Rehabilitierung

 

Vorzugsweise mit der Musik zugetanen Damen, ganz besonders gern aus dem Hause Wagner beschäftigt sich Eva Rieger, wovon Bücher über Friedelind Wagner, über die Liebe in des Bayreuther Komponisten Opern, über Komponistinnen oder Sängerinnen wie Frida Leider zeugen und seit kurzem auch die nach 15 Jahren zweite, überarbeitet Auflage  eines 350 Seiten umfassenden Werkes über Minna Wagner, die erste Ehefrau Richards.  Schnell seinen Irrtum sieht ein, wer geglaubt hat, Minna sei die uninteressanteste der drei großen Wagner-Lieben, zu denen neben ihr Mathilde Wesendonck und Cosima von Bülow gehörten. Ebenso kenntnisreich wie unterhaltsam weiß Rieger von einer ganz besonderen Frau zu berichten, die sich nicht wie ihre Nebenbuhlerinnen auf des Vaters oder Gatten Reichtum verlassen konnte, sondern, die aus ärmlichen Verhältnissen stammend und zudem ganz jung mit einem unehelichen Kind „geschlagen“, aus eigener Kraft und dank ihrer Schönheit und schauspielerischen Begabung zu einer angesehenen Stellung und einem selbstbestimmten Leben gelangte. Dazu durfte sie sich, bei Schauspielerinnen damals eher die Ausnahme, eines tadellosen Rufs erfreuen.

Eva Rieger ist bekennende Feministin, weist aber den Vorwurf der Parteilichkeit zugunsten der Frauen zurück, beruft sich auf ein strenges Quellenstudium, vor allem das der zwischen 1835 und 1865 geschriebenen Briefe zwischen den Gatten, aber auch an die Freundinnen und Freunde des großen Kreises, der die Wagners umgab. Minnas Briefe an Richard allerdings sind nicht so zahlreich wie die des Komponisten an seine Frau, da Cosima sie zum Teil vernichtete. Richards Schreiben an Minna waren im Besitz ihrer unehelichen Tochter Nathalia, die als ihre jüngere Schwester galt, nur einen Teil erhielt Richard auf eine Aufforderung hin zurück, der größte Teil wurde an Mary Burrell verkauft. Anders als in der Autobiographie, die Wagner Cosima diktierte, erscheint Minna als eine lebenstüchtige, leidenschaftlich liebende, dem Komponisten trotz des finanziellen Elends, in dem man die meiste gemeinsame Zeit über lebte, eine angenehme Häuslichkeit garantierende Lebenskünstlerin, der er auch seine Texte und seine Musik als erster vor seinen Freunden vorstellte, von der er sich durchaus verstanden fühlte. Erst die blinde Anbetung und Vergötterung durch Mathilde Wesendonck ließ die Zuneigung Minnas als prosaisch erscheinen, so dass er ihr Verhältnis mit dem von Fricka und Wotan, das zwischen Mathilde und ihm mit dem von Siegmund und Sieglinde verglich. War Minna abwesend, dann klangen seine sehnsüchtigen Briefe allerdings wesentlich flehentlicher, als man sie einem Wotan zugetraut hätte.

Minna (Ueberhorst-) Wagner/ Wikipedia

Jedem Kapitel des Buches ist ein Zitat vorangestellt, das auf den Inhalt hinweist, das Buch insgesamt liest sich flüssig durch das Ineinanderübergehen von Zitaten (kursiv gedruckt und so als solche erkennbar gemacht), Sekundärliteratur, teils im Indikativ, teils im Konjunktiv, so dass Wissenschaftlichkeit und Unterhaltsamkeit gleichermaßen zu ihrem Recht kommen.

Aus der Beschreibung Minnas durch viele Zeitzeugen, besonders wertvoll ist die der Frau Georg Herweghs, kann man sich ein Bild von der so liebenswürdigen wie ausopferungsvollen Minna zimmern, deren Streben nach Bewahrung des Erreichten dem sich dauernd Ändernwollen von Richard unvereinbar entgegengesetzt war, so dass sie zwar viele Züge der opferfreudigen Senta oder Elisabeth aufwies, nicht aber den entscheidenden der völligen Selbstaufgabe. Dass auch Mathilde nicht Isolde war, wie sie selbst gern es zu sein glaubte, fiel dagegen kaum ins Gewicht.

Im Kapitel über das Abenteuer Jessie Laussot lässt die Autorin die unterschiedlichen brieflichen Stellungsnahmen dazu für sich sprechen, sie scheut sich aber auch nicht, dem Komponisten an anderer Stelle eine „beeindruckende Aufrichtigkeit“ zuzugestehen. Zur Ironie sieht sie sich natürlich herausgefordert, wenn sie meint, dass in zwei fast zeitgleichen Briefen Richard an Minna von seinen Verdauungsschwierigkeiten berichtet, diese gegenüber Mathilde aber nicht zur Sprache bringt. Auch die sehr unterschiedlich  ausfallenden Briefe Wagners über Tristan an Minna und Mathilde fordern zum Schmunzeln heraus. Erschüttern allerdings muss den Leser der auf Seite 296 veröffentlichte Brief an Mathilde Schiffner, in dem Minna ein trostloses Resümee ihres Lebens mit Wagner zieht.

Wer das Buch gelesen hat, wird nicht mehr in den Irrtum verfallen, Minna Wagner für eine unbedeutende, den Komponisten eher behindert als hilfreich gefördert zu habende, lästige Ehefrau anzusehen.

Zahlreiche Anmerkungen, ein Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen, ein Literaturverzeichnis, ein Bildnachweis und ein Personenregister vervollständigen den Band (Olms Verlag 2019, 385 Seiten, ISBN 978 3 491 08611 8). Ingrid Wanja