Archiv für den Monat: Juni 2023

Dicke Sauce Bourgignon

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Hulda, komponiert zwischen 1879 und 1885, wurde zu Lebzeiten von César Franck nie aufgeführt und wartete mehr als ein Jahrhundert, bevor es erstmals vollständig aufgeführt wurde. Inspiriert von einem norwegischen Theaterstück von Bjørnstjerne Bjørnson (1832-1910), erzählt diese blutige mittelalterliche Legende von der mehrfachen Rache der Titelheldin gegen den Aslak-Clan, die Peiniger ihrer Familie, und dann gegen Eiolf, einen Abgesandten des norwegischen Königs, der sich als untreuer Liebhaber entpuppt. Obwohl die nordischen Bilder an die Wagnerschen Inszenierungen erinnern, bleibt der Komponist in der Tradition der französischen Grand Opéra und übernimmt die Sprache, die Verdi zu dieser Zeit verwendete. In Paris von der Opéra und der Opéra-Comique und in Brüssel vom Théâtre de la Monnaie abgelehnt, wurde diese ehrgeizige Oper zu einer großen Enttäuschung für einen Komponisten, der dazu verdammt war, nur im instrumentalen Bereich bewundert zu werden. Der Tod Francks weckte jedoch ein neues Interesse an seinen unveröffentlichten Werken, und das Theater von Monte Carlo plante die Premiere von Hulda im März 1894 mit Blanche Deschamps-Jéhin in der Titelrolle. Das Werk, das in einer gekürzten Fassung und in einer minimalistischen Inszenierung aufgeführt wurde, löste keine leidenschaftlichen Reaktionen aus. Die Franck-Schüler haben es daraufhin geschickt zu den Akten gelegt: Sie zogen es vor, ihn als Komponisten absoluter Musik in Erinnerung zu behalten, und machten sich den Ruhm zu eigen, die Wiederbelebung der französischen Oper zu verkörpern. Diese Fragen sind heute überholt, und uns bleibt Hulda: „eine hochfliegende Partitur, die vor Erfindungsreichtum nur so strotzt, mit einer ergreifenden suggestiven Kraft und einer lyrischen Qualität von höchstem Niveau“ (Joël-Marie Fauquet). Quelle Palazzetto Bruzane 

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Francks „Holda“: Jennifer Holloway (Hulda), Gergely Madaras (Dirigent) und das Orchestre Philharmonique Royal de Liège (in der Salle Philharmonique)/ Foto Anthony Dehez

Francks Hulda gibt es natürlich neben der alten korrupten italienischen Version der RAI bei einst Melodram – bereits als Mitschnitt vom Theater Freiburg bei Naxos (s. Rezension der Aufführung und der CD und sowie die Vergessene Oper in operalounge.de).

Die neue Aufnahme beim Palazzetto Bru Zan ist ab dem 22. Juni 2023 verfügbar und wird von Gergely Madaras mit dem  Orchestre Philharmonique Royal de Liège Chœur de Chambre de Namur dirigiert. Es singen  Jennifer Holloway, Véronique Gens, Judith van Wanroij Marie Gautrot, Ludivine Gombert, Edgaras Montvidas, Matthieu Lécroart, Christian Helmer, Artavazd Sargsyan, François Rougier, Sébastien Droy, Guilhem Worms und Matthieu Toulouse. Das CD-Buch enthält neben den 2 CDs und der Trackliste Aufsätze von Alexandre Dratwicki, Through the trapdoor of history; Gérard Condé, Modulez, modulez !; Alfred Bruneau, Hulda at the Théâtre de Monte-Carlo; Vincent Giroud, Nordic and Merovingian inspiration in late nineteenth-century French opera; Synopsis sowie das zweisprachige Libretto.

Erlösung dem Erlöser

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Es ist vollbracht. Wahrlich, es war viel Geduld notwendig, aber nun liegt der einzige bis dato unveröffentlichte Parsifal unter Hans Knappertsbusch komplett vor (Hänssler PH23002; den zweiten Aufzug daraus gab es beim selben Label bereits auf einem Martha Mödl gewidmeten Album).  Nichteingeweihte konnten es ohnehin nicht nachvollziehen, weshalb die Verehrer des legendären Dirigenten hinsichtlich dessen wahrlich reichhaltiger Parsifal-Diskographie diesem Tage entgegenfieberten. Nicht weniger als ein Dutzend Gesamtaufnahmen des Bühnenweihfestspiels gab es bereits unter der Stabführung des „Kna“, sämtlich aus dem Bayreuther Festspielhaus und erschienen auf diversen Labels. Am berühmtesten davon freilich die offiziellen Einspielungen von 1951 anlässlich der Wiedereröffnung von Neu-Bayreuth (Decca) und von 1962 (Philips), letztere die einzige in Stereo. Beide wurden über einen längeren Zeitraum mitgeschnitten, während es sich bei den anderen Jahrgängen um echte Live-Mitschnitte eines einzigen Abends handelt. Möglich gemacht wurde dies, weil der Bayerische Rundfunk von Anfang an von den wiedererstanden Bayreuther Festspielen in Echtzeit übertrug. Folglich haben sich also auch die anderen Jahre erhalten, in denen Knappertsbusch am Pult stand. Und dies war von 1951 bis einschließlich 1964 fast durchgängig der Fall. Nur einmal setzte der hochgewachsene Elberfelder komplett aus, 1953 nämlich, wo an seiner Statt Clemens Krauss einsprang. Der Grund war die Streichung der Taube in der Schlussapotheose des Finales durch Wieland Wagner, was Knappertsbusch endgültig zu weit ging, der sich mit der minimalistischen Inszenierung schon allgemein nur schwer anfreunden konnte. Im Folgejahr kehrten sowohl die gestrichene Taube als auch Knappertsbusch zurück, wie Bernd Zegowitz in seinem kundigen Einführungstext zu berichten weiß. Im folgenden Jahrzehnt blieb der „Kna“ dann unangefochten Bayreuths Gralshüter; einzig 1957 dirigierte der belgische Dirigent André Cluytens zwei der vier Vorstellungen (wobei der BR wiederum eine unter Knappertsbusch für die Nachwelt festhielt). Von den besagten Rundfunkmitschnitten war bislang nur derjenige vom 13. August 1964 offiziell unter Verwendung der Originaltonbänder und mit ausdrücklicher Genehmigung aus Bayreuth auf Compact Disc erschienen (Orfeo), was gewiss darin begründet liegt, dass es sich um das letzte Dirigat Knappertsbuschs überhaupt handelte. Die übrigen Jahre wurden von teils etwas obskuren Labels auf CD gepresst, waren aber mit einer Ausnahme mehr oder minder einfach erhältlich.

Eben dieser Sonderfall, die Rundfunkübertragung aus dem Jahre 1955, wird nun reichlich verspätet nachgereicht, dafür mit Lizenz des BR und unter Mithilfe des Wagner-Clans. Das 55er Jahr war für Bayreuth ein besonders bedeutsames, war Decca doch mit eigenen Tontechnikern angereist und hatte sowohl den kompletten Ring als auch den Fliegenden Holländer (beide dirigiert von Joseph Keilberth) professionell unter Live-Bedingungen eingespielt. Die Mitschnitte erschienen freilich erst mit einem halben Jahrhundert Verspätung bei Testament. Wieso ausgerechnet der Parsifal aus dem besagten Jahr solange unter Verschluss gehalten wurde, bietet Raum zu Spekulationen. Vermutlich spielte auch der Zufall eine Rolle. Besetzungstechnisch ist 1955 besonders spannend: Martha Mödl, die Kundry seit der Neueröffnung 1951, sang diesmal auch das Altsolo (so auch im Folgejahr); besagte Stimme aus der Höhe gab die „unpathetische Hochdramatische“ später nur noch in ihrem letzten Bayreuth-Jahr 1967. Der expressive Amfortas stellte Dietrich Fischer-Dieskaus Bayreuther Debüt in dieser Partie dar, die er dort einzig 1956 wiederholen sollte. Eine wirkliche diskographische Bereicherung ist der Titurel von Hermann Uhde, den er in Bayreuth tatsächlich nur an diesem 16. August 1955 sang und diese Minirolle gehörig aufwertete. Mit Gustav Neidlinger übernahm ein weiterer Hochkaräter den Klingsor, gleichsam in der Uhde-Nachfolge. Als Gurnemanz brillierte Ludwig Weber, der die fordernde Partie in Bayreuth ebenfalls schon seit 1951 sang. Mit dem Chilenen Ramón Vinay in der Titelpartie konnte ein waschechter Heldentenor vom alten Schlag mit baritonalem Fundament gewonnen werden. Selbst die kleinen Rollen waren 1955 luxuriös besetzt, zuvörderst Josef Traxel (1. Gralsritter), Gerhard Stolze (3. Knappe), Elisabeth Schärtel (2. Knappe und Blumenmädchen) und Jutta Vulpius (Blumenmädchen). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die deutsch-deutsche Besetzung, waren die Vulpius und Stolze doch DDR-Bürger. Hinzu trat der vom Altmeister Wilhelm Pitz einstudierte Festspielchor.

Obwohl nicht immer jeder Einsatz perfekt ist (merkliche Unstimmigkeiten zwischen Dirigent und Ludwig Weber bei der Verwandlungsmusik im ersten Aufzug) und es hie und da hörbare Wackler im unsichtbaren Orchestergraben gibt, stellt sich doch sogleich die Magie ein, die nur ein Dirigent der Statur Knappertsbuschs bei diesem Werk zu erzielen imstande war. Der 55er Parsifal ist in der Tat bereits von einer dramatischeren Tendenz als die getragenere 51er Darbietung; ein Trend, der sich bis 1964 fortsetzen sollte. Dies wird schon im Vorspiel zum ersten Aufzug deutlich, wenn man die Spielzeiten vergleicht: 14:13 (1951), 13:18 (1952), 12:33 (1955), 12:10 (1959), 12:02 (1962).

Hans Knappertsbusch/ vergl. die Website hansknappertsbusch.de

Klanglich handelt es sich um zufriedenstellendes Rundfunk-Mono, aus dem das Mastering von THS-Studio das Menschenmögliche herausholte (die problematischen Glocken im dritten Akt könnten auch einer ungünstigen Aufstellung der Mikrophone geschuldet sein). Die Textbeilage ist vorzüglich und wahrhaft informativ. Interessant auch die im Booklet enthaltenen Photographien, darunter eine besondere Rarität, wo der „Kna“ mit dem Ausdruck ehrlicher Verehrung die Hand der erkennbar geschmeichelten Mödl hält. Für Knappertsbusch-Freunde ohnehin eine Pflichtanschaffung, für alle anderen eine optionale Ergänzung der eigenen Parsifal-Sammlung. Daniel Hauser

Die Musik zum Leuchten bringen

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In wenigen Jahren hat sich der Italiener Vincenzo Milletarì als einer der gefragtesten Dirigenten der jüngeren Generation etabliert. Erst etwas über 30 dirigiert er seit einigen Jahren besonders viel in Skandinavien, hat aber auch schon international große Erfolge feiern können. Etwa im Jahr 2020 bei seinem Debüt beim Macerata Opera Festival mit Il trovatore, damals als jüngster Dirigent in der Geschichte des Festivals. Oder letztes Jahr mit einer vielbeachteten Produktion von Donizettis Frühwerk L’aio nell’imbarazzo beim Festival Donizetti Opera und dieses Jahr bei seinem Frankreich-Debüt in Tours mit Donizettis Deux hommes et une femme. Nun gibt er in einer Operngala mit Carmela Remigio und Freddie De Tommaso sein Debüt beim Kissinger Sommer. Mit Beat Schmid hat er unter anderem über eben jenes Konzert gesprochen, über seine Zeit als Schüler Riccardo Mutis, seinen Werdegang.

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Ich bin in Süditalien geboren und aufgewachsen. Dort habe ich begonnen, Klarinette und Komposition zu studieren. Mit 18 Jahren zog ich zunächst nach Mailand und dann nach Deutschland, wo ich Dirigieren studierte. Abgeschlossen habe ich mein Studium dann in Kopenhagen an der Royal Academy of Music.

Vincenzo Milletarì/ Foto Marco Borelli

Wie ist es, bei einer lebenden Legende wie Riccardo Muti zu studieren? Ich war noch recht jung und ich wünschte, ich könnte jetzt, mit mehr Erfahrung nochmals sein Schüler sein. Natürlich war es atemberaubend. Sein Genie, seine handwerklichen Fähigkeiten als Musiker, sein Wissen als Interpret sind etwas Einzigartiges. Was er mir gelehrt hat, wird mir immer fest in Erinnerung bleiben. Ich schätze mich wirklich glücklich, diese Gelegenheit gehabt zu haben.

Haben Sie eine größere Affinität zur Instrumentalmusik oder zur Oper? Ich wuchs mit einer seltsamen Mischung aus Jazz und zeitgenössischer Musik post Darmstädter Schule auf und verliebte mich dann in die großen Meister des symphonischen Repertoires. Jetzt fühle ich mich im Orchestergraben eines Opernhauses sehr wohl, aber eine gute Woche mit Symphonien ist immer etwas Tolles.

Was sind die größten Herausforderungen beim Dirigieren von Symphonie- und Opernmusik? Auch wenn das eigenwillig klingen mag, besteht die größte Herausforderung darin, hinter der Musik zu verschwinden, die Musik und den Komponisten zum Leuchten zu bringen. Und wenn das passiert, man während des Konzerts spürt, wie das Orchester regelrecht fliegt ist das für mich das größte Glück.

Sie eröffnen den Kissinger Sommer mit einer italienischen Operngala. Wie wird das Programm aufgebaut sein? Das Programm wird eine Reise durch Werke der größten Komponisten des italienischen Repertoires sein, natürlich mit einer kleinen Ausnahme (Tschaikowski). Die erste Hälfte des Programms ist dem Belcanto und dem Verismo-Repertoire gewidmet und die zweite Hälfte Shakespeare und Italien. Deshalb werden wir Macbeth und Otello von Verdi spielen und die Stücke mit einer großartigen Ouvertüre von Tschaikowski über Romeo und Julia einleiten.

Haben Sie auch Oper in Deutschland dirigiert? Bisher nicht. Ich wurde in den letzten Jahren einige Male eingeladen, konnte aber aufgrund anderer Engagements nicht. Ich habe allerdings bereits ein Konzert in Nürnberg dirigiert, und nun bin ich in Bad Kissingen und freue mich auf das Konzert hier. Und ich denke, dass in Zukunft mehr in Deutschland kommen wird.

Vincenzo Milletarì/ Foto Marco Borelli

Sagen sie doch mal Sie Ihren(n) Lieblingsopernkomponist(en) und warum. Natürlich Verdi, der menschlichste aller italienischer Komponisten. Mit seiner Musik erzählte er ein ganzes Jahrhundert, von seinen sozialen, politischen und persönlichen Kämpfen. Wir verdanken Verdi die Vereinigung Italiens und einen großen Teil der Identität unseres Landes.

Sie haben sowohl Opera seria, als auch Opera buffa dirigiert: Was sind die Herausforderungen beider Genres und haben Sie eine Vorliebe? Die opera buffa ist meiner Meinung nach viel schwieriger als die opera seria. Die buffa erfordert viel Arbeit und Vorbereitungen während der szenischen Proben mit dem Regisseur, um das richtige Timing zwischen Schauspiel und Musik zu finden, ganz zu schweigen davon, wie heikel die Arbeit an den Rezitativen ist. Opera seria, insbesondere im romantischen Repertoire, ist näher an der symphonischen Musik. Das Orchester erzählt gemeinsam mit der Bühne eine Geschichte, die Farben sind reicher und kräftiger

Und zum Schluss Ihre anstehenden Engagements? Abgesehen von der Operngala in Bad Kissingen dirigiere ich im Sommer meine erste Tosca in Aarhus. Nächste Spielzeit kommt dann La Cenerentola in Oslo, Suor Angelica in Mailand, Rigoletto in Prag, eine Neuproduktion des Barbiere di Siviglia in Stockholm und Konzerte mit dem Bergen Philharmonic Orchestra.  Das Interview führte Beat Schmid (Foto oben: Marco Borelli)

Liedermarathon

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Liedaufnahmen erfreuen sich anhaltender Konjunktur. Einst gingen in den Studios Sängerinnen und Sänger gemeinsam mit ihren Begleitern auf der Suche nach Vollendung im Ausdruck bis an ihre Grenzen ihrer Fähigkeiten. Vom britischen Produzenten Walter Legge (1906-1979) ist ein Satz überliefert, mit dem er seinen hohen Anspruch zusammenfasst: „Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden.“ Legge betreute viele Einspielungen aller Genres, die nie vom Markt verschwunden sind. Hugo Wolf stand im Zentrum. Das weit verbreitete Interesse am Lied dürfte auch seinem nachhaltigen Wirken zu danken sein. Mit den Jahren ist das Spektrum immer breiter geworden. Es tauchen Komponisten aus der Vergangenheit auf, die aus sehr unterschiedlichen Gründen in Vergessenheit gerieten. Bernhard Sekles (1872-1934) ist einer von ihnen. Er studiere am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Mai bei Engelbert Humperdinck. Nach der Ausbildung zum Dirigenten wirkte an Opernhäusern und kehrte 1923 als Direktor an das Konservatorium zurück. Dort gründete es gegen den Protest konservativer Kreise die europaweit erste Jazz-Klasse. Die Nationalsozialisten entfernten den gebürtigen Juden 1933 aus seinem Amt und verboten seine Werke. Der reiche kompositorische Nachlass von Sekles ist kaum erschlossen.

Doch es kommt Bewegung auf. Innerhalb kürzester Zeit sind gleich zwei Alben mit Liedern auf den Markt gelangt. Von hr2, dem Kulturprogramm des Hessischen Rundfunks hat Hänssler Classic Lieder und Klavierwerke übernommen (HC 22008). Die Sopranistin Tehila Nini Goldstein singt den Zyklus Aus Schi-King. Dabei handelt es sich um achtzehn Lieder für hohe Stimme und Klavier nach der Übertragung ins Deutsche von Friedrich Rückert op. 15 – so der vollständige Titel. Der Legende nach sollen die Lieder vom chinesischen Philosophen Konfuzius gesammelt worden sein, was sich in neuen Forschungen aber nicht bestätigte. Sekles erfand dazu eine Tonsprache in teils kräftigen Farben, denen die Sängerin, die sich bei Hänssler auch mit anderen Wiederentdeckungen von in Vergessenheit geratenen Komponisten einen Namen machte, engagiert gerecht zu werden versucht. Im Booklet sind die Texte abgedruckt. Begleiter ist der russische Pianist und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov, der an der Musikhochschule „Franz Liszt“ in Weimar und an der Universität in Jena lehrt. Er bestreitet die zweite CD des Albums mit Fantasietten, 23 kleinen Stücken für Klavier solo, op. 42 und steuert zudem einen sehr informativen Textbeitrag über Sekles bei. Bei Toccata Classics hatten sich zuvor der Tenor Malte Müller und der Pianist Werne Heinrich Schmidt ebenfalls dem Liedschaffen von Bernhard Sekles zugewandt (TOCC 0651). Im Zentrum ihrer CD steht ebenfalls der Schi-King-Zyklus. Laut Onlinedatenbank LiederNet ist Sekles der einzige Komponist, der sich den Versen zuwandte.

Bei Toccata Classics wandten sich der Tenor Malte Müller und der Pianist Werne Heinrich Schmidt seinem Liedschaffen zu (TOCC 0651). Im Zentrum ihrer CD steht der Zyklus Aus Schi-King op. 15. Der Legende nach sollen die Lieder vom chinesischen Philosophen Konfuzius gesammelt worden sein, was sich in neuen Forschungen aber nicht bestätigte. Sekles griff auf die Nachdichtung von Friedrich Rückert zurück und erfand dazu eine Tonsprache in teils kräftigen Farben, denen der Sänger engagiert gerecht zu werden versucht. Laut Onlinedatenbank LiederNet ist Sekles der einzige Komponist, der sich den Versen zuwandte.

Seinen russischen Zeitgenossen Nikolai Medtner (1880-1951) widmet Brilliant Classic eine Edition der kompletten Lieder, die inzwischen bei Volume 4 angelangt ist (96066). Medtner, der ein Gegner der Oktoberrevolution war, emigrierte 1921 zunächst nach Berlin und lebte drei Jahre in der Stadt. Er hatte deutsche Wurzeln. Daraus erklärt sich auch seine geistige und künstlerische Nähe zu Deutschland. Seines ehr traditionellen Stils wegen nannten ihn Kritiker den „russischen Brahms“. Die neue Einspielung entstand 2022 in den Niederlanden und besteht aus Lieder nach Texten von Goethe und Heine. Sie sind in vier Werkgruppen unterteilt. Alle Lieder der Sammlung werden von der Mezzosopranistin Ekaterina Levental dargeboten. Ihr Begleiter ist Frank Peters, der am Amsterdamer Konservatorium studierte und nun dort auch selbst lehrt. Die Sängerin stammt aus Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans, und durchlief ihre musikalische Ausbildung in Den Haag, Detmold und Rotterdam. Sie ist international aktiv und vielseitig unterwegs – auch als Opernsängerin. Ihr Interpretationsansatz wirkt etwas zu robust und zu dramatisch. Die Stimme findet nur selten in lyrische Ausdrucksbereiche. Vor allem jene Lieder, die auf sehr bekannte Gedichte Goethes zurückgehen wie Nachtlied II („Über allen Gipfeln ist Ruh'“) oder Mignon („Nur wer die Sehnsucht kennt“) lassen entsprechendes Einfühlungsvermögen vermissen. Hinzu kommt, dass die Sängerin im Umgang mit der deutschen Sprache nicht genug geübt ist, um sich präzise verständlich zu machen.

Insomnia. Diesen Titel haben Katharina Konradi und der Pianist und Gitarrist Ammiel Bushakevitz ihrer CD mit Liedern von Franz Schubert gegeben. Sie ist bei BR Klassik/Berlin Classics herausgekommen (0302961BC). Warum Insomnia, wird die aus Kirgisistan stammende Sängerin, die mit fünfzehn Jahren nach Deutschland kam und hier ihre neue Heimat fand, im Booklet von jemanden gefragt, der sich nicht zu erkennen gibt: „Wenn man schlecht schläft, bzw. die Nächte wach liegt, kommen dem Menschen allerlei Bilder, Fantasien und Gefühle ins Gemüt, die einem unter der Einwirkung der Dunkelheit oder der Dämmerung meistens konfus, übergroß und sehr existenziell vorkommen. So ist es bei unserer Lied-Auswahl: Die Stücke behandeln die großen Gefühle wie Liebe, Tod, Hass, Sehnsucht unter dem Brennglas nächtlichen Empfindens.“ In der Trackliste tauchen sehr bekannte und weniger bekannte Titel auf. Der Zwerg ist dabei, Nacht und Träume, An den Mond, Ständchen. „Der Vollmond strahlt auf Bergeshöh‘n“, die Romanze aus der Schauspielmusik zu Rosamunde gehört zu den Werken, die Bushakevitz nach eigenem Arrangement auf der Gitarre begleitet. Zu Nacht und Träume hätte man sich am Ende doch lieber das Klavier gewünscht, das weiche, sanfter und entrückter klingt als das Lauteninstrument.

Das tschechische Label Supraphon hat für eine CD mit Gesängen aus Des Knaben Wunderhorn von Gustav Mahler den deutschen Bariton Peter Schöne engagiert (SU 4322-2). Das hat den Vorteil, dass er als Muttersprachler sehr wissend mit den Texten von großer literarischer Qualität umgehen kann. Schöne ist seit 2017 Mitglied des Saarländischen Staatstheaters und gibt neben seinen Opernauftritten Lieder- und Konzertprogramme. Begleitet wird er vom Prager Philharmonia Octet. Dadurch gewinnen die Gesänge an kammermusikalischer Durchsichtigkeit. Für die Aufnahme wurde eine spezielle Zusammenstellung getroffen. Schöne singt nicht alle zwölf Titel jener zwischen 1892 bis 1898 entstandenen Gedichtsammlung für Singstimme und Orchester, die erst später als Zyklus ein Eigenleben zu führen begann. Es fehlen Verlorene Müh‘, Trost im Unglück, Wer hat das Liedlein erdacht? und – was schade ist – Revelge. Dafür wurden Urlicht (vierter Satz der zweiten Sinfonie) und „Es sungen drei Engel“ (fünfter Satz der dritten Sinfonie), die ursprünglich Teile der Orchesterlieder waren, wieder hinzugenommen. Unterbrochen werden die Gesangsnummern mit Scherzo und Blumine, zwei Sätzen aus Urfassung der 1. Sinfonie, die alsbald verworfen wurde. Im Booklet werden die Hintergründe ausführlich beleuchtet. Rüdiger Winter

Und noch eine …

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Noch einmal, ehe Corona über das Kulturleben auch Italiens hereinbrach, hatte zu Sant‘ Ambrogio 2019 die traditionelle Inaugurazione der Opernsaison halb Milano auf die Beine gebracht, die einen, um Juwelen und Pelze auszuführen, die anderen, um gegen Tierquälerei zu demonstrieren. Der Staatspräsident hatte in der Mittelloge Platz genommen, die Nationalhymne wurde beklatscht, aber nicht gesungen, und zum allerersten Mal, man glaubt es kaum, war Puccinis Tosca an einem 8. Dezember in der Scala zu erleben. Wie inszeniert man eine Tosca zu einem so besonderen Ereignis an diesem besonderen Ort? German Trash will man sich nicht vorwerfen lassen, aber auch nicht als verstaubt und altmodisch gelten. So entschieden sich David Livermore (Regie) und Giò Forma (Bühne) für auf und niederfahrende Säulen, Statuen und Gemälde für den ersten Akt, zu einer Art tanzender Architektur, durch die nicht nur das bekannte Personal sich seinen Weg suchen musste, sondern auch viele Nonnen, die dann im zweiten Akt auch Scarpias Gemach bevölkerten, dazu noch das Personal riesiger Gemälde mit Szenen aus Heiligenlegenden, deren Figuren ab und zu zum Leben zu erwachen schienen, ohne aber in das Geschehen einzugreifen. Für den dritten Akt dann hatte das Regieteam sich etwas ganz Besonderes neben einem sich drehenden Engelsflügel ausgedacht: Tosca springt, und ein Double sinkt und schreit (stumm) und steigt schließlich, umgeben von einer Gloriole, empor in den Himmel, wo hoffentlich nicht Scarpia bereits auf seine Aburteilung wartet. Für Mitteleuropäer mag das schrecklicher Kitsch sein, für das Publikum in der Scala, dem Applaus nach zu urteilen: Bellissimo.

In diesem Ambiente tummelt sich das Personal in Kostümen der Entstehungszeit des Werkes, symbolträchtig könnte es sein, dass Toscas Gewand (Kostüme Gianluca Falaschi) im zweiten und dritten Akt bis zu den Knien blutrot ist, als wate sie durch dasselbe, während Scarpias und  seiner Schergen Kostüme mit roten Flecken übersät sind. Viel wird auch mit Farbwechseln gearbeitet, so überzieht Schwarz das Gemälde der Attavanti, werden die Heiligen blass, wenn es unter ihnen zu heftig , der Folterkeller für kurze Zeit sichtbar wird. Trotz des eine ganz andere Stimmung vermittelnden Vorspiels zum dritten Akt ziehen pausenlos schwarze Gewitterwolken dräuend über die Engelsburg hinweg. Es gibt also sehr viel zu sehen, von Personenregie ist weniger zu bemerken.

Sind die Augen ob all der Pracht, der aufdringlichen Symbolik, der Massen von Personal oft irritiert, so genießen die Ohren ein wahres Fest, angefangen vom Orchester unter Riccardo Chailly, das ein wunderbares Vorspiel zum dritten Akt zaubert, auch im Fortissimo stets klar konturiert bleibt, die Musik blühen und leuchten lässt. Machtvoll und doch gebändigt singt der Chor das Te Deum.

An einigen Stellen horcht man auf, weil Ungewohnte erklingt, so nach „Ma fa gli occhi neri“, nach dem „Vissi d’arte“ und ganz zum Schluss. Chailly hatte die Urfassung, so wie Tosca 1900 in Rom uraufgeführt wurde, gewählt, und wieder einmal wurde der Beweis erbracht, dass Komponisten nicht ohne Bedacht Änderungen an ihren Partituren vorgenommen haben.

Fast ohne Fehl und Tadel sind die Sänger. Alfonso Antoniozzi ist ein eher würdiger als lächerlicher Sagrestano, Carlo Bosi ein besonders fieser Spoletta mit krähendem Charaktertenor, Carlo Cigni ein sonorer Angelotti.

Einen prachtvollen, urgesunden Bariton setzt Luca Salsi für den sardonisch grinsenden Scarpia ein, wie alle anderen ist er beispielhaft textverständlich. Genau auf der für die Partie angemessenen Grenze zwischen lyrischem und Spintotenor ist Francesco Meli als Cavaradossi mit strahlenden Acuti, triumphalem „Vittoria“ und hochkultiviertem „E lucevan le stelle“. Dazu sieht er noch gut aus wie der junge Puccini. Ein Jahr nach ihrem Rollendebüt an der MET ist Anna Netrebko in der Partie der Tosca wahrlich angekommen mit dunkel getöntem, in allen Lagen gleich gut ansprechendem, ebenmäßig gefärbtem Sopran der leuchtenden Höhen und präsenten tiefen Lage. Da gibt es nichts auszusetzen, wenn man in Tosca mehr die leidenschaftliche Frau aus dem Volk als die raffinierte Sängerin sieht, der man es abnimmt, dass sie sich nicht mit Messerstichen begnügt, sondern Scarpia mit gekonntem Würgegriff den Rest gibt (C-Major 76340). Ingrid Wanja           

Ungetrübtes Vergnügen

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Wer denkt nicht sofort an das Ältere-Damen-Ballett, dem es wegen des Tragens von Sombreros verwehrt wurde, auf einer Gartenschau aufzutreten, weil es sich damit des Delikts „kulturelle Aneignung“ schuldig gemacht hatte, wenn er das Cover zu Jacques Offenbachs La Périchole sieht?  Da prangt mitten in Peru auf dem Haupt einer Spanierin ein üppiger Kopfschmuck, der zweifellos dem der indianischen Ureinwohner zuzuordnen ist. Auch sonst geht es munter durcheinander mit indianischem und spanischem Brauchtum, und wenn am Schluss, bei einem Offenbach-Werk fast unverzichtbar, alle Cancan tanzen, dann wirbeln alle vergnügt durcheinander, als wenn es weder Standes-, Ethnien- oder sonst welche Grenzen zwischen den Menschen gebe.

Nun ja, wir sind nicht im ideologieverbiesterten Deutschland, sondern in Paris, wo man an der Opéra Comique in schöner Unbefangenheit einfach nur gut unterhalten will, was auch gelingt, schon allein, weil alle Mitwirkenden sicht- und hörbar mit Freude und Engagement bei der Sache sind. Audrey Vuong hat naiv-sparsame Kulissen in hellen, bunten Farben auf die Bühne stellen lassen, Vanessa Sannino mild bis drastische karikierende Kostüme entworfen, je nach Stand und Vermögen, so den Vizekönig Andrés de Ribeira recht albern erscheinen lassend, den armen alten Gefangenen in der Nachfolge des Grafen von Monte Christo trotz ellenlangen Weihnachtsmannsbartes doch noch ziemlich würdig. Es geht um das Straßensängerpaar Périchole und Piquillo, natürlich arm, aber schön, in dessen weiblichen Teil sich der Vizekönig von Peru verliebt, was gewinnbringend, aber nicht ungefährlich ist. Am Ende und nachdem sich die Granden des Hofes lächerlich gemacht haben, siegt beim König die Großmut, ganz allgemein und in verschiedenen Formen die Liebe, nur der arme Alte muss wieder ins Gefängnis, weil er sich an seine Straftat nicht mehr erinnern, er  deswegen auch nicht begnadigt werden kann.

Das alles läuft ungeheuer zügig, aber nicht überhastet, urkomisch, aber nicht diffamierend, freizügig, aber nicht obszön ab, und der Zuschauer wird in eine fast so gute Laune versetzt, wie sie auf der Bühne zu herrschen scheint. Tiere auf derselben sind immer ein Risiko, die aus Stoff, so von freundlichen Lamas, französischen Bulldoggen oder die Hinterteile von Pferden, aus denen deren Äpfel fallen, ganz und gar nicht, sondern eine fröhliche Bereicherung des Geschehens. Und „gespielt“ wird auch noch nach dem Verklingen der letzten Note, wenn er Solobeifall sehr individuell entgegen genommen wird.

Stéphanie D’Oustrac spiet die Titelfigur mit viel Charme und einer farbig-weichen Mezzostimme, akustisch wie optisch elegant, köstlich in der Arie einer Beschwipsten und von schöner Melancholie, wenn es einmal schief geht mit den intriganten Plänen. Ihr Partner ist Philippe Talbot mit strapazierfähigem Tenor, optisch ein Sancho-Pansa-Typ, vokal weit edler. Mit schütterer Stimme gibt Tassis Christoyannis den Vizekönig sympathisch vertrottelt, Éric Huchet und Lionel Peintre als Kanzler und Gouverneur stehen ihm in nichts nach. Von tragischer Komik ist Thomas Morris als alter Gefangener, schöne Stimmen haben die drei Kusinen Julie Goussot, Marie Lenormand und Julia Wischnewski als Cousinen bzw. Hofdamen. Der Choir Les eléments unter Martin Surot ist so spritzig-witzig wie das Orchester unter Julien Leroy. Wer unbeschwert genießen will, ziehe sich diese sehr französische, aber weder spanische noch peruanische, Aufnahme zu Gemüte (Naxos NBDo168V). Ingrid Wanja

Gabriele Schnaut

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Am 24. Februar 1951 in Mannheim geboren und anschließend in Mainz aufgewachsen, zeigte sich die musikalische Ader bei Gabriele Schnaut schon früh. Über ein Violine- und Musikwissenschaftsstudium kam sie ab 1971 zum Gesang (Studien in Frankfurt/M. und Ost-Berlin). 1976 erfolgte dann das erste feste Engagement an der Staatsoper Stuttgart. Über Darmstadt (1978-1980) und Mannheim (1980-1986) kam die Schnaut an die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf (1986-1990). Hatte sie als Altistin begonnen, ging es über den Mezzosopran 1985 schließlich ins hochdramatische Sopranfach. Die Musik von Wagner bildete eine feste Säule in ihrem Repertoire. Schon 1977 debütierte Schnaut bei den Bayreuther Festspielen (Waltraute und 2. Norn), sang dort später auch die Venus (1985-1987) und die Sieglinde (1986), vor allem aber die Ortrud (1987-1991 und nochmal 1999). Ihre letzten dortigen Auftritte absolvierte sie im Jahre 2000 als Brünnhilde im kompletten Nibelungenring. Daneben war es gerade Richard Strauss, der im Zentrum ihres Schaffens stand (Elektra, Färberin, Amme, Octavian), aber durchaus auch Puccini (Tosca und Turandot), Bizet (Carmen), Janacek (Küsterin) und Berg (Marie). Gastspiele führten sie u. a. nach Wien, Mailand, London, Paris, Genf, Rom, Barcelona, Warschau, New York, Chicago, Antwerpen und Tokio. Auch als Konzertsängerin (Oratorium und Lied) kam sie zu Ehren. Gabriele Schnaut war Hamburgische (1995) und Bayerische Kammersängerin (2003) und erhielt 2006 den Bayerischen Verdienstorden. Divenhafte Züge entwickelte sie trotz ihrer unbestreitbaren Erfolge mitnichten. Die letzten gut zwei Jahrzehnte verlebte sie in Rottach-Egern im oberbayerischen Landkreis Miesbach. Am 19. Juni 2023 ist Gabriele Schnaut im Alter von 72 Jahren nach schwerer Krankheit verstorben. Daniel Hauser

Verzauberung auf Französisch

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Der Tod von Lully 1687 öffnete seinen Rivalen endlich die Türen der Pariser Opéra – neben Charpentier auch Henry Desmarest und seinen Werken, darunter die Tragédie en musique Circé. Das Libretto dieser 1694 in Paris uraufgeführter Oper stammt von Louise-Geneviève Gillot de Saintonge, einer Frau also, was höchst ungewöhnlich ist. Aber es gab in dieser Zeit auch eine Komponistin, Elizabeth Jacquet de la Guerre mit ihrer Oper Céphale et Procris, die gleichfalls 1694 ihre Premiere erlebte und vom starken Einfluss französischer Künstlerinnen in dieser Epoche zeugt.

Zur Renaissance der französischen Barockoper trägt auch diese Neuveröffentlichung der Circé auf zwei CDs von Chateaux de Versailles bei, die im Januar 2022 in Versailles aufgenommen wurde (CVS085). Die Oper in einem Prologue und fünf Akten sowie Divertissements gemäß der französischen Tradition schildert die schicksalshafte Begegnung von Ulysse mit der Zauberin Circé  Diese ist gleich der Medea eine mythische Figur – eine leidenschaftliche, von Rache erfüllte Frau, die am Ende der Oper spektakulär ihre Insel zerstört, welche in den Fluten versinkt.

Für die vorliegende Einspielung war es ein Glücksfall, die renommierte französische Sopranistin Véronique Gens für die Titelrolle verpflichten zu können. Beim Auftritt im 1. Akt zeigt sie sich in wehmütiger Stimmung über die Freuden und Schmerzen der Liebe („Ah! que l’amour aurait des charmes“) und Gens gibt dieser Szene berührend melancholischen Anstrich. Spätestens im 4. Akt ändert sich der Tonfall, wenn Circé erkennen muss, dass sie Ulysse an ihre Rivalin verloren hat. „Bei „Sombres marais du Styx“ färbt Gens die Stimme dunkel und düster, die Diktion wird kantiger, aggressiver. Ihre großen Szenen am Ende des  letzten Aktes („Ô rage! Ô douleur  mortelle!“/„Ah! quelle rigueur extrème“) verdeutlichen Circés Ausnahmezustand mit einer Deklamation, welche in ihrer Heftigkeit und Wucht ihresgleichen sucht.

Nach dem Prologue, der wie üblich eine Huldigung an den französischen König darstellt, offenbart Circé ihrer Gefährtin Astérie (Caroline Mutel mit lieblichem, doch etwas unausgeglichenem Sopran) Zweifel an der Aufrichtigkeit von Ulysses Zuneigung, da sie von Elphénor (Nicolas Courjal mit resonantem, gelegentlich stark vibrierendem Bariton) vernommen hat, dass dieser die Insel verlassen will. Die Zauberin verwandelt Ulysses Gefährten in Monster und die Insel in einen Garten, in welchem sie ein Fest geben will. Ulysses Bitte, seine Gefährten zu befreien, will Circé als Zeichen ihrer Macht erfüllen. Ihre Rivalin in der Gunst Ulysses ist Éolie (Cécile Achille mit feinem, kultiviertem Sopran), der Ulysse bei einer Begegnung im Wald erneut Liebe schwört („Quand on aime tendrement“), was Elphénor belauscht und Circe verrät. Als Belohnung verspricht ihm die Zauberin die Hand von Astérie. Als diese sich weigert, begeht Elphénor Selbstmord. An seinem Grab will Circé den Namen ihrer Rivalin erfahren, doch wird ihr diese Auskunft von Elphénors Schatten verweigert. Rasend ruft sie die Geschöpfe der Unterwelt herbei und lässt Ulysse von Eumeniden verfolgen. Ihm und seiner Éolie übergibt Mercure eine Blume, welche die Gabe besitzt, Verzauberungen aufzuheben. Das rettet beide vor Circés letztem verzweifeltem Versuch, die Liebenden zu vernichten.

Neben Gens singt ein weiterer angesehener französischer Interpret – der Tenor Mathias Vidal als Ulysse. Er ist ein versierter Stilist im Repertoire des französischen Barock und überzeugt auch hier mit markanter Deklamation,  prononciertem Gesang und starker Emphase.

Das Ensemble Les Nouveaux Caractères leitet Sebastien d’Hérin, der das auf historischen Instrumenten musizierende Orchester 2006 gegründet hatte. Spezialisiert auf seltene Werke des Barock, lebt seine Einspielung von großer musikantischer Frische und künstlerischer Freiheit. Im Prologue zeugen die majestätische Ouverture, das Air pour les Jeux et les Plaisirs sowie Tänze wie Menuet, Gigue, Bourrées und Gavotte vom festlichen Anlass der Aufführung. Am Ende unterstreicht d’Herin mit orchestralem Aufruhr die dramatischen Vorgänge der Handlung mit dem Untergang der Insel. Den Esprit des französischen Barock trifft der Dirigent mit seinem Orchester in bewundernswerter Vollkommenheit (03.06.23). Bernd Hoppe

Max von Schillings  „Pfeifertag“

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Und noch eine Oper aus der Schatzkiste Ingolf Huhns, bis 2021 Intendant am Ernst-von Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz und nun neuer Künstlerischer Leiter des Festivals Greizer Theaterherbst, ehemaliger Theaterleiter in Döbeln, Plauen Freiberg und anderen Häusern Mitteldeutschlands. Wir haben ja Ingolf Huhn genügend dicke Kränze bei operalounge.de gewunden um ihn noch näher vorzustellen zu müssen. In den Achtzigern bin ich ihm buchstäblich nachgereist, um diese vergessenen Trouvallien aus der Opernliteratur der Jahrhundertwende kennenzurlernen. Klar, es waren nicht Gala-Aufführungen in Paris oder London, aber es waren eben solche, in denen ein hochengagiertes Ensemble diese Werke mit Gewinn zum Leben erweckte. Und Huhns konservative Optik half diesen sehr zeitverhafteten Opern mehr als die meisten heutigen Vergewaltigungen, die die Handlung bis zur Unkenntlichkeit zurücktreten lassen. Mit Ingolf Huhn stieg – angesichts der oft langweiligen und vorhersehbaren Spielpläne der großen Bühnen – meine Hochachtung vor der „Provinz“ wieder einmal.

Zu Max von Schillings „Pfeifertag“/ Porträt des Komponisten/ Wikipedia

In Plauen also gab es 2006 den Pfeifertag von Max von Schillings, und auch da lohnte sich die Reise in die ehemalige Stadt der Spitzenindustrie mit ihren eindrucksvollen wilhelminischen Bürgerhäusern und dem hübschen kleinem Stadtkern. Nachstehendes nun zum Komponisten und zum Werk, leider gibt’s – außer bei Sammlern – kein Ton-Dokument dazu… 1907 nahm Schillings das Hexenlied und das Vorspiel zum III. Akt auf Rollen für das Reproduktionsklavier Welte-Mignon auf, inzwischen auf CD zum Leben erweckt. Das Vorspiel wurde sogar 1903 bei der BBC aufgenommen. Auch der „Trauermarsch“ aus dem 3. Akt erfreute sich vor dem Krieg längerer Zeit als Konzertstück Beliebtheit. G. H.

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Annelen Hasselwarder schreibt im Programmheft zur Aufführung in Plauen: Max Schillings wurde am 19. April 1868 in Düren in der Eifel geboren. Er stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus und wuchs auf einem hochherrschaftlichen Gutshof auf. Sein Vater Carl Schillings, Landwirt und Jager, war ein eher pragmatisch veranlagter, unmusikalischer Mensch; seine Mutter Johanna dagegen, stolz darauf, eine geborene Brentano zu sein, war feinsinnig und sehr gebildet. Sie erkannte die hohe musikalische Begabung ihres zweiten Sohnes und förderte sie. So erhielt Max Schillings sehr früh Violinunterricht. Das Klavierspielen brachte er sich selbst bei.

Zu Schillings „Pfeifertag“: Hermann Zumpe war der Dirigent in der Schweriner Uraufführung/ Wikipedia

Mit zwölf Jahren absolvierte Max Schillings seinen ersten Konzertauftritt, mit dreizehn vollendete er eine erste Komposition für Violine und Klavier. Der Besuch einer Parsifal-Vorstellung in Bayreuth ließ den Vierzehnjährigen zu einem glühenden Verehrer Richard Wagners werden. 1889 ging Max Schillings nach München, um auf den dringenden Wunsch seines Vaters Jura zu studieren. Doch bereits ein Jahr später gab er dieses Studium auf und versuchte, sich in München als Komponist zu etablieren. Er gehörte zum Kreis der jungen Münchner Modernen um den Doyen des Münchner Musiklebens, Alexander Ritter, in dem er außer Ludwig Thuille und Richard Strauss auch Ferdinand Graf Sporck kennenlernen sollte, den Librettisten sei­ner beiden ersten Opern Ingwelde und Der Pfeifertag.

Zu Max von Schilligs „Pfeifertag“/ Ferdinand Graf von Sporck, der Librettist/ Walchensee Museum

Sporck stammte aus Böhmen, war Schriftsteller und Librettist und war wie Schillings Wagnerianer. Schon als Schüler hatte er den Fliegenden Holländer ins Tschechische übersetzt. Mit Richard Strauss verband Max Schillings bald eine lebenslange Freundschaft. 1891 wurde der junge aufstrebende Musiker Assistent in Bayreuth. Wahrend dieser acht Monate lernte er zum Beispiel den Dirigenten und Komponisten Felix Mottl kennen, traf Engelbert Humperdinck wieder, den er schon aus der Gymnasialzeit kannte, spielte abends mit Cosima Wagner vierhändig Klavier, dirigierte die Waldhörner im Tannhäuser und durfte zusammen mit Humperdinck die Parsifal-Glocken schlagen. Im selben Jahr heiratete Schillings seine Cousine Caroline Peill und siedelte mit ihr zusammen endgültig nach München über. 1894 wurde Schillings‘ erste Oper Ingwelde in Karlsruhe uraufgeführt. Der Erfolg war derart groß, dass Max Schil­lings praktisch über Nacht mit 26 Jahren ein bekannter Komponist war.

Fünf Jahre danach folgte mit den Pfeifertag die zweite aufsehenerregende Uraufführung. Das Melodram Das Hexenlied aus dem Jahr 1902 steigerte Schillings‘ Bekanntheitsgrad noch weiter. 1906 wurde die Oper Moloch nach einem Dramenfragment von Christian Friedrich Hebbel in Dresden uraufgeführt.

1907 war ein Eintrag über Schillings in Meyers Konversationslexikon zu finden. Dort stand zu lesen, dass er „zu den besten Vertretern der Wagnerschen Schule“ gehöre. Im selben Jahr ging er als Kapellmeister an die Hofoper in Stuttgart. Ein Jahr später wurde er dort Generalmusikdirektor. Er blieb bis zum Ende des 1. Weltkrieges. 1912 wurde er in den Adelsstand erhoben.

Im Jahr 1915 wurde in Stuttgart von Schillings‘ viertes Opernwerk Mona Lisa uraufgeführt. Die Titelpartie sang die Sopranistin Bar­bara Kemp, die sieben Jahre später Max von Schillings‘ zweite Ehefrau wurde.

Zu Max von Schilligs „Pfeifertag“/ Szene Aufführung Plauen/ Huhn

Den Hohepunkt seiner Karriere bedeutete fur Max von Schillings die Intendanz der Preussischen Staatsoper Unter den Linden, die im Jahr 1919 begann. Seine an sich sehr erfolgreiche Direktion wurde jäh beendet, als er 1925 nach heftigen Querelen mit dem Kultusministerium iiber Etat- und Gagenfragen fristlos entlassen wurde. Der Skandal war so heftig, daft „der Fall Schillings“ sogar im Preussischen Landtag verhandelt wurde. Resigniert zog sich von Schillings zurück und horte auf zu komponieren. Erst 1932 kehrte er ins öffentliche Leben zuriick, als er zum Prasidenten der Preussischen Akademie der Künste gewählt wurde. Nach der “Machtergreifung” Hitlers im Jahr 1933 versuchten die Nationalsozialisten, Max von Schillings fur sich zu vereinnahmen. Im selben Jahr berief ihn die Stadt Berlin zum Intendanten der Städtischen Oper Charlottenburg. Wenige Monate danach, am 24. Juli 1933, starb Max von Schillings unerwartet an einer Lungenembolie nach einer Operation. Sein Tod löste Bestürzung in der deutschen Musikwelt aus.  

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Zu Schillings „Pfeifertag“: Marie Gutheil-Schoder sang die Alheit in der Uraufführung/ Wikipedia

Bereits während der Arbeit an Ingwelde, Schillings‘ erstem grossem Opernerfolg, machte ihn sein Librettist Ferdinand Graf Sporck im Mai 1893 auf den Stoff des „Pfeifertages“ aufmerksam. Sporck hatte die Legende vom Pfeiferkönig von Rappoltstein, die ihm für eine heitere Oper brauchbar erschien, in den elsässischen Sagenbüchern von Wilhelm Hertz entdeckt. Schillings war zunächst begeistert: „Ich darf aufrichtig sagen, dass ich fast eine schlaflose Nacht hatte vor Riesenfreude über den einzig herrlichen Pfeiferkonig.“ So schrieb er in einem Brief an Sporck. Zwei Jahre später begann Schillings im Mai 1895, sich genauer mit Sporcks Libretto zu befassen. Dabei verflog seine anfängliche Begeisterung offenbar schnell: „Ich muss mir nun das ganze Werk bis ins einzelne auf die musikalische Oekonomie hin zerlegen und zergliedern, und dann wird ein ausführlicher und offenherziger Wunschzettel an Dich abgehen für den ich täglich Notizen sammle.” schrieb er an Sporck im Juni 1899. über drei Jahre, bis zum Sommer 1899, dauerte die Arbeit an der Komposition. Dabei musste das Libretto auf Schillings‘ Wunsch immer wieder verändert werden. “Am 22. August habe ich den letzten Doppelstrich in der Partitur gemacht und dreimal laut Amen gerufen.“, meldete der Komponist seinem Librettisten in einem Brief.

Der Pfeifertag war die letzte Arbeit von Schil­lings und Sporck. Die Uraufführung fand am 26. November 1899, also wenige Monate nach der Fertigstellung, am Hoftheater Schwerin statt. Es dirigierte Hermann Zumpe, dem das Werk auch gewidmet ist. Regie fuhrte der mit Schillings befreundete Sanger und Regisseur Hermann Gura. Schillings‘ Musik wurde begeistert aufgenommen. Das Libretto allerdings wurde oft kritisiert. Richard Strauss zum Beispiel schrieb an Schillings: „Deine Musik ist famos: wollte Gott, ich konnte von Herzen dasselbe von den Sporckschen Versen sagen.“ 1930 erarbeitete Max von Schillings für eine Inszenierung an der Ber­liner Staatsoper unter dem Dirigat von Erich Kleiber eine Neufassung des Pfeifertages, in der er kleinere Veränderungen vor allem im 3. Aufzug vornahm. Annelen Hasselwander

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Zu Schillings „Pfeifertag“:Karl Zeller (hier als Tannhäuser) sang den Velten 1899 in Weimar/ Wikipedia

Dazu auch Christian Detig ebenfalls im Programmheft: Musikalisch erschienen die Anklänge an das Vorbild Richard Wagners nicht ganz so offenkundig. Durch den Rückgriff auf mittelalterliche Melodien zum Beispiel versuchte Schillings eine eigene Farbe für das Stuck zu finden. Die zeitgenössischen Kritiker machten denn auch zum erstenmal einen spezifischen Schillings-Ton aus. In der „Berliner Börsen-Zeitung“ heißt es: „Diese Musik hat, wenn nicht ihren eigenen Stil, so doch ihre besondere Physiognomie. Der Wagnersche Stil ist darin nicht einfach kopiert, sondern in eigener origineller Weise fortgebildet, in einer Weise, die überall eine ausgesprochene Individua­list erkennen lässt.“ Zum erstenmal begegnet uns anlässlich der Berliner Erstaufführung auch jenes Etikett, das in Urteilen über Schillings‘ Kompositionen zur feststehenden Redewendung werden wird: Die „Vossische Zeitung“ spricht von einem überaus „vornehmen Werk“. Die Vorschusslorbeeren anlässlich der Ingwelde hatten sich bestätigt. Mit dem Pfeifertag gehörte Schillings nun endgültig in die erste Reihe der fortschrittlichen Komponisten. Mit nur zwei Opern und zwei größeren symphonischen Werken hatte Schillings in wenigen Jahren eine rasante Karriere gemacht. In einem Atemzug wurde er nun mit Strauss und Pfitzner genannt, der den Pfeifertag überschwenglich begrüßte als „eines der seltenen Werke, die in ihrer zeitlichen Folge jenes Ewige darstellen, was man schlecht und ungenau etwa den deutschen Geist nennen konnte.“ Und Engelbert Humperdinck flachste ironisch, dass ihn nach dem Pfeifertag nun der Ehrgeiz plage, ein zweiter Schillings zu werden.“

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Zu Schillings „Pfeifertag“: Karl Erb (hier als Don Manuel de Guzman von Walter Braunfels, 1907 in Ravensburg) sang den Velten in Stuttgart/ Historicaltenors

Zum Inhalt – Wilhelm Hertz im Spielmannsbuch: Es war eine eigenthümliche Einrichtung des Mittelalters, dass einzelne vornehme Herren mit der Schutz- und Gerichtsherrschaft über gewisse Gewerbe belehnt waren. So standen die elsässischen Spielleute nach altem Rechte unter dem Herrn von Rappoltstein. Dieser als der oberste Pfeiferkönig (auch die Vorstände der Spielmannsinnungen freuten sich des stolzen Konigstitels) wählte einen Stellvertreter aus der Zahl der Spielleute, dem er zugleich den Königstitel übertrug. Alle Jahre, am Dienstag nach Maria Geburt, fand zu Rappoltsweiler der Pfeifertag statt. Da zogen der Pfeiferkönig und hinter ihm her in langer Reihe die Mitglieder der Bruderschaft zur Kirche unserer lieben Frau von Dusenbach, wo das wunderthatige Gnadenbild der vielgepriesenen Schutzpatronin der fahrenden Leute sich befand. Nach der Messe wandte sich der Zug zum herrschaftlichen Schlosse, wo dem Schutzherrn mit einem Konzert gehuldigt wurde, wofür die Schlossbeamten trefflichen Wein spendeten. Dann ging es ins Gasthaus zur Sonne. Hier wurde das Gericht gehalten, Streitigkeiten geschlichtet und die Angelegenheiten der Bruderschaft besprochen. Der letzte Pfeifertag wurde gefeiert im Jahre 1789. In den Stürmen der Revolution ging auch dieser Rest fröhlichen Mittelalters in Trümmer. Der letzte, oberste Pfeiferkönig war Maximilian Joseph von Pfalz-Zweibrücken, der spätere König von Bayern.

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Vorgeschichte:   Rappoltsweiler im 15. Jahrhundert. Die Grafen von Rappoltstein sind als Obrigkeit und Schutzherren für alle fahrenden Spielleute im Elsass eingesetzt, und Schmasmann von Rappoltstein nimmt sich dieser Aufgabe auch gem und engagiert an. Was ihm Kummer bereitet, ist, daft sein Sohn Ruhmland so sehr von der Kraft der Musik ergriffen worden ist, dass er nicht nur der Beschützer der Musiker, sondern selber fahrender Spielmann sein wollte. Im Zorn hat er ihn deshalb vor Jahren verbannt; seine Tochter Herzland hingegen liebt heimlich Velten Stacher, einen jungen, aufrührerischen Spielmann, der aus der Fremde ins Elsass gekommen ist und hier gegen die hergebrachten Regeln im Pfeiferwesen kämpft. Jedes Jahr Anfang September versammeln sich die fahrenden Musiker in Rappoltsweiler zum Pfeifertag, wo die Verbandsgeschäfte besprochen werden, eine gemeinsame Prozession zur Marienkapelle im nahegelegenen Dusenbachtal unternommen wird und wo der Lehnsherr Gericht hält.

Grabplatte für Max von Schillings in der 1828 erbauten klassizistischen Gruftenhalle in Form einer Galerie auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main /Foto Georg Hart

Erster Aufzug: Der Pfeifertag beginnt wie jedes Jahr vor Sonnenaufgang mit dem Vortrag der Einsetzungslegende. Wahrend die Pfeifer dann zur Kapelle Unserer Lieben Frau von Dusenbach ziehen, bleibt der Pfeiferrat – vier gewählte Vorstände mit dem Unterpfeiferkönig Jockel an der Spitze – zurück und bespricht die Chancen, auch in diesem Jahr wiedergewählt zu werden. Sie befürchten Konkurrenz von den jungen Pfeifern, die hier jetzt offenbar nach der Macht streben: Velten Stacher mit seiner Agitation gegen den Pfeiferzoll, eine kleine Abgabe, die jeder Musiker einmal im Jahr zu entrichten hat, und ein allen bisher unbekannter junger Spielmann mit Namen Rasbert.

Der Pfeiferrat läuft der Prozession nach und der Lehnsherr, Graf Rappolt­stein, inspiziert mit seiner Tochter die Vorbereitungen zum Festtag. Sein Behagen über das schon Geglückte seiner Bemühungen der letzten Jahre für die Stellung und Lebensumstände der Musiker währt nicht lange; Herzland erklart ihm, daft sie Velten heiraten wolle oder in den Tod gehen. Nachdem der Vater wütend gegangen ist, zaubert Herzlands Freundin Alheit Velten und den Bruder Ruhmland aus einem Versteck im Graben hervor, und die Paare liegen sich in den Armen, denn auch Ruhmland und Alheit gehören zusammen. Gemeinsam entsteht der Plan, die Einwilligung des Vaters zur Verbindung von Herzland und Velten dadurch zu erreichen, dass Veltens Tod vorgetäuscht werden und in der Trauer und den lobenden Nachreden der Vater für ihn eingenommen werden solle. Rappoltstein, der jetzt auf die jungen Leute trifft, befragt Velten, ob er endlich seine Meinung zum Pfeiferzoll geändert habe, aber Velten versucht ihm in einem Liede klarzumachen, daft von alters her die Sänger immer ganz nah bei den Fürsten gewesen und eigentlich ihnen ebenbürtig seien.

Zu Schillings „Pfeifertag“/ Programmzettel Weimar 1900/ Wikipedia

Die Pfeifer kehren von der Prozession zuriick und die große Versammlung beginnt mit einer Huldigung. Rasbert, der unbekannte junge Mann, in dem Rappoltstein den eigenen Sohn noch nicht erkennt, singt ein Lied von der Macht der Musik, ein Lied von der Rabenschlacht mit Dietrich von Bern, bei der Rappoltsteins Vorfahr nur durch seine Pfeifer gewonnen habe. Er endet aber seinen Gesang mit einer Klage, dass der Stamm dieses Geschlechts nun aussterben werde, da der einzige männliche Erbe ja verbannt und in der Fremde sei.

Um Rappoltsteins nahenden Unmut zu vertreiben, wird Velten aufgefordert, rasch weiterzusingen, und er singt nun ein Paradieslied, ein Lied von Adam und Eva als Musikanten, die aus dem Garten Eden vertrieben worden seien, weil sie zu klein musiziert hatten. Und in einer ebenso kühnen Wendung schließt er, dass dadurch der Spielmann dem Edelmann, dem Fürsten, jedem Edelmann verwandt sei. Das verärgert Rappoltstein nun vollends; er geht wütend fort, und der Beginn des Pfeifertages endet im Eklat.

Zweiter Aufzug: Velten sinniert in einem großen Monolog über das unstete, dornenreiche Schicksal der fahrenden Spielleute und schläft dabei ein. Die anderen drei jungen Leute finden ihn; unter den Planungen für den vorzutäuschenden Tod werden sie vom Vater überrascht, der seine Tochter zur Rede stellen will und sich im Zorn zu der Versicherung hinreißen lafk, notfalls würde er Herzland mit Velten auch im Tode verheiraten. Das lässt sich Alheit schnell durch einen Handschlag bestätigen.

Die Gerichtsversammlung beginnt und der Unterpfeiferkönig Jockel berichtet über die Lage der Musiker im Land, auch über das Eindringen neuer, fremder Weisen, an denen alle viel Freude hatten. Das provoziert Ruhmland, der noch immer unerkannt ist und für alle Rasbert heißt, zu einer scharfen Erwiderung, in der er auf sehr abweisende Art vor fremden Schmarotzern und Kletten im heimischen Pfeiferwald warnt und beklagt, daft man der eigenen Spielleute Scherz und Schmerz am liebsten das Herz versage und statt dessen den Fremden sich zum Wirte wähle. Und mit den Worten „0 raubt uns nicht die starke Macht, den Glauben an das, was wir selbst erdacht!“ und „Verstoßt nicht länger Eure Söhne, lasst künden Euch in reiner Schöne aus ihres Herzens Überschwang, was tief in ihrer Seele klang!“ singt er ein Triumphlied auf „Spielmannswonne, Spielmannsnot, zeugungsgewaltiges, wundergestaltiges Machtgebot“. Damit sind die Kampfpositionen klar. Velten aber greift jetzt zu unredlichen Mitteln und denunziert Jockel, er habe Geld aus der Kasse der Pfeifer unterschlagen. In den wütenden Protest Jockels und die beginnende Prügelei hinein bricht ein gewaltiges Unwetter, das das ganze Wirtshaus anzuzünden und fortzuschwemmen droht. Als es kaum noch keinen Ausweg zu geben scheint, beschwören alle Velten, ihnen einen Weg aus dem Haus heraus zu bahnen; Velten steigt aus dem Fenster und ein direkt dabei einschlagender Blitz scheint ihn erschlagen zu haben.

Intendant und Musikarchäologe Ingolf Huhn/Foto Hihn/EVWT

Dritter Aufzug: In die Trauerzeremonie für Velten hinein tritt Herzland als Braut. Sie zwingt den Vater, sein Wort zu halten und sie mit dem Toten zu vermählen. Tatsächlich werden nun ruhmvolle Nachreden auf Velten gehalten, und selbst Jockel kann nur Gutes von ihm berichten. Als Rappoltstein, ratlos, den toten Bräutigam fragen muss, ob er Herzland zur Frau wolle, springt Velten quicklebendig auf und sagt Ja. Zwischen Entsetzen, Staunen und Freude muss Rappoltstein erkennen, daft er besiegt worden ist und er nun nur noch den Wunsch hat, den verlorenen Sohn wiederzufinden. Diesen Wunsch kann ihm Rasbert erfüllen: Er geht Verzeihung erbittend auf die Knie; und mit den Worten „ Vater, hier bin ich“ nimmt er seinen falschen Bart ab und ist wieder zu Hause. Rappoltstein, am Ende, befreit die fahrenden Musiker vom Pfeiferzoll, aber das ist schon nicht mehr so wichtig. Annelen Hasselwander

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Theater Plauen-Zwickau (2. 6. 2006) Der Pfeifertag; Ein Spielmannsscherz in drei Aufzügen; Dichtung von Ferdinand Graf Sporck Musik von Max von Schillings; Opernchor des Theaters Plauen-Zwickau; Es spielt das Philharmonische Orchester Plauen-Zwickau; Robert-Schumann-Preisträger; Musikalische Leitung-Georg Christoph Sandmann ; Inszenierung-Ingolf Huhn; mit Hagen Erkrath; Gessler; Guido Hackhausen; Katrin Kapplusch/Uta Simone u. a./ Abbildung oben: Èdouard Manet: Pfeiferjunge/ Musée d´Orsay/Wikipedia/ Bisherige Beiträge in unserer Serie Die vergessene Oper finden Sie hier

Und wieder einer …

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Jahrelang ein Blickfang für die Touristen war in Verona zwischen der Arena und der Fontana der Piazza Bra ein Haufen erzenen (so schien es, war aber Plastik) Kriegsgeräts, mit einem riesigen darnieder gestreckten Rittersmann, Wehrtürmen und im Geschützfeuer versengten Fahnen. Es handelte sich um Requisiten der Trovatore-Produktion von Franco Zeffirelli, dem Spezialisten für großartige Opernaufführungen in nicht nur großräumigem Ambiente, sondern auch einer eindrucksvollen Aida im klitzekleinen Opernhaus von Busseto neben der monumentalen im Veroneser Amphitheater. Die Arena hatte sich außerhalb der Magazine noch einen Aufbewahrungsplatz für die umfangreichen Bühnenbilder geschaffen, vertrauend auf das meistens zuverlässige Wetter. Das ganz große Wunder allerdings, das dem Publikum jeden Abend beschert wurde, konnte man beim Anblick der im Tageslicht doch recht nüchtern wirkenden Teile nicht erahnen. Eine Woge bewundernder Ahs und Ohs zog jedes Mal durch das Arenarund, wenn sich die Wehrtürme öffneten und den Blick auf einen hellleuchtenden gotischen Altar freigaben. Nun gibt es eine DVD aus dem Jahre 2019, kurz nach Zeffirellis Ableben entstanden und das Arena-Debüt von Anna Netrebko bedeutend und auch am Fernseher Eindruck machend. Da nimmt man auch vom Sofa aus in Kauf, dass sehr viel, ja zusätzliches Ballett einer fahrenden Volksgruppe dem Geschmack opernungewohnter Publikumsschichten entgegen kommt, umso mehr, als man feststellen kann, dass bei der Lenkung der umfangreichen Komparserie durchaus auf Individualisierung geachtet wurde. Geschick bewies Zeffirelli auch bei der Einbeziehung der hoch hinter der Bühne aufragenden Gradinate in das Bühnengeschehen, und sicherlich hat ein Teil des Publikums auch goutiert, dass Schimmel Leonora und Manrico aus der Kirche, Braune die Mannen Lunas in die Schlacht führten. Vorenthalten wird dem DVD-Betrachter das Kerzenmeer zu Beginn des Abends, die dreimalige Ankündigung des baldigen Beginns durch Gongschläger in zum Werk passendem Kostüm, das Geleiten des Dirigenten zu seinem Arbeitsplatz und der Ruf „Bravo, Maestro“ durch den Claqueur vom Dienst.

Kommt man mit alle diesem dem Geschmack eines nicht operngewöhnten Publikums entgegen, so ist die Besetzung, zumindest für die jeweilig ersten Aufführungen (Im August hat oft der Nachwuchs eine Chance.), eine hochklassige.

In jeder Hinsicht strahlender Mittelpunkt der Vorstellungen des Trovatore im Juli 2019 war also Anna Netrebko, hoch attraktiv in den mittelalterlichen Gewändern, unangestrengt den Sopran in dunklem Reichtum fließen lassend, schlank und rein in der „casto amor“ und alle Finessen samt Cabaletta der  „D’amor sull‘ ali rosee“ auskostend. Den Zenit ihrer Karriere bereits überschritten hatte damals Dolora Zajick, die zwar optisch eine anrührende Azucena war, vokal jedoch in der Tiefe nicht farbig, in der Höhe nicht präsent genug , woran auch ein schneidendes „Mi vendica“ nichts ändern konnte. Fermatenverliebt gab sich Yusif Eyvazov als Manrico, „edel „bleich geschminkt, mit robuster Arenastimme  auch in der sicher gesungenen Stretta. Hohl und röhrend und allzu sehr auf Überpräsenz bedacht, war Luca Salsi ein die Akustik der Arena wohl unterschätzender vokaler Schlagetot, der auch „Il balen del suo sorriso“ keine Poesie entlocken konnte. Auf die Frage, auf welche Leistung er besonders stolz sei, hatte der Veroneser Ivo Vinco, immerhin auch ein Filippo-Sänger, den Ferrando genannt. Hörte man nun Riccardo Fassi mit der langen Erzählung der Vorgeschichte des angeblich unverständlichen Plots, dann wusste man warum, denn die fordert vom Bass alle Finessen eines authentischen Verdigesangs. Und Fassi lieferte. Eindrucksvoll erfüllt der Chor seine Aufgaben, sicher leitet Pier Giorgio Morandi das Orchester- einem erfüllten Opernabend vom Sofa aus steht nichts im Wege.   (C-Major 754608). Ingrid Wanja    

Traditionell und sehr tonal

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Um eine Annäherung an das vielseitige Werk des dänischen Komponisten Paul von Klenau bemüht sich Dacapo Records in Kopenhagen. Jetzt wurde eine neue CD mit dem Singapore Symphony Orchestra unter der Leitung von Hans Graf veröffentlicht (8.224744). Sie enthält die 8. Sinfonie von 1942, das Violinkonzert (1941) und das Klavierkonzert (1944). In ihrer musikalischen Anlage sind alle drei Werke traditionellen klassischen Formen verpflichtet. Die Sinfonie hat vier Sätze, die Konzerte sind jeweils dreisätzig. „Im alten Stil“ lautet der Titel der Sinfonie. Dieser Zusatz findet sich auch bei anderen Komponisten. Klenau scheint ihn als Verweis auf die Wurzeln seiner Musik zu verstehen. Einfälle und Themen werden mit großer Leichtigkeit tänzerisch ausgebreitet. Es gibt keine dunklen spätromantischen Reminiszenzen, keine Grübeleien. Nichts scheint überflüssig und in die Länge gezogen. Insgesamt kommt die von Graf straff dirigierte 8. Sinfonie mit nur knapp vierzehn Minuten aus. Noch etwas länger dauert allein der ersten Satz des Violinkonzerts mit dem chinesischen Geiger Ziyu He, das weniger schwermütig wirkt als das mächtige Klavierkonzert, das von Soren Rastogi aus Dänemark gespielt wird. Bei allen drei Kompositionen handelt sich um Spätwerke, die unter deutscher Besatzung entstanden sind.

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Klenau, der einer deutschstämmigen Familie entstammte, starb 1946 in seiner Heimatstadt Kopenhagen. Seine engen Bindungen an Deutschland reichen bis in seine Jugend zurück. Als Neunzehnjähriger ließ er sich 1902 in Berlin nieder und studierte zunächst bei Max Bruch. Später nahm er bei Ludwig Thuille und Max von Schillings Unterricht. Seine erste Sinfonie wurde 1908 in München uraufgeführt. Dänische Komponisten sind nicht eben häufig anzutreffen auf deutschen Konzertspielplänen. Carl Nielsen noch an häufigsten. Gelegentlich Niels Wilhelm Gade und Rued Langgaard. Nach Paul von Klenau muss lange gesucht werden. Als die Wehrmacht 1940 in Dänemark einmarschierte, kehrte er in seine Heimat zurück. Seine Nähe zu den Nationalsozialisten liegt wie ein dunkler Schatten über seinem Werk und seiner Person. Er sah für seine musikalischen Ordnungsprinzipien, eine Entsprechung in der die nationalsozialistische Kunst, wollte nach eigenem Bekunden eine Musik schaffen, die der nationalsozialistischen Welt durch „ethische Volksnähe und ein handwerkliches Können“ entspreche. Darauf verweist die Musikwissenschaftlerin Nina Jungnickl, die sich in ihrer Diplomarbeit über Oper in der NS-Zeit am Beispiel der Württembergischen Staatsoper Stuttgart, in der sie sich auch mit Klenau beschäftigt. Seine Opern Michael Kohlhaas und Rembrandt van Rijn waren dort in der Spielzeit 1933/1934 bzw. 1936/1937 uraufgeführt worden.

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Zunächst waren bei Dacapo erste und die 1. und die 5. Sinfonie, gekoppelt mit der Symphonischen Fantasie Paolo und Francesca aufgenommen worden (8.224134). Der sinfonische Erstling in fünf steht noch ganz unter dem Eindruck seines Lehrers Schillings. Die Hörner im vierten Satz lassen an ein Scherzo von Bruckner denken. In das Finale fällt die Orgel ein und verbindet sich mit dem dunklen Blech zu einem feierlichen Abschluss, der von Beckenschlägen gekrönt wird. Mit ihrem vorwärtsdrängenden Beginn wirkt die fünfte Sinfonie aus dem Jahr 1939, die knapp zwölf Minuten dauert, traditioneller und konservativer als die erste. Mit Paolo und Francesca greift der Komponist wie zuvor schon in seiner vierten Sinfonie, die noch der Entdeckung harrt, eine Legende aus Dantes Göttlicher Komödie auf. Dort tritt Francesca in der Hölle als Verstorbene auf. Im wahren Leben war sie die Tochter des Herren von Ravenna wurde von ihrem Ehemann zwischen 1283 und 1286 getötet, weil sie sich dessen Bruder Paolo hingab. Mit unterschiedlichen Akzenten inspirierte die Geschichte auch andere Komponisten – darunter Riccardo Zandonai, Hermann Goetz, Peter Tschaikowski und Serge Rachmaninow sowie Maler und Bildhauer. Klenau kommt 1913 mit dem Thema relativ spät. Er gestaltet es aufwühlend und leidenschaftlich, doch kalt, fast schon eisig, erbarmungslos – und ohne einen Hauch von Hoffnung. So passt es sich in die Zeit ein, wird zu ihrem Ausdruck.

Im Zentrum einer weiteren CD steht die 7. Sinfonie, die Sturmsymphonie aus dem Jahr 1941 (8.224183). Die Bezeichnung beinhalte kein Programm, wird der Komponist vom Autor des Booklets, Thomas Michelsen, zitiert. Sie beziehe sich ausschließlich auf die Bewegung und den dramatischen Charakter des Werkes, das stellenweise sehr grüblerisch wirkt. Michelsen: „Ausgehend von der siebten Sinfonie ist insgesamt festzustellen, dass Klenaus Zwölftonmusik in ihrem melodischen und phrasierenden Aufbau ausgesprochen traditionell klingt und aufgrund der Harmonik sehr tonal wirkt.“ Und abermals fällt vor allem im zweiten Satz, einem Adagio, die Nähe zu Bruckner auf. Auf die Sinfonie folgt die Ballett-Ouvertüre Klein Idas Blumen nach einem Märchen von Hans Christian Andersen. Unter dem Titel Die Blumen der kleinen Ida findet sich die Geschichte von den Blumen, die welken und sterben, weil sie sich nachts beim Tanzen auf rauschen den Festen verausgaben, in deutschen Sammlungen. Für den rührseligen Blumentod bietet Klenau ein großes Orchester auf, das mit seinen wild auffahrenden Walzerklängen einen seltsamen Kontrast zur zarten Melancholie der Vorlage bildet.

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Der dänische Komponist Paul von Klenau/ Poträtsammlung Manskopf

Bei dem Liederzyklus Gespräche mit dem Tod für Altstimme und Orchester ist das Verhältnis zwischen Inhalt und Form angemessener dargestellt. Er entstand 1916 mitten im Ersten Weltkrieg. Der Tod erscheint als Freund und wird als solcher begrüßt: „Reich mir die Hand, o Tod und lass uns eilen, und leite vorwärts mich solang ich rückwärts blicke.“ Dichter des Textes ist Rudolf Binding (1867-1938). Bindung war ein höchst widersprüchlicher Geist. Streng deutsch-national gesinnt, stand er den Nationalsozialisten noch vor deren Machergreifung nahe. Andererseits hielt er bis zu seinem Tod an seiner Beziehung zur Jüdin Elisabeth Jungmann fest, die er auf der Ostseeinsel Hiddensee als Gerhart Hauptmanns Sekretärin kennenlernte. Der Zyklus ist in Deutsch komponiert und wird von der schwedischen Altistin Susanne Resmark mit großer dramatischer Geste auch deutsch vorgetragen. Im Booklet ist der Text abgedruckt. Auf dem deutschen Buchmarkt sind Bindings Werke meist nur antiquarisch zu finden. Seine Novelle Opfergang wurde 1944 bei der Ufa von Veit Harlan mit Kristina Söderbaum, die diesmal im Delirium stirbt und nicht ins Wasser geht, und Carl Raddatz verfilmt. Den Abschluss dieser sehr vielseitigen CD bildet der Jahrmarkt bei London – Souvenir of Hampstead Heath, einem großen Park im Norden der Stadt. Klenau dürfte dazu bei einem Aufenthalt in England angeregt worden sein. Zu hören ist ein sehr farbiges Stück. Michelsen spricht in Booklet von „impressionistischer Klangfläche“. In einer Programmnotiz heißt es: „Ein trüber nebliger Morgen. Langsam fährt ein Junge mit seinem kleinen Fuhrwerk den Hügel hinauf. Er singt. Regen, Regen, Regel und Nebel. Ach, nichts in der Welt ist so grau als Nebel.“ In der Einsielung ist die Knabenstimme durch den Alt von Sidsel Abel ersetzt, was der Stimmung keinen Abbruch tut, zumal die Sängerin einen androgynen Ausdruck hineinlegt. Alle Titel werden vom Odense Symphony Orchestra unter Jan Wagner dargeboten. Es ist eines der fünf regionalen Klangkörper Dänemarks und hat seinen Sitz in der Großstadt Odense auf der Insel Fünen.

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Für eine weitere Dacapo-Produktion wurde es ebenfalls herangezogen: Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke (6.220532). Dieses Werk hat keine Bezeichnung, die auf eine bestimmte Form hinweist. Es handelt sich um die vollständige Vertonung des berühmten Textes von Rainer Maria Rilke, das mehr Gedicht als Prosa ist. Obwohl bereits 1899 entstanden, wurde es im Umfeld des Ersten Weltkrieges oft als Apotheose des Heldentodes missverstanden. Obwohl nicht mal eben so nebenbei zu lesen, fand es eine große Verbreitung. Zurückzuführen ist dies auch darauf, dass damit 1912 die berühmte Inselbücherei, die es immer noch gibt, eingeleitet wurde. Der Cornet ist Band Nummer 1 und immer wieder aufgelegt worden. In der Insel-Bücherei wurde Rilkes Cornet gleich in einer Startauflage von 10 000 Exemplaren verbreitet, musste sofort nachgedruckt werden und erreichte bis 2006 mit 54 Auflagen über 1,147 Mio. Exemplare. Klenau erbat sich von Rilke persönlich die Zustimmung für die Komposition. Obwohl er davon nicht sehr viel hielt, stimmte er zu. Im Booklet wird der Dichter von Michael Fjeldsøe mit den Worten zitiert, dass sein Text „doch eigentlich Musik genug“ sei. „Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten. Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß … „ Vorgetragen vom Chor und nicht wie zu erwarten wäre – vom Solisten – schleppt sich der berühmte Beginn, den einst jeder Gymnasiast auswendig kannte, dahin. Das ist schon mal genial erdacht in seiner Wirkung. Bo Shovhus, der Solist, setzt erst nach sechs Minuten ein. Mit seinem kernigen Bariton ist er genau richtig eingesetzt, und er ist auch gut zu verstehen, was bei diesem Werk unerlässlich ist. Das Odense Symphony Orchestra wird diesmal vom britischen Dirigent Paul Mann geleitet. Es singt der Czech Philharmonic Choir.

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Die 9. Sinfonie bildet nicht nur den Schlusspunkt im sinfonischen Schaffen Klenaus, sie ist sein letztes Werk überhaupt, vollendet sechs Monate vor seinem Tod. Erst 2001 wurde der Autograph entdeckt und veröffentlich. Uraufgeführt wurde die Sinfonie 2014 von Michael Schønwandt in Kopenhagen. Das war insofern mutig, als bei dieser Gelegenheit die Verstrickungen des Komponisten mit Nazideutschland öffentlich heftig diskutiert wurden. Seine Einspielung mit dem Danish National Symphony Orchestra ist eine Weltpremiere und ebenfalls bei Dacapo erschienen (8.226098-99). Zum Orchester treten der Danish National Concert Choir und ein klassisches Solistenquartett mit Cornelia Ptassek (Sopran), Susanne Resmark (Alt), Michael Weinius (Tenor) und Steffen Bruun (Bass). Formal geht das viersätzige Werk eine Mischung aus Sinfonie und Requiem nach dem lateinischen Text der Katholischen Totenmesse ein. In seinen Ausmaßen von neunzig Minuten ist es gigantisch – und so klingt es auch. Rüdiger Winter

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Wolf-Dieter Hauschild

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Der Dirigent Wolf-Dieter Hauschild (* 6. September 1937 in Greiz) starb am 18. Mai 2023 in Leipzig. Er studierte ab 1954 in Weimar an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Klavier, Komposition bei Ottmar Gerster und Dirigieren bei Hermann Abendroth und Gerhard Pflüger. Außerdem besuchte er Meisterkurse bei Hermann Scherchen und Sergiu Celibidache. Nach Abschluss des Studiums ging er 1959 als Korrepetitor ans Nationaltheater Weimar. 1963 war er dann Chefdirigent am Kleist-Theater Frankfurt (Oder). Danach war er von 1973 bis 1978 Leiter des Rundfunkchors Berlin. Während seiner Berliner Zeit war er als Gastdirigent der Deutschen Staatsoper und der Komischen Oper tätig.
Ab 1978 ging er nach Leipzig als Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters und des Rundfunkchors Leipzig. Dort hatte er auch eine Professur an der Hochschule für Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“ inne. International bekannt wurde Hauschild durch die Fernsehübertragung von Webers „Freischütz“, den er am 40. Jahrestag der Zerstörung Dresdens (13. Februar 1985) zur Wiedereröffnung der Semperoper dirigierte. Im selben Jahr verließ er die DDR und leitete als Generalmusikdirektor der Stadt Stuttgart die Stuttgarter Philharmoniker. Ab 1991 war er Chefdirigent der Essener Philharmoniker und leitete als Opernintendant von 1992 bis 1997 das Aalto-Theater in Essen. An der Hochschule für Musik Karlsruhe lehrte Hauschild von 1998 bis 2003 als Professor für Dirigieren.
Seit 2001 war Hauschild Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Halle (Saale). Jedoch löste er seinen bis Juli 2004 laufenden Vertrags vorzeitig auf, weil die „Voraussetzungen für eine künstlerisch fruchtbare Zusammenarbeit“ wegen der aus Kostengründen geplanten und 2006 auch erfolgten Fusion des Philharmonischen Staatsorchesters Halle mit dem Orchester des Opernhauses Halle zur Staatskapelle Halle „nicht länger gewährleistet“ gewesen seien. Daneben war er seit August 2002 als Generalmusikdirektor des Volkstheaters Rostock Chefdirigent der Norddeutschen Philharmonie, des größten Klangkörper des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Dieses Amt übte er bis 2004 aus. Er hält regelmäßig Meisterkurse beim Dirigentenforum des Deutschen Musikrats.
Hauschild hat das gesamte Chorwerk von Johannes Brahms sowie mehrere Händel-Oratorien, Schumanns Das Paradies und die Peri sowie Sinfonien von Anton Bruckner und Werke Max Regers für Schallplatte und CD eingespielt. Zudem brachte er Werke von Edison Denissow, Friedrich Goldmann, Georg Katzer, Milko Kelemen, Luca Lombardi, Siegfried Matthus, Friedrich Schenker, Josef Tal und Yun I-sang zur Ur- bzw. Erstaufführung. Er dirigierte u. a. das NHK-Sinfonieorchester und das Orchestra della Svizzera italiana in Lugano.

Wolf-Dieter Hauschild war Dirigent, Chorleiter, Intendant, Komponist, Cembalist und Hochschullehrer.
Nachdem er ab 1971 beim Berliner Rundfunk tätig gewesen war, wirkte er von 1978 bis 1985 als Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters und des Rundfunkchors Leipzig. Noch 1984 mit dem Nationalpreis ausgezeichnet, überwarf er sich 1985 mit den DDR-Behörden und siedelte in die BRD über.
In Stuttgart wurde er zum Generalmusikdirektor ernannt und verhalf den dortigen Philharmonikern zu überregionaler Anerkennung. 1991 ging er nach Essen, wo er von 1992 bis 1997 auch Opernintendant des Aalto-Theaters war. In den 2000er Jahren kehrte er zurück in die neuen Bundesländer und leitete das Philharmonische Staatsorchester Halle und die Norddeutsche Philharmonie Rostock. Letztere ernannte ihn 2004 zu ihrem Ehrendirigenten.
Insbesondere mit den Berliner und Leipziger Rundfunkklangkörpern brachte er zahlreiche zeitgenössische Werke zur Uraufführung. Außerdem spielte er das gesamte Chorwerk von Johannes Brahms ein. In Essen konnte er den kompletten Ring von Richard Wagner realisieren.
Wolf-Dieter Hauschild wurde 1937 als Sohn des Journalisten und Theaterdramaturgen Franz Hauschild (1907–1996) im thüringischen Greiz geboren. Sein Vater war Mitbegründer der „Greizer Musikwochen“ und des „Stavenhagen-Wettbewerbes“. Im Alter von fünf Jahren erhielt Wolf-Dieter Hauschild seinen ersten Klavierunterricht, später machte er Theater. Rückblickend erinnerte er sich an Käthe Reichel, Reimar Johannes Baur und Dieter Franke, mit denen er in Greiz gespielt hatte.[5] Früh begann er mit dem Komponieren u. a. schrieb er eine Kinderoper. Ab dem fünfzehnten Lebensjahr komponierte er Schauspielmusiken für das Theater seiner Heimatstadt. Als Oberschüler erhielt er ferner Kompositionsunterricht bei Ottmar Gerster in Leipzig.
Mit siebzehn Jahren nahm er an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar ein Musikstudium auf, das er 1959 mit drei Staatsexamen beendete: Komposition (Ottmar Gerster), Dirigieren (zunächst bei Hermann Abendroth, dann Gerhard Pflüger) und Klavier.[6] Für seine Abschlussarbeit gestaltete er eine Bühnenfassung zu Mozarts Singspiel Bastien und Bastienne, die an der Deutschen Staatsoper Berlin aufgeführt wurde.[5] Seine Ausbildung vervollständigte er in Meisterkursen bei Hermann Scherchen und Sergiu Celibidache.[7] Bis 1956 wurde er vor allem durch seinen Lehrer Hermann Abendroth geprägt, dessen „Gesamtpersönlichkeit und Autorität“ er sehr schätzte.[5] Dieser ließ ihn in selbständig in Weimar mit dem Hochschulorchester und Laienchören arbeiten.[5] Ferner war für Hauschild der Musiker und Kulturpolitiker Helmut Koch „eine künstlerische und menschliche Vaterfigur“.
Nach seinem Studium begann er seine künstlerische Karriere als Solorepetitor am Deutschen Nationaltheater Weimar.[8] Auch hier komponierte er Schauspielmusiken. Schon bald durfte er zeitgenössische Werke nachdirigieren und einstudieren. Nach zwei Jahren wurde er Kapellmeister. In Weimar brachte er 1963 die Nasreddin-Oper Der fröhliche Sünder seines Lehrers, Ottmar Gerster, zur Uraufführung.
Von 1963 bis 1970 war er Musikalischer Oberleiter am Kleist-Theater und ständiger Dirigent der Philharmonie in Frankfurt (Oder). Seine dortigen Aufgaben erstreckten sich entsprechend sowohl auf das Musiktheater als auf die Konzertreihen. Zu seinem Repertoire gehörten u. a. Verdi, Mozart und Bizet. 1966 dirigierte er die Kurt-Hübenthal-Inszenierung von Händels Oper Serse. Ferner verantwortete er hier die Uraufführung des sinfonischen Werks Schwedter Impulse von Nikolai Badinski sowie die DDR-Erstaufführungen der Opern Der zerbrochene Krug von Zbyněk Vostřák und The Rake’s Progress von Igor Strawinsky. Durch die Nähe zu Berlin, wie Hauschild ausführte, konnten namhafte Sänger wie beispielsweise Reiner Süß für Partien gewonnen werden. Mit dem Politiker Erich Mückenberger setzte sich Hauschild seinerzeit für einen neuen Veranstaltungsort, die nachmalige Konzerthalle Carl Philipp Emanuel Bach, ein.
Im Jahr 1971 wurde Hauschild am Berliner Rundfunk verpflichtet, wo er zunächst den Berliner Rundfunkchor leitete. Von 1973 bis 1976 war er Stellvertreter Heinz Rögners beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Beim Rundfunk traf er erneut auf Helmut Koch, eine „schicksalhafte Bekanntschaft“, wie er sich später erinnern sollte. So vertrat er ihn auch bei der Uraufführung von Fritz Geißlers Oratorium Schöpfer Mensch. Weitere Uraufführungen bei der Musik-Biennale Berlin sollten folgen u. a. 1975 Wilbrandts Mein Haus hat Erde und Meer (Sprecher: Horst Westphal) und Zechlins Klavierkonzert (mit Eva Ander), 1976 Strauß’ 4. Sinfonie mit Sopran-Solo (mit Renate Frank-Reinecke) und Matthus’ Laudate pacem (mit Renate Krahmer, Elisabeth Breul, Annelies Burmeister, Armin Ude und Hermann Christian Polster) und 1977 Köhlers Der gefesselte Orpheus und Voigtländers Canto General (mit Brigita Šulcová).
Im Jahr 1976 wurde er in der Nachfolge von Herbert Kegel Leiter des Rundfunk-Musikschulorchester der DDR. Auch nach seinem Wechsel nach Leipzig pflegte er die Verbindung in die Hauptstadt und wirkte als Gastdirigent an der Deutschen Staatsoper und der Komischen Oper. So übernahm er an letzterer die musikalische Leitung bei der Götz-Friedrich-Inszenierung von Verdis Il trovatore.
Chefdirigat beim RSO und Rundfunkchor Leipzig. Nachdem er Ende 1977 in Leipzig Werke Luciano Berios dirigiert hatte, wurde er ab der Spielzeit 1978/79 Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters und parallel Leiter des Rundfunkchors Leipzig. Er konnte sich gegen den Leipziger Generalmusikdirektor Rolf Reuter und den Halleschen Musikdirektor Thomas Sanderling durchsetzten, die allesamt noch vom legendären Vorgänger Herbert Kegel als Gastdirigenten verpflichtet worden waren. In Leipzig pflegte Hauschild zum einen die Wiener Klassik,[22] so führte er die von Kegel begonnenen „Mozartiana“-Reihe fort. Auch setzte er weiterhin konzertante Opernaufführungen auf den Spielplan (Janáček, Wagner u. a.). Zum anderen brachte er mit dem Sinfonieorchester und dem Kammerorchester diverse zeitgenössische Werke zur Uraufführung u. a. 1978 Denissows Konzert für Klavier und Orchester (mit Günter Philipp), 1979 Lombardis Sinfonie, Neuberts Notturno, Lohses Konzert für Klavier und Orchester (mit Gerhard Erber) und Dessaus Vierzehn Stücke aus „Internationale Kriegsfibel“ (mit Helga Termer, Elisabeth Wilke, Horst Gebhardt und Bernd Elze), 1980 Katzers Konzert für Klavier und Orchester (mit Rolf-Dieter Arens) und Wallmanns Stadien für Orchester und Klavier (mit Bettina Otto), 1981 Schenkers „Fanal Spanien 1936“, 1983 Lombardis Zweite Sinfonie und Krätzschmars „Heine-Szenen“ (mit Wolfgang Hellmich). Außerdem verantwortete er hier mehrere DDR-Erstaufführungen u. a. 1979 Ives’ Holiday Symphony[26] und 1984 Zimmermanns Pax Questuosa[27] und Dittrichs „Etym“. Wie auch Kegel zuvor, stellte er am Saisonende der 9. Sinfonie Beethovens stets zeitgenössische Musik voran. Überdies lud er wieder Komponisten-Dirigenten nach Leipzig ein, etwa Milko Kelemen, Ernst Krenek und Witold Lutosławski. Mit der Saison 1979/80 führte er in der Kongreßhalle Leipzig allwöchentliche Vormittagskonzerte ein. Nach der Eröffnung des Neuen Gewandhauses 1981 spielte das Rundfunkorchester dann regelmäßig im neuen Konzertgebäude.[30] Es folgte die Erhöhung der Anrechtskonzerte. Mit dem Klangkörper legte Hauschild mehrere Schallplattenaufnahmen vor, die von der Musik Telemanns über die Schumanns zu der Ives’ sowie Denissows, Thieles und Krätzschmars reichen, darunter auch das gesamte Chorwerk von Johannes Brahms und mehrere Händel-Oratorien. Ausgedehntes Gastspiele führten ihn mit dem Orchester u. a. in die Sowjetunion und nach Japan. Nach seinem Weggang aus Leipzig dauerte es zwei Spielzeiten bis die Leitungsposten mit Max Pommer (Orchester) und Jörg-Peter Weigle (Chor) wiederbesetzt werden konnte.

Im Zuge seiner Opernaufführungen in Leipzig, Berlin und Dresden avancierte Hauschild bis Mitte der 1980er Jahre zum „Wagner-Dirigent der Stunde“, wie Robert Schuppert formulierte. Zum Jahreswechsel 1984/85 dirigierte er die im Palast der Republik in Berlin unter Beteiligung der Leipziger Rundfunkklangkörper und den Solisten Reiner Goldberg, Magdalena Falewicz, Uta Priew und Hermann Christian Polster Beethovens 9. Sinfonie, die im ersten Programm des Fernsehens der DDR live übertragen wurde.[35] International bekannt wurde Hauschild im Februar 1985 durch die Fernsehübertragung der Joachim-Herz-Inszenierung von Webers Freischütz, den er anlässlich des 40. Jahrestags der Zerstörung Dresdens zur Wiedereröffnung der Semperoper dirigierte. So wurde sein Dirigat von John Rockwell in der New York Times außerordentlich gelobt. Der Dresdner Musikwissenschaftler Dieter Härtwig rechnete Hauschild „zu den führenden Dirigenten in der DDR“.[38]
Übersiedlung in die BRD und Stuttgarter Jahre.. Nachdem ein ursprünglich zugesagtes Doppelengagement Leipzig-Stuttgart wegen „der starren Haltung der DDR-Behörden“, wie Jörg Clemen ausführte, nicht zustande kam, siedelte er im Frühjahr 1985 anlässlich eines Stuttgarter Gastspiels in die BRD über. Dort wurde er mit Beginn der Spielzeit 1985/86 Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker. In einer Erklärung führte er aus, dass im Sommer 1984 die Stadt Stuttgart mit der Bitte um ein ständiges Gastdirigat an ihn herangetreten sei, wodurch er teilweise Aufgaben Hans Zanotellis übernehmen sollte. Nachdem die DDR-Behörden dem zustimmten, willigte er in Stuttgart ein. Im April 1985 aber wurde ihm klar, dass die DDR-Behörden „nicht mehr voll zu ihrer Zusage standen“. Er sah sich bei den Orchestermitgliedern und bei der Stadtverwaltung Stuttgart nun in der Pflicht und entschied sich „schweren Herzens“ zur Übersiedlung in die BRD. In der DDR wurde er demgegenüber zur „persona non grata“ erklärt und war fortan auch unter Musikerkollegen als „Klassenfeind“ verschrien; seine Familie erhielt erst zwei Jahre darauf die Ausreisegenehmigung. 1985 brachte er in der Stuttgarter Liederhalle Kelemens Phantasmen (mit Eckart Schloifer) und 1987 Yuns 2. Violinkonzert (mit Akiko Tatsumi)[42] zur Uraufführung. Konzertreisen führten ihn mit den Philharmonikern durch Europa, Japan und die USA.[38] Nach dem Kulturjournalisten Frank Armbruster führte er die Philharmoniker „zu einem Höhepunkt ihrer Geschichte“. Letztlich verließ Hauschild aber Stuttgart, weil es „ihm nicht gelungen war, die Stadt von der Notwendigkeit weiterer Orchesterstellen für die Philharmoniker zu überzeugen“, wie Armbruster bemerkte.
Neben seiner Verpflichtung in Stuttgart war er ab der Saison 1985/86 Gastdirigent beim Niedersächsischen Staatsorchester Hannover, mit dem er 1986 Kelemens Archetypon zur Uraufführung brachte. 1986 dirigiere er das Staatsorchester Stuttgart bei der Loriot-Inszenierung von Flotows Martha am Württembergischen Staatstheater. Mit dem Rundfunkorchester des NDR Hannover oblag ihm 1992 die Uraufführung von Tals 6. Sinfonie.
Intendanz am Aalto-Theater in Essen. Im Jahr 1991 wurde Hauschild Dirigent der Essener Philharmoniker und 1992 zusätzlich Intendant und Generalmusikdirektor am dortigen Aalto-Theater, eine Doppelfunktion, die eigens für ihn geschaffen worden war. Während seiner Amtszeit wurde der Klangkörper vom Deutschen Musikverleger-Verband mit dem Preis „Bestes Konzertprogramm der Spielzeit“ 1991/92 ausgezeichnet.[50] In seiner Ära wurden u. a. die Ballette Giselle von Adolphe Adam und Der grüne Tisch von Frederic Cohen sowie die Opern Lady Macbeth von Mzensk von Dmitri Schostakowitsch und Tosca von Giacomo Puccini inszeniert. Am Aalto-Theater widmete er sich aber vor allem der Werke Richard Wagners, so ließ er hier den Parsifal (1991/92) und Tristan und Isolde (1992/93) aufführen. Nach siebzig Jahren brachte er von 1994 bis 1997 zusammen mit dem Regisseur Klaus Dieter Kirst, den er aus Dresden kannte, die Tetralogie Der Ring des Nibelungen auf die Bühne. Bereits zu DDR-Zeiten hatte er über die sinfonischen Werke Bruckners und Mahlers eine „Liebe zu Wagner“ entwickelt, die aber lange „platonisch bleiben“ musste, wie er in einem früheren Interview erklärte. Außerdem wandte sich Hauschild der zeitgenössischen osteuropäischen Musik zu, so führte er mit der Philharmonischen Orchester 1993 Suslins Leb’ wohl und 1996 Denissows Konzert für Flöte, Klarinette und Orchester (mit Dagmar Becker und Wolfgang Meyer) urauf. 1997 endete sein Engagement in Essen.
Von 1998 bis 2001 war er als freier Dirigent tätig u. a. beim Orchestra della Svizzera italiana in Lugano.
Von 2001 bis 2004 war er als Nachfolger des festen Gastdirigenten Bernhard Klee[54] Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Halle. Im Jahr 2003 brachte er im Neuen Theater Halle Martis H aspiré zur Uraufführung.[56] Mit Verweis auf die geplante Orchesterfusion, die er ablehnte, beendete er sein Engagement beim Philharmonischen Staatsorchester frühzeitig.
Neben seinem Hallenser Engagement er war von August[14] 2002 bis 2004 Generalmusikdirektor des Volkstheaters Rostock und Chefdirigent der Norddeutschen Philharmonie,[58] wo er bereits im Jahr 2000 ein ständiges Gastdirigat übernahm. Weil er, wie er später erklärte, „keinen künstlerischen und menschlichen Konsens“ mit dem Intendanten Steffen Piontek finden konnte, verließ er das Orchester.
Gastdirigate absolvierte er u. a. in der Schweiz, in Österreich, Italien, Spanien, Finnland und Taiwan.
Lehrverpflichtungen.
Nachdem er in Berlin (Ost) und Leipzig zunächst Lehraufträge innehatte,[3] erhielt er 1981 an beiden Musikhochschulen eine Professur für Orchesterleitung. 1988 wurde er Professor für Orchesterleitung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. An der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe lehrte Hauschild von 1989 bis 2003 ebenfalls als Professor für Dirigieren.
Im Jahr 1983 gründete er in Altenburg das „Seminar für Junge Operndirigenten“. Wiederholt war er dann auch Künstlerischer Leiter für Orchesterdirigieren beim Forum Dirigieren des Deutschen Musikrats (Essen 1994, Koblenz 1998 und 2005, Halle (Saale) 2001, Rostock 2002 und 2004 und Bremen 2006). Außerdem war er im Wintersemester 2005/06 und im Sommersemester 2007 Dozent für Probespielstellen im Orchesterverbund / Sinfoniekonzert am Orchesterzentrum NRW. Zu seinen Schülern gehören u. a. Michael Gläser, Constantin Trinks und Hendrik Vestmann. Quelle Wikipedia

Venezianische Stimmungsbilder

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Teatro Sant’Angelo nennt sich eine neue Platte bei ALPHA mit der französischen Mezzosopranistin Adèle Charvet (938). Der Titel bezieht sich auf das legendäre Opernhaus in Venedig, welches sich nach seiner Gründung 1677 zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus einer Vielzahl von Theatern in der Lagunenstadt zu profilieren vermochte als preiswertes, alternatives Haus für Jedermann und damit einen deutlichen Kontrast herstellte zum aristokratischen Teatro San Giovanni Grisostomo, wo sich der venezianische Adel versammelte.
Die Sänger waren weitgehend jung und unbekannt. Kastraten fehlten fast völlig wegen ihrer hohen Gagen. Es wurden auch Tänzer, Schauspieler, Artisten und Zauberer engagiert, die in den Pausen und bei Szenenwechseln auftraten. Als Impresario fungierte Antonio Vivaldi, dessen Opern ab 1705 regelmäßig aufgeführt wurden und den Aufschwung des Unternehmens bewirkten. Im Programm der CD mit 17 Titeln sind dem prete rosso nicht weniger als sechs gewidmet, darunter finden sich sogar zwei Weltersteinspielungen. Erstere, die Arie „Ah non so“, stammt aus Arsilda, regina di Ponto, die 1716 im Sant’Angelo uraufgeführt wurde. In diesem Stück von schmerzlichem Zuschnitt kann Adèle Charvet vor allem ihr Ausdruckspotential einbringen, wenn sie auch larmoyante Momente nicht vermeiden kann. Zweite Neuheit ist die Arie „Quella bianca“ aus L’Incoronazione di Dario, die 1717 im Sant’Angelo ihre Premiere erlebte – ein munteres, übermütiges Stück, in welchem die Sängerin keck und ausgelassen auftrumpft.
Die weiteren Zeugnisse aus der Feder Vivaldis sind die Arien „Siam Navi“ aus L’Olimpiade (bekannt und von virtuosem Anspruch) und „Sovvente il sole“ aus Andromeda liberata (in wiegendem Duktus und von sanftem Ausdruck). Danach gibt es noch zwei Arien aus La verità in cimento. „Con più diletto“ ist mit seinen Koloraturgirlanden eine Herausforderung an das virtuose Vermögen der Interpretin und „Tu m’offendi“ im Kontrast dazu getragen und von empfindsamem Melos.
Vivaldi lud auch Komponisten seiner Zeit ein, ihre Werke am Sant’Angelo zu präsentieren. Dazu zählten Fortunato Chelleri und Giovanni Alberto Ristori. Von ersterem erklingen zwei Titel als Weltpremieren – die Arien „Astri aversi“ (stürmisch und bravourös) und „La navicella“ (lyrisch-emphatisch) aus Amalasunta. Ristori ist sogar mit sechs Arien aus insgesamt vier verschiedenen Werken vertreten. Drei stammen als Erstaufnahmen aus seiner Cleonice und sind in ihrer Anlage höchst unterschiedlich. „Con favella de’ pianti“ ist von getragenem Duktus und klagendem Ausdruck, „Quel pianto che vedi“ bewegt und virtuos, „Qual crudo vivere“ wiegend und sanft. Aus Un pazzo ne fa cento erklingt die Arie „Su robusti“ als Ersteinspielung, welche die Solistin beherzt und pointiert bietet. Aus Temistocle ist ebenfalls als Premiere die Arie „Astri rimorsi“ zu hören, in welcher der Mezzo besonders apart und volltönend klingt. Auch die lieblich-sanfte Arie „Nell’onda chiara“ aus Arianna ist erstmals auf CD eingespielt.
Einige Werke von Verwandten Vivaldis waren ebenfalls im Spielplan anzutreffen, wie Michelangelo Gasparini, dessen Arie „Il mio crudele amor“ aus Rodomonte sdegnato das Programm eröffnet und der Solistin einen klangvollen Einstieg ermöglicht, oder Giovanni Porta, dessen „Patrona reverita“ aus Arie Nove da Batello als sanfter Ausklang am Ende steht.
Die Solistin wird begleitet vom Ensemble Le Consort, das der Geiger Théotime Langlois de Swarte leitet. Neben der inspirierenden Begleitung der Sängerin kann es im Adagio aus Chelleris Trio-Sonate g-Moll auch solistisch wirken (08. 06. 23). Bernd Hoppe

Barries schlechter Geschmack

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Warum geht der gemeine Opernbesucher selbst nach dem Ableben, gewaltsam, freiwillig oder zufällig, eines Großteils des Personals der gerade gesehenen Oper mit einem erhebenden, ja erhabenen Gefühl nach Hause? Natürlich weil das Dahinsterben von wunderschöner Musik begleitet wurde, aber auch, weil Leonora im Trovatore sich für den Geliebten opfern wollte, weil Violetta versöhnt mit den Menschen, die ihr etwas bedeuteten, mit einem „Oh Gioia“ von hinnen geht, Brünnhilde sich wieder mit Siegfried vereint und den Rheintöchtern den Ring zurückgibt. In Tosca sterben gleich alle vier Protagonisten, die Hälfte davon durch Freitod. Trotzdem stellt sich auch hier die Gewissheit ein, ein schönes Erlebnis genossen zu haben, es sei denn, man geht in die Amsterdamer Oper und erlebt die von Barrie Kosky inszenierte Puccini-Oper. Es ist als schwebe der Geist Gerald Mortiers noch über dem Haus, der bekanntlich Puccini verabscheute und in Salzburg partout keine seiner Opern aufführen wollte.

Tosca ist ein wahrlich blutrünstiges Stück mit Folterung, Erschießung, Vergewaltigungsversuchen. In der Kosky-Inszenierung wird all dem Schrecklichen noch eins draufgesetzt, indem bereits dem Mesner im ersten Akt übel zugesetzt wird, Cavaradossi nicht nur die spitzige Folterkrone aufgesetzt, sondern das Gesicht zerfleischt, ein Finger abgeschnitten, die rechte Malerhand verstümmelt und kurz vor Beginn des dritten Akts noch ein Liter Blut über den Kopf gegossen wird, damit das ansonsten wohl längst getrocknete so recht schön dramatisch an ihm herunterläuft und an Tosca wie auch am Gemäuer seine Spuren hinterlassen kann. Das gesamte Personal ist brutalisiert, die Schergen Scarpias üben Selbstjustiz, der Schließer auf der Engelsburg, der einst an der DDR-Staatsoper den Ring edel zurückwies, ist nun selbst ein Schläger, der gierig nach dem Ring greift, den eigentlich bereits Scarpia, da am abgeschlagenen Finger befindlich, an sich gerafft hatte. Wird das alles genüsslich vor den Augen des Zuschauers ausgebreitet, so werden die Passagen, die beweisen, dass Tosca und Cavaradossi ihre Würde behalten, selbstbestimmt handeln, eher beiläufig dargeboten, so das „La vita mi costasse, ti salverò“, das „Vittoria“, das „Trionfans“, das sich Hineinversetzen in eine bessere Welt im „Parla mi ancor“ eher beiläufig zu Gehör gebracht, wozu auch die seltsamen Tempi, die Marcello Viotti mit dem Orchester wählt, ihren Teil beitragen. Ähnlich geht es Tosca, die ihr „Vissi d’arte“ nicht als Gebet, sondern zu Scarpia singt, deren Glaubensgewissheit lächerlich gemacht wird, indem sie zwar ihr „Oh, Scarpia, davanti a Dio“ singen darf, dem Zuschauer aber danach gezeigt wird, dass sie als erbärmliches Bündel am Fuße der Mauer liegt. Scarpia selbst wird alles eindimensionales fieses Untier gezeichnet, umso attraktiver sind seine Schergen, wohl einem Dressmen-Katalog entsprungen.

Die Bühne von Rufus Didwiszus ist denkbar kahl, im ersten Akt eine Malerstaffelei und eine Blumenvase, die auch als Weihwasserbecken dient, im Nichts, im zweiten  einen riesigen Küchentisch, im dritten eine Wellblechwand zeigend. Das Te Deum allerdings wird mit einem Gemälde des Jüngsten Gerichts geschmückt, mit den Chorknaben als lebende Höllenbewohner. Von Klaus Bruns sind die Kostüme, für Tosca elegant, so ein schwarzer Glitzerhosenanzug mit Perlengeschmeide über dem nackten Rücken für die Flucht über Civitavecchia.  

Einem solchen Ambiente als Kontrast entgegengesetzt, wirkt die Musik fast obszön.  Sie hat es schwer, wenn zum Beispiel das Vorspiel zum dritten Akt in Bruchstücke zerfällt, der Orchesterpart durchweg schwerfällig wirkt.

Malin Byström ist eine moderne Tosca mit hellem, kühlem, höhensicherem Sopran, singt ein schönes „Vissi d’arte“ ohne besondere Raffinesse, aber weich und geschmeidig klingend. Im dritten Akt gibt es kaum einen Kontakt zwischen ihr und dem unseligen Cavaradossi. Dieser findet in Joshua Guerrero einen engagierten Darsteller mit solidem Tenor, dessen Stärke ein kraftvolles Forte für den zweiten Akt ist, der jedoch „E lucevan le stelle“ keinerlei Poesie oder agogikreiche Raffinesse abgewinnen kann.  Dunkel-süffig-dräuend ist der Bariton, den Gevorg Hakobyan für den Scarpia einsetzt, damit rollendeckend, wenn auch nicht für jede Partie empfehlenswert. Martijn Sanders macht den Fehler vieler Angelottis, nämlich zur Fallsucht zu neigen, sein Bassbariton ist, wenn er nicht nur flüstern,  sondern auch singen darf, angenehm. Das trifft auch auf den Sagrestano von Federico De Michelis zu, während der Spoletta von Lucas van Lierop zwar schön, aber nur mit einem sehr kleinen Tenor begabt ist. Nach dem Genuss dieser Tosca heißt es erst einmal, Stress und daraus erwachsende Aggressionen abzubauen (Naxos NBD0166V). Ingrid Wanja

Obsessive Fluchten

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Was fängt ein Rezensent, der hoffnungslos heterosexuell ist und dessen Musicalerfahrungen sich auf My Fair Lady im Theater des Westens, La Cage aux Folles ebenda und auf The Rocky HorrorPicture Show in den Berliner Kammerspielen beschränken, mit einem Buch über Die wunderbare Welt des LGBTQ-Musicals, so der Untertitel, an? Breaking Free nach dem Song in einem Hochschulmusical heißt das Buch, als dessen Herausgeber auf dem Cover Kevin Clarke genannt wird, was mehr als bescheiden ist, denn auch die Mehrheit der Beiträge stammt von ihm, der sich trotz üppiger mehr als 300 Seiten, die er vorlegt, wünscht, dass sie nicht einen „Abschluss“, sondern einen „Anfang“ einer Diskussion in einem Land wie dem unseren, dass in Sachen Musical viel Nachholbedarf hat, werden. Toleranz herrscht glücklicherweise nicht nur in puncto Sexualität, sondern auch, was das Gendern betrifft. So kann sich der konservative Leser auch schnell von einem Satz wie: “Jeder*jedem Autor*in wurde freigestellt, ob und wie sie*er ihre*seine Texte gendern will“, erholen.

„Breaking free“: Harvey Fierstein in „Torchsong Trilogie“, Film von Paul Bogart 2009/ crtikat.com

Das Vorwort schrieb Barrie Kosky und betitelt es als Zeichen seiner Unkonventionalität mit einem „What the f***?!?“, was immer das heißen mag. Ansonsten geht er über das, was gerade mit seiner Biographie erschien, hinaus, wenn er  u.a. ausführlicher über seine Arbeit mit Kiss me, Kate berichtet, in der er in jeder Zeile Queeres entdeckte, über seine Gewissheit, die lautet:“ Man braucht eine Schwuchtel an der Spitze des Theaterbetriebs, um alle Besucher anzusprechen. Erstaunen erregt nicht nur hier die Ansicht, dass sich Schwule auch in der West Side Story als Ausgegrenzte erkennen, obwohl das deutsche Theater als „heteronormativ“ durchschaut wird, woraus folgt, dass man „Deutschland aus der Provinzialität herausholen muss“.

Weniger offenherzig, er ist schließlich Politiker, wenn als Kultur-Senator auch nur Ex, ist im Nachwort Klaus Lederer, der seiner Freude darüber, dass man sich an der Humboldt-Universität nun auch mit Musical und LGBTQ befasst, Ausdruck verleiht.

„Breaking free“: Der Frauendarsteller Iwai Shijaku in der Rolle der Ohatsu (Aus dem Kabuki-Schauspiel Altertümliche B – Utagawa Kuniyoshi) Wikipedia

Zahlreich und durchweg interessant sind die vielen Interviews, die mit queeren Künstlern, die mit der Kunstform Musical zu tun haben, gehalten wurden. Die Interviewer sind Kevin Clarke und Nick-Martin Sternitzke. Es beginnt mit Helmut Baumann, einst umjubelte Zaza nicht nur im Theater des Westens 1984 und vor kurzem in einer kleineren Partie in La Cage aux Folles in der Komischen Oper. Ihm wird wie fast allen Interviewten zunächst die Frage gestellt, welches sein allererstes Musical gewesen sei. Da werden köstliche Erinnerungen wach an Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller, Boy Gobert und Hildegard Knef, an Operntenor Donald Grobe, und hier wie bei fast allen Interviews wird deutlich, dass das Musical die Kunstform war und ist, mit der sich die Schwulen, die als erste vor allen anderen innerhalb des LGBTQ aus dem von der Gesellschaft verordneten Schatten heraustreten, identifizieren konnten und dass sie bei der Arbeit an demselben auch am häufigsten auf Gleichgesinnte trafen und treffen. Angenehm berührt die sachlich- nüchterne Art der Antworten, die auch Selbstkritik nicht ausschließen: “In Deutschland wollen alle nur sehen, was sie schon kennen. Das gilt auch für die Schwulen“.

Es folgen Interviews mit Stephanie Kuhnen, die dem nicht eingeweihten Leser Rätsel aufgibt mit einem „gendertypisch bibliophil, butchesk, und katzoman“, zu dem sie sich bekennt, die mehr Klarheit herrschen lässt, wenn sie meint, Musicals könnten sich als Coming-Out-Hilfe erweisen.

Nicht der Interviewte, sondern Interviewer ist Rosa von Praunheim, der Dagmar Manzel, „Star“ vieler Produktionen der Komischen Oper, befragte und ihr die Absage an ein „aufgewärmtes spießiges Leben, das man sowieso schon immer um sich hat“, entlockt, die meint, Frauenbewegung und Schwulenbewegung würden einander bedingen.

„Breaking free“: „Le Cage aux Folles“/ Michel Galabrou und Ugo Tognazzi/ Film von Edouard Molinaro 1979/ Cinema.de

Richard McCowen, ein schwarzer Musicaldarsteller, äußert sich im Interview angenehm nüchtern, berichtet einerseits davon, dass in den USA früher als in Deutschland das Schwarzschminken verpönt war, findet andererseits Schwarze mit blonder Perücke „toll“. Wie viele andere Befragte bedauert er die scharfe Grenze, die in Deutschland zwischen U- Und E-Musik gezogen wird.

Interessant auch für Historiker sind die Aussagen von Pierre Sanoussi-Bliss zum Leben eines schwulen Schwarzen in der DDR, die zwar auf dem Gesetzes-Papier fortschrittlicher war als der Westen, die aber praktisch Intoleranz übte und oft versuchte, Schwule zu erpressen, sie mit Drohgebärde zum Spitzeln zu bringen. Schockierend mag nicht nur für Heteros, sondern auch für Schwule das Bekenntnis sein, der Sänger habe für Schallplatten aus dem Westen Liebesdienste angeboten.

Wenn sogar Oma und Opa zufrieden waren, kann es ganz so schlimm, wie es der Befragte escheinen lässt, mit dem ersten Schwulen-Porno-Musical nicht gewesen sein. Der sich Hans Berlin nennende (und als „Pornohengst“ bei Männer.de bezeichnete) Interviewpartner Kevin Clarkes war HIV positiv, als er über sein Bemühen (und seinen Erfolg), diese Gattung auf der Bühne zu etablieren, berichtet.

Aufgeklärt über Sex-Praktiken im Orient wird der Leser durch das Interview mit Yousef Iskander, der aus dem Libanon floh und mit der Verbindung verschiedenster europäischer und arabischer Elemente eine neue Kunstform schuf. In Deutschland sieht er inzwischen das Schreckgespenst der Zensur am Horizont, hofft aber, einmal die Sally Bowles spielen zu dürfen.

„Breaking free“: Harvey Fierstein in „Birdcage“/ Cinema.de

Wer kennt nicht die Geschwister Pfister, deren einer Teil Christoph Marti ist, besser bekannt als Ursli Pfister. Schon im Schillertheater spielte er Frauenrollen, empfindet sich als Schauspielerin in einem Männerkörper und bekennt: “Man darf vorm Trivialen keine Angst haben, wenn man Musicals macht.“ Nicht nur er singt das Lob des deutschen Stadttheaters, das oft mutiger ist als die großen Bühnen, die Angst vor dem Experiment haben.

Es folgen noch Interviews mit Rory Six, der noch immer eine Transfrau für sein Musical sucht, mit Brix Schaumburg, der bedauert, dass queere Menschen nicht im Grundgesetzt berücksichtigt werden und Transmenschen unterrepräsentiert im Musical sind. Auch Lyon Roque, der den Modeladen Trüffelschwein in Berlin hat, hat ein besonderes Thema mit der angeblichen sexuellen Unattraktivität von Asiaten, was das Thema des Colour-Blind-Casting aufs Tapet bringt.

Nicht immer einfach ist es, als Hetero die sonstigen Artikel des Buches zu verstehen, hat die Gemeinde von LGBTQ doch längst auch eine eigene Fachsprache entwickelt. Da Deutschland zudem in Sachen LGBTQ-Musicals ein hoffnungslos hinterherhinkendes Entwicklungsland ist, das weder mit Broadway, Off-Broadway, Off-Off-Broadway oder dem Londoner Westend mithalten kann, befassen sich die meisten Artikel mit diesen Paradiesen des wie immer gearteten Musicals. Diskussionswürdig ist die Behauptung, die in mehreren Artikeln auftaucht und die Nazizeit verantwortlich macht, für die Beendigung einer Tradition- und das kann man nachvollziehen- aber auch dafür, dass eine Entwicklung wie in den englischsprachigen Ländern nach dem Krieg ausblieb. Da kann man schon eher den Ausführungen von Wollmann/Clarke folgen, die die Frankfurter Schule mit ihrer Verdammnis von allem Populären als eine m wesentliche Ursache für die Musical-Abstinenz ansehen.

„Breaking free“: Ensemble des Kleinen Theaters im Kaiserlichen Militär-Genesungsheim Spa (Belgien), 1. Weltkrieg/ Schwules Museum (dazu auch unser Artikel über die Ausstellung/ Katalog im Berliner Schwules Museum)

Von der Musical Conference der Long Island University über die ab 2007 erscheinende Zeitschrift Studies in Musical Theatre bis hin zum Oxford Handbook of the American Musical wird eine Entwicklung verfolgt, während in Deutschland Volker Klotz noch eisern an der Vorstellung festhielt, Musicals seien minderwertig. Im Beitrag Musicals als Maske bezeichnet Clarke die Musicals als Zufluchtsort für Schwule, ehe sie ein breites Publikum fanden, in den USA wurden früh auch andere „Außenseiter“ einbezogen, und die Maske wurde zur Manier.

Nach Olivia Maria Schaaf spielten Peter Lund und die Neuköllner Oper lange Zeit eine wichtige Rolle für Lesben und Schwule, waren ein „offenes Versteck“, was nichts daran änderte, dass lange Zeit Schwule in der darstellenden Kunst entweder böse oder komisch waren, das Schwein, das ein Hahn werden will, erste queere Wunschträume auf die Bühne brachte. Lesben tauchen relativ spät auf, so die Frozen-Elsa im Disney-Film. Meine drei Enkeltöchter allerdings haben sie nicht als solche identifiziert und hoffen im dritten Teil auf einen Gatten für die Königin.

Ulrich Linke gibt eine Übersicht über die Gay Musicals der Siebziger, die erst möglich waren nach der Überwindung von Puritanertum und McCarthy, der nicht nur Kommunisten nachjagte. Durch Übersichtlichkeit und Faktenreichtum, den Abdruck von Dialogen und den umfangreichen wissenschaftlichen Anhang überzeugt dieser Aufsatz ganz besonders.

Brigitte Elisabeth Tautscher äußert sich in ihrer kommentierenden Inhaltsangabe über Falsetto, dem sie vorwirft, dass die weibliche Hauptrolle nach dem Outing des Gatten in einer neuen Ehe ihr Glück finden muss. Da wäre Toleranz in die andere Richtung auch angebracht.

Kay Link entdeckt Prince Charming in Cinderella als Fortschritt in der Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Liebesverhältnisse, setzt sich aber auch kritisch auseinander mit scheinbaren oder tatsächlichen Diskriminierungen in Musicals.

Einen höhnischen Kommentar gibt Manuel Brug zum deutschen Musical-Geschehen ab, das die Massen in Bussen zu den Großereignissen chauffiert, wo aber nichts Queeres auszumachen ist . Gleichzeitig macht er sich zum Anwalt für Ute Lemper, deren Genie in Deutschland nicht wahrgenommen wurde. In keinem Verhältnis zueinander stehen seiner Meinung nach die zahlreichen Outings von Künstlern und die wenigen queeren Stücke.

Olaf Jubin wirft den Übersetzern von Songs ins Deutsche vor, dass sie vor der Unübersetzbarkeit der „signifikanten Symbole“ kapitulieren, dass Übersetzungen einen Text oft entsexualisieren.

Kevin Clarke steuert nicht nur einen Beitrag über das amerikanische Hochschul-Musical bei. Wie weit gespannt seine Interessen sind, zeigt er, indem  er sich mit den Problemen schwuler Muslime, ausgehend von den Erlebnissen Lord Byrons im Orient, auseinandersetzt. „Cyanide wrapped in Chocolade“ könnte man auch die Frage nennen, ob Homosexualität und Christentum oder Islam miteinander vereinbar sind, und dieser widmet sich Clarke kenntnisreich, einfühlsam und engagiert.

„Breaking free“: Frauendarsteller in amerikanischer Burleske um 1880 / Wikipedia

Über den Beruf des Musicaldarstellers in Zeiten von Identitätspolitik äußert sich Till Randolf Amelung, mutig über die White-Washing-Hysterie (siehe Absage in der Arena di Verona 2022 ), die Inflation von Vorwürfen, man habe jemanden verletzt, über den „virtuellen Mob“. Da hilft wohl nur eine gemeinsame Abwehrfront von Hetereos und LGBTQ.

Noch einmal historisch wird es mit Clarkes Beitrag über Trans und Travestie im Musical, deren Anfänge der Verfasser bereits in Gefangenenlagern sieht, für die er viele Beispiele aufzuführen versteht, aber auch hier den tiefen Einschnitt, den AIDS bedeutete, anerkennen muss. Auch die Präsidentschaft Trumps diente nicht dem Fortschritt auf diesem Gebiet, aber man kann beruhigt sein, denn der Verfasser sieht die „Forschung auf dem Vormarsch“.

Disney kommt beim Thema Diversity im Beitrag von Ralf Rühmeier nicht gut weg, muss sich einem Plädoyer für einen Cinderello oder einer Prinzessin, die statt des Prinzen den Schuh bringt, stellen. David Savran aber stellt betrübt fest: „(In Deutschland) bleiben doch Gender und Sexualität so etwas wie ein blinder Fleck“.

Zumindest dürfte das fakten- und informationsreiche Buch, das sich außerdem durch sein Engagement für das LGBTQ-Musical und seine Anhänger auszeichnet, für etwas Glanz sorgen (315 Seiten, Querverlag GmbH 2022 Berlin; ISBN 978 3 89656 322 4). Ingrid Wanja