Archiv für den Monat: April 2025

Nicht überzeugend

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Zwischen Sankt Veit an der Flaum, Fiume und nun Rijeka schwankt der Name der heute kroatischen Stadt, die die Ungarn Szentvit nennen und die ihre Beherrscher genau so oft wie ihren Namen wechselte. Die Römer kämpften hier bereits gegen die Illyrer, Napoleon I. schlug sie dem italienischen Reich seines Stiefsohns Eugen Beauharnais zu, der Wiener Kongress gab sie an Österreich, das es ab 1887 von den Ungarn verwalten ließ, nach 1918 und dem Zerfall des Habsburgerreichs verwalteten die Alliierten die Küste. Da die Hälfte der Einwohner und zwar die Elite aus Italienern bestand, wollte der italienische Dichter D’Annunzio der endgültigen Entscheidung der Sieger zuvorkommen und besetzte mit einer Schar Freiwilliger das Gebiet, das bis 1945 so weit italienisiert wurde, dass schließlich 80 Prozent der Bevölkerung aus Italienern bestand, die nach 1945 nach Italien flohen oder vertrieben wurden. Tausende wurden in den Foibe, Karsthöhlen oberhalb Triests, von Tito-Anhängern ermordet.

Abwechselnd österreichischen, italienischen und slawischen Einflüssen war auch der Komponist Antonio Smareglia, ein Freund Boitos, unterworfen, dessen Oper Nozze Istriane in Triest, das auch heute noch österreichische Einflüsse nicht verleugnen kann, uraufgeführt wurde. Über diese Oper gibt es in Operalounge bereits einen Artikel, der natürlich immer noch zugänglich ist. Inzwischen gibt es aber eine neue Aufzeichnung des Verismoeinflüsse, aber auch Spuren kroatischer Volksmusik verratenden Stücks, und zwar interessanterweise aus dem Theater von Rijeka.

Es geht um ein seine Liebe noch geheim haltendes Paar, dem durch eine Intrige vorgegaukelt wird, der jeweilige Partner habe Verrat geübt, die Braut soll mit einem gutgläubigen, dem Vater eher genehmen Bauernsohn verheiratet werden, der sogar zum Verzicht bereit ist, als er von den Gefühlen seiner Erwählten erfährt, aber durch den Jähzorn seines Rivalen herausgefordert, sieht er sich gezwungen, diesen zu erstechen. Das Werk beginnt mit einem dräuenden, nichts Gutes erwarten lassenden Unwetter und endet mit der Klage der Heldin um den toten Geliebten.

Die Musik verfügt über alle Qualitäten des italienischen Verismo, lässt slawische Volksmusik erahnen, und das Rijeka Symphony Orchestra unter Simon Krečič kann in der Sinfonia durchaus beachtliche Qualitäten zeigen, wird dann aber, sobald Stimmen dazu kommen, sehr zurückhaltend wie auch der Rijeka Opera Chorus, der eher wie beiläufig eingreifend erscheint, was alles wohl der mangelnden Durchsetzungskraft einiger Mitwirkender geschuldet ist. So werden die Stimmen umschmeichelt, das häufige Parlando auf akustischen Händen getragen.

Marussa, das schöne Bauernmädchen, wurde einst von einer Leyla Gencer oder der Dauer-Aida der Arena di Verona, Maria Chiara, gesungen. Daneben ist das von Anamarija Knego nur ein Soubrettenstimmchen mit beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten, sich in der Höhe verengend, kindlich, mit einem fil di voce singend, aber immerhin geschmeidig und lieblich in lyrischen Gefilden. Überfordert erscheint der Sopran aber in seinen Zornausbrüchen, da hätte man sich eher Santuzza-Qualitäten gewünscht. Die unwissentlich ins Komplott verstrickte Luze von Stefany Findrik steuert ein sanftes Mezzosäuseln zum Drama bei. Giorgio Surian als Vater der Braut lässt erahnen, wie das Werk beim Einsatz erstklassiger Kräfte klingen könnte. Eher weinerlich als melancholisch ertönt der Tenor von Jorge Puerta, aus dem auch das gute Legato keinen stürmischen Liebhaber machen kann. Der Intrigant Biagio klingt in der Darstellung Filippo Polinellis recht schütter, der nicht genehme Bräutigam Nicola ist Jure Počkaj anvertraut und erfreut durch gute Diktion und Phrasierung, verfügt über einen weich und geschmeidig klingenden Bariton.  (cpo 555 686-2). Ingrid Wanja

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.PS.: Aber es gibt ja noch weitere und überzeugendere Aufnahmen der Oper. Vor allem bei Bongiovanni der auch klanglich mehr als anständige Mitschnitt aus Triest von 1972 mit der leuchtenden Maria Chira und dem bekannten Tenor Ruggero Biondino, dazu Alessandro Cassis und weitere unter der straffen Leitung von Manno Wolf-Ferrari (immerhin) ist ein gültiges Dokumnent des Werke. Auch die spätere Aufnahme, ebenfalls aus Triest bei Bongiovanni von 1999, mit der sich verzehrenden Svetla Vassileva, dazu Ian Storey unter Tiziano Severini, tut der Oper einen rauschenden Gefallen.

Dazu kommen zwei Radioaufnahmen mit eindrucksvollen Besetzungen: Bei der Rai gab es Renata Mattioli, Guido Mazzini Und Luigi Rumbo unter Pietro Argento in Mailand 1961 sowie 2023 in Castell´Arquato eine weitere Aufführung unter Jacopo Brusca mit Sarah Tisba, Graziano Dallavalle und Filippo Polinelli (wie auf der cpo-Einspielung hier auch blass) in den Hauptrollen, ebenfalls als Mitschnitt.

Zudem gibt es bei uns einen langen Artikel zum Werk als Vergessene Oper. Ebenfalls in dieser Reihe findet sich zu Smareglia ein Artikel zu seinem Vasallo di Szigeth. G. H.

Suche nach Licht und Schatten

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Es braucht eine gehörige Portion Ausdauer, ein musikalisches Vorhaben in dieser schnelllebigen Zeit auf vier Jahre anzulegen – und zwar auf Konzertpodien und im Studio. 2028 wird der 200. Todestag von Franz Schubert begangen. Im Hinblick darauf brachten der Bariton Samuel Hasselhorn und sein Pianist Ammiel Bushakevitz bereits im Herbst 2024 ihre Schöne Müllerin heraus (HMM 902720). Mit der CD „Licht und Schatten“ folgte jetzt der zweite Titel (HHM 902747). Bis 2028 sollen Winterreise und Schwanengesang vorliegen. Das Projekt richtet sich nach Angaben des Labels an eine neue Generation des Lied-Publikums und widmet sich der Frage, inwieweit Schuberts Lieder für unser Leben im 21. Jahrhundert relevant seien und wie diese Verbindung hör- und erfahrbar gemacht werden könne. Schubert starb am 19. November 1828 einunddreißigjährig in Wien. „Wir unternehmen den Versuch, in jene Zeit zurückzukehren und uns der Lieder von Schubert genau 200 Jahre nach ihrer Entstehung anzunehmen“, lassen Hasselhorn und Bushakevitz ihr Publikum im Booklet der Neuerscheinung wissen. „Unser harmonia-mundi-Projekt lädt also nicht nur zu einer Reise in die Vergangenheit ein, sondern blickt auch in die Zukunft!“ Es bleibt also spannend.

Lenkt die Müllerin zumindest scheinbar ins Freie und auf Wanderschaft, entstanden die meisten Lieder der neuen CD abseits der Schubertschen „Sommerfrischen während der Winter- und Frühjahrsmonate“ der Jahre 1824 und 1825 in Wien, wie der Musikwissenschaftler Roman Hinke im Booklet vermerkt. Somit fallen sie in der Spätphase des Schaffens. „Ihre Themen kreisen vordringlich um die zeittypischen Motive Sehnsucht und Einsamkeit, berühren dabei aber auch die grundlegenden Aspekte der Ichsuche, des metaphysischen Verhältnisses zwischen Mensch und Natur, zwischen Individuum und Ganzheit der Welt.“ Dabei würden Licht und Schatten eng ineinandergreifen. Hasselhorn und sein Begleiter, der auch mit einigen passend ausgewählten Klaviersolostücken – Länder und Deutsche Tänze – in Erscheinung tritt, versuchen sich in der kontrastreichen Darstellung dieses aufregenden Wechselspiels. Ihre thematisch inspirierte Programmgestaltung erweist sich erneut als Mehrwert an sich. Die Auswahl macht‘s. Nummern werden nicht vornehmlich nach dem stimmlichen Vermögen und den persönlichen Neigungen des Solisten ausgewählt wie das bei den meisten historischen Einspielungen Brauch gewesen ist. Vielmehr sollen die inhaltliche Zusammenhänge und Bezüge zwischen den Liedern deutlich, das Wissen um den Komponisten und sein Werk vertieft werden. Das hat auch seinen Preis.

Hasselhorn zögert nicht, ihn zu zahlen. Denn einige Titel habe es in sich. Gleich an dritter Stelle begibt er sich mit dem Lied bei Die Allmacht, für das er gut fünf Minuten braucht, an hörbare Grenzen, was gewollt zu sein scheint. Mutig testet er sich aus. Für Ausdruck wird Schöngesang geben. Und auch aus dem Flügel hat man selten so berstende Töne vernommen: „Groß ist Jehova, der Herr! Denn Himmel und Erde verkünden seine Macht!“ Dass Hasselhorn seinem Wesen nach ein sehr sensibler und feinsinniger Interpret ist, davon legt der weitere Programmverlauf reichlich Zeugnis ab. Obwohl seine Stimme dramatischer und größer geworden scheint, erweisen sich die lyrischen Stücke und entsprechende Passagen nach wie vor als sein eigentliches Terrain. Im Abendrot oder Wandrers Nachtlied II? Das Publikum dürfte sich kaum entscheiden können, welches Lied von beiden nun mehr zu Herzen geht.

Franz Schubert/OBA

Es ist guter Brauch geworden, dass junge Sänger ihre Aufnahmen mit ganz persönlichen Gedanken versehen. Nicht selten lassen sie dabei in ihr Innerstes schauen. Hasselhorn, Jahrgang 1990 ist so einer. Er hat kein Problem damit, auch über seine Gefühle zu sprechen, wenn er den literarischen Figuren, die er darzustellen hat, in ihren Handlungen, Sehnsüchten, Nöten, Ängsten und Glückmomenten, die meist nur selten von Dauer sind, nachspürt. Das fiktive lyrische Ich der Dichtungen wird sozusagen wörtlich genommen und konkretisiert. Das unterscheidet diese junge Generation von ihren meisten berühmten Großeltern-Kollegen. Fischer-Dieskau – um dieses Beispiel zu nennen, das noch immer herangezogen wird, wenn es um Liedinterpretationen geht, hätte den Jahren nach immerhin schon der Urgroßvater von Hasselhorn sein können. So hat er im Müllerin-Booklet auf die lange Zeitspanne zwischen der Entstehung der Lieder und unserer Gegenwart verwiesen – und die Frage gestellt: „Was hat das mit mir, mit uns zu tun?“ Ihm persönlich sei der Zugang zu der Geschichte von dem Müllerburschen, der sich Hals über Kopf in die Tochter des Müllers verliebt, die aber seine Liebe nicht erwidert, stets relativ schwer gefallen. „Irgendetwas kam mir immer ein wenig seltsam vor, nicht wirklich greifbar. Über die weibliche Figur erfährt man kaum etwas: Wir wissen nur, dass sie blonde Haare und blaue Augen hat.“ Mehr nicht. Lasse man die recht konventionelle Dreiecksgeschichte vom Jüngling, der ein Mädchen liebe, das aber einen andern erwählt habe, beiseite, erscheine zwischen den Zeilen eine ganz andere Lesart. Die männliche Figur bleibe allein zurück, der erhofften Liebe und Anerkennung beraubt. Jenseits der ein wenig simplen Geschichte von einer verschmähten Liebe gehe es indirekt nämlich um gesellschaftliche Ausgrenzung. Wer nicht den geltenden Normen entspreche, werde wegen seiner Individualität und damit seines ,Andersseins‘ ausgeschlossen, und an dieser sozialen Isolierung verzweifele er schließlich. „Vielleicht haben gerade deshalb diese vor 200 Jahren entstandenen Lieder für uns im 21. Jahrhundert nichts von ihrer Aktualität eingebüßt“, so Hasselhorn. Das mag ein wenig offiziell klingen, aber es ist nun mal so.

Hasselhorn singt gerade in der Müllerin wie von sich. Mit Empathie und sehr viel Einfühlungsvermögen dringt er regelrecht in die Lieder ein, lässt keinen noch so verborgenen Winkel aus. Nichts entgeht ihm. Wenngleich manches auch spontan daher kommt, dürfte jede musikalische Lösung genau kalkuliert und vorher erprobt worden sein. Er spielt gekonnt mit dem Tempo, zieht es an, wenn es ihm angezeigt scheint, um dann wieder wie auf der Stelle zu treten, weil es in ein bestimmtes masochistisch angehauchtes Detail so verlangt. Dass dies nur durch ein vertrauensvolles Zusammenspiel mit dem Pianisten Ammiel Bushakevitz möglich ist, versteht sich von selbst. Beider Vortrag wirkt schlüssig und sicher. Und doch bewegt sich Hasselhorn auf dieser Wanderung in den Tod in einer Art Rausch. Von Beginn an steht fest, dass es kein gutes Ende nehmen wird mit diesem Wandergesell. Sein oft betont männlich wirkender Bariton, der ihn älter erscheinen lässt als er in Wirklichkeit ist, zeichnet sich durch eine hohe Flexibilität aus. Stimmliche Grenzen werden nicht so stark berührt wie in der neuen CD. Er ist grundsätzlich sehr gut zu verstehen. Nicht, dass Hasselhorn in seiner Interpretation den Faden verlöre. Nein, das nicht. Es fällt aber auf, dass manche Lieder dieses Zyklus durch zu viele interpretatorische Zutaten und Nuancen zur Vereinzelung neigen, sich zu sehr aus dem Großen und Ganzen herauslösen. Gewisse opernhafte Züge greifen im Ausdruck, in Spiel mit den Worten Platz. Die Lieder werden nicht mehr nur gesungen – sie werden aufgeführt. (Das große Foto oben ist ein Ausschnitt des Cover-Bildes von Uwe Arens). Rüdiger Winter

Jan Stefanis „Krakauer und Hochländer“

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Hauptstädter und Bewohner anderer Regionen sind sich häufig nicht grün. Von solchen Animositäten erzählt Jan Stefanis Oper Das vermeintliche Wunder oder Krakauer und Hochländer, welche das Verhalten der Polen vor zwei hundert Jahren offenbar so genau einfing, dass sie noch heute gespielt wird. Das mehr als 200-Seiten dicke Beiheft der wie stets ausgesprochen wertig im kleinen Buch-Hardcover verpackten Aufnahme, mit der das Warschauer Chopin Institut die 2017 entstandene Aufnahme eines Singspiels präsentiert, das den Anfang einer polnischen Oper markiert, weiß erstaunlich wenig über Jan Stefani zu berichten.

Das fängt schon beim Geburtsdatum an. Die Aufnahme (NIFCCD 80-81) nennt als Geburtsdatum des Komponisten 1750. Wikipedia und andere Quellen berichten, dass er bereits 1746 geboren wurde. Das Datum seines Todes scheint mit dem 23. Februar 1829 festzustehen. Im betreffenden Text heißt es, Stefani sei ein böhmischer Geiger und Komponist aus Prag gewesen zu sei, der in Warschau als Orchesterleiter am Nationaltheater und an der Kathedrale wirkte und überhaupt sein gesamtes Leben in Polen verbrachte und sich tief in Kultur und Traditionen einlebten. Das ist insofern wichtig, da seine Oper Das vermeintliche Wunder oder Die Krakauer und die Hochländer noch vor Moniuszkos Werken bewusst nationale Tänze und Traditionen einband und der lokalen Vielfalt huldigt. Bereits im frühen 17. Jahrhundert wurden in Polen italienische Opern am Hof in Krakau aufgeführt, worauf zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Warschau die Eröffnung eines öffentlichen Opernhauses folgte und es unter Stanislaus II. neben der Förderung der italienischen Oper bereits zur die Propagierung einer landessprachlichen Oper kam, für die Maciej Kamienskis Glück im Elend (1778) steht. Einflussreicher war Stefanis am 1. März 1794 uraufgeführte Oper, die wie Kamienskis Werk gesprochene Dialoge enthält und bis heute aufgeführt wird, gerne auch von kleinen und Amateurtruppen.

Wojciech Boguslawski, Dichter und Librettist für Jan Stefanis „Krakowiacy i górale“/Wikipedia

Wichtiger als der Komponist ist in Polen der Dichter Wojciech Boguslawski (1757-1829), Begründer einer Theaterdynastie, der den Ort der Handlung aus eigenem Erleben kannte: Mühle und Gasthaus neben einem Kloster im heute zu Krakau gehörenden Dorf Mogila. Alles entspricht eigenem Erleben, ist lebendigt, schildert die Figuren lebhaft und porträtiert die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Eine Inhaltangabe gibt es nicht, aber ein polnisch-englisches Libretto. Der alte Müller Bartlomiej hat eine junge Frau, Dorota. Dorota ist in Stach verliebt, den Sohn des Fuhrmanns Wawrzyniec. Stach ist seinerseits in Basia, Bartlomiejs Tochter aus seiner ersten Ehe, verliebt ist und wird von dieser ebenfalls geliebt. Aus purer Niedertracht versucht Dorota, die vor langer Zeit geplante Hochzeit Basias mit dem Hochländer Bryndas voranzutreiben, der just mit seinen Leuten vorbeischaut, um die alten Absprachen einzufordern. Dem Studenten Bardos gelingt es, den wegen der Absage der Hochzeit wütenden Bryndas und seine ebenso aufgebrachten Hochländer-Freunde zu besänftigen, Stach und Basia zusammenzubringen und die Beziehung Dorotas zu Bartlomiej zu kitten.

Eine Szene aus dem Stück „Krakowiacy i górale“, Nationaltheater in Warschau, Regie und Inszenierung von Leon Schiller, 1950, Foto von Edward Hartwig/National Digital Archives NAC

Die Aufnahme darf sich damit rühmen, das Werk erstmals mit period instruments zu präsentieren. Die Musik wurde im Juli 2017 in Prag aufgenommen, die Sprechtexte im Februar des folgenden Jahres in Warschau. Der Aufnahme unter Václav Luks merkt man den Umstand kaum an. Sie wirkt so springmunter und animiert, wie man es von dieser Abfolge von kurzen Szenen, kleinen Arien, Duetten und Ensembles, Polonaise, Krakowiak, Polka, Mazurka und Marsch der Hochländer erwarten darf, womit – wie es der polnische Originaltitel sagt Krakowiacy i Góraledie Gruppe der Goralen gemeint ist. Eine Schlüsselfunktion kommt dem desillusionierten Studenten Bardos zu, dessen erste Kavatine der Bariton Tomás Král so zart wie ein Erstsemester singt, „Eine harte Welt, eine verdrehte Welt. Alles ist verkehrt. Wertlose Männer, die in Gold schwimmen, ehrliche Männer, die arm und kalt sind“. Jan Martiník trumpft als Hochländer Bryndas mit kraftvoller kerniger Bassfülle auf, Natalia Rubis und der Tenor Krystian Adam geben die jungen Amorosi, zupackender und harscher ist Lenka Cafourková als Dorota, die im ersten Akt eine reizende Polacca hat. Nach dem schlichten Vaudeville-Rundgesang verkünden alle die Essenz von Boguslawskis und Stefanis Spiel im moralisierenden Schlussgesang, in dem es u.a. heißt: „Ehrlichkeit, Treue, Liebe und Einverständnis, mögen sie lange in diesen sanften, bescheidenen Gefilden regieren … Möge die Welt lernen, dass dort, wo das Leben einfach ist, die Tugend immer das reinste Symbol ist.“

Václav Luks, das Collegium Vocale 1704 und Collegium 1704, die Sänger und die hingebungsvoll agierenden Schauspieler lassen uns für einen Moment daran glauben. Rolf Fath

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Jan Stefani: „Krakowiacy i Gorale“/Teatre Wielki Warschau 2024

Dazu auch die Musik-Wissenschschaftlerin Wojciech Boguslawski:  „Cud mniemany; czyli Krakowiacy i Gorale“ [Das vermeintliche Wunder oder Krakauer und Hochländer], das aus den Bedingungen des Augenblicks entstand und fest im dynamischen soziopolitischen Kontext verwurzelt ist, ist seit mehr als zweihundert Jahren eines der beliebtesten polnischen Opernwerke. Auch heute, weit im 21. Jahrhundert, wollen wir dieses Singspiel, das einst den Aufruhr entfachte, noch immer sehen; wir wollen es hören; wir wollen in die Welt eines Dorfes in der Nähe von Krakau eintauchen, wo sich eines Nachmittags unglaubliche und höchst lehrreiche Dinge ereigneten. Sentimentalität? Eine Schwäche für rustikale Folklore? Oder vielleicht ganz einfach und vor allem die Sehnsucht nach den Grundwerten, für die Boguslawski ein kompromissloser Verfechter war. Noch heute, ganze Epochen von der Welt seiner Uraufführung entfernt, ist „Das vermeintliche Wunder“, das aus seinem revolutionären Kontext „extrahiert“ wurde, eine brillante Geschichte – bemerkenswert intelligent in ihrer Einfachheit – über die Werte eines ethischen Lebens, gegenseitigen Respekt und Toleranz, den Vorrang der Tradition sowie den familiären und sozialen Zusammenhalt – und sie ist auch heute noch überraschend aktuell.

Wojciech Boguslawski war zweifellos eine der führenden Persö Wojciech Boguslawski war zweifellos eine der führenden Persönlichkeiten in der Geschichte des polnischen Theaters; man kann sogar mit Fug und Recht behaupten, dass er den ersten Platz unter dieser Elite einnimmt. Um die Jahrhundertwende gab er viele Jahre lang den Ton für das kulturelle Leben der polnischen Nation an, sowohl als ihr Heimatland existierte als auch als sie dieses Landes beraubt wurde. Als Schauspieler, Übersetzer, Dramatiker, Librettist, Regisseur und Impresario war er ein äußerst talentierter Künstler, ein intelligenter Manager und ein gebildeter Mann, der schnell zu einer Autorität wurde, die auf natürliche Weise die gesellschaftliche Meinung prägte, während er gleichzeitig die Gedanken und Gefühle der Gesellschaft in die Sprache der Kunst übersetzte.

Der Komponist Jan Stefani/Wikipedia

Jan Stefani, ein böhmischer Geiger und Komponist aus Prag, war langjähriger Leiter des Orchesters des Nationaltheaters (Teatr Narodowy) in Warschau (das später seinen nationalen Status verlor) und auch Kapellmeister der St.-Johannes-Kathedrale. Er beschränkte sich nicht darauf, wie so oft, ein Bürger eines anderen Landes zu sein, hier in Polen (höchst ehrenwerte!) Arbeit zu finden, eine Familie zu gründen und bis zu seinem Tod im Land zu bleiben. Nein: Er lernte die polnische Kultur und Musik lieben, und es muss eine kluge, tiefgründige und leidenschaftliche Liebe gewesen sein, denn „Cracovians and Highlanders“ ist ein lebendiges, schillerndes musikalisches Porträt Polens und seiner Traditionen. „An Sonn- und Feiertagen reiste er aufs Land, um den Liedern zu lauschen und den Tänzen unseres fröhlichen einfachen Volkes zuzusehen. Er kehrte in die Sta Sonn- und Feiertagen reiste er aufs Land, um den Liedern zu lauschen und den Tänzen unseres fröhlichen einfachen Volkes zuzusehen. Er kehrte in die Stadt zurück und setzte sich, noch mit einer der ländlichen Melodien im Kopf, hin und vertonte sie nach Boguslawskis Libretto“ (Kazimierz W. Wojcicki, Cmentarz Powqzkowski [Powozki-Friedhof], Band I). Aus Krakowiaks, Mazurs und Highland Dances, die auf Originaltänzen und -liedern basieren, webte Stefani ein edles Gewebe, das in der Volkskultur verwurzelt ist und aus dem auch die Hochkultur hervorgeht; mit leichter und raffinierter Hand konstruierte er ein klassisches Singspiel, das diesem Kulturkreis eigen ist und mit den besten Werken dieses Genres konkurriert, das zu dieser Zeit in Europa populär war.

Jan Stefani: „Krakowiacy Cud mniemany czyli Krakowiacy i Gorale“/ Film 1947/ Wikiwand

So kommen zwei herausragende Persönlichkeiten für ein Werk von besonderer Bedeutung zusammen, das in Bezug auf Propaganda von entscheidender Bedeutung ist und zu Recht als eines der wichtigsten Instrumente der sozialen Agitation am Vorabend des Kosciuszko-Aufstands angesehen wird – zwei Männer, für die das Polentum ein Medium der höchsten Werte war. Die zweite Teilung Polens im Jahr 1773 wird als düsterer Vorbote der bevorstehenden Nöte und Unsicherheiten angesehen. Die letzte, dramatische Hoffnung wird in einen Aufstand gesetzt, eine Massenbewegung, an der auch die unteren sozialen Schichten teilnehmen. Die Premiere von „Die Krakauer“ am 1. März 1774 beweist, dass die Hoffnungen der einen und die Verdächtigungen der anderen hinsichtlich des starken sozialen Einflusses des Werkes völlig gerechtfertigt waren. Das Publikum war begeistert, forderte Zugaben bestimmter Szenen und reagierte euphorisch auf aufeinanderfolgende Anspielungen, die im Text und in der Musik verschlüsselt waren. Das angebliche Wunder erwies sich als zu gefährlich, und nach der dritten Aufführung verbot die Zensur jede weitere. Es war zu spät. Das Werk hatte seine politische Funktion bereits erfüllt; die Botschaft hatte sich wie ein Lauffeuer im Gebiet der alten Republik verbreitet.

Am Teatre Wielki Warschau: 1950 – nagroda państwowa I stopnia dla Władysława Daszewskiego za całokształt twórczości, a w szczególności za plastyczne opracowanie sztuk Teatru Narodowego w Warszawie Jegor Bułyczow i inni Maksyma Gorkiego w reżyserii Władysława Krasnowieckiego oraz Krakowiacy i Górale Wojciecha Bogusławskiego w reżyserii Leona Schillera

Doch es war noch viel mehr geschehen: Ein Singspiel über kulturelle Konflikte, über eine mit einem Happy End gesegnete Liebe und über das Gefühl, in Frieden zusammenzuleben, fand einen festen Platz in den Herzen der Polen und erlangte in den Jahren der Versklavung, als das Wort „Vaterland“ nur eine sehnsüchtige Vorstellung war, eine besondere Bedeutung. Es scheint, dass die Gedanken von Boguslawski und Stefani weit über unmittelbare politische Ziele hinausgingen. Ahnte Boguslawski, ein Intellektueller, der eine wichtige Persönlichkeit in Freimaurerkreisen war, die Unausweichlichkeit des historischen Verlaufs der Ereignisse und schrieb er angesichts der Aussicht auf das, was viele Menschen befürchteten, aber nur schwer glauben konnten – die Auslöschung Polens von der Landkarte Europas – nicht eine kraftvolle, leidenschaftliche Botschaft für seine Nation? Einem solchen Eindruck ist schwer zu widerstehen.

Wie bereits erwähnt, hat „Das vermeintliche Wunder“ die Struktur einer klassischen Parabel – einer Parabel auf vielen Ebenen. Boguslawski, ein Meister der Bühne, plante das Drama nach allen Grundregeln des Theaters und verwebte verschiedene Handlungsstränge auf virtuose Weise miteinander. Es gibt mehrere Konfliktsituationen, die sich gegenseitig bedingen. In einem Dorf in der Nähe von Krakau ist Stach (auf Gegenseitigkeit beruhend) in Basia verliebt; Dorota liebt (unerwidert) Stach; Dorota ist die junge Frau des alten Bartlomiej, Basias Vater, und somit auch Basias Stiefmutter. Aus Eifersucht und teilweise aus purer Boshaftigkeit versucht sie, die lang geplante Hochzeit zwischen Basia und Bryndas, einem Hochländer, der gerade mit einer ganzen Gruppe von Hochlandjungen und -mädchen angekommen ist, durchzusetzen, um Anspruch auf das Mädchen zu erheben, das sich ihm versprochen hatte. Er denkt nicht daran, sie aufzugeben: Versprechen müssen gehalten werden, und das schöne Mädchen hat ihn sehr in Versuchung geführt. Hilfe für Basia und Stach kommt unerwartet von Bardos, einem Studenten, der wegen seiner Schlauheit und seiner scharfen Zunge der Universität verwiesen wurde. Bardos ist vom Leben desillusioniert.

Jan Stefani „Krakowiacy“/ Künstlerisches Archiv des Theaters. J. Słowacki Krakau 1928/ Teatre Krakowie

Ehrlichkeit, Treue, Liebe und Einverständnis, mögen sie lange in diesen sanften, bescheidenen Gefilden regieren; möge die Mode unter ehrlichen Männern niemals unsere Köpfe verdrehen oder unsere Herzen verderben … Möge die Welt lernen, dass dort, wo das Leben einfach ist, die Tugend immer das reinste Symbol ist.

Diese Worte enthalten die Essenz der Idee, die dem gesamten Werk zugrunde liegt. Dennoch wäre es ein Fehler, „Das vermeintliche Wunder“ als einfache Lobrede auf Folklore, das Landleben und traditionelle Sitten und Gebräuche zu interpretieren.

Boguslawski verweist auf grundlegende soziale Werte und gibt der Nation, die er in großer Gefahr sieht, einen unschätzbaren Hinweis darauf, wie sie ihre Kultur schützen, ihre Kontinuität sichern und damit – nicht durch Waffen oder gewaltsame Revolten, sondern durch bewusstes und konsequentes Handeln, das möglicherweise Jahrzehnte andauert, ihr Überleben als zusammenhängende Gemeinschaft garantieren kann. Denn es ist die Kultur, die in den besten Traditionen verwurzelt ist, die über das Sein oder Nichtsein der Nation entscheidet; es ist die Kultur, die am wenigsten von politischen, geografischen oder wirtschaftlichen Bedingungen abhängig ist, die das Kostbarste für jede Nation trägt, das, was sie von Generation zu Generation weitergeben kann, was ihre Besonderheit und ihre spirituelle Kraft ausmacht. Die Volkstradition, die den Status eines Eckpfeilers der Kultur erlangt hat, auf dem die Hochkultur aufbaut, wird als reine Form des kreativen Ausdrucks wahrgenommen, als die spezifischste Form der Nation, die Künstler und Gelehrte mit ihrer Einfachheit in ihren Bann zieht – sie wird als unverzichtbares Bindeglied in der kulturellen Kontinuität dargestellt.

Immer und ausnahmslos, insbesondere in Zeiten der Bedrohung und Versklavung, in denen nationale Werte nicht frei gepflegt werden können, ist es die Familie, die den Mittelpunkt für die Bewahrung dieser Werte, der Sprache, der Musik und der Tradition bildet. Der Zusammenhalt und die Stärke der Familie und ihre Unterordnung unter bestimmte Regeln sind vielleicht die einzige Garantie für diese kulturelle Kontinuität, ohne die die Nation ihre Identität verliert.

Jan Stefani „Krakowiacy“/ Ferdynand Trojanowski (Stach), Andrzej Szczepkowski (Bardos). Fot. Edward Hartwig Archiwum Teatru Narodowego Warschau 1950/ Teatre Wielki Warschau

Wenn wir das faszinierende Material dieses weisen und charmanten Singspiels für uns entdecken, fragen wir uns unweigerlich, was Krakauer und Hochländer heute repräsentieren, wenn der Kontext von Unabhängigkeit und Aufstand fast ausschließlich für Historiker und Theoretiker von Interesse ist und die politischen Anspielungen, die für einen Zuhörer des 18. oder 19. Jahrhunderts vom ersten Wort oder musikalischen Satz an verständlich waren, für das heutige Publikum in Polen oft nicht mehr erkennbar sind – ganz zu schweigen vom Publikum in anderen Ländern. Das Singspiel von Boguslawski und Stefani ist außerhalb Polens im Wesentlichen unbekannt. Innerhalb des Landes ist es jedoch nach wie vor sehr beliebt und die aufeinanderfolgenden Produktionen, die meist traditionell inszeniert werden, ziehen ein großes Publikum an. Darüber hinaus scheint die eigentliche Inszenierung – obwohl dies eine heikle Angelegenheit ist – von untergeordneter Bedeutung zu sein: Das Drama (voller Humor) und die Musik sprechen wunderbar für sich selbst: Die klugen, fließenden Verse sind witzig, suggestiv und intelligent; die leichte, anmutige, wunderbare Musik, in perfekter Symbiose mit den Worten, führt die Erzählung auf interessante Weise, fesselt unsere Aufmerksamkeit und unterhält uns. In der Tat ist Cracovians vor allem – und das muss die Absicht von Boguslawski und Stefani gewesen sein – darauf ausgelegt, zu unterhalten, das Ohr (und das Auge) zu erfreuen, die Sinne zu beglücken und uns dabei zum Guten zu bewegen. Es ist als raffinierte Unterhaltung für verschiedene Gruppen gedacht, unabhängig von ihren Bedürfnissen, Erwartungen und Fähigkeiten.

Jan Stefani „Krakowiacy“/Józef Węgrzyn sang die Tenorrolle, hier im Kostüm 1913/ Facebook

Vielleicht sind es gerade diese Farben, dieses klare Wertesystem und diese Einfachheit der Ordnung der Dinge, die Zuschauer und Zuhörer heute besonders ansprechen. In einer Welt, die von Globalisierung und der Hypertechnologisierung im Grunde aller Lebensbereiche durchdrungen ist, in der die Zeit, die man mit seinen Mitmenschen verbringt, um Gedanken und Gefühle auszutauschen, so knapp ist und doch so sehr nachgefragt wird, und in der die Figur der Familie keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit mehr ist, sehnen wir uns vielleicht am meisten danach, in Frieden und Ruhe (trotz allem) einzutauchen, in die Freuden und Leiden des Lebens im Einklang mit dem ursprünglichen Rhythmus der Natur, der uns geziemt. Genießen wir also diese musikalisch-verbale Erzählung, die aus der Perspektive einer Welt, die sich von der Welt, über die Boguslawski und Stefani sprechen und in der sie lebten, grundlegend unterscheidet, fantastisch aktuell bleibt, nicht weniger unterhaltsam und fesselnd, voller Charme und zeitloser Weisheit. Agnieszka Klopocka/DeepL

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Den Artikel von Agnieszka Klopocka entnahmen wir dem Beiheft zur Aufnahme bei NIFF. Redaktion G. H. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.