Von Strauss zu Hollaender & Weill

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So begeistert von der Zusammenarbeit mit der finnischen Sängerin Camilla Nylund bei den Proben zum Rosenkavalier an der Berliner Staatsoper war André Heller, dass er danach gleich noch ein neues Projekt mit ihr mit dem Great American Songbook startete, das bei Naxos als Blu-ray in Schwarz-Weiß erschienen ist. Wer nur das Audio-Erlebnis zu schätzen weiß, der ist mit der ebenfalls vorhandenen CD gut bedient. In Wahrheit handelt es sich um eine Auswahl von „masterpieces“, und so sehr American sind diese nicht, denn es handelt sich zum Teil um Werke von Friedrich Hollaender aus seiner deutschen Zeit wie „Ich bin von Kopf bis Fuß“ oder um Kurt Weill, allerdings aus dessen amerikanischer Zeit. Die extra für die Sängerin geschaffenen Arrangements stammen von Florian Sitzmann, Christoph Unterberger und Leonard Eröd.

Als erstes konstatiert der Hörer, dass der Sopran seine Opernstimme verleugnet, bereits in Cole Porters Ev’ry Time we say Goodbye nur das obere Register zu bemühen scheint, die Stimme kleiner und mädchenhafter erscheinen lässt, als man von ihren Bühnenauftritten gewohnt ist. Dadurch gewinnt der Vortrag auch eine besondere Intimität, zudem erfreut ein langes Nachspiel den Hörer. In Michel Legrands What are you doing the rest of your life geht das ORF Vienna Radio Symphony Orchestra unter Marin Alsop in die Vollen, steuert auch die Harfe Poetisches zum Klangbild bei und La Nylund lässt ihren Sopran in For all we know strahlen, ein schönes Vibrato für „Can’t help lovin‘“, danach exakte Synkopen vernehmen und auf „Love“ viel Süße in die Stimme einfließen , ehe ein lange gehaltenes „You“ den Vortrag beendet. Bewusst nicht einer der vielen Interpretinnen, darunter Ella Fitzgerald nacheifernd, weiß die Nylund ihren eigenen Zugang zu diesem Musikstück zu finden, reizvoll unterstützt vom sie begleitenden Saxophon. Angemessen verhangen klingt „ If I loved you“, und in Falling in love again vermeidet der Sopran jede Art der Nachahmung, bleibt immer nett und unschuldig bei viel Sinnlichkeit im Orchester und kann es doch nicht vermeiden, dass man Marlenes Ich bin von  Kopf bis Fuß nicht aus dem Sinn bekommt. Einen großen Teil des Reizes von I’ll be seeing you macht die begleitende Mundharmonika aus, für When I fall in love wird eine Gitarre bemüht, während die Stimme in schöner Nachdenklichkeit verharrt, „with you“ wie einen unendlichen Laut verhauchen lassend.

Das Fagott und die ausladende Gestik unterstreichen in They cant take von George Gershwin den vokalen Übermut und ein entschlossenes „No“ lässt keinen Zweifel an der Charakterstärke der Singenden aufkommen. Wenn es um die Liebe zu einem Taugenichts wie in Can’t help loving geht, kann auch einmal Rauch vorbeiziehen, eher kitschig als stimmungsfördernd wirkt das Eingreifen der Wiener Sängerknaben in The book of love. Wild bewegt geht es schließlich im Orchester zu bei Kurt Weills September Song, und wie ein Schluchzer klingt „tonight“ in Coots‘ For all we know, nachdem Ziehharmonika, Klavier und Saxophon für viel Stimmung in Hollaenders Illusions gesorgt haben.

Optisch wirkt, nicht zuletzt weil durchgehend schwarzweiß gehalten, alles wie ein Film aus den Zwanzigern, in denen auch viele Texte geschrieben wurden und viel von der Musik entstand. Akustisch findet die Sängerin ihren ganz eigenen Zugang zu den Songs, und die Aufnahme wird zusätzlich interessant durch die sehr abwechslungsreiche Instrumentierung (Naxos NBDO162V). Ingrid Wanja