Als die 2016 in Birmingham uraufgeführte Jane Eyre des 1927 in Kapstadt geborenen John Joubert auf CD erschien, hatte ich noch angemerkt, dass Charlotte Brontës Erziehungs- und Gouvernanten- Roman regelmäßig im Kino oder Fernsehen auftauche.. Auf der Bühne indessen nicht. Das hat sich geändert. Noch im gleichen Jahr, im Oktober 2016, gelangte am Kaye Playhouse in New York die in den Jahren 2010-14 entstandene alternative Jane Eyre von Louis Karchin im Rahme eines Festivals des Center for Contemporary Opera erstmals zur Aufführung. Im Jahr darauf fanden sich alle Beteiligten der Uraufführung an der State University of New York at Purchase neuerlich ein, um das Werk aufzunehmen (Naxos 2 CD 8.669042-43).
Die Librettistin Diane Osen verteilt Brontës Roman auf drei Akte mit jeweils drei Szenen, lässt die freudlose Kindheit und Internatszeit der Waisen Jane Eyre weg und erst setzt ein, als Jane ihre Stelle als Gouvernante für ein französisches Mädchen auf Thornfield Hall antritt. Sie und der Hausherr Mr. Rochester verlieben sich ineinander. Doch bis Jane nach gut zwei Stunden erleichtert aufatmen und die Oper mit einer fast straussisch verblühenden Szene beenden kann, „If I ever thought a kind word, if I ever did a good deed, if I ever said a pure prayer, The Lord hast now rewarded me“, müssen einige Hürden genommen werden. Beispielsweise werden die Hochzeitsvorbereitungen durch die Ankündigung von Anwalt Briggs gestört, Rochester sei bereits verheiratet. Rochesters geistesgestörte Frau lebt seit Jahren in einem abgeschlossenen Teil auf Thornfield Hall. Rochesters Angebot, mit ihm zu fliehen und wo anders zu leben, ist für Jane aufgrund ihrer moralischen Grundsätze keine Option. Sie findet Zuflucht in einem kleinen Dorf, nimmt eine Stelle als Dorflehrerin an, kommt zu Wohlstand und kehrt kurz vor ihrer geplanten Hochzeit mit dem Vikar Rivers zu Rochester nach Thornfield Hall zurück. Auf dem Herrensitz brach ein Feuer aus. Beim Versuch, seine Frau zu retten, verlor Rochester sein Augenlicht.
In diese farbige, spannende und gemütvolle Geschichte packt der 1951 geborene Louis Karchin alles, was er über Oper weiß. Er fährt orchestrale Mannigfaltigkeit und solistisches Geblinkte auf, setzt anfangs stärker auf Arien – Jennifer Zetlan kann gleich in der ersten Szene in zwei ausführliche Arien Janes Schicksal erzählen und mit ihrem zart lyrischen Unschuldssopran Akzente setzen – die den Solisten Gelegenheit geben, sich zu profilieren, dagegen im dritten Akt im Haus des Vikars und seiner beiden Schwestern stärker auf einen parlandofleißigen Konversationsstil. Man denkt an Britten, Strawinsky, Barber und andere. Das ist durchaus findig, etwa bei einem Dinner in der zweiten Szene, bei dem Rochester als Opernliebhaber vorgestellt und Lucia di Lammermoor, Anna Bolena und Lukrezia Borgia erwähnt werden. Rochester erklärt seinem Gast Mrs. Ingram, „Donizetti, to be exact, a composer, Mrs. Ingram, for the opera, the most sublime art invented by man“, worauf Mrs Ingram meint, „Mr. Ingram never cared for music, nor for Italiens“. Dazu musikalische Hinweise auf Lucia, die Rochester an seine häusliche Situation mit einer zuhöchst verwirrten Gattin gemahnen. Es gibt ein Quartett, Zitate, volkstümlicher Balladen, eine Zigeunerszene, ausladende Orchesterzwischenspiele im zweiten und dritten Akt sowie ein Vorspiel zum dritten Akt, leidenschaftliche Duette, Kindergesänge, eine große Arie für Rochester am Ende des zweiten Akts, in der Ryan MacPherson seinen hellen Tenor eindrucksvoll entfaltet, , schließlich als Höhepunkt eines eklektizistisch geschliffenen Stils das romantische Duett der Liebenden. Das ist hübsch zusammen- und vollgepackt, mir in der orchestralen Sprache etwas zu kalkuliert und kunsthandwerklich. Die New Yorker Uraufführung in Kristine McIntyrea passgenauer Inszenierung dürfte anrührender gewesen sein als die reine Konzertaufführung, bei der sich Karchin und das Orchestra of the League of Composers sowie sieben Solisten in mehreren Partien hingebungsvoll für die Sache der modernen Oper einsetzten. Rolf Fath