„Wer ist so feig, der jetzt noch könnte zagen“

Stephan Märki und das Weimarer Modell  oder Der Kampf um ein Theater: Nicht um den Kampf der Schweizer gegen die Habsburger Fremdherrschaft geht es trotz des Zitats aus Schillers Wilhelm Tell in diesem Buch, sondern um den Kampf des Schweizer Intendanten Stephan Märki um den Bestand des Weimarer Nationaltheaters, das er zwölf Jahre lang leitete, ehe er 2012 nach Bern wechselte. Ihm und seinem „Weimarer Modell“ ist es zu verdanken, dass das traditionsreiche Haus, vor dem die Statuen von Goethe und Schiller stehen und in dem die erste demokratische Verfassung Deutschlands erarbeitet wurde, nicht zugunsten der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt abgewickelt wurde oder zumindest die Sparte Oper und damit die Staatskapelle verlor.

Nicht den engen Mitarbeitern sind die klarsten Aussagen über die Intendanz Märkis zu verdanken, sondern einem Juristen, einem Manager (Alexander von Witzleben)  und einem Journalisten (Hans Hoffmeister, wegen seiner Verdienste um den Erhalt des Hauses dessen Ehrenmitglied). Peter Raue, der den Vertrag für Märki aushandelte, beschreibt eindrucksvoll, wie Märki bereits in Potsdam versucht hatte, das dortige Musiktheater zu retten, wie er in Weimar eine Podiumsveranstaltung organisierte,  an der auch Richard von Weizsäcker und Antje Vollmer teilnahmen, und wie einen Tag danach der Stadtrat sich gegen die Pläne der Landesregierung, die Fusion beider Theater,  entschied. Raue ist es auch, der klar und  nachvollziehbar erläutert, welches die Grundelemente des Weimarer Modells sind, so der Austritt aus der Tarifgemeinschaft, die Einführung eines Prämiensystems  und die Verpachtung des Theaters durch die Stadt an die GmbH, zu der das Theater, das ab 2008 Staatstheater und damit finanziell gesichert ist,  umgestaltet wurde. Für Erfurt fiel mit dem wohl letzten deutschen Neubau  eines Opernhauses dank des Prestigestrebens der Landesregierung  auch ein dicker Brocken ab.

Den weitaus umfangreichsten Teil des Buches gestaltete Thomas Schmidt, seit 2003 Geschäftsführender Direktor des Nationaltheaters, der unter dem Titel „“Whatever works – ein Abschied in acht Sequenzen“ mit recht geschmäcklerischen Titeln, denen jeweils noch ein Vers voran gestellt ist, über die Zusammenarbeit mit Märki berichtet. Dabei erfährt man eigentlich mehr über den Verfasser und seine Verfassung als über den zu Würdigenden.  Immerhin liest man nicht nur etwas über den (von Schmidt) selbst aufgebrühten Tee und die schwarze Schlafcouch im Intendantenzimmer, auf der er (Schmidt) träumte, etwas, sondern auch über die wichtigsten Produktionen wie den Ring unter St. Clair, über Faust, den auf dem Rütli stattfindenden Wilhelm Tell, über Jenufa und  Lady Macbeth von Mzensk. Zwei Opern inszenierte Märki selbst: Tosca und Elektra.

Unter den vielen Autoren, die mal mehr Märki, mal mehr sich selbst würdigen, sind der Dramaturg und Operndirektor Karsten Wiegand, viele, die sich zu Schauspiel und Tanztheater äußern und hier nicht berücksichtigt werden,  Opernregisseur Michael Dißmeier, der u.a. über das spontane Engagement von Catherine Foster und die Tosca-Produktion berichtet, sowie Martin Hoff, der dies über die der Elektra tut, und der Gefeierte trägt selbst unter dem Titel „Das Prinzip Chefdramaturge – Geschichten einer Liebe“ zu dem Buch bei. Michael Schulz schreibt über das Weimarer Modell und über das Sängerensemble seiner Opernproduktionen wie des Don Carlo. Auch die Dirigenten der Ära Märki wie George Alexander Albrecht kommen zu Wort. Sogar in Tell nachempfundener Versform würdigt Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, den Scheidenden. Zwei Damen von den Grünen waren ebenfalls seine Mitstreiterinnen: Antje Vollmer und Katrin Göring-Eckardt und verbanden den Einsatz für Weimar mit dem Schätzenlernen des ehemaligen rasanten Rennfahrers als besonnenen Theaterleiter. Zum Schluss kommt noch einmal Thomas Schmidt mit „Zehn letzte Fragen“ zu Wort und erfährt auch viel Privates von Märki.  Als wichtiger jedoch bleiben die politischen und künstlerischen Aussagen im Gedächtnis, besonders dort, wo Politik und Kunst und das Ringen um Letztere gegen Erstere stattfinden. Ein sehr umfangreicher Bildteil macht das Buch noch wertvoller. Der Anhang bietet eine umfassende Chronik von Inszenierungen und Konzerten sowie ein Verzeichnis aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Theater der Zeit ISBN 978-3-942449-44-1).

Ingrid Wanja