Konsequent verfolgen Cecilia Bartoli und Diego Fasolis mit seinem Ensemble I Barocchisti ihr Bemühen, die Werke Agostino Steffanis der Vergessenheit zu entreißen. Nachdem die Mezzosopranistin auf ihrem letzen Album bei der Stammfirma Decca („Mission“) Opernarien des 1654 geborenen Komponisten vorgestellt hatte, folgen nun auf einer CD geistliche Werke des Tonsetzers, beginnend mit dem „Stabat Mater“, das als Steffanis Meisterwerk gilt. Neben der Bartoli wirken hier noch der Counter Franco Fagioli, die Tenöre Daniel Behle und Julian Prégardien sowie der Bass Salvo Vitale und der Coro della Radiotelevisione Svizzera mit.
Im ersten Teil, „Stabat Mater dolorosa“, singt die Bartoli solistisch, mit weihevollem, ergreifendem Ton, der wie aus einer fernen Welt zu kommen scheint. Im folgenden „O quam tristis“ vereinen sich mit ihr die Stimmen von Fagioli und Behle im harmonischen Zusammenklang. Starke Akzente setzt der Chor, ob in den getragenen Gesängen oder dem rhythmisch prägnanten ”Pro peccatis“ und den feierlichen Chorälen, die das Werk beenden. Er trägt auch die später erklingenden Psalmen „Beatus vir“ und „Triduanas a Domino“, die in ihrer Strenge den Stil Palestrinas aufgreifen. „Non plus me ligate“ ist Steffanis einziges geistliches Werk für Solo-Sopran und die Bartoli singt es mit jubilierender Verve. Die Vertonung von „Laudate pueri“ entstand wohl für den Cäcilientag des Jahres 1673 und vereint Solisten und Chor in einer virtuosen „Amen“-Fuge. Vorher konnte Fagioli in „Ut collocet eum“ einmal mehr seine virtuose Gesangskunst und das mit der Bartoli verblüffend ähnliche Timbre demonstrieren. „Sperate in Deo“ gilt als Steffanis erste Kirchenmusik-Komposition; hier dominieren zwar die hellen, klaren Sopranstimmen von Nuria Rial und Yetzabel Arias Fernandez in mehreren Zwiegesängen, doch in „Sunt breves“ kann Julian Prégardien auf seinen gleichermaßen wohllautenden wie expressiven Tenor aufmerksam machen. Und auch Salvo Vitale setzt mit seinem resonanten Bass starke Akzente. Das letzte Werk der Auswahl, die Motette „Qui diligit Mariam“, entstand 1727 und wartet mit einer Besonderheit auf, denn das Eingangsthema, „Qui diligit Mariam“, wird am Ende der Komposition wiederholt. In „Non pavescat“ verbinden sich noch einmal die Stimmen von Bartoli und Fagioli in virtuosem Ziergesang und danach verklärter Entrücktheit (Decca 478 5336).
Eine spannende Ergänzung zu dieser Sammlung geistlicher Werke Steffanis ist eine Auswahl von Tänzen und Ouvertüren aus Opern des Komponisten (Decca 478 5741), von denen die Mehrzahl Weltersteinspielungen darstellen. Da finden sich so unbekannte Operntitel wie Orlando generoso, Marco Aurelio, Henrico Leone, I trionfi del fato, Le rivali concordi, Tassilone, Briseide, La superbia d’Alessandro, Alcibiade, Servio Tullio und viele andere. Die Kompositionen zeigen den deutlichen Einfluss Lullys, wie auch die Aktschlüsse seiner Opern mit jeweils einem Ballett auf den französischen Stil verweisen. Zwischen 1689 und 1695 komponierte Steffani sechs Opern in Hannover, die für die Aufführungen am Hamburger Theater am Gänsemarkt (zwischen 1695 und 1699) ins Deutsche übersetzt wurden. Er verknüpft darin perfekt die Ausrucksformen der italienischen und französischen Theatermusik. Die Ouvertüren tragen oft den Titel Sinfonia und sind zweiteilig – mit einer langsamen Einleitung und einem kontrastierenden schnellen Satz danach. Diego Fasolis mit seinen Barocchisti musizieren all diese Stücke mit musikantischer Lust, rhythmischer Verve und feinem Gespür für die lyrischen Passagen. Die siebenteilige Ausschnitt aus Orlando generoso mit der Ouvertüre und mehreren Tänzen zeigt dies sehr plastisch, da hier getragene mit lebhaften oder auch graziösen Sätzen wechseln. Auch die Beispiele aus Henrico Leone, Niobe, La superbia d’Alessandro, Alcibiade und La lotta d’Hercole con Acheloo sind derart untergliedert. Aus anderen Opern wurde nur die Ouvertüre oder ein Teil der Ballettmusik ausgewählt – mit dem Ergebnis einer sehr abwechslungsreichen und lebendigen Programmfolge. Festlicher Bläserglanz, pulsierende Dynamik, martialische Energie, majestätische Erhabenheit, tänzerische Vitalität, fahle ombra-Effekte – das Ensemble fasziniert mit einer reichen Palette von Farben und Affekten. Am Ende gibt es mit der „Introduzione al dramma“ zu Amor vien dal destino sogar noch ein gravitätisches Vokalwerk zu hören, in dem der Coro della Radiotelevisione svizzera mitwirkt.
Bernd Hoppe