäre in seiner Rauschhaftigkeit bei ihm bestens aufgehoben gewesen. Er kannte es nicht, es wurde erst on diesem Jahrtausend aus der Versenkung geholt. In der Edition finden sich die Sinfonien mit Ausnahme der ersten und dritten. Die populärste Zweite höre ich besonders gern, weil Karajan den Beginn und das Stück selbst dunkler nimmt als andere Dirigenten. Grüblerisch und nervös klingt es oft und depressiv, Brüche und Tempowechsel werden hier wie in den übrigen Sinfonien stärker betont, Steigerungen können bis an die Schmerzgrenze gehen. Eine aufregende und aufwühlende Musik, die sich der Moderne verweigert, mit ihrer Kraft und Ausdrucksstärke noch einmal die Tradition beschwört und doch auch ein großes Fenster in die Zukunft aufstößt. Sibelius fühlte sich von Karajan besonders gut verstanden. Er lebte noch, als die Einspielungen entstanden, das Lob des Meisters lässt sich gut nachvollziehen, denn der Dirigent trotzt damit auch dem vernichtenden Richtspruch von Theodor W. Adorno, dem mächtigen Philosophen und Sprecher des Fortschritts in der Kunst, der Sibelius in Bausch und Bogen als Folklore und Salonmusik verriss. Karajan tritt in diesen Aufnahmen den Gegenbeweis an, wofür ich ihm dankbar bin. Später nimmt er manches zurück, Sibelius wir gefälliger, doch nie so, dass Adorno am Ende doch noch Recht bekäme.

Die Edition vermittelt Entdeckerfreude und Strenge mit solchen Namen wie Bartók, Strawinsky, Hindemith, Debussy, Ravel. Andererseits ist die bis ins hohe Alter erhaltene Neigung zu leichtgewichtigen Stücken, die sich auch gut verkaufen, bereits vorhanden. Platten mit allseits beliebten Stücken machten den Namen Karajan auch einem Publikum bekannt, das die Geduld für eine Bruckner-Sinfonie nicht aufbringen kann. Walzer aus der Strauß-Dynastie, Waldteufel, Tanz der Stunden, die Ouvertüre zu Leichte Kavallerie von Suppé, die Intermezzi aus Cavalleria Rusticana, Pagliacci, Manon Lescaut und Notre Dame. Ungebrochen ist die Wirkung solcher Aufnahmen, ob nun noch in Mono oder schon in Stereo, auch deshalb, weil hier die gleiche Ernsthaftigkeit waltet, als handele es sich um den Hausgott Beethoven. Mich hat immer beeindruckt, dass Karajan da nicht unterschied. Der begnadete Operettendirigent kommt mit der Aufnahme seiner ersten Fledermaus mit Elisabeth Schwarzkopf, Rita Streich, Nicolai Gedda, Helmut Krebs und Erich Kunz zum Zuge, die 1955 für die EMI in London eingespielt wurde.

Wie nicht anders zu erwarten, ist die Edition eine Begegnung mit guten alten Bekannten. Es kann gar nicht anders sein, die Suche nach unbekannten Aufnahmen dürfte sich erschöpft haben. Neuigkeitswerte vermitteln jetzt derlei Editionen, weil sie – wie in unserem Falle – Schaffensperioden im Zusammenhang darstellen. Der günstige Preis erlaubt es, alte Schallplatten oder einzelne Titel durch die kompakte Ausgabe zu ersetzen oder einfach parallel in der Sammlung zu platzieren.  Die größten Brocken sind die Gesamteinspielungen oder Mitschnitt von Opern: Meistersinger, Siegfried und Tristan aus Bayreuth, Walküre aus der Scala, Hänsel und Gretel mit Schwarzkopf und Elisabeth Grümmer aus den legendären Abbey Road Studios. Dort wurden auch Rosenkavalier und Ariadne auf Naxos aufgenommen. Verdi ist mit Trovatore (Maria Callas/Giuseppe di Stefano), Aida (Carla Martinis/Lorenz Fehenberger), Don Carlo (Eugenio Fernandi/Sena Jurinac), Falstaff (Tito Gobbi/Elisabeth Schwarzkopf und Requiem (Antonietta Stella/Oralia Dominguez/Nicolai Gedda/Giuseppe Modesti) besonders stark vertreten. Die EMI-Butterfly und die Berliner Live-Lucia dokumentieren abermals die beglückende Zusammenarbeit mit der Callas. Mozart hat gemeinsam mit Joseph Haydn, der sich mit seiner 104. Sinfonie gegen die Übermacht verliert, eine eigene dicke Box, in der mit Figaro von 1950 und Così von 1954 – beide mit der Schwarzkopf als Gräfin bzw. Fiordiligi – zwei der gelungensten Karajan-Einspielungen ihren Platz haben. Hinzu kommt reichlich Sinfonisches.

Selbstverständlich sind auch andere Sinfoniker – Tschaikowski, Brahms (alle vier Sinfonien), Schubert, Schumann, Dvorák, Bruckner – durchweg mit Meisterwerken vertreten. Mit der h-Moll-Messe, wieder mit der Schwarzkopf, Marga Höffgen, dem jungen Gedda und Heinz Rehfuss, und Orfeo ed Euridice mit Giulietta Simionato und Jurinac aus Wien sind auch Bach und Glück präsent. Der frühe Karajan, das sind auch die ganz frühen Aufnahmen, die folgerichtig am Beginn der Edition stehen, die früheste ist eine Zauberflöten-Ouvertüre mit der Berliner Staatskapelle von 1938. Aus dem besetzten Amsterdam hat sich die Ouvertüre zum Freischütz mit dem Concertgebouw Orchestra von 1943 erhalten. Damals saß Anne Frank noch in ihrem Versteck in einem Hinterhaus in der Prinsengracht. Auch daran muss ich denken, wenn ich diese CD höre.

Rüdiger Winter

Für den Gabentisch

Eine eigene Homepage nennt Fratello/Friar Alessandro aus Assisi sein Eigen, und auf Facebook ist er ebenfalls vertreten, nicht aus schnöden Gelderwerbsgründen, denn die Einnahmen auch aus seiner zweiten CD „Voice of Joy“ werden seinem Franziskaner-Orden zugute kommen. Rechtzeitig zum Fest bringt die Decca Weihnachtliches aus vielen Zeiten und Ländern auf den Laden- und möglichst auf den Gabentisch. Der Tenor wurde von den Mitbrüdern entdeckt, zu seinen weltlichen Zeiten war der junge Mann eher dem Schlagzeug zugeneigt, und jetzt singt er mit einer klaren, frischen Naturstimme und freut sich dessen, wie die umfangreichen Danksagungen am Schluss des Booklets mit vielen schönen Fotos des singenden Mönchs bezeugen. Sogar „Everyone who likes beauty“ wird da mit einbezogen. Solange sich die Stimme im Mezzoforte bewegen kann, klingt alles angenehm, besonders bei den volkstümlichen Gesängen. Wenn ein Piano erforderlich ist wie bei „Stille Nach“, hier aber als „Douce Nuit“ gesungen, dann verliert der Tenor an Farbe und erscheint substanzlos. Nimmt man indessen das Ganze als Laiengesang, bei dem Glaube und Inbrunst die Maßstäbe sind, dann stört die häufig sehr kitschige Weichspülbegleitung, noch mehr süßliche Knaben- und andere Jubelchöre. Das einzige in deutscher Sprache gesungene Lied, „O Tannenbaum“, wird mit starkem Akzent dargebracht. Es fällt wegen seines nichtreligiösen Inhalts, nicht aber durch ein Durchbrechen des Anbetungsenthusiasmus aus dem Rahmen. Auch ein gewisser George Frideric Handel darf nicht fehlen, aber sehr viel mehr gefallen die volkstümlichen, der Stimme angemessenen Tracks, so „Madre en la Puerta“, da sich dort nicht wie zum Beispiel wie beim ach so beliebten „Ave Maria“ (Bach, Gounod) andere Hörgewohnheiten eingenistet haben. Manch einen wird die CD zum Weihnachtsfest erfreuen. Selber singen ist allerdings besser (Decca 4810507)..

Ingrid Wanja    

Schlaglichter auf 50 Jahre Oper in Leipzig

Viel mehr nur als „Schlaglichter“ auf die Geschichte des einzigen Theaterneubaus der DDR, der Leipziger Oper, ist der gewichtige Band mit dem Titel Oper Leipzig- Schlaglichter auf fünf Jahrzehnte Musiktheater  (hersg. von Alexander von Maravic und Harald Müller bereits 2010; Verlag Theater der Zeit, ISBN 978-3-940737-81-6), denn er enthält neben zahlreichen Artikeln der künstlerisch, kaufmännisch oder technisch am Opernwerk Beteiligten unter dem Titel „Fünfzig Jahre neues Opernhaus“ auch noch die titelgebenden „Schlaglichter“ zur Hervorhebung einzelner Produktionen oder Persönlichkeiten, eine wie das gesamte Buch reich bebilderte „Chronik 1960 – 2010“ und einen Anhang mit Informationen über Autoren und Fotografen. Herausgegeben wurde das Werk von Alexander von Maravić  und Harald Müller nach einer Konzeption von Regina Brauer im Verlag Theater der Zeit. Die meisten Artikel sind nur in deutscher Sprache zu finden, einige, die man wohl für besonders wichtig hielt, gibt es zusätzlich in englischer Sprache.

Zu Beginn finden sich die unvermeidlichen Grußbotschaften, so die des Oberbürgermeisters, der darauf hinweist, dass Leipzig nach Venedig und Hamburg das älteste bürgerliche Opernhaus besaß, und der eine Brücke schlägt von den Meistersingern als Eröffnungsvorstellung 1960 zu denen des Jahres 2010. Als Präsident des Deutschen Bühnenvereins befasst sich Klaus Zehelein vor allem mit der Unsinnigkeit von Frageverboten, die ihm während eines Lohengrin bewusst wurde. Die Herausgeber informieren den Leser darüber, warum man nicht an dem ursprünglichen Plan festhielt, das 1943 nur teilweise zerstörte Haus wieder aufzubauen. Hier wie auch an anderen Stellen wird deutlich, wie sehr Leipzig und sein Opernhaus als typisch für deutsche und DDR-Geschichte stehen können.

Sehr interessant sind die Baugeschichte des Hauses und die seiner Vorgänger. Thomas Topfstedt schildert sie unterstützt von vielen wertvollen Fotos. Die Standortsuche, der Entwurf von Langhans für das erste „Neue Theater“, in dem zunächst drei Sparten miteinander konkurrierten, die Frage der Ausrichtung des Hauptportals, das ist alles nicht nur Theater- sondern stets auch politische Geschichte. Zwar ist der Titel des Buches eindeutig auf die Zeit nach dem Krieg bezogen, aber man ist dankbar über den Rückblick auf eine ruhmreiche Vergangenheit des Leipziger Opernlebens zumindest, was die Architektur betrifft, hätte sich aber auch einen zumindest kurzen auf die vielen Jahrzehnte, ja Jahrhunderte künstlerischen Wirkens gewünscht. Zu den Einsendern von Vorschlägen für den Neubau gehörte auch Hans Scharoun, und man weiß heute nicht, ob es von Vor- oder Nachteil war, dass die Wende in der Kulturpolitik just in die Zeit der Entscheidung für den Entwurf von Kunz Nierade fiel, für den in einem weiteren Artikel Michael Ernst eine Lanze bricht. Vieles an den Fotos von Fassade und Inneneinrichtung kann heute noch gefallen, anderes wie der an eine Betriebskantine erinnernde „Erfrischungsraum“ im Rangfoyer eher nicht. 1960 wurde das Notquartier Dreilinden jedenfalls verlassen, wo bereits am 20.7.1945 die erste Vorstellung nach dem Krieg mit einem Fidelio stattgefunden hatte.

Neben exklusiv für das Buch geschrieben Artikeln gibt es immer wieder auch Beiträge aus damaligen Zeitungen, Programmheften oder Festreden wie die von Karl Kayser (manchmal Kayer), die man als Ausdruck der damals notwendigen politischen Gratwanderung ansehen kann. Wohl zu keinem besonders günstigen Zeitpunkt fand das Interview mit Joachim Herz statt, der sich mit lapidar knappen Antworten begnügt, während Friedelind Wagners Brief mehr über deren Persönlichkeit als über das Leipziger Opernhaus aussagt. Aufschlussreicher ist da auf jeden Fall der Artikel von Lothar Wittke über die Ära Herz, dessen Absicht, sich „der Wahrheit des Vorgangs“ verpflichtet zu fühlen, nach Meinung des Verfassers von den Nachfolgern Günter Lohse und Uwe Wand genau so vertreten wurde. Ebenfalls eingegangen wird in diesem Beitrag auf die Generalmusikdirektoren Konwitschny, Schmitz, Neumann, Reuter, Bahner und Masur. Gespräche mit dem Tenor Helmut Klotz und dem Dirigenten Roland Seiffarth vervollständigen das Bild von dieser Epoche. Nicht ohne Missmut äußert sich Udo Zimmermann über seine Leipziger Jahre unter dem Titel „Was ist denn modernes Musiktheater“, wenn er, nach seinem Wunsch befragt, meint „ein unvoreingenommenes Publikum- was man in den seltensten Fällen bekommt.“ Während vor dem Mauerfall auffallend viel Slawisches im Repertoire auftauchte, waren es nach der Wende Stockhausen und Nono, dazu kamen Regiearbeiten von Konwitschny, Berghaus u.a. – inwiefern dies für einen erst durch Henri Mayer rückgängig gemachten Publikumsschwund verantwortlich war, ist natürlich kaum festzustellen, auf jeden Fall war die Reduzierung der Plätze des für Leipzig zu großen Hauses eine sinnvolle Maßnahme. Warum aus „Leipziger Oper“ „Oper Leipzig“ werden musste, erschließt sich weniger leicht.

Michael Ernst nennt sein Kapitel „Oper im Aufwind“  und bezieht sich dabei auf das Jahr 1990 und auf den Intendanten Udo Zimmermann, den er als „Opern-Zar“ bezeichnet. In manchmal etwas eigentümlicher Sprache ( „wohlfeiler Club der deutschen Opernkonferenz“,  Oper „in ein wichtiges Blickfeld gerückt“, „seine spezifischen Sichten auf das Repertoire zu deuten“) würdigt er Zimmermann als Komponisten wie als Intendanten. Aufschlussreich ist, dass Peter Korfmacher meint, Jiri Kout sei an Budget und Spielplan gescheitert, Hartmut Haenchen in Leipzig und Fabio Luisi in Berlin von Zimmermann nicht korrekt behandelt worden. Riccardo Chailly und Ulf Schirmer finden wie auch andere Dirigenten Erwähnung in diesem ungewöhnlich kritischen Artikel. Der bereits zitierte Henri Mayer äußert sich über „Sinnliches und intelligentes Theater“ und lässt durchblicken, was davon er für zu kurz gekommen ansah, wenn er sich „gute Sänger“ und „viel Publikum“ wünscht. Belcanto und Barock gelangen unter ihm ans Opernhaus, ein Semi-Stagione-System sorgt für Qualität. Regisseur Konwitschny nutzt seinen Beitrag für die übliche Kapitalismuskritik und für Geheimnisvolles über „Aida“; Ulf Schirmer lobt die besondere Qualität des Gewandhausorchesters. Nach einigen Interviews fällt auf, dass sich die Fragen an die für das Opernhaus Verantwortlichen oft wiederholen, was im Vergleich der Antworten aber durchaus auch interessant ist. Natürlich kommen auch die Vertreter von Ballett und Chor wie Kinderchor zu Wort.

In den „Schlaglichtern“ wird es persönlicher, so in den Beiträgen der Leipziger Primadonna Sigrid Kehl (vom Hirtenknaben in Tosca zur Isolde über viele Mezzopartien, von Elisabeth Breul und dem Chordirektor Hans-Jörg Leipold. Nostalgie prägt die Aussagen von Ursula Brömme, die bald nach dem Interview starb, Axel Köhler und Anna Tomowa-Sintow  äußern sich über ihre Arbeit in Leipzig. Natürlich kommen die zahlreichen Uraufführungen und der Ring nicht zu kurz. Wie hier Politik hinein spielte, zeigt sich bei der Rezeptionsgeschichte von Der letzte Schuss von Matthus nach dem Film Der Einundvierzigste: gedacht als eine Art Romeo- und Julia-Geschichte, muss das Stück als Propaganda für die Unversöhnlichkeit gegenüber dem Klassenfeind herhalten.  Die besondere Rolle von Kreneks Jonny spielt auf, der dies 1927, 1960 und 1990 tat, wird nicht vergessen, auch nicht die Kontroverse um Del Monacos Regie für den Trovatore, so wenig wie die Vorstellungen im Kellertheater, der Werkstattbühne der Leipziger Oper. Umfassender als dieses Buch mit dem bescheidenen Titel könnte kaum ein zweites sein., das gleichermaßen für den Opern- wie für den an Geschichte Interessierten eine spannende Lektüre ist.

Ingrid Wanja

Darf es noch ein Monolog mehr sein?

Mit der Stimme von Hans Hotter habe ich nicht die geringsten Schwierigkeiten. Seine Defizite empfinde ich zugleich auch als Stärken. Ich kenne keinen anderen Sänger, bei dem ich dieses Phänomen auch so beobachten konnte. Als die Stimme noch ihren wuchtigen Kern besaß, also vor etwa 1950, ging das auch auf Kosten des Ausdrucksvermögens. Je mehr er an vokaler Substanz verlor, umso stärker trat die Ausformung der Partien hervor. Seine gestalterische Ausdauer ist ohne Beispiel – die großen Monologe des Wotan im zweiten Walküre-Aufzug selbst im Solti-Ring und in den diversen Mitschnitten vornehmlich aus Bayreuth, der Salzburger Sir Morosus, der besonders wortreiche Gurnemanz und der Kardinal Borromeo: Hotter baut jedweder Langeweile durch Genauigkeit und Spannungsbögen sowie durch scharfe Charakterisierung der jeweiligen Figuren vor. Es will schon etwas heißen, wenn man enttäuscht ist, dass die bedrohliche Strafpredigt des Kardinals gegenüber Palestrina schon zu Ende ist. Die braucht immerhin an die fünfundzwanzig Minuten, es hätte ruhig noch etwas mehr sein dürfen. Dem Wanderer im Siegfried mischt Hotter in der weitschweifigen Rätselszene, die sich im Opernhaus beim Publikum zur Prüfung auswachsen kann, sogar einen Schuss Ironie bei. Sie wird zum Kabinettstück, durch ihn zu einem Höhepunkt des langen Werkes. Hotter ist durch und durch Theatermensch, Künstler, der allen seinen Partien eine genaue Dimension gegeben hat.

Die ihm gewidmete Box das Labels The Intense Media/Documents (600052) macht die unterschiedlichsten Facetten des Bassbaritons deutlich. Mit den jeweils passenden Ausschnitten sind die genannten Partien enthalten. Alle zehn CDs sind zeitlich weit gefasst, die Aufnahmen reichen von 1942 (Almaviva und Jochanaan) bis 1960 (Hans Sachs mit Wahnmonolog). Eine Schwäche habe ich auch für Hotters alten Schigolch in Bergs Lulu, weil er seine eigenen Malaisen auf die Figur überträgt, aus der Not die Tugend macht. Unglaublich, wie er das hinbekommt. Das kann nur ein Sänger mit  diesen untrüglichem Instinkt für dramatische Momente. Schigolch ist in dieser Sammlung aber nicht vertreten. Dafür reichlichst Wagner, über die aufgeführten Rollen hinaus gehend, zudem noch viel mehr Strauss sowie Händel, Beethoven, Rossini, Verdi, Marschner. Hotter, obwohl gern auf Wagner festgelegt, ist sehr vielseitig gewesen.

Dem Liedgesang galt im Verlauf der langen Karriere ständige Aufmerksamkeit. Auf diesem Gebiet wird die CD-Auswahl Hotter nicht ganz gerecht. Schubert, der eine zentrale Rolle spielte, ist lediglich mit drei Liedern aus der Raucheisen-Edition präsent, die nicht zu den stärksten Kompositionen gehören. Tief angerührt bin ich immer noch von seiner Winterreise aus dem EMI-Studio mit Gerald Moore am Klavier. Es ist eine sehr individuelle Aufnahme, gesangstechnisch gesehen gibt es viele, die um Längen besser sind. Hotter aber ist einmalig. Da ist dieses dritte Lied „Gefror’ne Tränen“. Er lässt die eigene Stimme zu Eis werden. Hat man das je so gehört? Hier kommt seine Art des Singens auf eine sehr schlichte Weise zur Wirkung.

Bei Hans Hotter – jetzt sage ich das mal sehr salopp – pfeife ich darauf, ob dieser oder jener Ton exakt ist oder nicht, ob er kurzatmig ist oder mitunter singt, als habe er eine heiße Kartoffel im Mund. Was nützt mir Notentreue, wenn mich die Interpretation nicht erreicht? Er verkörpert genau das, was vielen Sängern der Gegenwart fehlt: Individualität. Er konnte auch gut über Gesang reden, wie diversen Interviews zu entnehmen ist, die gelegentlich im Fernsehen wiederholt werden. Ob er ein guter Lehrer war, kann ich nicht beurteilen. Ich habe da leichte Zweifel. An eine persönlichen Begegnung am Rande der Bayreuther Festspiele, da war er schon höchst betagt, erinnere ich mich so gern wie genau. Seine Erscheinung war noch immer raumgreifend. Seine Stimme gewaltig wie aus Lautsprechern.

Es gibt noch mehr Neuerscheinungen mit den inzwischen zu einiger Berühmtheit gelangten 10-CD-Collectionen für ansprechende Preise: George London (600068), Lauritz Melchior (600017), Léopold Simoneau (600044). Alle diese Sänger verbindet mit Hans Hotter die Unverwechselbarkeit im Timbre, Ausdruckskraft und Wiedererkennungswert. Bei London wie bei Melchior dominiert Wagner, bei Simoneau Mozart – live und Studio. Bei letzterem findet sich auch ein mit Haydn, Händel, Rameau, Duparc und Fauré besonders anspruchsvoller Liederabend mit Erik Werba am Flügel von 1959 aus Salzburg. Auf dem Cover steht also völlig zu Recht: with unpublished recordings. Auf die übrigen trifft das nicht zu. Die Titel sind unter Sammlern wohl bekannt. Neuigkeitswert entsteht erst durch die Zusammenstellung der mitunter weit verstreuen Dokumente und die Konzentration auf Wesentliches.

Rüdiger Winter

Documents

Roger Gross

 

Der bedeutende Antiquariats-Händler und Opernfachmann Roger Gross starb bereits im Januar vergangenen Jahres. Roger Gross bleibt vielen Sammlern in Erinnerung wegen seines umfangreichen Handels mit Musikalien aller Art, vor allem seltener Künstlerfotos, Noten, Autografen  und anderen Raritäten. Viele Musikliebhaber – wie ich auch – haben an den Wänden ihrer Wohnungen „seine“ Fotos berühmter historischer (und auch lebender) Sänger/Musiker hängen, oft als Autogramm mit einer zum teil enormen Wertsteigerung – ein signiertes Foto der Callas kann bis zu 25 000.- Euros auf dem Markt bringen, Corelli oder Del Monaco ebenfalls, aber Rober Gross hatte eben auch seltene Caruso-Fotos oder Programme mit der Ponselle, Bilder der Amerika-Legende Zinka Milanov, wunderbar gerahmte Flagstad-Trophäen und vieles mehr. Durchaus auch vieles wohlfeil, zumal er ein Herz für Sammler hatte und mich als armen Redakteur auch mal mit „Sonderangeboten“ versorgte: Ninon Vallin oder Germaine Lubin zu erschwinglichen Preisen, Caterina Mancini oder Renata Scotto auf Ratenbasis – erst jetzt wird mir bewusst, wie lange ich ihn kannte und wie viel Freude mir seine Fotos bereitet haben. Und wie viel Spaß mir seine gelegentlich frechen und respektlosen mails machten, wenn wir über Opernaufführungen chatteten und unsere Meinungen austauschten. Ich werde ihn wie viele andere auch – sehr vermissen. G. H.

 

gross

Nachstehend ein Auszug/Nachruf aus der New York Times vom vergangenen Januar: GROSS–Roger, one of the world’s memorable connoisseurs of opera and singing, died peacefully at his home on January 4 after an illness of two years. Close friends of soprano Zinka Milanov, Roger and his mother Dorothy Mannes Gross (d. 1994) entertained singers, composers and conductors in their Manhattan home and during summers in Europe, especially in Venice where they were domiciled with the eminent decorator Ruben de Saavedra (d. 1990), with whom he owned and operated an interior design business and related antiques shop in New York. In recent years he dedicated himself to Roger Gross Ltd., a highly respected antiquarian musical manuscript and opera memorabilia business. Working alone with the manuscripts, autographs, and photographs, he supplied material to institutions and important collectors as well as impecunious fans of musicians and composers of the past and present. Known for his informative and witty conversation, the same qualities were always to be found in the descriptions in his sales lists. In his letter of condolence, Roger’s friend and colleague, Dr. Otto Biba, head of Vienna’s Gesellschaft der Musikfreunde, wrote that Roger, as a unique person and a unique personality” with his unmatched historical knowledge and love for opera, was the greatest expert of operatic voices that he knew. A memorial service will be announced at a later date. He will be greatly missed by all of those that knew and loved him. (Published in The New York Times on Jan. 12, 2013)

 

Vom Volksgesang zu Wagner

Großgewachsen ist sie, blond und schön – beim ersten Treffen auf der Geburtstagsfeier von Freunden in Berlin fallen einem sofort diese Merkmale von Edith Haller auf, auch ihre interessante, erotisch-dunkle Sprechstimme, das ansteckende Lachen, die bewegliche Mimik und natürlich die Hände in der Luft. Aber angesichts von Statur und blonden Haaren denke nicht nur ich an Wagners Heldinnen – Senta, Elsa, Elisabeth und natürlich die Isolde. Die hat sie gerade zum zweiten Mal in Lübeck gesungen hat, als wir sie – Geerd Heinsen und Rüdiger Winter von Operalounge – beim Gespräch in Berlin wiedersehen. Da ist sie immer noch so beeindruckend in ihrer Natürlichkeit, nun aber sehr konzentriert in den Antworten, auf den Punkt, wortreich aber nie wortverliebt. Eben eine direkte, intelligente und beeindruckende Gesprächspartnerin, die sich zu ihren Rollen und ihrem Gesang einen Kopf macht und erfrischende eigene Ansichten hat.

Karlsruhe Sieglinde mit Klaus Florian Vogt

„Walküre“ in Karlsruhe: Sieglinde mit Klaus Florian Vogt als Siegmund./Bad. Staatstheater/Klenk

Warum singt sie eigentlich, was gibt ihr der Gesang? Ich komme aus einer großen Familie in Südtirol, wo absolut jeder etwas mit Musik zu tun hat und wo wir als Kinder schon gesungen haben, ob in der Kirche oder für uns selber oder bei Feiern. Der Vater spielt die Zither, die Mutter Gitarre, alle meine fünf Geschwister haben etwas mit Musik zu tun, spielen Instrumente oder unterrichten Musik und sind dazu noch mit Musikern verheiratet. Insofern war Singen etwas ganz Natürliches für mich. Ich bin zwar als Grundschullehrerin ausgebildet, aber das Singen ergab sich einfach. Meine Lehrer fanden das, denn ich sang immer mehr Soli bei unseren Chören. Und dann war ich verrückt genug, mich beim Salzburger Mozarteum zu bewerben. Was für ein Wahnsinn – wirklich. Ich wurde zum Vorsingen angenommen, sang nur zwei Stücke vor, hatte eigentlich von der verlangten Theorie keine Ahnung, mir nur die Grundkenntnisse vorher eingebüffelt – und wurde genommen. Es war meine spätere Lehrerin Eva Illes, die das Potential in mir erkannte und es anschließend ziemlich erbarmungslos förderte, wofür ich ihr ewig dankbar bin. Singen ist für mich ein MUSS. Ich freu mich morgens auf den Auftritt am Abend. Und als ich einmal – was mir sonst nie passiert – eine Kehlkopfentzündung hatte und für ein paar Tage pausieren musste, fühle ich mich so depressiv, weil nicht sprechen und nicht singen konnte.

Haller - Eugen Onegin 094 von Privat

Tatjana in Tschaikowskis „Eugen Onegin“ am Stadttheater St. Gallen/Theater St. Gallen/E. H.

Ohne Technik geht nichts, absolut nichts. Aber sie darf sich nicht in den Vordergrund schieben, nicht verselbständigen. Sie muss wie ein Autopilot funktionieren. Ich darf mir keine Gedanken machen über eine hohe Note, die auf mich zukommt. Wenn ich auf die Bühne gehe, bin ich einfach sicher und kann mich auf die Handlung, die Requisiten, die Regie oder den Partner konzentrieren, denn für mich ist Singen Teamwork, wir singen ja in Gruppe und nicht ich alleine vorne an der Rampe. Ich kontrolliere vor meinem Auftritt die Bühne, ob alles so ist, wie wir es geprobt haben. Man kann ja beim Singen selbst dem Requisiteur keinen Vorwurf mehr machen, wenn etwas fehlt – das ist wie alles andere, in eben diesem Moment die eigene Verantwortung. Ich bin für meinen Auftritt selber verantwortlich, für meine Leistung ebenso wie für mein Aussehen oder für meine Umgebung. Natürlich ist das bei manchen Inszenierungen schwierig, wenn ich mich sehr anpassen muss an ein Konzept, das nicht unbedingt mein eigenes ist. Aber ich versuche immer, mich in die Regie hineinzudenken, probiere sie für mich aus, ganz selten sage ich nein, wenn ich bestimmte Bewegungen nicht machen kann oder wenn sie gegen die Musik laufen. Für mich ist entscheidend, dass die Musik respektiert wird. Für alles andere finden sich Kompromisse. Ich erinnere mich an meine Elettra in Idomeneo, als ich bei meiner großen Arie eine Leiter hinaufklettern musste und dann am Ende hinten rüber fiel – angeschnallt natürlich. Wahnsinn! Möglich ist mir mein Beruf  nur in meiner Rückbesinnung auf meine Wurzeln, auf meine Herkunft – ich bin eingebunden in meine große und prachtvolle Familie, wo ich nur Tochter oder Schwester oder Tante bin und nicht Künstlerin, wo ich ganz normal behandelt und nicht als Weltwunder bestaunt werde. Mein Mann und ich, wir haben ein ganz normales Leben. Und wenn es die Zeit erlaubt, dann singe ich immer noch im Kirchenchor ein Soli. Diese natürliche Beziehung zu meiner Südtiroler Heimat ist mein Stabilitätsfaktor, meine Erdung, meine Grundierung.

Edith Lohengrin Covent Garden

Elsa in „Lohengrin“ mit Petra Lang (rechts) als Ortrud im Londoner Opernhaus Covent Garden/ROF/E.H.

Annäherung an eine Rolle? Ich suche in jeder Rolle, was sich darin von mir selbst findet. Ich bin eine emanzipierte Frau und habe vielleicht Probleme mit passiveren Partien wie Desdemona, deren Charakter auf den ersten Blick nicht wirklich etwas mit mir zu tun hat. Aber auch da hab ich lange in mich hineingedacht. Desdemona ist ein sehr behütetes, unschuldiges, fast naives junges Mädchen, das ihren Vater und Otello belauscht hat, als dieser von den Qualen in seiner Gefangenschaft erzählt. Es ist das Mitleid, das ihre Liebe weckt, und damit kann ich mich identifizieren, mit diesem starken Gefühl der Hingebung und des Erbarmens. Und so finde ich in solchen Facetten meiner Rollen, deren Text (vor allem im deutschen Repertoire) sehr altbacken erscheinen mag, die eigentlichen Triebfedern, die Gefühle, die zu den Konflikten führen und in die ich einsteigen kann. Wagner singt sich zwar wunderbar, aber vielleicht singen sich italienische Opern am Ende doch besser, weil der Text so fließt, mit der Musik läuft (wie ja auch die Musik der italienischen Opern die Stimme wie ein Teppich trägt, eben anders als im Deutschen, namentlich bei Wagner, der die Stimme wie ein Instrument innerhalb des Ganzen behandelt und man schon zu tun hat, dass man gehört wird. Und man muss eben auch diese Partien mit den eigenen Möglichkeiten singen. Ich bemühe mich sehr, das „Jugendliche“ im Dramatischen zu behalten, nicht zu drücken, frisch und kraftvoll, aber nicht laut um jeden Preis zu singen, die Partien mit meinen Mitteln anzugehen und auszuleben.

Die Meistersinger von Nürnberg_EVA Zürich 2010

An der Seite von Robert Dean Smith: Eva in den „Meistersingern von Nürnberg“ in Zürich/OZ/E. H.

Und eben Wagner nach einem so vielseitigen Beginn? 2003 erster Preis beim Wettbewerb Mario Lanza in Filignano, dann dicht auf dicht Engagements in Salzburg, Prag und Ljubljana, von 2002 bis 2005 Ensemblemitglied in St. Gallen, von 2005 bis 2009 am Staatstheater Karlsruhe, wo Edith Haller ihr Repertoire lernte, von der Senta bis zur Euryanthe. Von 2006 bis 2010 gastierte sie in Bayreuth als Freia, Helmwige, 3. Norn und Gutrune sowie 2010 als Sieglinde, die sie inzwischen weltweit singt. Von da an gings rasend schnell – Senta in Leipzig, Agathe und Gutrune in München und Hamburg, Elsa an Covent Garden, Tannhäuser-Elisabeth am Real in Madrid und Eva in Hamburg und Zürich, Fidelio in Klagenfurt, Euryanthe in Karlsruhe, Konzerte mit Christian Thielemann in München, Sieglinde erneut in Wien, im Herbst 2010 Chrysothemis in Köln, Eva konzertant unter Marek Janowski in Berlin, Sieglinde in Essen, Chrysothemis in Montpellier und so weiter bis zur Isolde in Lübeck, mit der wir angefangen hatten. Nun also Wagner!

Tannhauser III 5461

Elisabeth in „Tannhäuser“ am Teatro Real Madrid. Im Hintergrund Robert Gambill in der Titelrolle/de Real

Wagner ist eine Sache für sich. Die Stimme fließt und fühlt sich in der Musik und vor allem bei den Texten zu Hause. Irgendwie bin ich mit der Isolde angekommen, wo ich sein wollte. Früher, auf der Schule, sprachen wir über unsere Zukunftspläne. Die Jungs sagten: Ich will das und jenes machen und viel Geld verdienen. Ich wollte etwas, das mich zufriedenstellt, also Qualität statt Geld. Nicht, dass mir Geld nicht wichtig wäre, das wäre ja töricht, aber ich fühle mich in meinem Singen so unendlich wohl, bin darin eins mit mir. Ich studiere meine Partien inzwischen mit meiner wunderbaren Lehrerin Lieselotte Hammes, weiß, dass ich darin sicher bin, gehe auf die Bühne und lebe dort. Die Rolle der Isolde ist ein großer Brocken, weil sie auch so lang ist, wirklich auch eine sportlich-physische Leistung verlangt. Aber wenn alles gut geht, wenn alles in mir versammelt ist, dann ist es eine Wonne, diese Partie zu singen. Die ersten beiden Akte sind sehr anstrengend, zumal in Lübeck, wo ich keinen Moment von der Bühne komme.

Gutrune_Bayreuth

Gutrune in der „Götterdämmung“  bei den  Bayreuther Festspielen. Foto: Bayreuther Festspiele/Jörg Schulze

Dann geh ich danach in meine Garderobe und schaue mir bis zu meinem Auftritt im 3. Akt nochmals die Noten an, konzentriere mich auf das vor mir Liegende. Und dann kommt dieser herrliche Liebestod – was kann es Schöneres geben? Ich denke, ich habe in Wagner meine musikalische Heimat gefunden – irgendwie sind seine Partie wie die Zusammenfassung dessen, was ich vorher gemacht habe. Sicher, ich will nicht nur auf diese Partien festgelegt sein und freue mich auf die Fledermaus in Wien, weil die Operette, die ich ja auch reichlich gesungen habe (neben Fledermaus Czárdásfürstin und Lustige Witwe) mir das Leichte, etwas Frivole und eben Heitere ermöglicht, was ganz sicher einer starken Seite in mir entspricht. Und ich liebe Operette, die zu Unrecht einen schlechten Ruf bekommen hat. Aber Wagner und nun die Isolde sind eben die Summe meiner bisherigen Tätigkeit. Und vor allem die Isolde war die größte Herausforderung. Ich bin gerade auf dem Weg nach Moskau, wo ich sie als Gast in einem russischen Ensemble singen werde. Dann sollte diese Rolle etwas zur Ruhe kommen, sie muss sich setzen und von mir Besitz ergreifen, reifen wie ein guter Wein – und wir Südtiroler verstehen etwas von guten Weinen!

Tristan und Isolde (Unten)

Die erste Isolde in Lübeck: Mit dieser Partie hat sich Edith Haller einen Traum erfüllt/Theater Lübeck/Quast

Eine bedeutende Stimme aus Kroatien

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Marijana Radev (im Westen Marianna Radev) zählte zu den großen Altistinnen der Nachkriegszeit, die – aus Rumänien stammend und in Zagreb verwurzelt –  in Italien und vor allem auch in Deutschland/Berlin sich einen bedeutenden Namen gemacht hat. Sie war eine gesuchte Größe bei internationalen Festspielen, und ist Sammlern mit ihren Auftritten bei Live-Aufnahmen in Italien (Pique Dame, Mazeppa u. a.) sowie von solchen unter Böhm oder Fricsay (besonders dessen Verdi-Requiem-Einspielung oder auch ihre Orff-Aufnahmen bei DG) in Erinnerung wegen ihrer satten, ausdrucksvollen und scheinbar in der Tiefe nie endenwollender Altstimme. Ihr Repertoire war weitgestreut und eklektisch, und namentlich ihre Liedaufnahmen zeigen die emotionale wie interterpretaorische Reife der Künstlerin.

Marjanna Radev/Hr.Radio

Marijanna Radev/Hr.Radio

Im Folgenden gibt es einen etwas gewöhnungsbedürftigen, weil sehr  lyrisch-wörtlich aus dem Kroatischen übersetzten englischsprachigen Text aus der kürzlich erschienenen 2-CD-Gedenkausgabe zum 100. Geburtstag und 40. Todestag der Sängerin, die bei der Kroatischen Firma HRT Croatian Records (www.crore.hr) herausgekommen ist – sie enthält in überwiegend kroatischen Radioaufnahmen Opernarien aus den Kernrepertoire der Altistin von Monteverdi bis zu zeitgenössischen kroatischen Komponisten auf CD1 und Lieder von Brahms, Schumann oder Strauss bis zu Gotovac auf CD2. Hier liegt ein umfangreiches Kompendium des weiten Spektrums dieser Ausnahmestimme vor. Die Beschaffung mag ein wenig schwierig sein – die Wege in der EU sind nicht immer die widerstandfreiesten. Aber hier gibt´s noch eine Bezugsquelle in Zagreb… (G. H.)

als Carmen/HRT

als Carmen/HRT

Marijana Radev: Thinking about the creative world of the great ones, it seems that we get immersed in some mysterious space of production of ideas whose infinity permanently secures the spiritual horizon necessary for the survival for all those who touch this world looking for the sense of one’s own duration in this touch. What has to be said first is that the thought about the unrepeatable interpretations, about the unique voice whose beauty was retained in the memory as an essence of the musical substance, all of it seems more important than the sifting among the meagre data about the course of the life of Marijana Radev (Constanta, Romania, November 21, 1913 – Zagreb, September 17, 1973), which somehow points out that whatever was essential in her life was oriented towards music. If one follows the unrepeatable line of the life of one of the greatest interpreters of the 20th century, there will be only few data – except the preserved interpretations – that would support and contribute to the comprehension of her artistry.

In Gotovacs "Ero der Schelm"/buh

In Gotovacs „Ero der Schelm“/buh

Marijana Radev was born in the family of the father originating from Bulgaria and the Croatian mother from Bakar. The family found themselves in Romania when Marijana was born due to their working commitment. Thus Marijana was born in Constanta, a beautiful town on the coast of the Black Sea. Owing to the political circumstances that in the second decade of the 20th century in Romania, the family moved to Zagreb, the homeland of Marijana’s mother. This is where Marijana Radev received her education, first learning playing the piano, and after that she learned singing with professor Marija Kostrencic. She did not complete her studies in Zagreb, deciding to continue her studies in Trieste where she completed her studies in four years. There are few notes left that prove about her appearances during her time spent on studies in Zagreb. One of these notes was found in the family archive, which mentioned the appearance at the performance of Lied von der Erde by Gustav Mahler, prepared by Bozidar Kunc (der Lehrerin auch von Zinka Milanov/G. H.).

als Azucena/buh

als Azucena/buh

The official opera chronics, on the other hand, mention the Trieste debut in 1938 of Marijana’s role of Marina in the opera Boris Godunov by M.P. Musorgsky, and also the Zagreb debut on September 22 of the same year when she appeared in the role of Santuzza in the Cavalleria Rusticana  by Mascagni. However, another small note mentions the year 1937 and the appearance in Ancona of the same opera, but in the role of Lola.

As a matter of fact, what is more important than these beginning details are all the other events that occurred in the course of the following decades. It can be said that the growth of one really great singing career in Italy starts almost simultaneously in Croatia as well, because she appeared often there in the forties. However, due to the war occurrences she returned to Zagreb and was engaged in the Croatian National Theatre. In 1950

als Amneris/HRT

als Amneris/HRT

She continued with international successes and building up her career which Marijana Radev led through some fifty opera roles and through numerous great opera stages all over Europe and outside. With the same intensity she achieved her success on the concert stages with a line of concert creations in great vocal- instrumental works and excellent interpretations of solo songs of the great masters of the Lied, specifically Johannes Brahms’s songs.

One chronicler preciously wrote down that she „integrated all the eminent characteristics of the strong artistic personality, intense feeling for the rhythm, refined musicality, high culture, which along with the voice of specific dark nuances and prominent actor’s gift makes her creations immortal and rather difficult to repeat“. With such characteristics she conquered the great world opera and concert stages for decades. Travelling took her from Covent Garden and Milan La Scala, to the Vienna National Opera, the Opéra Comique in Paris, all through to opera houses and concert stages in Rome, Florence, Parma, Cairo, Jerusalem, Tel Aviv, Dublin, Stockholm, Helsinki, Berlin, Stuttgart, Munich, Zurich and so on. And yet, she always returned to the Opera of the Croatian National Theatre in Zagreb, where she remained true to all the decades of her career and where she realized almost six hundred appearances. This is why even today the Zagreb’s interpretations of the Countess in the Queen of Spades by Tchaikovsky, Azucena in theTrovatore by Verdi, Carmen etc. are remembered.

galagl100792On her artistic way she cooperated with many musical great men of the past century. In the series of great conductors (Mario Rossi, Guido Cantelli, Carlo Maria Giulini, Karl Böhm, Herbert von Karajan, Wolfgang Sawallisch, Lovro von Matacic, Milan Horvat…) it seems that she preferred Ferenc Fricsay with whom she realized many excellent creations among which it is important to mention the twelve performances of Verdi’s Requiem and the same number of Handel’s oratorio Judas Maccabaeus in Israel.

She was a great star of her time, so that she shared her place on the stage with her equals such as Magda Olivero, Maria Stader, Kim Borg, Boris Christoff, Ettore Bastianini, Josef Greindl and the like. She sung in six languages, of course in Croatian, thus indebting the national musical creation by a great number of anthological performances.

radevWith all this, as a veritable artist she never made differences between the important and less important performances. Each meeting with the public was a reason for an artistic act and each stage and occasion was equally important. She visited many Croatian towns, festivals and marked a number of important dates. One of the remembered ones was the participation on the concert after the festivity due to the establishing of the branch of the Matica Hrvatska in Drnis in 1971 when she performed accompanied by the pianist Stjepan Radic. The great festivity was visited by Vlado Gotovac, Srecko Lipovcan and Zvonimir Komarica. In this time Marijana Radev attached part of her artistic destiny to the Croatian musical creation. Since she as a eighteen-year old girl appeared for the first time in Zagreb (1931) in the premiere of the musical play Christmas Story composed by Rudolf Matz (1901 – 1988) all through to her too early death, she all the time dealt with the Croatian music. Next year Matz, impressed by her, later dedicated Pricalice (Stories) for alto and piano to her, and in 1939 she was given by Jakov Gotovac (1895 – 1982) his confidence and conducted his composition in the Croatian Music Institute. He conducted his ballade Mladi Mjesec (New Moon) for alto and small orchestra, op. 7 and also Pjesme ceznuca (Songs of Yearning) op. 21.

51d1rpe-3UL._SL500_AA300_Probably these Songs had her first performance in Croatia because they were composed in this year and earlier premiered in Wiesbaden. This confidence was obviously permanent because Marijana Radev appeared not only in repeat performances of Gotovac’s operas (Doma in Ero s onog svijeta (Ero the Joker), Woman Cowherd in Morana) but had the title role in the premiere performance of the opera Mila Gojsalica in the year 1952, of course conducted by the composer. It was a similar case with Ivan Brkanovic (1906 – 1987) with whom she first met in 1940 in the performance of his Triptihon, the folk ritual accompanying death. Afterwards she participated in the premieres of his operas, interpreting the role of Jela in the Equinox (1950) and Barbara in the Zlato Zadra (Gold of Zadar) (1954). The people familiar with the opera opportunities of that time remember that he dedicated his last (unfinished) opera Fedra to Marijana, but the performance have neither the composer nor his soloist been able to meet. It is not unusual that in his „Reminiscences“ he speaks about the „unforgettable Marijana Radev“.

18232sShe also inspired Boris Papandopulo (1906 – 1991) to insert into his 2nd symphony the movement with a solo voice, and she also performed a line of songs leaving a considerable trace also on the concert stage, not only by the glaring interpretations of great masters of this format, but also by the performances of songs composed by the Croatian composers Blagoje Bersa (1873 – 1934), Boris Papandopulo, Jakov Gotovac and the like. One of the line of performing dirges, Seh dus dan (All Souls‘ Day) (1918) written by Blagoje Bersa, academician Nedjeljko Fabrio specifically wrote down: „Even today I hear in my consciousness the echo of the magistral interpretation of Marijana Radev and the romantic-impresionistic compositions with the refrain of the archaic accompanying sound from the kajkavian music.“

03_orff_antigoneMarijana Radev also manifested her specific, almost eruptive gift and temperament in her performances of the then current compositions with the characteristics of the avant garde like, for instance, there were the Epitaph (1960) written by Milko Kelemen (1924) for mezzo-soprano, viola and percussion, Barasou for alto and instrumental ensemble (1971) composed by Branimir Sakac (1918 – 1979), or the Giraudoux-cantata for alto and orchestra written by Rolf Liebermann (Music Bienalle Zagreb, 1963) and Siebengesang by Heinz Holliger (MBZ 1969).

18340sHowever, despite all of this splendid musical treasure there are only few tonal records, more abroad than in the homeland. This means that except for the deep bow before the reminiscence for this great artist on the occasion of the 100th anniversary of her birth there remains a debt that in any way we should preserve, as much as possible, this invaluable artistic heritage, before the pitiless oblivion is going to cover their precious trace.Luckily, part of her interpretations was recorded in editions abroad, like: from the concert repertoire Requiem by G. Verdi and Stabat Mater by G. Rossini, often with her associate, conductor Ferenz Friscay, Missa solemnis by L. van Beethoven with the Berlin Philharmonic under the baton of Karl Böhm. From the operatic repertoire live recordings were published with the performances of the operas: Queen of Spades by P.I. Tchaikovsky with the ensemble of the opera La Scala in Milan (performance 1961) and Mazeppa of the same composer, with the ensemble of the Festival Maggio musicale fiorentino (performance 1954), Antigona by Orff with Wolfgang Sawallisch, etc.

l2312835i0iMany chroniclers described the specific, dark nuanced beauty of her voice with marvelous emphatic possibility. However, the wonder of interpretation happens only when this beauty gets ennobled by the own spiritual contents. In the faultless interaction between the vocal possibilities of emotional richness and skill there is Marijana Radev’s artistic horizon. Her imposing physiognomy reflected this spiritual world of the singer, reflecting a distinct personality which marked every interpretation as a synthesis of all knowledge built into her preparing.

Unique and extraordinary, always identitly emphatic, unponderable and exemplary in whatever she was doing, Marijana Radev represents a part of the Croatian music that is unmeasurable with known examples. She is the God’s gift on the Croatian musical horizon and as such she should be remembered forever.

Erika Krpan

Und Dank an Ivan Mirnik, der die CD-Ausgabe zu Marijana Radev besorgte und mich darauf aufmerksam machte, so wie er stets dafür sorgt, dass man Kroatien als Kulturland nicht vergisst!

 

„Schahrazade“ von Bernhard Sekles

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Schahrazade, Oper in drei Aufzügen op. 26 von Bernhard Sekles, Libretto von Gerdt von Bassewitz; Uraufführung 1917 in Mannheim. Anfang des 20. Jahrhunderts erfreuten sich orientalische Themen bei europäischen Künstlern einer besonderen Beliebtheit und inspirierten sie zu ihren Werken. In großer Zahl entstanden Nachdichtungen und Übersetzungen fernöstlicher Texte, die von Komponisten vertont oder klangmalerisch umgesetzt wurden. Es erstaunt nicht, dass in dieser Zeit auch die Märchensammlung Tausendundeine Nacht stärker ins Blickfeld der Künstler rückte. Musiker ließen sich von den stimmungsvollen Erzählungen besonders anregen.Tausendundeine Nacht, in Persien entstanden, wurde in Europa erstmals im 18. Jahrhundert in der Galland-Handschrift veröffentlicht, die allerdings eine starke Bearbeitung des Originals darstellte. Ihr folgten im Verlauf des 19. Jahrhunderts deutsche Übersetzungen etwa von Gustav Weil und Felix Paul Gerve.

Der Komponist Bernhard Sekles/Wiki

Während zu dieser Zeit noch das Märchenhafte der Vorlage im Mittelpunkt des Interesses stand, gerieten Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge der sich entwickelnden Psychoanalyse zunehmend die erotischen Aspekte der Erzählungen in den Blick. Diese bestimmen auch Gerdt von Bassewitz Drama Schahrazade und die darauf basierende gleichnamige Oper von Bernhard Sekles. Betrachtet man das Gesamtwerk des Frankfurter Komponisten Sekles, so überrascht die Stoffwahl für seine erste Oper nicht. Schon in seinen Werken vor Schahrazade griff er regelmäßig auf fernöstliche und orientalische Vorlagen zurück. So trägt etwa bereits in dem Klavierzyklus Musikalisches Skizzenbuch für Jung und Alt, fünf kleine Klavierstücke zu vier Händen op. 4 eine Komposition den Titel Aus 1001 Nacht. Darüber hinaus finden sich in seinem Gesamtwerk Lieder nach Texten des Hafis und aus dem Schi- King in der Nachdichtung von Friedrich Rückert sowie eine sinfonische Dichtung mit dem Titel Aus den Gärten der Semiramis. Immer wieder wird die Affinität Bernhard Sekles zum Exotischen von zeitgenössischen Kritikern hervorgehoben, das für ihn die Möglichkeit darstellte, die europäische Kunstmusik durch neue Einflüsse zu bereichern. Folgerichtig hat er mit Gerdt von Bassewitz 1911 in Köln uraufgeführtem Schauspiel Schahrazade eine Vorlage gefunden, die zumeinen seinem kompositorischen Naturell, zum anderen aber auch seinen Anforderungen an ein Libretto für eine zeitgenössische Oper entsprach, die er in seinem Aufsatz Die moderne Oper 1919 in der Münchener Theaterzeitschrift Der Zwischenakt beschrieben hat. Nach seinen Überlegungen muss ein modernes Libretto einer „inneren Notwendigkeit“ folgen und gleichzeitig Szenen enthalten, die klaren Stimmungen zugeordnet werden. Die Aufgabe des Musikers sei es, dieses „rein Stimmungshafte“ des Textes in eine entsprechende Musik zu fassen.

Der Librettist Gerdt von Bassewitz/NWZ

Der Librettist Gerdt von Bassewitz/NWZ

Sekles` Musik entzündet sich an diesem Text, interpretiert ihn und folgt dem „rein Stimmungshaften“ der einzelnen Situationen. Die ständigen Auseinandersetzungen der Handlung, die im tragischen ersten Akt beginnen, in dem Schahrazades Bruder Omar sich selbst den Tod gibt und der von Männerstimmen dominiert wird, finden – nur unterbrochen von den eingestreuten humoristischen Szenen jeweils zu Beginn des zweiten und des dritten Aktes – nach einer ständigen Steigerung ihren Höhepunkt in der ersten Begegnung zwischen Schahryar und Schahrazade, bevor im zweiten Bild des dritten Aktes sich schließlich – nach dem von Schahrazade vereitelten Attentat, das ihr Vater am Kalifen verüben wollte – zwangsläufig die glückliche Lösung aus dem Vorigen entwickelt. Damit folgt die Oper, die von der Stimmung zum Ende hin immer heller wird, durchaus der von Sekles geforderten „inneren Notwendigkeit“. Tragisch endet diese Oper einzig für den Großwesir, der nicht nur seinen Sohn, sondern auch seine beiden Töchter an den Kalifen verliert und selbst aber als gescheiterter Attentäter dastehen.

"Schahrahzade" in der Bayerischen Staatsbibliothek/Bayerische Staatsbibliothek Wasserzeichen-Projekte

„Schahrazade“ in der Bayerischen Staatsbibliothek/Bayerische Staatsbibliothek Wasserzeichen-Projekte

Sekles hat sich von Bassewitz´ Text selber zum Libretto eingerichtet. Dabei folgt er konsequent den selbstformulierten Anforderungen, die er an ein gutes Opernbuch stellt. Der Text des Dramas wird stark verknappt, alles was nicht unmittelbar mit der Handlung zu tun hat, fällt dem Rotstift zum Opfer. Längere Monologe wie die Märchenerzählungen des Großwesirs im zweiten oder Schahrazades zum Schluss des Dramas werden komplett gestrichen. Die wenigen monologischen Passagen, die Sekles vertont, erhalten dadurch besondere Aufmerksamkeit. Insgesamt genommen zeigen die vorgenommenen Striche in der Schauspielvorlage die sichere Hand eines mit den Bedingungen des Musiktheaters vertrauten Künstlers. Bernhard Sekles kamen bei der Einrichtung des Dramas zum Opernlibretto sicherlich seine Erfahrungen als Kapellmeister an den Theatern in Heidelberg und Mainz aus den Jahren 1894 bis 1896 zu Hilfe.

Sekles-Lieder als Bestandteil eines Liederprogramms 1914/zbab

Sekles-Lieder als Bestandteil eines Liederprogramms 1914/zbab

Liest man den Text der Schahrazade aufmerksam, so wird man schnell feststellen, dass man es hier mit einem Drama um männliche Versagungsängste und Minderwertigkeitskomplexe zu tun hat. Der Kalif ist von seiner ersten Ehefrau betrogen worden. Seither tötet er – aus der Angst heraus, abermals hintergangen zu werden – jede Frau, mit der er eine Nacht verbringt. Er wird unfähig, die Frau, die er begehrt zu lieben bzw. eine Frau, die liebt, zu begehren. Damit rückt die Oper in die Nähe der zu Beginn des 20. Jahrhunderts viel diskutierten Theorien Sigmund Freuds. Dieser veröffentlichte 1912 – ein Jahr nach der Uraufführung des Schauspiels von Gerdt von Bassewitz – seinen Aufsatz „Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens“, der als eine Zusammenfassung der aktuellen sexualpsychologischen Diskussion gelesen werden kann. Freud beschäftigt sich in diesem kurzen Essay mit den Ursachen männlicher Impotenz, die seiner Meinung nach zumeist psychischer Natur ist und von einer zu engen Bindung an die Mutter oder Schwester verursacht wird. Diese Form der psychischen Impotenz, bei der sich der Mann nach einer Form der Zuneigung sehnt, die er als Kind erfahren hat, während er mit der in der Pubertät einsetzenden sinnlichen Form der Liebe nicht umzugehen lernt, führt nach Freud zumeist zu einer Suche nach Sexualobjekten, die als Ersatz für die eigentlich begehrte Frau dienen sollen. Gleichzeitig wird der Wunsch größer, die stärker werdende Libido befriedigen zu können. Die Sexualität wird dabei aber von den betroffenen Männern als Unrecht angesehen, durch die die geliebte Frau entehrt wird. Hier befinden sich die Betroffenen in einem Dilemma: Um mit einer Frau ohne schlechtes Gewissen schlafen zu können und dabei Befriedung zu empfinden, sieht sich der Mann gezwungen, seine Sexualobjekte zu erniedrigen und sie so der Vergleichbarkeit mit der idealisierten, geliebten Frau zu entheben.

Sekles bei der Arbeit (aus dem Programmheft der Bühnen Halle/Paula Maria Sekles mit Dank)

Sekles bei der Arbeit (aus dem Programmheft der Bühnen Halle/Paula Maria Sekles mit Dank)

Dies führt – so Freud – nicht selten zu aggressivem Verhalten des Mannes der Frau gegenüber. Schon auf dem ersten Blick findet man die von Freud beschriebenen Verhaltensmuster auch bei dem Kalifen der Schahrazade. Auch er hatte seine Frau idealisiert, hat diese – durch ihren Ehebruch – verloren und schläft seither unbefriedigt mit Frauen, die für ihn nur Surrogate für seine ursprünglich geliebte Gattin sind. Lust empfindet er einzig durch die Erniedrigung dieser Frauen, die in Todesangst das Bett mit ihm teilen müssen, in der Gewissheit, den nächsten Tag nicht zu überleben. Gleichzeitig aber ist er unfähig, wirkliche Liebe zu empfinden. Die Angst vor dem Versagen und damit vor einer Form psychisch motivierter Impotenz lässt ihn die Frauen, mit denen er die Nacht verbringt, demütigen. Wirkliche Befriedigung findet Schahryar erst, als mit Schahrazade eine Frau freiwillig zu ihm kommt, die für ihn einen neuen Idealtypus darstellt. Folgerichtig schwärmt er nach der gemeinsamen ersten Liebesnacht am Ende der Oper: „Ich träume einen neuen Traum mit dir!“ Bernhard Sekles greift diese psychoanalytische Bedeutung des Textes in seiner Musik auf. Richtigerweise hatte schon Oskar Bie die Partitur der Oper nach der Berliner Erstaufführung 1920 als „erotisch“ charakterisiert. André Meyer

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Bernhard Sekles/OBA

Bernhard Sekles ca 1925/Frankfurt 1933-1945 (darin ein Aufsatz zu Sekles von Karin Massar)

Der Komponist:Der Frankfurter Komponist Bernhard Sekles gehört zu den von den Nationalsozialisten verfemten Komponisten, die es bis heute zu rehabilitieren gilt. Als Konservatoriumsleiter, Komponist und vor allem als Kompositionslehrer hatte er großen Einfluss auf die Entwicklung der Musik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Am 20. März 1872 in Frankfurt am Main geboren, erhielt Bernhard Sekles zwischen 1888 und 1893 seine musikalische Ausbildung am Hoch’schen Konservatorium in seiner Geburtsstadt. Hier studierte er Komposition bei Iwan Knorr, Klavier bei Lazzaro Uzielli und Instrumentation bei Engelbert Humperdinck. Nach Abschluss der Studien ging er 1893 zunächst als Chordirektor und Kapellmeister an das Theater der Stadt Heidelberg, bevor er für die Spielzeit 1894/95 an das Theater in Mainz wechselte. Während dieser Jahre hat sich Sekles das entsprechende Handwerk angeeignet, das ihm später während der Komposition der Schahrazade zugute kommen sollte. 1896 schließlich kehrte er nach Frankfurt zurück und übernahm hier die Stelle eines Lehres für Musiktheorie am Hochschen Konservatorium. In dieser Zeit erzielte er mit ersten Kompositionen bereits Achtungserfolge. Seinen Durchbruch als Komponist erreichte Bernhard Sekles mit der 1907 in Dresden auf dem Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins uraufgeführten Serenade für 11 Soloinstrumente op. 14. Quasi über Nacht galt der Komponist als bedeutender zeitgenössischer Tonsetzer, dessen Werk sich auf dem Spielplan vieler Orchester befand. Zu dieser Zeit erklang auch in Halle erstmals ein Werk von Bernhard Sekles: Im 5. Sinfoniekonzert der Saison 1907/08 wurde am 4. Februar 1908 die erst ein halbes Jahr zuvor in Dresden uraufgeführte, Hans Pfitzner gewidmete Serenade aufgeführt. Einen Tag später schreibt der Kritiker der Saale  Zeitung über diese Aufführung: „… Herr Sekles erweist sich darin als ein musikalischer Genremaler … von außerordentlich frischer und liebenswürdiger Erfindung, der … rhythmisch und harmonisch eine ganze Fülle von glücklichen Einfällen eigen ist. Auch die Stilreinheit, die sich konsequent und ganz ungekünstelt in dem Rahmen der zierlichen gefälligen Form, der für Serenaden typisch sein muss, hält, nimmt für das Werk ein. Wie eine Reihe flott erzählter Geschichten humoristischen Charakters, in die sich nur flüchtig ein melancholischer oder sentimentaler Unterton mischt …, mutet diese Serenade an. Die Aufführung erntete“ – so schließt der Kritiker –“stürmische Anerkennung.“

Else Genther-Fischer in der Titelrolle der Uraufführung in mannheim 1917/Goethe Universität Frankfurt

Else Genther-Fischer in der Titelrolle der Uraufführung in Mannheim 1917/Goethe Universität Frankfurt/Sammlung Manskopf

Regelmäßige weitere Kompositionen waren die logische Folge – soweit seine Tätigkeit am Hoch’schen Konservatorium ihm hierzu die Zeit ließ, denn seit 1906 betreute er eine eigene Kompositionsklasse. Hatte er zuvor vor allem Lieder und Werke für Kammerensembles geschrieben, folgten nun erste Orchesterwerke. Mit dem in Frankfurt uraufgeführten Ballett Der Geburtstag der Infantin nach dem Drama von Oscar Wilde wagte sich Sekles 1913 zum ersten Mal an ein Bühnenwerk. Seine 1917 folgende erste Oper Schahrazade, die Wilhelm Furtwängler an der Mannheimer Hofoper am 2. November des Jahres erfolgreich zur Uraufführung brachte, stellte einen wichtigen Höhepunkt im kompositorischen Schaffen Sekles dar. Der Komponist war zu diesem Zeitpunkt bereits 45 Jahre alt. Die Schahrazade verbreitete sich rasch über die deutschen Bühnen. Noch im Jahr der Uraufführung wurde sie in Stuttgart nachgespielt. Es folgten bis 1923 Aufführungen in Aachen, München, Frankfurt, Düsseldorf, Duisburg, Wiesbaden und Lübeck. In Berlin stand sie im Rahmen der Woche moderner deutscher Werke neben der Frau ohne Schatten von Richard Strauss, dem Palestrina von Hans Pfitzner und den Königskindern von Engelbert Humperdinck auf dem Programm. Sekles ließ seinem Bühnenerstling 1923 mit der komischen Oper Die Hochzeit des Faun und 1926 mit Die zehn Küsse noch zwei weitere Bühnenwerke folgen. Darüber hinaus komponierte er ab 1931 die Volksoper Ernte, die nach jetziger Kenntnis nicht aufgeführt wurde.

Als Kompositionslehrer übte Bernhard Sekles großen Einfluss auf so unterschiedliche Musiker wie Paul Hindemith, Ottmar Gerster, Theodor W. Adorno, Rudi Stephan und Hans Rosbaud aus. Dabei scheint es vor allem seine Qualität als Lehrer gewesen zu sein, den jungen Künstlern ihren persönlichen Stil zu lassen und diesen zu fördern, ihnen aber gleichzeitig das zur Umsetzung eigener Ideen nötige kompositionstechnische Wissen zu vermitteln. Diese Tätigkeit stellte einen wichtigen Höhepunkt im kompositiorischen Schaffen Sekles dar. Diese Herangehensweise hatte er von seinem eigenen Lehrer Iwan Knorr übernommen. Wie er wurde Sekles daher schnell zu einem gefragten Kompositionslehrer. Im Gegenzug finden sich Spuren der Auseinandersetzung mit den Kompositionsstilen seiner Schüler in Sekles` eigenen Werken.

Wilheilm Furtwängler dirigiert die Premiere in Mannheim 1917/introclasscnet

Wilheilm Furtwängler dirigiert die Premiere in Mannheim 1917/introclasscnet

Ein Jahr nach seinem fünfzigsten Geburtstag wurde Bernhard Sekles 1923 zum Rektor des Hoch’schen Konservatoriums berufen. Er übernahm das Institut zu einer schwierigen Zeit, da das Konservatorium in den Jahren zuvor in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Sekles führte in den zehn Jahren seiner Amtszeit eine Reihe von Reformen durch, die das Überleben des Instituts sichern sollten. So gründete er eine Opernschule, die mit dem Theater der Stadt kooperierte, und eine Kirchenmusik-Klasse. Darüber hinaus organisierte er die Orchesterausbildung neu und installierte ein Privatmusiklehrerseminar. Besonders aufsehenserregend war die Gründung einer ersten Jazzklasse an einem deutschen Konservatorium, für die er den ungarischen Komponisten Mátyás Seiber gewinnen konnte. In der Folge sah sich Sekles scharfen Anfeindungen seitens konservativer Kreise ausgesetzt.

Trotz der zeitaufwendigen Aufgaben, die die Leitung des Konservatoriums mit sich brachte, entstanden auch nach 1923 noch regelmäßig neue Kompositionen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten setzte der Karriere von Bernhard Sekles schließlich ein abruptes Ende. Bereits Ende August 1933 wurde er seiner Position als Rektor des Hoch’schen Konservatoriums enthoben. Darüber hinaus wurden seine Kompositionen mit einem Aufführungsverbot belegt, so dass sein vormals von vielen bedeutenden Interpreten wie Erich Kleiber, Fritz Busch und Wilhelm Furtwängler aufgeführtes Werk aus dem Repertoire verschwand. Bis 1938 sind noch Aufführungen in der jüdischen Gemeinde in Frankfurt nachzuweisen, anschließend wird es still um die Werke von Sekles, der sich noch 1934 im Jüdischen Kulturbund seiner Heimatstadt engagierte. Das Aufführungsmaterial zu seinen Kompositionen – zum Teil in großen Auflagen gedruckt – verschwand in den Archiven der Verlage oder Bibliotheken und liegt dort zum Teil bis heute unbeachtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich nur vereinzelt Musiker und Orchester der Musik Sekles angenommen, so dass sein gesamtes Œuvre heute seiner Entdeckung harrt. Sekles verstarb ein Jahr, nachdem die Nationalsozialisten ihn aus dem Amt gedrängt hatten, am 8. Dezember 1934 in einem jüdischen Altenheim in seiner Heimatstadt Frankfurt an den Folgen einer Lungentuberkolose. André Meyer

"Peterchens Mondfahrt" mit Illustrationen von Bartuschek

„Peterchens Mondfahrt“ mit Illustrationen von Bartuschek

Der Librettist: Gerdt von Bassewitz gehört heute sicherlich zu den unbekannten Autoren der deutschen Literaturgeschichte. Einzig sein 1912 in Leipzig uraufgeführtes, später zur Erzählung umgearbeitetes Märchenspiel Peterchens Mondfahrt  ist heute noch bekannt. Von Bassewitz wurde am 4. Januar 1878 in Allewind im Landkreis Hermaringen in Baden-Württemberg als Sohn eines preußischen Beamten geboren. Bei Kriegsausbruch meldet sich Gerdt von Bassewitz 1914 freiwillig zur Armee und dient – wegen seines Herzfehlers als „bedingt garnisionsfähig“ eingestuft – zunächst an der Westfront, bevor er nach einer Kur in Nauheim, wo das Märchenspiel Pips, der Pilz entstand, das gleichfalls in Leipzig uraufgeführt wurde, 1915 auf eigene Bewerbung an die Ostfront versetzt wurde. Während der Zeit in Russland und Polen kommt seine literarische Tätigkeit fast vollständig zum Erliegen. 1916 erleidet er schließlich einen Nervenzusammenbruch. Zur Wiederherstellung seiner Gesundheit geht von Bassewitz nach Königstein, anschließend nach Schluchsee. Der Tod seines Vaters und Familiensorgen führen dazu, dass sich von Bassewitz schließlich in dauernde Behandlung im Sanatorium Neubabelsberg begeben muss. Die in diese Zeit fallende Komposition der Schahrazade durch Bernhard Sekles erwähnt Gerdt von Bassewitz in dem ein halbes Jahr vor der Uraufführung der Oper geschriebenen autobiographischen Brief nicht. Hier beklagt er einzig – wie schon zitiert –, dass sein Drama trotz des Erfolges der Kölner Uraufführung nicht weiter aufgeführt wurde. Dies legt den Schluss nahe, dass er an der Umarbeitung des Dramas zum Opernlibretto nicht beteiligt war. Dennoch muss es Kontakte zu Sekles gegeben haben, die heute durch fehlende Quellen nicht zu belegen sind. Die Tatsache, dass in der zur Münchener Erstaufführung der Oper erschienenen Theaterzeitung Der Zwischenakt einige Aphorismen von Gerdt von Bassewitz veröffentlicht sind, zeugen davon, dass ihm das Opernprojekt, von dem er ja auch aus rein urheberrechtlichen Gründen gewusst haben muss, bekannt war und er sich damit einverstanden erklärt hat. Bis 1923 lebt Gerdt von Bassewitz in Berlin. Zu nennenswerten neuen literarischen Werken kommt es nicht mehr. Zu sehr haben ihn die Kriegserfahrungen geprägt, die er – in einem allerdings nicht mehr zustande gekommenen Band, der im Kurt Wolff-Verlag veröffentlicht werden sollte – verarbeiten wollte. Am 6. Februar 1923 begann Gerdt von Bassewitz 45jährig in Berlin Selbstmord, angeblich nach einer Vorlesung von Peterchens MondfahrtAndré Meyer

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Zum Inhalt/Vorgeschichte – Erster Akt: Die Frau des Kalifen Schahryar betrügt ihren Mann während dieser auf der Jagd ist. Der zu tiefst verletzte Mann, dessen Glaube an die Tugendhaftigkeit der Frauen erschüttert ist, lässt seine Gemahlin hinrichten und schwört, künftig jede Nacht mit einer anderen Frau zu verbringen und diese am nächsten Morgen ebenfalls dem Henker zu übergeben, damit er nicht abermals von einer Frau betrogen werden kann. Seinem Großwesir Said-Fares erteilt er die Aufgabe, ihm Nacht für Nacht eine neue junge Frau zuzuführen. Befriedigung findet Schahryar in den Nächten nicht.

Zweiter Akt: Der Palast des Großwesirs außerhalb der Stadt. Seit vielen Jahren hält der Said-Fares seine Töchter Schahrazade und Dunyasarde hier versteckt. Sklavinnen versuchen die schwermütige Schahrazade, die den Sinn ihres Lebens noch nicht gefunden hat, mit ihrem Gesang zu zerstreuen. Auch ihre jüngere Schwester versucht sie aufzuheitern, in dem sie vor ihr tanzt. Die ausgelassene Stimmung wird durch das Erscheinen des Großwesirs unterbrochen, der Schahrazade den Kaufmann Musair vorstellt. Um sich und seine Töchter vor dem Zugriff des Kalifen zu entziehen, plant Said-Fares, das Land auf Musairs Schiffen zu verlassen und diesen mit seiner ältesten Tochter zu verheiraten. Er überbringt ihr die Nachricht vom Tode ihres Bruders und weiht sie in seine geheimen Fuchtpläne ein. Erstmals hört Schahrazde von ihm von dem Schwur des Kalifen, jede Nacht eine andere Jungfrau zu ehelichen und diese am folgenden Morgen hinrichten zu lassen. Gleichzeitig erfährt sie von der Schuld ihres Vaters, der Nacht für Nacht Schahryar die jungen Frauen zuführt und ihre Ermordung veranlassen muss. Zu dessen Entsetzen lehnt Schahrazade, die den Sinn ihres Lebens gefunden zu haben glaubt, den Antrag Musairs ab und beschließt, selber zu Schahryar zu gehen, um entweder wie die anderen Frauen zu sterben oder ihn von seinem Fluch zu erlösen. Said-Fares gelingt es nicht, sie umzustimmen.

"Scharahzade" mit Gerd Vogel, Anke Berndt/Falk Wenzel/BH

„Scharahzade“ mit Gerd Vogel, Anke Berndt/Falk Wenzel/BH

Dritter Akt: Erstes Bild/ Am nächsten Morgen. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich am Hof die Nachricht, dass die Tochter des Großwesirs sich dem Kalifen selbst als Opfer darbringen will. Said-Fares aber, der seine Tochter in den Palast begleitet hat, beschließt, Schahryar zu ermorden, um Schahrazade zu retten. Der Kalif begegnet Schahrazade mit Erstaunen, da in den vergangenen drei Jahren nie eine Frau freiwillig zu ihm gekommen ist. Dennoch wird sie ihr Mut, so warnt er sie, nicht vor dem Schicksal der anderen Frauen bewahren, da er seinem Schwur treu bleiben will, auch wenn er ihn nach drei Jahren als Last empfindet. Schahrazade gesteht ihm ihre Liebe. Der überrumpelte Schahryar verspricht Schahrazade, ihr vor ihrer Hinrichtung am nächsten Morgen einen Wunsch zu erfüllen. Einzig ihr Leben ist von diesem Versprechen ausgenommen. Diese bittet, sich vor ihrem Tod von ihrer Schwester und ihrem Vater verabschieden zu dürfen. Zweites Bild: Bei Tagesanbruch im Schlafgemach des Kalifen. Scharazade und Schahryar haben die Nacht miteinander verbracht. Erstmals nach drei Jahren hat er wieder Befriedigung in der Begegnung mit einer Frau gefunden. Während er schläft, denkt Schahrazade an die vergangene Liebesnacht. Schahryar, der erwacht, sich aber schlafend stellt, hört ihr Liebesgeständnis und sieht, wie Schahrazade ihren Vater, der mit Dunyazade gekommen ist, um Abschied zu nehmen, daran hindert, ihn zu ermorden. Ohne das Attentat mit einem Wort zu erwähnen, begrüßt der sich nun als wach zu erkennen gebende Kalif Said-Fares und seine jüngere Tochter, die Schahrazade Schahryar vorstellt. Dunyazade, die die Vorgänge nicht versteht, bittet ihn, dass ihre Schwester ihnen ein Märchen erzählten soll. Der Kalif willigt ein. Schahrazade beginnt, zu erzählen. Dem Henker aber, der kommt, um Schahrazade zu holen, deutet Schahryar zu gehen. André Meyer

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An den Bühnen Halle gab es nun die Premiere der Oper am 30. November 2013 (Musikalische Leitung Josep Caballé DomenechInszenierung Axel Köhler; Bühne  Arne Walther; Kostüme Henrike Bromber;  Choreinstudierung Jens Petereit; mit Schahryar/Gerd Vogel; Said-Fares/Ki-Hyun Park; Omar/Ralph Ertel; Schahrazade/Anke Berndt; Dunyazade/Ines Lex;  Saad,Tochter eines Emirs/Banjospielerin/Theresa Dittmar; Musair, ein Kaufherr aus Balsora/Det Kämmerer/  Thomas Möwes; Der Obereunuch/ Nils Giesecke; Der Schatzmeister/Olaf Schöder; Der Oberstallmeister/ Ulrich Burdack u. a.)

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Die voranstehenden Texte entnahmen wir dem Programmheft zur Neuproduktion der Oper an den Bühnen Halle mit sehr liebenswürdiger Genehmigung des Autors: André Meyer. Er ist dort der Musikdramaturg. Dank auch an die Bühnen Halle/Susanne Schäfer und den Fotografen Falk Wenzel für die Überlassung des Materials und der Fotos der Hallenser Produktion. Redaktion G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.