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Warum geht der gemeine Opernbesucher selbst nach dem Ableben, gewaltsam, freiwillig oder zufällig, eines Großteils des Personals der gerade gesehenen Oper mit einem erhebenden, ja erhabenen Gefühl nach Hause? Natürlich weil das Dahinsterben von wunderschöner Musik begleitet wurde, aber auch, weil Leonora im Trovatore sich für den Geliebten opfern wollte, weil Violetta versöhnt mit den Menschen, die ihr etwas bedeuteten, mit einem „Oh Gioia“ von hinnen geht, Brünnhilde sich wieder mit Siegfried vereint und den Rheintöchtern den Ring zurückgibt. In Tosca sterben gleich alle vier Protagonisten, die Hälfte davon durch Freitod. Trotzdem stellt sich auch hier die Gewissheit ein, ein schönes Erlebnis genossen zu haben, es sei denn, man geht in die Amsterdamer Oper und erlebt die von Barrie Kosky inszenierte Puccini-Oper. Es ist als schwebe der Geist Gerald Mortiers noch über dem Haus, der bekanntlich Puccini verabscheute und in Salzburg partout keine seiner Opern aufführen wollte.
Tosca ist ein wahrlich blutrünstiges Stück mit Folterung, Erschießung, Vergewaltigungsversuchen. In der Kosky-Inszenierung wird all dem Schrecklichen noch eins draufgesetzt, indem bereits dem Mesner im ersten Akt übel zugesetzt wird, Cavaradossi nicht nur die spitzige Folterkrone aufgesetzt, sondern das Gesicht zerfleischt, ein Finger abgeschnitten, die rechte Malerhand verstümmelt und kurz vor Beginn des dritten Akts noch ein Liter Blut über den Kopf gegossen wird, damit das ansonsten wohl längst getrocknete so recht schön dramatisch an ihm herunterläuft und an Tosca wie auch am Gemäuer seine Spuren hinterlassen kann. Das gesamte Personal ist brutalisiert, die Schergen Scarpias üben Selbstjustiz, der Schließer auf der Engelsburg, der einst an der DDR-Staatsoper den Ring edel zurückwies, ist nun selbst ein Schläger, der gierig nach dem Ring greift, den eigentlich bereits Scarpia, da am abgeschlagenen Finger befindlich, an sich gerafft hatte. Wird das alles genüsslich vor den Augen des Zuschauers ausgebreitet, so werden die Passagen, die beweisen, dass Tosca und Cavaradossi ihre Würde behalten, selbstbestimmt handeln, eher beiläufig dargeboten, so das „La vita mi costasse, ti salverò“, das „Vittoria“, das „Trionfans“, das sich Hineinversetzen in eine bessere Welt im „Parla mi ancor“ eher beiläufig zu Gehör gebracht, wozu auch die seltsamen Tempi, die Marcello Viotti mit dem Orchester wählt, ihren Teil beitragen. Ähnlich geht es Tosca, die ihr „Vissi d’arte“ nicht als Gebet, sondern zu Scarpia singt, deren Glaubensgewissheit lächerlich gemacht wird, indem sie zwar ihr „Oh, Scarpia, davanti a Dio“ singen darf, dem Zuschauer aber danach gezeigt wird, dass sie als erbärmliches Bündel am Fuße der Mauer liegt. Scarpia selbst wird alles eindimensionales fieses Untier gezeichnet, umso attraktiver sind seine Schergen, wohl einem Dressmen-Katalog entsprungen.
Die Bühne von Rufus Didwiszus ist denkbar kahl, im ersten Akt eine Malerstaffelei und eine Blumenvase, die auch als Weihwasserbecken dient, im Nichts, im zweiten einen riesigen Küchentisch, im dritten eine Wellblechwand zeigend. Das Te Deum allerdings wird mit einem Gemälde des Jüngsten Gerichts geschmückt, mit den Chorknaben als lebende Höllenbewohner. Von Klaus Bruns sind die Kostüme, für Tosca elegant, so ein schwarzer Glitzerhosenanzug mit Perlengeschmeide über dem nackten Rücken für die Flucht über Civitavecchia.
Einem solchen Ambiente als Kontrast entgegengesetzt, wirkt die Musik fast obszön. Sie hat es schwer, wenn zum Beispiel das Vorspiel zum dritten Akt in Bruchstücke zerfällt, der Orchesterpart durchweg schwerfällig wirkt.
Malin Byström ist eine moderne Tosca mit hellem, kühlem, höhensicherem Sopran, singt ein schönes „Vissi d’arte“ ohne besondere Raffinesse, aber weich und geschmeidig klingend. Im dritten Akt gibt es kaum einen Kontakt zwischen ihr und dem unseligen Cavaradossi. Dieser findet in Joshua Guerrero einen engagierten Darsteller mit solidem Tenor, dessen Stärke ein kraftvolles Forte für den zweiten Akt ist, der jedoch „E lucevan le stelle“ keinerlei Poesie oder agogikreiche Raffinesse abgewinnen kann. Dunkel-süffig-dräuend ist der Bariton, den Gevorg Hakobyan für den Scarpia einsetzt, damit rollendeckend, wenn auch nicht für jede Partie empfehlenswert. Martijn Sanders macht den Fehler vieler Angelottis, nämlich zur Fallsucht zu neigen, sein Bassbariton ist, wenn er nicht nur flüstern, sondern auch singen darf, angenehm. Das trifft auch auf den Sagrestano von Federico De Michelis zu, während der Spoletta von Lucas van Lierop zwar schön, aber nur mit einem sehr kleinen Tenor begabt ist. Nach dem Genuss dieser Tosca heißt es erst einmal, Stress und daraus erwachsende Aggressionen abzubauen (Naxos NBD0166V). Ingrid Wanja