. Das Buch passt zu ihm. Schmal, lakonisch, bescheiden. Und zurückhalten ist Bernard Haitink, auch grundehrlich: wenn es nichts zu sagen gibt, reichen eben ein paar Worte. Die Ehrlichkeit mag manch einem schmallippig vorkommen. Anekdoten, Klatsch, Privates darf man nicht erwarten. Peter Hagmanns und Erich Singers Gespräche und Essays Bernard Haitink „Dirigieren ist ein Rätsel“ kommen mit weniger als 200 Seiten aus (Bärenreiter Henschel, ISBN 9783761820919), um diese 65 Jahre lang dauernde Dirigentenlaufbahn, die Haitink „über Hindernisse hinweg zu einem singulären Lebensweg gestaltete“ zusammenzufassen. Viel Aufheben hat der medienscheue Bernard Haitink nie um sich gemacht. Nahm es hin, dass 1954 auf dem Programmzettel seines Abschlusskonzertes „Bernard“ statt „Hermann“ Haitink stand und nannte sich fortan Bernard.
Wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag und kurz vor seinem für den 6. September in Luzern angekündigten letzten Orchesterkonzert, wenn Haitink die Wiener, bei denen er sich 1972 mit Bruckners fünfter Sinfonie vorgestellt hatte noch einmal bei der Siebten dirigieren wird, kommt der Band zu rechten Zeit. Der großen Daten der über sechzigjährigen Laufbahn ist bekannt: die 27 Jahren währende, auch durch „Gewitterwolken“ getrübte Tätigkeit als Dirigent – Haitink betont, dass man in Amsterdam den Titel „Chefdirigent“ nicht kannte – des Concertgebouw Orchesters, bei dem er 1956 als Einspringer für Giulini 1956 debütiert hatte. Es folgten u.a. ab 1978 zehn Jahre beim Glyndebourne Festival, anschließend bis 1998 am Royal Opera House Covent Garden. Er war 2002-04 Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle, über Jahrzehnte regelmäßiger Gastdirigent bei den Wienern und Berlinern (Debüt 1964), in London (1967-79 beim London Philharmonic Orchestra), München (1958 erstmals beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks), Zürich, in Boston und Chicago. In den biografischen Skizzen, die zusammen mit Peter Hamanns Beschreibung und Wertung des Dirigierten den Rahmen für die Gespräche im Mittelteil des Buches bilden, spürt Erich Singer den musikalischen Vorbildern Haitinks nach, wobei es die Anlage des Buches mit sich bringt, dass es ständig zu Wiederholungen mit dem Interviews kommt. Geprägt wurde Haitink nicht von Willem Mengelberg, der das Concertgebouw über ein halbes Jahrhundert geleitet hatte und dessen spätromantischen, selbstherrlichen Stil Haitink ihm verpönt waren, sondern von Eduard van Beinum („….hat mich zutiefst beeindruckt“). Doch beide Herren begründeten die intensive Mahler- und Bruckner-Pflege, die Haitink in Amsterdam sowohl im Concertgebouw wie in Schallplattenstudios wiederaufnahm und fortsetzte. Haitinks Gesamtaufnahme der Brucker und vor allem Mahler-Sinfonien in den 1960er Jahren waren Meilenstein; eine Einspielung der Sinfonien Mahlers in den 90er Jahren mit den Berlinen Philharmonikern wurde nicht vollendet. Haitink spielte alle Sinfonien von Schostakowitsch ein, auch das eine Pioniertat, kümmerte sich früh um Ravel. Zu schweigen von all den Beethoven- und Brahms-Zyklen. Bemerkenswert bei dem so zurückhaltenden Haitink („Ich bin nicht sehr verbal“), der sich den Fragen zur Kunst des Dirigierens und ästhetischer Positionen gerne entzieht, da man „darüber eigentlich nicht sprechen kann“, ist seine deutliche geäußerte Abneigung gegen Bayreuth und gegen den übermächtigen amerikanischen Agenten Wilford, „der die von ihm vertretenen Dirigenten wie Marionetten an seinen Strippen führte“.
Das Opernschaffen – „Ich bin ein Dirigent, der auch Opern dirigiert“ – kommt in dem Buch etwas kurz. Für die immerhin zwanzig Jahre an zentralen Positionen des englischen Musiklebens müssen wenige Seiten ausreichen. „In Glyndebourne habe ich als völliger Dilettant in der Opernwelt angefangen“. Haitink lobt die Probenzeit beim Festival, den Umgang mit den Regisseuren Hall, Nunn, Vick, „das waren alles Vertreter der äußerst renommierten britischen Theatertradition“, die Atmosphäre. Mit dem Wechsel nach London und angesichts der beschlossenen Renovierung des Hauses, der langen Bauarbeiten und der Auflösung der Kompanie währen dieser Zeit musste Haitink, was ihm schwer fiel, auch politisch agieren: „Da habe ich etwas getan, was ich selten tue: Ich habe meinen Fuß dazwischen gestellt“. Die Meistersinger und zwei Ring-Produktionen (Götz Friedrich, Richard Jones) stehen auf der künstlerischen Haben-Seite, wozu Haitink auf seine unnachahmlich zurückhaltende Weise bemerkt, „Ich habe daran sehr gute Erinnerungen“. Ein paar Hinweise zu Regisseuren. Wenige Sänger werden genannt, darunter Felicity Lott und Maria Ewing, die Carmen „wie Edith Piaf gesungen“ habe. Hinsichtlich seiner Opernaufnahmen schwärmt er, man darf es schon als Schwärmen auffassen, von Daphne mit Lucia Popp („Die Aufnahme erinnert mich immer an diese wunderbare Sängerin… Sie hat die Hauptrolle bestechend schön gesungen“), spricht garstig über die Sophie in seinem Rosenkavalier und erwähnt auch, dass es nicht zu einer Gesamtaufnahme von Capriccio kam, weil er sich Jessye Norman nicht als Madeleine vorstellen konnte: „Das war eine total verfahrende Situation. Ich war mit Philips nicht einig über das Engagement von Jessye Norman. Für diese späte Kammeroper von Strauss war ihre Stimme zu schwer, zudem sprach sie das für dieses Konversationsstück sehr wichtige Deutsch nicht akzentfrei“. Das Label siegte, doch Norman hätte nur für zwei Sitzungen zur Verfügung gestanden, „dieses Ansinnen lehnte ich entschieden ab. Darum kam die Aufnahme dann nicht zustande. Das ist die Opernwelt!“. Den in aufgewühlten Zeiten im November 1989 in Dresden entstandenen Fidelio mit Norman erwähnt er nicht. Rolf Fath