.
Bis Ende November 2014 gibt´s im Berliner Schwulen Museum – im praktischen Neubau an der Lützow Strasse – eine spannende Ausstellung: „Mein Kamerad – die Diva: Theater an der Front und in Gefangenenlagern des Ersten Weltkriegs“, wovon der Katalog (Hg:Julia B. Köhne, Britta Lange und Anke Vetter; edition text + kritik; ISBN 978-3-86916-366-6 für ca. 20.- Euros) einen hochinformationen Nachhall bietet. Der staunende Besucher erfährt, dass in den Front- und Gefangenenlagern, die ja meistens reine Männerlager waren, vielfältiges Kulturleben herrschte, in dem Männer die Partien der Frauenrollen bei Theateraufführungen und Unterhaltungsprogrammen übernahmen. Was ich nicht erwartete war das weite Ausmaß dieses Kulturlebens. Die Vielfalt der Theater- und Operettenaufführungen, die entzückende Naivität der Bemühungen, die ebenso rührenden wie gelungenen, täuschend „echten“ Kostümierungen.
Nun möchte man bei einem Besuch im Schwulen Museum voraussetzen, dass sich bei diesem Thema eher Homosexuelle in ihrem (angeblich) ureigenen Präsentationsfeld betätigt hätten, aber dem war durchaus nicht durchgehend so – eher im Gegenteil. Ganz sicher war die Männer-Zwangsgesellschaft des Ersten Weltkrieges durchweg homophob (der Moral der Zeit entsprechend), zumindest das Militär, und heimliche quasi-homosexuelle Beziehungen sicher nicht die Regel, wenngleich wie in allen Männer-Gesellschaften möglich und sicher vorhanden. Aber die Darsteller-Innen waren – wie Ausstellung und Katalog betonen – durchaus nicht (oder nicht offen) schwul, sondern geachtete Mitglieder ihrer eingesperrten Gruppe. Viele hatten sich schon vorher und auch danach weiterhin im bürgerlichen Nicht-Kriegsleben als Frauendarsteller profiliert, wie Fotos und Programmzettel zeigen.
Immerhin gab es einige ganz wunderbare Flimclips aus der Stummfilmzeit, wirklich ebenso lustige wie bestürzende Fotos von Einzeldarstellern. Und eben in den abfotografierten Gesichtern der Zuschauer wie der Darsteller diese Mischung aus Stolz, Vergnügen und Genanz zu sehen, diese Mischung aus Unschuld und Scham nachzuerleben – das hat mich sehr angerührt. Überhaupt wirkten die vielen Bild-Zeugen durchaus nicht exhibitionistisch, sondern eher eben unschuldig, eben sub-erotisch. Denn die Erotik spielte natürlich eine ganz große Rolle, eine uneingestandene, (weitgehend) heimliche, lustvolle – nicht platt zur Schau gestellte, sondern eher zu erahnende.
Der bemerkenswerte Katalog vertieft viele Aspekte dieses Themas. Julia B. Köhne und Britta Lange schreiben über die „Illusionsmaschiene Damenimitatoren“, Jason Crouthamel über Cross-Dressing, Kameradschaft und Homosexualität im deutschen Heer während des Ersten Weltkriegs (dem ich so nicht folgen kann), Sascha Förster und Peter W. Marx über Spannungserhältnisse des Kölner Kriegstheaterarchivs (absolut ein Thema heute, wie geht man mit diesem Wissen um – was nicht sein darf, das nicht sein kann); Christoph Jahr steuert einen Artikel zum „Engländerlager Berlin-Ruhleben“ bei (und man liest staunend, wo es alles Ausländer-Internierungslager im Ersten Weltkrieg in Deutschland gegeben hat, auch in Cottbus, woher einige ganz aufregende Fotos kommen); Eva Krivanec schreibt über Travestie an der Front, und Iris Rachaminov schließlich betrachtet Geschlechteraggressionen in Kriegsgefangenenlagern des Ersten Weltkriegs (auch dies ein spannender Aspekt mit überzeitlicher Bedeutung) – dazu natürlich die hochinformative Einführung von Anke Vetter.
Würde ich eine grundsätzliche Kritik anbringen sollte, würde ich sagen, mir sind die Artikel und die Ausstellung zu frauenlastig konzipiert/koordiniert/gestaltet/kommentiert, weil es sich durchweg um Männer-Probleme/Darstellungen durch die Macherinnen handelt und mir das Ganze zu sauber, klinisch, sachlich, unerotisch vorkommt. Ob (schwule?) Männer das anders präsentiert hätten? Frauen gehen das anders an. Vielleicht cleaner? Rationaler? Analytischer? Sauberer? Diese Einschränkung beruht natürlich nur auf meiner eigenen Wahrnehmung und Projektion/Erwartung. Aber ich vermisse eben in beiden Medien, Ausstellung und Katalog, die Lust, die (männliche!) Erotik (nicht zu verwechseln mit ausgelebter Männer-Sexualität), das Unterschwellige, Heimliche, auch etwas Klebrige des Verbotenen, das auf den männlichen Unterleib Gerichtete, die heimlichen Wünsche des Undenkbaren. Zumindest die Ausstellung als eigentlicher Träger dieses Themas bedient mein Kopfkino nicht so sehr. Der Katalog arbeitet soziologisch nach, klar.
Dennoch – was für eine Aufarbeitung. Endlich. Ähnlich wie über Sexualleben/Bordelle in Nazi-Lagern wusste man/ich über Damenimitatoren im Front-Kulturleben nicht wirklich viel. Und diese absolut empfehlenswerte Ausstellung ist wie der nachdrückliche Katalog eine wichtige Anstrengung zum Verständnis dieses Komplexes und ist in diesem Sinne auch und vor allem ein Stück Sozialgeschichte, die bis zu uns herüberreicht. Eben Umgang mit Minderheiten, wie es ja auch das Anliegen des Berliner Schwulen Musems ist. Bravo!
Geerd Heinsen
Dazu ein Sach-Nachtrag: Die Ausstellung wurde von Hauptstadtkulturfonds zum WW1 Gedenkjahr mit 75.000 Euro gefördert. Darum gibt’s den Katalog (sonst nicht üblich beim SchwuMu), darum gibt’s die Website, darum gibt’s die vielen Filme (die sehr teuer waren), darum gibt’s auch das Symposium. Lauter Dinge, die das ehrenamtliche Museum mit durchschnittlich 5.000 Euro Budget pro Ausstellung nicht stemmen kann, im Normalfall. Die schummrige Beleuchtung ist zum Schutz der Originalfotos, die sehr lichtempfindlich sind. Da sie aus Museen und Universitätssammlungen kommen, steht im Leihvertrag, dass das Licht entsprechend reduziert sein MUSS. Viele Fotos sind deshalb so klein, weil es Originale sind, und entsprechend nicht neu und größer ausgedruckt wurden (hätte man auch machen können…..). Dank an Kevin Clarke für Hinweis, Anregung und Fotohilfe.