Archiv für den Monat: April 2023

Von Strauss zu Hollaender & Weill

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So begeistert von der Zusammenarbeit mit der finnischen Sängerin Camilla Nylund bei den Proben zum Rosenkavalier an der Berliner Staatsoper war André Heller, dass er danach gleich noch ein neues Projekt mit ihr mit dem Great American Songbook startete, das bei Naxos als Blu-ray in Schwarz-Weiß erschienen ist. Wer nur das Audio-Erlebnis zu schätzen weiß, der ist mit der ebenfalls vorhandenen CD gut bedient. In Wahrheit handelt es sich um eine Auswahl von „masterpieces“, und so sehr American sind diese nicht, denn es handelt sich zum Teil um Werke von Friedrich Hollaender aus seiner deutschen Zeit wie „Ich bin von Kopf bis Fuß“ oder um Kurt Weill, allerdings aus dessen amerikanischer Zeit. Die extra für die Sängerin geschaffenen Arrangements stammen von Florian Sitzmann, Christoph Unterberger und Leonard Eröd.

Als erstes konstatiert der Hörer, dass der Sopran seine Opernstimme verleugnet, bereits in Cole Porters Ev’ry Time we say Goodbye nur das obere Register zu bemühen scheint, die Stimme kleiner und mädchenhafter erscheinen lässt, als man von ihren Bühnenauftritten gewohnt ist. Dadurch gewinnt der Vortrag auch eine besondere Intimität, zudem erfreut ein langes Nachspiel den Hörer. In Michel Legrands What are you doing the rest of your life geht das ORF Vienna Radio Symphony Orchestra unter Marin Alsop in die Vollen, steuert auch die Harfe Poetisches zum Klangbild bei und La Nylund lässt ihren Sopran in For all we know strahlen, ein schönes Vibrato für „Can’t help lovin‘“, danach exakte Synkopen vernehmen und auf „Love“ viel Süße in die Stimme einfließen , ehe ein lange gehaltenes „You“ den Vortrag beendet. Bewusst nicht einer der vielen Interpretinnen, darunter Ella Fitzgerald nacheifernd, weiß die Nylund ihren eigenen Zugang zu diesem Musikstück zu finden, reizvoll unterstützt vom sie begleitenden Saxophon. Angemessen verhangen klingt „ If I loved you“, und in Falling in love again vermeidet der Sopran jede Art der Nachahmung, bleibt immer nett und unschuldig bei viel Sinnlichkeit im Orchester und kann es doch nicht vermeiden, dass man Marlenes Ich bin von  Kopf bis Fuß nicht aus dem Sinn bekommt. Einen großen Teil des Reizes von I’ll be seeing you macht die begleitende Mundharmonika aus, für When I fall in love wird eine Gitarre bemüht, während die Stimme in schöner Nachdenklichkeit verharrt, „with you“ wie einen unendlichen Laut verhauchen lassend.

Das Fagott und die ausladende Gestik unterstreichen in They cant take von George Gershwin den vokalen Übermut und ein entschlossenes „No“ lässt keinen Zweifel an der Charakterstärke der Singenden aufkommen. Wenn es um die Liebe zu einem Taugenichts wie in Can’t help loving geht, kann auch einmal Rauch vorbeiziehen, eher kitschig als stimmungsfördernd wirkt das Eingreifen der Wiener Sängerknaben in The book of love. Wild bewegt geht es schließlich im Orchester zu bei Kurt Weills September Song, und wie ein Schluchzer klingt „tonight“ in Coots‘ For all we know, nachdem Ziehharmonika, Klavier und Saxophon für viel Stimmung in Hollaenders Illusions gesorgt haben.

Optisch wirkt, nicht zuletzt weil durchgehend schwarzweiß gehalten, alles wie ein Film aus den Zwanzigern, in denen auch viele Texte geschrieben wurden und viel von der Musik entstand. Akustisch findet die Sängerin ihren ganz eigenen Zugang zu den Songs, und die Aufnahme wird zusätzlich interessant durch die sehr abwechslungsreiche Instrumentierung (Naxos NBDO162V). Ingrid Wanja

Soňa Červená

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Die tschechische Opernsängerin und Mezzosopranistin Soňa Červená (* 9. September 1925 in Prag; † 7. Mai 2023 ebenda) ist tot. Die Kammersängerin starb im Alter von 97 Jahren in ihrer Geburtsstadt Prag, wie das Prager Nationaltheater mitteilte. Nach ersten Erfolgen in ihrer Heimat ging Cervena 1958 in die DDR an die Berliner Staatsoper Unter den Linden.

Nach dem Mauerbau floh sie in den Westen und fand neue Engagements an der Deutschen Oper Berlin, der Oper Frankfurt und dem Opernhaus in San Francisco. Sie bestritt zahlreiche Gastauftritte in Westeuropa.

Ihr Rollenspektrum reichte von der Carmen in der gleichnamigen Oper über die Ulrica in Verdis „Ein Maskenball“ bis hin zur Brangäne in Wagners „Tristan und Isolde“. Auch als Schauspielerin war Cervena aktiv. Zuletzt war sie 2017 in der ZDF-Serie „München Mord“ zu sehen. Cervena erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter die tschechische Verdienstmedaille und den Ehrentitel „Dame der tschechischen Kultur“. Noch im vorigen September trat sie – kurz nach ihrem 97. Geburtstag – in der Lateranbasilika in Rom bei einem Konzert aus Anlass der damaligen EU-Ratspräsidentschaft Tschechiens auf.

Ihre Lebenserinnerungen erschienen 1999 unter dem Titel „Heimweh verboten – mein Stück Theater- und Weltgeschichte“. Sie verfasste zudem eine Biografie ihres Großvaters, des im 19. Jahrhundert bekannten Instrumentenbauers Vaclav Frantisek Cerveny. Geboren wurde Sona Cervena am 9. September 1925 in Prag, am Sonntag verstarb sie ebenda (Foto Wikipedia). (Quelle und nachzuhören: Sendung rbb24 Inforadio)

Romantik mit Krawatte

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Es gibt Dinge im Leben eines Musikfreundes, die man aus heutiger Sicht nicht mehr für möglich hält. Und doch hat es sie gegeben. Es sollte fast bis Mitte der 1970er Jahre dauern, bis in der DDR Lieder von Robert Schumann in größerem Stil auf Tonträgern verfügbar waren. Von Schumann also, der 1810 im sächsischen Zwickau zur Welt kam und über Jahre das musikalische Leben in Leipzig und Dresden nachhaltig prägte. Der in Leipzig seine dort geborene Frau Clara, Tochter des einflussreichen Musikpädagogen Friedrich Wieck, kennenlernte, die eine eigene Karriere als gefeierte Pianisten und Komponistin einschlug. Mehr biographischer Bezug zu Städten in der einstigen DDR geht nicht. Es gab Bücher, eine Briefmarke und Platten mit Sinfonien, Konzerten und Kammermusik, Sendungen im Rundfunk. Lieder nur vereinzelt. Und wenn, dann in Liederabenden. Wer spezielle Interessen entwickelte, musste nach Moskau reisen und sich dort mit einschlägigen Platten eindecken. Die Sowjetunion hatte sich noch nicht zum internationalen Urheberrecht bekannt und presste einfach nach, was im Westen eingespielt worden war.

Auf diese Weise machten DDR-Bürger, wenn sie denn keine direkten Kontakte in den Westen hatten, ihre erste Bekanntschaft mit dem Schumann-Interpreten Dietrich Fischer Dieskau. Dann kam auch Bewegung in den schwerfälligen, unter chronischer Materialknappheit leidenden ostdeutschen Markt. Der volkeigene Schallplattenbetrieb startete unter seinem Label ETERNA eine umfängliche Robert-Schumann-Edition, in der alle Genres seines Schaffens angemessen berücksichtigt wurden. Das Gros der Lieder hatte Peter Schreier übernommen. Gemeinsam mit dem amerikanischen Pianisten Norman Shetler wurden zwischen 1972 und 1974 fünf Langspielplatten in der Dresdener Lukaskirche, die wegen ihrer guten Akustik der DDR als Aufnahmestudio diente, eingespielt. Sie sind jetzt eins zu eins von Berlin Classics neu aufgelegt worden (03029288C). Damit bleibt die ursprüngliche Zusammenstellung erhalten, was den historischen Wert dieser Edition ehr steigert, auch wenn die CD-Spielzeiten zwischen achtundvierzig und dreiundfünfzig Minuten weit unter dem möglichen Fassungsvermögen liegen.

Der 1931 in Iowa geborene Shetler war 1955 zum Studium nach Wien gekommen. Schreier, auf den er dort kurz vor Beginn der Plattenaufnahmen traf, war drei Jahre jünger. Wie der Pianist in einem Interview für das Booklet berichtete, ging Initiative für die Zusammenarbeit im Studio von Schreier aus, der ihn dazu eingeladen habe. Bei gemeinsamen Liederabenden im Wiener Brahms-Saal des Musikvereins war dafür das künstlerische Fundament gelegt worden. Beide Künstler blieben die nächsten Jahre eng verbunden und traten oft gemeinsam auf. „Ein Pianist, der meinen Vorstellungen in idealer Weise entspricht“, wird Schreier im Booklet von Karsten Blüthgen aus seinem Erinnerungsbuch „Aus meiner Sicht“ (Union Verlag Berlin 1983) zitiert. Shetler sei ein poesievoller Begleiter, der – obwohl er doch aus einem ganz anderen Kulturkreis komme – eine „erstaunlich starke Einfühlung in das deutsche Liedgut“ beweise. Schreier, der aus Meißen stammte, weiter: „Ich habe beispielsweise schon als Kind in meiner Heimat Mühlen gesehen und gehört, Shetler nicht.“. Er sei auf seine Intuition angewiesen gewesen, so der Sänger in Anspielung auf ein immer wiederkehrendes Motiv, das in Schuberts Schöner Müllerin seinen Höhepunkt findet. Noch einmal Shetler über Schreier: „Er war so vertraut mit meinen Fähigkeiten.“ In dem Moment, in dem Musik erklungen sei, habe alles übereingestimmt. „In der Hauptsache haben wir seine Vorstellungen umgesetzt“, räumt der Pianist – ganz Realist – ein. Aber Schreier „hat mich wunderbar mitgenommen in seine Interpretation“.

Friederike Arnold: Adolph Menzel hat die Tochter seines Freundes und Malerkollegen Carl Heinrich Arnold  mehrfach porträtiert.

Die Lieder wiedergehört, fällt durchaus auf, dass Schreier den Ton angibt. Seinen Ton. Er war nicht nur mit Shetlers Begabung vertraut, er war es vor allem mit dem deutschen Liedgut. Als Sohn eines Lehrers und Kantors und schon seit 1943 in der Vorbereitungsklasse des Dresdener Kreuzchores, wuchs er in einer Umgebung auf, in der Musik und Literatur ganz selbstverständlich zum Alltag gehörten. Von 1945 an Vollmitglied des berühmten Chores, der damals von Rudolf Mauersberger geleitet wurde, trat er schon bald auch solistisch hervor, war in Konzerten und im Rundfunk zu hören. Aufnahmen aus seiner frühen Zeit haben sich erhalten und sind inzwischen auch bei Berlin Classics auf CD erschienen. Schreier sang bis zum Ende seiner langen Karriere ungemein genau. Bis auf wenige Ausflüge in dramatische Bereiche wie mit Max in der Plattenaufnahme von Webers Freischütz unter Carlos Kleiber, blieb er immer der lyrische Tenor, der sich sicher zwischen Lied, Oratorium und Oper bewegte. Er setzte seine Stimme nicht unnötig Risiken aus und lebte in der Praxis den Beweis, auch als lyrischer Tenor eine andauernde internationale Karriere machen zu können.

Sein Publikum bekam immer hundert Prozent Schreier geboten – und damit die hohe Kunst des Gesangs. So auch bei den Schumann-Liedern der neuen Sammelbox. Seit Jahrzehnten mit diesen Aufnahmen vertraut, habe ich sie mit Gewinn und innerer Anteilnahme neu auf mich wirken lassen. Da war es wieder, dieses Staunen über technische Perfektion und Disziplin, die sich aus dem Wort entwickelt und nie verselbstständigt. Und doch vermisste ich auch etwas. Nämlich ein gewisses Wagnis, den Versen eine stärkere persönliche Note beizumischen, sich einer dramatischen Situation mit mehr Überschwang hinzugeben. „Du meine Seele, du mein Herz.“ Der Anfang von Widmung, einem der berühmtesten Lieder des Komponisten, könnte etwas weniger kontrolliert klingen. Schreier bewahrt immer die Contenance. Deshalb sollte man auch nicht von ihm verlangen, was nicht in seinen Diensten steht.

Robert Schumann gezeichnet von Adolph von Menzel Foto: Wikipedia

Die Box versammelt das Beste des Liedkomponisten. Frauenliebe und -Leben ist freilich nicht dabei. Dieser Zyklus wurde im Rahmen der Eterna-Edition von Arleen Auger gesungen, wobei nicht Shetler sondern Walter Olbertz begleitete. Mit Dichterliebe dürfte Schreier eine seiner besten Leistungen gelungen sein, die auch nach fünfzig Jahren noch ihre jugendliche Frische bewahrt hat. Eine der rätselhaftesten Schöpfungen Schumann sind die Zwölf Gesänge von Joseph Eichendorff im Liederkreis op. 39 – ein Gipfelpunk der deutschen Romantik. Für Schreiers stimmliche Fähigkeiten ein Selbstläufer in vollendeter Diktion. Die Töne sind exakt miteinander verbunden, einer geht nahtlos in den anderen über. Gleich im ersten Lied rauscht die „schöne Waldeinsamkeit“ wie sie schöner nicht rauschen kann. Auch wenn in der Mondnacht der Himmel tatsächlich die Erde zu küssen scheint, kommt es mir so vor, als ob Schreier bei eingeschalteter Lampe singt und nicht aus dem Dunkel heraus. Er bleibt das Geheimnis schuldig. „Hast du einen Freund hienieden, trau‘ ihm nicht zu dieser Stunde.“ In Zwielicht sollten einem diese zwei Verszeilen den Atem stocken lassen. Bei Schreier klingen sie eine Spur zu nett. Und warum weint nun die Braut im fröhlichen Hochzeitszug auf dem Rhein im Lied Auf einer Burg, während oben auf dem Felsen der auf der Lauer sitzende Ritter zu Stein geworden ist? Der Sänger scheint weniger dran interessiert zu sein, über die Gründe nachzusinnen. Er vermittelt eine Geschichte. Das ist ja auch immerhin etwas. Man muss dem Interpreten seine eigene Erzählperspektive zubilligen und sich als Zuhörer darauf einlassen.

Adolph Menzel malte Clara Schmidt von Knobelsdorff in biedermeierlicher Tradition. In der CD-Edition finden sich keine Hinweise auf die Coverbilder.

Geboten werden auf den fünf CDs einhundertzwölf Lieder. Neben den bereits genannten Zyklen sind dies der Liederkreis op. 24, die Zwölf Gedichte von Justinus Kerner op. 35, Sechs Gedichte von Nikolaus Lenau und Requiem (altkatalonisches Gedicht) op. 90, Fünf Lieder op. 40 sowie zahlreiche einzelne Lieder aus unterschiedlichen Werkgruppen. Mal sind die Textdichter genannt, mal nicht. Hier sind eigenes Wissen und Recherche gefragt. Für eine Sammlung, die auf dem Titel den Anspruch erhebt, eine Lied-Edition zu sein, sind das nicht die allerbesten Voraussetzungen. Schließlich ist auch schlicht vergessen worden, die Herkunft der Bilder auf den einzelnen CD-Hüllen, die den ETERNA-Schallplatten nachempfunden sind, zu benennen. Sie stammen von Adolf Menzel. Auf den Originalen wurde dieser Informationspflicht genüge getan. Es fanden sich dort auch alle Angaben über die die Dichter der literarischen Vorlagen. Wer seinerzeit die Texte nachlesen wollte, musste sie in Büchern nachschlagen. Bei Heine, Goethe oder Eichendorff dürfte das noch relativ einfach gewesen sein. Wer aber hatte schon eine Ausgabe von Geibel, Lenau oder Rückert im Regal? Heute tut’s ein Blick ins Internet. Rüdiger Winter

Feuilletonistisches

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Nicht in die falsche Richtung führen lassen solle sich der Leser vom zweideutigen Titel Das Vorspiel, und der Untertitel Begegnungen mit Musik in 15 Variationen klärt auch sofort darüber auf, dass es sich bei Carolin Pirichs Buch nicht um Handreichungen für ein glückliches Liebesleben handelt, sondern um klassische Musik. Nicht ganz nachvollziehbar ist die Gliederung des Buches in fünf Teile, von denen die drei mittleren umrahmt werden von Das Konzert I und Das Konzert II und aus vier oder sechs Kapiteln bestehen, die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben, außer dass ihnen jeweils ein Zitat eines Musikers vorangestellt ist. Die Rahmenhandlung schildert Vorbereitung und Durchführung eines Konzerts zu Corona-Zeiten auf einer Insel im Berliner Wannsee, wobei die Verschiffung des Flügels und dessen Transport auf einem Boot eine besondere Herausforderung darstellen und anschaulich geschildert werden. Diese wie auch die anderen Texte scheinen weniger die einer Journalistin als die einer Schriftstellerin zu sein, ganz besonders diejenigen mit dem titelgebenden Das Vorspiel oder mit Klassischer Krimi. In ihnen wird Spannung erzeugend mit Zeitsprüngen zwischen aktueller Handlung und Rückschau gespielt, auch in Konzert I wechseln Handlung und Reflexion einander ab und machen den jeweiligen Text zu einer so spannenden wie aufschlussreichen Lektüre.

Zweideutig ist er Titel Gegen den Strich, wird die Neugier des Lesers geweckt, auch indem mit einem „sie“ begonnen wird, erst später der Name Franziska Pietsch fällt. Da wird mit ebenso viel Sachlichkeit wie Empathie das Schicksal des musikalischen Wunderkinds geschildert, dessen Solistenkarriere wegen der Republikflucht des Vaters ein jähes Ende nahm. Im Konzerthaus am Gendarmenmarkt spielt die titelgebende Geschichte, die zugleich einfühlsam die seelische Gemengelage eines von 25 zum Vorspiel geladenen Kontrabassisten schildert, wie sie kundig Deutschland als Sehnsuchtsland von klassischen Musikern aus der ganzen Welt mit den verheerenden Folgen für deutsche Künstler beschreibt. Um die Mutter, die Autorin und ein in Hamburg 1940 gebautes Klavier geht es im Kapitel Vom Mut, zu viel zu sein, um einen Programmheftverkäufer in der Deutschen Oper Berlin in Vor dem Vorhang und der bis dahin so gutwillige wie gutgläubige Leser stutzt, denn aus erster Quelle, von der um den sterbenden Giuseppe Sinopoli  gemeinsam mit ihrem Arztkollegen bemühten Krankenschwester der Herzklinik weiß er, dass alles etwas anders war als geschildert, und auch  sonst tauchen Unstimmigkeiten auf wie eine Deutsche Oper, die angeblich keine Logen, dafür aber ein Restaurant oberhalb des Ersten Rangs haben soll. Hätte der befragte Logenschließer noch einige Jahre früher seinen Dienst angetreten, hätte er vom Schicksal seines Kollegen berichten können, der dem Tenor William Pell den Zutritt zum 1. Rang verwehrte, weil die Premiere der Walküre bereits begonnen hatte, und der sich so sehr aufregte, dass er an Ort und Stelle an einem Herzinfarkt verstarb.

Igor Levit steht im Mittelpunkt von Ich will nicht nur der Mann sein, der die Tasten drückt, und die Verfasserin sieht in ihm eine Art Grönemeyer der Hochkultur  und lobt seine Twitter-Tätigkeit wie seine politischen Aktionen. Stillstand stellt die Dirigentin Joana Mallwitz in den Mittelpunkt, handelt vom Wandel der Dirigentenrolle, der mit dem des weiblichen Taktgebers auf die Bühne oder vielmehr in den Orchestergraben einsetzt. Der schwärmerische Text lässt vermuten, dass die Autorin dem Gegenstand ihrer Betrachtungen sehr nahe steht und dieser wiederum Gustav Mahler, so dass die einzelnen Kapitelüberschriften den Tempoanweisungen einer Sinfonie des Komponisten gleichen. Anschließend wird über die Tätigkeit der Verfasserin für das Ensemble für zeitgenössische Musik berichtet, in Auf beiden Saiten anspielungsreich, vorsichtig und taktvoll das Abgleiten des Geigers David Garrett in das Showgeschäft, ins Cross over beklagt. Kulturmanager Peter Schwenkow dürfte sich mit seinem „sex sells“ nicht gern zitiert sehen.

Ein Zitat des Geigers Christian Tetzlaff wird dem dritten Block vorangestellt, in dem über den im Garten vergrabenen Koffer des polnischen Komponisten Ludomir Rózycki berichtet wird, von der Handschrift seines Konzerts in der Uni-Bibliothek, wo die Verfasserin auch mit der Urenkelin des Musikers zusammentraf, eine Begegnung, die sie nicht in journalistischer Kühle, sondern mit poetischer Wärme beschreibt. Vom Lärm der Zeitenwende handelt von der Änderung eines Konzertprogramms in der Berliner Philharmonie nach dem Angriff Putins auf die Ukraine, Zum Leben erweckt wird Mozarts Geige von Christoph Koncz, und Die dunkle Seite der Sonate beschreibt John Cages‘ vier Minuten und 33 Sekunden dauerndes Opus absoluter Stille.

Das vielseitige und mit viel Liebe für die klassische Musik und ihre Interpreten geschriebene Buch ist eine anregende und bereichernde Lektüre (Berenberg Verlag 216 S.; ISBN 9783949203527) . Ingrid Wanja 

Fundstück

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Nanu, eine Aufnahme von 1976 aus der nicht prominenten Abteikirche Marienfeld mit dem nicht prominenten Bachchor Gütersloh unter der Stabführung des ebenfalls nicht allzu prominenten, inzwischen verstorbenen Dirigenten Herman Kreutz auf einer nagelneuen CD?! Wie kann es dazu kommen? Die Deutsche Grammophon hat es sich mit dem neuen Label MDG Preziosa zur Aufgabe gemacht, bisher  nicht auf CD veröffentlichte Aufnahmen zugänglich zu machen, ohne klangverändernde Manipulationen. „Das Ziel ist die unverfälschte Wiedergabe mit genauer Tiefenstaffelung, originaler Dynamik und natürlichen Klangfarben.“ „Größte Natürlichkeit und Lebendigkeit“ soll damit erreicht werden und werden so auch Rossinis Petite Messe solennelle in beeindruckender Weise zuteil. Eigentlich hatte man im fernen Jahr 1976   nur an einen Testfall gedacht, war dann aber von dem Ergebnis so überzeugt und außerdem glücklich darüber, dass die Messe auf zwei Seiten einer Langspielplatte passte, die in der Presse auf große Zustimmung stieß. Auf eine CD allerdings passt das Werk mit 96 Minuten Länge nicht, und deswegen wurden auch alle diesbezüglichen Pläne zu den Akten gelegt.

Wie Verdis Requiem war auch Rossinis Stabat Mater dem Vorwurfe ausgesetzt gewesen, es klinge zu opernhaft, sei eigentlich keine geistliche Musik, umso weniger, wenn noch bereits aus Opern bekannte Melodien dafür recycelt wurden wie Almavivas „Ecco ridente il cielo“. Erst dreißig Jahre nach seiner letzten Oper, Guglielmo Tell, setzte sich Rossini noch einmal an das Klavier, um seine „leider letzte Todsünde seines Alters“ zu komponieren. Dies geschah 1863 innerhalb von nur zwei Monaten und war eigentlich nur für die Aufführung in einer Privatkapelle gedacht, in der nicht ein ganzes Orchester, sondern stattdessen nur zwei Klaviere und ein Harmonium sowie vier Solisten und acht Chormitglieder Platz hatten. Obwohl Rossini später noch eine Orchestrierung vornahm, schätzte er wohl weiterhin die erste Fassung seiner Messe mehr als die erweiterte, von der man annimmt, er habe sich die Mühe damit nur gemacht, um zu verhindern, dass sie durch andere Komponisten entstellt werden würde.

Die Pianisten Marie-Theres Englisch und Christian de Bruyn fangen etwas zögerlich an, werden aber zunehmend zupackender, ja erscheinen stellenweise etwas vorlaut, als wollten sie ein ganzes Orchester ersetzen, aber das ist nur der erste, schnell revidierte Eindruck. Der Chor klingt bereits im Kyrie sanfter und frommer als ein italienischer, zeichnet sich durch ein schönes Anschwellen des Klangs aus und klingt im Gloria einfach engelsgleich. Geläufig, mit instrumentalem Klang wird das Sanctus absolviert, machtvoll das Credo, und ein Amen, das akustisch die ganze Welt zu umarmen scheint, beschließt die Messe.

Bemerkenswert ist das Solistenquartett. Sanft und hell leuchtet der Sopran von Gerda Hagner, keusch und innig im Crucifixus und von schöner Reinheit. Ehe sie einer der führenden Wagnersoprane wurde, hatte Gabriele Schnaut bereits eine Mezzokarriere hinter sich. Warm, vollmundig und wie aus einem Guss und mit viel Entschlossenheit in der Stimme führt sie die Messe mit dem Agnus Dei zum Schluss- und Höhepunkt. Sehr jung starb der in Brasilien als Sohn italienischer Eltern geborene Tenor Aldo Baldin, der mit bemerkenswert schönem Timbre und viel Sinn für Dramatik das Domine Deus singt. Ebenfalls bereits verstorben ist inzwischen der Bass Karl Fäth, der mit kraftvoller Höhe, in der Tiefe etwas grummelig, ein nachdrückliches Sanctus zu Gehör bringt. Auf weitere Ausgrabungen von MDG Preziosa kann man gespannt sein (MDG 102 0003-2). Ingrid Wanja  

Lange überfällige Würdigung

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Der 1878 im Fürstentum Monaco geborene und später in Wien ansässige österreichische Komponist Franz Schreker ist heutzutage am ehesten durch seine Opern in Erinnerung geblieben. Besonders Die Gezeichneten, uraufgeführt 1918, erfreuen sich anhaltender Beliebtheit. Dass darüber die Orchesterwerke und auch die Lieder in den Hintergrund rückten, ist seit Schrekers Tod im Jahre 1934 tatsächlich schwerlich abzustreiten, wie ein Blick in die bis heute sehr überschaubare Schreker-Diskographie beweist. Auch um diesem Umstand Abhilfe zu verschaffen, hat es sich der Dirigent Christoph Eschenbach, mittlerweile 83 und seit langem von der Musik des frühen 20. Jahrhunderts fasziniert, zur Aufgabe gemacht, einige wenig im Mittelpunkt stehende Kompositionen Schrekers auf Tonträger einzuspielen, wobei ihm die Deutsche Grammophon Gesellschaft erfreulicherweise mit offenen Armen entgegenkam. Die jetzt erscheinende Doppel-CD dokumentiert das Ergebnis dieser fruchtbaren Zusammenarbeit (DG 4863993). Mit dem Konzerthausorchester Berlin, dem Eschenbach seit 2019 vorsteht, konnte ein in der Moderne bestens bewanderter Klangkörper gewonnen werden.

Eschenbach, der Schreker in der Nachfolge der Symphonik Gustav Mahlers sieht, verhehlt nicht die Schwierigkeiten, welche diese Musik auch erfahrenen Orchestern zu bereiten im Stande ist. Tatsächlich meistert „sein“ Klangkörper diese mit Bravour. Der klugen Auswahl an Werken steht zuvörderst das sogenannte Nachtstück, die über 17-minütige Zwischenmusik aus dem dritten Akt der Oper Der ferne Klang (1912), ein in Eschenbachs Worten „großartiges symphonisches Poème“, das wirklich auch als eigenständige und atmosphärische Tondichtung bestehen könnte. Diesem folgt als Schmankerl die wienerisch angehauchte und intime Valse lente (1908) für kleines Orchester. Die facettenreiche Kammersymphonie (1916), untergliedert in vier Sätze höchst unterschiedlicher Länge vom über zehnminütigen Kopfsatz bis zum nicht einmal zweiminütigen dritten Satz, ist ein Musterbeispiel für Schrekers Gespür für Klangfarben. Vierteilig daher kommt ebenfalls die Romantische Suite (1903), ein Frühwerk, das entgegen der Betitlung bereits durchaus moderne Anklänge in sich trägt. Die ein Vierteljahrhundert später für den Rundfunk komponierte Kleine Suite (1928), in sechs Sätze unterteilt, ist ganz neoklassizistisch angehaucht.

Mit Vom ewigen Leben (1923/27) werden zwei so bezeichnete lyrische Gesänge für Sopran und Orchester beigesteuert, die auf Texten von Walt Whitman basieren, wobei Hans Reisiger die deutsche Übersetzung besorgte. Den solistischen Part übernimmt formidabel die israelische Sopranistin Chen Reiss. Für den Liederzyklus Fünf Gesänge (1909/22) schließlich konnte der renommierte Bariton Matthias Goerne gewonnen werden. Die Lieder handeln von Sehnsucht, Entfremdung, Verzweiflung, nostalgischen Erinnerungen und nicht zuletzt von Tod und Erlösung. Abgesehen vom ersten Lied „Ich frag nach dir jedwede Morgensonne“, das auf den Erzählungen aus tausendundeiner Nacht beruht (Übersetzung: Ernst Ludwig Schellenberg), wird auf Gedichte der symbolistischen Dichterin Edith Ronsperger zurückgegriffen. Beiden Solisten ist die gute Textverständlichkeit hoch anzurechnen.

Angesichts der referenzträchtigen Darbietung aller Beteiligten kann man nicht anders als eine nachdrückliche Empfehlung für dieses Album auszusprechen. Das tadellose Klangbild (Aufnahme: Konzerthaus Berlin, März 2021, Mai 2021 und Mai/Juni 2022) unterstreicht den positiven Gesamteindruck. Der lehrreiche Einführungstext von Mario-Felix Vogt tröstet etwas über die fehlenden Liedertexte hinweg – das einzige Manko dieser Neuerscheinung. Daniel Hauser

Romantik pur

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Joseph von Eichendorff gehört zu den am häufigsten vertonten deutschen Dichtern. LiederNet, die Onlinedatenbank, die sich ausschließlich dem Liedgesang widmet, weist ganz konkret 1640 Kompositionen in dieser Kategorie nach, die sich auf 340 Texte des Romantikers, der von 1788 bis 1857 lebte, beziehen. Es sind die großen Namen der Zunft dabei. Neben Schumann, Brahms, Mendelssohn, Strauss, Pfitzner, Mendelssohn, Wolf finden sich Cornelius, Franz, Marschner, Thuille, Korngold, Sommer, Lassen, Schoeck oder Eisler. In der Datenbank wird auch Friedrich Kiel geführt, der erst im CD-Zeitalter zu neuen Ehren kam. Der 1885 in Berlin gestorbene Kiel war in seiner Zeit ein sehr angesehener Musikpädagoge, der selbst komponierte. Der Tenor Georg Poplutz hat ihn für sich entdeckt. Für seine bei Spektral erschienen CD Nur über uns die Linde rauscht (SRL4-22198) berücksichtigte er mit „Sage mir, mein Herz, was willst Du?“ und „Bist Du manchmal auch verstimmt“ zwei Lieder aus Opus 31. Sie sind ausgesprochen hörenswert – pointiert und prägnant in der Ausführung. Als nähmen sie musikalische Ausdrucksformen von Hugo Wolf vorweg, von dem fünf Lieder, darunter Der verzweifelte Liebhaber, zu hören sind.

Besonders interessant wird es, wenn dieselben literarischen Vorlagen von unterschiedlichen Komponisten vertont worden sind. Im Programm gibt es dafür ein Beispiel-Gedicht: „Es weiß und rät es doch keiner“ von Felix Mendelssohn, welches in Robert Schumanns Liederkreis op. 39 unter dem originalen Titel Die Stille auftaucht. Es gehört zu den besonders oft in Noten gesetzten Werken Eichendorffs. Die von Mendelssohn gewählte komplette Fassung bewahrt formal mehr Eigenständigkeit, während sich das von Schumann um den dritten Vers gekürzte Gedicht gedanklich nahtlos in den Zyklus einfügt, der den Mittelpunt der Neuerscheinung bildet und auch so platziert ist. Der Sänger und sein Pianist Rudolf Lutz sind hörbar bemüht, auf den Liederkreis nicht mehr künstlerischen Enthusiasmus und Hingabe zu verwenden als für das übrige Programm. Die Heraushebung ergibt sich ganz von selbst durch die Genialität des Werkes. Zur Dramaturgie der Einspielung, die in Kooperation mit dem Deutschlandfunk erfolgte, gehört es wohl auch, dass der Liederkreis von zwei ausgesprochenen Meisterwerken eingerahmt ist – und zwar von Schumanns Der frohe Wandersmann und von Mendelssohns Nachtlied. Das passt ganz ausgezeichnet.

Der Außenseiter Friedrich Theodor Fröhlich folgt weiter hinten. Der 1803 geborene schweizerische Romantiker, der in Berlin bei Zelter studierte und auch mit Mendelssohn bekannt war, fühlte sich nach der Rückkehr in seine Heimat künstlerisch nicht genug gewürdigt hatte auch mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Er schied 1835 freiwillig aus dem Leben. Sein Lied Das zerbrochene Ringlein, das mit einer der berühmtesten Zeilen, nämlich „In einem kühlen Grunde“ beginnt, hat eine eingängige Melodie, die aber durchaus auch auf andere Verse passen würde. Die Magie, die selbst aus der zum Volkslied mutierten Weise entspringt, der Pastor und Komponist Friedrich Glück (1793-1840) dazu erfand, bleibt Fröhlich schuldig.

Der Literaturwissenschaftler und Autor Rüdiger Safranski sieht in Eichendorff nicht den „Dichter der Heimat, sondern des Heimwehs, nicht des erfüllten Augenblicks, sondern der Sehnsucht, nicht des Ankommens, sondern der Abfahrt“. Das macht ihn offenbar auch für zeitgenössische Komponisten anziehend. Die neue CD stellt diese Aktualität heraus indem ein Bogen von der Romantik in die Gegenwart gespannt wird. Der musikalisch sehr vielseitige Rudolf Lutz aus der Schweiz, der Poplutz am Klavier begleitet, ist auch als Komponist hervorgetreten und hat Eichendorff-Gedichte vertont. Zu hören sind zwei einzelne Lieder, eine Bearbeitung seines schon erwähnten Landsmanns Fröhlich sowie als Finale ein Zyklus aus sieben Liedern. Sie vertragen sich stilistisch sehr gut mit dem übrigen Programm, ohne dass sie kompositorisch angepasst sind. Vielmehr scheint sich Lutz tief in die Gedankenwelt Eichendorffs eingelassen zu haben und hat musikalisch heraufbefördert, was die Zeiten überdauert hat. Sein Sänger ist ihm dabei mit seiner Sensibilität und genauen Aussprache sehr behilflich. Alle Texte sind im Album abgedruckt worden. Elisabeth Binder hat ihrem lesenswerten „kleinen Versuch über Joseph von Eichendorff“ den Titel Wozu Dichter in „gnadenloser Zeit“ gegeben. Einen Text zu den Liedern von Lutz steuerte Ingo Müller bei. Rüdiger Winter

Flaka Goranci

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Die Mezzosopranistin Flaka Goranci versteht sich als universelle Künstlerin und widmet ihr aktuelles CD-Projekt „La Femme“ der gesellschaftliche Wirklichkeit von Komponistinnen, Künstlerinnen und sonstigen weiblichen Menschen, die vor allem aufgrund ihres Geschlechts repressiven Bedingungen ausgesetzt sind. Sie beauftragte Komponistinnen vor allem aus dem südosteuropäischen und vorderasiatischen Raum, erforschte Leben und Werk bedeutsamer historischer Persönlichkeiten und hat mit dem „World Chamber Orchestra“ für dieses Projekt ein eigenes neues Ensemble auf die Beine gestellt. Im Interview mit Stefan Pieper spricht die in Wien lebende, kosovo-österreichische Sängerin und Komponistin über ihren eigenen Werdegang, über gesellschaftliche Lebensumstände und die Vision, die sie zu ihrem aufwändigen Projekt antrieb.

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Erzählen Sie mir etwas über die Vorgeschichte dieses Projektes. Ich habe mir schon sehr früh Gedanken über den Komponisten-Beruf aus weiblicher Sicht gemacht. Zugleich wollte ich vieles ausprobieren und mich nie zu stark auf eine Sache festlegen. Aber ich möchte hier etwas weiter ausholen, denn in das Projekt „La Femme“ fließt sehr viel persönliches von mir ein: Als Kind habe ich mit dem Klavierspiel begonnen. Ebenso habe ich gerne gesungen. Anscheinend gut genug, dass sich einige sehr gut vorstellen konnten, dass ich eine gute Opernsängerin abgeben würde.

Dann kam der Krieg im Kosovo und das war eine gewaltige Umbruchzeit für mich. Ich war nicht mehr Kind, sondern musste jetzt schnell erwachsen werden. Ich flüchtete nach Albanien und begann mit der Malerei, was ich heute als eine Art Heilungsprozess sehe, um viele Erlebnisse aus dem Krieg verarbeiten zu können.

Haben Sie sich auch mit Komposition beschäftigt? Ich war 16, als ich zum ersten Mal auf die Idee kam, einen Song zu schreiben. Daraus wurden schließlich Klavierstücke und dann dachte ich, dass ich Komponistin werden wollte. Bald lernte ich einen angesehenen Komponisten kennen. Mit ihm ergab sich ein aufschlussreiches Gespräch über die Lebensumstände als Frau in diesem Beruf. Seitdem hat es nicht mehr aufgehört, dass ich mich mit solchen Fragen beschäftige. Wie ist es, als Frau Komponistin zu sein? Wie funktioniert so etwas, wenn du verheiratet bist, Familie hast und Kinder groß ziehst? Wo bleibt dann der kreative Freiraum, den es zum Komponieren braucht? Auch heute in der modernen Welt mit ihrer ganzen Dynamik bleibt so etwas schwierig. Alma Mahler und Clara Schumann sind leuchtende Beispiele aus der Geschichte, dass es dennoch geht. Ich habe mich dann weiter im Gesang ausprobiert, was mir sehr lag. Schon nach den ersten Stunden hatte ich ein schönes Gefühl und sah mich schon sehr bald als Opernsängerin. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade 18 Jahre alt. Ich habe dann vier Jahre lang in Tirana studiert. Mit 22 hatte ich mein Debüt auf der Opernbühne als Rosina. Das war mit seinen vielen Koloraturen eine riesige Herausforderung. Zunächst mal wollte ich aus Kosovo- Albanien heraus kommen, weil es anderswo viel mehr Karrieremöglichkeiten gibt.

Danach sind Sie ja nach Israel gegangen. War diese Zeit schon prägend für das aktuelle Projekt? Ich hatte das Glück, ein Scholarship in Tel Aviv zu bekommen und habe dann zwei Jahre bis zum Master-Degree dort studiert. Das war eine wichtige Station für mich. „La Femme“ wäre ohne diesen Aufenthalt in Tel Aviv nicht denkbar. Als ich nach Israel ging, hatte ich noch gar keine Ahnung von diesem Land. Bereichernd war für mich, auf was für ein riesiges Repertoire man in diesem Umfeld stößt. Die Vielfalt ist wirklich immens. Besonders faszinierte mich der Umstand, dass es hier genre-übergreifend so viele überlieferte Volkslieder mit sehr spannenden Einflüssen und Stilmischungen zu entdecken gibt. Dieses Erbe wird in Israel sehr gut gepflegt. Viele Komponisten arrangieren überlieferte Lieder neu. Auch im Schulunterricht werden viele israelische Lieder gelernt. Ebenso erstaunlich fand ich, dass viele Musikstile jener Musik, die ich vom Balkan her kenne, ähnlich sind.

Flaka Goranci als Carmen/ Theater Magdeburg/ Foto Andreas_Lander

Haben Sie sich in diesem Kontext über die Lebensumstände von Komponistinnen Gedanken gemacht?  Ich habe mich unter diesem Aspekt sogar musikologisch beraten lassen. Dabei rückten immer mehr Komponistinnen aus Arabien, dem mittleren Osten und vom Balkan in den Fokus. Mittlerweile war eine Projektidee geboren und erreichte einen immer größeren Level. Ich recherchierte einige Jahre weiter, lernte immer mehr Komponistinnen kennen, die sich zum Teil auch unter schwierigen Bedingungen trotzdem Gehör verschaffen. Da eröffnen sich viele Themenfelder, oft voller Dramatik. Ich denke hier an die Situation der Menschen im Kosovo, im Iran, in den besetzten palästinensischen Gebieten oder in Syrien, welche zum Beispiel das Lied „Those forgotten on the Banks of the Euphrats“ der syrischen Komponistin Dima Orsho abbildet. Dima Orsho singt dieses Lied mit mir zusammen auf dieser Aufnahme. Ebenso bin ich auf viele interessante Biografien aus der Musikgeschichte gestoßen. Es gibt hier einige beeindruckende Erfolgsgeschichten. Man denke zum Beispiel an Francesca Caccini, die im frühen 17. Jahrhundert ein sehr hohes Ansehen genoss und auch zu großem Wohlstand kam. Eine ebenso beeindruckende Figur ist die älteste, hier präsentierte Komponistin, die Byzantinerin Kassia, welche im 9. Jahrhundert lebte.
Fast 40 Menschen aus 11 Nationen waren an dieser Aufnahme beteiligt. Ebenso gibt es 21 Auftragskompositionen. War diese Größenordnung von Anfang an geplant? Ich wurde oft gefragt, wie ich den ganzen Aufwand stemmen wollte – mit so vielen verschiedenen Musikerinnen und Musikern und den ganzen Instrumenten. Aber ich war fest entschlossen, dass ich es mache. Ich brauchte einige Zeit, Menschen, auf die ich angewiesen war, zu überzeugen. Für die Finanzierung habe ich ein Crowdfunding gemacht und bin dankbar für den Vertrauensbeweis von so vielen Menschen. Ebenso glücklich bin ich, dass unter anderem auch der österreichische Musikfonds das Projekt unterstützt hat. Mir war daran gelegen, dass sämtliche Musikerinnen und Musiker angemessen bezahlt werden. Insgesamt hat sich eine sehr freundliche und warme Community gebildet.

Welche Herausforderungen gab es bei der musikalischen Realisation?  Es war nicht einfach Musiker zu finden, die vielseitig genug aufgestellt sind. Sie sollten schon alle klassisch ausgebildet sein, aber auch in der Improvisation zu Hause sein, ebenso die arabischen und anderen Stilrichtungen authentisch verkörpern und solche Spielweisen auf ihren Instrumenten beherrschen. Klassische Musiker können oft nicht improvisieren und Sängerinnen und Sänger sind auch oft aufs klassische Gesangsfach limitiert.

Sie nennen Ihr Ensemble „World Chamber Orchestra“ – ist das ein weiteres Zeichen dafür, dass Sie gerne groß denken?  Vor allem will ich hier nicht auf die Weltmusik-Schublade abheben. Ich würde schon eher von einem Classic-Crossover sprechen, wenn wir nach einer Kategorie suchen. Ich will einfach klarstellen, dass die Welt in diesem Orchester zusammenkommt und so etwas möglich ist. Ebenso ist es mein Traum, dass mehr Menschen in ein Opernhaus gehen – und eben nicht nur das Expertenpublikum, um die Superstars in ihren Paraderollen zu erleben. Mir geht es hier nicht darum, die Virtuosität meiner Stimme heraus zu kehren, sondern die Menschen auf einer anderen, tieferen Ebene zu berühren.

Den Worldmusic-Hit „Pata Pata“ mit der Stimme einer ausgebildeten Opernsängerin zu hören, ist am Ende der CD eine echte Überraschung. Wie kam es dazu?  Ich will konventionelle Vorstellungen aufbrechen und neue Kontexte erschließen. Die Verbindung meines Gesangs mit elektronischer Musik ist ein weiterer Vorstoß in diese Richtung. Genauso, wie Kulturen, Länder und Nationen voneinander getrennt sind, verhält es sich mit musikalischen Disziplinen. Ich finde, wir sollten mutiger werden, über Grenzen hinweg gehen und mehr Diversität zulassen.

Flaka Goranci als Carmen, hier mit Iago Ramos (Don José)/ Theater Magdeburg/ Foto Andreas Lander

Können Sie Ihre persönliche Vision, die hinter diesem Projekt steht, beschreiben? Ich komme aus einem Land, in dem Konflikte an der Tagesordnung sind, vor allem mit Serbien. Es gibt viele politische und wirtschaftliche Krisen. Junge Menschen können kaum ausreisen wegen restriktiver Visabestimmungen und es gibt Arbeitslosigkeit. Die Folgen des Krieges sind noch sehr präsent. Auch in Tel Aviv habe ich viele Spannungen, Unruhen und schlimme Dingen mitbekommen. Ich fühle mich sehr glücklich und dankbar, dass ich hier in Wien lebe, wo es so friedlich zugeht. Deswegen sehe ich es als eine Mission an, davon etwas weiter zu geben. Dafür können die musikalischen Grenzüberschreitungen, die hier möglich wurden, vielleicht etwas beitragen. Wenn hier Komponistinnen und Komponisten aus Israel, aus arabischen Ländern, dem Iran, aus Serbien und aus dem Kosovo vereint sind, sehe ich ein Symbol darin.

Mein Wunsch ist es, Grenzen zwischen scheinbar konträren Welten aufzubrechen. Die sind alle nur politisch, während sie durch Musik überwunden werden können. Immer wieder hat mich die Neugier angetrieben. Vor allem auf erfolgreiche, glückliche und manchmal auch heitere Stories, die auch unter feindlichen Lebensumständen möglich sind. Ich habe durch die Arbeit an „La Femme“ nicht nur neue musikalische, sondern auch gesellschaftliche Erkenntnisse gewonnen. Es ist mehr als nur Musik draus geworden, nämlich eine Form von politischem Protest und eine Botschaft für den Frieden (Foto oben Flaca Goranci). Stefan Pieper

Für Wien aus Wien

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Eingerahmt von zwei Adelaiden, der von Beethoven und der von Schubert, präsentiert sich die CD des Tenors Daniel Johannsen unter dem Titel Wiener Lieder, bei dem man erst einmal an Heurigen und Schrammelmusik denkt. Mit Wien haben die auf der CD vertretenen Komponisten aber nur insofern zu tun, als die ihr ganzes Leben oder einen bedeutenden Teil davon in der Stadt der Habsburger verbrachten. Zu den beiden Komponisten-Genies gesellen sich noch Conradin Kreutzer und Nicolaus von Krufft, beide zu Lebzeiten ähnlich bekannt und beliebt wie Beethoven und Schubert. Kreutzer ist der Schöpfer einer Unzahl von Opern, von denen nur Das Nachlager von Granada Opernfreunden noch ein Begriff ist, von Kruffts Schaffen ist mit 24 Liedern und einigen Sonaten sehr viel übersichtlicher. Ihm blieb als Sekretär Metternichs, den er 1815 nach Paris und später auf anderen Reisen begleitete, nicht viel Zeit für kompositorische Arbeiten.
Es beginnt also mit Beethovens Adelaide, die der Tenor mit ausgeprägter, nicht durchweg nachvollziehbarer Agogik angeht, mit einem frischen, jung klingenden, aber manchmal auch herb und spröde erscheinenden Timbre und sehr viel Aufmerksamkeit für den Text. Das führt manchmal dazu, dass der Fluss der Melodie unterbrochen zu werden scheint. Gut nachvollziehbar sind die Steigerungen bei der mehrmaligen Wiederholung des Namens Adelaide.
Eine leichte stimmliche Hand hat der Sänger für das tändelnde Mit einem gemalten Band, der säuselnde Zephir charakterisiert das Singen, am Schluss gibt es eine schön heraus gearbeitete Verzierung.
Es folgt der Zyklus An die ferne Geliebte mit einem rasanten Schluss für das erste, ein wenig hervorgehobenes „ewiglich“ für das zweite, munteres Plaudern für das dritte und viel Heftigkeit für den Schluss des vierten Lieds. Untertreibend und recht trocken nimmt sich der Tenor des Frühlingsüberschwangs im fünften Lied an, während er sich beim letzten Stück zwischen beschaulich reflektierend und martialisch bewegt, wobei er an seine Grenzen gerät, was das Volumen der Stimme betrifft.
Angemessen theatralisch und kontrastreich beginnt Johannsen mit von Kruffts Der Abend, der aus dem Zyklus mit sechs Gedichten von Schiller stammt. Von fast lautlos bis hochdramatisch reicht das Spektrum, es geht mehr um die Herausarbeitung von kontrastreichen Einzelheiten als das Schaffen einer Gesamtstimmung. In Des Sägers Lohn auf den Text von Motte-Fouqué werden die Kontraste auch in der Begleitung von Matthias Krampe besonders effektreich ausgestellt. Recht gefällig erscheinende Rokokomusik scheint der Komponist für das Sturm-und-Drang-Lied Rastlose Liebe geschrieben zu haben, die Interpreten werden auch dem Text angenehm gerecht. Auch für Schillers Sehnsucht versuchen Sänger und Pianist mehr aus der Musik herauszuholen, als in ihr zu stecken scheint. In Des Mädchens Klage wird schön differenziert zwischen wörtlicher Rede und Erzähltext.
Es geht weiter mit Kreutzers Frühlings-Glaube, dem Beschwingtheit verliehen wird, in dem die Stimme aber auch scharf werden kann. Ein schönes Piano zelebriert sie in Ruhethal, wie alle Kreutzer-Lieder auf einen Text von Ludwig Uhland.
Wohl zu Recht wenig bekannt ist Schuberts Viola, in dem nicht enden wollend, genau eine Viertelstunde lang, das Sterben eines Schneeglöckchens betrauert wird. Dafür fasst sich Schubert mit seiner Adelaide zwei Minuten kürzer als Beethoven und Daniel Johannsen beweist noch einmal, dass er wohl vor allem für Lied und Konzert, weniger für die Oper bestimmt ist (Spektral SRL4-21791). Ingrid Wanja

Andreas K. W. Meyer

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Der Schock könnte nicht größer sein – Operndirektor Andreas Meyer starb an den Folgen eines Herzversagens. Ein Freund, ein wunderbarer, humorvoller Mensch und ein kenntnisreicher Musikmann ist tot. Rund 20 Jahre kannte ich ihn, zuletzt in Bonn, davor in Berlin und Kiel. Was für eine Lücke hinterlässt dieser Champion für die Oper, namentlich für die unbekannte. Deren Titel sich immer wieder auf seinen Spielplänen fanden. Eigentlich fehlen da die Worte. Deshalb nachstehend die Pressemitteilung des Theater Bonn. Die eigenen bleiben im Halse stecken. G. H.

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Mit großer Bestürzung teilt das Theater Bonn den Tod seines Operndirektors Andreas K. W. Meyer mit. Andreas Meyer verstarb mit 64 Jahren infolge von Herzversagen am Karsamstag, 8. April 2023. Als Dramaturg prägte Andreas Meyer seit der Spielzeit 2013/14 das Gesicht und die Geschicke des Bonner Opernhauses entscheidend mit. Sein besonderes Augenmerk galt dabei der Wiederbelebung zu Unrecht in Vergessenheit geratener Werke der Opernliteratur, vorrangig des frühen 20. Jahrhunderts. Zu Beginn seiner Bonner Zeit brachte das Haus Opern wie DER TRAUM EIN LEBEN von Walter Braunfels, Emil Nikolaus von Rezniceks HOLOFERNES oder Hermann Wolfgang von Waltershausens OBERST CHABERT zur Aufführung. Diese Arbeit verdichtete sich in den vergangenen Jahren in der vielbeachteten Reihe FOKUS ´33 – Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben. Große Beachtung erfuhren zuletzt unter anderem Inszenierungen von Rolf Liebermanns LEONORE 40/45, Giacomo Meyerbeers EIN FELDLAGER IN SCHLESIEN und Alberto Franchettis ASRAEL. Besonders am Herzen lag Meyer die Wiederaufführung von Clemens von Franckensteins LI-TAI-PE. Zuletzt arbeitete er mit Hochdruck an der ersten ungestrichenen Wiederaufführung von Franz Schrekers DER SINGENDE TEUFEL. Das Haus wurde für diese Arbeiten mehrfach ausgezeichnet.

Andreas K. W. Meyer, 1958 in Bielefeld geboren, war Musikdramaturg und -publizist. Nach einem privaten Kompositionsstudium bei Rudolf Mors studierte er ab 1981 Musikwissenschaft, unter anderem bei Klaus Hortschansky sowie Kunstgeschichte und Germanistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. 1987 begann er eine Tätigkeit als freier Kritiker, unter anderem für die Frankfurter Rundschau und verschiedene Rundfunkanstalten, vornehmlich für den WDR und den BR.

Von 1993 bis 2003 arbeitete er als Musikdramaturg an der Oper Kiel: zunächst unter Generalintendant Peter Dannenberg, ab 1995 als leitender Musikdramaturg sowie ab 2002 als Chefdramaturg Musik und stellvertretender Opernintendant unter der Intendantin Kirsten Harms. 2004 wechselte er zusammen mit ihr an die Deutsche Oper Berlin, deren Chefdramaturg er bis 2012 war. Zur Spielzeit 2013/14 bat ihn Bernhard Helmich als Operndirektor und stellvertretender Generalintendant ans Theater Bonn.

Vor allem die Wiederentdeckung von Franco Alfanos CYRANO DE BERGERAC sowie ein Zyklus mit weniger bekannten Werken von Franz Schreker und die Neubefragung von Gian Francesco Malipieros I CAPRICCI DI CALLOT oder Richard Strauss’ DIE LIEBE DER DANAE verhalfen der Oper Kiel zu erheblichem überregionalem Interesse. An der Deutschen Oper Berlin kamen Alberto Franchettis GERMANIA und Alexander von Zemlinskys DER TRAUMGÖRGE hinzu. Die SZENEN AUS DEM LEBEN DER HEILIGEN JOHANNA von Braunfels wurden bei der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt im Jahre 2008 zur „Wiederentdeckung des Jahres“ gekürt.

Zu den Veröffentlichungen von Andreas K.W. Meyer gehören unter anderem Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen (Herausgeber, zusammen mit Christoph Munk), Kiel 2001; Wie man die Geschichte erzählt, Kiel 2003; Aufsätze in verschiedenen Publikationen, darunter: Frederick Delius: Music, Art and Literature, Aldershot 1998; Musik des Aufbruchs. Franz Schreker. Grenzgänge – Grenzklänge, Wien 2004./ Theater Bonn

Saverio Mercadantes „Proscritto“

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„Verdienstvoll“ ist das Wort, dass dem Opernfan bei dem hochspannenden Programm von Opera Rara einfällt. Immer wieder hat sich die englische Firma um die Lücken (weitgehend) im Kanon des Belcanto gekümmert und seit rund 30 Jahren viele, viele Opern aus dieser Epoche zum Leben erweckt, deren Titel nur die erbitterten Sammler kannten, oft nicht einmal diese. Deshalb muss man die Firma immer wieder hervorheben und loben ob ihrer vielfältigen Initiativen.

So auch nun, wenn nach dem erfolgreichen Konzert von Saverio Mercadantes Oper Il proscritto 2022 in London diese Oper mit schönem Booklet und einem wie stets hochinformativen Aufsatz des eminenten Musikwissenschaftler Roger Parker auf 2 CDs herausgekommen ist. Nachstehend erst einmal ein Auszug aus der Einleitung zur Oper von Roger Parker aus dem umfangreichen Booklet zur CD-Ausgabe, dann der dertailfreudige Konzerteindruck von Alan Jackson, Schatzmeister der ehrwürdigen Londoner Donizetti-Gesellschaft und danach eine kurze Einschätzung der Aufnahme selbst. G. H.

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Roger Parker: Saverio Mercadante (1795-1870), der erfolgreichste italienische Opernkomponist des 19. Jahrhunderts außerhalb der „großen Vier“ (Rossini, Donizetti, Bellini und Verdi) (Rossini, Donizetti, Bellini und Verdi), hatte eine wechselvolle Karriere. Unehelich geboren (sein adeliger Vater und seine Hausangestellte als Mutter hätten selbst eine Opernhandlung bevölkern können), gelang es ihm, eine Ausbildung am Konservatorium von Neapel zu erhalten und um 1820 schlug er eine Opernkarriere ein, zwangsläufig als Nachfolger und Nachahmer Rossinis. Sein größter früher Erfolg war die komische Oper Elisa e Claudio, deren Triumph an der Mailänder Scala 1821 zu zahlreichen neuen Aufträgen führte. Der internationale Erfolg schien schien gesichert, als der neapolitanische Impresario Domenico Barbaja ihn für eine Saison am Wiener Kärtnerthortheater engagierte 1824. Aber das ging schief (die von Rossini besessenen Wiener waren noch nicht bereit, einen italienischen Nachfolger in Erwägung zu ziehen), und als Mercadante nach Neapel zurückkehrte, war er bereits wieder auf dem Weg nach Italien.

Saverio Mercandate / Wikipedia/ Gemälde von Cefaly/ Wiki

Als Mercadante nach Neapel zurückkehrte, hatte sich dort ein rivalisierender Komponist, Giovanni Pacini, etabliert. Und so ging die Achterbahn weiter. Erfolgreiche Aufenthalte auf der iberischen Halbinsel erhöhten seinen Einsatz erneut, und 1833 wurde er zum Maestro di cappella am Dom von Novara ernannt, eine Position, die zwar eindeutig die Produktion von religiöser Musik erforderte, die ihm aber auch die Möglichkeit gab, regelmäßig zu verreisen, um seine seine Opernkarriere fortzusetzen. Ein weiterer Wendepunkt war das Jahr 1836: Rossini, inzwischen im Ruhestand und die „éminence grise“ am
Théâtre Italien in Paris, arrangierte für ihn eine Uraufführung in diesem prestigeträchtigen Theater (wie schon Bellini und Donizetti im Jahr zuvor). Aber die Wirkung der von ihm produzierten Oper I briganti war nur bescheiden.
1840, an einem anderen Wendepunkt, wurde Mercadante zum Direktor des Konservatoriums von Neapel ernannt (eine Position, für die sich Donizetti lange eingesetzt hatte). für die sich Donizetti seit langem eingesetzt hatte) und begann, sich verstärkt pädagogischen Aufgaben und der Komposition von Instrumentalmusik zu widmen. Er spielte mit dem Gedanken, die Opernkomposition ganz aufzugeben, kehrte aber schließlich zum Komponieren für die Bühne zurück, wenn auch in einem viel langsameren Tempo. Il proscritto, das am 4. Januar 1842 im Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführt wurde, war die erste Oper, die in dieser neuen Phase des von Mercadantes Leben und wurde deshalb mit Spannung erwartet. Sie war vielversprechend, nicht zuletzt wegen des schönen Libretto von Salvadore Cammarano, das (wie im vorangegangenen Aufsatz besprochen) auf einem neueren französischen Melodram mit dem Titel Le Proscrit basiert, das von Soulié und Dehay geschrieben und 1839 in Paris uraufgeführt wurde.

Mercadante: „Il proscritto“: Elisabetta Buccini und Antonietta Ranieri Marini, Malvina und Odoardo der Uraufführung 1842/ Opera Rara

Im Mittelpunkt des Dramas steht eine klassische Dreiecksbeziehung, die sich – bei Soulié und Dehay – in die napoleonische Zeit verlegt, spielt es im „exotischen“ Schottland zur Zeit von Oliver Cromwell. Herrschaft von Oliver Cromwell. Die gequälte Heldin Malvina ist zwischen zwei politischen Gegnern hin- und hergerissen: Giorgio, ihr erster Ehemann und leidenschaftlicher Royalist, wird auf See totgeglaubt; Arturo, ihr Verlobter, ist – natürlich – ein überzeugter Cromwellianer. Der vierte Hauptdarsteller ist eine sogenannte „Hosenrolle“, Malvinas jüngerer Bruder Odoardo. Die für die Verkörperung dieser gegensätzlichen Charaktere ausgewählten Darsteller war in der Tat erstklassig. Die Malvina wurde von der Mezzosopranistin Antonietta Ranieri Marini gesungen, die in den Jahren zuvor die weibliche Hauptrolle in Verdis ersten beiden Opern, Oberto, conte di San Bonifacio und Un giorno di regno. Giorgio wurde von dem baritonalen Tenor Giovanni Basadonna gesungen, der einige Jahre zuvor die Titelrolle in Donizettis Roberto Devereux verkörpert hatte; Arturo war ein weiterer Tenor, Gaetano Fraschini, der damals am Anfang einer bedeutenden Karriere stand, die ihn zu einem imposanten tenore di forza werden ließ (er sang die Titelrolle in Verdis Stiffelio und war der erste Riccardo in Un ballo in maschera). Die vierte Hauptrolle sang Eloisa Buccini, eine Altistin der ersten Stunde, die in dieser Zeit an vielen bedeutenden Opernhäusern auftrat. (…)
Was ist von Il proscritto zu halten, wie es jetzt, nach fast 200 Jahren völliger Vergessenheit, auftaucht? Ein Punkt muss hervorgehoben werden. Die Tatsache, dass die Oper nach ihrer Uraufführung nicht wieder aufgenommen wurde, ist keineswegs ungewöhnlich und sollte nicht überbewertet werden. Dieses Schicksal ereilte schließlich die meisten dramatischen Werke im Italien des frühen 19. In einer Kulturwirtschaft in der (ähnlich wie heute im Kino) das größte Interesse stets neuen Schöpfungen galt, den eigens für den Anlass geschriebenen Werken, mussten viele mussten viele Opern verdrängt werden, um Platz für den ständigen Zustrom von Neuem zu schaffen. Auf der anderen Seite geht aus den Rezensionen und Berichten über die Reaktion des Publikums geht hervor, dass Mercadantes Idiom ungewöhnlich war und als etwas schwierig galt.

Mercadanrtes Oper „Il proscritto“: Giovanni Basadonna und Gaetano Fraschini, Giorgio und Arturo 1842/ Opera Rara

Das Schlimmste von allem, zu einer Zeit, als die große neapolitanische Opernschule offensichtlich im Niedergang begriffen war, wurde dem Komponisten vorgeworfen, mit dieser Oper seine Heimat zu verraten und zu versuchen, „nördlichen“ Einflüssen nachzueifern. Warum dieser Vorwurf gerade an Il proscritto angehängt wurde, bleibt ein Rätsel, aber wie dem auch sei, wir haben es hier mit eindeutig lokalen Belangen zu tun; die neapolitanischen Urteile von 1842 dürften uns 180 Jahre später kaum noch berühren, da uns die Geschichte all dessen, was sich seither auf dem Gebiet der Oper ereignet hat, noch in den Ohren klingt. Wir müssen versuchen, neu zu denken.
In diesem Zusammenhang ist es auffällig und paradox, dass Mercadante mit seiner neuen Oper zumindest in gewisser Hinsicht seine „Reform“-Agenda des vorangegangenen Jahrzehnts zurück. So sind zum Beispiel die Solonummern (vor allem die von Arturo und Giorgio im ersten Akt) sind voller lyrischer Inspiration, und obwohl sie in der Tat einige auffällige harmonische und orchestrale Ablenkungen aufweisen, dienen diese dazu die melodischen Ergüsse eher zu unterstützen als zu untergraben. Darüber hinaus hat die Oper, entgegen dem oben zitierten Manifest von Mercadante Oper ihren Anteil an überschwänglichen Cabalettas, beginnt mit einem markanten Krach der Banda und ist (wenn es die Stimmung erfordert) großzügig mit der großen Trommel und den Becken. Es stimmt aber auch, dass eine der größten Stärken der Partitur die Abfolge der Duette ist, und hier wird die „Reform“-Agenda deutlicher sichtbar.

Mercadante Oper „Il Proscritto“: Seite aus der ersten gedruckten Klavierfassung bei Ricordi/ Opera Rara

Es gäbe noch so viel mehr über diese bemerkenswerte Oper zu sagen. Darüber, wie die ungewöhnliche Mischung der führenden Sänger, die beiden sich bekriegenden Tenöre und die Konzentration auf die tieferen Lagen der Frauenstimme mit einer konsequenten Vorliebe für „dunkle“ Tonarten einhergeht (bis hin zu d-Moll im Finale des zweiten Akts). Was die schiere Kühnheit einiger harmonischer Exkursionen angeht: Achten Sie auf dezente harmonische Akzente in vielen Orchesterpassagen, in einem Fall sogar ein Verweilen auf dem Tristan-Akkord; oder die außerordentlich stimmungsvolle orchestrale Eröffnung des Duetts zwischen Malvina und Giorgio im zweiten Akt, die Giorgios unruhigen Schlaf illustriert. Über den den ständigen Erfindungsreichtum von Mercadantes „Brücken“-Passagen zwischen den lyrischen Abschnitten, die nie in Routine verfallen und oft ein unter solchen Umständen völlig ungewöhnliches Maß an musikalischer Originalität. Vielleicht vor allem die Art und Weise, wie die Musik auf die ungewöhnliche psychologische Komplexität der Hauptfiguren eingeht. Malvina, Giorgio und Arturo beginnen die Oper in einem Situationen, die man als klassisch melodramatisch bezeichnen könnte; aber in jedem Fall werden ihre Überzeugungen in Frage gestellt, was zu seltsamen Umkehrungen und schaffen Situationen, in denen sie eine psychologische Tiefe zeigen, die in dieser Opernperiode wirklich selten ist. Mercadante reagiert auf die Herausforderung dieser Komplexität, insbesondere durch seine Fähigkeit, lange Momente der freien Deklamation aufrechtzuerhalten Deklamation aufrechtzuerhalten, in denen die emotionalen Haltungen der Figuren im Fluss sind. Das Ergebnis ist eine Oper, die, obwohl sie fast unmittelbar nach ihrer Entstehung von der Bildfläche verschwunden ist, dennoch eine starke Wirkung auf das Publikum des 21. Jahrhunderts zu vermitteln und vielleicht sogar ein Umdenken in der historischen Landschaft zu bewirken, die so viel von unserem Standard-Opernrepertoire hervorgebracht hat. © Roger Parker, 2023 – Übersetzung: Ursula Wulfekamp/Opera Rara

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Mercadantes Oper „Il proscritto“: Das Konzert 2022/ Foto Russell Duncan/ OR

Alan Jackson zum Konzert 2022: Als  Opera Rara ihre konzertante Aufführung von Donizettis Les Martyrs kurz nach den Aufnahmesitzungen im Jahr 2014 vorstellte, gab es einen Moment, in dem das die konzertante Aufführung Feuer fing. Die erste Hälfte war schon beeindruckend, die Größe, Feierlichkeit und Ernsthaftigkeit von Donizettis Partitur wurde gut eingefangen. Dann, kurz nach der Pause, begann Michael Spyres seine Cabaletta „Oui, j’irai dans leurs temple“, und irgendwie wurde das Publikum stärker einbezogen als vorher. Als er die Cabaletta mit einem hohen E beendete, war die Atmosphäre elektrisierend, und wir Zuhörer brachen in frenetischen Beifall aus.

Etwas Ähnliches geschah 2023 im (Konzertsaal des) Barbican. Der erste Akt von Il proscritto enthält eine wunderschöne Kavatine für den zweiten Tenor, ein reizendes Duett für Mezzosopran und Alt und ein imposantes concertato, die alle großartig vorgetragen wurden. Gleich nach der Pause folgt ein Duett für die beiden Tenöre, und die Funken sprühen nur so. Nicht, dass es irgendwelche stratosphärischen Höhen gäbe (in der Tat liegt keiner der beiden Tenöre besonders hoch), aber ihre Konfrontation ergriff uns zutiefst, das Publikum explodierte und der Beifall nahm kein Ende. Und genau wie bei Les Martyrs wurde diese neue Intensität bis zum Ende des Abends beibehalten. Sie steigerte sich sogar noch, als die Altistin uns in ihrer Arie mit ihren weit ausholenden und extrem schnellen Koloraturen verblüffte.

Die Handlung von Il proscritto, die im Schottland des 17. Jahrhunderts mit seinen Spannungen zwischen Royalisten und Cromwells spielt, dreht sich um die Heldin Malvina. Ihr erster Ehemann Giorgio, ein Royalist, wird seit langem bei einem Schiffsunglück für tot gehalten. Ihre Familie will, dass sie Arturo, einen Cromwellianer, heiratet, und Malvina hat sich in Arturo verliebt, obwohl sie sich schuldig fühlt, wenn sie an ihren ersten Mann denkt. Da es sich um ein romantisches Melodrama handelt, ist Giorgio natürlich noch am Leben und taucht am Hochzeitstag von Malvina und Arturo auf. Die beiden Tenöre schwanken zwischen antagonistischer Rivalität und Verständnis für Malvinas Notlage; sie löst das Dilemma der Wahl, indem sie am Ende der Oper Gift nimmt. Der vierte Hauptdarsteller ist Odoardo, Malvinas Bruder, dessen dramatische Funktion darin besteht, Malvina zu trösten und zu beschützen. Das Libretto von Salvadore Cammarano setzt gekonnt eine Reihe von Duetten und großen Ensembles ein. Ungewöhnlich ist die Verteilung der Stimmlagen. Giorgio und Arturo sind beide Tenöre, Malvina ist ein Mezzosopran und Odoardo ist ein Alt, eine späte Blüte der Musico-Tradition. Die Duette von Malvina mit Giorgio und Arturo sind dramatisch und konfrontativ, ebenso wie das von Giorgio und Arturo. Malvinas Duett mit Odoardo steht in der Tradition des Ottocento mit Duetten für zwei Frauenstimmen – man denke an Anna Bolena, Norma, Il giuramento, Pia De’Tolomei.

Mercadantes Oper „Il proscritto“: Gruppenbild/ Foto Russell Duncan/ OR

Die Sänger, alle wirklich ausgezeichnet, waren Irene Roberts (berührend als Malvina), Elizabeth DeShong (sensationell in Odoardos großer Arie), Ramón Vargas und Iván Ayón-Rivas (ebenfalls sensationell in ihrem großen Duett als Giorgio bzw. Arturo). Kleinere Rollen, die sehr stark besetzt waren, wurden von Sally Matthews, Goderdzi Janelidze, Susanna Gaspar, Alessandro Fisher und Niall Anderson übernommen. Der Opera Rara Chor und die Britten Sinfonia waren beide großartig, und der wunderbare Dirigent war der künstlerische Leiter von Opera Rara, Carlo Rizzi. All dies zusammen machte den Abend zu einem großartigen Erlebnis. Dieser Aufführung gingen einwöchige Aufnahmesitzungen voraus, und ich freue mich schon auf die Veröffentlichung der CDs.

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Und was ist mit der Oper selbst? Carlo Rizzi und Roger Parker (Repertoireberater von Opera Rara und Autor des Programmheftes des Abends) haben über die Freude geschrieben, die sie bei der Arbeit an der Partitur empfanden, nachdem sie das autographe Manuskript im Archiv des Konservatoriums von Neapel gefunden hatten. Sie verweisen auf den melodischen Erfindungsreichtum, die harmonischen Feinheiten und die reiche Instrumentation sowie auf Mercadantes Fähigkeit, große konzertante Sätze und Duette zu konstruieren, die die übliche Aufteilung in einzelne Sätze zugunsten psychologischer Einsichten und Wahrheiten verwischen. Einiges davon folgt den Reformen, die er fünf Jahre vor Il proscritto in seinem Manifest niederschrieb. Hier sagte er: Mit Il giuramento [habe ich] die Formen variiert, triviale Cabaletten abgeschafft, die crescendi verbannt; Prägnanz, weniger Wiederholungen, etwas Neues in den Kadenzen; die dramatische Seite gebührend berücksichtigt; die Orchestrierung reicher, ohne die Stimmen zu überschwemmen; lange Soli in den Ensemblenummern vermieden, da sie die anderen Stimmen zwangen, kalt daneben zu stehen, zum Nachteil der dramatischen Handlung; nicht viel große Trommel und Becken, und sehr wenig Banda [Bühnenbanda].

Man kann darüber diskutieren, wie sehr Mercadante sich in Il proscritto an dieses Credo hält. Ich werde darauf vertrauen, dass die Formen in den Duetten variiert werden – ich war zu sehr mit dem Fortgang des Dramas beschäftigt, um es an diesem Abend zu bemerken. Sicherlich gibt es noch viele cabalettas, aber ich gebe zu, dass ich cabalettas selten trivial finde! Prägnanz? Nicht in den großen Ensembles; darauf werde ich weiter unten zurückkommen. Es gibt reichlich große Trommeln und Becken. Was die Banda anbelangt, so wird die Oper mit einem Chor eröffnet, der mit riesigen und unerwarteten Banda-Unterbrechungen versehen ist, die noch deutlicher hervortreten, da die Musiker im Kreis und nicht außerhalb der Bühne positioniert sind: wenn schon nicht „Reform“, so doch auffallend und neuartig. Mercadantes Orchestrierung ist dichter und reichhaltiger als in mehr oder weniger zeitgenössischen Opern von Donizetti (was sie nicht per se besser macht) und viel dichter als in Bellinis Opern ein paar Jahre zuvor. Abgesehen von Odoardos Arie gibt es wenig oder gar keine fioritura in den Gesangslinien. Aber vielleicht spielt das alles keine Rolle. Ich habe die Musik geliebt und fand sie bei einmaligem Hören sehr beeindruckend; ich verließ den Saal mit einem Gefühl der Dankbarkeit gegenüber dem Team der Opera Rara und allen Musikern, die diese Wiederbelebung einer 180 Jahre lang ungehörten Oper möglich gemacht haben. Die nächste Etappe sollte eine Theateraufführung sein.

Mercadantes Oper „Il proscritto“: Ramon Vargas und Dirigent Carlo Rizzi/ Foto Russell Duncan/ OR

Aber hier habe ich zwei Vorbehalte. Der erste ist, dass ich trotz des melodischen Reichtums nicht finde, dass sie in meinem Gedächtnis haften bleibt, und ich verlasse den Saal (entweder in der Pause oder am Ende des Abends) gerne mit einer Melodie, die in meinem Kopf schwirrt, etwas, das immer beim ersten Hören einer Verdi-Oper passiert ist und fast immer bei Donizetti. Bei Mercadante war das nur bei Il giuramento (das Duett für Bianca und Elaisa gegen Ende der Oper – 2002 live in Wexford gehört) und Orazi e Curiazi (eine Phrase im concertato des 1. Aktes, wie sie auf der Opera Rara-Aufnahme zu hören ist – und letzteres ist ein (vielleicht unbeabsichtigter) Kopie von Rossinis La donna del lago! (Siehe meinen Artikel im Newsletter 140).

Mein zweiter Vorbehalt betrifft den schieren Umfang dieser wunderbaren konzertanten Sätze. Ich habe sie im Konzert nicht gemessen, aber sie schienen ähnlich lang zu sein wie der im Finale des 1. In der Opera Rara-Aufnahme dauert es über 8 Minuten. Vergleichen Sie dies mit dem concertato in Donizettis Lucia, dem berühmten Sextett, das weniger als 4 Minuten dauert. Ich fürchte, dass 8+ Minuten einfach zu lang sind, um die Bühnenhandlung aufrechtzuerhalten, während Donizetti die Balance zwischen Aktion und Reflexion genau richtig hinbekommt. Übrigens ist die Struktur beider Sätze im Grunde die gleiche: A1A2B1B2C1C2, gefolgt von einer Kadenz und einer coda (obwohl die coda vielleicht eine etwas zu große Bezeichnung für die beiden Akkorde ist, die das Lucia-Sextett beenden). Jeder Teil des Orazi-Stücks ist doppelt so lang wie sein Gegenstück in Lucia. Das macht es zu einem wunderbaren Hörerlebnis, ob im Konzertsaal oder zu Hause auf CD, aber ich habe meine Zweifel, ob es auf der Bühne dramaturgisch sinnvoll ist.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es ein wunderbarer Abend war. Il proscritto reiht sich in eine lange Liste von Opera Rara-Wiederentdeckungen ein und schien mir schon beim ersten Hören ein vollwertiges Beispiel dafür zu sein, was Opera Rara ausmacht. Ich freue mich sehr auf die CD-Veröffentlichung und darauf, die Oper besser kennen zu lernen. Und ich freue mich darauf, den Tristan-Akkord zu entdecken, den Roger Parker uns verspricht, auch wenn ich ihn an diesem Abend verpasst habe. Alan Jackson/ Übersetzung G. H.

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Mercadantes Oper „Il proscritto“: der französische Dramatiker Fréderic Soulier (1800 – 1847)/ Opera Rara

Alas, nun ist hinterlässt ja ein Konzert als einmaliges und emotional befeuertes Hör-Erlebnis einen ganz anderen Eindruck als das wiederholte Abhören einer Studio-CD im eigenen Wohnzimmer mit Lautsprechern, Gardienen und Topfblumen. Es gibt einen akustisch exzellenten privaten Mitschnitt der oben erwähnten Aufführung aus dem Londoner Barbican von 2022, der Alan Jacksons Begeisterung nachvollziehen lässt, weil ganz offensichtlich der Abend alle Beteiligten zu großem, absolut nachvollziebarem Engagement geführt hat. Ich hab ihn oft und mit viel Vergnügen  abgehört. Sowohl Carlo Rizzi mit superben, flotten Tempi und einer gut aufgefächerten Dynamik wie auch die Sänger zeigen sich in Bestform. Die Saal-Akustik tut neben der ganz offensichtlichen Begeisterung der Zuhörer das Ihre zu einem rasanten Erlebnis, das auch den Hörer enthusiasmiert mit dem Fuß wippen lässt.

Alas, würde der Engländer sagen, live ist eben nicht Studio. Nun – kalt aufgenommen und sicher auch dem Regiment des Tonmeisters/ Produzenten unterworfen – wirkt die neue Aufnahme auf mich eher unbelebt, weniger spontan, vielleicht in einzelnen takes zu oft zur gewünschten Perfektion wiederholt, wie das bei Studioaufnahmen leider üblich ist, wo der letzte Ton bis zur Erschöpfung wiederholt wird, bis er „sitzt“ – auf Kosten von Spontanität und Ausdruck. Wie bei jpc (die auch keine Live-Mitschnitte präferieren) ist dies eine No-public-Studioeinspielung der getragenen, etwas rumsigen Tempi, die die Defizite der Sänger greller beleuchtet als sie in einem schmissigen Konzert auffallen, wo das mitreißende Engagement des Moments über weniger Perfektes hinwegträgt (Nicolais Rückkehr des Verdammten aus Chemnitz oder Meyerbeers Vasco da Gama bei jpc sind hier die besten Beispiele, wo die Live-Konzerte viel überzeugender waren als die „kalten“ Aufnahmen zwischen den Aufführungen im leeren Saal).

Mercadantes Oper „Il proscritto“: Der Librettist Salvatore Cammarano (1801 – 1852/ Opera Rara

Das betrifft vor allen den Tenor, dessen Mittel doch viel fortgeschrittener sind als erinnert, und die Mikros im Studio tun ihm (bei recht steifer Höhe) absolut keinen Gefallen. Auch Irene Roberts „(berührend als Malvina)“ und  Elizabeth DeShong „(sensationell in Odoardos großer Arie)“ unterscheiden sich im dunklen Timbre für mich zu wenig, um sie ohne Libretto in der Hand auseinander zu halten (zumal die Handlung auch gelinde gesagt etwas verwirrend ist). Irene Robert ist mir viel zu unitalienisch-gauming, zu unruhig im Ton und beide zu wenig dem Wort verpflichtet. Für Miss DeShong gilt nämliches. Auch wurden meine alten Vorurteilen gegen Sally Mathews auf dieser Einspielung nicht widerlegt: gaumig-quallig. Allerdings schlägt sich Iván Ayón-Rivas als Giorgio recht tapfer und bringt eine solide dunkle Note ins Geschehen bringt. Aber die Besetzung bis auf Vargas und Ayón-Rivas ist mir zu cis-alpin, zu insular, zu blutarm, zu wenig Neapel oder Palermo. Das ist natürlich Geschmackssache und für mich oft bei den Besetzungen von Opera Rara zu bemängeln. Bei allem Maulen ist dies dennoch eine außerordentlich lobenswerte Ergänzung zum immer umfangreicher werdenden Katalog der Mercadante-Opern. Und man muss schon deshalb wieder einmal Opera Rara für die Initiative selbst und die wie stets tolle Ausstattung des CD-Klappmanns (ganz ökologisch keine dicke Box mehr) loben. Ecco. G. H.

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Die Handlung: Die Oper spielt in der Mitte des 17. Jahrhunderts, während der Herrschaft Oliver Cromwells, in einem Schloss in der Nähe von Edinburgh sowie dessen Umgebung. Einige Zeit vor Beginn der Handlung hatte Malvina Douglas den für die Sache der Royalisten einstehenden Giorgio Argyll geheiratet, der jedoch in einen Schiffbruch geriet und totgeglaubt ist. Malvinas Mutter Anna sowie deren
Sohn aus einer früheren Ehe, Guglielmo Ruthven (ein Unterstützer Cromwells), drängen sie nun, Arturo Murray zu ehelichen (der ebenfalls auf der Seite Cromwells steht). Die Handlung beginnt am Tag von Malvinas und Arturos geplanter Hochzeit.

Zu Mercadantes „Proscritto“: Oliver Cromwell, Gemälde von Samuel Cooper 1656/ Wikipedia

1. Akt Festlich erleuchtete Gärten. Auf einer Seite führt eine prächtige Treppe zum Schloss hinauf, vor dem eine Bühne aufgebaut ist; darauf hat ein Orchester Platz genommen. Im Hintergrund liegt ein See, man sieht zahlreiche Boote, aus denen Damen, Ritter und Verwandte der Familie Murray steigen. Die Familie Ruthven begibt sich vom Schloss herab, um die Gäste feierlich willkommen zu heißen. Osvaldo gehört zu den Wachposten, die die Szene umgeben. Die versammelte Menge feiert die Hochzeit, die Malvina und Arturo gleich begehen werden (Chor: „D’amistàle soavi catene“). Guglielmo drängt Osvaldo jedoch zu Wachsamkeit, da in der Umgebung royalistische Rebellen entdeckt wurden. Arturo tritt auf und besingt seine Liebe zu Malvina (Cavatine: „Son del tuo volto immagine“). Ein großer Raum in den Gemächern Malvinas. Rechterhand eine Tür, die zu den inneren Räumen führt, auf der anderen Seite ein Eingang, der auf einen Korridor hinausgeht.
Die Szene beginnt mit einem Gespräch zwischen Clara, einer einstigen Bediensteten Giorgios und jetzigen Zofe Malvinas, und Odoardo, Malvinas jüngerem Bruder, der zu ihrer bevorstehenden Hochzeit aus London herbeigeeilt ist. Malvina tritt ein und schildert Odoardo den Schiffbruch, bei dem Giorgio ums Leben gekommen ist. Dann berichtet sie ihm von den Plänen ihrer Mutter und Guglielmos, sie mit dem
Cromwell-Unterstützer Arturo zu verheiraten. Zunächst habe sie ob dieses Ansinnens Gift nehmen wollen, doch im Laufe mehrerer Begegnungen mit Arturo sei zwischen ihnen ein Gefühl von Liebe entstanden. Allerdings wird Malvina beim Gedanken an ihren früheren Mann von Schuldgefühlen gequält. Odoardo versucht, sie zu trösten (Duett: „Il mar che freme“). Frauen kommen hinzu und führen Malvina zu ihrer Hochzeit. Giorgio trifft ein, Osvaldo begrüßt ihn. Giorgio bittet, mit Clara sprechen zu dürfen, weigert sich aber, seinen Namen zunennen. Osvaldos Verdacht ist geweckt, er geht davon. Giorgio ist voll Vorfreude auf das Wiedersehen mit seiner geliebten Malvina (Romanze: „L’aura ch’io spiro“), er ist überzeugt, dass ihn nach allem, was er durchgemacht hat, keiner der Gäste erkennen wird. Malvina kommt nach der Hochzeitszeremonie hinzu. Vor Entsetzen, so unvermittelt Giorgio gegenüberzustehen, schreit sie auf,
doch dann hört sie sich nähernde Schritte und bringt ihn, um seine Sicherheit fürchtend, in ihre Gemächer. Die Hochzeitsgesellschaft kommt, Osvaldo erzählt Guglielmo im Flüsterton, dass sich der unbekannte Gast wohl in Malvinas Räumen aufhalten müsse. Malvina will ihre offensichtliche Erregung leugnen, sinkt aber halb ohnmächtig in die Arme der sie umgebenden Frauen. Alle auf der Bühne Versammelten schildern ihre widerstreitenden Gefühle – Verzweiflung (Malvina), Bestürzung (Odoardo, Arturo), Verdacht (Guglielmo, Osvaldo) und Sorge (Anna, Clara) (Concertato: „Omai l’arcan terribile“). Guglielmo und Osvaldo beauftragen Bewaffnete, Malvinas Räume zu durchsuchen, doch Odoardo stellt sich schützend vor die Tür. Schwerter werden gezogen, da erscheint unvermittelt Giorgio. Er gibt seine Identität nicht preis, sagt aber, die Witwe Giorgio Argylls könne die Wahrheit über ihn offenbaren. Guglielmo befiehlt, den Fremden festzunehmen, wogegen Giorgio sich zunächst wehrt, doch dann händigt er Odoardo sein Schwert aus und fordert seine Widersacher auf, ihn zu töten und seinen Kopf vor das Brautpaar zu legen. Der Akt endet in allgemeinem Durcheinander („Il cor ne avvampa“).

Zu Mercadantes Oper „Il proscritto“: Titelblat zum Drama in 5 Akten, „Le proscrit“ von Fréderic Soulié und Thimothée Dehay/ Opera Rara

2. Akt Später am selben Tag. Ein Raum in den Gemächern, die Arturo überlassen wurden; er sitzt an einem Tisch, auf dem ein Schriftstück liegt. Osvaldo sagt Arturo, dass Guglielmo nach Edinburgh aufgebrochen sei, er wolle eine Truppe zusammenstellen, die den Fremden dorthin bringen solle. Als Osvaldo gegangen ist, liest Arturo einen Brief, den er von Malvina erhalten hat. Sie bittet ihn, dem Fremden zu helfen, der ein Freund ihres verstorbenen Ehemannes sei. Giorgio wird hereingebracht, und als sie allein sind, bietet Arturo ihm an, ihn freizulassen. Das aber weist Giorgio wütend von sich und offenbart zugleich, dass Malvina ihn früher geliebt habe. Damit bricht ein offener Konflikt zwischen den beiden Männern auf (Duett: „Ah! perché rovente acciaro“). Arturo verspricht Giorgio, ihm ein Schwert zu geben, damit sie bei Tagesanbruch ein Duell auf den Tod führen können. Mächtige Klippen, die zum Teil über das Meer hinausragen. Es ist Nacht, der Mond ist von Wolken bedeckt. Aus einer Höhle, deren Eingang hinter Dickicht verborgen liegt, treten Männer ins Freie, sie sind in Umhänge gehüllt: Dies sind die Verbannten, Giorgios Gefährten.Die Männer beschwören die dunkle Nacht und ihr Wanderdasein (Chor: „Ha steso la notte“). In der Ferne hören sie Dudelsäcke spielen, die stetig näherkommen. Odoardo trifft ein und sagt, dass er ihnen helfen könne, Giorgio zu retten. Zum Beweis seiner Vertrauenswürdigkeit berichtet er ihnen, dass Giorgio seinem und Malvinas Vater zu Hilfe gekommen sei, ihn vor den Henkern des Königs gerettet und um dessen Leben gefleht habe (Arie: „Ahi! del giorno sanguinoso“). Die Verbannten billigen Odoardos Rettungsplan und brechen zum Schloss auf. Im Inneren eines Turms. Rückwärts ein Balkon, seitlich eine Tür. Giorgio schläft, er träumt unruhig von Malvina, als sie und Odoardo hinzukommen. Odoardo wirft eine Strickleiter vom Balkon hinunter, sagt Malvina warnend, dass bald der Morgen graut, und geht davon. Giorgio erwacht, und Malvina teilt ihm mit, dass seine Gefährten auf ihn warten. In einem leidenschaftlichen Duett („Stretto agli avanzi fragili“) schildert Giorgio seine Verzweiflung nach dem Schiffbruch und seinen Schmerz, sie jetzt zu sehen. Als sie ihm jedoch sagt, dass sie mit ihm fliehen werde, bittet er sie, bei ihrem jetzigen Gemahl zu bleiben, anstatt mit ihm das Leben eines Vagabunden zu führen. Sie weigert sich und tritt auf den Balkon, und in dem Moment treffen Arturo und Guglielmo mit ihrem Gefolge ein. Arturo wirft seiner Braut Verrat vor, doch Giorgio verteidigt ihre Ehre und sagt, sie habe mit ihrem Gemahl fliehen wollen. Diese Offenbarung seiner Identität führt zu einem weiteren großartigen Ensemble (Concertato: „Tutta in lui piombò del fato“). Dann händigt ein Offizier Arturo einen Brief von Cromwell aus, der ihm das Verhör des Gefangenen überträgt und, sofern dieser schuldig sei, auch dessen Hinrichtung. Malvina, Odoardo und der Chor flehen Arturo an, Gnade walten zu lassen, doch sowohl er als auch Giorgio stehen sich unverändert feindlich gegenüber.

Zu Mercadantes „Proscritto“: The Battle of Naseby 1645, die entscheidende Schlacht zwischen Royalisten und Cromwellianern, Gemälde von Charles Landseer (1799 – 1879)/ Wikipedia

3. Akt Früh am nächsten Tag. Ein großer Raum neben dem Turm, hinten eine Tür. Giorgio sitzt, Malvina steht in großer Erregung in der Nähe der Türschwelle. Jenseits davon patrouillieren zwei Wachposten. Giorgio und Malvina warten auf Arturos Entscheidung. Giorgio wünscht sich den Tod, doch Malvina nimmt ihm das Versprechen ab, dass er sich zu leben entscheidet, wenn sie ihm zeigen kann, dass seine Befürchtungen wegen ihrer Zukunft mit Arturo unbegründet sind. Odoardo tritt ein und sagt, dass Arturo nach Giorgio geschickt habe. Giorgio geht mit Odoardo ab. Allein zurückgelassen, beschließt Malvina, dass sie sich töten muss, wird aber von Arturo unterbrochen, der ihr sagt, es stünde ihr frei, mit Giorgio fortzugehen. Malvina lehnt das Angebot ab und gesteht schließlich, dass sie Arturo trotz Giorgios Rückkehr nach wie vor liebe. Arturo ist überglücklich, doch Malvina sagt ihm ernst, nur im Himmel könnten sie vereint sein (Duett: „Vanne dunque“).Malvina tritt ab, und Giorgio stürmt herein, er hat den letzten Teil von Malvinas Gespräch mit Arturo gehört. Wieder fordert er seinen Rivalen heraus, der ihn zu beschwichtigen versucht, sich aber schließlich doch zu einem Duell bis auf den Tod aufstacheln lässt. Gerade wollen sie aufbrechen, als Malvina leichenblass hereintaumelt. Sie sagt, sie habe Gift genommen, und fleht beide an, ihre Versprechen ihr, Malvina, gegenüber zu erfüllen. Als sie zu Boden sinkt, eilt Giorgio zu ihr und bedeutet Arturo zu gehen. Seine letzten Worte lauten: „Spenta o viva è mia tuttor!“ (Ob tot oder lebendig, sie ist auf ewig mein!). © Roger Parker, 2023 – Übersetzung: Ursula Wulfekamp/Opera Rara

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Saverio Merrcadante: Il proscritto; Melodramma tragico in three acts, Libretto by Salvadore Cammarano, Premiered on 4 January 1842, Teatro San Carlo, Naples; Carlo Rizzi dirigiert die Britten Sinfonia und den Opera Rara Chorus; Ramón Vargas Giorgio Argyll, Iván Ayón-Rivas Arturo Murray, Irene Roberts Malvina Douglas, Elizabeth DeShong Odoardo Douglas Sally Matthews Anna Ruthven, Goderdzi Janelidze Guglielmo Ruthven, Susana Gaspar Clara, Alessandro Fisher Osvaldo, Niall Anderson An official of Cromwell; Recorded in studio conditions at Henry Wood Hall, June 2022, Opera Rara, 2 CD ORC62; 

Dank vor allem an Roger Parker für seine großzügige Genehmigung, Teile seines Artikels und die Inhaltsangabe aus dem Booklet der neuen Aufnahme in unserer Übersetzung zu übernehmen; Dank auch an Alan Jackson, seine auf der website der Londoner Donizetti Gesellschaft veröffentlichte Kritik des Konzertes 2022 in ebenfalls unserer Übersetzung übernehmen zu dürfen. Foto oben: Tyrone Power und Maureen O´Hara in „The black swan“/ Henry King 1957/ Die bisherigen Beträge in unserer Serie „Die vergessene Oper“ finden Sie hier.

Solo Strauss

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Ihre erste CD bei Sony war noch ein wildes Mit- und Durcheinander von italienischer, deutscher, slawischer Musik, und sogar ein bisschen Operette war auch dabei nebst einem Puccini-Duett mit Jonas Kaufmann. Auf der zweiten CD nun gibt es keinen Star-Kollegen als schmückendes Beiwerk dafür aber ein so nachvollziehbares wie sinnvolles Programm mit Richard Strauss‘ Vier letzten Liedern und der Mondscheinmusik plus anschließendem Monolog der Gräfin aus Capriccio. Fast gleichzeitig mit dem Erscheinen der CD sollte eigentlich an der Deutschen Oper Berlin Arabella mit dem Sopran in der Titelpartie Premiere feiern. Diese aber sagte Rachel Willis-Sørensen ab, und peu à peu trat sie auch von allen weiteren Vorstellungen zurück.

Dabei beweist ihre Strauss-CD, dass die amerikanische Sängerin das Rüstzeug für den bajuwarischen Komponisten hat, sie sang bereits mehrfach die Marschallin und  2021 in Paris die Vier letzten Lieder, die sie zudem zur Geburtstagsfeier von damals noch Prince Charles im Buckingham Palace zu Gehör brachte.

Nicht nur die Lieder sind die letzten die Strauss komponierte, auch die Oper Capriccio ist sein letztes Bühnenwerk, 1942, ein Jahr vor  der Bombardierung der Münchner Staatsoper, entstanden, während die Lieder nach Kriegsende in den Jahren 1946 bis 1948 komponiert  und erst posthum von Kirsten Flagstad im Jahre 1950 uraufgeführt wurden. Fassungslos hatte der Komponist vor den Trümmern des Opernhauses gestanden, dessen Verlust er als den erschütterndsten seines Lebens empfand, das Schicksal Dresdens und Weimars beklagte er später, und man kann darüber spekulieren, wie viel von diesen Empfindungen in sein letztes Werk eingeflossen ist.

Es beginnt mit dem fast zwei Oktaven umfassenden Frühling, in dem der Sopran beweisen kann, dass er über die notwendigen Voraussetzungen für eine Beschäftigung mit Strauss verfügt, über eine sichere Höhe, die ein A im Pianissimo nicht scheuen muss, ein reiches Farbspektrum, eine Reife und Fülle, die es mit einem robusten Orchesterklang aufnahmen können, das feine Umspielen von „selige“. Unüberhörbar ist aber leider auch die verwaschene Diktion, die man einem Strauss-Sopran notgedrungen in einer der berüchtigten Opernpartien noch verzeihen muss, nicht aber im Liedgesang, vor allem wenn der Dirigent Andris Nelsons und das Gewandhausorchester Leipzig keinerlei Anlass dafür geben. In September erfreuen die weitgespannten Bögen und Klanggirlanden, das verhangene „trauert“ und das matte „leise“. Eine gute Mittellage und eine aufblühende Höhe werden für Beim Schlafengehen eingesetzt, während das Orchester zwischen der zweiten und dritten Strophe seine hervorragenden Qualitäten unter Beweis stellt. Das getragene Im Abendrot schließlich beeindruckt besonders durch das schöne Legato, den Schwellton auf „Freude“.

Wunderbar wie in Capriccio der Mondschein den Raum zu überfluten scheint, ehe der Haushofmeister mit der schlanken Stimme von Sebastian Pilgrim das Wort ergreift. Willis-Sorensen unterscheidet fein zwischen Sonettvortrag und Reflektion, hat im Konversationston auch immer eine leichte Melancholie und lässt die Stimme in der Höhe aufblühen. Vom beiläufig Plaudernden bis hin zur Emphase werden viele Möglichkeiten der Darstellung klug ausgeschöpft bis hin zum Fahlwerden des Soprans auf „Tod“. Alles in allem lässt die CD bedauern, dass man die Arabella von Rachel Willis-Sørensen (noch) nicht in Berlin erleben durfte (Sony 19439921722). Ingrid Wanja

Auf barocken Abwegen

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Verwundert nimmt man den Titel der neuen CD von Michael Spyres bei seiner Stammfirma ERATO zur Kenntnis: Contra-Tenor? Schon bei seiner letzten Platte Baritenor hatte der amerikanische Tenor zwei Stimmfächer bedient, sollte er sich nun noch in einem dritten versuchen? Wörtlich übersetzt, bedeutet Contra-Tenor allerdings die Gegenstimme zum Tenor, wie sie in der Musik des Mittelalters und der Renaissance zum Einsatz kam. In seinem Einführungstext im Booklet spricht der Sänger über die Kategorisierungen der männlichen Stimmen im Barock: Tenor, Contre-Tenor, HauteContre, Baritenor… Sänger dieser Gattung wurden bald als tenori assoluti zu den Konkurrenten der gefeierten Kastraten. Komponisten schrieben für sie Partien von Königen und Göttern, welche diese Sänger mit Schönheit, Technik, Virtuosität und Kraft interpretierten. Legendäre Vertreter dieses Stimmtyps waren beispielsweise Francesco Borosini, Annibale Pio Fabri, Angelo Maria Amorevoli und der Deutsche Anton Raaff, der im höheren Alter von 65 Jahren noch die Titelrolle in Mozarts Idomeneo kreierte. Die Kunst dieser divi wollte Spyres mit seinem Album (5054197293467) wieder zum Leben erwecken. Zweifellos ist das ein verdienstvolles Unterfangen, doch erklärt das nicht die Wahl der Stimmgattung im Titel der CD. Denn Spyres singt fasst nur Tenorpartien und keine von Kastraten, welche in unserer Zeit von Sopranisten,  Countertenören oder Altisten wahrgenommen werden.

Das Programm umfasst 15 Titel von 15 verschiedenen Komponisten, darunter drei Weltersteinspielungen, beginnend mit zwei kurzen Ausschnitten aus Jean-Baptiste Lullys Persée. Im zweiten, einer Passacaille, hat das begleitende Ensemble Il Pomo d’Oro unter Francesco Corti Gelegenheit für ein animiertes Musizieren. Auch vom anderen großen Vertreter des französischen Barock, Jean-Philippe Rameau, findet sich ein Tonbeispiel mit dem sanften Air des Neptune, „Cessez de ravager la terre“, aus Naïs, in welchem Spyres die Stimme schweben lassen kann und sie raffiniert moduliert.

Aus dem Schaffen von George Frideric Handel wurde die Szene des Bajazet, „Empio, per farti guerra“, aus Tamerlano ausgewählt.

Hier klingt die Stimme des Interpreten heroisch und mächtig, wird mit vehementem Einsatz geführt – der Ausschnitt wirkt besonders gelungen. Es folgt aus Antonio Vivaldis Artabano, re de´ parti die Arie des Titelhelden „Cada pur sol capo audace“, in der Spyres seine resonante Mittellage wirkungsvoll einsetzen kann. Besonders virtuose Musik komponierte Leonardo Vinci, wovon die Arie des Titelhelden aus Catone in Utica, „Si sgomenti alle sue pene“, zeugt, welche dem Sänger bravouröse Koloraturgirlanden abverlangt. Spyres absolviert sie mit Glanz. Ähnlich anspruchsvoll für den Sänger sind die Opern von Nicola Porpora, von denen Segestos „Nocchier, che mai non vide“ aus Germanico in Germania ausgewählt wurde. Es ist eine Gleichnis-Arie vom Steuermann in hüpfendem Melos, mit virtuosen staccati und extrem hohen Noten, die Spyres lustvoll vorträgt. Einen schönen Kontrast bringt das wiegende „Fra l’ombre“ des Ulisse aus Domenico Sarros Achille in Sciro, dessen Melismen der Tenor genüsslich auskostet, in der exponierten Höhe allerdings einige forcierte Töne nicht vermeiden kann.  Solche finden sich auch in der schwärmerischen Arie des Titelhelden „Vil trofeo d´un´alma imbelle“ aus Baldassare Galuppis Alessandro nell´Indie.

Weniger bekannt ist der Komponist Gaetano Latilla, doch stammt das Libretto zu seiner Oper Siroe, re di Persia immerhin von Pietro Metastasio. Daraus erklingt als eine der Weltpremieren die stürmische Arie des Cosroe „Se il mio paterno amore“, die das Orchester mit Vehemenz einleitet. Spyres singt sie mit höchster Bravour und totalem gestalterischem  Engagement. Von Johann Adolf Hasse ist die Arie des Segesto „Solcar pensar un mar sicuro“ aus Arminio zu hören – auch diese ein Gleichnis von Himmel und Meer, nur weniger dramatisch, doch dafür mit höchster Tessitura. Auch Antonio Maria Mazzoni zählt zu den weniger populären Barockmeistern. Aus seiner Oper Antigono ist die Arie des Titelhelden „Tu m´involasti un regno“ zu hören, der darin energisch auftrumpft, allerdings auch einen schmerzenden Extremton absolvieren muss (die frühere Gesamtaufnahme aus Martina Franca mit Spyres ist bei Dynamic noch im Programm).

Bekanntester Titel der Anthologie ist Orphées „J’ai perdu mon Euridice“ aus Christoph Willibald Glucks Oper. Die empfindsame Gestaltung des Sängers reiht sich würdig ein in die zahllosen Modell-Interpretationen dieser Nummer. Mozarts Frühwerk Mitridate, re di Ponto erlebte in jüngster Zeit eine bemerkenswerte Wiederbelebung. Spyres selbst hat die Titelrolle Ende 2020 in einer Gesamtaufnahme von ERATO interpretiert und stellt auf diesem Recital noch einmal Mitridate Arie „Se di lauri“ vor. Sie spiegelt im Vortrag des Sängers Größe und Würde des Herrschers wider. Das Programm endet mit Médors „En butte aux fureurs de l’orage“ aus Niccolò Piccinnis Roland. Es ist eine Partie, welche bei der  Uraufführung tatsächlich von einem Haute-Contre, dem bekannten Joseph Legros, verkörpert wurde. Dieses Gleichnis vom tobenden Sturm ist ein effektvoller Abschluss, in welchem auch das begleitende Ensemble mit Bravour aufspielt. Und der Solist kann noch einmal mit virtuosen Koloraturläufen und gestalterischer Verve glänzen. Bernd Hoppe

Bis zum Frühstück ist alles erledigt

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Im Gegensatz zu der wegen ihrer politischen Sprengkraft ursprünglich wenig genehmen Halka, die heute als polnische Nationaloper gilt, war Stanislaw Moniuszkos Idyllen, die das Polen des 18. Jahrhunderts auf die Opernbühne zauberten, von Anfang ein großer Erfolg beschieden. Dazu gehört auch der 1861 an dem von ihm seit 1858 geleiteten Teatr Wielki in Warschau uraufgeführte Einakter Verbum nobile (Das Ehrenwort). Bereits die leichtfüßige Allegro vivo-Ouvertüre illustriert auf charmierende Weise den anbrechenden Morgen auf dem Landgut des Pan Serwacy, wo der Diener Bartholomiej die jungen Leute zu Ehren von Serwacys Tochter Zuzia zu einem Huldigungschor aufstellt. Wie ein Sonnenstrahl über einer altpolnischen Ideallandschaft verströmt diese Genreszene eine wohlige Gemütlichkeit, so dass sich die kleinen Turbulenzen während Zuzias Namenstag im Lauf des gut einstündigen Einakters bis zum Frühstück bequem klären lassen und im Polka-Quintett der fünf Protagonisten mit Chor die zunächst aussichtslos scheinende Heirat des jungen Paares gefeiert werden kann. Zuzia hat sich in Stanislaw verliebt, den sie durch einen Kutschunfall kennenlernte. Beide gestehen sich walzerselig ihre Liebe, werden aber vom Serwacy daran erinnert, dass er einst seinem Freund Pan Marcin sein Ehrenwort gegeben habe, dass Zuzia dereinst dessen Sohn heiraten werde. Das Ehrenwort ist heilig. Da hilft keinen Weinen. Stanislaw versteht das. Zuzia jammert. Nun erscheint Pan Marcin und preist in höchsten Tönen die Verzüge seines Sohns Michal, der in einer Woche ankommen werde, worauf sofort die Hochzeit stattfinden könne. Kurz zerstreiten sich Serwacy und Martin, als Serwacy erzählt, seine Tochter habe Gefühle für einen Fremden entwickelt, der ihr bei einem Unfall zu Seite gestanden habe. Rechtzeitig klärt Stanislaw alles auf. Er ist Martins Sohn Michal, der sich nach dem Unfall im Hause des Nachbar Serwacy mit anderem Namen einführte, damit sein Vater nichts von dem Unfall erfahre. Das Libretto stammt von Jan Checinski, der darin eine Rückbesinnung auf nationale Tugenden und Identität beschwört, wie sie später auch im Gespensterschloss eine Rolle spielt, und Landadel und Bauern als große Familie zeigt. Zum Motor werden polnische Traditionen, wie Mazurka und Polonaise, die Moniuszko gekonnt mit westlichen Einflüssen mischte, man denke an Auber, ein wenig auch an südliche Buffolaune, die ihm als versiertem Kapellmeister natürlich vertraut waren.

Alles ist passgenau, keine Nummer zu lang, dazu gehören das nette Terzett der jungen Liebenden mit dem Brautvater, der aufschneiderische Vortrag des Marcin oder das Duett der Väter. Das Werk ist hübsch und würde, wie manche Einakter von Lortzing, Schubert, Mendelssohn-Bartholdy oder Weber, auf Minibühnen Beachtung verdienen.

Es ist ja nicht so, dass dieses hübsche Opernchen unbekannt ist, das sich in einigen nationalen LP-CD-Ausgaben bei Muza und anderen polnischen Labels findet (vergl. ein Blick zu Discogs), das uns zuletzt auf der DUX-Aufnahme aus Szczecin von 2010 begegnete; bereits 1969 spielte Robert Satanowski den Einakter in Posen ein. Kurze internationale Aufmerksamkeit auf CD sichert nun dem Ehrenwort der geradezu bravourös auffahrende Fabio Biondi, dessen Herz seit Jahren für Moniuszko schlägt – zuletzt bei der 2020 im Teatr Wielki entstandenen Hrabina. Im Rahmen des Chopin and his Europe-Festivals setzte Biondi sich im August 2021 für Verbum nobile ein, Mit dabei im Teatr Wielki waren, wie stets, Biondis Orchester Europa Galante und der Podlasie Opera and Philharmonic Choir. Adam Palka, vor allem durch seine Auftritte in Stuttgart (u.a. Leporello, Boris, Mefistofele), bekannt, ist als Bartolomiej das rund plappernde Bass-Faktotum, das seine Buffoarie elegant ausformt. Jan Martiník und Stanislav Kuflyuk sind als Serwacy und Marcin die gemütlich tiefstimmigen Gutsherren Serwacy und Marcin. Mit dunklem Sopran und elegischem Ton verleiht Olga Pasiecznik der Zuzia ein Gesicht, die bei Biondi erstmals ihre Dumka (Track 15) in der Version singen kann, die Moniuszko am Neujahrstag 1861 dirigierte. Mariusz Godlewski, wie Martiník bereits auf der Hrabina zu hören, klingt als Liebhaber Stanislaw/ Michal in seinem Couplet fast italienisch schwungvoll, allerdings nicht mehr so jugendlich, wie man ihn Zuzia wünschen würde. Die Ausstattung ist, wie immer in dieser Reihe, prachtvoll (1 CD NIFCCD09). Ich frage mich nur, wer sich noch so großzügig dimensionierte CD-Ausgaben ins Regal stellen will (07.04.23).  Rolf Fath

 

Flotte Nummer

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Eine Rarität legt OPUS ARTE auf Blu-ray Disc vor (OABD7309D). Damit ist natürlich nicht Handels Oratorio Semele gemeint, welches auf dem Musikmarkt vielfach vertreten ist, sondern dessen Aufführungsort – die New Zealand Opera. In der Holy Trinity Cathedral von Auckland haben Thomas de Mallet Burgess und Jacqueline Coats das Werk als Musical Drama inszeniert. Die Aufführung fand am 29. September 2021 statt. Die Ouverture wird mit Filmaufnahmen bebildert, welche Angehörige der britischen High Society bei den Vorbereitungen zur Hochzeit von Semele und Athamas zeigen. Das bietet dem Ausstatter Tracy Grant Lord Gelegenheit für eine opulente Kostümierung mit upper class-Roben samt extravaganten Hüten. Der New Zealand Opera Chorus und der Holy Trinity Cathedral Choir können gleich im feierlichen „Lucky omens bless our rites“ mit machtvollem Gesang aufwarten. „Hail Cadmus“ am Ende des 1. Aktes ist dagegen klanglich unausgewogen. Aber am Schluss können beide Ensembles mit dem jauchzenden „Happy, happy shall we be“ wieder punkten.

Prominent besetzt ist die Titelrolle mit Emma Pearson, die gleich zu Beginn im weißen Brautkleid ihr Los beklagt, soll sie doch Athamas heiraten und ist noch ganz erfüllt von ihrer vorherigen Begegnung mit Zeus. Dieser kommt in Ledermontur auf einem Motorrad herbei geprescht und stört nicht nur die Hochzeit empfindlich, sondern entführt gar die Braut. Am Ende des 1. Aktes fällt ihr der Hit „Endless pleasure“ zu, den sie wie eine Schlagersängerin ins Mikrofon singt und dabei auch strenge Töne hören lässt. Im 2. Akt hat sie mit „O sleep, why dost thou leave me?“ gleichfalls eine berühmte Nummer, die sie, auf einer großen Liege gebettet, mit recht larmoyantem Klang  absolviert. Ihr Glanzstück im 3. Akt ist „Myself I shall adore“, das ihr – wieder mit dem Handmikrofon – beachtlich gelingt. Sehr expressiv gezeichnet ist das Accompagnato „Ah me! too late“ bei ihrem Tod.

Die weiteren Interpreten sind hierzulande weniger bekannt, bieten aber ein solides Niveau. Amitai Pati ist der Jupiter und Apollo in bester britischer Oratorientenor-Tradition, was sein „Where’er you walk“ zum stimmlichen Fest werden lässt, Sarah Castle mit resolutem Mezzo die Göttergattin Juno und gefühlvollem Semeles Schwester Ino. Letztere liebt den Prinzen Athamas, den Stephen Diaz mit klangvollem Alt und starker Empfindung singt. Nach dem Willen des Königs Cadmus (Paul Whelan, der mit sonorem Bass auch den Somnus gibt) soll er Semele heiraten. Chelsea Dolman singt bemerkenswert die Iris mit substanzreichem. leuchtendem Sopran.

Mit Peter Walls steht ein kompetenter Dirigent am Pult des New Zealand Opera Baroque Orchestra, der die Dynamik der Musik, ihre Farben und Tempi zu optimaler Wirkung bringt. Der Titel des Klangkörpers sagt schon viel aus über seine Affinität zu diesem besonderen Musikstil und das authentische Klangbild hält dem  Vergleich mit renommierten Ensembles der Alten Musik durchaus stand. Bernd Hoppe