Ob Elīna Garanča die zehn Grimassen, die sie auf dem Cover ihres „ersten!“ Buches zeigt, vor oder nach dem Lesen desselben geschnitten hat? Und schlägt sie auf dem Großfoto die Hände vor Entsetzen über das Werk vor das Gesicht? Will sie vielleicht bewusst mit dem unkonventionellen Titelbild den extremen Biedersinn des Textes konterkarieren? Fragen über Fragen wirft die eigenartige Gestaltung des Werkes auf, die auch durch den Titel „Wirklich wichtig sind die Schuhe“, der eher eine Ballerinen-Biographie erwarten lässt, nicht beantwortet werden.
Es ist allemal ein schwieriges Unterfangen, bei laufender Karriere in der Ich-Form eine Autobiographie zu schreiben oder schreiben zu lassen (von Ida Metzger und Peter Dusek, die es hätten besser wissen müssen und damit auch ihren Ruf aufs Spiel setzen), denn alles Lob wirkt peinlich, auch wenn es wie hier aus dem Gegenteil erwächst (ich konnte das gar nicht, aber ich schaffte es trotzdem perfekt) oder gar dialektisch aufgebaut wird (man hält mich für ein „Wikingerweib“, aber ich bin eigentlich zart und melancholisch, doch finde ich die Kraft, mich aus meiner Schwermut zu befreien). „Eigenlob stinkt“, heißt es im Deutschen etwas prosaisch, und von diesem ist auf 160 (immerhin!) Seiten unmäßig viel zu spüren, wenn meistens auch in oben genannte Form verpackt. Dabei verdient die Karriere des Mezzosoprans durchaus Bewunderung, aber nicht in dieser Art und Weise, die ausgesprochen unsympathisch wirken kann. Unfreiwillig komisch erscheinen bereits die Hinweise auf der Rückseite des Buchs, wenn vom mühsamen Kampf „von Oktave zu Oktave“ die Rede ist, als gebe es deren ungezählte für den Stimmumfang eines Menschen. Auch die „liebevolle Mutter“, die Kind und Nanny in den Kleinbus verlädt, wird nicht allein durch diese Handlung eine solche. Als „intellektuelles Bauernmädchen“ und „die beste melkende Sängerin“, der „Wärme und Nässe“ des Kälbermauls auf dem Hof der Großeltern noch immer fehlen, sieht sich der Mezzosopran und zugleich in einer Reihe mit ihren Mitbürgern, denn „alle Letten haben ein großes Herz für Kultur“. Wie schön!
Man liest die rührende Geschichte von dem Mädchen, dass nicht weiß, was man mit einem Scheck macht, außer ihn wie ein Bild an die Wand zu nageln, hört die Botschaft, doch es fehlt ganz akut der Glaube an so viel niedliche Naivität. Das Buch strotzt von geläufigen Klischees wie dem von Rohdiamanten „Stimme“, der des Schliffes bedarf. Garančas blonde Carmen wird als erst- und einmalig benannt, dabei gab es die seit Valentini Terrani bereits. Widersprüche fehlen nicht, wenn einmal behauptet wird, es gebe keine Konkurrenz zwischen Sängern unterschiedlicher Fächer, wenige Seiten später aber, jeder Künstler wolle an jedem Abend der Beste und am heftigsten Gefeierte sein. Peinlich wirken Überlegungen über die heimlichen Amouren, die Werthers Charlotte wohl bereits genossen hat, auch Così fan tutte als reine „Verwechslungskomödie“ zu bezeichnen und Carmen mehrerer gleichzeitiger Liebhaber zu bezichtigen, geht an den Stücken vorbei. Da wird sich generell viel zu sehr mit dem Inhalt des Librettos beschäftigt, während man als Leser eher an den Schwierigkeiten und Möglichkeiten der vokalen Bewältigung interessiert ist.
Besonders störend und überflüssig sind die vielen Inhaltserzählungen von allseits bekannten Opern: Barbier von Sevilla, Norma, Clemenza di Tito, Capuleti e i Montecchi, Rosenkavalier, Falstaff ( da gibt es eine Mage Page!), aber auch die noch in Planung befindlichen Opern wie Cavalleria, Don Carlo und Aida bleiben nicht verschont – und so bringt man es schnell auf eine erkleckliche Seitenzahl. „Ich möchte diese bedingungslose Liebe, wie sie dir nur ein Kind schenkt, erleben“ – das ist einer der gewagtesten Sätze aus dem Buch und trifft wohl eher auf einen Hund zu. Von der Funktion eines Autopiloten, auf den man als Mutter angeblich schaltet, weiß La Ganranča offensichtlich wenig, so wie auch anzuzweifeln ist: „Ist die Besetzung erstklassig, ist auch der Dirigent traumhaft“.
Immerhin gibt es auch wertvolle Anregungen. So könnte man doch einmal, wie es die Sängerin in Spanien tat, mit den Zigeunern an den Roten Ampeln über „Stolz und Todessehnsucht“ diskutieren. Auf Seite 145 erfährt der begierige Leser nach einer Clemenza-Vorstellung an der Met, wie es zu dem Buchtitel kam: Schuhe müssen dem Sänger das Gefühl geben, „mit dem Boden verbunden zu sein“. Davor muss er aber noch durch folgenden Satz hindurch: „.. machte (ich) in den Hosen von Sesto eine glamouröse Figur, ich hatte die richtige Mischung aus vokalem Glanz, schauspielerischer Raffinesse und perfekter Tonalität gefunden.“ So etwas darf man nicht über sich selbst, das dürfen nur andere über einen schreiben (und auch das eigentlich nicht, es ist auch eine Frage des guten Geschmacks, der hier nur in mikroskopischen Spuren zu finden ist), womit wir wieder bei der Crux des Buches, der Ich-Form, wären. Es gibt auch einiges besser Goutierbare: den Bericht über die Londoner Carmen unter Richard Eyre, über die Einnahmen und Ausgaben eines Stars, die Auseinandersetzung mit Rossini, die Vorbereitung auf Hosenrollen – aber auch das alles ist dünn und aus dritter Hand. Wäre das wirklich genuin, hätte man doch akuten Zweifel am intellektuellen Stand von Frau Garanča. Sie war einfach sehr, sehr schlecht beraten, sich auf so ein Unternehmen einzulassen, und ich will ihr unterstellen, dass sie doch eine intelligente Person ist. Warum also dieses Produkt? Für die Fans? Die können aber auch lesen! Am Schluss findet der Leser noch eine kurze Geschichte des Baltikums, ehe er sich der akribischen, sich über 38 Seiten erstreckenden Übersicht über Lebens- und Karrieredaten der Sängerin widmen darf. Es folgen noch eine Liste der Wettbewerbe und Aufzeichnungen, der CD- und der DVD-Aufnahmen, und ein Abbildungsnachweis. Es gibt eine Reihe von Privat-, auch Rollenfotos, auf etwas Werbung für CDs wird durch die Abbildung der entsprechenden Cover nicht verzichtet (Ecowin ISBN 978-3-7110-0045-3).
Wahrscheinlich bedarf es für viele Leser der Gnade des Vergessens, ehe sie sich wieder unbeeinflusst von diesem bedauerlichen Buch an der wirklich tollen Stimme der Sängerin erfreuen können. Vielleicht sollte das Buch diesen Eindruck korrigieren?
Ingrid Wanja