Archiv für den Monat: Oktober 2013

Unter Zigeunern

.

Eine Hand wäscht die andere. Ich führe deine Oper auf, und du spielst bei mir Klavier. So etwa könnte es gewesen sein, als Paderewskis Manru 1902 in New York aufgeführt wurde – und die bislang einzige an der Met aufgeführt polnische Oper geblieben ist (zugegeben – die Auswahl ist nicht riesig). Wie anders lässt sich erklären, dass die einzige Oper des Pianisten, Politikers und Nationalhelden Ignacy Jan Paderewski von Walter Damrosch, der bereits das Amerika-Debüt des Pianisten in der Carnegie Hall begleitet hatte, an der Met gespielt wurde. Mit dabei Marcella Sembrich und Louise Homer. Nicht schlecht. So würde man das gerne hören. Allerdings ist die von Madciej Figas knallig und zupackend dirigierte Aufführung aus Bydgoczcz, dem ehemaligen Bromberg, anlässlich des 50jährigen Bestehens der Opera Nova 2006 entstanden, allerbestens. Manru ist auch in Paderewski Heimat nicht eben häufig auf den Spielplänen zu finden, was vielleicht an dem kosmopolitischen Flair des Werkes liegt. Uraufgeführt 1901 in Dresden unter Ernst von Schuch mit der später als Elektra berühmt gewordenen Annie Krull als Ulana, dann in Lemberg gespielt, fand die Oper erst ab den 1960er Jahren in Polen regelmäßig Aufmerksamkeit. Allerdings enthält Manru auch hinreichend musikalische Hinweise, volkstümlich tänzerische Rhythmen und ein virtuoses zigeunerisches Violinsolo, zu dem Schauplatz, die Hohe Tatra, wo die Liebesgeschichte zwischen dem Dorfmädchens Ulana und dem Zigeuner Manru spielt. Ulana wurde von ihre Mutter verlassen, Manru von den Zigeunern verstoßen. Am Konflikt zerbrechen beide. Manru lässt Ulana im Stich, wird zum Führer der Zigeuner und gibt sich einer anderen hin. Ulana ertränkt sich, Manru wird von dem heimlich in Ulana verliebten Heilkünstler Urok ermordet. Das ist (polnischer) Verismo pur. Ein Höhepunkt ist ein ekstatisches, durch einen Liebestrank gesteigertes Duett der Hauptfiguren, das in seiner leicht perversen Überdrehtheit an Schreker oder Zemlinsky denken lässt. Wioletta Chodowicz singt das Dorfmädchen Ulana mit einem farbigen, facettenreichen, durchsetzungsstarken Sopran. Ihr Einsatz trägt den ersten Akt. Der Manru wird von Janusz Ratajcak mit einem anfangs fahlen, dann zunehmend trompetenhaft durchdringenden Tenor gesungen, der in der strapaziösen ariosen Deklamation immer noch jung klingt, obwohl er dem Ensemble zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits 18 Jahre angehörte. Der Urok von Leszek Skrla bleibt gewöhnlich. R. F.

 

Ignacy Jan Paderewski: Manru mit Janusz Ratajcak (Manru), Violetta Chodowicz (Ulana), Barbara Krahel (Jadwiga), Monika Ledzion (Aza), Jacek Greszta (Oros), Leszek Skrla (Urok), Lukasz Golinski (Jagu) u.a.; Chor und Orchestre der Opera Nova in Bydgoszcy; Leitung: Maciej Figas; 2 CD Dux 0793/0794 

Galerenjahre… für Verdi

„Dienen, dienen“ ist Kundrys letztes Wort, für das die Sängerin im Parsifal einen ganzen Akt lang auf die Bühne muss, und „dienen“ ist laut seinem letzten Satz auch das Bestreben Riccardo Mutis in Bezug auf Giuseppe Verdi, über den der Dirigent ein Buch mit dem Titel „Mein Verdi“ geschrieben hat. In ihm gibt es auch ein Kapitel „Verdi und Wagner“, in dem gar nicht nett mit dem Auch-Geburtstagskind umgegangen wird, wenn seine Verehrer in Bayreuth als Zombies mit stechendem Blick beschrieben werden und seine Musik – immerhin – als Droge bezeichnet wird. Überzeugt zeigt sich Muti davon, „dass die Menschheit in Zukunft Verdi dringender braucht als Wagner“. Gar nicht nachvollziehen kann er die Aussage von Carlos Kleiber, der zu ihm sagte, er möge als Dirigent am Pult glatt sterben, wenn die Musik bei Brünnhildes Erwachen oder am Ende der Götterdämmerung so zärtlich werde. Muss er auch nicht, denn sein Buch ist schließlich  nicht Wagner, sondern Verdi gewidmet.

Herausgeber und Mitautor Armando Torno schildert in der „Vorbemerkung“ die Arbeitsweise Mutis bei der Entstehung des Buches, zu dem der Dirigent die Idee hatte. „Werktreue“ wird bereits an dieser Stelle als oberstes Prinzip hervorgehoben und die heutige Aufführungspraxis kritisiert.

Jedem der Kapitel ist ein Zitat aus einer Verdi-Oper vorangestellt, auch der „Vorrede“ Mutis, in der er Verdi als den „Komponisten des Lebens“ und zugleich als den „Komponisten meines Lebens“ apostrophiert. Er äußert die Meinung, in jeder Verdi-Oper sei eine Figur Verdi selbst, drücke sich der pessimismo verdiano aus. Allerdings  ist es seltsam, daß dies im Simon Boccanegra Fiesco sein soll, der dann aber mit „Perfin l’aqua del fonte è amaro“ zitiert wird.

Muti blickt zurück auf seine ersten Eindrücke von Verdis Musik, mit der er bereits als Dreijähriger in Aida bekannt gemacht wurde, auf seinen Lehrer Antonino Votto, der nicht nur auswendig dirigierte, sondern auch ohne Partitur die Proben leitete. Später erwähnt er auch kurz Furtwängler (positiv) und Karajan, der ihn förderte und den er (das steht nicht im Buch) mutig gegen unbegründete Beschuldigungen Daniel Orens (auch er von Karajan gefördert) in Schutz nahm.

Seine erste Oper als Dirigent war ebenfalls eine solche von Verdi: I Masnadieri in der Regie des Deutschen Erwin Piscator – später lobt Muti neben vor allem Giorgio Strehler auch Werner Herzog für seine Regiearbeit.

Interessant sind die Ausführungen über die unterschiedliche Instrumentierung der Verdi-Opern, über die Herabsetzung des Kammerton a für Otello, den Umzug der Orchester in den golfo mistico, was sich ebenfalls auf das Hörergebnis auswirkte. Immer wieder aber klingt auch Resignation durch, so wenn Muti bedauert, dass heute das Sehen wichtiger als das Hören sei, letzteres kaum noch Bedeutung habe.

Seine Strenge gegenüber acuti-besessenen Tenören, aber auch gegenüber anderen Sängereitelkeiten begründet er mit der Aussage Verdis, Dirigenten und Sänger könnten und sollten nie kreativ sein. Auch das Wiederaufmachen von Strichen ist ihm ein Anliegen, so im ungekürzten Guglielmo Tell. Nachvollziehbar ist sein Kampf nicht nur gegen ein C in der Manrico-Stretta, sondern besonders gegen ein H, denn das Transponieren zugunsten des Tenors verändere durch den Tonartenwechsel das gesamte Klangbild. In diesen Passagen schimmert der Humor durch, den Muti durchaus auch angesichts so mancher menschlicher Schwäche bei seinen Mitarbeitern hat.

Hochinteressant sind die Ausführungen über die von ihm bekämpfte Aufführungspraxis anhand einiger Beispiele nicht nur aus Trovatore, sondern auch Ballo und Rigoletto. Das Gelächter des Jago nach seinem Credo ist ihm ein Graus. Aber auch die Sklaven einer puristischen historisch getreuen Umsetzung sind ihm einigen Spott wert. Es wundert den Leser allerdings etwas, dass gerade Muti sich bescheiden als Handwerker, nicht etwa als Künstler bezeichnet, während man seinen Spott über Dirigenten, die nicht gut Klavier spielen können, durchaus nachvollziehen kann. Die Traviata mit seiner Klavierbegleitung an der Scala ist natürlich auch ein Thema.

Über das Verhältnis Verdis zu Glauben und Kirche schreibt Muti mit Hinweis auf die geistlichen Werke des Komponisten, so über den Zweifel, ob der Schluss des Requiems im  glaubensfrohen C oder etwa doch in der Dominante des düsteren f-Moll gehalten sei. Den deutschen Leser stört es etwas, dass Muti bei seinen Ausführungen über Don Carlo tut, als hätte es Schillers Drama als Vorlage nie gegeben.

Während gerade in letzter Zeit in vielen Publikationen die Bedeutung Verdis für den Kampf um die Einheit Italiens sehr zurückhaltend beurteilt wird, hält Muti an den alten Vorstellungen vom Einfluss des „Va pensiero“ und vom engagierten Politiker Verdi fest. Auch am Bild vom „gewitzten Bauern“ lässt er nicht kratzen. Aber die Mameli-Hymne hält er für geeigneter als Nationalhymne als den Gefangenenchor.

Muti vertritt die Meinung, dass die lange Schaffenspause des Komponisten von den Auseinandersetzungen zwischen Anhängern deutscher und denen italienischer Musik zu verantworten ist. Sicherlich nicht jeder Leser  wird ihm bei der Behauptung, das Liebesduett in Otello sei nicht erotisch, folgen können, wohl aber bei der Einschätzung der Liebe von Nanetta und Fenton im Falstaff, den er Così fan tutte gleich setzt in seiner fast überirdischen Heiterkeit. Wenn es nach Muti geht, müssen Moslems auch in Zukunft das „Esultate“ und was darauf folgt aushalten können – aber sie haben wahrscheinlich bisher noch gar nicht davon Kenntnis genommen.

Riccardo Muti, der fast alle Opern Verdis bereits dirigiert hat, möchte auch noch die restlichen – außer der seiner Meinung nach mit Längen behafteten Luisa Miller – seinem Repertoire zufügen. Der Leser wünscht es ihm von Herzen.

Ingrid Wanja   

 

Riccardo Muti – Mein Verdi (übersetzt von Michael Horst); Bärenreiter/Henschel, 176 Seiten, Fotos, register,  ISBN 978-3-7618-2344-6/ 978-3-89487-929-7     Geburtstagsgabe

Berliner Opern in Flammen

luther heiss umkämpftEin ungemein faktenreiches wie kämpferisches Buch mit dem Titel Oper in Berlin – Heiß umkämpft und stets unter Feuer hat Berlins wandelndes Opernlexikon mit deutlicher Richtung zum Vergangenen, Einhard E. Luther, geschrieben und lässt den feurigen Titel durch ein ebensolches Cover unterstreichen: die jetzige Staatsoper inmitten hoch in den Himmel lodernder Flammen. Das ist nur einer der vielen Theaterbrände, dem auch das jetzige Konzerthaus am Gendarmenmarkt und die Kroll-Oper bereits im 19. Jahrhundert  zum Opfer fielen, ehe der 2. Weltkrieg sie zu Ruinen werden ließ. Allerdings liest der Berliner mit Staunen, wie schnell damals wieder aufgebaut wurde, meistens sogar ohne wesentliche Verteuerungen oder Verzögerungen während der Wiederherstellung (Foto oben: Ruine des königlichen Opernhauses Berlin, 1843, Aquarell von Johann Karl Jakob Gerst, ohne Jahr; Staatliche Museen zu Berlin/Preußischer Kulturbesitz/Wikipedia) .

Brand des Berliner Schaupielhauses 1817/Aquarell/Wiki

Brand des Berliner Schaupielhauses 1817/Aquarell/Wiki

Von 1700, als Königin Sophie Charlotte sich in Lützenburg (heute Charlottenburg) als Theatergründerin betätigte, bis zum Jahr 1851, als Botho von Hülsen Intendant der „Königlichen Schauspiele“, d.h. von Hofoper Unter den Linden und Nationaltheater am Gendarmenmarkt, wurde, reichen Luthers Untersuchungen, die eine Fülle von Material bieten, seien es Darstellungen der Geschichte dieser beiden und weiterer Opernbühnen, zeitgenössische Kritiken und andere Quellen wie Briefe oder Denkschriften, seien es Figurinen, Bühnenbildentwürfe, Theaterposter, Besetzungszettel, Grundrisse der Opernhäuser oder unzählig viele Portraits von Intendanten, Komponisten, Dirigenten und Sängern – auf jeder Seite findet sich mindestens eins davon, meistens sogar mehrere. Das erleichtert es auch erheblich, einigermaßen den Überblick über die Materialfülle zu behalten. Der Autor geht im wesentlichen chronologisch vor, verweilt aber hin und wieder auch bei dem einen oder anderen Opernhaus, um größere Zusammenhänge herzustellen. So ergeht es dem Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in der Schumannstraße oder der Kroll-Oper, die als Gartenetablissement gegründet wurde und nach dem Reichstagsbrand diesen als Sitz des Parlaments ersetzen musste. Luthers besonderes Augenmerk gilt dem Königsstädtischen Theater am Alexanderplatz, einer privaten Gründung, die von italienischen Operntruppen bespielt wurde, die nicht selten parallel zur Hofoper Opern in der Original- oder in Italienischer Sprache aufführten, während die Hofoper, die tatsächlich dem Hof vorbehalten war, sie in deutscher Sprache spielte. So gab es gleichzeitig am Alexanderplatz Il Profeta, während man Unter den Linden Der Prophet spielte.

Die Staatsoper im Bombenhagel 1945/Wiki

Die Staatsoper im Bombenhagel 1945/Wiki

Hart geht Luther mit der Festschrift zum zweihundertfünfzigjährigen Bestehen der Staatsoper von 1992  ins Gericht, die den Titel „Apollini et Musis“ trägt und der er zahlreiche Irrtümer und Versäumnisse nachweisen kann. Auch wenn man seine Angaben kaum im Detail überprüfen kann, wirken sie überzeugend und durch umfangreiches Quellenstudium fundiert. Daß political correctness nicht vor Operngeschichte halt macht, versucht er an der Beurteilung der „Zusammenarbeit“ zwischen Intendant Heinrich Küstner und seinem (für wenige Jahre) Generalmusikdirektor Meyerbeer fest zu machen. Demnach wurden dem gewissenhaften Intendanten allerlei Versäumnisse angedichtet, während der seine Pflichten eher großzügig auslegende Dirigent nach Kräften für etwas gelobt wurde, was das Verdienst des Kollegen war. Vorsichtshalber zitiert Luther einen antisemitischen Ausspruch Spontinis, ebenfalls Dirigent Unter den Linden, nur im französischen Original.

Die Geschichte der beiden königlichen und der privaten Opernhäuser wird minutiös nachgezeichnet, das Buch hat hier durchaus Lexikonwert, ist vielleicht als Nachschlagewerk noch besser zu gebrauchen denn als fortlaufende Lektüre, bei der die Überfülle des Materials ermüden und der Leser den Faden verlieren kann. Der beginnt zu überlegen, ob nicht eine andere Gliederung, so nach Opernhäusern, zu mehr Übersichtlichkeit verholfen hätte. Andererseits ginge dadurch das ständige Vergleichen der Entwicklung, das Einandergegenüberstellen verloren. Immerhin ist der Text nicht zu knapp auch mit pikanten Anekdoten gewürzt, die die Lektüre nicht nur gewinnbringend machen, sondern auch den Leser erheitern. Auch viele Lebenswege damals berühmter Sänger machen das Buch unterhaltsam, wobei man über den häufig extrem frühen Karrierebeginn, das weitgespannte Repertoire und das frühe Karriereende und den frühen Tod der Sänger erstaunt und betroffen ist. Giuditta Pasta, Jenny Lind, Pauline Viardot sind nur einige der Namen, die eine Rolle spielen, so wie die Tänzerinnen Barberina und Taglioni.

Zuschauerraum des wiederaufgebauten kgl. Opernhauses Berlin, 1844, Illustrirte Zeitung Nr. 88, Berlin 1845/Wiki

Zuschauerraum des wiederaufgebauten kgl. Opernhauses Berlin, 1844, Illustrierte Zeitung Nr. 88, Berlin 1845/Wiki

Operngeschichte ist stets auch Sozial- und allgemeine Geschichte oder vielmehr ihr Spiegelbild. So lernt man auch viel über die preußischen Könige vom verschwenderischen Friedrich I., über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., unter dem es gar keine Oper in Berlin gab, den kunstsinnigen Friedrich II:, dessen „der Große“ Luther vehement verteidigt, seinen Neffen Friedrich Wilhelm II.,  den König Infinitiv  Friedrich Wilhelm III. und schließlich Friedrich Wilhelm IV. Ihr Verhältnis zur Oper oder generell zur Kunst wirft ein scharfes Licht auch über darüber Hinausgehendes. Dabei erstaunt, dass Friedrich der Große nur deutsche Musik (Graun, Hasse) spielen ließ, weniger dass stets italienische und deutsche Oper im Clinch miteinander lagen. Erst allmählich setzten sich auch deutsche Sänger wie Henriette Sonntag in Berlin durch.

Auch die Opernhausarchitekten und die Szenographen Knobelsdorff, Langhans und Schinkel erfahren ihre Würdigung, und hätten die jetzigen Sanierer der Staatsoper sich rechtzeitig mit deren Wirken befasst, wären sie nicht über Grundwasserprobleme erstaunt gewesen.

Das Charlottenburger Opernhaus vor dem krieg/Wiki

Das Charlottenburger Opernhaus vor dem Krieg/Wiki

Am Schluss des Buches wird vor der Bibliographie und dem Personenregister nicht recht deutlich, ob der Verfasser sein Werk fortsetzen will. Man wünscht es sich, nicht zuletzt auch eine Geschichte der Berliner Oper im zwanzigsten Jahrhundert, wo, schenkt man dem Autor Glauben, besonders viele Versäumnisse und Entstellungen in der Operngeschichtsschreibung zu vermuten sind.

Ingrid Wanja   

 

Einhard E. Luther, Oper in Berlin – Heiß umkämpft und stets unter Feuer; 300 Seiten; Pro Business 2012; ISBN 978-3-86386-302-9

 

Nicht Unmöglich

Anton Urspruch/AUG

Anton Urspruch/AUG

Nie gehört. Anton Urspruch. Ich gestehe, eine Lücke, die Dank Naxos und Peter P. Pachl, dessen Siegfried-Wagner-Intitiative beim gleichen Label man kennt, geschlossen wird (und der das Projekt in aller Ausführlichkeit auf Operalounge vorstelltt). Urspruch, 1850 in Frankfurt geboren, wo er 1907 starb, bewegte sich in ähnlichen Kreise, wie der 19 Jahre jüngere Wagner-Sohn Siegfried. Er war einer der Lieblingsschüler von Liszt,  unterrichtete am Hochschen Konservatorium, war Mitbegründer des Raff-Konservatorium und erwarb sich als Komponist und Kenner der Gregorianik, über die er sogar mit dem Papst konferierte, einen bedeutenden Ruf. Er schrieb zwei Opern. Eine davon ist Das Unmöglichste von Allem von 1897, deren etwas umständlicher Titel die genaue Übersetzung der Komödie von Lope de Vegas El mayor imposible ist, die sich Urspruch selbst als Libretto einrichtete. Die Königin und Roberto streiten sich: Für sie ist das „Unmöglichste von Allem“ eine Frau zu hüten, er ist anderer Ansicht, da er seine Schwester Diana mit Argusaugen bewacht. Nach einem abgekarteten Spiel zwischen der Königin und Lisardo, der Diana erobert, muss sich Roberto geschlagen geben.

Peter P. Pachl/PPP

Peter P. Pachl/PPP

Nach Rheintalers Das Kätchen von Heilbronn 2009 in Erfurt, Dietrichs Robin Hood zwei Jahre später ebendort und Peter Gasts Der Löwe von Venedig in diesem Jahr in Annaberg-Buchholz steht nach diversen Wiederentdeckungswellen vom Belcanto über Barock bis zur Entarteten Musik offenbar eine Renaissance der spätromantischen deutschen Oper an und füllt die Nische auf, die bislang Hänsel und Gretel und der Barbier von Bagdad besetzt hielten. Eltern brauchen noch keine Angst zu haben. das Märchen wird angesichts dieser Offensive gewiss nicht von den Weihnachtsspielplänen verschwinden. Aber Urspruchs komischer Dreiakter hat etwas. Er entwickelt etwas umständlich, aber penibel und auf eine Art und Weise, die den Text gut transportiert, die spanische Vorlage. Gleich das Vorspiel packt er in ein 12minütiges Ensemble, das direkt in die Handlung springt, Urspruch schreibt fassliche Arien und Duette, plustert sie tänzerisch auf und treibt die Ensemble tüchtig voran. Das Finale des zweiten Aktes ist in seiner gestisch-musikalischen Überkreuzung sicherlich ein großer Wurf, das des dritten Aktes versprüht einen fast falstaffschen Humor und Zauber. Zugegeben: manchmal könnte er sich ein bisschen konzentrieren. Aber alles im allem zeugt die Oper von bester Beherrschung des Handwerks. Ich fand es immer ein wenig schade, dass Lortzing nahezu völlig von den Bühnen verschwunden ist. Und so gerne ich mich für diese Komische Oper und den 2011 in Leverkusen entstandenen Mitschnitt begeistern würde: die Sänger machen es einem nicht leicht, bei der Stange zu bleiben. Am meisten mochte ich die Diana von Anne Wieben und die Zofe Celia von Caterina Maier, zwei quietschfidele Soubretten, die ihre Genre gut bedienen, und den kecken operettigen Spieltenor Matthias Grätzel als Lisardo. Israel Yinon wandelt erfolgreich auf den Spuren Mottls, der die Oper seinerzeit in Karlsruhe zur Uraufführung gebracht hatte.  

Rolf Fath

 

Anton Urspruch: Das Unmöglichste vom Allem mit Rebecca Broberg (Die Königin), Robert Fendl (Roberto, Adeliger in ihren Diensten), Anne Wieben (Diana, seine Schwester), Caterina Maier (Celia, Dianas Zofe), Matthias Grätzel (Lisardo, Kanzler der Königin), Ralf Sauerbrey (Ramon, Lisardos Diener), laurent Martin (Pedrillo) u.a.; PPP Music Theatre Ensemble, München; Orchester des Sorbischen Nationalensembles; Leitung: Israel Yinon; 2 CD Naxos 8.660333-35

Nina Stemme als Brünnhilde

Auch die Opernmetropole Paris stand 2013 im Banne Richard Wagner. Schon seit 2010 sorgte der Ring in der Regie von Günter Krämer und unter dem Dirigat von Philippe Jordan an der Opéra Bastille für Furore. Nachdem die vier Teile über mehrere Jahre hinweg einzeln erklungen waren, gipfelte das Projekt im Juni 2013 in einer Ring-Gesamtaufführung – der ersten seit 60 Jahren an dem bedeutenden Haus. Nun erscheint ein besonderer Querschnitt als Album – mit sinfonischen Auszügen und Brünnhildes Schlussgesang aus der Götterdämmerung mit der Wagner-Sopranistin Nina Stemme. „Wenn man sich dem Ring zum ersten Mal nähert, neigt man dazu, die Teile einzeln zu betrachten“, sagt Philippe Jordan, der spätestens seit seinem Bayreuth-Debüt 2012 als einer der besten Wagner-Dirigenten gilt. „Wenn man dann aber zum Rheingold zurückkehrt und dessen Klarheit und Unschuld neu entdeckt, und wenn man dann erneut den Weg durch die drei anderen Werke gegangen ist, sollte man dann nicht die Einheit des Zyklus‘ betrachten und den Klang der Götterdämmerung bereits im Prolog heraushören?“ Die Antwort bietet sein Wagner-Album mit instrumentalen Ausschnitten aus allen vier Teilen, vokal gekrönt von Brünnhildes Schlussgesang aus der Götterdämmerung mit Nina Stemme. Mit ihrer Brünnhilde sorgte die schwedische Sängerin weltweit für beste Kritiken – etwa 2011 in San Francisco, als ihr die New York Times „hochpolierte Brillanz und expressive Tiefe“ bescheinigte: „Sie war jedem einzelnen Moment verpflichtet – in jeder einzelnen Phrase, die sie sang.“ (WC)

 

Richard Wagner – Sinfonische Auszüge aus dem Ring des Nibelungen: Götterdämmerung : Brünnhildes Schluss-Gesang „Starke Scheite“; Nina Stemme, Sopran ; Orchestre de l’Opéra National de Paris ; Leitung – Philippe Jordan; 2 Warner Classics CDs 5099993414227; Digital Download 5099993414258

„Il Guarany“ von Antônio Gomes

.

Es lässt sich doch immer eine Menge beim Opernhören lernen. Beispielsweise über die zu den indigenen Völkern Südamerikas gehörenden Guaraní, deren Siedlungen heute zu Uruguay, Bolivien, Argentinien, Paraguay und Brasilien gehören. In Paraguay, wo sie heute nur noch einen winzigen Anteil der Bevölkerung darstellen, vermischten sie sich früh den spanischen Kolonisten. Andernorts setzten sich die Jesuiten für den Schutz der Guaraní ein. Verhältnismäßig spät wurden sie Gegenstand literarischer Beschäftigung: José de Alencars  O Guarani von 1857 gehört zu den großen Romanen Brasiliens, die darauf basierende Oper gilt als Gründungsstunde der brasilianischen Oper. Wie der Istrier Antonio Smareglia oder der Grieche Spyros Samaras gehörte der Brasilianer Antonio Carlo Gomes zu den kosmopolitischen Lehrlingen der italienischen Opernszene, die deren Stil und Schemata in ihre Heimat transferierten, also mehr Mayr, Donizetti und Pacini als Verdi, aber sehr theaterwirksam und mit einem guten Gespür für Situationen und Sänger. Nachdem ich einmal Smareglias Abisso in Triest hörte, wo er auch hingehört, würde ich gerne mehr von seinen Opern hören.

Genauso geht es einem mit Gomes. In den wenigen zurückliegenden Jahren bot Gießen mit Lo Schiavo (Rio de Janeiro 1889) und der Fosca (Mailand 1873) die Gelegenheit, zwei ausgesprochen animierende Stücke zu erleben, zwar nicht von der bahnbrechenden Dichte des mittleren und späten Verdi, aber mit den Brüchen und Kanten, wie sie oft Werken in Übergangszeiten anhaften. Im speziellen Fall, also bei Il Guarany, finden sich bis in die Koloraturarien der Cecilia und die Ballettmusiken direkte Vorbilder in der französischen Oper. Gewiss betritt Gomes hier kein Neuland, aber er referiert auf geschickte Weise die Opernsituation seiner Zeit. Einige Male lieferten ihm sogar Ghislanzoni und Boito Texte und einige seiner Opern wurden an der Mailänder Scala uraufgeführt, so auch 1870 Il Guarany, der den fast noch druckfrischen Roman von José de Alencar adaptierte und noch im gleichen Jahr in Rio de Janeiro gefeiert wurde, wo er, zumindest bis zu der vorliegenden Aufnahme, eine ungebrochene Aufführungstradition begründete.

.

Der Sound dieser bereits auf einem brasilianischen Label schon lange im Umlauf befindlichen Live-Aufnahme  ist etwas für Kenner. Das Orquestra Sinfonica de São Paul klingt, als sei die Einspielung kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende entstanden und nicht 1959, wie es das Aufnahmedatum festhält. Die nicht mehr verfügbare Arkadia-Ausgabe, nach der ich ebenfalls gegriffen habe, klingt auch nicht besser, bietet aber immerhin ein Libretto und ausreichende (und damit akut mehr) Informationen statt dieser schlichten Ausstattung. Man hört sich erstaunlich rasch ein, und der muffelige und antike Klang verflüchtigt sich scheinbar. Ich mochte die Aufnahme gern. Der Held ist der Guaraní-Häuptling Pery, zu dessen Interpreten auch Gigli, Thill und del Monaco und in neuerer Zeit (also 1994 in Bonn und bei Sony) Domingo gehörten; Manrico Patassini singt ihn hier mit einem dunklen, expansionskräftigen Tenor, überzeugender ist die nach dem Muster der französischen Oper konzipierte Cecilia der wendigen Kolorateuse Niza de Castro-Tank. Cecilia ist die Tochter des Don Antonio, die sich in ihren Lebensretter Pery verliebt hat, aber nach dem Wunsch des Vaters den Portugiesen Don Alvaro heiraten soll. José Perrota singt den alten portugiesischen Adeligen mit großer Basswürde, Paulo Fortes den Abenteurer Gonzales mit einem höhenstarken, edel geschulten Verdibariton (kein Wunder, dass Cappuccilli die Partie derart reizte, dass er sie 1964 Rio sang). Antonio Belardi hält das Stück gut zusammen. R. F.

 

Antônio Carlos Gomes: Il Guarany mit José Perrota (Don Antonio De Mariz ), Niza de Castro-Tank (Cecilia, seine Tochter), Manrico Patassini (Pery, Häuptling der Guarany), Paschoal Raymundo (Don Alvaro), Paulo Fortes (Gonzales) u.a.; Orquestra Sinfónica de São Paulo; Leitung: Armando Belardi ; Andromeda 9115

.

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Ein Tenor auf gutem Weg

Vor einigen Jahren, als er in der Arena di Verona als Conte Almaviva Aufsehen erregte, galt der Tenor Francesco Meli noch als reiner Rossini- bzw. Mozartsänger. Inzwischen hat er in kluger Karriereplanung viel Donizetti gesungen und sich über den Duca und Alfredo auch ins Verdifach vorgearbeitet. Wie auch andere italienische Sänger hat er am Opernhaus von Posen einiges ausprobiert, wovon eine CD mit einem Recital zeugt, Live-Aufnahme eines Konzerts aus dem Jahre 2009, das er mit der Filharmonia Poznanska unter Lukasz Borowicz aufgenommen hat und das zur Reihe World Opera Stars gehört.

Das Programm ist kein rein italienisches, sondern beginnt mit der Ouvertüre zu einer Oper Ignacy Feliks Dobrzynskis mit unaussprechbarem und unmerkbarem langem Namen, deren Musik teils düster schwelgend, teils blechtrunken schmetternd ertönt, offensichtlich ein Potpourri der im Werk enthaltenen Melodien und insgesamt recht plakativ. Nach der Tenorarie aus Il Duca d’Alba, die nicht von Donizetti, sondern von Matteo Salvi stammen soll, gibt es noch ein Tanzstück aus Hrabina, also nicht aus der polnischen Nationaloper Halka von Stanislaw Moniuszko , an der nach 1945 kein DDR-Opernhaus vorbei kam. Danach wird es rein italienisch mit Arien von Donizetti und Verdi.

Bereits in „Angelo casto e bel“ zeigt Meli einige seiner Stärken: die leichte Emission und vorzügliche Diktion, das Wissen um die Wichtigkeit der Rezitative und die gute Phrasierung. Die Stimme ist dunkler geworden und auch in der Mittellage sehr präsent. Er trifft perfekt den elegischen Ton der Arie mit einer leichten Andeutung der „lacrima nella voce“. Die acuti werden nicht zu offen gesungen und die Stimme hat eine einheitliche Farbe. Es folgen Arien aus den Donizetti-Opern Elisir, Roberto Devereux und Lucia di Lammermoor, in denen die Geschmeidigkeit der Stimmführung, das schöne Piano und Legato erfreuen können, in der Schluss-Sene der Lucia sind die Schwelltöne bemerkenswert, klingt die Höhe  leider etwas angestrengt – da gab es wohl keine Möglichkeit zur Nachbesserung.

Der Verdi-Teil besteht aus den Tenorarien aus Trovatore, Lombardi, Ballo in maschera und Luisa Miller. Ein Verdi-Sänger war Meli vor vier Jahren noch nicht. „Ah si, ben mio“ wird recht schnell genommen, was der Stimme entgegen kommt, ein zusätzlicher Spitzenton erfreut das Publikum, eine reiche Agogik verfehlt ihre Wirkung nicht. Für den Riccardo hat Meli die Eleganz der Stimmführung, eine leicht abgedunkelte Stimmfarbe und einen winzigen Glottisschlag. Die Partie wird ihm gut liegen. Ebenso der Oronte, den er schwärmerisch und mit einem tollen Spitzenton singt. Rodolfos „Quando le sere“ erfährt nach sehr lyrischem Beginn eine feine Steigerung ins Dramatische.

Auf die weitere Karriere des klugen, behutsam planenden Sängers kann man gespannt sein. herausragend aber ist hier auch die Leitung des versierten Orchesters durch Lukasz Borowicz. In nur kurzer zeit hat sich der junge Pole einen internationalen Namen gemacht und geht zahlreichen Verpflichtungen an den großen Häusern außerhalb seines Heimatlandes nach, so auch in Berlin. Spannend ist aber auch seine Tätigkeit „zu Hause“ beim eigenen Rundfunkorchester in Warschau, wo er durch das breite und für Kenner prachtvolle Repertoire aufgefallen ist. Montemezzi, Donizetti, Weber, Cherubini und deren Opern lassen Fans nicht nur zum Beethoven-Festival im Frühjahr nach Warschau kommen, wenn internationale Stars wie Nelly Miriciou oder Melanie Diener den Auftritten Glanz verleihen und sich die einheimischen Sänger von Rang nicht verstecken müssen. Borowicz hat bietet dieses Geheimnis der spontanen Kommunikation, reißt den Hörer mit, nimmt ihn mit auf die Reise durch die Musik und deren Emotionen – so auch hier auf der Verdi-CD von Franncesco Meli, wo die Einleitungen den idealen Rahmen bilden und wo die beim Tenor angesiedelten Emotionen im gut disponierten Orchester Widerhall finden – selten hat man das Zusammenspiel so kongenial erlebt (PNCD 1405).

Ingrid Wanja

 

Diese oben besprochene CD gbts zur Abwechslung mal bei Amazon Deutschland.

Hier sind darüber hinaus für andere Aufnahmen aus Polen, die es nicht in Deutschland gibt, zwei Adressen von Geschäften in Warschau, die – laut Bogna Kowalska (Deputy Director Polish Radio Symphony Orchestra; Tel. +48 22 645 51 12; Mob. +48 508 011 219) – die Aufnahmen führen und verschicken, es finden sich englischsprachige Hinweise auf den Websites, leider gibt’s immer noch keinen deutschen Vertrieb: www.empik.com undwww.merlinmuzyka.pl. (G. H.)

 

 

Mythos G. G.

Leider gibt es keinen Hinweis darauf, aus welchem Jahr das Cover des Buches Gustaf Gründgens von Thomas Blubacher im Henschel Verlag stammt und welche der zahlreichen Mephisto-Interpretationen auf ihm zu sehen ist, aber es scheint eher einen desillusionierten, gealterten Schauspieler darzustellen als die schillernde, sich im Verlauf der Karriere wandelnde Gestalt aus Goethes Faust,  die man mehr als alle anderen Rollen mit dem großen Schauspieler, Regisseur und Intendanten verbindet.

Das Buch ist sicherlich, wie der Untertitel behauptet, eine Biographie, aber es ist viel mehr und beginnt seltsamer Weise mit dem zunächst rätselhaft erscheinenden Tod Gründgens‘ in einem Hotel in Manila. Es endet mit seinem Aufbruch zu einer Weltreise, die ihm dabei helfen soll, „leben (zu) lernen“, also ein Versäumnis nachzuholen, als es offensichtlich zu spät dazu ist. Die ca. 350 Seiten dazwischen lassen den Leser erfahren, warum der Selbstmord, von dem man wohl ausgehen muss, Konsequenz eines nur überreich erscheinenden Lebens ist.

Darüber hinaus ist das Buch eine, wenn auch auf das künstlerische Leben verengte (aber doch auch einen Spiegel darstellend) Geschichte der letzten Jahre des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, der Nazizeit und der Adenauer-Zeit. Auf die ausführliche Geschichte der beiden Familien, aus denen der Künstler stammt, hätte man auch verzichten können, und sie ermüdet zunächst den Leser etwas. Erst im Nachhinein sieht er ein, dass die Wurzeln eines Lebens, auch um lange Zeit zurückverfolgt, aufschlussreich sein können.

Über die reine Biographie hinaus geht zwangsläufig auch die Theatergeschichte, die sich aus ihr erschließen lässt. Das zunächst noch bedauernswerte Image des Schauspielerberufs, die auf Berlin zentrierte Theaterlandschaft, die mit der Niederlage Deutschlands und seiner Aufteilung in Besatzungszonen dezentralisiert wird, die Vielfalt des Berliner Bühnenlebens und seine ökonomische Misere in der Weimarer Republik, die Rivalität zwischen Göring und Goebbels um die Herrschaft über die Theater, über Rundfunk und Film. Dabei ist es interessant zu lesen, wie sich die Belegschaft der ehemaligen preußischen Staatstheater unter Göring relativer Freiheit erfreuen durfte, nicht zuletzt durch das Einwirken seiner Schauspielerin-Ehefrau Emmy Sonnemann. Deren gute Beziehung zu Gründgens, der sie das Gretchen spielen ließ, führte später dazu, daß die Verleihung des ersten Bundesverdienstkreuzes an ihn zu einem Skandal ausartete. Der Leser erfährt einiges darüber, inwieweit ein Schutz von sogenannten Halbjuden, „jüdisch Versippten“ und jüdischen Ehepartnern von „Ariern“ möglich war.  Noch einmal erschreckend anzusehen ist die lange Liste der Künstler, die Deutschland ab 1933 verlassen mussten oder wollten. Einige der persönlichen Feindschaften, die Gründgens pflegte oder die ihm aufgezwungen wurden wie die zu seinem Ex-Schwager Klaus Mann, der ein entstelltes Bild von ihm in seinem Roman „Mephisto“ entwarf, haben durchaus auch politische Wurzeln. Das Thema „Gehen oder Bleiben“, die damit zusammen hängenden Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen, können in diesem Buch natürlich auch nicht fehlen.

Das Buch enthält nicht nur Theatergeschichte und -geschichten, sondern auch eine Darstellung des Wandels in der Aufführungspraxis, des Kampfes, den Gründgens ab den 50er Jahren für das konservative Theater als festliche Veranstaltung gegen das politisierende Hinterfragungstheater und andere Richtungen führte, so mit dem „Düsseldorfer Manifest“. Als weiterer Kontrast wird der zwischen Max Reinhardts sinnenfrohem Theater und dem Dumonts in Düsseldorf mit seinem priesterlichen Anspruch herausgestellt. Es ist außerdem ein „Who is who“ der deutschen Schauspieler, Regisseure und Intendanten. Staunen wird man immer wieder über den Reichtum an schauspielerischen Talenten und an Uraufführungen.

Zeitlebens musste Gustaf Gründgens mit der Angst umgehen können, dass ihm aus seiner Homosexualität Misshelligkeiten erwachsen könnten, denn diese war bis 1969 selbst zwischen einvernehmlich handelnden Erwachsenen unter Strafe gestellt. Zwei Heiraten (Erika Mann und Marianne Hoppe) und eine Adoption (des Lebenspartners Peter Gründgens-Gorski) änderten kaum etwas an der Bedrohung, zu der das sündenfrohe Berliner Nachtleben der Weimarer Zeit in einem sonderbaren Kontrast steht. Inwieweit der Intendant sich junge Schauspieler und damit Abhängige gefügig machte, kann nur vermutet werden, ebenso die „Schuld“ seines letzten Geliebten an seinem Selbstmord. Kaum anzuzweifeln ist jedoch, dass die Erpressbarkeit den Charakter zumindest mit geformt hat und manches Unverständliche und Launenhafte zumindest teilweise erklären mag.

Das Buch bietet eine Überfülle von Zeitzeugenaussagen, Kritiken, einen höchst umfangreichen kritischen Apparat und kann den Anspruch auf wissenschaftlichen Wert erheben, auch weil die Lebensgeschichte Gründgens‘ stets verflochten bleibt mit der Geschichte seiner Zeit. Diese führt ihn nach der Ausbildung in Düsseldorf nach Halberstadt, Kiel, Hamburg, Berlin und lässt ihn als Schauspieler, Regisseur (auch an der Scala, in Wien, Salzburg, Florenz) und Generalintendant arbeiten, führt ihn in ein Arbeitslager des NKWD, aus dem ihm Ernst Busch, dem er selbst geholfen hatte, heraus holt, dann wieder nach Düsseldorf und schließlich nach Hamburg. Dass er nach einem so reichen Leben meint, er müsse lernen zu leben, zeigt die Tragik des Gustaf Gründgens, der dem Leser nach der letzten Seite des Buchs eher bemitleidens- als beneidenswert erscheint.

Ingrid Wanja   

 

Thomas Blubacher: Gustaf Gründgens, Biographie, 432 Seiten, 54 s/w Abbildungen, Hardcover, Henschel Verlag, Leipzig  ISBN 978-3-89487-702-6

       

Das Militär und die Frauen…

. ..in Nicola Alaimo’s Belisario and Joyce El-Khouri ’s Antonina we gor an ideal pairing, bis resonant Sicilian bari tone wonderfully complemented by the silky perfection of her sound, and by the Callas- like way she shaped her lines I lang to see and hear her perform again. If this performance is anything to go by, Opera Rara’s Cd will make an incontrovertible case for this austere but prophetically Verdian work.‘ (The Independent, 29 October 2012)

When Patric Schmid and Don White conceived Opera Rara more than 40 years ago , one of their first aims was to establish a Donizetti collection, to which they would add a recording each year. Over the years, Opera Rara’s repertoire has expanded to include a broad range of 19th century French and Italian composers, but Donizetti has remained at its heart and Belisario marks the twenty – second complete opera by Donizetti that Opera Rara has recorded.

Generally acknowledged to be one of Donizetti’s finest achievements, Belisario dates from the high watermark of Donizetti’s maturity .It received its premiere in 1836 (the year after the debut of Maria Stuarda in Milan and Lucia di Lammermoor in Naples) and proved a triumph on stages throughout the 19th century. Opera Rara recorded the work, in the studio, last October and this was immediately followed with a concert performance at London’s Barbican Hall.As Rupert Christiansen commented in the The Telegraph: Donizetti’s Belisario proved a revelation´.                                     Written just before Lucia di Lammermoor (and containing a similar sextet) , it s a muscular, martial melodrama about a Byzantine general whose honour is besmirched by a scheming wife.‘

The matching of Sir Mark Elder conducting the BBC Symphony Orchest ra and BBC Singers with a cast of young and up – and – coming singers including Nicola Alaimo , Joyce El-Koury  (making her recording debut as Antonina) and Russell Thomas,  reinforces Opera Rara’s commitment to working with young talent as well as the art form ’s established names.

 

Nicola Alaimo  (Belisario); Joyce El-Khoury  (Antonina); Camilla Roberts (Irene); Alastair  Miles  (Giustiniano); Peter Hoare  (Eutropio); Russell Thomas  (Alamiro); Julia Sporsen  (Eudora); Darren Jeffery  (Centurion); Edward  Price  (Eusebio); Michael  Bundy  (Ottario); BBC Symphony Orchestra & BBC Singers; Sir Mark Elder, Conductor, 2 CDs Opera Rara ORC49

 

Die Musik der Sieger

Ruhm, der nicht vergeht. Achtzehn Jahre ist Sergiu Celibidache nun schon tot, und immer mehr Aufnahmen drängen auf den Markt, so, als würde er noch leben. Würde er, gäbe es jedoch nichts, denn der Maestro verabscheute bekanntlich Konserven. Musik musste im Moment entstehen mit allen Unwägbarkeiten. Und da er diese nach Möglichkeit ausschließen wollte, probte er intensiv und zeitaufwändig. Seine Aufführungen hatten den Status des Endgültigen. Nach den wenigen Konzerten, die ich mit ihm erlebte, war ich felsenfest überzeugt: So und nicht anders! Ich werde diese Abende nie vergessen, sie sind mir maßstabsetzend ins Gedächtnis eingebrannt. In seiner Magie war er beschwörend wie ein alttestamentarischer Prophet. Obwohl ich nach wie vor der Meinung bin, dass man ihn auch sehen musste beim Dirigieren, das auch ein Zelebrieren war, bleibt bei den reinen Tondokumenten nicht die Wahl. Sie sind auch ohne bewegtes Bild bezwingend genug.
Das Label audite nimmt sich des Andenkens von Celibidache nun bereits mit der zweiten Edition an: The Berliner Recordings 1945-1957 auf zwölf CDs und einer Bonus-DVD (21.423).

Celibidache (Berliner Neubeginn)Zusammengenommen mit der vor drei Jahren erfolgten Veröffentlichung aller RIAS-Einspielungen aus dem gleichen Zeitraum ist das ein gewaltiger Brocken. Allein deshalb ein Brocken, weil Celibidache nicht nur Brahms, Haydn und Mozart dirigiert, sondern Komponisten auf seine Programme setzt, die während des Nationalsozialismus verpönt oder gleich verboten waren. Einer von ihnen ist Günter Raphael, der einst die Nachfolge des Thomaskantors Karl Straube antreten sollte, als Halbjude jedoch mit totalem Berufsverbot belegt wurde. Nach Kriegsende konnte er dieses Amt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr antreten. Er starb 1960 in Köln, ist aber in Meiningen begraben, wo seiner gedacht wird. Raphaels expressive 4. Sinfonie ist erst 1947 entstanden. Darin überwindet er seinen an Brahms orientierten spätromantischen Stil. Der langsame Satz erinnert stark an den Beginn von Bartóks Blaubart, im Finale gibt es gar folkloristische Anklänge.

Seinen Lehrer Heinz Thiessen, der mit den Nationalsozialisten auf Kriegsfuß stand und ebenfalls nicht aufgeführt wurde, ehrt Celibidache mit der Einspielung dessen bedrückend-wuchtigem Vorspiel zu einem Revolutionsdrama, in dem die Tell-Ouvertüre von Rossini wie eine Kampfansage zitiert wird.

Schließlich galt es in den Trümmern des zerstörten Berlin auch Felix Mendelssohn Bartholdy neu zu entdecken. Seine 4. Sinfonie, die „Italienische“, eröffnet, gefolgt von der Melusinen-Ouvertüre, zu Recht die gesamte Edition.

Im Berliner Titaniapalast entstanden viele Aufnahmen. Foto: H. Winter

Im Berliner Titaniapalast entstanden viele Aufnahmen. Foto: H. Winter

Beim Studium der Titelliste fällt eine Art Vier-Mächte-Status auf. Es scheint, als hätten die Sieger über Hitlerdeutschland, nämlich Sowjetunion, USA, England und Frankreich, im Hintergrund an der Programmgestaltung mitgewirkt. Nahe liegt es. Schließlich hatten sie bei der Wiederbelebung des kulturellen Lebens die Fäden in der Hand und das letzte Wort. Celibidache dürfte damit kein Problem gehabt haben. Er war politisch unbelastet und wurde nicht von ungefähr gleich 1945 Nachfolger des in den Nationalsozialismus verstrickten Wilhelm Furtwängler am Pult der Berliner Philharmoniker. Dmitri Shostakovich ist mit seiner 9. Sinfonie vertreten, Sergei Prokofiev mit der Ersten und der Orchestersuite Nummer 2 aus dem Ballett Romeo und Julia. Unbekannte für das Berliner Publikum waren César Gui, der gebürtige Franzose, den es nach Russland verschlagen hatte, mit seiner 3. Suite „In mondo populari“, und der Russe Rheinhold Glière mit seinem Konzert für Koloratursopran, in dem sich die tüchtige Erna Berger der halsbrecherischen Vokalisen annahm.

Die USA repräsentieren Aaron Copland mit der Konzertversion seines Ballet for Martha Graham, Edward MacDowell mit der Romanze für Violincello und Orchester, Walter Piston mit seiner 2. Sinfonie sowie Samuel Barber mit Capricorn Concerto for flute, oboe, trumpet and string orchestra. Aus England stammen die Sinfonia da Requiem von Benjamin Britten nebst einer Suite aus Henry Purcells Oper King Arthur, die für unsere heutigen barockmusikerprobten Ohren viel zu dick aufgetragen wirkt.

Frankreich, der einstige Erzfeind, ist auffallend oft vertreten, als sei für Celibidache die Aussöhnung mit diesem Land eine Voraussetzung für das Fortbestehen Deutschlands nach dem verlorenen Krieg gewesen. Das war weitsichtig und weise.

Es ist auch kein Zufall, dass er, der umtriebige Weltbürger, in Frankreich schließlich seine letzte Heimat und Ruhe fand. Zu hören ist Berlioz mit der Fantasy-Ouvertüre Romeo et Juliette und dem Römischen Carneval, Bizet mit seiner 1. Sinfonie, Debussy mit La mer und Milhaud mit seiner Suite francaise. Sogar die Arie „Sieh, mein Herz erschließet sich“ aus Saint-Saens` Samson und Dalilah mit Margarete Klose wurde eingespielt – sehr pastos, wie von dieser Altistin gewöhnt, und in deutscher Sprache.

Margarete Klose singt Orchesterlieder von Hugo Wolf.

Margarete Klose singt Orchesterlieder von Hugo Wolf.

Das ist nicht der einzige Auftritt der Klose. Sie ist auch in der „deutschen Abteilung“ mit Liedern von Hugo Wolf tätig, die der Komponist selbst orchestriert hatte. Wolf konterkariert sich damit selbst. Seine in der Anlage feinziselierten Lieder drohen mitunter in der Fülle des Orchesters unterzugehen und sich damit selbst zu zerstören. Die Klose ist zu üppig für Wolf, vermag den Liedern  – darunter „Anakreons Grab“, „Über Nacht“, „Denk‘ es, o Seele“ und“ Gesang Weylas“ – aber dennoch sehr viel Ausdruck abzugewinnen. Sie weiß auf ihre Art zu fesseln. Ich habe ihr gern und mit großer Anteilnahme zugehört und halte diese Lieder für den spektakulärsten Fund dieser Ausgrabungen durch audite. Es fehlen auch guten alten Bekannten nicht in dieser Edition, in diesem Falle Brahms (4. Sinfonie), Strauss (Till Eulenspiegel), Beethoven (7. Sinfonie und Leonoren-Ouvertüre 3) Haydn (94. und 104. Sinfonie) und Mozart (5. Violinkonzert).

Celibidache RIAS-Aufnahmen

Bereits 2011 erschienen, doch noch zu haben: die kompletten RIAS-Aufnahmen von Celibidache.

Celibidache blieb in Berlin nicht viel Zeit. Die Philharmoniker entschieden sich 1952 für Herbert von Karajan und damit gegen Celibidache. Bezeichnenderweise ist das letzte Berliner Konzert der Edition ein Fragment. Vom Konzert mit dem Deutschen Sinfonie-Orchester 1957 im Titania-Palast haben sich nur Teile der 7. Sinfonie von Beethoven erhalten. Erst 1992 kehrte er für ein Benefizkonzert zurück. Da war Karajan längst gestorben. Was, wenn er damals doch hätte bleiben können? Die Geschichte des berühmten Orchesters wäre fortan gewiss anders verlaufen. Die ersten Jahre nach der Stunde Null in Deutschland waren kulturell wirklich ein Neuanfang. So radikal wie furios. Davon kommt einem vieles aus der Edition entgegen.

Nicht ausschließlich die Philharmoniker kommen in dieser Sammlung zum Zug. Celibidache hat auch mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und dem RIAS-Symphonieorchester, aus dem 1956 das Radio-Symphonie-Orchester Berlin hervorging, gearbeitet. Bei der Tonqualität darf man angesichts des Alters und der Umstände der Aufnahmen keine Wunder erwarten. Es gibt auch hier und da kleine Fehlstellen. Solche Einschränkungen habe ich gern in Kauf genommen, sie können dem künstlerischen rang des Unternehmens nichts anhaben. Hervorzuheben ist auch die hohe Qualität des ausführlichen Textheftes mit dem zentralen Beitrag von Christoph Schlüren. (Das große Foto oben wurde uns freundlicherweise von audite zur Verfügung gestellt.)

Rüdiger Winter

Terje Stensvold

 

Der norwegische Bariton Terje Stensvold, gern gesehener Gast an der Oper Frankfurt, feiert am Donnerstag, dem 10. Oktober 2013, in Melbourne – wo er gerade den Wotan in Wagners Der Ring des Nibelungen probt – seinen 70. Geburtstag. Auch in Frankfurt war der Sänger zuletzt als Wotan erfolgreich und glänzte zudem in der bei OehmsClassics erschienenen CD- bzw. DVD-Produktion des von Sebastian Weigle dirigierten Frankfurter Ring (Regie: Vera Nemirova, das Foto oben/Rittershaus/Oper Frankfurt zeigt ihn als Wotan ).

Terje Stensvold/Oper Frankfurt

Terje Stensvold/Oper Frankfurt

Terje Stensvold gilt international als äußerst begehrter Interpret des Göttervaters, den er neben seinen Frankfurter Auftritten auch unter Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper und der Mailänder Scala sang. Außerdem gestaltete er diese Partie u.a. in Stockholm, Helsinki, Dresden, Leipzig, Wien (Staatsoper) und Berlin (Deutsche Oper, zudem Die Walküre konzertant mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle). Für Siegfried wurde er auch an der Bayerischen Staatsoper und bei den London Proms verpflichtet. Ende 2013 kommt ein neuer Ring in Melbourne hinzu. Der Bariton gastiert seit dem Jahr 2000 regelmäßig in Frankfurt, wo er sich mit Der fliegende Holländer als Wagner-Interpret vorstellte. Weitere Engagements für diese Oper führen ihn 2012/13 nach Zürich und Amsterdam. In Frankfurt gab er zudem Jochanaan (Salome), Balstrode (Peter Grimes), Alfio und Tonio (Cavalleria rusticana / I Pagliacci), Dr. Schön und Jack the Ripper (Lulu), Don Pizarro (Fidelio) sowie Barak (Die Frau ohne Schatten). Als tragende Kraft an Den Norske Opera in Oslo interpretierte Terje Stensvold über 80 Partien. 2008 wurde er vom norwegischen König zum Ritter 1. Klasse des St. Olav Ordens ernannt. (Holger Engelhardt/Presse Oper Frankfurt)

 

Danica Mastilovic

 

Danica Mastilovic feierte am 7. November 2013 ihren 80. Geburtstag! Ihre Lieblingspartie war zweifellos die Elektra in Strauss‘ gleichnamiger Oper (Foto oben/Oper Frankfurt)). In nahezu 200 Vorstellungen hat Danica Mastilovic diese nicht nur stimmlich, sondern auch körperlich kraftraubende Titelpartie mit überwältigendem Erfolg gesungen.

Danica Mastilovic/Oper Frankfurt

Danica Mastilovic/Oper Frankfurt

Die gebürtige Jugoslawin studierte an der Musikakademie in Belgrad Gesang und wurde anschließend 1959 von Georg Solti an die Oper Frankfurt engagiert. Der damalige Erste Kapellmeister Wolfgang Rennert entdeckte sie in Belgrad – auf der Suche nach jungen Sängern für das neue Ensemble der Oper Frankfurt. Ohne Deutschkenntnisse und Studienabschluss ist sie zum Vorsingen nach Frankfurt gekommen und hat daraufhin vom Intendanten Harry Buckwitz einen Vertrag für drei Jahre bekommen. Sie debütierte als Tosca. Bei der Vorbereitung ihrer neuen Partien stand ihr vor allem der österreichische Studienleiter Hans Hasel zur Seite. Später eroberte sie alle wesentlichen Partien des jugendlich-dramatischen Fachs – von Desdemona in Verdis Otello bis zur Aida. 1960 gastierte sie erstmals als Tosca an der Wiener Staatsoper. Als Leonore in Beethovens Fidelio und Abigaille in Verdis Nabucco war sie in Chicago, Zürich, Verona und Buenos Aires zu hören. Daneben gastierte sie u.a. an der New Yorker Metropolitan Opera, an der Mailänder Scala sowie an den Opernhäusern von München, Hamburg und Berlin. Als Puccinis Turandot hat sie an 28 Opernhäusern weltweit gesungen. Unter Christoph von Dohnányi wechselte sie ins hochdramatische Fach und sang u.a. Partien wie die

Färbersfrau in Strauss‘ Die Frau ohne Schatten sowie von Wagner die Ortrud im Lohengrin, Senta in Der fliegende Holländer, Kundry in Parisfal, Isolde in Tristan und Isolde und Brünnhilde in Der Ring des Nibelungen. Unter Michael Gielen schloss sich die Partie der Küsterin in Janačéks Jenufa an. Als Alte Burya war sie in der Jenufa-Inszenierung von Adolf Dresen noch 1995 und 1997 zu erleben.

1983 wurde sie an der Oper Frankfurt mit dem Kammersängerinnen-Titel ausgezeichnet. Von den großen Rollen hat sie sich gegen Ende ihrer Laufbahn nach und nach verabschiedet und hat den Schwerpunkt ihres Repertoires mehr auf Charakterrollen verlegt. Mit der Partie der Amme in Tschaikowskis Eugen Onegin in der Saison 1998/99 ging für Danica Mastilovic ihre Zeit als festes Ensemblemitglied der Oper Frankfurt nach 40 Jahren zu Ende. Darüber hinaus jedoch blieb die noch immer im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen lebende Künstlerin dem Haus als Gast weiterhin verbunden. Die Oper Frankfurt gratuliert Danica

Und noch einmal als Turandot in Frankfurt/OR

Und noch einmal als Turandot in Frankfurt/OR

Mastilovic, einer der bedeutendsten Sängerpersönlichkeiten der Frankfurter Operngeschichte, herzlich zu ihrem 80. Geburtstag. (Holger Engelhardt/Presse Oper Frankfurt/M).

Und als ehemals West-Berliner Operngänger schließe ich mich den Glückwünschen sehr herzlich an – Frau Mastilovic habe ich an manchen und sehr eindruckvollen Abenden an der Deutschen Oper Berlin gesehen, machtvoll und hochkompetent, mit ebenso weitreichender dramatischer Sopranstimme als Elektra, Turandot u. a. – was für eine nachhaltige Künstlerin war sie doch. Ihresgleichen gibt es nicht mehr! G. H.

Kraftvoller Nachkriegs-Verdi

 

Zum 50. Todesjahr, 1951, unternahm die italienische Rundfunkanstalt RAI einen absoluten Mammutklimmzug in Sachen Verdi-Würdigung – mit Recht, bestritt doch der große Sohn Italiens Dreiviertel des Spielplans in Italien und sicher die Hälfte weltweit. Bereits am 25. Juni 1950 (!) ging es bei der RAI Roma mit dem Ernani los, ein Vorab-Schuss. denn erst am 16. Januar 1951 folgte der Nabucco, ebenfalls in Rom, das gegenüber Mailands sieben nun acht Opern Verdis in Live-Konzerten beisteuerte, dazu kamen zwei aus Turin und eines (Attila) aus dem Fenice in Venedig in der Übernahme durch die Mailänder Rundfunkanstalt – neunzehn Opern im Ganzen, keine kleine Tat, und doch fehlten manche aus dem Verdi-Kanon, einige frühe vor allem (bizarrerweise gibt es  den Oberto und Aroldo, aber nicht den Stiffelio), und namentlich die Bearbeitungen/ Doubletten, die originalen französischen Fassungen, sowie keine Vespri Siciliani oder Macbeth! Eigenartig – manche Opern wurde nicht gespielt, aber die zuletzt genannten gelangten wenig später an die Scala oder ans Maggio Musical Fiorentino.

verdiboccanegra

 

Verpflichtet wurden für diese Live-Konzerte in samstag-abendlicher Sendung durch die RAI die bewährten und bekannten Vorkriegs-Kräfte wie Maria Caniglia, Giacomo Lauri-Volpi oder Ebe Stignani ebenso wie aber auch die hoffnungsvollen jungen, also Carlo Bergonzi, Antonietta Stella, Rolando Panerai oder Graziella Sciutti, auch die berühmten, die bald Exklusivverträge mit den internationalen Plattenfirmen bekamen wie Giulietta Simionato (Decca), Renata Tebaldi (dto.), Rosanna Carteri (EMI) oder Mario Del Monaco (Decca). Um manche machte die RAi unerklärlicherweise und vielleicht aus Termingründen einen Bogen, etwa Giuseppe Di Stefano (vielleicht Gagenforderungen damals schon?) oder Gina Cigna, die ja noch sang und eine berühmte Größe der Kriegszeit gewesen war. Manche der hier beschäftigten Künstler sind nur durch diese Konzerte in Erinnerung geblieben, denn die RAi war damals mit der Staats-Plattenfirma Cetra verbandelt, die die meisten dieser Übertragungen, ebenso wie andere Opernaufführungen des staatlichen und auf vier Regionalstationen verteilten Rundfunks, als LPs herausbrachte und damit einen Grundstock für italienische Nachkriegs-Opernkultur legte und an die berühmten Voce-del-Padrone der späteren EMI anknüpfte , die diese vor dem Krieg weitgehend mit der Scala Mailand eingespielt hatte (so die Sabajno-Aufnahmen).

verdi forza caniglia

 

Die Geschichte der Firma Cetra ist eine zutiefst italienische und bizarre. Die Cetra stammt aus den Dreißigern und ist die Nachfolgefirma der Rundfunk-verbundenen EIAR, bei der auf dicken Schellacks zum Beispiel die Norma mit der Cigna herausgekommen war. Nach dem Krieg entstand unter anfänglich amerikanischer Hoheit die Cetra neu und als eigenes italienisches Label mit der römischen Wölfin auf grünem Etikett als Markenzeichen. Maria Callas nahm hier ihre ersten Bellini- und Wagner-Arien auf, die ihren Namen in alle Welt trugen, Renata Tebaldi ihren ersten Andrea Chénier, Franco Corelli seine erste Aida. Und bald vermittelte die Cetra ein Spiegelbild der jungen Generation der italienischen Nachkriegs-Sänger, wenn man mal von der lückenfüllenden Mitwirkung von  Maria Caniglia  und ihrer Altersgenossen absieht, die in den großen veristischen Partien nicht zu entbehren waren. Aber Namen wie Maria Vitale, Aldo Bertocchi, Elena Nicolai, Dora Gatta, Miriam Pirazzini oder Tommaso  Soley wären ohne dieses  Medium kaum erhalten geblieben, Giulio Neri  ebensowenig wie Alda Noni oder Miti Truccato Pace (wenngleich  letztere  nochmals  als Cenerentola-Schwester in Glyndebourne/EMI eine internationale Karriere machte und sich Namen wie Mirto Picchi u. a. doch auf Dokumenten der Callas erhalten haben). Mit dem Einbruch der internationalen Firmen in die künstlerischen Fleischtöpfe Italiens war es mit der Cetra vorbei. Die EMI mit ihrer Legge/Callas/Di Stefano-Offensive, die Decca mit der Exklusivbindung der Tebaldi und Del Monacos „verdarben “ den Markt, später zogen die Philips mit einer wenig erfolgreichen Initiative einer Kooperation mit dem San Carlo in Neapel (Stella, Mancini, Poggi) und die  Deutsche Grammophon mit der Scala  nach. Das war der Todesstoß für die alte Cetra, die an die Fonit verkauft wurde, was nicht von langer  Dauer war. Dann übernahm die RAI die Firma (ein bemerkenswerter Zug kapitalistischer Unternehmenspolitik für eine staatliche Anstalt), danach gab es einen Kooperationsvertrag mit der deutschen Vertriebsfirma  Mondo  Musica  (die wohl  immer noch gegen die Cetra prozessiert, weil diese angeblich ihre Rundfunkaufnahmen weiterverkaufte).  Die Fonit  (Cetra)  machte sich nochmals  einen Namen  durch  die Übernahmen  von Live-Aufnahmen aus Pesaro und andernorts mit dem Label ltalia, das verschiedene Firmen vertrieben . Zuletzt hat der Mediengigant Warner Nuova Fonit (Cetra) übernommen und bietet sie als Warner Fonit auf dem Markt an.

verdiboccanegramancini

 

Als Produkte der Warner ltalia hätte man erwarten können, dass alle diese Aufnahmen international und auch in Deutschland angeboten werden, aber dem ist m. W. nicht so: Länderbegrenzung heißt das Geheimwort. Im Verdi-Jahr sieht  sich der Medienriese außerstande, deutsche Opernfans mit allen und nicht nur neun zu versorgen, die es nun verramscht und auch nicht durchweg zu kaufen gibt. Nur wenige Einzelimporteure wagen es, diesen Import­-Boykott zu umgehen. Fans sei Amazon (in Teilen nur als teurer Import für bis zu 40 Euros) und Bongiovanni in Bologna empfohlen, die im Rahmen der  EG  zollfrei und preiswert liefern, auch nach Deutschland (bei Amazon nachgeschaut wird die Aida mit Corelli gerade von der Firma  music-musik-musique angeboten, für rund 43 Euros!).

verdigiorno

 

Denn habenswert sind viele Aufnahmen dieser Verdi-Kollektion allemal und beispielsetzend, agogisch und Lust machend. Der Klang dieser x-fach wie­deraufgelegten Serie ist, 2000 angeblich neugefiltert und aufbereitet, den älteren Ausgaben nicht überlegen. Mir ist er gelegentlich zu scharf, zu sehr durch den Equalizer gejagt und – wie bei den blauen und schwarzen Callas-Aufnahmen der EMI – zu unindividuell ausgerichtet, zu sehr in einer Klangformel abgestrickt. Aber die Höhen sind passabel, durchhörbar, das Rauschen ist beseitigt. Mir wollen die ältere braune und die blaue Serie dunkler, voller, stimmenfreundlicher und vor allem auch besser ausgestattet erscheinen. Die neue Serie mit abenteuerlichem, original-grellbuntem Covers kann über den stupiden Einheitsaufsatz in allen Ausgaben nicht hinwegtäuschen. Nichts zu den Aufnahmen und den Künstlern, nichts zu den Werken, nichts vor allem zu den zum Teil barbarischen Strichen in der Musik, denn zimperlich war man damals nicht. „Tradition ist Schlamperei“, sagte Gustav Mahler an der Wiener Oper, und das gilt auch hier, wo „traditionelle “ Schnitte das Geschehen bestimmen. Es fehlen manchmal ganze Szenen, dacapi  etc,  Ballette immer. Der gesangliche Stand der Dinge ist robust, nicht zu oft von Fi­nesse geprägt und in vielem noch dem faschistischen Gesangsideal der Vorkriegszeit verbunden, wo man Verdi wie Puccini sang (eine gewagte These, gewiss).Aber man findet die berühmte italianità, dieses robuste und verloren gegangene Idiom der italienischen Provinz – eben das eigentliche Herzblut der italienischen Oper.

verdibattaglia

 

Warum einen Artikel machen über diese Aufnahmen? Weil sie zum einen den Nachkriegsstand Italiens in puncto Gesang festhalten und insofern historische Dokumente sind. Und weil sich hier doch die Jungen versammeln, die entweder Karriere, oder solche, die aus vielen Gründen (die Callas oder Tebaldi und ihr alle verdrängender Ruhm war sicher einer) keine gemacht haben. Denn nicht nur Leyla Gencer (die hier noch nicht auftritt, die aber auch nur durch die Cetra ihren großen  Namen bewahrt hat) litt unter dem Schatten von M. C. und unter der zunehmenden Internationali­sierung der hereinströmenden Amerikaner. Nur wenige der hier versammelten Nachkriegscrews haben nachweislich Auslandsauftritte gehabt – es ist schon ein Wunder von der Mancini Dokumente aus Amsterdam, Dublin (!) oder Philadelphia zu finden; die Pariser oder angeblich Bayreuther/Stuttgarter Engagements der Vitale liegen in tiefem Dunkel. Immerhin ist Silveri in Edinburgh oder London belegt, nicht immer an ersten Häusern (so bei der Stoll-Company).

verdiernani

 

Von den 19 übertragenen Opern wurden damals „offiziell“ 14 als LPs herausgegeben:  La Traviata, (mit Lina Pagliughi, nicht die mit der Callas, die kam nach der Gioconda später und verstellte ihr zu ihrem Ärger die geplante EMI-Aufnahme, die dann an die Stella ging), Aroldo (Vitale), Giovanna d’Arco (Tebaldi) und I due Foscari erschienen gar nicht oder nur bei Live-Firmen wesentlich später, die Foscari  kamen erstmals als CD bei Nuova Era und später bei der Fonit  Cetra selbst heraus,  die Masnadieri sind m. W.  bis heute nicht aufgetaucht. Die Warner Fonit hat dann im Rahmen ihrer wohlgemeinten Verdi-Hommage ihre LP­-Aufnahmen und die Foscari in ihrer Serie auf den Markt gebracht, immer noch fehlen „offiziell“ Aroldo und Masnadieri, dafür  gibt es nun die „andere“ Aida (mit Mancini und ohne Corelli) als Überraschung, denn die war damals nur als LP herausgekommen und ist seitdem nicht mehr erschienen .

verdi lombardi

 

Es macht nicht viel Sinn, alle Aufnahmen zu besprechen, die ja Sammlern immer schon bekannt waren und deren lack of glamour bei jüngeren Opernfans (in der Netrebko/Fleming/Di Donato-Folge) nur die Augenbrauen hebt. Ich will mich auf fünf beschränken, denn sie sind entweder repräsentativ oder ragen aus den vielen anderen heraus, die durchaus mit Einzel-Schönheiten aufwarten können – so ein prachtvoller Giuseppe Taddei als Rigoletto, eine satt-pralle Maria Vitale und er­neut Taddei im Ballo, die bezaubernde Lina Pagliughi , Renato Capecchi und der umwerfende Sesto Bruscantini im Giorno di regno, Carlo Tagliabue und Carlo Bergonzi in der Forza (wobei es bizarrerweise zweimal Forza von der Cetra gibt, die andere ist mit der Guerrini und dem plärrenden Poggi und kursierte als Querschnitt bei Saga und anderen Kleinfirmen, nun hat sie die tüchtige Preiser). Bekannt sind ja auch solche Aufnahmen wie der Nabucco mit der bemerkenswerten Caterina Mancini und dem für mich enorm erotischen Paolo Silveri, erneut die Mancini und Rolando Panerai in der Battaglia, die Mancini und Gino Penno (auch Giasone zur Callas-Studioaufnahme der Medea und ein unterrepräsentierter Sänger jener Zeit) im Attila.

Caterina Mancini/HeiB

Caterina Mancini/HeiB

 

Die von mir viel genannte und stets favorisierte Caterina Mancini war eine der Gesangs-Säulen jener Zeit, ähnlich wie die etwas ältere Maria Vitale – eine robuste, nicht unbedingt elegante, aber dafür unendlich leistungsfähige Stimme, um die sich heute jedes Haus reißen würde. Sie verfügt über ein unverkennbares, individuelles Timbre und eine unleugbare spinto-Stimme, die sie zur Abigaille ebenso befähigt wie zur Aida oder Leonora (beiden). Sie ist der Star auf der hinzugewonnen Aida  der War­ner Fonit, die von Vittorio Guis markanter, männlicher Leitung profitiert (der die besagten skandalösen Schnitte duldet), und die in der auftrumpfenden Giulietta Simionato und in Rolando Panerai sowie Giulio Neri, sehr viel weniger in dem für mich gemeinen Mario Filipeschi, kraftvolle Partner hat. Sie verfügt über beseelte Töne ebenso wie über entschlossene, und der Nil hört ihr C ohne jede Klage!

Die Mancini ist auch die Leonora auf dem diskutablen Trovatore, der an dem geriatrischen Manrico des Veteranen Giacomo Lauri-Volpi leidet (noch eben neben der Callas ausgebuht in Neapel im selben Stück) und neben Miriam Pirazzinis „kullernder“, gewöhnungsbedürftiger Azucena nur noch als Kuriosum Graziella Sciutti als Inès aufzuweisen hat (sie sang auch den Gemmy im  amputierten Taddei-Tell der Cetra/RAI) .

Maria Vitale/HeiB

Maria Vitale/HeiB

 

Überwältigend ist auch Maria Vitale, eine besondere italienische Sängerin in der falschen Zeit, denn heute wäre sie ein Weltstar, damals sang sie auch in Paris und international, ohne Spuren (und mehr als 3 Fotos) zu hinterlassen. Eine 10 LP-Box bei der Fonit Cetra erinnert an ihre große Kunst. Sie sang Milhaud ebenso wie Strawinsky oder Monteverdi, eine Norma ebenso wie eine Aida, war die erste Rossini-Elisabetta in moderner Zeit (als RAI-Hommage an die Krönung der britischen Monarchin, ehemals Melodram) und auf der Cetra (neben einer bemerkenswerten Vestale ) der Hit in den Due Foscari sowie  in den Lombardi (was für eine Eröffnungsarie, das muss man einfach hören). Sie durchmisst die Charaktere mit geschmackvollem Pathos, mit einer schonungslosen Attacke (unterstützt von manchen Glottis wie ihre spätere Kollegin Caballé, der sie in der Stimme frappierend ähnelt). Mit entschlossenem Einsatz wirft sie sich in die Rollen, dass der Laser stockt. Diese Unschuld, diese Unverstelltheit – das ist es, was Oper ausmacht! „Identifikation“ würde man heute sagen, und die findet man bei der Vitale ebenso wie bei der jüngeren Cerquetti oder den anderen Kollegen jener Jahre. Bei den Foscari freut man sich über Carlo Bergonzis jugendlichen Einsatz und über Gian Giacomo Guelfis stoische Darstellung des alten Foscari, während Carlo Maria Giulini am Pult der Mailänder RAi Spannendes schafft – sehr empfehlenswert ebenso wie die fulminanten Lombardi, die keine andere Aufnahme dieses Werkes wieder so packend, so direkt wiedergegeben hat. Wieder ist hier die Vitale am Wirken (und das Gebet der Giselda setzt Maßstäbe), dazu kommt eher ein Mittelfeld an Sängern, aber alle sind unter Manno Wolf-Ferrari  (Sohn des Komponisten) in vollem Saft, Mario Petri als schurkischer Pagano nicht zu vergessen.

Paolo Silveri vor seinem Porträt als Don Giovanni, eine seiner berühmterssen Partien/HeiB

Paolo Silveri vor seinem Porträt als Don Giovanni, eine seiner berühmtesten Partien/HeiB

 

Und schließlich ist da meine Lieblingsaufnahme aus dem Cetra-Konvolut, der wunderbare Simon Boccanegra. Francesco Molinari-Pradelli leitet elegant die Kräfte aus Rom. (Was für ein Chor! Das fand auch wenig später Furtwängler für seinen Ring,  bei EMI später, ebendort.) Inder Titelrolle beeindruckt Paolo Silveri (Nabucco und Posa in weiteren Verdi-Aufnahmen), ein Sänger mit einem eigenartig körnigen Timbre, sehr sexy, sehr ausdrucksvoll natürlich mit erster Diktion und einem eigenen Pathos in der sofort wiedererkennbaren Stimme, ein Vorläufer Brusons ebenso wie Rameys, aber wesentlich persönlicher und mit mehr „Gesicht“ auf der Stimme. Das besitzen auch die übrigen. Nie hat Antonietta Stella wieder so erfüllt, so leidenschaftlich gesungen, und wer sie als kühl­-anonym von späteren DG-/EMI-Aufnahmen in Erinnerung hat, wird über ihre Amelia staunen. Carlo Bergonzi sang hier zum ersten Mal als Tenor nach einem Studium als Bariton, und seine schöne dunkle Grundierung gibt dem Adorno enorme Standfestigkeit. Mario Petri  ist ein erzener Fels in der Brandung als Fiesco, Walter Monachesi  ein fies-idealer Paolo; der Rest und der Chor eine kompakte Folie für dieses unendlich anrührende Drama um Vater und Tochter. Viva Verdi – die Schätze der RAl­-Cetra um das Verdi-Jubiläum 1951 sind nicht zu verachten.

Geerd Heinsen

 

verdiaidamancini

 

Noch etwas: Unerlässlich für die Kenntnis der RAI-Aufnahmen ist das hochkompetente und leider vergriffene Buch des absoluten Papstes der italienischen Opernszene, Giorgio Gualerzi, und Carlo Marinelli Roscioni: 50 anni di opera lirica alla RAI 1931 – 1980 im Verlag Audiolibri/ERI Milano 1981; im Antiquariat gibt’s manchmal noch dies gesuchte Kompendium aller RAI-Opernaufnahmen in der genannten Zeit, dazu mit einem exzellenten Register. Unverzichtbar und Staunen machend, wer damals alles bei der RAI gesungen hat (auch an deutschen Künstlern) und was für ein breites, ungemein rares  Repertoire die RAI eingespielt hat, unglaublich.

 

Wiederaufgelegt bei Warner Fonit:

Aida (Mancini) 8573 83010-2 Un Ballo in Maschera 8573 8264-2, La  Battaglia  di  Legnano 8573 82649-2, Ernani 8573 83515-2, Falstaff 8573 82650-2, La Forza del Destino 8573 82652-2, I due  Foscari 8573 83515-2 Un  Giorno  di  Regno  8573 82664-2, I Lombardi  8573  82654-2, Luisa Miller 8573 82645-2, Nabucco 8573 82646-2 Oberto  (übernommen  von ltalia 1977) 83984 29181-2, Otello 8573 82653-2, Rigoletto 8573 82647-2, Simon  Boccanegra  8573 82648-2, II Trovatore 8573 82662-2 (von denen gerade einige – neun – bei Amazon für 10. 99 Euros verramscht werden)

(Somit fehlen aus den alten Cetra-LP-Übernahmen die Traviata/Pagliughi (bei Amazon in Teilen herunterzuladen), Attila/Guelfi Im Download bei Amazon, Giovanna d’Arco/Tebaldi (jetzt Opera d´Oro) sowie Aroldo/Vitale (jetzt Preiser oder Line.)

Wälse! Wälse! 28 Sekunden Siegmund

Meine Liebe zum Gesang hat viele Namen, einer ist Peter Anders. Seit ich bewusst Musik köre, höre ich seine Aufnahmen. Auch wenn für diesen oder jenen Sänger im Laufe der Zeit die einst noch so heiße Begeisterung abkühlt, Anders ist immer präsent. Er hat seinen unverrückbaren Platz. Ich will mir überhaupt nicht vorstellen, wie es denn wäre, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Nun hat es ihn aber gegeben, und das ist ein Glück für mich und für alle, die ihn ebenso lieben. Das Interesse an diesem Sänger mit der elementaren, unverkennbaren Stimme ist unverwüstlich. Peter Anders am besten zu gedenken heißt, seine Aufnahmen immer wieder neu aufzulegen und in großen Auflagen zu verbreiten. Seine Stimme ist nicht nur etwas für Kenner und kein Geheimtipp. Sie verträgt ein großes Publikum.

 

Peter jr. und Sylvia - zwei der Kinder von Peter Anders bei einer Gedenktafelenthüllung in Berlin Fotos: Winter

Peter jr. und Sylvia – zwei der Kinder von Peter Anders bei einer Gedenktafelenthüllung im Berliner Stadtteil steil Moabit Fotos: Winter

Das Label Membran hat sich dabei von niemandem überbieten lassen. Peter Anders – Die unvergessene Stimme auf zehn randvollen CDs, verpackt in einer handlichen Box (LC 12281). Es handelt sich um die in der Aufmachung etwas abgespeckte Wiederauflage der Ausgabe im stattlichen Buchformat gelegentlich des 100. Geburtstages des Sängers im Jahr 2008. Wozu Sammler Jahre brauchten, findet sich hier auf einen Schlag wohl geordnet beisammen. Dazu noch in sehr ordentlicher Tonqualität. Soll ich nun neidisch sein, dass hier dem Käufer so mir nichts dir nichts in den Schoß fällt, was ich nur mit  Bienenfleiß und Hartnäckigkeit zusammen gebracht habe? Nein und abermals nein! Ich möchte nicht jene Glücksmomente vermissen, wenn einem plötzlich wieder ein lange gesuchtes Lied oder eine akustischer Filmauftritt in die Hände fiel. Die Neuerscheinung ist wichtig, weil zu einem sehr moderaten Preis mit 222 Titeln in etwa die Hälfte aller erhaltenen Aufnahmen dieses Tenors auch für den schmalen Geldbeutel erschwinglich wird. Die Box ist also kein Luxus von der Anschaffung her, sie ist Luxus durch Inhalt.

Anders überrumpelt seine Hörer mit unendlichem Charme genau so wie er sie mit schneidender Schärfe treffen kann. Es tut weh, wenn er etwa in der „Winterreise“ (in der Edition findet sich die spätere Einspielung mit Günther Weissenborn) Zwiesprache mit seinem Unglück hält, das plötzlich zum Unglück aller Menschen wird, die ihm zuhören. Er ist niemals akademisch, er singt den Moment. Manchmal setzt er alles auf eine Karten, übermütig und strotzend vor Wagemut. Er ist stimmlich ein unerschrockener Tausendsassa. Seine Aufnahmen wirken nicht blutleer von zu vielen Proben. Sie sind knackig und voller Saft.

Peter Anders – der Radioliebling, im Traumland der Operette, der Opern- und der Konzertsänger. In diesen Kategorien wird die Fülle dargeboten. Das macht Sinn und erleichtert den Zugriff, da es musikalisch kaum ein Revier gibt, in dem Anders nicht mit Lust und Können wilderte. Von Granada bis zu Othellos Tod, sein ganzes Repertoire ist ausgebreitet. Florestan, Lohengrin, Apollo, Bacchus, Faust, Tamino, Zarewitsch… Ich vermisse nichts. Ganz im Gegenteil, was immer ich von Peter Anders höre, es ist in diesem Moment mein Lieblingsstück. Und wenn es das Lied „Die Frau der Frauen“ ist, bei dem er schnurrt wie Zarah Leander.

 

Die Gedenktafel am Haus von an der Thomasiusstraße 25 in Moabit: Dort wohnte Peter Anders bis 1932

Die Gedenktafel am Haus von an der Thomasiusstraße 25 in Moabit: Dort wohnte Peter Anders bis 1932

Für mich ist er in allen Kategorien gleich gut aufgestellt und aufgelegt, weil er in der Praxis Musik nicht in Klassen oder Wertigkeit einteilt. Er verwendet auf den Filmschlager nicht weniger Mühe und Können als auf die Gralserzählung. Mir ist er dadurch sehr sympathisch. Anders gilt als Sympathieträger schlechthin. Nicht, dass er so einfach gute Laune verbreiten würde und für Stimmung im Saale sorgte. In seinem Falle wären das schon Unterstellungen. Dieser Sänger ist sympathisch, weil er Musik völlig unprätentiös und uneitel herüber bringt. Es geht nicht um ihn, es geht um das jeweilige Stück. Im Ensemble drängelt er sich niemals vor, er füllt seinen Platz aus und nimmt niemanden etwas weg, was er auch gar nicht nötig hätte.

Die Sensation von rund zwölf Stunden Musik, auf die es die Edition bringt, sind 28 (!) Sekunden Siegmund. „Wälse! Wälse! Wo ist dein Schwert? Dein starkes Schwert, das im Sturm ich schwänge?“  Mehr nicht. Die kurze Sequenz mit Klavierbegleitung (Hans Geisendörfer, der mit Anders im Unglücksauto saß, in dem ihn der Tod einholte) ist 1954 für den Schulfunk des Nordwestdeutschen Rundfunks Hamburg als Beispiel für das Sängerfach jugendlicher oder italienischer Heldentenor entstanden und auch gesendet worden, dann im Archiv gelandet. Anders hat die Rolle 1953 in Hamburg gesungen. Für einen Mitschnitt würde ich sonst etwas geben. Ich wäre auch gern ein gehöriges Stück älter, nur, damit ich ihn damals selbst hätte hören können in Wagners Walküre. Nun bin ich auf Ahnungen und diese wenigen Sekunden angewiesen. Auch wer nicht dabei war, die Stimme aber gut kennt, der war sich immer völlig sicher, dass Anders als Siegmund ein Ideal verkörpert haben muss. In den Wälse-Rufen ist etwas von Verzweiflung, etwas Flehendes. Dieser junge Mann ist kein sportlicher Schlagmichtot, er hat eine geschundene Seele. Er ist ein Verfolgter, ein Opfer. Seine Wunden, die er seiner Schwester Sieglinde weisen soll, hat er auch an der Seele. Anders hätte als Siegmund Musikgeschichte schreiben können. 28 Sekunden Musik reichen, dass einem plötzlich der Verlust wieder bewusst wird, den dieser sinnlose Unfalltod bedeutet.

Rüdiger Winter

Lückenschluss im Donizetti-Fach

Die jüngste Veröffentlichung von  Opera Rara betrifft in der Tat eine Rarität, denn Donizettis Tragedia lirica CATERINA CORNARO, in der ersten Fassung uraufgeführt 1844 in Neapel, lag bisher noch in keiner einzigen Studioaufnahme vor. In den 1970er Jahren hatte das Werk eine Blüte an   diversen Bühnen und in Konzertsälen Italiens, Großbritanniens und den USA. Die Titelpartie lag dabei fest in den Kehlen der Sopranistinnen Leyla Gencer und Montserrat Caballé, nach einer längeren Pause in der Rezeptionsgeschichte des Werkes wagte sich erst im Jahre 1995 Denia Mazzola beim Donizetti Festival in Bergamo an diese anspruchsvolle Aufgabe.

In der neuen Einspielung, die bereits Ende 2011 in London produziert wurde, ist Carmen Giannattasio zu hören und hinterlässt – nach ihrer Parisina von 2009 und Bellinis Imogene ein Jahr später beim selben Label – erneut einen zwiespältigen Eindruck. Die Stimme ist kein wirklicher Ausnahmesopran und inzwischen stören die grellen Spitzennoten der Sängerin doch erheblich. Der melancholisch umflorte dunkle Ton kann in den schmerzlichen Kavatinen und Romanzen („Vieni, o tu“) überzeugen, in Cabaletten zeigt sich, dass sie keine wirkliche Virtuosa ist. Als Gerardo, ihr Bräutigam in spe (doch wird die Hochzeit von Caterinas Vater Andrea aus staatspolitischen Gründen verhindert), lässt Colin Lee einen jugendlich-lyrischen Tenor hören. Der Klang bleibt auch in der Höhe angenehm, sieht  man von einem etwas gequält klingenden Spitzenton in seiner Arie „Morte, morte!“ ab.  Sehr überzeugend klingt er im Duett mit Lusignano, König von Zypern, den Caterina ehelichen soll, durch die starke Empfindung in seinem Vortrag. Diesen vermeintlichen Widersacher, der sich schließlich als Gerardos Verbündeter entpuppt, singt Troy Cook mit dunklem virilem Bariton und imposanter Verve in der Arie „Da che sposa Caterina“. Im schnellen Schlussteil ihres Duettes erweisen sich Lee und Cook als eloquente und gebührend auftrumpfende Sänger. Der Bass Vuyani Mlinde als Mocenigo, Mitglied des Zehnerrats in Venedig, fällt etwas ab – weniger wegen des grimmigen Timbres, sondern wegen der flachen Tiefe.

Natürlich haben der Sopran und der Tenor mehrere Duette – angefangen vom Hochzeitsgesang im Prolog und dem folgenden dramatischen Zwiegesang mit dem Entschluss, gemeinsam zu fliehen, bis zum Versöhnungsduett des 1. Aktes. Die Stimmen von Giannattasio und Lee mischen sich dabei sehr harmonisch. Und sie dominieren auch die beiden Finalensembles, in denen der Dirigent David Perry mit dem BBC Symphony Orchestra das Tempo straff anzieht und damit starken Effekt macht. Klangvoll und mit Brio singen die BBC Singers unter ihrem Leiter Renato Balsadonna. Stets willkommen sind eingespielte Alternativ-Varianten – in diesem Fall das Finale des 2. Aktes aus der zweiten Fassung (Parma/1845). Wie stets bei Opera Rara ist dies eine luxuriöse Ausgabe mit dickem, reich illustriertem Booklet, nur leider nicht in der schmucken Kartonschachtel, sondern – etwas bescheidener – im Schuber. – Bernd Hoppe –

 

Gaetano Donizetti: Caterina Cornaro (Giannattasio, Lee, Cook, Mlinde; BBC Singers, BBC Symphony Orchestra, David Parry) 3 CD Opera Rara ORC 48