Archiv für den Monat: November 2013

DAS MILITÄR UND DIE FRAUEN…

 

Donizettis Belisario von 1836 ist auf dem Musikmarkt nicht mit einer einzigen kommerziellen Einspielung vertreten, lediglich einige Live-Aufnahmen kursieren, von denen besonders die mit Leyla Gencer von 1969 aus dem La Fenice und 1970 aus Bergamo von Bedeutung sind. Die zentrale Sopranpartie der Antonina gehörte lange zu den cavalli di battaglia der türkischen Sängerin. 1981 sang Mara Zampieri die Rolle am Teatro Colón in Buenos Aires, wovon ebenfalls ein Mitschnitt existiert. Die neue Initiative von Opera Rara entspricht also ganz dem Programm der Firma und schließt eine weitere Lücke im Donizetti-Regal. Das Werk ist in drei Teile untergliedert (Triumph/Exil/Tod) und schildert die siegreiche Rückkehr des Generals Belisario nach Byzanz von einem Feldzug auf der italienischen Halbinsel. Seine Gattin Antonina aber stimmt in den allgemeinen Jubel nicht ein, hält sie ihren Mann doch für schuldig am Tod des gemeinsamen Sohnes Alessi. Mit Eutropio, der ihr Geliebter zu werden hofft, hat sie Dokumente gefälscht, die Belisario des Verrats an Kaiser Giustiniano bezichtigen. Der Beschuldigte muss sein Schwert übergeben und wählt dafür den Gefangenen Alamiro, zu dem er eine besondere Zuneigung empfindet und ihn wie einen Sohn hält. Belisario wurde schuldig gesprochen, geblendet und ins Exil verbannt, wohin ihn seine Tochter Irene begleitet. Auch Alamiro hat die Stadt verlassen, um sich feindlichen Barbarenstämmen anzuschließen. In der Wüste findet er Belisario und Irene durch Zufall wieder – mehr noch, er kann an nachweisen, dass er der tot geglaubte Sohn Alessi ist. Antonina wird inzwischen von Schuldgefühlen geplagt und will ihren Gatten um Vergebung bitten. Dieser wurde jedoch vom Pfeil eines Barbaren tödlich getroffen und kann ihr nicht mehr verzeihen.

Mark Elder steht am Pult des BBC Symphony Orchestra und garantiert ein frisches, vitales Musizieren mit rhythmischem Drive und dramatischer Verve. Die Aufnahme wird deutlich geprägt von ihrer orchestralen Qualität. Denn die Sänger sind wiederum auf unterschiedlichem Niveau. Die Titelrolle singt Nicola Alaimo solide, wenn auch etwas allgemein und nicht mit solch starker Persönlichkeit, wie diese früher Giuseppe Taddei und Renato Bruson einbrachten. Antonina ist Joyce El-Khoury mit interessant getöntem Sopran, geheimnisvoll und schmerzlich umflort, doch streng in der Höhe. Ihre Finalszene, erfüllt von tragischer Erkenntnis (vergleichbar der Abigailles in Nabucco), gestaltet sie eindringlich und intensiv als ergreifendes Porträt, gibt der Cabaletta „Egli è spento“ aber auch den  gebührend bravourösen Umriss. Russell Thomas fällt die Tenorrolle zu, die einmal nicht die des Liebhabers ist, die er aber dennoch mit jugendlichem Elan und Strahl ausfüllt. Seine große Szene zu Beginn des 2. Teils, in der er von der Blendung Belisarios erfährt, zeigt ihn in schmerzlicher Betroffenheit („A sì tremendo“) und erfüllt von Rachegedanken („Trema Bisanzio!“). Antonias Tochter Irene wird von Camilla Roberts mit herbem Sopran wahrgenommen, die Spitzentöne ihrer Auftrittskavatine klingen recht streng und entbehren der jugendlichen Imagination. Im Schmerz erfüllten Duett mit Belisario im 2. Teil findet sie jedoch zu berührenden Tönen und schönen piani, und auch Alaimo vermag hier mit sanfter Stimmgebung zu bewegen. Die Besetzung ergänzen  Alastair Miles mit reifem Bass als Giustiniano sowie Julia Sporsén als Irenes Freundin Eudora, Peter Hoare als Eutropio, Edward Price als Gefängnisaufseher Eusebio und Michael Bundy als Anführer der Barbaren Ottario.

Können die Sänger für sich allein auch nicht mit Ausnahmestimmen aufwarten, so fügt sie Sir Mark doch im 1. Finale mit dessen rasanter Stretta und in der großen Schluss-Szene zu mitreißendem Gesang zusammen. Das hat herrlichen Schwung, pulsierende Dynamik und vorwärts drängende Steigerung. Auch die BBC Singers lassen es unter ihrem Direktor Renato Balsadonna nicht an vokalem Engagement und differenzierter Gestaltung fehlen. Insgesamt – trotz der Einschränkungen – eine empfehlenswerte Aufnahme für alle Belcanto-Freunde,

Bernd Hoppe

 

Gaetano Donizetti: Belisario (N. Alaimo, Miles, El-Khoury, Roberts, Thomas; BBC Singers, BBC Symphony Orchestra, Sir Mark Elder) 3 CD Opera Rara ORC 49

 

 

Ein Sänger bekommt seine Stimme zurück

Mehr hätte auf diese CD nicht gepasst. Neunundsiebzig Minuten und zwei Sekunden Juan Luria – Oper, Lied, religiöse Gesänge Das ist viel. Aber nicht zu viel. Man muss sich darauf einlassen, denn die Aufnahmen sind mehr als hundert Jahre alt, also aus den Kindertagen der Tonaufzeichnung überliefert. Es ist, als tauche man tief hinab in die Vergangenheit. Eine ganz andere Welt, die längst untergegangen ist, tut sich plötzlich wieder auf, lässt Einblicke und Höreindrücke zu. Der 1862 in Warschau als Johannes Lorie geborene Sänger debütierte bereits 1884 an der Wiener Hofoper. Da war an Gustav Mahler als Direktor dieses Hauses noch nicht einmal zu denken.

1890 ging er für eine Saison an der Met nach New York. Von 1891 an lebt er in Italien, wo er unter dem Namen Giovanni Luria 1893 an der Mailänder Scala den Wotan in der italienischen Erstaufführung der Walküre in italienischer Sprache sang. Wieder in Deutschland, ließ er sich in Berlin nieder, reiste zu Gastspielen weiterhin an zahlreiche Opernhäuser und widmete sich schließlich vornehmlich der pädagogischen Tätigkeit.
Juan_Luria1Luria, hoch angesehen und als Königlich Württembergischer Hofopernsänger geehrt, musste sein Vaterland 1937 verlassen, weil er Jude war. Er floh nach Holland, wo er nach der Besetzung durch Hitlers Wehrmacht verhaftet, deportiert und am 21. Mai 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde. Sein Schicksal steht für die Zerstörung der besten Traditionen deutscher Kunst durch die Nationalsozialisten, die bis heute nachwirkt. Deshalb ist diese CD auch ein Stück Wiedergutmachung. Luria bekommt siebzig Jahre nach seinem schmachvollen Ende Stimme und Würde zurück. Nicht nur durch die CD, die von der Frida-Leider-Gesellschaft herausgegeben wurde, sondern auch durch einen Stolperstein vor seiner letzten Wohnstätte in der gutbürgerlichen Bleibtreustraße 44 im Berliner Ortsteil Charlottenburg. Mit diesen in das Straßenpflaster eingelassenen kleinen Gedenksteinen – ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig – wird an Menschen erinnert, die das Schicksal von Luria teilten.

Luria war vergessen, nur Sammlern von Schelllackplatten noch ein Begriff. Die sind offenbar zahlreich überliefert, das Booklet nennt gleich sechs Sammlungen, aus denen sich bedient werden konnte. Die Auswahl kennt keine Grenzen. Szenen aus Rigoletto, Trovatore und Ballo in maschera weisen Luria als exzellenten Verdi-Bariton aus. Die Stimme ist konzentriert und auf dem Punkt, klingt später etwas heller und noch ausdrucksstärker als in den ersten Einspielungen von 1905. Gesungen wird in Deutsch und auch in Italienisch, mal mit Klavier, mal mit Orchester. Die Tempi sind in ihrer Ausdehnung mitunter gewöhnungsbedürftig, was aber auch an den Aufnahmekapazitäten der Platten, die von Chris Zwarg (Truesound Transfers Berlin) hervorragend überspielt wurden, liegen mag. Zwei Szenen des Wolfram aus Tannhäuser und das berühmte „Behüt‘ euch Gott“ aus Nesslers Trompeter von Säckingen repräsentieren das deutsche Fach, Schuberts „Am Meer“, Schumanns „Die beiden Grenadiere“ und Loewes „Fridericus Rex“  – allesamt mit Orchesterbegleitung – den Liedgestalter, ein Ausschnitt aus Mendelssohns Paulus den Oratoriensänger.

CD - LuriaEtwas unverhofft platzt „La Paloma“, der berühmte spanische Hit von Sebastián Iradier in der eher seltenen Übersetzung „Mich rief es an Bord“ herein, um abermals die vielseitige Begabung von Juan Luria zu beschwören. Das ist eine schöne Bereicherung. Der Titel wurde 1908 für  das berühmte Label Odeo eingespielt. Eingedenk seines tragischen Endes berühren zwei religiöse jüdischen Gesänge besonders stark: „Adaun aulom“ und „Adonay s’choronu“. Sie wurden 1907 ebenfalls von Odeon mit Harmonium-Begleitung und dem Chor der Neuen Synagoge in Berlin-Mitte, Oranienburger Straße, aufgenommen. Deren prachtvoller Eingangsbereich hat die Zerstörung überlebt. Heute ist dort das Centrum Judaicum untergebracht.

Die CD mit der Bestellnummer 19051912 ist direkt bei der Frida-Leider-Gesellschaft, die auch den Stolperstein initiiert hat, zu beziehen. Das Foto oben zeigt den Stolperstein, in der Mitte ein Porträt von Luria, unten links das etwas eigenwillig gestaltete Cover der CD.

Rüdiger Winter

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Amelilta Galli-Curci

 

Amelita Galli-Curci – ihre Aufnahmen sind unverwüstlich, stehen im Regal jedes Sammlers, der sich für Stimmen und Oper interessiert. Ein Großteil hat es auf CD geschafft. Sie lebt in diesen Dokumenten fort als glamouröser Weltstar mit einer unverwechselbaren Ausstrahlung. Nunmehr jährt sich ihr Todestag zum 50. Mal. Die Koloratursopranistin starb am 26. November 1963 in La Jolla (Kalifornien) – Anlass, ihrer auch mit Worten zu gedenken.

Sie gehörte mit zu den berühmtesten Vertreterinnen ihres Faches in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Amelita Galli-Curci wurde am 18. November 1882 in Mailand geboren. Ihre Eltern waren der Geschäftsmann Enrico Galli und dessen Frau Enrichetta Bellisoni. Die musikalischen Wurzeln liegen bei den Großeltern väterlicher Seite. Die Großmutter Carlotta Rota-Galli war eine berühmte Opersängerin des 19. Jahrhunderts und der Großvater ein Dirigent. Ab dem 5. Lebensjahr nahm Amelita Klavierunterricht und besuchte später das International Institute (1895 – 1901) und das Lizeo Alessandro Marzoni (1901 – 1905) in Mailand. Zur gleichen Zeit nahm sie Privatstunden im Fach Klavier bei Vincenzo Appiani, der Professor am königlichen Konservatorium von Mailand war. Seit dem 16. Lebensjahr war sie schon eine gefragte Klavierbegleiterin bei Hauskonzerten. Eine Goldmedaille gewann sie 1905  bei einem Konservatoriumswettbewerb für ihr Klavierspiel. Nach dem Abschluss nahm sie zunächst eine Lehramtstätigkeit auf. Im Jahre 1905 war der Komponist Pietro Mascagni, ein Freund der Familie, zu Gast bei einem häuslichen Liederabend. Es wurde Vincenzo Bellinis I puritani interpretiert, wobei Amelita den Sopranpart übernommen hatte. Mascagni war von ihrem einzigartigem Timbre sehr angetan und empfahl ihr, auf dem Gebiet des Gesanges weiter zu machen. Er meinte ihre Stimme auch noch in 20 Jahren zu erkennen, außerdem gäbe es genügend Pianisten, aber viel zu wenig Sänger.

 Il barbiere di SivigliaGalli-Curci 2Im selben Jahr brachen die Geschäfte des Vaters zusammen. Darauf  ging dieser mit den beiden Söhnen Enrico und Giuseppe nach Argentinien. Eine Gesangsausbildung, die privat finanziert werden musste, war somit nicht möglich. Amelita kaufte sich Lehrbücher für Gesang, begleitete sich selbst am Klavier und begann auf diese Art ihre autodidaktische Ausbildung. Unterstützung fand sie bei ihrer Großmutter Rota-Galli. Sie versuchte  so oft wie möglich die Oper zu besuchen, um auch vom Gesang der Darsteller zu lernen. Später behauptete sie, die Koloraturen und Triller vom Gesang der Nachtigall gelernt zu haben. Schon am 22.Dezember 1906 gab sie ihr Operndebüt am Theater von Trani einer kleinen Stadt im Süden Italiens. Die erste Rolle war die Gilda im Rigoletto. Hier lernt sie auch den Marchese Luigi Curci kennen, den sie am 24. Februar 1908 heiratet. Als nächstes folgte ein Arrangement am Costanzi Theater in Rom, wo sie zusammen mit Giuseppe de Luca in der italienischen Premiere von Bizets Oper Don Procopio sang. Nach einer kurzen Tournee in Ägypten folgten Auftritte in Palermo (L’elisir d’amore) und Ravenna (Rigoletto, Lucia di Lammermoor, La Traviata). 1910 ging sie auf ihre erste Südamerika-Tour. In Buenos Aires am Teatro Colón gab sie ihr Debüt in Il barbiere di Siviglia (Rossini) und I Pagliacci. Ein weiteres Debüt erfolgte 1911 in Neapel am San Carlos in der Oper La Sonnambula von Bellini.

1912 fuhr Amelita Galli-Curci erneut zu einer längeren Tournee nach Südamerika. Sie sang die Gilda und Rosina sowie den Walter (La Wally) und Oscar (Un ballo in maschera) in Buenos Aires, Rosario, Sao Paulo, Montevideo und Santiago de Chile. Mit zunehmendem Erfolg gastierte sie in den nächsten Jahren an verschiedenen Bühnen Italiens und im Ausland. So 1914 in Russland und 1915 in Spanien. Im Sommer 1915 ist sie auch wieder in Buenos Aires zu hören. Zum ersten Mal in Lucia di Lammermoor (zwei Aufführungen mit Enrico Caruso). Neu dazu kamen die Rollen der Michaela

(Carm

galli-curci-Karrikaturen), der Sophie (Der Rosenkavalier), der Margarethe von Valois (Les Huguenots)und der Ophelia (Hamlet). Durch die Ereignisse des 1. Weltkrieges blieb Amelita Galli-Curci in Amerika und kam durch Empfehlung eines Freundes zu einem Vorsingen bei Cleofonte Campanini für die Chicagoer Oper nach New York. Dieser engagierte sie, und ihr Debüt erfolgte am 18. November 1916 in der Rolle der Gilda in Verdis Rigoletto. Damit war der Durchbruch zu einer großen Karriere geschafft. Dem Haus in Chicago gehörte sie bis 1924 an.

Im selben Jahr machte sie mit der Plattenfirma Victor die ersten Probeaufnahmen. Mit „La Partida“ von Alvarez wurde am 30. September 1916 der erste auf Schellackplatte erschienene Titel  auf genommen. Ab 1917 war Amelita Galli-Curci eine viel beschäftigte Frau auf der Bühne sowie im Plattenstudio. Ihr Ehemann Luigi Curci reichte im Jahr 1918 die Scheidung ein. Die Ehe wurde 1920 geschieden. Den Namen Galli-Curci hat sie beibehalten. Am 15. Januar 1921 heiratet Amelita Galli-Curci den Pianisten Homer A. Samuels, der ihr ständiger Klavierbegleiter wird. Mit ihm nahm sie später mehrere Titel auf.

Galli-CurciAm 14. November 1921 gibt sie zur Saisoneröffnung ihr Debüt an der Metropolitan Opera in New York. Sie singt die Rolle der Gilda im Rigoletto. Ihre Partner waren Beniamino Gigli und  Giuseppe De Luca. Das Orchester wurde dirigiert von Roberto Moranzoni. Weitere Partien waren unter anderem Lucia di Lammermoor, Mimì (La Bohème), Dinorah, Julia (Roméo et Juliette) und die Königin von Shemakka (Coq D’Or). Außer den Verpflichtungen an den Opernhäusern ging sie weiterhin auf Tourneen. So konnte man sie unter anderem in Kanada, Australien, im Orient, Großbritannien, Südafrika und im Fernen Osten hören.

In späteren Jahren ließ die Klarheit ihrer Stimme nach, und das perfekte Setzen der hohen Töne gelang nicht mehr. Die Beeinträchtigung wurde verursacht durch die Erkrankung der Stimmbänder, die auch durch mehrere Operationen nicht behoben werden konnte. Mit einem Auftritt als Mimì in Puccinis La Bohème 1936 in Chicago nahm sie ihren Abschied von der Bühne. Ihren letzten Liederabend gab Amelita Galli-Curci 1937. Danach zog sie sich mit ihrem Ehemann ins Privatleben zurück und gab Gesangunterricht. Nach dem Tod von Homer Samuels im Jahre 1956 ließ sie sich ein Haus nach ihren Wünschen in La Jolla erbauen, wo sie die letzten Lebensjahre verbrachte. Amelita Galli-Curci gehört unumstritten zu den größten Koloratricen des 20. Jahrhunderts. Als eine der letzten Vertreterinnen des Bellcanto bestach ihre Stimme durch Leichtigkeit, Klarheit und Präzision. Heute können wir uns noch an den rund 140 Aufnahmen erfreuen, die über die Jahrzehnte fast alle auf Schellack- und Vinylplatten sowie CD erschienen sind. Amelita Galli-Curci machte die Einspielungen von 1916 bis 1930, wobei die schönsten aus den Jahren 1916 bis 1921 sind. Frank Mengewein

Wagner: „Der fliegende Holländer“ 1841

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„Während Dietschs Oper (Le Vaisseau fantôme) ihre Karriere im Januar 1843 bereits beendete, startete jene von Wagner die ihrige just am 2. Januar 1843 im Königlichen Sächsischen Hoftheater in Dresden. Unter den Sängern der Premiere behält man bis heute den Namen Wilhelmine Schröder-Devrients in Erinnerung, die als Senta triumphierte. Scheinbar durch seinen Pariser Misserfolg angestachelt, vollendete Richard Wagner seine Komposition in sehr kurzer Zeit, nämlich bereits am 5. November 1841. Das in drei Akte geteilte (und heute auch so gespielte) Werk war ursprünglich an einem Stück gedacht. Dies erklärt auch, weshalb die Motive, die heute den ersten und zweiten Akt abschließen, sich so stark in den Prelüden des zweiten und dritten Akts wiederfinden. Oft heißt es, die Uraufführung des Werks sei aufgrund ihrer stark begrenzten Mittel ein Misserfolg gewesen. An allen vier Abenden hörte das Publikum jedoch, wenn nicht unbedingt aufmerksam, so doch ver­ständnisvoll zu. Außerdem hat Richard Wagner dieser Oper seine Nominierung zum zweiten Kapellmeister der Stadt zu verdanken. Nach eini­gen Aufführungen in Riga und Kassel, anschlie­ßend in Berlin, wurde Der fliegende Holländer erst 1852 wieder in Zürich gespielt. Zu dieser Gelegenheit wurde die Partitur stellenweise über­arbeitet. Unter den nachfolgenden Abänderungen ist die von 1860 wohl die einschneidendste: In etwa zwanzig Takten wird am Schluss das mit Senta verbundene Erlösungsthema erneut auf­gegriffen. Diese Korrektur veranlasste Wagner dazu, auch seine Ouvertüre teilweise umzuschrei­ben. 1864 überarbeitete er schließlich Sentas Ballade, und auch später dachte er unentwegt über Verbesserungen nach; viele wurden jedoch nicht umgesetzt. In Frankreich kam das Werk 1893 erstmals in Lille auf die Bühne, 1896 dann in Rouen und 1897 – endlich – in Paris (allerdings nicht in der Großen Oper sondern in der Opéra-Comique). Damit entdeckte Frankreich erst mit großer Verspätung jenes Werk, das bereits auf zahlreichen europäischen Bühnen (und sogar in New York) aufgeführt worden war, 1856 zum Beispiel in Prag, 1860 in Wien, 1864 in München, dann in den 1870er Jahren in London, Stockholm Brüssel, Bologna…“

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Diese Ausführungen von Marc Minkowski stelle ich mal als den Beleg für die kümmerliche Information im (auch mehr als diskutabel ins Deutsche übersetzten) Booklet des neuen Fliegenden Holländers in der Erstfassung 1841 bei naive voran, der unter Minkowski in Grenoble zu Beginn seiner Tournee in Sachen Wagner/Dietsch im Rahmen des Projektes vom Palazetto Bru Zane durch Europas Großstädte 2013 eingespielt wurde. Die obigen Textpassagen stammen vom Dirigenten selbst, und das ist so gut wie alles, was man über die so oft reklamierte Erstfassung findet, denn auch in Alexandre Dratwickis sehr allgemeinem Aufsatz zum Werk und zum Komponisten wird wenig Informatives ausgebreitet – viel über Dresden 1843 und später, kaum was über Paris 1841. Wie gut, dass wir die Herren Pachl und Ziemen gebeten hatten, uns etwas zu dieser Fassung zu schreiben, zumal Pachl sich werk-ausgiebig an der Runnicles-Aufführung im Winter 2013 in Berlin orientierte und Ziemen eben diese Fassung in ebenfalls diesem Jahr in Gießen dirigierte – beides ist in Operalounge.de nachzulesen, eben die Details, die man sucht, wenn es sich um eine angeblich unbekannte Fassung handelt: Ouvertüre, Senta-Balladen-Tonart, Einakt-/Dreiaktfassung, Zwischenspiele/Übergänge (Prelüden in der Übersetzung genannt…), Finale. Auch nicht, dass eigentlich Berlin der Uraufführungsort sein sollte, was sich zerschlug, aber für die Akteinteilung wichtig war. Also beschränke ich mich auf eine Bewertung der Holländer-Aufnahme (und getrennt davon der beigefügten Oper von DietschLe Vaisseau fantôme) selbst.

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Es ist wirklich keine gute Idee, die beiden Opern als ein Projekt in einem Kasten zu verpacken. Der Sammler wird nicht wissen, wo er sie abstellen soll, und die Koppelung tut keinem der beiden Werke Gerechtigkeit. Beide sind gültig für sich: Wagners Holländer wegen der Neuheit (wenngleich es natürlich die Erstfassung, wie auch immer modifiziert, bereits bei dhm unter Bruno Weill 2004 gab/BMG/DHM 82876 64071 2 77536 2); und Dietsch leidet unter der Verbindung zum berühmteren Wagner, weil auch er ein eigenständiges Werk geschrieben hat, das außer dem Sujet (der für ein paar beträchtliche Silberlinge vom Intendanten Pillet eingekauften Story) nicht viel gemeinsam hat. Pikant ist nur, dass Dietsch das Fiasko des Tannhäuser dirigierte, wofür er aber nichts konnte.

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Nun also der Fliegende Holländer in der Fassung von 1841 unter Marc Minkowski. Ganz ehrlich – nicht überzeugend, nicht sonderlich aufregend gesungen und auch vom Orchester, den eher im früheren Repertoire behafteten Musiciens du Louvre, nicht wirklich packend gespielt. Ein Vergleich mit anderen, „regulären“ Aufnahmen muss gestattet sein, und da sind von Keilberth bis Janowski doch manche spannender, onomatopoetischer, unmittelbarer. Ich finde die Original-Ouvertüre hier nicht wirklich elementar, die lettischen Chöre zahm und klanglich das Ganze auch nicht so weiträumig, wie ich das bei einer Neuaufnahme erwarten würde. Und im Vergleich mit dem Berliner Konzert Runnicles` (1841 Version, modifiziert) halte ich den Klangkörper der DOB für überzeugender.

Zumal auch nicht wirklich so toll gesungen wird. Evgeny Nikitin bleibt doch recht robust, weniger menschlich-differenziert mit seinem Holländer, und ich hätte erwartet, mit einem so an Details gewöhnten Dirigenten auch eine Hinwendung zur Gestaltung eben aus der Sicht von Weber oder Marschner zu erleben, wo ist sonst der Sinn, ein solches an Barockes gewöhntes Orchester zu verwenden? Ingela Brimberg war mir als Sängerin neu (ehemals Göteborg Oper), ich finde sie jugendlich-frisch, aber stimmlich/ausdrucksmäßig nicht wirklich besonders. Sie macht ihre Sache gut, aber man fände sie auch an einem Stadttheater (pardon), immerhin nähert sie sich einem Sopranideal einer französischen Koloratursängerin jener Zeit (etwa Julie Dorus-Gras), wie sie Dietsch verwendete. Eric Cuttler gibt einen hellstimmigen Donald mit einiger Präsenz. Mika Kares macht Papa Donald zu einem Mittelpunkt an Zuverlässigkeit, aber eigentlich sind es Bernard Richter und die immer noch wunderbare Helene Schneiderman (lange eingedeutscht in Stuttgart), die die idiomatische Ehre hochhalten und glänzen, die Schneiderman vor allem mit diesem schönen pastosen Ton, den ich immer an ihr geliebt habe.

Das ist alles sicher nicht der Jubel, den man bei einem so verdienstvollen Projekt der Gegenüberstellung zweier gleich-thematischer Opern erwarten würde, was mich auch grämt. Ich hatte mir mehr erhofft, zumal eben die Ausstattung des Beiheftes nicht wirklich ein Gewinn ist. Aber wir haben eine deutsche Libretto-Übersetzung der Dietsch-Oper, das ist schon mal was. Die Würdigung eben dieser Welt-Ersteinspielung erfolgt gesondert in Operalounge.de. Aber ich muss auch – widerwillig! – einräumen, dass die mit hohen Erwartungen avisierten Aufnahmen im Rahmen des Projektes des Palazetto Bru Zane zum Teil nur dünn gestrickt sind (je weiter es auf die Neuzeit zugeht), es fehlt einigen doch sehr an Glanz. Geerd Heinsen

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Richard Wagner: Der fliegende Holländer, Erstfassung 1841, mit Evgeny Nikitin/Holländer, Ingela Brimberg/Senta, Eric Cutter/Georg, Mika Kares/Steuermann, Helene Schneiderman/Mary; Eesti Filharmoonia Kammerkoor/Hell Jürgenson; Les Musiciens du Louvre; Dirigent Marc Minkowski; naive V5349 (gekoppelt mit Dietsch: Le vaisseau fantome, 4 CD)

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Die bisherigen Beträge in unserer Serie „Die vergessene Oper“ finden Sie hier

Verdi, Puccini und die grossen Partien

Anna Pirozzi/Roberto Ricci

Anna Pirozzi/oben als Amelia im „Ballo in Parma/beide Roberto Ricci

Sie sind gleich mit dem großen Fach eines soprano lirico-spinto eingestiegen, ist das für eine so junge Stimme nicht gefährlich? Ganz sicher passt der renommierte Federico Longhi auf Sie auf. Gehen Sie zu ihm zurück, um sich vorzubereiten und zu perfektionieren? Eigentlich kann man nicht wirklich sagen, dass ich mit Lirico-Spinto Partien angefangen habe. Ich habe erst in verschiedenen Chören gesungen, auch im Opernchor, dann kleine Nebenrollen. Es stimmt, dass meine ersten Hauptrollen gleich dramatische Koloraturpartien waren, allerdings liegen mir diese von Natur aus und ich habe mich schon immer in diesem Repertoire wohl gefühlt. Wenn sich die seltene Gelegenheit ergibt, dass Federico Longhi und ich uns sehen (auch er ist ein vielbeschäftigter Sänger) arbeiten wir ausführlich an den Partien, die ich gerade zu singen habe. Er kennt meine Stimme sehr gut, da wir seit vielen Jahren zusammen arbeiten und er hat mich immer darin unterstützt, genau das Repertoire zu singen, in dem ich mittlerweile Karriere mache.

Ich sehe in ihrer Biographie eben das Nebeneinander von Mozart und Verdi, Puccini. Wie unterschiedlich singen sich diese Komponisten? Mozart ist sicher gut für die „Gurgel“ angesichts so grosser Partien wie Tosca oder Abigaille? Ja, ich habe am Anfang meiner Karriere die Gräfin in der Nozze di Figaro  gesungen, und das tat mir sehr gut. Auch heute tut es meiner Stimme gut, Mozart zu singen, denn Mozart gut singen zu können ist Voraussetzung für alles.

Sie haben mit der Abigaille einen Riesenerfolg gehabt und haben ihn noch – ich hörte sie am Radio und war sehr beeindruckt  – können sie mir ein bisschen mehr zu ihrer Erfolgspartie sagen? Wie gefährlich ist sie und wo kann man auch etwas sparen, immerhin steht sie fast immer auf der Bühne?  Die Abigaille habe ich mittlerweile wirklich sehr oft gesungen, und auch in Zukunft steht sie oft auf dem Programm, in zwei Jahren übrigens in Stuttgart. Als ich angefangen habe, an der Partie zu arbeiten war es schwierig, mittlerweile kann ich die Partie auch unter der Dusche durchsingen – nein, ganz so ist es nicht, aber ich fühle mich sehr sicher und wohl mit der Rolle und kann daher auch Dinge wie interpolierte Spitzentöne oder Variationen in der cabaletta wagen. Verglichen mit der Elvira in Ernani, die ich demnächst in Rom unter Riccardo Muti singen werde kommt mir die Abigaille gerade wie ein Spaziergang vor!

Als Lady mit Angelo Veccia/Macbeth in Bologna/Rocco Carlucci/Weiler

Als Lady mit Angelo Veccia/Macbeth in Bologna/Rocco Carlucci/


Sie singen/haben gesungen auch open-air (Caracalla etc), wo ist da der Unterschied zu einem Saal? Und überhaupt, wie wichtig ist die location für das singen? Hören sie das Orchester noch genug?  Die alten Säle wie in Neapel oder Parma singen sich sicher ganz anders als die modernen Betonbauten. Ich bin keine besonders große Freundin von Open-Air-Aufführungen. Auch wenn ich verhältnismäßig noch nicht wirklich oft unter freiem Himmel gesungen habe muss ich sagen, dass die Oper fürs Theater gemacht ist und auch dort aufgeführt werden sollte. Es gibt genug schöne Opernhäuser auf der Welt…

Verdi ist ja dieses Jahr das Thema – Lady Macbeth/Abigaille und Ballo/Trovatore sind sehr unterschiedliche Partien, vielleicht ein paar Worte zur Tessitura und zur Gestaltung der Rollen? Die Lady ist ja eine der interessantesten Partien im Verdi-Kanon… Es gibt in der Tat große Unterschiede und verschiedene Anforderungen bei Verdis Sopranpartien. Die Partien seiner frühen Schaffensphase sind meiner Ansicht nach technisch anspruchsvoller als die Partien seiner späteren Opern. Die Art und Weise, wie er dann später geschrieben hat, war natürlich reifer und irgendwie „poetischer“. Die Lady Macbeth liebe ich! Das ist eine Partie, die wirklich Spaß macht: es gibt drei Arien, tolle Duette und es ist vor allem auch eine faszinierende, tiefgründige Figur. Ich liebe aber auch beispielsweise die Amelia im Ballo, die ich bereits in mehreren Produktionen gesungen habe und bei der ich ganz meine romantische Seite zeigen kann. Insgesamt sind eigentlich alle Verdi-Rollen wirklich anspruchsvolle Partien!

Als Leonora/"Il Trovatore" in Bologna/Rocco Casalucci/Weiler

Als Leonora/“Il Trovatore“ in Bologna/Rocco Casalucci

Riccardo Muti spielt in ihrer Karriere eine Rolle – wie ist denn die Zusammenarbeit? Er ist ja noch einer der wenigen Dirigenten, der Dänger auch begleiten kann. Generell etwas zu Dirigenten? Und zur hohen modernen Stimmung? Und zu exponierten hohen Noten wie die Schlafwandlerszene?  Maestro Muti habe ich beim Salzburger Nabucco kennengelernt, konnte bei dieser Gelegenheit aber nur wenige Tage mit ihm arbeiten, da ich kurzfristig eingesprungen bin. Ich habe aber sofort gespürt, dass man sich als Sänger unter seiner Leitung einfach wohl fühlt, man arbeitet zusammen an musikalischen Lösungen, er atmet mit dem Sänger und er sucht zusammen nach dem passenden Ausdruck. Mit ihm zusammen bei den Salzburger Festspielen zu debütieren war einfach überwältigend. Momentan lerne ich ihn bei den Proben zu Ernani an der Oper von Rom noch besser kennen. Auch dies ist eine einzigartige Gelegenheit für mich und ich werde wie immer alles geben. Es ist sehr wichtig, im Einklang mit dem Dirigenten zu sein, und neben Muti habe ich mich bisher auch mit Renato Palumbo und Michele Mariotti sehr wohl gefühlt.

als Abigaille in Parma/Roberto Ricci/Weiler

als Abigaille in Parma/Roberto Ricci

Und zu den Spitzentönen: Bei Verdi gibt es die Spitzentöne, die von ihm geschrieben wurden und jene, die traditionell interpoliert werden, beispielsweise am Ende von concertati oder von Duetten. Ich habe glücklicherweise ein sicheres hohes Es und wenn der Dirigent es erlaubt singe ich (z.B. am Ende des Duetts mit Nabucco) auch gerne mal ein hohes Es, auch wenn das nicht von Verdi geschrieben wurde. Das gefällt einigen, anderen nicht – ich denke, man sollte es ausnutzen, wenn man diese Töne hat…

Ein paar Worte zu den Meisterkursen? Ich sehe sie waren auch bei meiner lieben Freundin Raina Kabaivanska, die ja eine legende in Italien ist und die ebenfalls diese expressiven Rollen wie Chénier oder Tosca gesungen hat – was vermitteln den Meisterkurse generell? Was lernt man in der kurzen Zeit eines Kursus´? Ich habe viele Meisterklassen gemacht und um ehrlich zu sein hat mir das immer wirklich gut gefallen. Man macht Meisterklassen natürlich erst wenn man eine gute technische Grundlage hat und eben um sich zu perfektionieren. Ich habe immer mindestens ein Geheimnis oder einen wirklich wertvollen Ratschlag aus allen Meisterklassen mitgenommen, die ich besucht habe und ich denke gerne an alle Meisterklassen zurück. Ich habe Meisterklassen von Sylvie Valayre, Rockwell Blake, Luciana D’Intino, Daniela Dessì, Mirella Freni, Katia Ricciarelli, Shermann Lowe, Francesca Patané und der großen Raina Kabaivanska besucht, die mir einen kleinen, aber sehr wertvollen technischen Ratschlag gegeben hat, der mir die Tonproduktion in einer bestimmten Lage der Stimme sehr vereinfacht hat. Ich bin ihr sehr für diesen Rat dankbar, wie ich allen anderen auch dankbar bin für viele gute Ratschläge. Es ist wichtig, einen Lehrer zu haben, der einen langfristig und regelmäßig betreut und der einen wirklich gut kennt, aber es tut meiner Meinung nach jedem Sänger auch gut, ab- und zu Künstler nach Rat zu fragen, die auf den großen Bühnen der Welt gesungen haben.

(Übersetzung Tim Weiler)

Anna Pirozzi vd operabase und punto opera srl (Irene Gall) und auf Youtube:

https://www.youtube.com/channel/UChbORfR0YKJoX7hTpGjKKaw?feature=watch

http://youtu.be/JV-zurV9giM

http://youtu.be/cy3oOCVsz2o

 

 

 

Sieglinde nicht mehr taufrisch

Der NBC Broadcast vom 20. März 1940 aus dem Bostoner Opernhaus, welcher diese Aufführung der Walküre in Boston gastierenden New Yorker Met landesweit übertrug, ist zu unser aller Glück erhalten geblieben und längst Legende. Die Besetzung versammelt die internationale Elite des Wagnergesangs jener Zeit, der noch junge Dirigent Erich Leinsdorf hat ein Ensemble zur Verfügung, wie es selbst die Met nicht alle Tage aufbieten konnte. Bei Documents (LC 12281) wurde diese denkwürdige Sternstunde nun abermals veröffentlicht. Ergänzt wird sie durch den gleichfalls legendären, von Bruno Walter 1935 im goldenen Saal des Wiener Musikvereins aufgenommenen 1. Akt, der mit der Bostoner Besetzung identisch ist: Lotte Lehmann (Sieglinde – auf dem oberen Foto hoch geehrt auf einer Briefmarke), Lauritz Melchior (Siegmund), Emanuel List (Hunding).

Lehmann (Walküre)Der sich aufdrängende Vergleich ist nicht sehr ergiebig, nur bei Lotte Lehmann fehlt 1940 etwas von der Frische und Sinnlichkeit, die ihr 1935 noch zu Gebote standen. Durchaus möglich, dass es sich aber auch nur um eine Frage der Tagesform handelt. Friedrich Schorrs Wotan, jahrzehntelang der Interpret dieser Rolle schlechthin, zeigt 1940 doch schon deutliche Ermüdungserscheinungen, manche Phrasen geraten auffällig kurz. Marjorie Lawrence ist eine jugendlich leuchtende Brünnhilde, brillant und berührend gleichermaßen. Nur ein Jahr später erkrankte sie an Polio und musste ihre Karriere für Jahre unterbrechen. Kerstin Thorborg ist eine sonore, würdevolle Fricka, die in dieser Rolle Maßstäbe setzt. Die acht Walküren sind ebenfalls hochkarätig besetzt, Doris Doe und Irene Jessner beispielsweise haben an der Met selbst Hauptrollen gesungen.

Leider ist bei der erneuten Veröffentlichung nicht in eine Restaurierung der Aufnahme investiert worden. So ist der Klang über weite Strecken  mulschig und verzerrt, eine Beurteilung der Leistung des Orchesters ist so eigentlich nicht möglich. Was die Aufnahme so wertvoll und bedeutend macht, ist das sängerische Niveau, von dem man in heutigen Wagner-Aufführungen nur träumen kann. Wir erleben hier eine Welt, die unwiederbringlich versunken ist. Was für eine Symbolik: An der Stelle des längst abgerissenen Bostoner Opernhauses befindet sich heute ein Parkplatz.

Peter Sommeregger

Von Essen nach Böhmisch Krumlau

Die Spanier werden das Gran Teatre del Liceu in Barcelona vermissen, die Franzosen die an der zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Place Stanislas gelegene Opéra national de Lorraine in Nancy oder den bemerkenswerten Art Déco-Bau in Marseille, das hübsche Theater in Metz, die Opéra-Comique oder das Théâtre du Châtelet in Paris, die Niederländer die Nederlandse Opera. Die Tschechen suchen vergebens ihr Nationaltheater und das Tyl-Theater, in dem Mozarts Don Giovanni uraufgeführt wurde, das schöne Haus in Riga fehlt ebenso wie der Langhans-Bau in Wroclaw und Warschaus gigantisch großes Teatr Wielki. Ist das Kirow-Theater nicht ebenso schön wie das Moskauer Bolschoi-Theater? Kein Teatro Sao Carlos in Lissabon, kein Teatro Colón in Buenos Aires, kein Glyndebourne und kein Aix-en-Provence, kein Schwetzinger Schlosstheater und auch nicht das Münchner Nationaltheater (und warum nicht auch Prinzregententheater), fast ein Sakrileg, dass das französische Team nicht nach Monaco geschaut und das Schatzkästchen in Monte-Carlo vergessen hat.

Es ist immer müßig und leicht in Sammlung herumzustochern, die mit einem Titel wie „Die schönsten Opernhäuser“ aufwarten. Hat denn nicht jeder seine eigene Favoriten, doch, wenn Antoine Pecqueur im Vorwort erklärt, „manche stechen durch ihre architektonische Bedeutung hervor… durch ihren historischen Stellenwert oder die Qualität ihres Spielplans…“,  dann dürften manche dieser Bühnen, beispielsweise auch das Theater an der Wien, nicht fehlen. Die großen Opernhäuser sind eben nicht zugleich auch die schönsten.

Die schönsten Opernhäuser der Welt ist das, was die Briten so treffend als ein Coffee Table Book bezeichnen, ein prächtiger Fotoband mit bescheidenem Textanteil, und kommt somit rechtzeitig zur Weihnachts- und Geschenkezeit, nichts fürs Schmökern in der Badewanne, sondern ein Buch in dem man gelegentlich blättert, sich zufrieden zurücklegt, „schau, da waren wir auch“, oder sehnsuchtsvoll seufzt „da sollten wir auch mal hinfahren“.  Es ist ein üppiger und schwelgerischer Fotoband, schwelgerisch, weil er sich Ausblicken und Situationen hingibt, ohne die Häuser dokumentarisch aufzubereiten, meist fehlen Außenaufnahme, Bilder der Front, oft scheint mir die Atmosphäre nur angerissen, es fehlen meist auch Backstage-Momente – was würde allein die Salle Garnier an Material hergeben – oder Impressionen von Aufführungen. Alles in allem ist die Mischung aus Evergreens (La Fenice, Teatro alla Scala, Covent Garden) und neuen Architekturwundern (auch Oslo, Valencia und Kopenhagen), die vom Aalto Theater in Essen bis zu dem aus dem 18. Jahrhundert stammenden Schlosstheater im einstigen Böhmisch Krumlau (Zámecké barokní divadlo) reicht, gut gelungen. Die Texte sind knapp, kommen auf den Punkt und erfassen, was wichtig und in solchen Fotobänden durchaus nicht immer der Fall ist, die wesentlichen Fakten. Nur sparsamste Hinweise auf Künstler, Intendanten, Dirigenten. Es fehlen, was ich nicht als Mangel empfinde, touristische Hinweise, Informationen, Adressen und Nummern.

Rolf Fath

 

Guillaume de Laubier (Fotografien) & Antoine Pacqueur (Text) Die schönsten Opernhäuser der Welt, 240 Seiten, ca. 200 farbige Abbildungen, Knesebeck Verlag

Mal Deutsch, mal Italienisch

Die vorliegende CD, die den 2. Fidelio-Akt in einer wahrhaft historischen Version enthält, widersetzt sich anfangs dem CD-Player und ist nur auf dem PC abspielbar. So weit, so schlecht, aber auch mit der Aufnahme als solcher will man nicht recht froh werden. Über die Bedeutung von Peter Anders als Sänger muss hier nicht weiter referiert werden, man freut sich durchaus über jedes Live-Dokument dieser zu früh verstummten Stimme. Aber musste es noch mal Fidelio sein, in einer technisch so schlechten Qualität? Peter Anders’ Florestan-Debüt von 1948 ist auf dem gleichen Label dokumentiert, vom Gespann Fricsay/Anders ist sogar ein kompletter Mitschnitt aus Genf aus dem gleichen Jahr – 1951- verfügbar, ebenfalls bei Gebhardt.

Man kann den  vorliegenden Mitschnitt aus dem Teatro San Carlo in Neapel aber auch als Dokument unfreiwilliger Komik betrachten: Anders, der seinen Part auf Deutsch singt, spricht die Dialoge mit seinen Partnern in Italienisch. Überraschend wechselt die Leonore der Aufführung, Dorothy Dow, beim Duett der Eheleute in Anders’ Idiom und singt tadelloses Deutsch, das sie im Finale wieder gegen den italienischen Text tauscht. Jenseits des sprachlichen Verwirrspiels lässt sie aber wunderbar leuchtende Spitzentöne hören. Im gleichen Jahr hat die Sängerin mit der Ersteinspielung von Schönbergs Erwartung übrigens Furore gemacht. Der Rest der Besetzung entzieht sich einer seriösen Beurteilung, zu schlecht ist die Tonqualität. Eine Empfehlung eigentlich nur für Hardcore-Fans von Peter Anders (JGCD 0063).

Peter Sommeregger

Pietro Generalis „Adelaide di Borgogna“

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Wenig zu tun hat die Opernheldin Adelaide di Borgogna mit einer der wichtigsten Frauen der deutschen Geschichte überhaupt: Adelheid, erst von Burgund, danach in erster Ehe Königin von Italien und in zweiter Ehe Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation als Gattin Ottos I.. Nach dem frühen Tod ihres Sohnes sicherte sie gemeinsam mit ihrer oströmischen Schwiegertochter Theophanu ihrem Enkel die Herrschaft, bis dieser alt genug war, als Otto III. den Thron zu besteigen. Sie war eine der klügsten und einflussreichsten Frauen ihrer Zeit, mildtätig und beteiligt an den wichtigen Reformen von Cluny.

Nach ihrem Tode wurde sie heilig gesprochen. In Pietro Generalis Oper, die 2012 in Rovigo aufgeführt und von Bongiovanni in der Reihe Novità del Passato auf CD gebannt wurde, wird sie lediglich ihrer Schönheit wegen gepriesen und begehrt – und wegen ihres italienischen Erbes. Ihr Gatte Lothar von Italien wurde vergiftet, als sie zwanzig Jahre alt war, die wahrscheinlichen Mörder Berengar (Vater) und Adalbert (Sohn) wollen sie zur Heirat zwingen, wovor sie, nachdem sie sich auf die Burg Canossa geflüchtet hat, Ottos Eingreifen befreit. Generali, ein Konkurrent Rossinis und Zeitgenosse Mayrs, Cherubinis und Spontinis, ließ sich von Luigi Romanelli das Libretto zu seiner Adelaide schreiben, während das von Rossinis gleichnamiger Oper mit gleicher Handlung von G. Schmidt stammt. Eher an Rossini als an Donizetti lehnt sich die Musik Generalis an, so in der Art der Verzierungen oder dem Finale II, das keine Ensembleszene ist, sondern an das der Cenerentola erinnert, während das erste Finale von raffinierter Komplexität ist. Auch die virtuosen Arien der Solisten gemahnen stark an den Komponisten aus Pesaro. Übrigens war Generali eher der sakralen Musik zugewandt, was die Opern anging, vorwiegend der Opera Buffa.

Der Dirigent und Musikologe Franco Piva verantwortet die Edizione critica der Oper und ersetzte die fehlenden Orchesterteile des Werks in Anlehnung an den Kompositionsstil Generalis. Bongiovanni, die noch immer ihr Licht unter den Scheffel stellen, indem sie sich, bereits seit 108 Jahren bestehend und nur 70 davon feiern lassend, haben die Oper auf drei CDs heraus gebracht, davon eine von knapp 30 Minuten, um die Gesangsnummern nicht zu zerreißen. Daran könnten sich größere Labels ein Beispiel nehmen.Und überhaupt kann man wieder dieser entdeckungsfreudigen Firma Respekt zollen, weil sie unsere Kenntnisse und das Bewusstsein von so unbekannten Titeln erweitert. Bravo!

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Pietro Generali/ Wiki

Natürlich konnte man für ein Provinztheater und für eine gänzlich unbekannte Oper keine teuren Sänger gewinnen. Immerhin ist das Orchester mit feiner Solovioline unter Franco Piva ein tüchtiges, das viele Feinheiten der durchaus auch originellen Partitur heraus arbeitet. Ein sehr zartes Stimmchen für die selbstbewusste Adelaide (viersilbig gesprochen) hat Anna Carbonera, hell, glasklar und spitz, höhensicher munter durch die Koloraturen hüpfend. Präzise ist sie in den Rezitativen, attackiert allerdings den Ton nicht energisch genug. Bei „So che il consorte estinto“ umspielt die Geige zärtlich die Stimme, und im zarten Ziergesang fallen durchaus schöne Töne auf, auch wenn man manchmal sich des Eindrucks nicht erwehren kann, das Wollen sei stärker als das Können. Keinen besonders starken Kontrast zu ihr zeigt die Stimme des Adalberto, gesungen von Katarzyna Otczyk, angenehm von leichter Melancholie umflort, aber energischer Attacke wenig zugänglich. Ein zierliches „Ma quale hai tu“ mit virtuoser Cabaletta kann am meisten gefallen. Einen steifen Tenor setzt Gianluca Bocchino für den Ottone ein, immerhin mit heldischen Ansätzen für „Di punir chi m’offese“, aber dröge  oder leicht meckernd in anderen Passagen. Berengario ist Daniele Antonangeli mit etwas hölzernem Bass, der kleine Notenwerte akribisch beachtet und auch einmal kraftvoll ausholen kann. Jede der Hauptpersonen hat auch einen Vertrauten zur Seite: Ottone einen Corrado (Walter Testolin) mit dunkler, ausdrucksvoller Stimme, Berengario einen Rambaldo (Roberto Cresca) mit scharfem Charaktertenor, Adelaide eine Clotilde (Elisa Fortunati) mit sanft ergebenem Mezzo. Viel Einsatz zeigt der Coro Polifonico Città di Rovigo unter Vittorio Zanon.  Das Orchestra Regionale Filarmonia Veneta wurde bereits lobend erwähnt (Foto oben: Der Dirigent Franco Piva beim Konzert, das seinen Weg zu Bongiovanni gefunden hat/GBopera magazine mit Dank/3 CD GB 2458/60-2). Ingrid Wanja

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Warum?

Ob Elīna Garanča die zehn Grimassen, die sie auf dem Cover ihres „ersten!“ Buches zeigt, vor oder nach dem Lesen desselben geschnitten hat? Und schlägt sie auf dem Großfoto die Hände vor Entsetzen über das Werk vor das Gesicht? Will sie vielleicht bewusst mit dem unkonventionellen Titelbild den extremen Biedersinn des Textes konterkarieren? Fragen über Fragen wirft die eigenartige Gestaltung des Werkes auf, die auch durch den Titel „Wirklich wichtig sind die Schuhe“, der eher eine Ballerinen-Biographie erwarten lässt, nicht beantwortet werden.

Es ist allemal ein schwieriges Unterfangen, bei laufender Karriere in der Ich-Form eine Autobiographie zu schreiben oder schreiben zu lassen (von Ida Metzger und Peter Dusek, die es hätten besser wissen müssen und damit auch ihren Ruf aufs Spiel setzen), denn alles Lob wirkt peinlich, auch wenn es wie hier aus dem Gegenteil erwächst (ich konnte das gar nicht, aber ich schaffte es trotzdem perfekt) oder gar dialektisch aufgebaut wird (man hält mich für ein „Wikingerweib“, aber ich bin eigentlich zart und melancholisch, doch finde ich die Kraft, mich aus meiner Schwermut zu befreien). „Eigenlob stinkt“,  heißt es im Deutschen etwas prosaisch, und von diesem ist auf 160 (immerhin!) Seiten unmäßig viel zu spüren, wenn meistens auch in oben genannte Form verpackt. Dabei verdient die Karriere des Mezzosoprans durchaus Bewunderung, aber nicht in dieser Art und Weise, die ausgesprochen unsympathisch wirken kann. Unfreiwillig komisch erscheinen bereits die Hinweise auf der Rückseite des Buchs, wenn vom mühsamen Kampf „von Oktave zu Oktave“ die Rede ist, als gebe es deren ungezählte für den Stimmumfang eines Menschen. Auch die „liebevolle Mutter“, die Kind und Nanny in den Kleinbus verlädt, wird nicht allein durch diese Handlung eine solche. Als „intellektuelles Bauernmädchen“ und „die beste melkende Sängerin“, der „Wärme und Nässe“ des Kälbermauls auf dem Hof der Großeltern noch immer fehlen, sieht sich der Mezzosopran und zugleich in einer Reihe mit ihren Mitbürgern, denn „alle Letten haben ein großes Herz für Kultur“. Wie schön!

Man liest die rührende Geschichte von dem Mädchen, dass nicht weiß, was man mit einem Scheck macht, außer ihn wie ein Bild an die Wand zu nageln, hört die Botschaft, doch es fehlt ganz akut der Glaube an so viel niedliche Naivität. Das Buch strotzt von geläufigen Klischees wie dem von Rohdiamanten „Stimme“, der des Schliffes bedarf. Garančas blonde Carmen wird als erst- und einmalig benannt, dabei gab es die seit Valentini Terrani bereits. Widersprüche fehlen nicht, wenn einmal behauptet wird, es gebe keine Konkurrenz zwischen Sängern unterschiedlicher Fächer, wenige Seiten später aber, jeder Künstler wolle an jedem Abend der Beste und am heftigsten Gefeierte sein. Peinlich wirken Überlegungen über die heimlichen Amouren, die Werthers Charlotte wohl bereits genossen hat, auch Così fan tutte als reine „Verwechslungskomödie“ zu bezeichnen und Carmen mehrerer gleichzeitiger Liebhaber zu bezichtigen, geht an den Stücken vorbei. Da wird sich generell viel zu sehr mit dem Inhalt des Librettos beschäftigt, während man als Leser eher an den Schwierigkeiten und Möglichkeiten der vokalen Bewältigung interessiert ist.

Besonders störend und überflüssig sind die vielen Inhaltserzählungen von allseits bekannten Opern: Barbier von Sevilla,  NormaClemenza di TitoCapuleti e i MontecchiRosenkavalierFalstaff ( da gibt es eine Mage Page!), aber auch die noch in Planung befindlichen Opern wie CavalleriaDon Carlo und Aida bleiben nicht verschont – und so bringt man es schnell auf  eine erkleckliche Seitenzahl. „Ich möchte diese bedingungslose Liebe, wie sie dir nur ein Kind schenkt, erleben“ – das ist einer der gewagtesten Sätze aus dem Buch und trifft wohl eher auf einen Hund zu. Von der Funktion eines Autopiloten, auf den man als Mutter angeblich schaltet, weiß La Ganranča offensichtlich wenig, so wie auch anzuzweifeln ist: „Ist die Besetzung erstklassig, ist auch der Dirigent traumhaft“.

Immerhin gibt es auch wertvolle Anregungen. So könnte man doch einmal, wie es die Sängerin in Spanien tat, mit den Zigeunern an den Roten Ampeln über „Stolz und Todessehnsucht“ diskutieren. Auf Seite 145 erfährt der begierige Leser nach einer Clemenza-Vorstellung an der Met, wie es zu dem Buchtitel kam: Schuhe müssen dem Sänger das Gefühl geben, „mit dem Boden verbunden zu sein“. Davor muss er aber noch durch folgenden Satz hindurch: „.. machte (ich) in den Hosen von Sesto eine glamouröse Figur, ich hatte die richtige Mischung aus vokalem Glanz, schauspielerischer Raffinesse und perfekter Tonalität gefunden.“ So etwas darf man nicht über sich selbst, das dürfen nur andere über einen schreiben (und auch das eigentlich nicht, es ist auch eine Frage des guten Geschmacks, der hier nur in mikroskopischen Spuren zu finden ist), womit wir wieder bei der Crux des Buches, der Ich-Form, wären. Es gibt auch einiges besser Goutierbare: den Bericht über die Londoner Carmen unter Richard Eyre, über die Einnahmen und Ausgaben eines Stars, die Auseinandersetzung mit Rossini, die Vorbereitung auf Hosenrollen – aber auch das alles ist dünn und aus dritter Hand. Wäre das wirklich genuin, hätte man doch akuten Zweifel am intellektuellen Stand von Frau Garanča. Sie war einfach sehr, sehr schlecht beraten, sich auf so ein Unternehmen einzulassen, und ich will ihr unterstellen, dass sie doch eine intelligente Person ist. Warum also dieses Produkt? Für die Fans? Die können aber auch lesen! Am Schluss findet der Leser noch eine kurze Geschichte des Baltikums, ehe er sich der akribischen, sich über 38 Seiten erstreckenden Übersicht über Lebens- und Karrieredaten der Sängerin widmen darf. Es folgen noch eine Liste der Wettbewerbe und Aufzeichnungen, der CD- und der DVD-Aufnahmen, und ein Abbildungsnachweis. Es gibt eine Reihe von Privat-, auch Rollenfotos, auf etwas Werbung für CDs wird durch die Abbildung der entsprechenden Cover nicht verzichtet (Ecowin ISBN 978-3-7110-0045-3).

Wahrscheinlich bedarf es für viele Leser der Gnade des Vergessens, ehe sie sich wieder unbeeinflusst von diesem bedauerlichen Buch an der wirklich tollen Stimme der Sängerin erfreuen können. Vielleicht sollte das Buch diesen Eindruck korrigieren?

Ingrid Wanja     

 

Massenets Oper „Le Mage“

Massenet: "Le Mage", Bühnenbild der Uraufführung/Liebig

Massenet: „Le Mage“, Bühnenbild der Uraufführung/Liebig

 

Für Musikliebhaber mit Faible fürs französische Repertoire ist das Palazzetto Bru Zane eine Fundgrube sondergleichen. Seit 2009 belebt das in Venedig sitzende Musikzentrum, das Teil der gleichnamigen Stiftung ist, das kompositorische Erbe zwischen 1780 – 1920. Jüngster Streich ist die Ersteinspielung von Jules Massenets 1891 in Paris uraufgeführter achter Oper Le Mage (Der Zauberer). Nur ein Jahr vor Werther entstanden, gehört sie wie Le Roi de Lahore, Herodiade, Le Cid und Esclarmonde zu Massenets Werken im Stil der Grand Opéra. Le Mage spielt in Baktrien, einem antiken Großreich, zu dem der heutige Iran zählte.

Der Plot behandelt sehr frei einen Ausschnitt aus dem Leben des Weisen und Religionsstifters Zarathustra. Von historischer Authentizität kann keine Rede sein, stattdessen wird beste melodramatische Unterhaltung geboten. Zarathustra, der im Libretto Zârastra heißt, wird als siegreicher Feldherr eingeführt, der zwischen zwei Frauen steht: der Königin Anahita, die als Gefangene zu seiner Kriegsbeute gehört, und Varedha, der Tochter des Hohepriesters. Als sich Zârastra zur Regentin bekennt, setzt die verschmähte Varedha einen Brand in Gang. Zârastra, der im dritten Akt seine göttliche Erleuchtung erlebt hatte, kann das Feuer durch ein Gebet stoppen und flieht mit seiner Geliebten. Varedha stirbt.

"Le Mage", Bühnebild zur Uraufführung/Liebig

„Le Mage“, Bühnenbild zur Uraufführung/Liebig

Die wahrlich leidenschaftliche Dreiecksgeschichte, die stark an Aida erinnert, ist mit viel Brimborium angereichert: Triumphmärsche, Hochzeitszeremonien, heidnische Rituale und ein veritables Massaker sorgen für Abwechslung. Auf der Bühne hätte das Auge in einer traditionellen Inszenierung sicher seine Freude – eine Vorstellung, wie es aussehen könnte, geben die historischen Fotos in dem wunderschön aufgemachten CD-Buch. Aber auch beim reinen Hören wird es niemals langweilig. Massenet betreibt großen kompositorischen Aufwand mit packenden Ensembles, grandiosen Choraufzügen, üppiger Balletteinlage und Orchesterprunk, garniert mit orientalischem Kolorit.

Die Gesangspartien sind überaus anspruchsvoll, schrieb der Komponist doch viele seiner Partien für bedeutende Sänger. Bei der Anahita dachte er an Sybil Sanderson (seine Esclarmode und femme fatale der Pariser Gesellschaft jener Jahre), auch wenn die Diva die Rolle letztendlich nicht sang. Die Einspielung, die im Zusammenhang mit dem Massenet-Festival in St. Etienne 2012 entstand, bietet allerdings vokal wirklich nicht die Extraklasse, die solch ein Werk bräuchte, was umso ärgerlicher ist, weil der Markt damit für eine Neuaufnahme verstopft ist. Dirigent und Solisten könnten mehr Glanz verbreiten – so bleibt das Ganze in der Provinzialität eine mittleren Festivals stecken, was für Massenets damalige Zielgruppe der Pariser All-Star-Opéra nicht entfernt ausreicht. Schade.

Nach den stimmlichen Qualitäten zu urteilen, müsste sich Zârastra eigentlich für Varedha entscheiden. Denn Kate Aldrich stürzt sich mit leidenschaftlichem Mezzosopran und enormem Furor in die Liebesqualen der abgewiesenen Priestertochter. Das geht zwar gelegentlich auf Kosten von Schöngesang, aber der bedingungslose vokale Einsatz macht manch flackernden Ton und die schwächere tiefe Lage wett. Die Anahita von Catherine Hunold dagegen enttäuscht durch einen unpersönlichen, in den Höhen schrillen Sopran. Luca Lombardo singt zwar kultiviert, doch mit schmalem Tenor, der eher im lyrischen Fach zu Hause ist als in dieser heldischen Partie. Was ihm fehlt sind Durchschlagskraft und Charisma, etwa im dritten Akt, wenn Zârastra im Wechselgesang mit dem Chor Gott um Kraft anfleht. Überzeugende Figur macht Jean- Francois Lapointe, der mit stattlichem Bariton Autorität und Würde den Hohepriester Amrou glaubwürdig vermittelt. Marcel Vanaud verleiht dem König einen nur schütteren Bass. Mit  schöntimbriertem kräftigem Tenor profiliert sich Julien Dran in der kleinen Rolle des Turaner Gefangenen. Laurent Campellone hat Solisten, den prächtigen Chor aus St. Etienne, der seine imposanten Szenen mit Feuer und Inbrunst singt, und Orchester bestens im Griff. Der Dirigent hat ein sensibles Händchen für die melodischen und klangfarblichen Reize, lässt es aber auch, wenn nötig, ordentlich krachen. Die zweisprachige Paperbackbuch-Edition ist äußerst informativ. Unverständlich ist allerdings, warum sie bei dem Umfang keine Kurzbiografien der Solisten enthält.

Karin Coper

Jules Massenet: Le Mage mit Luca Lombardo (Zârastra), Kate Aldrich (Varedha), Catherine Hunold (Anahita), Jean-François Lapointe (Amrou), Marcel Vanaud (Le Roi d’Iran), Julien Dran (Un Prisonnier touranien, Un Chef iranien), Florian Sempey (Un Chef touranien, Le Heraut); Chœur Lyrique et Orchestre Symphonique Saint-Étienne Loire; Leitung: Laurent Campellone; Editiones singolares/Palazzetto Bru Zane

 

"Le Mage", Bühnebild 1891/HeiB

„Le Mage“, Bühnenbild 1891/HeiB

Aus der Ankündigung des Palazetto Bru Zane und nun bei Ediciones Singolares:The Palazzetto Bru Zane presents Le Mage by Jules Massenet (release date in Germany: 1st October 2013 by Ediciones singolares. In partnership with the Opéra Théâtre de Saint-Étienne, Laurent Campellone, conductor with Catherine Hunold: Anahita, Kate Aldrich: Varedha, Luca  Lombardo: Zarâstra, Jean-François Lapointe: Amrou, Marcel  Vanaud: Le Roi d’Iran, Julien Dran: Un prisonnier touranien; CD-book in French and English – texts by Arthur Pougin, Jean-Christophe Branger, Michela Niccolai, Laurent Campellone and Jules Massenet). This production by the Opéra Théâtre de Saint-Étienne was  given in 2012 as part of the Massenet Biennial.

Massenet und sein Librettist Jean Richepin auf dem Cover der Zeitschrift Don Quichotte/Wiki

Massenet und sein Librettist Jean Richepin auf dem Cover der Zeitschrift Don Quichotte/Wiki

In 1891, the elusive Jules Massenet dumbfounded the critics once again. After the success of Manon in 1884,  they were expecting another opéra-comique – but no, he returned to the Romantic grand opera (a genre  to which Le Roi de Lahore and Hérodiade also belong). An exotic vein (an imaginary Persia), supernatural  elements and a love story sublimated by religion give Le Mage a composite structure and great variety. But  above all this work in five acts and six tableaux, to a libretto by Jean Richepin, represents the apotheosis of  French lyricism, at a time when the quarrels over Wagnerism were rife. First performed at the Paris Opéra in March 1891, right in the middle of a very prosperous period for  Massenet, coming after Le Cid (1885) and Esclarmonde (1889) and preceding Werther (1892) and Thaïs (1894), Le Mage is nonetheless one of the French composer’s lesser-known works. Intended as the perfect conclusion to the directorship of Gailhard and Ritt at the Paris Opéra (ending in December 1891),  the work was an extraordinary production, with numerous characters, sumptuous choruses and ballets, exceptional staging… However, that subsequently proved to be a disadvantage for the opera. Indeed, the new director, when he took over, wished to begin a new chapter: the opera was taken off, and later restaging proved too onerous financially. Composing for the Paris Opéra meant complying with a number of rules, especially since the libretto had to include several set scenes. Massenet submitted without any qualms to the criteria of grand opera, the dramatic workings and structural principles of which might have seemed outdated at the time of Wagnerism. The influence of Wagner is not to be ruled out, however, for, in addition to some bold harmonic  or orchestral effects, the opera is finely structured by recurring motifs. Nevertheless Massenet was following a French tradition, to which Wagner also referred, in structuring his opera by means of key themes that are more localised, taken from arias or duos, and by shorter motifs that are constantly renewed, but without being subjected to vast symphonic developments as in the  works of Wagner. (Debussy was to do likewise in Pelléas et Mélisande.)  Le Mage is thus an opera written in a composite style reflecting Massenet’s eclecticism, which was the touchstone of his aesthetic. But it also bears the personal stamp of its author, whose melodic idiom is instantly recognisable, especially in the love scenes: the vocal lines, sinuous  and conjunct, keep very closely to the inflections of the French language, but without excluding lyrical effusion when necessary.

Le Mage is the fifth volume in the Palazzetto Bru Zane’s series of CD-books, ‘Opéra français’. Presented in two languages (French and English), this series is devoted to rare operas of the French Romantic period, accompanied by a rich and thorough editorial and iconographic apparatus. (Ediciones singolares/Palazetto Bru Zane/ophelias)

Kleines Duett entschädigt für Striche

Dieser Don Carlos führt an den Beginn der Karriere von Ludmila Dvorakova in der DDR zurück. Die Elisabeth war nach dem Octavian die zweite Premiere der aus der Gegend um Prag stammenden  Sängerin an der Berliner Staatsoper im Jahr 1960. Die Stimme ließ aufhorchen, dunkel und üppig, noch ungelenk in der Aussprache. Isolde, Brünnhilde, Ortrud und Kundry kündigten sich bereits an. Gesungen wurde Verdi noch ganz selbstverständlich auf Deutsch. Als unfassbar mutet heute die damals übliche Fassung an, die bequem auf zwei CDs passt. Fontainebleau? Keine Spur. An die Holzfällerszene, die die inzwischen rekonstruierte französische Originalfassung für die Pariser Oper einleitet, war nicht einmal zu denken.

Die Oper beginnt im Kloster San Juste mit dem Auftritt von Carlos (Martin Ritzmann). Das sogenannte Maurische Lied der Eboli (Hedwig Müller-Bütow) im Garten vor dem Kloster bleibt auf die erste Strophe beschränkt und verliert dadurch seinen frechen Spott. Allenthalben fehlt es an musikalischer Eleganz, die einzelnen Auftritte weiterer maßgeblicher Figuren, darunter Posa (Rudolf Jedlicka) und später der König (Theo Adam) höchstselbst, geraten gestelzt, was wohl auch auf die reschen Ankündigungen ihres Erscheinens durch Tebaldo (Sylvia Pawlik) zurückzuführen sein dürfte. Franz Konwitschy, der Generalmusikdirektor, kann keinen rechten Zusammenhalt herstellen. Verdi lag ihm wohl nicht so. Das große Handlungsballett ist in Gänze gestrichen, der Kleidertausch von Königin und Eboli, der die anschließende Verwirrung stiftende nächtliche Begegnung zwischen der Prinzessin und Carlos erklärt, findet nicht statt. Dafür gibt es das kleine Duett vor der großen Arie der Eboli, in dem diese der Königin ihren Verrat eingesteht. Das entschädigt für manchen scharfen Schnitt.

Trotz alledem: Der Mitschnitt offenbart ein starkes Bemühen, der Größe des Musikdramas Geltung zu verschaffen. Er ist mehr als fünfzig Jahre alt, also durch und durch historisch. Nicht zuletzt bildet er eine schöne Ergänzung der Diskographien der genannten Sänger. Die Müller-Bütow, damals ein Star Unter den Linden in Berlin, bekommt eine weitere Gesamtaufnahme. Gerhard Frei als gefährlich auftrumpfender Großinquisitor und Jutta Vulpius mit ihrer anrührenden Engelsstimme sollen unbedingt noch genannt werden. Es gibt auf dem Musikmarkt nur wenige Liveaufnahmen aus der DDR. Mit diesem Carlos ist eine hinzugekommen – erschienen bei Walhall (WLCD 0371) in sehr gutem Klang.

Rüdiger Winter

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Otello-Häppchen aus sechs Jahrzehnten

Auf den ersten Blick ist es ja keine schlechte Idee, einen großen Querschnitt des Otello von Giuseppe Verdi mit verschiedenen Interpreten aus sechs Jahrzehnten zusammenzustellen. Caruso und Zenatello bis Vickers, Martinelli bis Vinay und del Monaco. Ähnlich große Namen bei den Jagos, den Desdemonas und den Dirigenten. Schnell wird aber klar, dass der sich anbietende Vergleich zwischen den Sängern so nicht funktionieren kann.

Jeder singt jeweils nur eine Szene, die Aufnahmen sind unter gänzlich unterschiedlichen Bedingungen entstanden. Caruso hat im Übrigen Otello nie auf der Bühne gesungen. Live und Studio, Schellack und Vinyl, das sind dann doch recht verschiedene Welten und Klangbilder. Die Gesamtaufnahmen mit Vinay, del Monaco und Vickers gehören eigentlich zum Bestand jedes ernsthaften Sammlers, man hätte sich mehr Aufnahmen jenseits des Mainstreams gewünscht, insgesamt also eine verzichtbare Produktion (METCD 8019).

Peter Sommeregger

Der König der Liedbegleiter

Schuberts „Winterreise“ und „Schwanengesang“ mit Aksel Schiøtz? Wahnsinn! Die Freude währt nicht lange, denn spätestens beim Öffnen der Box wird klar: Mit Schiøtz gibt es doch „nur“ die „Müllerin“, die „Winterreise“ wird von Dietrich Fischer-Dieskau gesungen, „Schwanengesang“ von Hans Hotter. Auf der Rückseite der Box hatte sich ein Druckfehler eingeschlichen. In allen drei Fällen sitzt Gerald Moore am Klavier. Ihm allein, dem König der Klavierbegleiter, ist diese Edition von Membran (LC 12281) gewidmet. Das ist eine überfällige Würdigung. Der Engländer Moore (1899-1987) hat seine Berühmtheit ausschließlich auf diesem Platz gemacht. Sein Wirken ist für immer mit den Karrieren von Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig, Janet Baker, Victoria de los Angeles, Dietrich Fischer-Dieskau, Hans Hotter und eben Schiøtz verbunden. Das war die große Zeit der Langspielplatte. Er waltete aber bereits am Flügel, als Kirsten Flagstad, Maggie Teyte, Kathleen Ferrier und Julius Patzak noch ins Studio gingen. Sein Name prangte schon in den dreißiger Jahren auf den Liederausgaben der von Walter Legge initiierten Hugo-Wolf-Society – als Pianist von Alexander Kipnis, Herbert Janssen und Karl Erb. Wie selbstverständlich ist Moore an einer der berühmtesten Liedproduktionen der Schallplattengeschichte begleitend beteiligt – nämlich Wolfs „Feuerreiter“ mit Helge Roswaenge von 1937.

Moore war der Pianist dreier Sängergenerationen. Allein darin erlangte er Einmaligkeit. Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ schrieb anlässlich seines Todes sehr treffend: “Er adelte den Job des Klavierbegleiters, unter Verzicht auf eine Solistenkarriere, zu einer eigenständigen Kunst und erspielte dem Mann am Klavier ein bis dahin unbekanntes Maß an künstlerischer Mitbestimmung: Von ihm begleitet zu werden bedeutete den interpretatorischen Ritterschlag.“ Die Edition fängt große Momente im Schaffen von Moore ein. Dazu gehören Brahms-Lieder mit der Ludwig, üppig, dunkel und geheimnisvoll ausgebreitet. Schöner geht es nicht. Oder der Mozart mit Irmgard Seefried von 1950, als deren Stimme noch völlig intakt gewesen ist. Sind diese Lieder je leichter, schlichter und inniger gesungen worden?

Sollte ich mich für eine Aufnahme entscheiden müssen, meine Wahl fiele auf den „Liederkreis“ op. 39 mit Fischer-Dieskau, der 1954 eingespielt wurde. Es ist, als würden sich der junge Sänger und sein erfahrener Pianist auf die Suche nach dem tieferen Sinn dieser Gedichte von Eichendorff begeben, denen Schumann musikalischen Ausdruck verlieh. Was sie finden ist deutsche Romantik in ihrer schönsten Ausprägung. Mit Enrique Granados, Jusús Guridi  und Amadeo Vives gelangen durch die Angeles spanische Komponisten aufs Konzertprogramm. Moore legt seinen Part so souverän hin, als hätte er nie etwas anderes gespielt. Es gibt keine sensationellen Ausgraben in dieser Sammlungen, alle Titel sind auch in anderen Kompilationen verbreitet worden. Das Besondere ist, dass diesmal der Mann im Hintergrund nach vorn rückt.

Rüdiger Winter

Das Steffani-Projekt

Konsequent verfolgen Cecilia Bartoli und Diego Fasolis mit seinem Ensemble I Barocchisti ihr Bemühen, die Werke Agostino Steffanis der Vergessenheit zu entreißen. Nachdem die Mezzosopranistin auf ihrem letzen Album bei der Stammfirma Decca („Mission“) Opernarien des 1654 geborenen Komponisten vorgestellt hatte, folgen nun auf einer CD geistliche Werke des Tonsetzers, beginnend mit dem „Stabat Mater“, das als Steffanis Meisterwerk gilt. Neben der Bartoli wirken hier noch der Counter Franco Fagioli, die Tenöre Daniel Behle und Julian Prégardien sowie der Bass Salvo Vitale und der Coro della Radiotelevisione Svizzera mit.

Im ersten Teil, „Stabat Mater dolorosa“, singt die Bartoli solistisch, mit weihevollem, ergreifendem Ton, der wie aus einer fernen Welt zu kommen scheint. Im folgenden „O quam tristis“ vereinen sich mit ihr die Stimmen von Fagioli und Behle im harmonischen Zusammenklang. Starke Akzente setzt der Chor, ob in den getragenen Gesängen oder dem rhythmisch prägnanten ”Pro peccatis“ und den feierlichen Chorälen, die das Werk beenden. Er trägt auch die später erklingenden Psalmen „Beatus vir“ und „Triduanas a Domino“, die in ihrer Strenge den Stil Palestrinas aufgreifen. „Non plus me ligate“ ist Steffanis einziges geistliches Werk für Solo-Sopran und die Bartoli singt es mit jubilierender Verve. Die Vertonung von „Laudate pueri“ entstand wohl für den Cäcilientag des Jahres 1673 und vereint Solisten und Chor in  einer virtuosen „Amen“-Fuge. Vorher konnte Fagioli in „Ut collocet eum“ einmal mehr seine virtuose Gesangskunst und das mit der Bartoli verblüffend ähnliche Timbre demonstrieren. „Sperate in Deo“ gilt als Steffanis erste Kirchenmusik-Komposition; hier dominieren zwar die hellen, klaren Sopranstimmen von Nuria Rial und Yetzabel Arias Fernandez in mehreren Zwiegesängen, doch in „Sunt breves“ kann Julian Prégardien auf seinen gleichermaßen wohllautenden wie expressiven Tenor aufmerksam machen. Und auch Salvo Vitale setzt mit seinem resonanten Bass starke Akzente. Das letzte Werk der Auswahl, die Motette „Qui diligit Mariam“, entstand 1727 und wartet mit einer Besonderheit auf, denn das Eingangsthema, „Qui diligit Mariam“, wird am Ende der Komposition wiederholt. In „Non pavescat“ verbinden sich noch einmal die Stimmen von Bartoli und Fagioli in virtuosem Ziergesang und danach verklärter Entrücktheit (Decca 478 5336).

steffani deccaEine spannende Ergänzung zu dieser Sammlung geistlicher Werke Steffanis ist eine Auswahl von Tänzen und Ouvertüren aus Opern des Komponisten (Decca 478 5741), von denen die Mehrzahl Weltersteinspielungen darstellen. Da finden sich so unbekannte Operntitel wie Orlando generoso, Marco Aurelio, Henrico Leone, I trionfi del fato, Le rivali concordi, Tassilone, Briseide, La superbia d’Alessandro, Alcibiade, Servio Tullio und viele andere. Die Kompositionen zeigen den deutlichen Einfluss Lullys, wie auch die Aktschlüsse seiner Opern mit jeweils einem Ballett auf den französischen Stil verweisen. Zwischen 1689 und 1695 komponierte Steffani sechs Opern in Hannover, die für die Aufführungen am Hamburger Theater am Gänsemarkt (zwischen 1695 und 1699) ins Deutsche übersetzt wurden. Er verknüpft darin perfekt die Ausrucksformen der italienischen und französischen Theatermusik. Die Ouvertüren tragen oft den Titel Sinfonia und sind zweiteilig – mit einer langsamen Einleitung und einem kontrastierenden schnellen Satz danach. Diego Fasolis mit seinen Barocchisti musizieren all diese Stücke mit musikantischer Lust, rhythmischer Verve und feinem Gespür für die lyrischen Passagen. Die siebenteilige Ausschnitt aus Orlando generoso mit der Ouvertüre und mehreren Tänzen zeigt dies sehr plastisch, da hier getragene mit lebhaften oder auch graziösen Sätzen wechseln. Auch die Beispiele aus Henrico Leone, Niobe, La superbia d’Alessandro, Alcibiade und La lotta d’Hercole con Acheloo sind derart untergliedert. Aus anderen Opern wurde nur die Ouvertüre oder ein Teil der Ballettmusik ausgewählt – mit dem Ergebnis einer sehr abwechslungsreichen und lebendigen Programmfolge. Festlicher Bläserglanz, pulsierende Dynamik, martialische Energie, majestätische Erhabenheit, tänzerische Vitalität, fahle ombra-Effekte  – das Ensemble fasziniert mit einer reichen Palette von Farben und Affekten. Am Ende gibt es mit der „Introduzione al dramma“ zu Amor vien dal destino sogar noch ein gravitätisches Vokalwerk zu hören, in dem der Coro della Radiotelevisione svizzera mitwirkt.

Bernd Hoppe