Der NBC Broadcast vom 20. März 1940 aus dem Bostoner Opernhaus, welcher diese Aufführung der Walküre in Boston gastierenden New Yorker Met landesweit übertrug, ist zu unser aller Glück erhalten geblieben und längst Legende. Die Besetzung versammelt die internationale Elite des Wagnergesangs jener Zeit, der noch junge Dirigent Erich Leinsdorf hat ein Ensemble zur Verfügung, wie es selbst die Met nicht alle Tage aufbieten konnte. Bei Documents (LC 12281) wurde diese denkwürdige Sternstunde nun abermals veröffentlicht. Ergänzt wird sie durch den gleichfalls legendären, von Bruno Walter 1935 im goldenen Saal des Wiener Musikvereins aufgenommenen 1. Akt, der mit der Bostoner Besetzung identisch ist: Lotte Lehmann (Sieglinde – auf dem oberen Foto hoch geehrt auf einer Briefmarke), Lauritz Melchior (Siegmund), Emanuel List (Hunding).
Der sich aufdrängende Vergleich ist nicht sehr ergiebig, nur bei Lotte Lehmann fehlt 1940 etwas von der Frische und Sinnlichkeit, die ihr 1935 noch zu Gebote standen. Durchaus möglich, dass es sich aber auch nur um eine Frage der Tagesform handelt. Friedrich Schorrs Wotan, jahrzehntelang der Interpret dieser Rolle schlechthin, zeigt 1940 doch schon deutliche Ermüdungserscheinungen, manche Phrasen geraten auffällig kurz. Marjorie Lawrence ist eine jugendlich leuchtende Brünnhilde, brillant und berührend gleichermaßen. Nur ein Jahr später erkrankte sie an Polio und musste ihre Karriere für Jahre unterbrechen. Kerstin Thorborg ist eine sonore, würdevolle Fricka, die in dieser Rolle Maßstäbe setzt. Die acht Walküren sind ebenfalls hochkarätig besetzt, Doris Doe und Irene Jessner beispielsweise haben an der Met selbst Hauptrollen gesungen.
Leider ist bei der erneuten Veröffentlichung nicht in eine Restaurierung der Aufnahme investiert worden. So ist der Klang über weite Strecken mulschig und verzerrt, eine Beurteilung der Leistung des Orchesters ist so eigentlich nicht möglich. Was die Aufnahme so wertvoll und bedeutend macht, ist das sängerische Niveau, von dem man in heutigen Wagner-Aufführungen nur träumen kann. Wir erleben hier eine Welt, die unwiederbringlich versunken ist. Was für eine Symbolik: An der Stelle des längst abgerissenen Bostoner Opernhauses befindet sich heute ein Parkplatz.
Peter Sommeregger