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Wer denkt nicht sofort an das Ältere-Damen-Ballett, dem es wegen des Tragens von Sombreros verwehrt wurde, auf einer Gartenschau aufzutreten, weil es sich damit des Delikts „kulturelle Aneignung“ schuldig gemacht hatte, wenn er das Cover zu Jacques Offenbachs La Périchole sieht? Da prangt mitten in Peru auf dem Haupt einer Spanierin ein üppiger Kopfschmuck, der zweifellos dem der indianischen Ureinwohner zuzuordnen ist. Auch sonst geht es munter durcheinander mit indianischem und spanischem Brauchtum, und wenn am Schluss, bei einem Offenbach-Werk fast unverzichtbar, alle Cancan tanzen, dann wirbeln alle vergnügt durcheinander, als wenn es weder Standes-, Ethnien- oder sonst welche Grenzen zwischen den Menschen gebe.
Nun ja, wir sind nicht im ideologieverbiesterten Deutschland, sondern in Paris, wo man an der Opéra Comique in schöner Unbefangenheit einfach nur gut unterhalten will, was auch gelingt, schon allein, weil alle Mitwirkenden sicht- und hörbar mit Freude und Engagement bei der Sache sind. Audrey Vuong hat naiv-sparsame Kulissen in hellen, bunten Farben auf die Bühne stellen lassen, Vanessa Sannino mild bis drastische karikierende Kostüme entworfen, je nach Stand und Vermögen, so den Vizekönig Andrés de Ribeira recht albern erscheinen lassend, den armen alten Gefangenen in der Nachfolge des Grafen von Monte Christo trotz ellenlangen Weihnachtsmannsbartes doch noch ziemlich würdig. Es geht um das Straßensängerpaar Périchole und Piquillo, natürlich arm, aber schön, in dessen weiblichen Teil sich der Vizekönig von Peru verliebt, was gewinnbringend, aber nicht ungefährlich ist. Am Ende und nachdem sich die Granden des Hofes lächerlich gemacht haben, siegt beim König die Großmut, ganz allgemein und in verschiedenen Formen die Liebe, nur der arme Alte muss wieder ins Gefängnis, weil er sich an seine Straftat nicht mehr erinnern, er deswegen auch nicht begnadigt werden kann.
Das alles läuft ungeheuer zügig, aber nicht überhastet, urkomisch, aber nicht diffamierend, freizügig, aber nicht obszön ab, und der Zuschauer wird in eine fast so gute Laune versetzt, wie sie auf der Bühne zu herrschen scheint. Tiere auf derselben sind immer ein Risiko, die aus Stoff, so von freundlichen Lamas, französischen Bulldoggen oder die Hinterteile von Pferden, aus denen deren Äpfel fallen, ganz und gar nicht, sondern eine fröhliche Bereicherung des Geschehens. Und „gespielt“ wird auch noch nach dem Verklingen der letzten Note, wenn er Solobeifall sehr individuell entgegen genommen wird.
Stéphanie D’Oustrac spiet die Titelfigur mit viel Charme und einer farbig-weichen Mezzostimme, akustisch wie optisch elegant, köstlich in der Arie einer Beschwipsten und von schöner Melancholie, wenn es einmal schief geht mit den intriganten Plänen. Ihr Partner ist Philippe Talbot mit strapazierfähigem Tenor, optisch ein Sancho-Pansa-Typ, vokal weit edler. Mit schütterer Stimme gibt Tassis Christoyannis den Vizekönig sympathisch vertrottelt, Éric Huchet und Lionel Peintre als Kanzler und Gouverneur stehen ihm in nichts nach. Von tragischer Komik ist Thomas Morris als alter Gefangener, schöne Stimmen haben die drei Kusinen Julie Goussot, Marie Lenormand und Julia Wischnewski als Cousinen bzw. Hofdamen. Der Choir Les eléments unter Martin Surot ist so spritzig-witzig wie das Orchester unter Julien Leroy. Wer unbeschwert genießen will, ziehe sich diese sehr französische, aber weder spanische noch peruanische, Aufnahme zu Gemüte (Naxos NBDo168V). Ingrid Wanja