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Der Italiener Carlo Vistoli ist ein neuer Exklusivkünstler bei harmonia mundi france. Für sein erstes Album bei der Firma versicherte er sich der Mitwirkung der renommierten Akademie für Alte Musik Berlin. Die deutsche Hauptstadt ist für den Countertenor eine Stätte des Erfolges, denn sein Orfeo in Damiano Michielettos Inszenierung der Gluckschen Azione teatrale an der Komischen Oper wurde als Sensation gefeiert.
Das Programm der CD Sacro Furore (HMM 902383), die im Juli 2023 in Berlin aufgenommen wurde, umfasst drei sakrale Werke von Antonio Vivaldi, von denen das Stabat Mater das bekannteste ist. Es wird eingerahmt von der Kantate Nisi Dominus und der Motette In furore lustissimae irae. Erstere bringt in neun Sätzen reiche Abwechslung zwischen schwungvollen und sanften Abschnitten. Sie bietet Vistoli Gelegenheit, seine farbige Stimme und das reiche Ausdrucksspektrum zu demonstrieren. Kein Couinter der aktuellen Alte Musik-Szene besitzt ein derart ausgeglichenes und angenehm zu hörendes Organ. Gleich der brillante Eingangssatz, welcher dem Stück den Titel verlieh, und das folgende „Vanum est vobis“ sind ein starker Kontrast. Eine Komposition von geradezu magischer Wirkung ist „Cum dederit“ mit ihrer suggestiven Schilderung des Schlafes. Von pochenden, fast unhörbaren Akkorden eingeleitet, steigert sich die Musik zu tranceartiger Wirkung, denn der Sänger lässt seine Stimme in betörender Schönheit schweben. Nie wirkt sie angestrengt oder bemüht, behält stets ihre Rundung und den schmeichelnden Wohllaut. Danach gibt es wieder einen Stimmungswechsel bei „Sicut sagittae“, wenn die Streicher fliegende Pfeile imitieren. Hier hört man Vistoli mit energischem Nachdruck – ohnehin verliert seine Stimme nie ihre maskuline Eigenart.
Affektreich kommt der Schluss des Programms daher, denn in furioser Manier schildert die Singstimme in der Motette In furore lustissimae irae die Schrecken des jüngsten Gerichts. Mit düsterer Stimmung und fulminanten Koloraturläufen sorgt Vivaldi für ein plastisches Abbild des Geschehens und Vistoli setzt die Vorgabe mit dramatischem Aplomb und bravouröser Attacke im finalen „Alleluia“ packend um.
Im Zentrum der Anthologie steht das 1712 für eine Kirche in Brescia komponierte Stabat Mater. Es ist Vivaldis frühestes sakrales Werk und schildert den Schmerz der Gottesmutter Maria beim Anblick ihres gekreuzigten Jesu. Die neun Sätze sind durchweg in getragenem Duktus und in der Moll-Tonart verfasst, enthalten an Seufzer erinnernde Akkorde. Vistoli interpretiert das Stück sehr eindringlich mit ernstem, berührendem Ton.
Die Akademie für Alte Musik Berlin musiziert unter ihrem Konzertmeister Georg Kallweit Affekt geladen und hat in drei Konzertstücken auch Gelegenheit für orchestralen Glanz. Das Concerto für Streicher in g-Moll imponiert vor allem durch seinen letzten Satz, Allegro, der wie ein Wirbelsturm vorüber fegt. Die Sinfonia h-Moll „Al Santo Sepolcro“, die nicht im Konzert erklingen soll, sondern im Rahmen eines Gottesdienstes während der Karwoche, besteht aus nur zwei Sätzen – einer langsamen Einleitung (Adagio molto) und einer schnellen Fuge (Allegro ma poco). Auch das Concerto „Madrigalesco“ in d-Moll ist im Stil ernst und dem liturgischen Bereich zugehörig. Solist und Orchester brillieren auf diesem Album, das für Carlo Vistoli ein gelungenes Debüt bei harmonia mundi markiert. Bernd Hoppe