Archiv für den Monat: August 2019

Hommagen an Birgit Nilsson zum 100.

 

Im Nachklapp des 100. Geburtstages von Birgit Nilsson hat die Swedish Society, das Label ihres Heimatlandes, Puccinis Turandot in schlichter Form neu aufgelegt. Es handelt sich um die Studioaufnahme der RCA von 1959. Erich Leinsdorf leitet Chor und Orchester der Oper Rom (SD 1166/7). Ein halbes Jahr zuvor hatte die Nilsson als Turandot bei der Saisoneröffnung der Mailänder Scala Triumphe gefeiert und damit ihre Position im internationalen Musikbetrieb nachhaltig gefestigt. Die Rolle war fortan für fast zwanzig Jahre mit ihrem Namen verknüpft. Kaum eine andere Sängerin kam an ihr vorbei. Mitschnitte aus unterschiedlichen Jahrgängen und eine zweite Studioproduktion liefern Beweise ihrer Unschlagbarkeit. 1959 ist die Stimme wie aus einem Guss, auch in extremer Lage völlig makellos. Sie könnte noch viel weiter hinauf, würden ihr nicht durch die Partitur Grenzen gesetzt. Die Tiefe, die nie ihre Stärke gewesen ist, klingt natürlich und besser angebunden als in späteren Jahren. Für Jussi Björling kam der Calaf zu spät. Stimmlich war er bereits durch Krankheit gezeichnet. Er wirkt matt und angestrengt. Im Jahr darauf ist er gestorben. Mit dem Abstand von sechzig Jahren, die seit der Aufnahme verstrichen sind, kann Renata Tebaldi als Liù nicht mehr überzeugen. Sie ist mir nicht lyrisch und jung genug. Routiniert wirkt der Timur von Giorgio Tozzi. So reduziert sich die Bedeutung dieser Einspielung letztlich doch ganz und gar auf die Nilsson.

 

„Es war als würde man von einem Laserstrahl getroffen. Gestochen scharf, im positiven Sinn, nicht aggressiv“, sagt der britische Regisseur von Opernübertragungen Brian Large über Birgit Nilsson. Er kommt in der Dokumentation „A League of her Own“ von Thomas Voigt und Wolfgang Wunderlich zu Wort. Sein Urteil ist wie ein Motto. Es macht neugierig, zieht die Zuschauer in den Film hinein, der anlässlich des hundertsten Geburtstages der Sängerin entstand und bei Cmajor/Unitel erschien, in Blu-ray und im herkömmlichen Format (800008). Eineinhalb Stunden reiht sich Clip an Clip. Fotos werden wie in einem Album aufgeblättert. Zeitzeugen geben sich die virtuelle Klinke in die Hand. Eine Weltkarriere, die sich über vier Jahrzehnt erstreckt, im Schnelldurchlauf. Manche Szene hätte ich mir noch ausführlicher gewünscht.

Auch der Tenor Jonas Kaufmann, der zu jung ist, um die Nilsson noch selbst auf der Bühne erlebt zu haben, kommt zu Wort. Er kennt keine Stimme, die „solche Dimensionen erreicht hat“. Meinungen aktiver Sänger sind auch deshalb nützlich, weil die Nilsson dadurch in der Gegenwart verortet und nicht nur als historisches Phänomen wahrgenommen wird. Sie wirkt weiter. Nicht nur als Projektionsfläche für Fans. Marilyn Horne, die genau so wie Kaufmann ihre Gesangstechnik rühmt, erinnert sich: „Für uns alle war sie wie ein Leuchtfeuer.“ Auch James Levine, der ehemalige Musikchef der Metropolitan Opera in New York, der die Nilsson gut kannte, lässt in seinem Urteil keine Zweifel aufkommen: „Es gab keine wie sie.“ Und der Regisseur Otto Schenk sagt in seiner lakonisch-trockenen Art: „Die Nilsson war die beneidetste Stimme, die ich kenne. Es kam alles mühelos. Man hat gar keine Technik gemerkt oder gespürt.“ Christa Ludwig: „Sie hatte keinerlei Schwierigkeiten. Sie konnte eben immer und jeden Tag singen.“ Angesichts ihrer Turandot, deren Auftrittsszene mit einer Filmsequenz der RAI von 1969 belegt wird, fasst der Dirigent Antonio Pappano seine Wahrnehmungen so zusammen: „Eine Stimme wie Feuer und Eis.“ Mühelos dringe sie durch den Klangteppich des Orchesters. Absolut „direkt und furchtlos“ sei der Ansatz der hohen Töne.

Die wenigen kritischen Anklänge in diesem Film kommen erst zum Schuss hin von der Sängerin selbst. Als sie 1980 nämlich zweifelt, ob es für die Elektra bei der ersten Fernsehübertragung aus der Met nicht zu spät sei. Levine und andere Kollegen widersprachen. Nein, sie sei nicht zu alt. Das Ergebnis, das in Ausschnitten zu sehen und zu hören ist, gibt der Sängerin Recht. Auch mit den Schallplatteneinspielungen wird – wie es im Film heißt – ein heikler Punkt berührt. Keine Technik war in der Lage, die Stimme realistisch einzufangen. Noch einmal Otto Schenk: „Das Wunder Nilsson war nicht auf der Platte, das Wunder war auf der Bühne mit einem vollen Orchester.“ Zitiert wird der Stimmenexperte Jürgen Kesting mit seinem Vergleich, Nilsson im Wohnzimmer zu hören sei wie Porsche fahren im Hinterhof.

Thomas Voigt ist einer der Autoren der Dokumentation. Er spricht auch den begleitenden Text auf der deutschen Tonspur. Foto: Facebook

Bis es soweit ist, wird an den vielen von Musik unterlegten Stationen ihrer glanzvollen Karriere Halt gemacht: Wien, Bayreuth, London, Mailand, New York, Stockholm, wo sie neue Rollen zuerst ausprobierte. Ihre ausführlich behandelte Herkunft von einem Bauernhof im Süden Schwedens bildet zu dem Glanz dieser Städte gar keinen Kontrast. Es scheint, als habe ihre robuste Jugend, in der sie auf dem Feld arbeitete und Kühle molk, erst die Grundlage für die lange und strapaziöse Karriere gelegt. Auf Teufel komm raus und gegen alle Widerstände wollte sie Sängerin werden. Sie überlebte die Galeerenzeit an der schwedischen Musikakademie, wo ihr der schottische Tenor Joseph Hislof, der mit einem Ausschnitt aus seiner traumhaften Gralserzählung zitiert wird, zunächst abfällig bedeutete, dass der Sängerberuf absolut nichts für Bauen sei. Man könne zwar Stimme, müsse aber auch Hirn haben. Später gestand er seinen Irrtum ein. 1946 dann das – und zwar als Einspringerin – das Bühnendebüt als Agathe unter dem unerbittlichen Leo Blech, der sie bei den Proben zu Tränen der Verzweiflung brachte. Der Erfolg war auf ihrer Seite, Publikum und Kritik eins in ihrer Begeisterung. Darauf folgte unmittelbar Verdis Lady Macbeth mit dem Dirigenten Fritz Busch, der sich fürsorglich ihrer annimmt und damit auf ganz gegensätzliche Weise zu Blech Anteil an ihrer Laufbahn nahm. Später, auf dem Höhepunkt ihres Ruhm, staunte sie selbst, dass sie sich diese Rolle habe zutrauen können. 1965 sang sie die Rolle abermals in Stockholm – und zwar für das Fernsehen. Es gibt einen Ausschnitt aus der Wahnsinnsszene. Der Aufstieg in die höchsten Lagen ist so perfekt, dass er schon in die Nähe der Lucia gerät. Und es stellt sich mir die Frage, ob ihre Stimme nicht durch den permanenten Einsatz im strapaziösen hochdramatischen Fach nicht an Leichtigkeit einbüßte, die über diesem Dokument schwebt. Diesen Film würde ich gern komplett sehen. Ob in der Garderobe, in Talk-Runden oder in Interviews: Sie war witzig, schlagfertig, auf eine unverwechselbare Art einfach und direkt. Mit ihr begann 1986 der Regisseur und Intendant August Everding seine legendäre Da-capo-Sendereihe, die es bis 1998 auf siebzig Folgen brachte.

Schließlich kehrt der Film auf anrührende Weise auf den um- und ausgebauten Bauernhof zurück, den die Nilsson, die ihre Herkunft nie verleugnete, bis zum Schuss bewohnte und der heute eine Gedenkstätte ist. In der Nähe liegt sie begraben. Ihr offenbar nicht unbeträchtliches Vermögen brachte sie in die Birgit Nilsson Foundation – das letzte große Projekt ihres Lebens – ein. Ziel dieser Stiftung ist die Anerkennung hervorragender Sänger und Musiker, die Musikgeschichte geschrieben haben. Erster Preisträger war auf ihren Wunsch 2009 Plácido Domingo, gefolgt von den Wiener Philharmonikern und Riccardo Muti. Der Preis ist mit einer Million Dollar dotiert und wird vom schwedischen König übergeben – wie der Nobelpreis. Domingo lässt das Geld den Gewinnern seines eigenen Gesangswettbewerb „Operalia“ zukommen. Da sei sicher im ihrem Sinne, sagt er im Film.

 

Szenenwechsel. Auf einem Berliner Flohmarkt fielen mir zwei Plattenkassetten in die Hände. Salome und Elektra von Strauss. Wie neu. Auf dem Deckel der Elektra prangten noch die Auszeichnungen wie Orden auf der Brust eines Feldherrn: Deutscher Schallplattenpreis und Grand Prix de Disque. Die kreisrunden Sticker waren aufgeklebt, ihre Erhabenheit mit der Fingerspitze zu ertasten. Erst in späteren Auflagen wurden sie in den Druck integriert. Ich hatte offenbar ein Original erwischt. Eines mit echtem Aufkleber. „Gutt Musik, Singer beriemt.“ Der Händler witterte ein Geschäft. Er wollte mich nicht von der Angel lassen. Für den Moment war ich tatsächlich versucht, die beiden Decca-Alben mit dem Leinenrücken für lumpige zwei Euro zu erwerben. Und damit zu retten. Zu retten vor dieser Misshandlung. Der schäbige große Pappkarton unter dem Wühltisch, den sich diese genialen Strauss-Einakter mit Heinz Erhard und Melodien von der Reeperbahn teilen mussten, schien mir nicht der passende Rahmen für die Präsentation und Aufbewahrung. Solche Kunstwerke gehören doch ins Museum, räsonierte ich vor mich hin. Wirklich?

Geht es nicht eine Nummer kleiner? Ist es nicht vielmehr auch so, dass mich beim Herumkramen in einer alten Kiste unverhofft eine schöne Jugenderinnerung heimsuchte, die ich nicht diesem profanen Flohmarktschicksal ausgesetzt wissen möchte? Da ist er nämlich wieder, dieser Schauer, als ich staunend und ergriffen neue Aufnahme im Schaufenster des Plattenladens erspähte und im Kopf schnell zusammenrechnete, wie viel für den Monat noch bliebe, wenn jetzt eine nicht geplante Ausgabe für die Salome fällig würde. Meine Generation, die sich Schallplatten oft noch von Munde absparen musste, tritt ab. Ihr Erbe hat nicht an Wert gewonnen. Landet es bei ebay oder auf einem Flohmarkt, ist das noch die gnädigste Lösung. Im schlimmsten Fall wird Vinyl als Sondermüll entsorgt. Ich werde die Schallplatte als Kulturgut nicht retten können.

La Nilsson. In der Edition der Decca zum 100. Geburtstag ihres einstigen Exklusivstars Birgit Nilsson (483 2787) am 17. Mai 2018 sind die CD-Boxen platzsparend auf das zusammengeschrumpft, was sie in Wirklichkeit sind, Tonträger. Die Aufnahmen selbst sind ja nicht verloren. Ausmaße und physisches Gewicht der repräsentativen Neuerscheinung bilden aber einen seltsamen Kontrast zu den Entwicklungen des digitalen Zeitalters, soviel Musik wie möglich auf immer kleiner werdenden Speichermedien unterzubringen oder mittels Streaming ohne mediale Zwischenlagerung auf direktem Wege von der Quelle zum Verbraucher zu bringen, unabhängig davon, wo der sich gerade aufhält. Die Edition gibt sich konservativ-großbürgerlich wie ein gedruckter Brockhaus in nüchternen Zeiten von Wikipedia. Als ob man es noch einmal zeigen will. Sammler wissen solche Angebote durchaus zu schätzen. Nicht nur der Exklusivität wegen. Obwohl auf den ersten Blick ziemlich ausladend, sind auch diese Editionen am Ende platzsparend. Gegen den Berg der vielen offiziellen Aufnahmen der Nilsson, ob nun auf LP oder CD, ist dieser feierliche Karton eine Miniaturschatulle. Uund unter dem Label der Universal-Tochter Decca sind nun auch Produkte der Deutschen Grammophon sowie von Philips und EMI einbezogen – die gesammelten Werke der Birgit Nilsson.

Für eine Künstlerin ihres Ranges ist das nicht unangemessen. Sechzehn verschiedene komplette musikdramatische Werke enthält die Edition. Im einzelnen sind das von Wagner der Ring des Nibelungen, die erste Walküre separat, Tannhäuser und zweimal Tristan und Isolde, von Weber Freischütz und Oberon, von Strauss neben Salome und Elektra auch Die Frau ohne Schatten, von Mozart zweifach Don Giovanni, von Beethoven Fidelio, von Verdi Macbeth, Un Ballo in Maschera, Aida und von Puccini Tosca, La Fanciulla del West sowie Turandot. Mehr als achtzig CDs kommen auch dadurch zustande, dass der Ring gleich zweifach vorhanden ist – als die Decca-Wiener Produktion unter Georg Solti und sowie der offizielle Bayreuther Philips-Mitschnitt unter Karl Böhm. Das schafft! Zumal das Rheingold, in dem sie als Brünnhilde nicht auftritt, nicht fehlt. Die Elektra wird wieder einmal unter Wert verkauft. Nirgends habe ich einen Hinweis darauf gefunden, dass es sich um die ungekürzte Fassung handelt. Der wesentliche Unterschied zur üblichen Aufführungspraxis besteht in der deutlich erweiterten Szene zwischen Elektra und Klytämnestra. Kurz nach „Was bluten muss“ gibt es einen großen Einschub, der musikalisch nicht aufregend ist, keine zusätzlichen Erkenntnisse bringt und den dramatischen Fluss unnötig aufhält. Für eine Sängerin ist er eine Zumutung. Carlos Kleiber wolle den Strich in einer Inszenierung mit Inge Borkh aufmachen, die aber dankend ablehnte, was ihr nicht zu verübeln ist. Aber immerhin hört man bei der Nilsson, wie es ursprünglich gedacht war. Die hat natürlich die stimmlichen Ressourcen, kann gestalterisch mit dem Zusatz aber wenig anfangen.

Elektra gibt es in der Edition zusätzlich in der für die Sängerin sehr späten Produktion der Metropolitan Opera auf DVD. Das Copyright ist mit 1981 angegeben, dem Met-Archiv zufolge handelt es sich um die Matinee am 17. Februar 1980, die im Rundfunk und Fernsehen übertragen wurde. Damals war die Nilsson über sechzig. Es war ihre letzte vollständige Opernrolle an dem Haus, wo jeder ihrer Auftritte ein Heimspiel war, seit sie 1959 als Isolde noch in der alten Spielstätte debütierte. Ihr stählerner Sopran saß aber 1980 noch gut. Unerbittlich arbeitet sie auf die hohen Töne hin, die von ihr erwartet werden. In den Feinheiten aber bleibt sie ungenau. Ganze Silben werden verschluckt, Tiefen, die nie ihre Stärke waren, bleibt sie schuldig. Das Publikum aber tobt. Immer wieder werden die Mitwirkenden, darunter Leonie Rysanek als Chrysothemis, Mignon Dunn als Klytämnestra, Donald McIntyre als Orest und der damals noch vergötterte Dirigent James Levine herausgerufen. Viele Minuten lang hält die Kamera auch hinter dem Vorhang auf das Ensemble, das ebenfalls wie im Taumel ist und sich den Anschein gibt, als könne es die Begeisterung im großen Rund des Zuschauerraumes gar nicht fassen.

Elektra ist nicht die einzige DVD in dieser Box. „Hinter die Kulissen der Götterdämmerung“ führt der BBC-Film bei der ersten Ring-Produktion für die Schallplatte in den Wiener Sofiensälen. Eine neue Auflage dieser Dokumente war überfällig. Nicht nur wegen der Nilsson als stimmgewaltiger Brünnhilde auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, die zum Schluss sogar iin den Sofiensälen mit einem leibhaftigen Pferd Grane überrascht wird, das tapfer die vielen Stufen in das obere Stockwerk des improvisierten Studios erklimmt. Auch der ungeduldige Georg Solti findet diese Idee „schön“, will aber endlich mit der Aufnahme fertig werden. Er ist omnipräsent, steht ständig unter Strom und verausgabt sich am Pult derart, dass unter dem rutschenden Beinkleid die Unterhose hervorblitzt. Aus der strengen Arbeitsatmosphäre bezieht der Film, der auch den Spiritus Rector des Unterfangens, den bescheidenen britischen Produzenten John Culshaw, ins rechte Licht rückt, seine Einzigartigkeit. In jedem Moment ist spürbar, dass etwas Großes geschieht. Ob in Gesprächen, bei der Probe, im Abhörraum oder dann, wenn die Mikrophone angeschaltet sind. Die Zeit sollte dem ambitionierten Unterfangen Recht geben. Dieser Ring hat sich als eine der erfolgreichsten Platteneinspielungen behauptet.

Das lässt sich beispielsweise vom Freischütz, der 1969 bei der EMI entstand und in der Nilsson-Box enthalten ist, nicht sagen. Er wirkt uninspiriert. Die Nilsson, die sich – genau wie ihr Max und schwedischer Landsmann Nicolai Gedda – irregeleitet darauf einließ, die Dialoge selbst zu sprechen, kann als Agathe nicht punkten. Sie weiß mit der lyrischen, in sich gekehrten Rolle nichts anzufangen. Ihr dramatisches Temperament strebt in die entgegengesetzte Richtung. Die Stimme ist viel zu groß, zu allgemein und zu eisig. Sie tönt, mehr nicht. Für die Agathe ist das Gift. Erika Köth, die zehn Jahre nach ihrem ersten Anlauf nun doch noch zu ihrem Studio-Ännchen kam, macht auf „junges Ding“ indem sie mangelnde natürliche Frische durch Keckheit zu kompensieren sucht, was scheitern muss. Dadurch verstärkt sich zusätzlich der Eindruck allgemeiner Fehlbesetzung. (Ursprünglich hatte die Köth 1958 in der berühmten Aufnahme unter Joseph Keilberth an der Seite von Elisabeth Grümmer das Ännchen singen sollen. Nach den ersten Aufnahmen wurde sie krank und durch Lisa Otto ersetzt. Ihre Szenen sind aber in einem gesonderten Querschnitt durch die Oper bei der Electrola auf LP herausgekommen.) Geadelt wird der Freischütz durch Walter Berry als Kaspar, der für mich eine der gelungensten Interpretationen der Partie vorlegt, gefolgt von Wolfgang Anheisser als Ottokar und Franz Crass als Eremit.

Ein besonders problematischer Fall für sich ist der Oberon von der DG, in dem die Nilsson als Rezia auf Plácido Domingo als Hüon trifft. Wenigstens wurde diesmal für die Dialoge auf Schauspieler zurückgegriffen, die aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht genannt werden. Allerdings sind Sprecher und Sänger nicht kompatibel. Zumindest im Fall der Nilsson nicht. Nach dem Kentern des Schiffes erwacht Rezia mit kleiner säuselnder Sprechstimme aus ihrer Ohnmacht, um alsbald in ihrer großen Arie monströs und ausladend den Ozean, das Ungeheuer, anzurufen. Das grenzt an unfreiwillige Comedy.

In dieser geballten Ladung von Dokumenten macht die Edition auch die Grenzen von Birgit Nilsson deutlich. Grenzen, die aus der historischen Distanz noch stärker hervortreten, als es zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufnahmen gewesen sein dürfte. Damals war die Überraschung groß, wenn Schlag auf Schlag neue Titel auf den Markt kamen. Ob Tosca oder Ballo, Fanciulla, Fidelio. Alles fand dankbare Abnehmer, die oft im Banne selbst erlebter Opernabende standen oder wenigstens am Plattenspieler dabei sein wollten. Die Nilsson jagte von einem Erfolg zum anderen, war vor allem im Wagner-Fach unersetzlich. Und wer Wagner konnte, der musste doch auch anderes können. Mit Ausnahme der Turandot gab es – wie ich finde – schon damals die meisten Titel besser und idiomatischer. Ich erinnere mich noch an die erste Veröffentlichung des Don Giovanni, der unter der Leitung von Karl Böhm in Prag eingespielt wurde – 1967, ein Jahr vor dem Prager Frühling, der unter sowjetischen Panzerketten ein jähes Ende fand. Don Giovanni am Ort seiner Uraufführung. Für sich genommen sollte das schon für die Einspielung sprechen. Es reichte nicht. Wie schon 1959 unter Erich Leinsdorf blieb die Nilsson auch diesmal der Donna Anna vieles schuldig. Ihre Interpretation ist zu sehr auf die technischen Anforderung der Partie ausgerichtet und weniger auf die inhaltlichen. Deshalb wirkt sie über weite Strecken zu professionell. Es ist zu wenig Mozart zu hören. Die ambivalente Gestalt bleibt im Unbestimmten. Schade, dass Decca nicht noch großzügiger zugekauft hat für die neue Sammlung. Der Idomeneo von 1951 aus Glyndebourne unter der Leitung von Fritz Busch wäre bestens geeignet, das Bild von Birgit Nilsson – sie sang die Elettra –    zu differenzieren. Immerhin stand eine Mozart-Rolle am Beginn ihrer internationalen Karriere.

Für mich läuft es bei der Nilsson letztlich auf Wagner hinaus – obwohl ich bei dieser Bewertung nicht an die Mödl in ihrer kurzen Glanzzeit oder an die Flagstad denken darf. Die Nilsson verkörpert den Aufbruch in das Stereozeitalter, verbunden mit der Globalisierung des Musikgeschäfts. Firmen, Labels und Agenturen bauten ihre Macht aus. Die Nilsson, der in vielen Anekdoten nachgesagt wird, dem Geld besonders gut gewesen zu sein, war Teil dieses Systems. Manche Aufnahmen erklären sich vornehmlich aus marktpolitischen Erwägungen. Warum sonst sollte im Tannhäuser Venus und Elisabeth von ein und derselben Sängerin gestemmt werden? Die Nilsson war durch diese Besetzung weder die eine noch die andere. Sie war „nur noch“ die Nilsson. Gewiss finden sich im Werk selbst Gründe, die keusche Landgrafennichte und die Liebesgöttin als Gegenpole in einer Figur zu versammeln. Nur will das auch so gestaltet sein. Der Nilsson gelingt es nicht. Indem sie sich beide Partien zumutet, reduziert sich die interessante Idee auf eine ehr sportliche Leistung, über die gestaunt werden darf, die mich aber nicht ergreift. Übrigens war sie von dieser Lösung selbst sehr überzeugt. In ihren lesenswerten und auskunftsfreudigen Memoiren La Nilsson – die Edition bedient sich des gleichen Titels – zunächst bei Krüger, dann als Taschenbuch bei Fischer erschienen, bezeichnet sie die Elisabeth als Rolle „des Sehnens und Verlangens“ ihrer Anfängerzeit in der schwedischen Heimat. „Erst einige Jahre später, als ich die verführerische Venus und die reine Elisabeth in derselben Vorstellung sang, gelang es mir besser, ihr innerstes Wesen einzufangen“, schreibt sie weiter. Davon ist 1968, als in Berlin mit der Studioproduktion unter Otto Gerdes begonnen wurde, nicht sehr viel zu spüren.

Meine liebste Aufnahme ist die erste Walküre, die 1961 und damit fünf Jahre vor der Wiener Einspielung entstand, mit Erich Leinsdorf am Pult des London Symphony Orchesters. Sie hat den ungeheuren Schwung des Aufbruchs in sich. Da greift eine nach dem Thron des Wagnergesangs. Stilistisch sicherer und freier dürfte die Nilsson selten geklungen haben. Obwohl Leinsdorf genau wie Solti zwölf Tage brauchte, klingt seine Aufnahme weniger ausgetüftelt, sondern so, als sei sie in einem Rutsch hingeworfen worden. Fast schon wie live, wie unter Strom. Wieder liefert die Sängerin in ihrem Buch, das eine Wiederauflage vertragen würde, interessante Hintergrundinformationen. Die RCA-Aufnahme war von Auseinandersetzungen, gar einem Sängerstreik, überschattet. Statt Rita Gorr hätte nämlich Grace Hoffman die Fricka singen sollen. Obwohl die Gorr bei allen Beteiligten auch hohe Wertschätzung genoss, empfand es vor allem die Nilsson als ungerecht, die unter Vertrag stehende Hoffman ausgebootet zu sehen. Wenigstens sollte sie die ihr zustehende Gage erhalten. Der Druck bis zur gütlichen Einigung soll groß gewesen sein. Könnte sich aus dieser atmosphärischen Anspannung etwas in die Aufnahme übertragen haben? Naheliegend ist es.

Ihre nachhaltigste Wirkung bezieht die Geburtstagsedition aus dem unmittelbaren Vergleich zwischen Studio und Mitschnitt. Über die bereits erwähnte Elektra hinaus gibt es sowohl beim Tristan als auch beim Ring die entsprechenden Äquivalente durch Bayreuther Live-Aufnahmen. Genau genommen müsste von „Live light“ gesprochen werden, denn der Ring wurden aus verschiedenen Vorstellungen zusammengefügt, Tristan aktweise im Festspielhaus aufgezeichnet. Dennoch: Für eine Sammlung wie diese ist so ein gebündeltes Angebot Luxus pur. Und es ist auch dringend geboten, soll dieser bedeutenden Künstlerin die Gerechtigkeit widerfahren, die ihr zusteht. In Gesprächen mit Zeitzeugen, habe ich immer wieder erfahren, dass sie auf der Bühne viel menschlicher und wärmer geklungen und deutlich mehr Gefühle zugelassen habe als vor den Mikrophonen. Offenbar fühlte sie auch durch den Kontakt mit ihren Partner, der im Theater ein anderer ist als im Studio, inspiriert. Die zahlreichen filmischen Dokumentation, die durchs Fernsehen gingen und im Netz zu finden sind, fangen ihre Natürlichkeit ein, ihren Humor und ihre Schlagfertigkeit im Umgang mit ihrer Umgebung. Eine Diva, die ihre Herkunft als Tochter vom Land, die weiß, wie man Kühe melkt, nicht verleugnet. Den elterlichen Erbhof hat sie bis zum Ende ihres langen und von Erfolg gekrönten Leben behalten, was ebenfalls in ihren Memoiren nachzulesen ist.

Und noch etwas steht auf der Habenseite der mit einem reich bebilderten Buch ausgestatteten Geburtstagsedition: die Recitals der Birgit Nilsson. Waren die von Hans Knappertsbusch betreuten Tristan-Szenen (1959) immer greifbar, gerieten der Aida-Querschnitt (1963) die Verdi-Arien (Lady Macbeth, Abigaille, Forza-Leonora und Eboli), die Szenen aus Walküre und Parsifal mit Helge Brilioth und Norman Bailey und dem jungen finnischen Dirigenten Leif Segerstam, die Wagner-Weber-Beethoven-Platte (Elisabeth, Rezia, Sieglinde, Elsa, Agathe und Fidelio-Leonore) fast in Vergessenheit. Und wer kann sich noch erinnern an die mit der Ballade aus dem Holländer und Arien aus den Feen und Rienzi gekoppelten Wesendonck-Lieder unter der Leitung von Colin Davis? Oder gar an die betörend schön gesungen Lieder aus dem „Land of the Midnight Sun“ von Sibelius, Grieg, und Rangström, die am Ende doch noch an Kirsten Flagstad denken lassen? Sie allein sprechen dafür, die Edition anzuschaffen. Rüdiger Winter

Rehabilitierung

 

Vorzugsweise mit der Musik zugetanen Damen, ganz besonders gern aus dem Hause Wagner beschäftigt sich Eva Rieger, wovon Bücher über Friedelind Wagner, über die Liebe in des Bayreuther Komponisten Opern, über Komponistinnen oder Sängerinnen wie Frida Leider zeugen und seit kurzem auch die nach 15 Jahren zweite, überarbeitet Auflage  eines 350 Seiten umfassenden Werkes über Minna Wagner, die erste Ehefrau Richards.  Schnell seinen Irrtum sieht ein, wer geglaubt hat, Minna sei die uninteressanteste der drei großen Wagner-Lieben, zu denen neben ihr Mathilde Wesendonck und Cosima von Bülow gehörten. Ebenso kenntnisreich wie unterhaltsam weiß Rieger von einer ganz besonderen Frau zu berichten, die sich nicht wie ihre Nebenbuhlerinnen auf des Vaters oder Gatten Reichtum verlassen konnte, sondern, die aus ärmlichen Verhältnissen stammend und zudem ganz jung mit einem unehelichen Kind „geschlagen“, aus eigener Kraft und dank ihrer Schönheit und schauspielerischen Begabung zu einer angesehenen Stellung und einem selbstbestimmten Leben gelangte. Dazu durfte sie sich, bei Schauspielerinnen damals eher die Ausnahme, eines tadellosen Rufs erfreuen.

Eva Rieger ist bekennende Feministin, weist aber den Vorwurf der Parteilichkeit zugunsten der Frauen zurück, beruft sich auf ein strenges Quellenstudium, vor allem das der zwischen 1835 und 1865 geschriebenen Briefe zwischen den Gatten, aber auch an die Freundinnen und Freunde des großen Kreises, der die Wagners umgab. Minnas Briefe an Richard allerdings sind nicht so zahlreich wie die des Komponisten an seine Frau, da Cosima sie zum Teil vernichtete. Richards Schreiben an Minna waren im Besitz ihrer unehelichen Tochter Nathalia, die als ihre jüngere Schwester galt, nur einen Teil erhielt Richard auf eine Aufforderung hin zurück, der größte Teil wurde an Mary Burrell verkauft. Anders als in der Autobiographie, die Wagner Cosima diktierte, erscheint Minna als eine lebenstüchtige, leidenschaftlich liebende, dem Komponisten trotz des finanziellen Elends, in dem man die meiste gemeinsame Zeit über lebte, eine angenehme Häuslichkeit garantierende Lebenskünstlerin, der er auch seine Texte und seine Musik als erster vor seinen Freunden vorstellte, von der er sich durchaus verstanden fühlte. Erst die blinde Anbetung und Vergötterung durch Mathilde Wesendonck ließ die Zuneigung Minnas als prosaisch erscheinen, so dass er ihr Verhältnis mit dem von Fricka und Wotan, das zwischen Mathilde und ihm mit dem von Siegmund und Sieglinde verglich. War Minna abwesend, dann klangen seine sehnsüchtigen Briefe allerdings wesentlich flehentlicher, als man sie einem Wotan zugetraut hätte.

Minna (Ueberhorst-) Wagner/ Wikipedia

Jedem Kapitel des Buches ist ein Zitat vorangestellt, das auf den Inhalt hinweist, das Buch insgesamt liest sich flüssig durch das Ineinanderübergehen von Zitaten (kursiv gedruckt und so als solche erkennbar gemacht), Sekundärliteratur, teils im Indikativ, teils im Konjunktiv, so dass Wissenschaftlichkeit und Unterhaltsamkeit gleichermaßen zu ihrem Recht kommen.

Aus der Beschreibung Minnas durch viele Zeitzeugen, besonders wertvoll ist die der Frau Georg Herweghs, kann man sich ein Bild von der so liebenswürdigen wie ausopferungsvollen Minna zimmern, deren Streben nach Bewahrung des Erreichten dem sich dauernd Ändernwollen von Richard unvereinbar entgegengesetzt war, so dass sie zwar viele Züge der opferfreudigen Senta oder Elisabeth aufwies, nicht aber den entscheidenden der völligen Selbstaufgabe. Dass auch Mathilde nicht Isolde war, wie sie selbst gern es zu sein glaubte, fiel dagegen kaum ins Gewicht.

Im Kapitel über das Abenteuer Jessie Laussot lässt die Autorin die unterschiedlichen brieflichen Stellungsnahmen dazu für sich sprechen, sie scheut sich aber auch nicht, dem Komponisten an anderer Stelle eine „beeindruckende Aufrichtigkeit“ zuzugestehen. Zur Ironie sieht sie sich natürlich herausgefordert, wenn sie meint, dass in zwei fast zeitgleichen Briefen Richard an Minna von seinen Verdauungsschwierigkeiten berichtet, diese gegenüber Mathilde aber nicht zur Sprache bringt. Auch die sehr unterschiedlich  ausfallenden Briefe Wagners über Tristan an Minna und Mathilde fordern zum Schmunzeln heraus. Erschüttern allerdings muss den Leser der auf Seite 296 veröffentlichte Brief an Mathilde Schiffner, in dem Minna ein trostloses Resümee ihres Lebens mit Wagner zieht.

Wer das Buch gelesen hat, wird nicht mehr in den Irrtum verfallen, Minna Wagner für eine unbedeutende, den Komponisten eher behindert als hilfreich gefördert zu habende, lästige Ehefrau anzusehen.

Zahlreiche Anmerkungen, ein Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen, ein Literaturverzeichnis, ein Bildnachweis und ein Personenregister vervollständigen den Band (Olms Verlag 2019, 385 Seiten, ISBN 978 3 491 08611 8). Ingrid Wanja

Hier stimmt alles

 

Antonio Salieri, einst recht misstrauisch als unterlegener Mozart-Rivale betrachtet, wird in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit geschenkt – erst vor Wochen erschien seine Oper Tarare unter Christophe Rousset, letzt legt der Dirgent Werner Erhardt nach und präsentiert bei der Deutschen Harmonia Mundi Salieris frühe Oper La Fiera di Venezia.

Diese Oper war Salieris erster großer internationaler Erfolg. 1772 in Wien uraufgeführt, wurde die Oper sofort zum Riesenhit in ganz Europa. Salieri war damals erst 21 Jahre alt, und Mozart hat auf eine Melodie daraus seine Variationen KV 180 geschrieben. Man spürt auch an anderen Stellen, dass ihn dieses Werk inspiriert hat.

1772 – das ist noch ein Jahr, in dem die Opera Buffa als Form etwas einförmig ist. Die große Reform der Gattung, die Salieri zusammen mit Sarti, Martin y Soler und Paisiello vorantrieb, setzte erst etwa 5 Jahre später ein, als diese Opernform das pure Abschnurren von Charakterarien überwand und die Ensemble in den Partituren wie Pilze aus dem Boden sprossen, bis sie in Anzahl und Qualität den Arien ebenbürtig waren.

Hier also noch einmal, trotz schöner Kettenfinali und ein paar Duetten, vor allem eine Arien-Revue. Aber war für Arien! Diese Charakterstücke machen wirklich Spaß. Belfustos wütender Ausbruch über die untreuen Frauen erinnert zum Beispiel schon stark an Figaros Arie im 4. Akt in Figaros Hochzeit. Und manch eine kesse Frauenarie an Despina & Zerlina.

Stilistisch, unterschiedlich: Das Libretto ist albern und konfus, aber unbedingt genießbar. Eigentlich fast schon ein Operettentext. Das Ganze erinnert entfernt an Johann Straußens Eine Nacht in Venedig mehr als 100 Jahre später.

Im Mittelpunkt steht die Himmelfahrtsmesse in Venedig und das kaleidoskophafte karnevalsähnliche Treiben zu dieser Zeit – gezeigt werden dabei drei Paare, wie üblich damals jeweils aus dem Adel, dem Bürgertum und dem 4. Stand, bei ihren Amouren, Streichen und Streitereien. Übrigens stammt das Libretto vom Bruder von Luigi Boccherini. Er liefert wirklich tolle ( in der alten und neuen Wortbedeutung) Vorlagen für Salieri. Er kann sich als Komponist auszutoben, die vielen unterschiedlichen Figuren bieten jede Menge Möglichkeiten, stilistisch unterschiedliche Stile zu präsentieren.

Von der rasend schnellen ariette bis zur großen Seria-Koloratur-Arie mit obligaten Instrumenten ist hier alles versammelt, für Abwechslung ist gesorgt, und von Langeweile keine Spur, allerdings fordern einige dieser Kabinettstückchen den Sängern auch wirklich alles ab.

Es stimmt einfach alles: Und die sind ausgezeichnet, durch die Bank. Das liegt sicherlich an der Sorgfalt von Werner Ehrhardt, der sich in diese Musik und diese Zeit intensiv versenkt hat. Kleinsten Nuancen wird größte Beachtung geschenkt. Entwaffnend, wie viel Aufmerksamkeit er jeder Note eines Wiener Komponisten gewidmet hat, der nicht Mozart oder Haydn heißt. Und siehe, es hat sich gelohnt – Salieri klingt wichtig. Und das Ensemble L’arte del mondo scheint alle Facetten dieser nun wieder wichtigen Musik in all ihrer Delikatesse auszukosten.

Diese Reife ist Ehrhardt und seinen Akteuren nicht den Schoß gefallen. Es war ein langer Weg hin zu solch einer Perfektion. Manch eine frühere Produktion fand ich musikalisch nicht zündend, oder aber die Sänger waren zum Teil mit ihren Partien leicht überfordert  – diesmal stimmt einfach alles, ob Dilyara Idrisova als Coloandra, Krystian Adam als Otrogoto oder Giorgio Caoduro als Belfusto – alle sieben Sänger sind handverlesen und gut ausgesucht.  Die Aufnahme gehört für mich unbedingt zu den Top 5 der Opernproduktionen 2019 (Antonio Salieri: La Fiera di Venezia mit Francesca Lombardi Mazzulli (Falsirena), Krystian Adam (Ostrogoto), Natalia Rubís (Cristallina), Dilyara Idrisova (Calloandra), Furio Zanasi (Grifagno), Giorgio Caoduro (Belfusto), Emanuele d’Aguanno (Rasoio) | l’arte del mondo | Werner Ehrhardt; deutsche harmonia mundi, 2019; 2 CD 0190759645628). Matthias Käther

UND ewig Berlioz

 

Im Berlioz-Jubiläumsjahr sind nicht nur mehrere Inszenierungen über die Bretter gegangen und etliche CD-Produktionen erschienen, welche das Publikum zu einer frischen Bewertung dieses bedeutenden, aber von vielen nicht so richtig geliebten Komponisten aufgefordert haben (die OperaLounge hat mehrmals darüber berichtet). Auch publizistisch hat sich viel getan, und der Egomane Berlioz würde sich bestimmt über die ihm gewidmete Aufmerksamkeit freuen. In Frankreich etwa sind Biographien (erneut) auf den Markt gekommen wie jene des 2014 verstorbenen René Maubon (erste Auflage 2003, Editions de Paris 2019) oder die kurze Skizze von Patrick Favre-Tissot-Bonvoisin (Bleu Nuit 2019). Dank der Bemühungen des Palazzetto Bru Zane und anderer Verlage sind auch mehrere Schriften von Berlioz, der ein überaus fruchtbarer und gefürchteter Schreiber war, wieder zugänglich. Soeben ist eine neue, kommentierte Edition seiner immer noch sehr lesenswerten Mémoires erschienen (Vrin 2019). Es sollen dabei Einzelinitiativen nicht vergessen werden, die neues Licht auf verschiedene Aspekte von Leben und Wirken von Berlioz werfen.

Dazu gehört der vorliegende Sammelband, welcher die Beiträge einer Berlioz-Tagung in Arras versammelt, die schon vor einigen Jahren stattgefunden hat. Zuerst erinnert Anne Bongrain („Une introduction à Berlioz feuilletoniste“, S. 9-40) an die lange, oft kämpferisch geprägte literarische Tätigkeit des Komponisten, der im zarten Alter von 19 seinen ersten Artikel veröffentlichte, um Spontinis Vestale gegen Kritikaster zu verteidigen. Der Beitrag trug einen Titel, der Programm für sein ganzes Leben wurde: Polémique musicale. Der Literaturwissenschaftler Marc-Mathieu Münch bietet in „Berlioz, l’effet de vie et la Symphonie fantastique (version Charles Münch [sic])“, S. 41-66, eine sehr persönliche, den ihm eigenen ästhetischen Prinzipien folgende Deutung. Von besonderem Interesse für die Leser der OperaLounge sind die nächsten beiden Beiträge (Patrick Barbier, „Pauline Viardot, muse de Berlioz“, S. 67-86; Marie-Hélène Coudroy-Shagaï, „Berlioz et l’opéra-comique au prisme de ses écrits“, S. 87-102). Barbier stellt die bedeutende Sängerin (und Komponistin!) Viardot vor, welche bekanntlich die jüngste Tochter des berühmten Manuel García war, und geht insbesondere auf ihre aktive Rolle bei der Neueinrichtung von Glucks Orphée durch Berlioz im Jahr 1859, ein. Während der künstlerischen Zusammenarbeit erwachten bei Berlioz tiefere Gefühle für die Sängerin, welche Viardot jedoch nicht erwiderte (sie nahm auch nicht an seiner Beerdigung teil). Coudroy-Shagaïs Essay behandelt Berlioz‘ Berichterstattung über die Opéra-comique, welche der Komponist einmal beschrieb als „einen Gargantua, der die jungen Komponisten verschlingt, ohne es zu merken“. Seine Kritiken waren nicht selten ätzend: so meinte er 1836, Auber und Scribe hätten in Actéon die Rollen gewechselt, weil nur das erklären könne, warum der Text der Oper derart erbärmlich und die Musik derart banal ausgefallen sei. Hermann Hofer bietet einen gelehrten Artikel über den „Kontinenten Berlioz“ (S: 103-145 ). Er weist darauf hin, dass Berlioz, der sich oft über Missgunst und Zurücksetzung beschwerte, ein recht erfolgreicher Komponist war, der viele Musiker und Tonsetzer in Frankreich beeinflusste, von Lalo bis hin zu Chausson, Debussy und Dukas. Unerwarteterweise verehrten auch Jüngere Berlioz, so wie Darius Milhaud, der sich zu der Aussage versteigerte, er würde „ganz Wagner für eine Seite Berlioz hergeben“. Spuren der Bewunderung verfolgt Hofer bis ins 21. Jahrhundert, etwa bei Eric Tanguy und Guillaume Connesson. Katherine Kolb („Les ailes de l´âme. Vol et envol chez Berlioz“, S. 146-1719) berichtet über die Flügel- und Flug-Metaphern bei Berlioz als Ziffer seiner Poetik, aber auch über seine Bewunderung für Jules Verne, die in einer eigenen Erzählung Euphonia gipfelte, in denen Luftreisen mit kleinen, schnellen Ballons eine wichtige Rolle spielen. Nach einem Interview mit Jean-Claude Malgoire (S: 172-191), in dem der letztes Jahr verstorbene Dirigent die Sicht eines praktizierenden Musikers zum Besten gibt, schließt der Band mit einem Aufsatz zu Berlioz und der Kirchenmusik (Matthias Brzoska, „Berliioz, musicien d’église“, S. 192-209). Angesichts der Tatsache, dass die Autoren dankenswerterweise auf viele Zeitgenossen eingehen, vermisst man am Ende ein Namensregister. Für das nichtfranzösischsprechende Publikum wären darüber hinaus Zusammenfassungen auf Englisch nützlich gewesen. Der Band bietet neue Ideen und Interpretationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und wird somit dem vielfältigen Œuvre von Hector Berlioz gerecht (Berlioz, encore et pour toujours. Actes du Cycle Berlioz, Arras 2015, BoD (Books on Demand), www.bod.fr., 214 Seiten).  Michele C. Ferrari

Raritäten

 

Auch in kleiner Besetzung für 13 Instrumente leuchten die Sterne recht stimmungsvoll, doch ansonsten sind die „Fantasie e Parafrasi“ auf Puccini senza parole (La Bottega Discantica 183, nur ital. Beiheft) ärmer und flacher als erwartet, eher für den Kaufhauslift als den Konzertsaal bestimmt. Zwar lotet das Ensemble Novecento e Oltre auf dieser bereits 2008 entstandenen Aufnahme mit vielen instrumentalen Details die im Stil der großen Opernparaphrasen des 19. Jahrhunderts von Alessandro Lucchetti gefilterten Turandot, Tosca und La Bohème aus, doch erst der Musette-Walzer klingt so geschmeidig, dass man ihn sich auch gut auf der Piazza San Marco vor dem Florian oder Quadri vorstellen könnte.

Zwei Jahre älter als Puccini ist Giuseppe Martucci, der insofern eine Besonderheit unter den italienischen Komponisten darstellt, die sich vor allem auf dem Feld der Oper schlugen – er dirigierte auch die italienische Erstaufführung des Tristan – als er nur Instrumentalmusik schrieb. Seine Klaviertranskriptionen von Werken u.a. von Lully, Rameau, Händel, Bach, Gluck und Mozart zeichnen ihn als einen kenntnisreichen gelehrten Komponisten und offenbar virtuosen Pianisten aus, an den Busoni mit seinen Bach-Transkriptionen oder später Malipiero, Casella oder Respighi mit ihren neoklassizistischen Werken aufbauen konnten. Die von dem sorgfältigen, niemals blutleer spielenden Ettore Borri 2013 versammelten Transkriptionen der diversen Tänze (La Bottega Discantica 281) sind ein seltenes Beispiel für die Aneignung der Musik des 17. und 18 Jahrhunderts in Italien und zugleich pianistische Kabinettstücke. Eine ideale Ergänzung hierzu stellt die Gesamteinspielung der Musica vocale da Camera Martuccis dar – eine dem Verdi-Tenor Gaetano Fraschini gewidmete und von ihm aufgeführte Romanze, die er bereits mit 16 Jahren geschrieben hatte, nahm Martucci zwar nicht in seinen offiziellen Werkkatalog auf, ist aber auf der von der Pianistin Luisa Prayer und der Mezzosopranistin Chiarastella Onorati anlässlich Martuccis 50. Geburtstag vorgelegten Sammlung ebenfalls enthalten (Tactus 851302). Dazu gehören die sieben Canzoni di ricordi von 1887 mit Texten seines Freundes Rocco Pagliara, die sechs Pagine sparse von 1888 mit Texten von Corrado Ricci, zwei Einzellieder, ebenfalls mit Texten Riccis, sowie die Tre pezzi von 1906 mit Texten von Giosuè Carducci. Hatte Martucci bereits in den Zyklen der 1880er Jahre die Lieder durch eine ausdrucksstarke Klavierbegleitung im Stile Schumanns und Schuberts eng verklammert, so finden wir in den letzten Liedern eine atmosphärische, stimmungsvolle Beschreibung wie man sie aus französischen Liedern der Zeit kennt. Die beiden Damen haben eine verdienstvolle Arbeit geleistet.

 

Ein monumentales Werk legte Martuccis Schüler Ottorino Respighi mit seiner „Cantata biblica“ Christus vor, deren Umfang und komplexe Anlage umso mehr erstaunen mag als das im Civico Museo Bibliografico Musicale in Bologna gelagerte Manuskript 1898-99 datiert ist und Respighi also gerademal 20 Jahre alt war. In zwei rund halbstündigen Teilen behandelt Respighi, der sich den Text nach der Vulgata selbst zusammengestellt hatte, mit den Protagonisten Christus, dem heiligen Matthäus und Judas Ausschnitte aus der Leidensgeschichte mit dem letzten Abendmahl, dem Verrat des Judas und dem Geschehen auf dem Berg Gethsemane. Gleich zu Beginn markieren die dunklen Blech- und Holzbläser die Feierlichkeit und Erhabenheit des Geschehens, das mit dem massiven Orchesterklang und dem Chor, der hier sowohl als Menschenmenge wie als Erzähler erscheint, geradezu sinfonisch gesteigert wird. Es ist schier nicht möglich, von dieser farbig leuchtenden, gewaltigen, fast „Meistersinger“haft monumentalen Kantate nicht auf Anhieb fasziniert zu sein. Zum vorteilhaften Eindruck der von Marco Balderi 1991 geleiteten Ersteinspielung tragen Chor und Orchester der Radiotelevisione Della Svizzera Italiana bei und der helle Tenor Carlo Gaifa als Matthäus, der Bass Gastone Sarti als Judas sowie vor allem der Bariton Roland Herrmann als Christus, dessen „Pater, in manus tuas commendo spiritum meum“ von steingemeißelter Eindringlichkeit ist.

 

Kein Label hat sich so sehr um Joseph Marx verdient gemacht wie Naxos, wo u.a. zwei CDs mit seinen Orchesterwerken und jetzt die bereits 2012 auf ASV veröffentlichen Klavierkonzerte erschienen (Naxos 8.573834). Bekannt ist der 1882 in Graz geborene Marx, der als Rektor der Wiener Musikhochschule – aber auch Gegner Schönbergs – eine nicht unbedeutende Rolle im Wiener Musikleben spielte (in Ankara baute er im Auftrag Atatürks ein Musikleben nach westlichem Vorbild auf), vornehmlich durch seine rund 150 Lieder, von denen einst Ljuba Welitsch mit glühendem Ton einige sang. Sein Romantisches Klavierkonzert von 1919/20 wurde in den 1980er Jahren von Jorge Bolet wiederentdeckt, der es zu seinen Lieblingsstücken zählte und mit dem ich es noch in Wien gehört hatte. Vom Format her den Brahms‘ Konzerten vergleichbar, scheint es mit dem in die sinfonische Anlage eingebetteten Solopart in der Tradition der Virtuosenkonzerte des 19. Jahrhunderts verankert, erinnert mit seinen romantisch- jugendstilartigen Wucherungen ein wenig an die spätere Filmmusik von Marx‘ Freund Korngold, man denkt auch an Schreker und Strauss, und besticht durch seinen üppig schwelgerischen Wohlklang. David Lively musste sich einst gegen die Konkurrenz einer Einspielung durch Marc-André Hamelin behaupten. Er packt den Stier bei den Hörnern und spielt die wirkungsvollen Passagen kraftvoll aus, wobei man ihm eine hymnischere Begleitung als die Bochumer Symphoniker unter Steven Sloane gewünscht hätte. Sehr schön ist die Kopplung mit dem zweiten Klavierkonzert von Marx, den Castelli Romani für Klavier und Orchester 1929-30, deren drei Bilder – Villa Hadriana, Tusculum und Frascati – an einen anderen Freund von Marx erinnern, an Respighi und dessen sinfonische Landschaftsbetrachtungen und seine archaisierenden Wendungen. Orchester und der Pianist erfüllen diesen musikalischen Ausflug in die Umgebung Roms mit südländischem Flair – auch eine Mandoline kommt zum Einsatz. Beide Werke haben unbedingt eine Chance verdient.

 

Wie sehr eine Oper zum Handwerkszeug eines Komponisten gehörte, wusste auch Victor de Sabata, dessen Macigno immerhin 1917 unter Ettore Panizza an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde. Damals hatte der 1892 im damals noch österreichisch-ungarischen Triest geborene de Sabata möglicherweise noch eine andere Karriere im Blick und nicht geahnt, dass er dereinst ab 1930 über zwanzig Jahre die Geschicke des Hauses lenken würde. Von den Spannungen der zwei Seelen in seine Brust, Komponist oder Kapellmeister, ist in den Werken de Sabatas, welche die Ersteinspielung der Composizioni per pianoforte (La Bottega Discantica 165) versammelt, wenig zu spüren. Im Beiheft  beleuchtet Quirini Principe das von der habsburgischen Monarchie geprägte österreichisch-böhmisch-jüdisch geprägte kulturelle Klima, in dem de Sabata aufwuchs und zieht Parallelen zu Mahler. Der Pianist Alessandro Marangoni hat in den Bibliotheken der Konservatorien in Mailand und Rom geforscht, vergessene Manuskripte gefunden mit Unterstützung der mit Aldo Ceccato verheirateten Tochter de Sabatas Eliana, die Enkelin Isabella ist übrigens mit John Eliot Gardiner verheiratet, Titel zusammengetragen, die vor dem Ersten Weltkrieg bei verschiedenen Mailänder Verlagshäusern erschienen waren. Eine Ausnahme stellen die Klavierfassungen des „Poema sinfonico per orchestra“ Juventus sowie des „Poema contemplativo per orchestra“ Gethsemani dardie 1920 bzw. 1925 bei Ricordi veröffentlicht wurden, zwei umfangreiche, durchkomponierte Stücke, die einem inneren Programm folgen. Dazu ungemein faszinierende Tanzmusiken – Walzer, Foxtrott, Polka – zu den Balletten Sui Pirenei, Gli studenti di Parigi und Fra nastri e cappellini, in den Walzern schlägt Vittorio de Sabata und mit ihm Marangoni eine wienerisch morbide Eleganz an, die in Polka und Galopp aus Fra nastri e cappellini ein böhmisch sprudelndes Musikantentum, oft ein wenig ironisch gebrochen, entwickelt. Unter den 1918, im Jahr seiner Ernennung zum Musikalischen Leiter der Oper in Monte Carlo, veröffentlichten Pezzi per pianoforte findet sich das Quasi cate-walk bezeichnete „Do you want me?“, mit dem De Sabata nicht nur das letzte Stück von Debussys zehn Jahre älteren Zyklus Childrens Corner zitiert, sondern sich auch als pfiffiger Komponist erweist. Insgesamt gewinnt das Ernste an Tiefe, das Heitere an Witz. Nicht anders hatte man das eigentliche erwartet.  Rolf Fath

 

Unter den russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts läuft Dmitri Kabalewski (1904-1987) bis heute eher unter ferner. Der Schüler Nikolai Mjaskowskis orientierte sich später vor allem an Prokofjew, doch gelang es ihm anders als diesem und Schostakowitsch, sich vom Ende der 1940er Jahre aufkommenden Vorwurf des Formalismus freizumachen. Bereits früh war Kabalewski der Kommunistischen Partei zugetan und wurde 1940 formal Mitglied der KPdSU. Es folgten zahllose Auszeichnungen bis in die 1980er Jahre hinein. Seine Tonsprache war in der Tradition verhaftet und vermied die Hinwendung zur Atonalität, ohne anderseits zu erstarrtem Akademismus zu verkommen. Die neue Naxos-Produktion des mittlerweile bewährten Malmö Symphony Orchestra unter Darrell Ang (Naxos 8.573859) deckt trotz der relativ knappen Spielzeit von etwas über 50 Minuten die ersten beiden seiner insgesamt vier Sinfonien sowie zwei Ouvertüren ab, wobei es sich bei Colas Breugnon (1938) um eine Opernouvertüre und bei der Pathétischen Ouvertüre (1960) um eine Konzertouvertüre handelt. Die Spritzigkeit des früheren Werkes weist letztere zwar nicht mehr auf, doch präsentiert sie mit ihrer brillanten Orchestrierung den Komponisten auf der Höhe seiner Schaffenskraft.

Die nur zweisätzige, kaum 19-minütige Sinfonie Nr. 1 in cis-Moll von 1932 wurde für den 15. Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917 komponiert. Sie gibt den damaligen sowjetischen Zeitgeschmack wieder, ist in ihrer Ästhetik näher an Mjaskowski denn am bereits damals avantgardistischeren Schostakowitsch. Gewiss liegt ihr ein gewisses Programm zugrunde, das in einer fast brutalen Apotheose des Kommunismus gipfelt. Die zweite Sinfonie in c-Moll von 1934 ist zwar dreisätzig, aber in ihren Dimensionen nur unwesentlich ausgedehnter (23 Minuten Spielzeit). Sie erfuhr bereits damals eine weit größere Rezeption und wurde im Westen unter anderem von Arturo Toscanini und Sir Malcolm Sargent aufgeführt. Tatsächlich lässt sich bereits anhand dieses Werkes die Hinwendung Kabalewskis in Richtung Prokofjew nachvollziehen. Nach einem aufwühlenden Auftakt folgt der langsame zweite Satz, der sich in seiner bald lyrischen, bald eruptiven Emotionalität als Highlight der CD entpuppt. Im Schlusssatz ist eine gewisse Huldigung an Tschaikowski festzustellen, gemahnt er doch stellenweise an das fulminante Scherzo der Symphonie Pathétique.

Die Aufnahmen wurden im August 2017 in Malmö eingespielt, punkten auch in Sachen Klangqualität und zeugen vom mittlerweile sehr hohen Standard des Labels, das in seinen Anfangszeiten tontechnisch nicht immer voll überzeugen konnte. Der singapurische Dirigent Ang stellt nachdrücklich unter Beweis, wieso er längst zurecht zu einem „Hausdirigenten“ von Naxos mutiert ist. Auch von der orchestralen Seite gibt es keine Einschränkungen, so dass für diese Produktion, die die schmale Kabalewski-Diskographie erweitert, trotz der bescheidenen Textbeilage (zudem nur auf Englisch) mit gutem Gewissen eine Empfehlung ausgesprochen werden kann. Daniel Hauser

 

Mit der Sinfonischen Dichtung Toldi mit dem Untertitel Zwölf Orchesterbilder nach dem epischen Gedicht von János Arany legt Naxos den zweiten Teil in der Reihe des ungarischen Komponisten Leó Weiner (1885-1960) vor (Naxos 8.573847). Verwurzelt ist das Werk in einem Heldenepos aus Ungarn, nicht unähnlich Kullervo von Sibelius oder Ilja Muromez von Glière. Namensgeber ist der der magyarische Edelmann Miklós Toldi, der zwischen etwa 1320 und 1390 lebte. Auch König Ludwig der Große (reg. 1342-1382) tritt in Erscheinung. Mit den Budapest Symphonie Orchestra MAV unter der Dirigentin Valéria Csányi hat man einen besonders idiomatischen Klangkörper zur Verfügung. Es lässt sich erahnen, wieso Weiner teils als „Ungarns Mendelssohn“ bezeichnet wurde. Dass er kein Modernist war, wird bereits in den ersten Takten deutlich, bleibt er doch völlig tonal und dem klassisch-romantischen Klangideal verhaftet – auf das Entstehungsjahr 1952 würde man beim Erstkontakt schwerlich tippen. Eine Vermengung deutscher und ungarischer Elemente lässt sich heraushören, wobei man sich an Wagner und insbesondere Liszt erinnert fühlt. Die Länge der zwölf Tonbilder variiert zwischen gut zwei und knapp acht Minuten. Toldi fällt in die Spätphase von Weiners Kompositionen und wurde von ihm persönlich als eine seiner bedeutendsten Tonschöpfungen angesehen. Insgesamt gut einstündig, erstellte Weiner später für den Konzertgebrauch selbst zwei Suiten aus der Partitur, die übrigens als digitaler Download bei Naxos bezogen werden können (9.70284). Widmungsträger Fritz Reiner, ehemaliger Schüler Weiners und seinerzeit Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra, führte sie bezeichnenderweise niemals auf. Obgleich durchgängig gut anhörbar, stellt sich insgesamt kein großer Aha-Effekt ein – womöglich ein Grund, wieso dem Werk bereits bei seiner Uraufführung kein großer Erfolg beschieden war. Klanglich ist die im September 2017 beim Ungarischen Rundfunk in Budapest eingespielte Produktion ohne Fehl und Tadel. Die Textbeilage fällt bescheiden aus und ist lediglich englischsprachig. Daniel Hauser

Eine seltene Begegnung

 

Etienne-Nicolas Méhul (1763-1817) gehört zu den von den Intendanten und Plattenproduzenten sträflich vernachlässigten großen Komponisten von europäischer Bedeutung aus der Zeit um 1800, und man freut sich jedes Mal über die seltene Gelegenheit, Neues von ihm auf Video- oder Tonträger kennenzulernen. Höchstes Lob gebührt deswegen dem Ensemble Les Monts du Reuil, die in Zusammenarbeit mit der Opéra de Reims einen Einakter des Komponisten ausgegraben haben – aber, das sei sofort hinzugefügt, wirklich nur für die Ausgrabung Le jeune sage et le vieux fou  ist ein Opéra-comique, das heißt ein Singspiel, das als viertes Bühnenwerk Méhuls in aufgewühlten Zeiten die Uraufführung erlebte. Die Premiere fand nämlich am 28. März 1793 statt, zwei Monate, nachdem die Revolutionäre den König geköpft hatten. Es ist die zweite Oper, die Méhul auf einen Text von François-Benoît Hoffmann (1760-1828) schrieb. Mit ihm ging er eine künstlerisch sehr erfolgreiche Partnerschaft ein, durchaus vergleichbar mit den Kooperationen Mozart/da Ponte und Strauss/Hofmannsthal, welcher der Maler Louis-Léopold Boilly schon 1798 ein Denkmal setzte. Das Werk wurde gut aufgenommen. Die Chronique de Paris meinte etwa ein paar Tage nach der Uraufführung, das klinge „jeweils originell, geistreich und romantisch“. Méhul scheint sich über das Lob nicht besonders gefreut zu haben, denn er schrieb einer Zeitung und monierte in einem bizarren Anflug von öffentlicher Selbstkasteiung, das gespendete Lob sei „übertrieben“ Wie so viele Erzeugnisse dieser Zeit hielt sich das Werk nicht lange auf den Brettern der Opéra Comique, weil das Publikum immer neue Stücke verlangte (Berlioz charakterisierte noch vierzig Jahre später das Haus treffend als „einen Gargantua, der die jungen Komponisten verschlingt, ohne es zu merken“). Die düstere Epoche der Entstehung merkt man dem Werk nicht an. Ganz im Gegenteil: es ist eine duftige, kleine hübsche Komödie mit kurzen Arietten und viel Dialog, in der ein alter Narr dargestellt wird, der sich in eine junge Frau verliebt, aber am Ende dank des „jungen Weisen“ zur Räson zurückkehrt. Berlioz brachte viel später der etwas oberflächliche Glanz der Partitur zwar auf die Palme, aber zu Unrecht.

Méhuls opéra-comique „Le jeune sage et le vieux fou“:  Theaterzettel 1793

Lebendig und tänzelnd klingt klingt die vorliegende Interpretation comme il faut, sie leidet aber unter zwei schwerwiegenden Entscheidungen. Die Partitur wurde erstens bearbeitet und für einige wenige Instrumente eingerichtet (fünf Streicher, vier Bläser und ein Hammerklavier), was trotz des anerkennenswerten Engagements der Musiker nur erahnen lässt, wie das Original klingt. Ferner: wieviel Originaldialog ist dabei? Was hat man gekürzt? Immerhin wird nicht einmal die wunderschöne Ouverture vollständig dargeboten. Zweitens kommen junge Sänger-Darsteller zum Einsatz, die sich gut auf der Bühne bewegen, klar und verständlich sprechen, jedoch den vokalen Ansprüchen nur knapp gerecht werden. Am besten zieht sich die Kanadierin Anne-Marie Beaudette aus der Affäre. Bei Regisseur Juan Kruz Dias De Garajo Esnaola ist der Name länger als die Liste der inszenatorischen Ideen. Haupteinfall ist es, das Instrumentalensemble einzubeziehen und die handelnden Personen und Instrumentisten immer wieder auf der Bühne neu zu formieren, was mehr oder weniger gut gelingt. Insgesamt gemahnt die mise en scène fatal an eine mittelprächtige studentische Aufführung. Auch der Verlag Les Editions Buissonnières, welcher den Vertrieb der offenbar von dem Ensemble Les Monts du Reuil verantworteten Produktionen gewährleistet, hat sich keine Mühe gegeben. Der Käufer muss sich mit der nackten Wiedergabe der Oper begnügen, ohne Booklet oder Extras. Méhul-Bewunderer werden jedoch nicht weise handeln können, sondern wie verliebte alte Narren die DVD erstehen, weil sie sonst keine Möglichkeit haben, Le jeune sage et le vieux fou kennenzulernen. Den anderen sei empfohlen, auf eine bessere Publikation zu warten. Michele C. Ferrari

 

E.N. Méhul, Le jeune sage et le vieux fou: H. Tunc (Cliton), D. Mignien (Merval), A.M. Beaudette (Rose), A. Bacquet (Elise), P. Bonnefoy (Frontin), Bläser der Opéra de Reims, Les Monts du Reuil, dir. Pauline Warnier und Hélène Clerc-Murgier, 1 DVD ohne jegliche Ausstattung, Les Editions Buissonnières (https://www.editions-buissonnieres.fr), Derselbe Verlag veröffentlicht die Partitur des Werkes (ISBN 978 2 84926 333 4).

Bronte made in USA

 

Als die 2016 in Birmingham uraufgeführte Jane Eyre des 1927 in Kapstadt geborenen John Joubert auf CD erschien, hatte ich noch angemerkt, dass Charlotte Brontës Erziehungs- und Gouvernanten- Roman regelmäßig im Kino oder Fernsehen auftauche.. Auf der Bühne indessen nicht. Das hat sich geändert. Noch im gleichen Jahr, im Oktober 2016, gelangte am Kaye Playhouse in New York die in den Jahren 2010-14 entstandene alternative Jane Eyre von Louis Karchin im Rahme eines Festivals des Center for Contemporary Opera erstmals zur Aufführung. Im Jahr darauf fanden sich alle Beteiligten der Uraufführung an der State University of New York at Purchase neuerlich ein, um das Werk aufzunehmen (Naxos 2 CD 8.669042-43).

Die Librettistin Diane Osen verteilt Brontës Roman auf drei Akte mit jeweils drei Szenen, lässt die freudlose Kindheit und Internatszeit der Waisen Jane Eyre weg und erst setzt ein, als Jane ihre Stelle als Gouvernante für ein französisches Mädchen auf Thornfield Hall antritt. Sie und der Hausherr Mr. Rochester verlieben sich ineinander. Doch bis Jane nach gut zwei Stunden erleichtert aufatmen und die Oper mit einer fast straussisch verblühenden Szene beenden kann, „If I ever thought a kind word, if I ever did a good deed, if I ever said a pure prayer, The Lord hast now rewarded me“, müssen einige Hürden genommen werden. Beispielsweise werden die Hochzeitsvorbereitungen durch die Ankündigung von Anwalt Briggs gestört, Rochester sei bereits verheiratet. Rochesters geistesgestörte Frau lebt seit Jahren in einem abgeschlossenen Teil auf Thornfield Hall. Rochesters Angebot, mit ihm zu fliehen und wo anders zu leben, ist für Jane aufgrund ihrer moralischen Grundsätze keine Option. Sie findet Zuflucht in einem kleinen Dorf, nimmt eine Stelle als Dorflehrerin an, kommt zu Wohlstand und kehrt kurz vor ihrer geplanten Hochzeit mit dem Vikar Rivers zu Rochester nach Thornfield Hall zurück. Auf dem Herrensitz brach ein Feuer aus. Beim Versuch, seine Frau zu retten, verlor Rochester sein Augenlicht.

In diese farbige, spannende und gemütvolle Geschichte packt der 1951 geborene Louis Karchin alles, was er über Oper weiß. Er fährt orchestrale Mannigfaltigkeit und solistisches Geblinkte auf, setzt anfangs stärker auf Arien – Jennifer Zetlan kann gleich in der ersten Szene in zwei ausführliche Arien Janes Schicksal erzählen und mit ihrem zart lyrischen Unschuldssopran Akzente setzen – die den Solisten Gelegenheit geben, sich zu profilieren, dagegen im dritten Akt im Haus des Vikars und seiner beiden Schwestern stärker auf einen parlandofleißigen Konversationsstil. Man denkt an Britten, Strawinsky, Barber und andere. Das ist durchaus findig, etwa bei einem Dinner in der zweiten Szene, bei dem Rochester als Opernliebhaber vorgestellt und Lucia di Lammermoor, Anna Bolena und Lukrezia Borgia erwähnt werden. Rochester erklärt seinem Gast Mrs. Ingram, „Donizetti, to be exact, a composer, Mrs. Ingram, for the opera, the most sublime art invented by man“, worauf Mrs Ingram meint, „Mr. Ingram never cared for music, nor for Italiens“. Dazu musikalische Hinweise auf Lucia, die Rochester an seine häusliche Situation mit einer zuhöchst verwirrten Gattin gemahnen. Es gibt ein Quartett, Zitate, volkstümlicher Balladen, eine Zigeunerszene, ausladende Orchesterzwischenspiele im zweiten und dritten Akt sowie ein Vorspiel zum dritten Akt, leidenschaftliche Duette, Kindergesänge, eine große Arie für Rochester am Ende des zweiten Akts, in der Ryan MacPherson seinen hellen Tenor eindrucksvoll entfaltet, , schließlich als Höhepunkt eines eklektizistisch geschliffenen Stils das romantische Duett der Liebenden. Das ist hübsch zusammen- und vollgepackt, mir in der orchestralen Sprache etwas zu kalkuliert und kunsthandwerklich. Die New Yorker Uraufführung in Kristine McIntyrea passgenauer Inszenierung dürfte anrührender gewesen sein als die reine Konzertaufführung, bei der sich Karchin und das Orchestra of the League of Composers sowie sieben Solisten in mehreren Partien hingebungsvoll für die Sache der modernen Oper einsetzten.   Rolf Fath

William Dooley

 

An William Dooley erinnere ich mich gut. Er war im damaligen West-Berlin der Sechziger und Siebzieger eine bekannte Erscheinung, verkehrte viel in Sängerkreisen um Barrie McDaniel herum, war ein viel gesehener Gast im Kaufhaus KaDeWe und in den sozialen Einrichtungen der Stadt. Er war hochgewachsen, von sportlichem Aussehen und flotter Rede mit starkem Akzent wie die meisten amerikanischen Sänger an der Deutschen Oper jener Jahre. Denn es gab viele von ihnen. Spätestens als die DOB 1961 vom Theater des Westens (der ehemaligen westlichen Städtischen Oper der Nachkriegszeit) in ihr neues Domizil an der Bismarckstrasse umzog, waren die amerikanischen Künstler hier unentbehrlich. Annabelle Bernard bediente das Spintofach der italienischen Oper (aber auch Rollen wie Offenbachs kalkweiss geschminkte Antonia neben Thomas Tipton in Kaslicks denkwürdiger Drehbühnen-Inszenierung), ohne Barrie McDaniel und Donald Grobe ging nichts in Mozart-Opern, aber auch in anderen wie dem Jungen Lord konnte man die Flexibilität der beiden bewundern (Catherine Gayer erwähne ich nur zähneknirschend).

Und da war, neben vielen anderen wie dem wunderbaren Robert („Bobby“) Kerns als hinreißender Bariton alternierend mit George Fortune in den italienischen und französischen Partien (Fortunes Barnabà gehört zu den großen Momenten meiner Erinnerungen), eben William Dooley als Bass vom Dienst in fast jeder Salome. Aus der Zisterne blickte er auf Anja Silja oder Leonie Rysanek, war Graf zu Elisabeth Grümmers oder Pilar Lorengars Gräfinnen im Figaro oder Donnen im Don Giovanni, war Telramund zur Elsa ersterer, auch Posa zu Josef Greindles Philipp als Fischer-Dieskau die Rolle am Hause nicht mehr sang, war Beethovens Don Pizarro zu Gré Brouwenstijns nicht nur optisch robuster Leonore, auch Faninal zur Grümmer und Bote in der Frau ohne Schatten zu Gladys Kuchta. Viele Abende mehr, seit 1962.  

Gemeiner Weise hörten die gutgepflegten Fans (es gab eine richtige Kultur der Kaffee-Einladungen im Hause der Sänger, auch eine gutgeölte Claque in jenen Jahren, die hörbar enthusiastisch für Jubel sorgte) die amerikanischen Sänger meist in der zweiten Reihe der Hauskräfte. Kamen illustre Gäste wurde sie von denen ersetzt als Mandryka, Figaro-Graf, Don Giovanni oder Telramund (eine der eindrucksvollsten Partien Dooleys). Das war bitter, aber so war´s eben. Selten fiel internationaler Glanz auf sie – immerhin gibt es so aufregende Mitschnitte wie Mercadantes Giuramento 1974, wo Annabelle Bernard im Kreise des jungen Carreras, der dto. Agnes Baltsa und Robert Kerns glänzen darf. William Dooley werde ich auch nicht für seinen Macbeth neben der großartigen Gladys Kuchta vergessen (DOB 1963), den er zerrissen und differenziert herüber brachte, während die Kuchta – unsere Haus-Heldische – einen ungewohnten und erfolgreichen Ausflug zu Verdi unternahm, sonst eigentlich auf Wagner und Strauss festgelegt war (ich bitte ihr heute vieles ab, denn sie war eine wirklich gute und solide Sängerin, damals seufzten wir oft…). So war Dooley in West-Berlin Teil eines festen, von Amerikanern geprägten Ensembles, das den Spielplan belebte und dem Opernleben ein ganz eigenes Gesicht gab. Es waren ab 1962 auch meine Lehr-und Lernjahre in Sachen Oper, und William Dooley war ein fester Teil davon. Er starb am 8. August 2019. Ich ziehe meine  Hut vor ihm und seiner unvergessenen Persönlichkeit. Geerd Heinsen

 

Ein Nachruf von William Dooleys Berliner Stamhaus, der Deutschen Oper Berlin, findet sich nicht, so greifen wir auf den von unseren Kollegen des Wiener online-Merkers zurück (Danke!). William Dooley, geboren am 9. September 1932 in Modesto (Kalifornien); 1950-54 studierte er an der Eastman School of Music in Rochester bei Lucy Lee Callund und kam dann für zwei Jahre als Soldat nach München. Hier wurde er Schüler der Pädagoginnen Viktoria Prestel und Hedwig Fichtmüller. 1957 debütierte er am Stadttheater von Heidelberg als Posa im »Don Carlos« von Verdi, begann dabei aber gleichzeitig eine erfolgreiche Karriere als Konzert- und Liedersänger. 1959-62 war er am Stadttheater von Bielefeld engagiert. 1962 folgte er einem Ruf an die Deutsche Oper Berlin, an der seine Karriere den Höhepunkt erreichte, und wo er eine Vielzahl von großen Baritonpartien sang. 1964 wirkte er bei den Festspielen von Salzburg als Titelheld in »Lucio Silla« von Mozart, 1966 als Escamillo in »Carmen« und am 6.8.1966 in der Uraufführung der Oper »Die Bassariden« von H.W. Henze (als Hauptmann und Adonis) mit. 1964 wurde er Mitglied der Metropolitan Oper New York (Debüt als Titelheld im »Eugen Onegin« von Tschaikowsky). Er blieb an diesem Haus während 14 Spielzeiten engagiert und trat dort bis 1977 in 26 verschiedenen Partien in insgesamt 188 Vorstellungen auf:  als Heerrufer und als Telramund im »Lohengrin«, in den vier dämonischen Rollen in »Hoffmanns Erzählungen«, als Graf in »Le nozze di Figaro«, als Jochanaan in »Salome« von R. Strauss, in der Titelrolle von A. Bergs »Wozzeck«, als Mandryka in »Arabella« von R. Strauss, als Großinquisitor im »Don Carlos« von Verdi, als Don Pizarro im »Fidelio«, als Geisterbote in der »Frau ohne Schatten« von R. Strauss, als Orest in »Elektra« von R. Strauss, als Escamillo, als Scarpia in »Tosca«, als Sprecher in der »Zauberflöte«, als Fliegender Holländer, als Amonasro in »Aida«, als Musiklehrer in »Ariadne auf Naxos« von R. Strauss, als Amfortas im »Parsifal«, als Kurwenal in »Tristan und Isolde«, als Faninal im »Rosenkavalier«, als Gunther in der »Götterdämmerung«, als Rangoni in »Boris Godunow«, als Donner im »Rheingold« und als Marquis de la Force in »Dialogues des Carmélites« von Fr. Poulenc. In Europa wie in Nordamerika setzte er seine große Karriere als Konzertsänger fort. Seit 1967 trat er oft an der Königlichen Oper Kopenhagen auf. 1977-82 gastierte er in insgesamt 19 Vorstellungen an der Staatsoper von Wien (als Amfortas, als Sprecher in der »Zauberflöte«, als Jochanaan, als Kurwenal, als Faninal, als Don Pizarro und als Fliegender Holländer). Er sang in zahlreichen Uraufführungen zeitgenössischer Opernwerke: 1963 an der Deutschen Oper Berlin in der »Orestie« von Darius Milhaud (den Apollo) und 1964 in »Cortez« von Roger Sessions (den Montezuma), 1965 in »Der Traum des Liu-Tung« von Isang Yun (Uraufführung in der Akademie der Künste Berlin), 1976 an der Deutschen Oper Berlin in »Der Tempelbrand« von Toshiro Mayuzumi, 1979 in Hamburg in »Jakob Lenz« von W. Rihm (den Oberlin), 1984 an der Deutschen Oper Berlin in A. Reimanns »Gespenstersonate«, 1989 in Los Angeles in »Los Alamos« von Marc Neikrug. 1987 gastierte er an der Deutschen Oper Berlin, 1991 an der Oper von Santa Fé als Tiresias in »Oedipus« von W. Rihm. Weitere Bühnenpartien: Kothner in »Die Meistersinger von Nürnberg«, Macbeth von Verdi, Dr. Schön in »Lulu« von A. Berg, Baron d´Houdoux in »Neues vom Tage« von P. Hindemith, Gorjantschikow in Janáceks »Aus einem Totenhaus«, Nick Shadow in »The Rake´s Progress« von Strawinsky, Major Mary in »Die Soldaten« von B.A. Zimmermann.

Auf RCA sang er den Telramund in einer vollständigen Aufnahme des »Lohengrin«, auf Harmonia mundi in »Jakob Lenz« von Wolfgang Rihm. (Danke noch einmal an den online-Merker Wien! Foto oben: William Dooley als Figaro-Conte an der Met/ Melancon/ Met Archive; G. H.)

 

Gounods „Faust“ von 1859

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Während im Gounod-Jahr 2018 ein unbekanntes Werk an der Opéra-Comique exhumiert wurde (La Nonne sanglante) brachte das Théâtre des Champs-Elysées eine bislang unveröffentlichte Version des berühmten Faust heraus. Gesprochene Dialoge (ein wesentlicher Bestandteil der ersten Version von 1859), andere Arien und reorchestrierte Melodramen machen diese interessante Exkavierung aus, die im Rahmen des Festivals des Palazzetto Bru Zane vorgestellt wurde.

Mit Spannung also sehen Freunde der Großen französischen Oper den Mitschnitt des gounodschen „Ur-Faust“ von 1859 am  Pariser Théâtre de Champs-Elysées entgegen (eigentlich eine eigene Aufnahme ohne Publikum), wo 2018 eine illustre Besetzung, angeführt von der Tenorentdeckung Benjamin Bernheim, (ein neuer lyrischer und französischer  Tenor zum Träumen; laut des Chicago Tribune, “der lang ersehnte lyrische Tenor, den die Opernwelt schon lange suchte.” ), das in der Neuzeit nie gehörte Werk aus der Taufe hob. Nun ist diese Erst-Form 2019 beim Palazetto Bru Zane auf CD herausgekommen (wieder einmal nur in Französisch-Englisch bei Ediciones Singulares/ 3 CDs; die im gewohnten Buchformat gehaltenen Veröffentlichung bietet zudem Beiträge von Alexandre Dratwicki über die Probleme einer Neuvorstellung der Oper, Gérard Condé über die Verbreitung und schließlich Paul Prévost über den „anderen“ Faust.

Das ist uns so interessant, dass wir operalounge.de-Lesern nach einer Kritik der Aufnahme  einen Artikel zur Fassung 1859 aus dem Hause Bärenreiter vorstellen. Es gibt doch immer wieder freudige Überraschungen, und der Palazetto – mit etwas diskutabler Ausrichtung auf fast nur die späten Werke Frankreichs und nach der mehr als diskutablen Périchole, jüngst – wetzt hier viele Scharten aus.  G. H.

 

„Faust“ 1859: das Konzert im Théâtre des Champs-Elysées 2018/ Foto Amélie Debray/Palazetto

Geerd Heinsen: Ohne den dicken Firniss der weltbekannten Grand Opéra-Version hört man einen unbekümmerten und teilweise fantasievollen Faust neu, mit Passagen, die fast des Boulevardtheaters würdig wären. Lange, ausgiebige  Dialoge und drastische aparts unterstreichen zum Beispiel den lüsternen Charakter von Marthe, der drolligen Witwe, die gerne Mephisto zum Nachtisch verspeisen würde. Siebel macht sich ein Fest mit dem beschwören des himmels um seine Blumen zu retten. Marguérite kann im Dialog nicht fassen, was sich ihr im kleinen Kästchen bietet. Auf der Herrenseite betont Wagner (von dem wir später erfahren, dass er im Krieg gestorben ist) seine Liebe zur Flasche, und seine notorischen kleinen Liedchen sind enge Verwandte von bekannten schmuddeligen Gassenhauern. Mit Schmunzeln konstatiert man manche humoristische Elemente, die in Teilen in die spätere Version eingegangen sind. Aber auch Marguérite wird eine andere, dialogbehaftete Figur. Und der ruppige Valentin erfährt durch die „neuen“ Texte eine Bereicherung seiner martialischen und nicht unbedingt netten Persönlichkeit. Seine unbarmherzige Seite wird früh vorbereitet.

Konzertant gehen die Sänger unterschiedlich mit so viel Sprechtext um. Benjamin Bernheim (Faust) fällt zwar gesanglich durch seine jugendliche Emphase auf, im Sprechbereich bleibt er eher blass. Ingrid Perruche (die launige Frau Marthe) und Andrew Foster-Williams (Méphistophélès) verstärken die witzigen Effekte mit avec. Véronique Gens chargiert als Marguérite ein wenig zu viel. Juliette Mars gibt als Siebel den Feschen und lacht keckernd und albern. Dieser „junge“  Faust braucht in der Tat eine Inszenierung oder eine gelungene Abendregie, um textlich voll und ganz von Sängern herüber gebracht zu werden. Hier hört man einen konzertanten Abend, was ja auch zum Kennenlernen reicht.

„Faust“ 1859: Plakat der Uraufführung/ OBA

Abgesehen von dem eingefügten Dialogen beinhaltet die Partitur interessante Modifikationen und der Vergleich zu später ist interessant: die Arie des „Maître Scarabée“, die an diesem Abend von Mephisto gesungen wurde, hat nicht das Format von Valentins „Veau d’or“, das sie in der Endfassung ersetzt. Man entdeckt andere bemerkenswerte Nummern (die schöne Romanze von Siebel „Versez vos chagrins dans mon âme“), und die sorgsam gearbeiteten Melodramen sind überzeugend und bringen die Geschichte voran – eine wirklich andere Atmosphäre tut sich auf. Das allerdings ist auch wörtlich zu nehmen, denn die Aufnahme schwankt in der Akustik: Die Dialoge wurden getrennt aufgenommen, wie man mit Kopfhörern hört, wo man sich an die recht hallige Akustik gewöhnen muss. Und gelegentlich sind kleine Bum-bum-Geräusche zu vernehmen, als ob jemand hinter der der Bühne des Champs-Elysée etwas laut während der Aufnahme auftritt. Mit dem Textbuch in der Hand folgt man dem Ganzen wie einem Rosamund-Pilcher-Film, spannend und von der Geschichte gefesselt, die sich durch die Sprecheinlagen ganz anders und unmittelbarer auftut.

Das für den an der späteren Version geschulten Opernliebhaber unterhaltsame Spiel der Unterschiedsvergleiche ist nicht das einzig Interessante: Dieser Faust weist eine fabelhafte Besetzung auf und lohnt die Anschaffung schon deswegen – ich kenne keine andere so unterhaltsame Aufname des Werkes. In der Rolle der Marguérite zeigt Véronique Gens eine hochmenschliche, anrührende Rollen-Darstellung und eine großartige melodische Expressivität (wenngleich in der Stimmfarbe dunkler und mütterlicher als gewohnt, dagegen klingt ihr Faust wie ihr Sohn…). Sogar die abgenutztesten Teile der Partitur werden durch ihre Interpretation neu: „Le roi de Thulé“ und die Juwelenarie begeistern durch Gestaltung und erstklassige Diktion, die man allen konstatieren muss. Die Politik Dratwickis, Mikron-Sänger zu nehmen, dh. Sänger, die die Sprache erstklassig herüberbringen und damit das Spezifische an der französischen Oper, zahlt sich aus. Selten habe ich eine so gut durchörbare, total verständliche Oper gehört, nicht nur französische. Véronique Gens´ „Anges purs, anges radieux“ am Ende (wie auch der Schluss der Juwelenarie) zeigen aber auch ihre Grenzen in den nun schwieriger gewordenen Höhen und eine etwas wackelige  Intonation. Aber dieses Schluss-Trio zählt auch zu den schwierigsten Sopranpassagen der gesamten Opernliteratur, wie Bidu Sayao und Maggie Teyte berichteten, wenn sie sich mit den De Reszke-Brüdern morgentlich einsingen mussten.

„Faust“ 1859: Benjamin Bernheim betört auf der neuen „Faust“-Aufnahme des Palazetto Bru Zane/ Foto BJ website

Neben der Gens  brilliert Benjamin Bernheim in der Titelrolle. Er ist der eigentliche Held dieser Aufnahme, ein echter tenor de démi-charactère (wie Alexandre Dratwicki in seinem Artikel beschreibt), eine wahre Entdeckung mit aller ardeur und jeunesse eines hinreißenden französischen Tenors. Sein jugendlich-homogenes und leuchtendes Timbre machen aus ihm einen großartigen Faust, der durch seinen jubelnden, heroischen Ton glänzt („Salut, ô mon dernier matin“) und durch seine Zartheit verzaubert („Salut, demeure chaste et pure“ ist ein richtiger Grund, dies dreimal hinter einander zu hören).Was für eine Stimme – ich war, wie man umgangssprachlich sagt – einfach „von den Socken“ und saß mit offenem Mund da. Nicht entfernt werden ihm die youtube-Dokumente gerecht. Und man hofft, dass er sich nicht verführen lässt, zu groß zu singen – es gibt Anzeichen, leider. Und jeder gute Tenor wird vom Cavaradossi gereizt. Nein – wie Alagna zu Beginn sollte Bernheim erstmal beim Lyrischen bleiben und sich nicht im internationalen Spinto-Fach verschleißen. Aber Bitten sind eben nur Bitten…

Der dritte Pfeiler dieser ungewöhnlichen Produktion, der kraftvolle Jean-Sébastian Bou,  zeigt seine ganze Klasse in der kleinen Rolle des Valentin. Sein Ausdruck im Tod ist einer der großen Momente der Aufführung. Andrew Foster-Williams ist ein Dialog-beredter Teufel. Natürlich verführt der Dialog-Text der Version von 1859 ihn dazu, den chargierenden Filou zu spielen. Sein Méphistophélès hat eher eine suggestive, launige Anlage, weniger gefährlich als elegant. In der Tiefe wünscht man sich mehr Grundierung, die dieser Rolle ihre Dimension geben soll. Gegenüber seinen Landsleuten wie Journet oder Pernet ist er mir nicht „schwarz“ genug, aber das ist Geschmackssache.

Der Rest des Ensembles bleibt solide: Der munteren Juliette Mars (Siebel) fehlt es an freier Höhe, die Stimme spreizt sich da unangenehm. Wenn es den Begriff Mezzo-Soubrette gäbe, träfe das auf sie zu. Anas Séguin (Wagner) zeigt sich zwar als exzellenter Komiker, aber sein rauhes Timbre leidet unter dem Vergleich mit seinen Mitdarstellern.  Ingrid Perruche macht mit bühnennaher Sprachgewandtheit fabelhafte Unterhaltung. Der Chor des Flämischen Radios ist atmosphärisch und artikuliert gut; zudem treten aus ihm die restlichen Solisten hervor.

„Faust“ 1859: Dirigent Christophe Rousset/ Palazetto/TCE

Den Talens Lyriques und ihrem musikalischen Leiter Christophe Rousset gelingt, dieser wieder entdeckten Partitur pulsierendes Leben einzuhauchen. Ihm fehlt  vielleicht der lyrische, sinnliche Schwung, in der berühmten romance „Salut demeure“ bleibt er mir viel zu langsam und hungert den Tenor aus, an anderen Stellen haut er mit dem Blech zu. Das scheint mir unausgeglichen. Der berühmte Walzer der 2. Akts „Ainsi que la brise légère“ profitiert von einem fast militärischen Tempo. Die Walpurgisnacht ist packender als auf Aufnahmen der späteren Fassung, wo  Rousset eine bemerkenswerte Durchsichtigkeit der Musik erreicht, vielleicht auch weil historische Instumente (Flöte, Oboe) verwendet werden: Gounods wird in der Tradition der vorausgehenden Auber-nahen Musiksprache gezeigt, nicht als der Komponist der suppigen, bodenlastigen Instrumentierung späteren Werke. Besonders die Solo-Flöte fällt  mit bewundernswerter Phrasierung auf, begleitet vom Horn in herrlicher Harmonie. Alles in allem ist dies die ganz große Neuerscheinungs-Überraschung dieses Jahres und im Kanon der Palazetto-Aufnahmen Großer französischer Opern nach der Reine de Chypre die gelungene Überraschung. Absolut empfehlenswert.  Geerd Heinsen

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„Faust“ 1859: Joseph Barbot war der erste Titelsänger/ art lyrique; auch da findet sich eine Biographie: Joseph Théodore Désiré Jules dit Joseph BARBOT; ténor français (31.Toulouse, 12 avril 1824 – 75009.Paris, 26 décembre 1896); Cousin éloigné de Paul BARBOT, compositeur.; Epouse à 75002.Paris le 16 mai 1850 Caroline BARBOT, cantatrice. Il reçut à la maîtrise de sa ville natale une si bonne éducation musicale que, dès 1838, il était déjà premier violon au théâtre du Capitole. Il vint à Paris, encore bien jeune, ayant l’étude de la composition pour but et son violon comme unique moyen d’existence. Il entra au Conservatoire en 1842 et suivit d’abord la classe d’harmonie de M. Elwart, qui lui conseilla de se consacrer à la musique vocale. Elève de Garcia, il obtint, au concours de 1845, un accessit de chant, le second prix en 1846 et le premier prix en 1847. Au mois d’octobre de la même année, il débuta à l’Opéra dans le Comte Ory et joua successivement le Philtrela Muette de PorticiCharles VI et Léopold de la Juive. Quelques mois plus tard, à la suite de la révolution de Février, Garcia alla s’installer à Londres et confia sa classe à son ancien élève, qui la dirigea avec succès jusqu’en 1850. C’est à cette époque qu’il épousa Mlle Caroline Douvry, dont il était le professeur, et déjà chanteuse légère à Vichy, sous la direction de Strauss. Ils s’éloignèrent bientôt de Paris, engagés tous deux au théâtre de la Monnaie, à Bruxelles. Ils chantèrent trois ans dans cette ville et deux ans à Lyon. En 1856, M. Barbot débuta, le 12 mars, à la salle Feydeau, dans le rôle de Georges Brown de la Dame blanche. « L’agilité, la correction et le goût, dit M. A. de Rovray, sont les qualités dominantes du jeune ténor. Les notes de poitrine sont fort bonnes et ne manquent ni de force ni d’élan ; mais il excelle dans la voix de tête et dans la voix mixte ; il phrase bien, il sait filer un son et le diminuer jusqu’au pianissimo. Il respire où il faut respirer ; ses ornements sont bien choisis, sa vocalisation bien nette et il ne s’engage jamais dans un trait qu’il n’en sorte à son honneur. Il a dit l’invocation : Viens, gentille dame, avec un charme extrême, une délicatesse, un fini qui lui ont valu des tonnerres d’applaudissements. » Il chanta avec non moins de réussite Blondel de Richard Cœur de LionZampa, Lionel de l’Eclair, Gaston des Dames capitaines, de Reber (1857) ; Fra Diavolo, Surgis des Monténégrins (1858). Le 19 avril 1858, il créa avec sa femme le Siège de Lille d’A. Delannoy au Grand-Théâtre de Lille. Au commencement de mars 1859, il se disposait à quitter Paris quand la direction du Théâtre-Lyrique lui offrit de se charger du rôle de Faust dans l’opéra de Gounod. Il n’hésita pas à remplacer un acteur qui représentait ce rôle depuis un an, et il le joua dans l’espace de quinze jours. Ce fut sa dernière création. Il s’était retiré à Toulouse, quand il fut nommé, en 1875, professeur de chant au Conservatoire, en remplacement de Pauline Viardot. Il est décédé en son domicile 16 rue Halévy à Paris 9e.

Der Verlag Bärenreiter schreibt: Der Band aus der Reihe L’Opéra français mit den Dialogfassungen bringt Licht in die verwirrende Entstehungs-Geschichte von Gounods Faust und bietet den Bühnen eine attraktive Alternative. Charles Gounods Faust erlangte seine internationale Anerkennung in der Fassung als vollständig gesungene Oper; darüber geriet ganz in Vergessenheit, dass das Werk ursprünglich mit gesprochenen Dialogen komponiert worden war. Die beiden frühen Fassungen mit Rezitativen sind Gegenstand der neuen Ausgabe und enthalten bislang unveröffentlichte Nummern und Melodramen. (Die dritte Opernfassung, die sog. „Version Opéra“, ist 2016 in einer Kritischen Ausgabe erschienen, BA 8713).

Gounod beschäftigte sich zwar seit 1838 mit Goethes Faust, sein wirkliches Interesse an dem Sujet erwachte jedoch erst 1850, als am Théâtre du Gymnase-Dramatique die Aufführung des Drame fantastique Faust et Marguerite von Michel Carré zu erleben war. Dieses Stück diente Jules Barbier als Grundlage für das Libretto der Oper, das Gounod getreulich in Musik setzte. Das Libretto war zu lang, jedoch so geschickt angelegt, dass es eine dramatisch erfolgreiche Aufführung zu gewährleisten vermochte, und gründete auf drei Elementen: Das erste ist natürlich die Liebesbeziehung zwischen Faust und Marguerite. Das junge Mädchen, fromm und naiv, erliegt dem Charme eines widerspruchsvollen Faust, der sich anfänglich wie ein skrupelloser Verführer verhält, bevor er schließlich das Vertrauen in seinen ausschweifenden, teuflischen Gefährten verliert. Die zweite Handlungsebene des Librettos ist moralischer und religiöser Natur. Der Librettist unternimmt eine Belehrung über die Sünde: Die unschuldige Marguerite hat sich ihrem Liebhaber hingegeben und ein Kind in die Welt gesetzt, das sie zur Vertuschung ihres „Vergehens“ tötet. Ihre aufrichtige Reue ermöglicht es ihr, den Teufel zu entlarven und zu besiegen. Wie eine „neue Eva“ wird sie belohnt und erfährt ihr Heil in einer Apotheose, die an die Himmelfahrt der Jungfrau Maria erinnert. Der dritte Themenbereich des Werks ist das Fantastische. Es bietet Gelegenheit zu spezifisch theatralischen Bühneneffekten, von Fausts Verjüngung über die idealisierte Erscheinung von Marguerite im Hintergrund des Laboratoriums des Gelehrten bis zur Walpurgisnacht, wo Dämonen und Hexen einen Sabbat feiern, den man sich vielleicht sogar noch heftiger gewünscht hätte.

Etliche Nummern unterscheiden sich von den bekannten Stücken nur durch Details in der Orchestrierung (Duett Faust/Méphistophélès „Me voici!…“, Duell-Terzett „Que voulez-vous messieurs?“, Valentins Tod „Par ici, mes amis!“), andere werden hier erstmals veröffentlicht: das Terzett Faust/Wagner/Siebel „À l’étude ô mon maître“, das Duett Valentin/Marguerite „Adieu, mon bon frère!“, Méphistophélès‘ Arie „Maître Scarabée“, Siebels Romanze „Versez vos chagrins dans mon âme!“, Valentins Arie mit Chor „Chaque jour, nouvelle affaire“, der Hexenchor „Un deux et trois“, außerdem sieben „Mélodrames“, deren fehlende oder unvollständige Orchestrierung für die vorliegende Edition vervollständigt wurde.

Leider konnten etliche weitere Stücke dieser ersten Fassung nicht geortet werden, was insbesondere für den letzten Akt gilt, der umfassend umgearbeitet wurde. Einige Nummern wurden drastisch gekürzt, es war jedoch nicht möglich, ihren ursrpünglichen Zustand zu rekonstruieren. So ist von Fausts Original-Kavatine „Salut! demeure chaste et pure“ nur der erste Teil erhalten. Und auch die über hundert Takte, um die das Quartett „Prenez mon bras un moment!“ gekürzt wurde, konnten nicht wiederhergestellt werden.

„Faust“ 1859: Matthieu Balanqué als Méphistophès der Uraufführung/ Ipernity – auch hier Informationen zum Sänger: Mathieu Émile BALANQUÉ; basse française; (Bayonne, Pyrénées-Atlantiques, 16 septembre 1826* – Paris 2e, 29 avril 1866*); Père de Réer BALANQUÉ, baryton.; Au Conservatoire de Paris, il obtint des accessits de chant et d’opéra en 1847, puis un second prix de chant en 1848. Mais c’est surtout avec le célèbre ténor Gilbert Louis Duprez qu’il étudia. Il chanta successivement à Bruxelles, à Toulouse, à Strasbourg, puis à Paris où il débuta au Théâtre-Lyrique en 1852. Il y créa, entre autres, le rôle de Méphistophélès dans le Faust de Gounod le 19 mars 1859. Grand, long, maigre, Balanqué semblait avoir été formé à souhait, physiquement, pour représenter ce personnage ; il y fit preuve d’un véritable talent de chanteur et de comédien. Par ailleurs, il a fait des créations à Baden-Baden : le 03 août 1860 la Colombe (Maître Jean) de Charles Gounod ; le 05 août 1862 Béatrice et Bénédict (Don Pedro) d’Hector Berlioz ; le 27 juillet 1863 la Fille de l’Orfèvre d’Edmond Membrée ; le 10 août 1863 le Chevalier Nahel d’Henry Litolff. Il est décédé, célibataire, en sa demeure, 6 rue de Port-Mahon à Paris 2e.

Nachdem es von Léon Carvalho, dem damaligen Leiter des Théâtre-Lyrique, angenommen worden war, begannen 1858 die Proben für das Stück. Carvalho war eine sehr starke Persönlichkeit, Direktor und Regisseur in einem, und Gounod musste unter seinem Druck unentwegt Änderungen vornehmen. Auch im Laufe der Aufführungsserie und der Wiederaufnahme – das Stück wurde jedes Jahr wieder in den Spielplan aufgenommen – kam es ununterbrochen zu Umgestaltungen. Schon bei der Uraufführung am 19. März 1859 unterschied es sich deutlich von den ursprünglichen Ideen Barbiers und Gounods. Die beiden oben genannten Nummern (Terzett und Duett) waren gestrichen. Die „Ronde du veau d’or“ ersetzte die ursprünglichen Scarabée-Couplets, nachdem Carvalho vier Entwürfe für Méphistophélès-Arien abgelehnt hatte. Der Soldatenchor trat an die Stelle von Valentins Arie. Die Dialoge wurden gekürzt und zwei Melodramen verschwanden. Unberührt blieb die Walpurgisnacht, die bei der Presse auf breite Ablehnung stieß: Man schätzte es nicht, dass Hexen auf Besenstielen ritten oder das Feuer eines Kessels mit Eisenlöffeln schürten. Nach der Wiederaufnahme im Herbst 1859 befand die Presse über die Walpurgisnacht, dass nunmehr „etliche Widerlichkeiten ausgemerzt“ seien.

Der letzte Akt war also beträchtlich gekürzt worden, womit dem Werk ein Großteil seiner fantastischen Dimension abhanden kam. Gounod schuf stets mit leichter Hand gefühlvolle Liebesduette, doch war es ihm wohl nicht gelungen, dem Hexensabbat die nötige Wucht zu verleihen; und die schwache Inszenierung war zweifellos auch nicht hilfreich. Hingegen ließ sich das Publikum von der Kirchenszene mitreißen, die ursprünglich der Rückkehr der Soldaten vorausging: Marguerite befand sich mit dem Spinnrad nicht in ihrem Zimmer, sondern auf dem öffentlichem Platz vor ihrem Haus; in einer offenen Verwandlung öffnete sich die nahe gelegene Kirche, um schließlich die ganze Bühne einzunehmen, die nun das Kircheninnere darstellte. Dieser Effekt verschwand 1862, als das Théâtre-Lyrique auf die Place du Châtelet umzog, wo die viel kleinere Bühne nicht die gleichen szenischen Möglichkeiten bot, weshalb die Kirchenszene an den Aktschluss versetzt wurde.

Infolge der Metamorphosen, die Faust während der Aufführungsserie am Théâtre-Lyrique durchlief (von den Provinzbühnen einmal abgesehen!), ist es unmöglich, eine definitive zweite Version der Dialogfassung herzustellen. Was wir unter dieser zweiten Version verstehen, entspricht ganz genau dem im Juni 1859 erschienenen Erstdruck des Werks als Klavierauszug, die mit der zweiten Edition des Librettos einherging. Obwohl sie nicht den zeitgenössischen Aufführungen in Paris entsprach, dienten diese ihr weitgehend als Vorlage. Diese zweite Fassung, die bis auf fünf Melodramen, die zu orchestrieren waren, vollständig ist, wird auf weniger großes Interesse stoßen: Abgesehen von den Dialogen ist sie der Oper Faust in ihrer traditionellen Fassung zu nah. Die psychologische Anlage der Figuren ist viel einfacher, und das Ausmaß des Fantastischen hat sich beträchtlich verringert. Deshalb komponierte Gounod eine neue „Bacchanale“ für den letzten Akt (Anhang 1 der neuen Edition), wofür im Oktober 1859 in Paris Proben angesetzt wurden, ohne dass es in der Folge je zu einer Aufführung gekommen wäre. Die gesprochenen Dialoge verschwanden 1866, doch alles spricht dafür, dass mehrere Melodramen bis 1869 beibehalten wurden, als das Werk in Paris auf die Bühne der Opéra kam. Paul Prévost (Übersetzung: Annette Thein) (aus [t]akte 2/2017)

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Dank an der Bärenreiter Verlag/ Johannes Mundry für die Erlaubnis der Textübernahme. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Britanic Heroe

 

Edward Elgars Liebe zu den Malvern Hills, einem Höhenzug zwischen Worcestershire und Herefordshire in England, inspirierte ihn zu manch einer Komposition. So auch im Falle des kaum mehr bekannten Werkes Caractacus, einer Königin Victoria gewidmeten Kantate in sechs Szenen für Sopran, Tenor, Bariton, zwei Bassisten, Chor und Orchester, die 1898 ihre Uraufführung erlebte, also kurz vor Elgars Durchbruch mit den Enigma Variations von 1899. Im Zentrum der Handlung steht ein britischer Stammesführer, der die römischen Invasoren bekämpft, schließlich aber auf den Malvern Hills besiegt und nach Rom gebracht wird. Dort sieht er seinem Prozess entgegen, beeindruckt Kaiser Claudius (reg. 41-54 n. Chr.) allerdings dergestalt, dass ihn dieser begnadigt. Hyperion legt dieses fast vergessene, knapp 100-minütige Frühwerk Elgars nun in einer zwei CDs umfassenden Einspielung vor (CDA68254). Zwar wird man Caractacus schwerlich unter die kompositorischen Meisterwerke dieses Komponisten rechnen können, doch stellt die Kantate gleichwohl einen wichtigen Schritt hin zum zwei Jahre später entstandenen Oratorium The Dream of Gerontius dar. Am berühmtesten ist sicherlich der für sich einnehmende Triumphmarsch, der die Schlussszene dominiert, allerdings ein falsches Bild vom Gesamtwerk abgibt, welches eher lyrisch angelegt ist.

Die Neueinspielung stellt tatsächlich gerade erst die dritte Aufnahme überhaupt dar. Ihr gingen voran eine Produktion von 1977 unter Charles Groves (EMI) sowie eine 1992 entstandene Einspielung unter Richard Hickox (Chandos). Hyperion konnte mit Martyn Brabbins einen der führenden lebenden Dirigenten des britischen Repertoires gewinnen. Es spielt das Orchestra of Opera North aus Leeds, begleitet von der Huddersfield Choral Society aus West Yorkshire. Auch die Neueinspielung kann gewisse Mängel des Librettos von Henry Arbuthnot Ackworth nicht vergessen machen. Tatsächlich ist der etwas holprige Text eine Schwachstelle, die Muttersprachlern indes noch deutlicher werden dürfte.

Insgesamt sehr gut ist die Vokalbesetzung. Dies beginnt bereits in der Titelpartie, welche der Bariton Roland Wood übernimmt. Sein würdevolles Portrait des britannischen Helden kulminiert in dessen larmoyanten Klage „O my warriors“ in der vierten Szene, nachdem die Römer die Briten besiegt haben. Nicht weniger beeindruckend die Sopranistin Elizabeth Llewellyn in der Rolle von Eigen, Caractacus‘ treuherziger Tochter. Mit tadelloser Diktion und leidenschaftlicher Hingabe zeichnet sie die einzige weibliche Partie des Werkes nachhaltig. In der Tenorrolle des Orbin agiert Elgan Llyr Thomas, dessen jugendliche Darstellung ein Pluspunkt ist, auch wenn es ihm hie und da ein wenig an Durchschlagskraft mangelt. Die beiden Bassisten haben vergleichsweise wenig zu bewältigen. Christopher Purves fungiert zunächst als Erzdruide (Szenen I und II), später in der Minirolle des Barden. Er ist genauso überzeugend wie der in dieser Sängerbesetzung sicherlich bekannteste Vertreter, Alastair Miles, der den Kaiser Claudius übernimmt, eine Partie, die er bereits vor einem Vierteljahrhundert unter Hickox eingespielt hat.

In diesem Zusammenhang muss auch die bravouröse Leistung des Chores betont werden. Die  Huddersfield Choral Society, die schon unter Sir Malcolm Sargent Elgar-Erfahrung sammelte, weiß in allen Situationen für sich einzunehmen. Schließlich das Orchester der Opera North, welches ebenfalls in Sachen Elgar bestens bewandert ist und durch das temperamentvolle Dirigat angespornt wird. Überhaupt zeichnet sich Brabbins‘ musikalische Leitung dadurch aus, dass sie eben nicht nur die überraschend wenigen pompösen Momente in ihrer vollen Pracht ausspielen, sondern eben auch die vielfältigen pastoralen Passagen mit den ihnen eigenen Charme erklingen lässt.

Insgesamt bringt es die Neuaufnahme fertig, für sich modernen Referenzstatus zu beanspruchen. Sie gibt ein Plädoyer ab für dieses recht obskure Werk der späten viktorianischen Ära, als sich das Britische Weltreich auf seinem Zenit befand. Obwohl insgesamt schwerlich ein Meisterwerk, weist Caractacus doch einige hörenswerte Passagen auf und stellt ein wichtiges Bindeglied zu Elgars späteren Oratorien-Erfolgen dar. Die vorbildliche Klangqualität rundet den sehr guten Gesamteindruck ab und unterstreicht das Gesagte. Daniel Hauser

 

Original britisch, wenn auch nicht viktorianisch, wird es bei der Auswahl von Orchesterliedern von Edward Elgar The Hills of Dreamland, die bei SOMM (SOMMCD271-2) auf zwei CD erschienen, wobei nur die erste Orchestral Songs beinhaltet und die zweite, auf der Nathalie de Montmollin mit der Klavierbegleitung durch Barry Collett in 37 Minuten elf Lieder singt  – bei einigen handelt es sich um die urspürglichen Klavierfassungen der späteren Orchesterlieder –  als Bonus-CD angehängt ist (Two CDs fort he price of one). Bei Elgar denkt jeder an die berühmten Sea Pictures von 1899. Nicht zu unrecht. Auch diese von Barry Wordsworth und dem BBC Concert Orchestra gespielte Auswahl entwickelt in einigen Liedern eine stimmungsträchtige Sogkraft und einen romantischen Zauber, der dazu verführt, die CD mehrfach zu hören.  Es handelt sich um den Zyklus op. 59, die beiden Songs op. 60, die Lieder Pleading op. 48, Follow the Colours: Marching Song for Soldiers und The King’s Way sowie die Bühnenmusik zur keltischen Saga Grania and Darmid. Die fünf Lieder op. 59 von 1909 sind größtenteils elegische, doch nie langweilige Gesänge, in denen Kathryn Rudge ihren Mezzosopran leidenschaftlich und expressiv im erotisch angehauchten The Wind at Dawn, zu dem 1888 Elgars spätere Gattin den Text geschrieben hatte, schwelgen lässt und der Bariton Henk Neven für die introspektiven Momente und die gewitzten Pipes of Pan zuständig ist. Rudge klingt ausgesprochen vorteilhaft in dem straussisch spätromantisch ausgemalten Pleading und dem ironischen King’s Way, Nevens schlankpolierter Bariton bleibt auch in dem als Auftragswerk entstandenen Militärmarsch dezent ausdrucksvoll und nimmt dem vordergründigen Stück etwas von seinem Pomp. Der Begriff Bühnenmusik im Zusammenhang mit dem Prosastück von W.B. Yeats und George Moore Grania and Diarmid von 1901 – im gleichen Jahr wie die ersten beiden Pomp and Circumstance- Märsche entstanden – weckt falsche Erwartungen. Es handelt sich bei der Bühnenmusik für diese Geschichte um den Tristan-Vorgänger Diarmuid um drei kleine Stücken: ein schönes Vorspiel mit Horn- und Trompeten-Signalen, die in die irisch-keltische Sagenwelt einführen, einen Totenmarsch für den Helden Diarmid bzw. Diarmuid und einen Song für Soloalt.  R. F.

Adelaide Negri

 

Wie sagte doch die selige  Anna Russel: „Es ist erstaunlich, zu was die menschliche Stimme fähig ist!“. Das gilt in uneingeschränktem Maße für die Pimadonna  Südamerikas, Adelaide Negri. 1943 geboren starb sie am 17. August 2019. Sie genoss absoluten Göttinnenstatus im heimischen Argentinien, namentlich am Teatro Colon,  und darüber hinaus. Sie sang so gut wie alles, was für eine Sopranstimme erreichbar war: von der Königin der Nacht (in Klagenfurt beim europäischen Debut) zur Norma, von der Semiramide Rossinis zur Butterfly, von der Lucia (so in Wien 1979) bis zu Pergolesis Lida/Olimpiade oder Tosca, von der Vestale zur Imogene/Pirata oder Tosca. Vor allem war sie die Interpretin des Seltenen, etwa Pacinis Saffo oder Petrellas Ione. Letztere ist einigermaßen offiziell festgehalten worden (live bei Bongiovanni), der Rest ihrer unendlich scheinenden  Dokumente findet  sich – mit Ausnahme von ein-zwei halbgrauen LPs/CDs –  in den dunklen Tiefen der Sammlerschätze, reich an Inhouse-Mitschnitten und verwaschenen Video-Einspielungen (so bei youtube eine Semiramide mit Martine Dupuy). Eine umfassende Discographie/ Aufstellung von vorhandenen Dokumenten findet sich hier).

Wenn man eine runde, schöne Stimme für die Norma sucht, dann greift man besser zu Anita Cerquetti (und manche sogar zu Joan Sutherland!). Will man eine lodernde, unregelmäßige, die Konventionen sprengende dann natürlich zur Callas oder eben mehr noch zur Negri. Die Negri kannte keine Grenzen. Sie war die Königin des wilden Belcanto, des veristischen Rossini-Donizetti-Verdi, des ganz und gar nicht korrekten Barock. Sie war nichts für Puristen, und das scherte sie auch nicht. Sie füllte ihre Figuren mit wildem, sich verzehrendem Leben. Ihre Heldinnen liebten und starben (meistens) mit Aplomb, mit überdimensionalem Pathos. Und Pathos ist auch das Schlüsselwort für diese unglaubliche Karriere einer einzigartigen Diva, einer der absolut letzten unangepassten Göttinen der Oper.  Ohne sie ist es dunkler geworden auf der Bühne. Rip. Geerd Heinsen

 

 

Adelaide Negri als Abigaille am Teatro Colon/ Foto Negri

Unsere Freunde von Isoldes Liebestot fassen AdelaideNegris Leben zusammen und bieten viele schöne Fotos auf ihrer website:  Negri, Adelaide, Sopran, * 12.12.1943 Buenos Aires; sie studierte Rechtswissenschaften, darauf Gesang und dramatische Darstellung am Instituto Superior del Teatro Colón Buenos Aires, bei Bernardo Toscano, ebenfalls in der argentinischen Hauptstadt, dann bei Maria Teresa Pediconi in Rom und am London Opera Centre. 1972 kam es zu ihrem Bühnendebüt als Violetta in Verdis »La Traviata«. Sie war dann für viele Jahre als erste lyrische und Koloratursopranistin am Teatro Colón Buenos Aires verpflichtet und sang dort Partien wie die Donna Anna und die Donna Elvira im »Don Giovanni«, die Lucia di Lammermoor von Donizetti (1984), die Butterfly, die Liu in Puccinis »Turandot«, die Elisabetta in Verdis »Don Carlos«, die Leonore im »Troubadour«, die Amelia in »Un Ballo in maschera« von Verdi, die Titelrollen in Bellinis »Beatrice di Tenda« (1986) und in der Donizetti-Oper »Rita« (von der letztgenannten Aufführung wurde auch eine Aufnahme im argentinischen Fernsehen gebracht). 1982 debütierte sie an der Metropolitan Oper New York als Norma von Bellini; im gleichen Jahr war sie an der Wiener Staatsoper zu Gast, 1985 in Washington als Amelia. 1991 sang sie am Teatro Argentina La Plata die Titelrolle in Puccinis »Turandot«, die sie dann auch 1992 beim Festival von Szeged in Ungarn vortrug. (Am Teatro Argentina war sie auch 1994 als Traviata erfolgreich). Am 17.11.1991 sang sie am Teatro Colón die Titelrolle in der Uraufführung der Oper »Antigona Vélez« von J.C. Zorzi. 1998 sang sie (in einer konzertanten Aufführung) am Teatro Avenida Buenos Aires die Titelrolle in Bellinis »Norma«. Neben ihrem Wirken auf der Bühne als Konzertsopranistin geschätzt.

 

Und auf facebook findet sich von einem anonymen user Ausführlicheres in Englisch: Argentinian, italian parents. Diplomated lawyer at the University of Buenos Aires. She studied singing and acting at the “Instituto Superior de Arte del Teatro Colón”, winning the Golden Medal to the best singer, and a British Council Scholarship for one year’s training at the “London Opera Centre”. She sang then at the Bishopsgate Institute in London and at the Fairfield Hall in Croydon (Fidelio), at the Arts Theatre in Cambridge (Donna Anna).

Adelaide Negri is one of the very few Sfogatto sopranos (together with Callas, Gencer, the splendid Marisa Galvany, just to name most of them on last century), who can sing every role from dramatic mezzo to coloratura soprano (as far as we know, ¨Prendi, per me sei libero¨, sang by Negri here in youtube, it´s the most phenomenal vocal portrait showing her huge tessitura almost complet). Negri has alterned for manty years the most different vocal roles, Norma and Lucia, Lady Macbeth and Amina, ecc…

Adelaide Negri als Elena in Boitos „Mefistofele“ am Teatro Colon 1979/ Foto Negri

Negri´s operatic career is unusually long, (37 years long until 2009), and started in 1972 with her first public appearences in Buenos Aires.  She made her début at the Met singing „Norma“, opposite Domingo and Troyanos, conducting Levine. Followed Il Trovatore with Cossotto, Mauro and Pons (1983), Ernani with Pavarotti, Milnes and Raimondi (1983), Macbeth with Milnes and Quilico (1984). In „The Met on tour“ she sang in Boston, and in „The Met in the Parks“ (Lucia di Lammermoor) (1983). In Washington D.C. at the Kennedy Center (Un ballo in maschera), in Denver, Colorado (Il Trovatore), in Bridgeport and Standford (Nabucco) , in San Juan de Puerto Rico (La Gioconda), in Palm Beach (La Traviata).

During her insuallly long career, Negri has sang with hundreds of international collegues, including Luciano Pavarotti, Placido Domingo, Jose Carreras, Nicola Martinucci, Franco Bonisolli, Jaime Aragall, Ermanno Mauro, Sherril Milnes, Renato Bruson, Ruggero Raimondi, Matteo Manuguerra, Juan Pons, Fiorenza Cossotto, Tatiana Troyanos, ecc… And alterned roles with Montserrat Caballé (¨Cristobal Colon¨, by Balada), Ghena Dimitrova (Lady Macbeth), Renata Scotto (Norma), ecc…

Her European debut took place at the Staadtheater Klagenfurt (Austria) singing Lucia (1977/78), „Norma“ 1978) „Il tabarro“ (1978) and „Maria Stuarda“ (1980). Followed by engagements with Staattheater Wien (Lucia), Hamburgishes Oper (Lucia, Il Trovatore) OperBonn („Norma“ „Medea“, „Armida“) Stuttgart Oper („La Traviata“), Bruknerhalle Linz (Guglielmo Tell), Frankfurt Alte Oper (Maria Stuarda).

She sang in Italy: Bergamo, Verona, Torino, Genova, Macerata, Trieste, Cagliari, Catania, Jesi, Padova, Parma: Modena, Piacenza, Reggio Emilia, Ravenna, Ferrara, Rovigo, Treviso, ecc… In France: Radio France, Grand Teatre Tours, Rouen. In Switzerland: Operntheatre Bern, Winthertur Staattheater (Königin der Nacht) In Hungary: Erkel Theatre, Budapest, Szeged Festival. In Spain: Barcelona, Madrid (Macbeth), Bilbao, Mahon, Palma de Mallorca, La Coruña, Santiago de Compostela, Huelva, Almería, Las Palmas de Gran Canaria. In Belgium: Liége. In Portugal: Lisbon (Macbeth, Il Trovatore). In South Africa: Johannesburg, Pretoria and Durban. In Japan: Tokyo. In South Korea: Seoul.

Adelaide Negri: Eine der wenigen LPs/ CDs von ihr gibt es im heimischen Südamerika und auch als Import bei ausgewähltenPlatformen, alles Live, alles extrem und alls Inhouse.

The first Sfogatto Sopranos were contraltos who developed a high soprano register not losing her low notes No doubts about it, Giuditta Pasta was the most famous one as the great Bellini composed for her Norma and Sonnabula, for example. Difficult now to believe, but Amina and Norma were written for the very same voice. These phenomenal voices are difficult to manage and their sounds aren´t neither angelical nor ¨beautiful¨ (Callas, the most famous example), but they are rare treasures and true spectacles.

These superior artists not always lasted too much: Callas only 16 years (from 1949 to 1965), but had her best time only for 8 years (until 1957), Gencer sang for almost 20 years, Galvany had a long career and Negri has again the absolute record as, until today, thanks to her phenomenal vocal technique (her husband, Bernardo Toscanos is her master and coach), her career is almost 40 years long and takes more than 70 roles..

Adelaide Negri als Norma am Teatro Colon/ Foto Negri

Some of these sfogato sopranos were related to the others: Negri, for example, was highly praised by Callas´s husband, who in public said ¨she reminds me a lot to my beloved Maria. I wish her Maria´s career but not her life¨; Gencer attended Negri´s performances saying ¨she reminds me to myself on my early years´, and Negri and Galvani admired mutually.

We talk about phenomenal instruments which are very difficult to master as they are able to change colour, tessitura and volume for almost every role, being for these reasons able to sing almost any operatic role.She made her début in Opera at the Teatro Colón in Lehar’s “The Merry Widow” (1974), beginning then an uninterrupted 25 year’s collaboration with that Theatre: “Rita”, “Madame Butterfly”, “La vida breve”, “Don Carlo”,“Mefistofele”, “Lucia di Lammermoor”, “Norma”, “Beatrice di Tenda”, “Nabucco”, “Aida”, the world’s première of “Antigona Velez” by Juan Carlos Zorzi, “Proserpina y el extranjero” by Juan José Castro, “Macbeth” (1998). In Argentina, she also sang at Teatro Argentino de La Plata: Queen of the Night, Don Carlo, Don Giovanni (D.Elvira), Manon Lescaut, Turandot, Mefistofele (Margherita and Elena), Messa da Requiem. At the Auditorium, with the National Simphony Orchestra: Zemlinski’s Lyric Simphony, Strauss’ Salomé final scene, and the Four last songs; Wagner’s Isolde’s Love Death, Verdi’s Requiem.

Her European debut took place at the Staadtheater Klagenfurt (Austria) singing “Lucia di Lammermoor” (1977/78), “Norma” 1978) “Il tabarro” (1978) and “Maria Stuarda” (1980). Followed by engagements with Staattheater Wien (Lucia di Lammermoor), Hamburgishes Oper (Lucia, Il Trovatore) OperBonn (“Norma” “Medea”, “Armida”) Stuttgart Oper (“La Traviata”), Bruknerhalle Linz (Guglielmo Tell), Frankfurt Alte Oper (Maria Stuarda). She sang in Italy: Bergamo: Teatro Donizetti, Verona: Arena di Verona, Torino: Teatro Regio, Genova: Teatro Margherita, Macerata: Arena Sferisterio, Trieste: Teatro Verdi, Cagliari: Teatro Palestrina and Teatro Romano, Catania: Teatro Bellini, Jesi: Teatro Pergolesi, Padova: Teatro Verdi, Parma: Teatro Regio, Modena, Piacenza, Reggio Emilia, Ravenna, Ferrara, Rovigo, Treviso: Teatri Comunali, Fano: Corte Malatestiana, Enna: Castel Lombardia, Benevento: Arena romana. In France: Radio France (Matilde di Shabran), Grand Teatre Tours (Lucia, Anna Bolena), Teatre des Arts Rouen (Il trovatore). In Switzerland: Operntheatre Bern (Manon Lescaut), Winthertur Staattheater (Königin der Nacht). In Hungary: Erkel Theatre, Budapest (Norma). Szeged Festival (Turandot). In Spain: Gran Teatro del Liceo de Barcelona (Don Giovanni (Elvira), Norma, Un ballo in maschera, Beatrice di Tenda, Balada’s Cristobal Colon,, and covers: La Gioconda, Il Trovatore). Teatro de la Zarzuela de Madrid (Macbeth), Teatro Arriaga y Anfiteatro Olbia de Bilbao (Anna Bolena), Teatro Principal de Mahon (Aida, Un ballo in maschera, La Boheme) y de Palma de Mallorca (Andrea Chenier), Teatro Colón de La Coruña (Tosca, Nabucco), Auditorio de Santiago de Compostela, Gran Teatro de Huelva, Auditorio Padilla de Almería, Teatro Benito Pérez Galdós de Las Palmas de Gran Canaria (La Sonnambula). In Belgium: Liége (Maria Stuarda). In Portugal: Teatro San Carlos in Lisbon (Macbeth, Il Trovatore). In South Africa: Johannesburg Civic Center and Pretoria Arts Council (Nabucco), Durban Alhambra Theatre (Manon Lescaut). In Japan: Bunka Kaikan Hall in Tokyo (I Pagliacci). In South Korea: Sejong Cultural Center in Seoul (Nabucco).

Adelaide Negri als Antigona Velez de Juan Carlos Zorzi am Teatro Colon/ Foto Negri

In U.S.A. she made a surprise début at the Metropolitan Opera House in New York singing “Norma”, opposite Placido Domingo and Tatiana Troyanos, conducting James Levine, a performance also broadcasted for U.S.A. and Canada. (1982) Following a three seasons’ engagement with the Met for Il Trovatore with Fiorenza Cossotto, Ermanno Mauro and Juan Pons (1983), Ernani with Luciano Pavarotti, Sherril Milnes and Ruggero Raimondi (1983), Macbeth with Sherril Milnes and Louis Quilico (1984). In “The Met on tour” she sang in Boston, and in “The Met in the Parks” (Lucia di Lammermoor) (1983). In Washington D.C. at the Kennedy Center (Un ballo in maschera), in Denver, Colorado (Il Trovatore), in Bridgeport and Standford (Nabucco) , in San Juan de Puerto Rico (La Gioconda), in Palm Beach (La Traviata).

In South America: Venezuela: Teatro Municipal de Caracas (Semiramide, Jone, L’africana), Fundación Teresa Carreño (Lucia di Lammermoor, Norma), Uruguay: Teatrro Solis de Montevideo (Tosca, Aida, Turandot). Brazil: Teatro Municipal de Sao Paulo (Semiramide) In 1997, she founded “La Casa de la Opera de Buenos Aires”, promoting less known Operas by Italian composers: Donizetti’s Lucrezia Borgia (1999 and 2000), Roberto Devereux (2000), Maria Stuarda (2002), Anna Bolena (2003), Viva la Mamma (2002); Bellini’s La Straniera (2000), Il Pirata (2001), Norma (2006); Puccini’s Le Villi and Suor Angelica (2001); Cherubini’s Medea (2002); Rossini’s Armida (2003), Elisabetta Regina d’Inghilterra (2004), Guglielmo Tell (2005); Verdi’s Nabucco (2004) and La Forza del destino (2005); Ponchielli’s La Gioconda (2006).

For her extraordinary activity promoting young performers, Adelaida deserved the “Mecenate 2000 Prize” in Buenos Aires. She is frequently invited to dictate Master Classes of Operatic interpretation, and to participate as Jury in Singing International Contests. She has made her debut as producer in „La traviata“ at Theatro Sao Pedro in Sao Paulo, Brazil (Compania Opera de Sao Paulo, 2008).

Schmiss mit Mehltau

 

Der Komponist Leo Fall ist vor allem für ein Werk berühmt, das immer noch auf den Bühnen zu sehen ist  – Madame Pompadour. Seine Dollarprinzessin dagegen kann man als Rarität einstufen. Nun ist eine Gesamtaufnahme dieser Operette unter der Leitung von Ulf Schirmer beim Label cpo erschienen. Die Dollarprinzessin gehörte zu den international erfolgreichsten Operetten des frühen 20. Jahrhunderts. Die Partitur zählt zu den sorgfältigsten und schönsten der Ära, und ist vielleicht die Operette vor dem ersten Weltkrieg, die das Gefühl der Moderne am prägnantesten und amüsantesten einfängt.

Rhythmische Achtel auf Schreibmaschinen: Wer die Dollaprinzessin hört, erfährt viel darüber, was die Zeitgenossen von 1906 so umtrieb: Es gibt ein Auto-Ensemble, emanzipierte Frauen aller Coleur toben über die Bühne – und die Operette hat vielleicht den originellsten Anfang des gesamten Genres – der Vorhang geht auf, und wir hören und sehen einen Chor von Sekretärinnen, die in rhythmischen Achteln auf ihren Schreibmaschinen herumhämmern.

Das moderne Zeitalter triumphiert auf geradezu unverschämte Weise. Für 1906 war das Neuland. Leo Fall und seine Librettisten versuchen hier jede Alt-Wiener Nostalgie-Attitüde abzustreifen und die moderne industrielle Welt auf in einem frechen Operettenlicht zu zeigen.

Das Ganze spielt in Amerika, und dort triumphiert das moderne Zeitalter auf geradezu unverschämte Weise über die alte Operettenwelt – verarmte Aristokraten arbeiten für reiche amerikanische Kapitalistinnen und müssen mit ihren Minderwertigkeitskomplexen fertig werden, während die reichen Damen sich langweilen und recht depressiv sind. Das sind eigentlich Themen, die erst in den 20er und 30er Jahren Einzug halten in die Opern- und Operettenwelt.

Fall verzichtet aber vollständig auf moderne Musik, sein Handwerkszeug sind die Walzer, Märsche und Polken, die auch schon Millöcker verwendet hat. Heute sind uns deshalb vielleicht musikalisch andere Werke näher.

So sehr man die flotte, gut genähte, äußerst elegante und hinreißend instrumentierte Musik bewundern muß: Kalman hat ein ähnliches Thema in der Herzogin von Chicago zupackender gelöst, und reiche emanzipierte Frauen, die Männer in die Verzweiflung treiben, sind in der etwa zeitgleich entstandenen lustigen Witwe genialer gezeichnet. Ganz zu schweigen von Gershwins frühen Musicals.

Eine Operette mit schmissigen Hits: Ulf Schirmer dirigiert eigentlich keine Operette. Er kehrt hier mit dem Münchner Rundfunkorchester die opernhafte Seite des Werks heraus – und das ist erstmal gar nicht so falsch. Nichts wäre schlimmer, als bei dieser fragilen, komplexen Partitur den fröhlichen Haudrauf-Tambourmajor zu geben. Man sollte das Werk ernst nehmen: Da sind zwei große Finali von viertelstündiger Länge, wunderbare ironische Kommentare von Soloinstrumenten zu Singstimmen, die beiden Hauptfiguren haben sehr opernhafte ausgedehnte Duette.

Aber im Kern, bei aller Delikatesse, bleibt die Dollarprinzessin eben doch eine Operette mit schmissigen Hits. Und die gehen hier unter. Ich bewundere Ulf Schirmer wirklich für seine Vielseitigkeit, für seinen Mut, immer wieder unbekanntes Repertoire auszugraben, aber hier fehlt mir über weite Stecken der Schwung eines operettenaffinen Kapellmeisters. Es bräuchte hier wenigstens einen Funken Franz Marszalek, der das Doppelbödige, Frivole der Operette herauskehrt. Der Amerika-Marsch, der in der alten Marszalek-Aufnahme ein Höhepunkt des Werks ist, bleibt hier einfach ein rasches, lautes Stück ohne rechten Charme.

Wie Mehltau liegt eine gewisse Strenge auf allen Stimmen: Die Sänger sind nicht übel. Das klingt gönnerhaft, aber ich denke, im Operettenfach darf man das so sagen. Denn insgesamt ist Operette im 21. Jahrhundert das am miserabelsten  und instinktlosesten gesungene klassisches Genre; niemand würde es wagen, Lieder, Oratorien oder Opern in solch einer Qualität auf dCD zu bringen, wie es seit dem Jahr 2000 mit Operetten  geschehen ist. Natürlich gibt’s glanzvolle Ausnahmen, aber die sind rar. Daran gemessen ist diese Einspielung wirklich erfreulich seriös. Vielleicht zu seriös. Auch hier bleibt die Haltung der Sänger eher opernhaft.

Wir haben diesmal sehr gute Tenöre – oft gewinnen ja heute die Damen in den neueren Produktionen. Ferdinand von Bothmer, Ralf Simon, Thomas Mohr, das ist ein sehr angenehmes Trio mit sicheren Höhen.

Die Frauen klingen allesamt leicht oratorienhaft und kühl. Christiane Libor ist mir persönlich etwas zu dunkel und mütterlich für die Titelpartie der jungen experimentierfreudigen Dollarprinzessin. Geschmackssache. Insgesamt liegt aber wie Mehltau eine gewisse Strenge auf allen Stimmen; man hat über weite Strecken nicht das Gefühl, das ihnen diese Operette wirklich Spaß macht.

Das gilt nicht für den Chor des Musikalischen Komödie Leipzig, der hier nach München eingeladen wurde, die Leipziger stehen zu recht in dem Ruf, dieses Genre mit großer Begeisterung umzusetzen, und so finde ich eigentlich die großen Chornummern hier auch am gelungensten.

Und ich ziehe wie immer meinen Hut vor dem schönen Einführungstext von Stefan Frey im Booklet. Neid unter Autoren, sagt Tucholsky, ist immer ein guter Indikator für Qualität (Leo Fall: Die Dollarprinzessin/ Christiane Libor, Magdalena Hinterdobler, Angela Mehling, Thomas Mohr, Ferdinand von Bothmer, Ralf Simon, Marko Cilic, Münchner Rundfunkorchester, Ulf Schirmer/  CPO 4111675). Matthias Käther

Gounod: „La Nonne sanglante“

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2018 jährte sich der Geburtstag von Charles Gounod zum 200. Mal – Grund für den Palazetto, im Juni  2018 drei  seiner Opern aufführen zwei mitschneiden zu lassen: Le tribut de Zamora (aus München im Januar 2018 für die Eddiciones Singulares), Faust in der Erstversion als Opéra-comique/mit Dialogen (soeben beim Palazetto Labrel Ediciones Singulares erschienen)  und La Nonne Sanglante (die es ja bereits 2008 in Osnabrück gegeben hat und bei cpo  777 388-2 in guter Ausstattung mit Libretto vorliegt, aber auch nun bei Naxos in der hier besprochenen Pariser Version als DVD-Mitschnitt herausgekommen ist/ DVD 2.2110632)

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Der junge Charles Gounod auf einem Foto von Nadar/ OBA

Dazu Rolf Fath über die Nonne Sanglante in der Opéra-Comique: Schwer kommt die Ouvertüre mit ihrem harmonischen Wechselspiel in die Gänge. Die schwere Melodie und die flotten Rhythmen etwa, die das Erscheinen der Nonne begleiten, die chromatischen Eintrübungen, die die Welt des Übernatürlichen beschreiben und sich zusammen mit den Bläsern zu bedrohlichen Situationen bündeln, wie wir sie im vierten Finale wiederfinden. Ganz so schaurig, gespenstisch und finster, wie es das Sujet vorgibt, geht es allerdings im Orchestergraben bei Charles Gounods La nonne sanglante nicht zu, die 2018 an der Opéra-Comique erstmals seit der Uraufführungsserie von 1854 in der Opéra in der Salle Peletier, quasi ein paar Schritte um die Ecke der Opéra-Comique, wieder in Paris ihr Unwesen treibt. Immerhin geistert bereits im sonoren Moderato die weiße Frau über die Bühne, die von ihrem Geliebten verlassen wird und seither auf Rache sinnt, was das folgende Geschehen halbwegs plausibel erscheinen lässt. Der Treulose ist kein anderer als Graf Luddorf, der Vater der eigentlichen Hauptfigur Rodolphe. Wildes Kriegsgetümmel, Lederrocker, die sich im Zeitlupe bekämpfen oder zu stehenden Bildern arrangieren. Im Böhmen des 11. Jahrhunderts, wohin Scribe und sein Zulieferer Delavigne die Story nach The Bleeding Nun aus  M.G. Lewis Gothic Novel Ambrosio or the Monk (1796) versetzten, ist offenbar ewige Dunkelheit ausgebrochen.

Der vom Schauspiel kommende David Bobée, der sich 2016 in Caen erstmals an der Oper versuchte, hat das Operngrusical aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in eine endzeitmäßige Gegenwart geholt, wofür er zusammen mit Aurélie Lemaignen zu den schwarzen Lederuniformen (Kostüme: Alain Blanchot) eine ebenso schwarze Szenerie aus Türmen und Säulen, teilweise halbhoch gekachelt und zu Kathedralräumen zusammengeschoben, mit Spielpodesten und Leuchtröhren erfand. Das wirkt alles irgendwie halbherzig, provinziell, öde und klein gedacht und wird durch die größtenteils nichtssagenden Videos auch nicht ansprechender. In dieser Düsternis steht Rodolphe in schweren Stulpenstiefeln, sehr umfangreicher Lederhose und Wams und kann, wie es eine Einblendung klarmacht, seinem Schicksal nicht entgehen. Es ist nämlich so: Die Grafen Luddorf und Moldaw sind seit langem verfeindet, um sie auszusöhnen, schlägt der Eremit Pierre vor, dass die Moldaw-Tochter Agnès den Luddorf-Sohn Théobald heiraten solle. Darüber besteht Einigkeit. Allerdings lieben sich Agnès und der Théobald-Bruder Rodolphe. Sie verabreden zu fliehen. Zu diesem Zweck soll sich Agnès verkleidet als Weiße Frau um Mitternacht einfinden. Tatsächlich erscheint die Weiße Frau, der Rodolphe sein Ja-Wort gibt: Er hätte gewarnt sein müssen, denn ihr Händchen war eiskalt. Nun ist es zu spät. Im blut besudelten Gewand, mit grau verfärbten Händen und leerem Blick weicht sie nicht mehr von seiner Seite. Die Toten kommen zum Bankett, Rodolphe ist an die Erscheinung gebunden, die den Tod jenes Unholds fordert, dessen Opfer sie wurde. Bei der Hochzeit mit Agnes – Théobald ist inzwischen gefallen – erscheint sie abermals und fordert das Leben von Rodolphes Vater. In höchstem Furor stürzt Rodolphe davon. Luddorf ist bereit, für seine Tat zu bezahlen, um Rodolphe vor den mörderischen Gegnern zu schützen. Abermals erscheint die Nonne, die sich jetzt gerächt sieht, und löst den Fluch von Rodolphe, der seiner Agnès folgen kann. Wie sein Vater der Nonne.

„La Nonne sanglante“ von Gounod an der Pariser Opéra-Comique/ Szene/ Foto wie auch oben Pierre Grosbois

Wer die Geschichte nicht kennt, geht im optischen Trübsal leer aus (wären da nicht die Über/Untertitel). Zugegeben, die Szene, in der  sich die Toten im einstigen Festsaal des Schlosses einfinden, hat was. Schlösser, Schlachtfelder, Ruinen, Hochzeiten – es gibt noch die Hochzeit zweier Dorfbewohner – alles das findet keine Entsprechung. Und Gounods Musik vermag die Hoffnungen auch nicht immer zu erfüllen. Sie ist erhaben und ernst, teilweise, so in den Ballettszenen, die hier nicht getanzt werden, fast ein bisschen frivol, doch immer voll melodischer Würde. Von geradezu religiöser Inbrunst erfüllt ist die Anfangsszene des Eremiten, die erkennen lässt, dass sich Gounod vor seiner Hinwendung zur Oper ausgiebig mit geistlicher Musik beschäftigt hatte; die musikalische Melange aus Religiösem und Profanen kehrt in Faust wieder. Rodolphes Duette mit Agnès haben einen Hauch grand opéra, die Finali sind wuchtig und dramatisch, das alles ist gekonnt und oft voll melodischer Grazie.

Agnès und die Weiße Frau haben keine eigene Arie, dafür Rodolphes Vertrauter Arthur, den Jodie Devos zur Freude aller mit einem knackigen, quecksilbrig forschen Hosenrollen-Sopran singt. Auch der alte Luddorf hat kurz vor seinem Ende eine eigene Szene, aus welcher der offenbar kurzfristig besetzte Nebenrollen-Bariton Jérome Boutillier wenig macht. Vannina Santoni ist eine damenhafte Agnès, die im fünften Akt mit Kraft und Pathos agiert, Marion Lebègue eine musikalische, mezzodüster dräuende Nonne, Jean Teitgen ein charaktervoll dröhnender Eremit. Die weiteren Partien sind klein und ordentlich besetzt. Das wäre rasch vergessen, wäre nicht Michael Spyres, der mit männlichem und süßem Timbre singt, Kraft für die machtvollen Anrufungen hat und Finesse für ein zartes Piano, bei dem das hohe C sicher sitzt, freilich (an diesem Abend) mit etwas gequetschtem Ton, der aber diese immens umfangreiche Partie – der gesamte zweite Akt gehört quasi ihm – wie ein Gesangslektion ausbreitet, an der auch der berühmte Uraufführungstenor Guéymard nichts zu mäkeln gefunden hatte. Die Arie „Un jour plus pur“ im dritten Akt war übrigens für Berlioz, der sich vor Gounod lange mit dem viel gescholtenen Libretto geplagt hatte, der Höhepunkt der Oper. Die von Berlioz vertonten Passagen wurden erst im Juli 2007 vom Orchestre National de Montpellier aufgeführt.

„La Nonne sanglante“ von Gounod an der Pariser Opéra-Comique/ Szene/ Foto Pierre Grosbois

Die Mischung aus schwarzer Romantik und Gothic Novel verbunden mit den Hinweisen auf Freischütz, Robert le diable – man denke an das Ballett der aus ihren Gräbern steigenden Nonnen – und die Dame blanche ist nicht uninteressant. Die Opulenz und den dramatischen Geist arbeitete Laurence Equibey, eher eine brave Chorleiterin denn eine souveräne Directrice, mit dem Insula Orchestra nicht hinreichend heraus, gewaltige Lautstärke verwechselte sie mit Leidenschaft. Der koproduzierende Palazzetto Bru Zane wird für die Aufnahme (für Naxos) noch etwas nachjustieren müssen. Der von Christophe Grapperon instruierte accentus Chor war ausgezeichnet. Wie stets.

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Die Osnabrücker Aufführung (cpo  2010) ist hier unbekannt. Beispielsweise heißt es in hauptstädtischem Selbstbewusstsein nur, dass die durchaus erfolgreiche und aufwendigst inszenierte Oper nach elf Aufführungen von der Bühne verschwand, „pour n’ être jamais reprise nulle part“. Und zum ersten Mal in der Neuzeit szenisch stimmt ja auch nicht. Angeblich wollte der damalige neue Directeur der Opéra einen solchen Mist („ordure“) nicht auf seiner Bühne sehen. Bereits 2008 war Die blutige Nonne, die bis dahin als unbekanntes Phantom durch die Literatur gegeistert war, wieder auf die Bühne gelangt. Osnabrück hatte sich, wie sich jetzt zeigt, mit der Aufführung von Gounods zweiter Oper gar nicht schlecht geschlagen (9. Juni 2018).   Rolf Fath

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Eine interessante Beobachtung macht der renommierte Musikwissenschaftler und Berlioz-Spezialist Hugh Macdonald im Vergleich der Nonne zu den Troyens:  In 1841 Berlioz composed at least the first act of a libretto by Eugène Scribe based on Matthew Lewis’s novel The Monk, but with little enthusiasm for the project from Scribe, and perhaps not from Berlioz either, the opera was never completed. Two Airs and a Duo survive in a manuscript at the Bibliothèque nationale de France, each preceded by recitative. The Duo is not complete, breaking off after nearly 400 bars of music. The libretto passed to Gounod, whose opera La Nonne sanglante, was played at the Opéra in 1854. From Gounod’s opera we have the words for the end of Berlioz’s duet, and these are so similar in rhyme and meter to the words of the duet for Cassandre and Chorèbe in Act I of Les Troyens, that it seems likely that the end of the duet in La Nonne sanglante was the same as the duet in Les Troyens. (…) Furthermore, the orchestration of both scenes is the same, with the four horns pitched in a combination of four different keys which is the same in both scores, and very unusual in Berlioz’s music. The situation in both operas is similar, Rodolphe pleading with Agnès to flee with him in La Nonne and Chorèbe pleading Cassandre to flee with him in Les Troyens. (…) Excerpts from Berlioz’s unfinished opera La Nonne sanglante were performed on 28 July 2007 as the closing concert of the 2007 Festival de Radio France and Montpellier Languedoc-Roussillon. The venue was Opéra Berlioz at Le Corum, Montpellier. Alain Altinoglu conducted the Orchestre national de Montpellier, with Cornelia Hunold, Frédéric Antoun, and Franck Ferrari as soloists. Among the pieces performed at the concert was the duo of Agnès and Rodolphe, completed for this performance by Hugh Macdonald. (…) Quelle: The Hector Berlioz website

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Es wagnert sehr

 

Vincent d’Indy (1851-1931) ist gewiss nicht der berühmteste französische Komponist der Spät(est)romantik. Gleichwohl wird es schwerfallen, einen dezidierteren Vertreter des Wagnerismus in Frankreich zu finden. Mit seiner 1897 uraufgeführten Oper Fervaal schuf er sogar eine Art französischen Parsifal. Er entstammte einem alten katholischen Adelshaus, war überzeugter Monarchist und hatte durch seinen Antisemitismus nicht unbedingt sympathische Züge. Auch kompositorisch ist d‘Indy gewiss dem konservativen Flügel zuzuordnen, auch wenn sich sein Stil mit Beginn des Ersten Weltkriegs nicht jeder Neuerung verschloss (wie man etwa an der Sinfonia brevis „De bello gallico“ aus den Jahren 1916 bis 1918 erkennen kann). Naxos legt nun eine Neuveröffentlichung mit kaum bekannten Werken d’Indys vor (Naxos 8.573858). Enthalten sind die die Schauspielmusiken zu Médée nach Catulle Mendès (1898) sowie zu Karadec nach André Alexandre (1890), ferner die sinfonische Dichtung Saugefleurie (1884). Bei den beiden Bühnenmusiken handelt es sich um Suiten, wobei Médée schon thematisch bedingt deutlich dramatischer und mit 27 Minuten Spielzeit auch fast dreimal so lange gerät wie die bretonisch geprägte und gerade zehnminütige Karadec-Suite. In ersterer Suite meint man auch Anklänge an Richard Strauss zu erkennen. Sehr deutlich wird der wagnerische Einfluss freilich in der 16-minütigen Tondichtung Saugefleurie, die zu Beginn ans Siegfried-Idyll gemahnt und später gar stellenweise an die gleichnamige Oper, auch wenn man d’Indy schwerlich als Epigonen des Bayreuther Meisters abtun sollte, erhält er sich doch einen charakteristisch französischen Tonfall, der auch ein wenig an seinen Lehrer César Franck erinnert.

Die auf den ersten Blick unidiomatisch wirkenden künstlerischen Ausführenden, der singapurische Dirigent Darrell Ang und das schwedische Sinfonieorchester aus Malmö, erweisen sich bei genauerer Betrachtung als überzeugend; es gelingt ihnen, die Faszination dieser selten gespielten Musik des Randrepertoires herüberzubringen. Ang legte für Naxos bereits zahlreiche von der Kritik gelobte Aufnahmen französischer Komponisten vor (darunter Bruneau, Dutilleux und Lalo); dies erfreuliche Tendenz setzt sich hier fort. Die klangliche Qualität dieser im August 2017 in Malmö eingespielten Aufnahme bietet keinen Anlass zum Tadel. Mit dieser Neuerscheinung läuft Naxos einer vor einem Vierteljahrhundert bei Marco Polo vorgelegten Vorgängeraufnahme unter Gilles Nopre den Rang ab. Sie bietet eine gute und preiswerte Alternative zu der von Chandos vorgelegten Reihe der kompletten Orchesterwerke d’Indys mit dem Iceland Symphony Orchestra unter Rumon Gamba. Einzig die kurze Spielzeit von wenig über 50 Minuten trübt den sehr guten Gesamteindruck etwas. Daniel Hauser

 

Und apropos D´Indy: auch Kammermusik findet man bei diesem interessanten Komponisten, wie Gerhard Eckels schreibt. . Weitgehend unbekannt ist vor allem hierzulande der französische Komponist Vincent d’Indy (1851-1931): Er entstammte einer alten Adelsfamilie und wuchs bei seiner Großmutter Gräfin Rézia d’Indy auf. Früh bekam er Klavierunterricht und studierte bereits ab 1865 Harmonielehre. Nach dem Krieg 1870/71, in dem er bei der Verteidigung von Paris kämpfte, veröffentlichte er seine ersten Kompositionen. Durch die Vermittlung seines Freundes Henri Duparc wurde er Schüler von César Franck, der ihn auch mit der deutschen Musik, insbesondere mit Richard Wagners Opern bekannt machte. Nach einem Besuch der Bayreuther Festspiele 1876, wo er den kompletten Ring des Nibelungen“  erlebte, wurde d’Indy ein überzeugter, geradezu glühender Wagnerianer. In seinen Kompositionen finden sich neben Wagner-Anklängen auch Einflüsse aus Naturbegegnungen und volkstümlichen Melodien. In den späten 1870- und 80er-Jahren war er als Organist und Chorleiter tätig; in dieser Zeit verfolgte er eine Reihe von Opernprojekten, doch einzig „Axel“, beeinflusst von Wagners „Parsifal“, floss später in seine fast fünfstündige Oper „Fervaal“ ein. Erst nach den Uraufführungen der Opern „Fervaal“ und „L’étranger“ (1897/1903) sowie bedeutender Orchesterwerke wie den „Istar“-Variationen (1896) und der  2. Sinfonie (1903) wurde er einer breiteren Öffentlichkeit in Frankreich bekannt. Zu seinen zahlreichen Schülern zählten u.a. Albert Roussel, Erik Satie und Edgar Varèse. In d‘Indys späten Werken wurde sein Kompositionsstil im Neoklassizismus leichter und unbeschwerter. Trotz dieses Stilwechsels blieb seine Haltung gegenüber den zeitgenössischen Strömungen eher zurückhaltend.

Wie in seiner Oper „Fervaal“ bevorzugte d’Indy in seinen vielfältigen Kompositionen aus allen Bereichen (Opern, Sinfonisches, Kammer- und Klaviermusik) offenbar die große Form: So dauert die 1907 entstandene Klaviersonate op.63 fast 45 Minuten und enthält in den drei Sätzen Introduction/Très animé/Modéré zahlreiche Unterteilungen. Sie ist mit Ausschnitten aus Tableaux de voyage op. 33, eingespielt vom französischen Pianisten und Musikwissenschaftler Jean-Pierre Armengaud, in der Reihe „Grand Piano“ bei NAXOS erschienen. Im Kopfsatz der Sonate stellt der Pianist klar die Unterschiede der vier Variationen heraus; der 2.Satz ist ein lebhaftes  Scherzo mit zwei Trios, von denen das erste beinahe Schubertschen Charakter aufweist und das zweite Walzer-Klänge suggeriert. Auch das umfangreiche Finale mit seinen kontrastreichen Abschnitten interpretiert Armengaud stilsicher. Die 1889 entstandenen „Tableaux de Voyages“ sind dreizehn Klavier-Miniaturen über Eindrücke von Reisen durch Deutschland, von denen die CD sieben enthält, dabei „Beuron“ – ein Stück mit  dem B-A-C-H-Motiv über das Benedektiner-Kloster im Schwarzwald –, „Der Regen“ oder das abschließende Stück „Traum“ (GP756).

 

Und dann noch: Der renommierte Cellist und Festspielleiter Jan Vogler hat sich mit dem Gitarristen Ismo Eskelinen zusammengetan und unter dem Titel „Songbook“ eine Reihe von kleineren Stückchen bei SONY aufgenommen. Nur zwei für die aparte Besetzung komponierte Werke befinden sich auf der CD: Es sind die drei Nocturnes von Friedrich Burgmüller (1806-1874), Bruder des durch Orchesterwerke und seine Streichquartette etwas bekannteren Norbert Burgmüller, sowie der erste Satz aus der Sonate für Gitarre und Cello des Brasilianers Radamès Gnattali (1906-1988). Alle anderen „Schmankerl“ sind für Cello und Gitarre arrangiert, deren meisterhaftes  Zusammenspiel ungemein reizvolle Klänge hervorbringt, wobei das Cello als Melodie-Instrument meist dominiert. Der Titel „Songbook“ deutet darauf hin, dass viele der gespielten Stücke Lieder oder zumindest liednah sind. Dazu zählt Paganinis „Cantabile“ aus op.17, die „Aria“ aus Heitor Villas-Lobos‘ „Bachianas Brasileiras Nr.5“  oder natürlich „Moon River“ von Henry Mancini. Von besonderem Reiz mit viel Lokalkolorit sind die kleine Reihe „Histoire du Tango“ von Astor Piazzolla und die sechssätzige „Suite Popular Espanola“ von Manuel de Falla. Insgesamt macht das Zuhören bei dieser CD mit ihren in jeder Beziehung besonderen Klängen einfach Spaß (Sony 19075959762). Gerhard Eckels

Ehrlich

 

Das Buch passt zu ihm. Schmal, lakonisch, bescheiden. Und zurückhalten ist Bernard Haitink, auch grundehrlich: wenn es nichts zu sagen gibt, reichen eben ein paar Worte. Die Ehrlichkeit mag manch einem schmallippig vorkommen. Anekdoten, Klatsch, Privates darf man nicht erwarten. Peter Hagmanns und Erich Singers Gespräche und Essays Bernard Haitink „Dirigieren ist ein Rätsel“ kommen mit weniger als 200 Seiten aus (Bärenreiter Henschel, ISBN 9783761820919), um diese 65 Jahre lang dauernde Dirigentenlaufbahn, die Haitink „über Hindernisse hinweg zu einem singulären Lebensweg gestaltete“ zusammenzufassen. Viel Aufheben hat der medienscheue Bernard Haitink nie um sich gemacht. Nahm es hin, dass 1954 auf dem Programmzettel seines Abschlusskonzertes „Bernard“ statt „Hermann“ Haitink stand und nannte sich fortan Bernard.

Wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag und kurz vor seinem für den 6. September in Luzern angekündigten letzten Orchesterkonzert, wenn Haitink die Wiener, bei denen er sich 1972 mit Bruckners fünfter Sinfonie vorgestellt hatte noch einmal bei der Siebten dirigieren wird, kommt der Band zu rechten Zeit. Der großen Daten der über sechzigjährigen Laufbahn ist bekannt: die 27 Jahren währende, auch durch „Gewitterwolken“ getrübte Tätigkeit als Dirigent – Haitink betont, dass man in Amsterdam den Titel „Chefdirigent“ nicht kannte – des Concertgebouw Orchesters, bei dem er 1956 als Einspringer für Giulini 1956 debütiert hatte. Es folgten u.a. ab 1978 zehn Jahre beim Glyndebourne Festival, anschließend bis 1998 am Royal Opera House Covent Garden. Er war 2002-04 Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle, über Jahrzehnte regelmäßiger Gastdirigent bei den Wienern und Berlinern (Debüt 1964), in London (1967-79 beim London Philharmonic Orchestra), München (1958 erstmals beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks), Zürich, in Boston und Chicago. In den biografischen Skizzen, die zusammen mit Peter Hamanns Beschreibung und Wertung des Dirigierten den Rahmen für die Gespräche im Mittelteil des Buches bilden, spürt Erich Singer den musikalischen Vorbildern Haitinks nach, wobei es die Anlage des Buches mit sich bringt, dass es ständig zu Wiederholungen mit dem Interviews kommt. Geprägt wurde Haitink nicht von Willem Mengelberg, der das Concertgebouw über ein halbes Jahrhundert geleitet hatte und dessen spätromantischen, selbstherrlichen Stil Haitink ihm verpönt waren, sondern von Eduard van Beinum („….hat mich zutiefst beeindruckt“). Doch beide Herren begründeten die intensive Mahler- und Bruckner-Pflege, die Haitink in Amsterdam sowohl im Concertgebouw wie in Schallplattenstudios wiederaufnahm und fortsetzte. Haitinks Gesamtaufnahme der Brucker und vor allem Mahler-Sinfonien in den 1960er Jahren waren Meilenstein; eine Einspielung der Sinfonien Mahlers in den 90er Jahren mit den Berlinen Philharmonikern wurde nicht vollendet. Haitink spielte alle Sinfonien von Schostakowitsch ein, auch das eine Pioniertat, kümmerte sich früh um Ravel. Zu schweigen von all den Beethoven- und Brahms-Zyklen. Bemerkenswert bei dem so zurückhaltenden Haitink („Ich bin nicht sehr verbal“), der sich den Fragen zur Kunst des Dirigierens und ästhetischer Positionen gerne entzieht, da man „darüber eigentlich nicht sprechen kann“, ist seine deutliche geäußerte Abneigung gegen Bayreuth und gegen den übermächtigen amerikanischen Agenten Wilford, „der die von ihm vertretenen Dirigenten wie Marionetten an seinen Strippen führte“.

Das Opernschaffen – „Ich bin ein Dirigent, der auch Opern dirigiert“ – kommt in dem Buch etwas kurz. Für die immerhin zwanzig Jahre an zentralen Positionen des englischen Musiklebens müssen wenige Seiten ausreichen. „In Glyndebourne habe ich als völliger Dilettant in der Opernwelt angefangen“. Haitink lobt die Probenzeit beim Festival, den Umgang mit den Regisseuren Hall, Nunn, Vick, „das waren alles Vertreter der äußerst renommierten britischen Theatertradition“, die Atmosphäre. Mit dem Wechsel nach London und angesichts der beschlossenen Renovierung des Hauses, der langen Bauarbeiten und der Auflösung der Kompanie währen dieser Zeit musste Haitink, was ihm schwer fiel, auch politisch agieren: „Da habe ich etwas getan, was ich selten tue: Ich habe meinen Fuß dazwischen gestellt“. Die Meistersinger und zwei Ring-Produktionen (Götz Friedrich, Richard Jones) stehen auf der künstlerischen Haben-Seite, wozu Haitink auf seine unnachahmlich zurückhaltende Weise bemerkt, „Ich habe daran sehr gute Erinnerungen“. Ein paar Hinweise zu Regisseuren. Wenige Sänger werden genannt, darunter Felicity Lott und Maria Ewing, die Carmen „wie Edith Piaf gesungen“ habe. Hinsichtlich seiner Opernaufnahmen schwärmt er, man darf es schon als Schwärmen auffassen, von Daphne mit Lucia Popp („Die Aufnahme erinnert mich immer an diese wunderbare Sängerin… Sie hat die Hauptrolle bestechend schön gesungen“), spricht garstig über die Sophie in seinem Rosenkavalier und erwähnt auch, dass es nicht zu einer Gesamtaufnahme von Capriccio kam, weil er sich Jessye Norman nicht als Madeleine  vorstellen konnte: „Das war eine total verfahrende Situation. Ich war mit Philips nicht einig über das Engagement von Jessye Norman. Für diese späte Kammeroper von Strauss war ihre Stimme zu schwer, zudem sprach sie das für dieses Konversationsstück sehr wichtige Deutsch nicht akzentfrei“. Das Label siegte, doch Norman hätte nur für zwei Sitzungen zur Verfügung gestanden, „dieses Ansinnen lehnte ich entschieden ab. Darum kam die Aufnahme dann nicht zustande. Das ist die Opernwelt!“. Den in aufgewühlten Zeiten im November 1989 in Dresden entstandenen Fidelio mit Norman erwähnt er nicht. Rolf Fath