Archiv für den Monat: Juni 2025

Jahrhundertstimme und -Aufnahme

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Am 16. April 1995 verstarb Gertrude Grob­-Prandl, 1917 in Wien  geboren und trotz der nicht immer erwiderten Gegenliebe der Wiener Institutionen eine erz-österreichische Person. Mit ihr ging ein Zeitalter zu Ende, in dem die voluminösen, kraftvollen und vor allem schönen Stimmen wesentlich häufiger waren als heute. Anders als die erbarmungslos-stählerne von Birgit Nilsson war ihre riesige Stimme menschlich, warm und leuchtend. Menschlich vor allem.

Gertrude Grob, in erster Ehe verheiratete Prandl, in zweiter Ehe dann -King, lebte die letzten Jahre ihres Lebens zurückgezogen  bei Wien – eine Frau von starkem Willen und liebenswert-starken Grundsätzen. Ihre nur im diskreten Gegenüber (Thomas Voigt) geäußerten Kommentare über Sänger trafen stets den Punkt und zeugten von ihren hohen Maßstäben ebenso wie von ihrem Witz. Und ihre lsolde, Turandot, Bethoven-Leonore und vor allem auch Brünnhilde gehören zu den Ausnahmedokumenten der Gesangsgeschichte ihres Jahrhunderts. Leuchtkraft, wortdeutlichste Deklamation und tief-menschliche Gestaltung zeichnen diese Figuren aus.

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Gertrude Grob-Prandl als Isolde mit Victor de Sabata in Mailand/ Foto Piccagliani/ Isoldes Liebestod

So unauffällig sie als Privatperson blieb, so verlief auch ihre Karriere, ohne Skandale und lange im Schatten anderer, namentlich der Konetzni-Schwestern in Wien, wo sie 1944 an der Staatsoper kurz vor der kriegsbedingten Schließung mit der Elsa debütiert hatte. Im März 1945 wurde das Haus zerstört. Es ist bezeichnend, dass sie zur Wiedereröffnung 1955 nicht die Fidelio-Leonore sang (das war Martha Mödl, aber ironischerweise sang die Grob die Partie kurz nach der Eröffnung der Berliner Staatsoper wenig später). Immer waren in Wien andere vor ihr.

Dennoch ging ihre Laufbahn steil bergan, von steter Qualität getragen, namentlich an der Volksoper, nachdem sie bei den legendären Lehrern Paier und Singer-Burian (einer Schülerin der Ponselle) studiert hatte. Die Marschallin, die 1944 der Elsa folgen  sollte, fiel zum Bedauern der Grob dem Bombenalarm zum Opfer – ein Jammer, wie sie stets betonte, denn vor dem Krieg waren diese Partien Domänen der Hochdramatischen. Auch die Rosalinde gehörte dazu, die sie gerne gesungen hätte. 1949 gab sie ihre erste Walküre unter Krauss, sie „überlebte“ Dirigentenwechsel und Intendanten, sang neben Senta und Ariadne die Walküre unter Böhm in Buenos Aires und kam überhaupt viel herum.

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Getrude Grob-Prandl und Max Lorenz in „Tristan und Isolde“ an der Scala am 13. Dezember 1951/Foto Piccagliani/Cetra

Sie wurde im Ausland wesentlich glanzvoller aufgenommen als zu Hause: in Italien als Turandot, Ballo-Amelia, bei der RAI mit einem fulminanten Konzert als Rezia u. a. (ihre Arie der Isabella/ Robert der Teufel gehört auf dem Recital in Deutsch zu meinen absoluten Immortellen gleich neben Anita Cerquettis Auszug aus Agnese di Hohenstaufen); vor allem aber an der Scala – nach  ihrem Einstand 1951 in Neapel – als lsolde unter Victor de Sabata mit Max Lorenz (soeben wieder bei Pan herausgekommen).

Wer die hohe Kunst der Grob-Prandl kennenlernen möchte, muss sich den Mitschnitt anhören, auf dem die Stimme gleichermaßen strömt wie auch mühelos die langen, leuchtenden Phrasen singt. Es gibt keine klangschönere, wortdeutlichere und präsentere lsolde auf Dokumenten für mich, weder Traubel noch Flagstad noch Nilsson.

Neben Reisen nach Nordamerika, nach Brüssel, Dortmund (!) und Berlin (!) kam es bemerkenswerterweise nicht zu Auftritten in Bayreuth, wo die Kolleginnen Varnay und Mödl fest installiert waren. Dafür sang sie die Turandot auf Englisch (!) 1951 unter John Barbirolli in London und die Ortrud in Italienisch in Reggio Emilia.

Gertrude Grob-Prandl mit Ludwig Suthaus in der „Götterdämmerung“  Mailand / Foto Piccagliani / Isoldes Liebestod

Die Beziehung zur Wiener Staatsoper war in den letzten Jahren stets gespannt gewesen. 1972 gab sie nach mehr als 28 Jahren Zugehörigkeit zum Haus ihren Vertrag zurück. Sie hatte genug von den Anfeindungen, der Claque, der Ungezogenheit der Presse, die sich auch gegen ihre voluminöse Körperfülle richtete. Dass man sie ein „Buffet auf Rädern“ nannte, war wohl auch gemeiner Weise in einer Wiener Tageszeitung zu lesen. Von Montserrat Caballé oder Jane Eaglen oder von vielen heutigen Amerikanerinnen in Hochramatischen Partien hat man das nie gesagt. Die Akzeptanz hat sich eben geändert. Es ist bezeichnend für ihren Charakter, dass sie nicht um ihre Rollen kämpfte – sie hatte einfach genug. Der Prophet gilt eben nichts im eigenen Land, wie sich an dieser wunderbaren, großen und leuchtenden Ausnahmestimme zeigt.

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Dokumente: Hoffentlich kommt irgendwann die von ihr selbst zurückgehaltene Elektra-Inhouse-Aufnahme 1963/4 aus Graz offiziell auf den Markt, die (ehemals von Thomas Voigt herausgegeben) nur bei Sammlern kursiertend!

Der Musikjournalist Thomas Voigt und Gertrude Grob-Prandl/Foto King/TV

Aber es gab Turandot (aus dem Fenice bei ehemals Remington und eine aus Wien live inoffziell) nebst Wiener Radio-Recital (bei Myto), den Wiener Ring (nur Siegfried und Götterdämmerung als Ersatz für Helena Braun/Myto u. a.), die Wiener Venus/Tannhäuser unter Karajan (RCA), den bizarren Idomeneo und Don Giovanni (Haydn-Society bzw. Vox/ MMS) sowie die Erste Dame/Zauberflöte (Music & Arts et. al.) kommerziell – heute aber weitgehend nicht mehr greifbar (Discogs eventuell). Das Myto-Portrait enthält Arien aus Oberon, Robert der Teufel, Die Jüdin, Der fliegende Holländer, Lohengrin sowie Schuberts Allmacht – absolut fabelhaft). Das von Cetra herausgegebene Doppelkonzert mit Ferruccio Tagliavini bot ihre Arien aus Fidelio, Oberon, Ballo in Maschera sowie Tristan – alles vom Dezember 1953.

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Gertrude Grob-Prandl als Brünnhilde, Wien 1953/privat

Sammler haben natürlich ihren Fidelio aus Genf 1963 (Fourie/ Klobucar), ihre Venus aus Wien 1871 (Rysanek, Beirer/ klobucar), ihre Isolde aus Wien 1956 (Lustig/ Cluytens) und Lausanne 1953 (nur 2. Akt mit Windgassen und Klose/Moralt), ihre Walküre aus Genf 1^951 (Ralf, Werth/Denzler) sowie Berlin 1956 (nur Szenen mit Treptow/ Konwitschny), dto. Szenen aus dem Colon 1950 (Suthaus, Klose/ Böhm) und Graz 1963 (nur Szenen), das Siegfried-Finale aus Paris 1966 (Hollreiser). Zudem kursieren Auszüge: so Fidelio Dortmund 1962 (mit Schmid und Gutstein/Jacob), das Finale Götterdämmerung Antwerpen 1968, und der Elektra-Monolog aus Paris 1985.  Und schließlich Beethovens „Ah perfido“ aus Antwerpen 1968 (Dank an Thomas Voigt!)

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Dazu kommen vielleicht noch weitere – man kann nicht alles wissen. Es wird Zeit – auch für Wien! – , diese bedeutende Sängerin offiziell mit einer Box ihrer Aufnahmen zu ehren und ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ud vielleicht remannt sich ja Pan, ihren Wiener Ring ebenfalls wieder herauszugeben. Bitte, bitte! Geerd Heinsen

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Am 13. Dezember 1951 erklang an der Mailänder Scala eine mittlerweile legendäre Aufführung von Wagners Tristan und Isolde, deren durchweg hervorragende Besetzung bis heute begeistert. So galt Max Lorenz seinerzeit als Inbegriff des Wagner-Tenors, während Gertrude Grob-Prandls Stimme einem Naturereignis gleicht und Victor De Sabata seinen Ruf als einen der besten Wagner Dirigenten überhaupt bestätigt. Die ursprünglich sehr schlechte Tonqualität wurde 2009 vom Label Myto sorgfältig remastered. Mit dieser Pan-Classics-Edition wird die bislang vergriffene Aufnahme bei Pan wieder auf CD erhältlich. Interpreten: Gertrude Grob-Prandl; Max Lorenz; Sven Nilsson; Sigurd Björling; Elsa Cavelti; Victor de Sabata; Chor und Orchester der Mailänder Scala et al. (Pan Classics)

Schleier-Tanz als Zwischenspiel

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„Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!“ Der atemberaubende Beginn der Oper von Richard Strauss gehört bekanntlich Narraboth. Für den jungen Syrer, dessen Schönheit auch Herodes ins Auge gestochen hatte, ist der aus Norwegen stammende Bror Magnus Tødenes sehr gut gewählt. Er verzehrt sich nach Salome mit strahlendem an James King erinnernden Tenor, während die Polin Hanna Hipp als Page, der seinerseits für Narraboth entrannt ist, mit auffahrenden Klytämnestra-Tönen das Objekt ihrer Begierde vergeblich für sich zu gewinnen trachtet. Kennte man den Oscar-Wilde-Text in der Übersetzung von Hedwig Lachmann nicht auswendig, würde wenig zu verstehen sein. Für alle Fälle hält das Booklet das Libretto in deutscher Sprache bereit. Die Schwedin Malin Byström, die vor fünfundzwanzig Jahren in Lübeck mit Rossini begann, ist in hochdramatischen Sphären angelangt und sang die Salome auch an der Staatsoper in München. Diesmal ist sie im August 2022 beim Internationalen Festival in Edinburgh zu hören, welches in jenem Jahr sein 75. Jubiläum beging. Der erst jetzt bei Chandos veröffentlichte Mitschnitt der konzertanten Aufführung ist auf dem Cover als Hommage an dieses Ereignis ausgewiesen (CHSA 5356). Es spielte das Bergen Philharmonic Orchestra unter der Leitung des Engländers Edward Gardner. Seinerzeit war er noch Chefdirigent des norwegischen Orchesters und leitet inzwischen das London Philharmonic Orchestra.

Mitschnitte, die in akustischer Bearbeitung auf Tonträger gelangen, haben durchaus ihre Tücken. Nebengeräusche, die es in jedem Konzert gibt, sind weitestgehend eliminiert worden. Kein Publikum ist so gebannt, dass es nicht einen Mucks von sich geben würde. Der bereinigte Sound wirkt etwas trocken. Nicht immer ausgewogen scheint die Balance zwischen Solisten und Orchester. So lässt sich Jochanaan aus seiner Zisterne nicht wie aus geheimnisvoller Tiefe, sondern mehr von hinten oder von der Seite vernehmen. Der magischen Wirkung der Szene ist dies nicht zuträglich. Sänger bleiben – wie in einem Konzert üblich – immer an derselben Stelle stehen, bewegen sich also auch klanglich nicht. Bei Stereo fällt das umso mehr auf. Oft ist das gut studierte Orchester zu sehr im Vordergrund, was in den sinfonischen Passagen nicht stört, vielmehr zusätzlichen Eindruck macht. Auch beim Tanz der sieben Schleier, der hier allerdings wie ein Zwischenspiel wirkt und nicht wie eine zentrale theatralische Aktion. Geht es vielstimmig zu wie beim religiösen Streit über die Bedeutung des eingekerkerten Propheten, wird es laut und undeutlich. Johan Reuter aus Dänemark scheint als Jochanaan nicht seinen besten Tag erwischt zu haben. Er klingt in der Höhe unstet, angestrengt und herb, was man ihm im Zweifel als gestalterisches Mittel durchgehen lassen kann. Reif und üppig verbreitet sich die Schwedin Malin Byström in der titelgebenden Rolle. Bereits kurz nach ihrem ersten Auftreten findet sie Gelegenheit, ihren auch in der Tiefe erprobten Sopran zur Geltung zu bringen. Sie agiert immer mit hundert Prozent, spart auch für den kräftezehrenden Schlussgesang nichts auf und besteht ihn eindrucksvoll. Ihre Landsfrau Katarina Dalayman, einst weltweit im hochdramatischen Fach unterwegs, schenkt sich als Herodias ebenfalls nichts. Sie lässt stimmlich keinen Zweifel daran aufkommen, wer am Hofe des Tetrarchen Herodes, den der deutsche Tenor Gerhard Siegel überzeugend und stets deutlich singt, das Sagen hat. Eigentlich müsste das Ende der Aufführung in Beifallstürmen untergehen. Auf dem Konzertpodium läuft schließlich alles noch mehr darauf hinaus als im Opernhaus. Niemand braucht sich über die Inszenierung aufzuregen, die beim Publikum oft Stein des Anstoßes ist. Alle Bekundungen aus Parkett und von den Rängen gehören in der ersten Aufwallung den Sängern, die sich nicht beim Rollenspiel zu verausgaben brauchen sondern alles mit der Stimme geben können. Das haben sie – wenn auch mit unterschiedlichen Ergebnissen – getan. Deshalb wirkt es befremdlich, wenn dieser Teil der Veranstaltung abgeschnitten ist. Diese Salome endet wie im Nichts. Rüdiger Winter

Verdis „Simon Boccanegra“ 1857

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Wie das Label Palazetto Bru Zane sieht auch die englische Opera Rara von Zeit zu Zeit die Notwendigkeit im Katalog oder andernorts bereits vorhandene Opernaufnahmen zu duplizieren, so auch nun bei Verdis Simon Boccanegra in der Erstfassung von 1857. Zu der Neuaufnahme eine Würdigung und danach einen Artikel von Roger Parker, dem Repertoireberater von Opera Rara und führendem Musikwissenschaftler auf dem Gebiet des italienischen Novecento, zum Werk selbst. G. H.

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Giuseppe Verdis Simon Boccanegra von 1857 bei Opera Rara: Fast alle späten Opern Giuseppe Verdis sind Klassiker auf den Bühnen der Welt. Manche gibt es in mehreren Versionen. Gespielt wird meistens natürlich die letzte, weil sie immer auch als das letzte Wort des Meisters gilt. Jetzt hat das Label Opera Rara eine Besonderheit auf den Markt gebracht: Simon Boccanegra in der Erstfassung von 1875. Verdi hat vor allem dann Neufassungen seiner Opern gemacht, wenn es darum ging, ein Werk in einem anderen Land neu vorzustellen. Dazu machte er meist umfangreiche Änderungen. So war Don Carlos ursprünglich für Paris gedacht, für Italien gab es später sehr umfangreiche Änderungen vorgenommen. Macbeth dagegen war eine original italienische Oper und wurde dann für Paris angepasst. Aber wir haben es ganz selten bei ihm, dass er mit einer Opern-Erstkomposition generell so unzufrieden war, dass er sie dann nochmal komplett umgekrempelte. Das gibt es nur dreimal bei ihm: Beim heute völlig vergessenen Aroldo/Stiffelio, bei der Forza del Destino (Lombardi/Jerusalém war eine Bearbeitung durch Verdi nur auf Wunsch der Pariser Opéra und nicht seine Herzensangelegenheit) und bei Simon Boccanegra.

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Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: der junge Verdi/Wikipedia

Verdis Simon Boccanegra stammt von 1857, bis zur zweiten Fassung liegt ein Vierteljahrhundert. 1857 kam die Oper nicht so gut an, weil Verdi eben schon seiner Zeit sehr voraus war, seine Zuhörer mit seinen kompositorischen Neuheiten auch überforderte. Also hat er dann ein Vierteljahrhundert später in den 1880er Jahren das Werk nochmal aufgegriffen und es dann komplett seinem Spätstil angepasst. Otello ist gar nicht so weit weg, und diese neue Fassung gehört natürlich jetzt zum allgemeinen Opern-Kanon. Die erste von 1857 spielt so gut wie niemand.

Warum nun also eine Neuaufnahme?  Einer der wichtigsten Gründe dafür ist vielleicht, dass man hier einen ganz unschätzbaren Einblick in die Werkstatt von Verdi bekommt. Wir lernen wie sich Verdis Denken mit den Jahrzehnten wandelt, was ihm dann später nicht mehr gefällt und was er eben auch noch mag. Es gibt im Boccanegra Passagen, die er überhaupt nicht veränderte. Es ist total faszinierend, dieses vertraute Werk „anders“ zu hören. Verdi hat nicht nur ein paar Stellen verändert, sondern selbst da, wo er ein thematisches Grundgerüst stehen lässt, gibt es oft rhythmische Veränderungen, gelegentlich andere Tonarten und auch andere Instrumentierung. Im Endergebnis klingt dieser „alte“ Boccanegra oft jugendlicher, heller, weniger harsch als der neue und damit natürlich auch für uns eingängiger.

Der Plot ist zwar leicht überarbeitet, aber die Geschichte selbst ändert sich nicht. In beiden Fassungen geht es um die Biografie des Dogen Simone Boccanegra. Die Oper erzählt von seinem Aufstieg, seinem sehr kurzen Glück mit seiner wiedergefundenen Tochter und eben auch seinem traurigen Ende durch Intriganten. Er stirbt dann natürlich, wie so oft bei Verdi. Da wird ja viel gestorben. Es ist vielleicht nicht der beste Plot, aber es gibt richtig große, emotionale und dramatisch packende Momente.

Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Mark Elder dirigiert die Oper nun zum dritten Male/Foto OR Duncan

Was mich jetzt besonders interessiert, ist, dass es in diesem frühen Boccanegra auch Musik gibt, die wir eigentlich so gar nicht kennen, die also komplett anders klingt als in der gängigen Fassung. Da ist ein ganz anderes erstes Finale. Später hat er sich entschieden, dies völlig neu zu komponieren. Außerdem wird man in der Erstfassung auch Passagen entdecken, die er später gestrichen hat. Es gibt eine sehr schöne Cabaletta für Amelia, die weibliche Hauptfigur. Und man hört hier eben auch schon deutlich den mittleren Verdi, der Spaß an großen Chören hatte, also den Verdi des Trovatore, der große Tableaus auffahren lässt. Es ist schade, dass Verdi so etwas später mied.

Simon Boccanegra von 1857 ist vielleicht die ungewöhnlichste Alternativfassung einer Verdi-Oper überhaupt, was verwunderlich ist, weil sie auch die Fassung mit den meisten Abweichungen vom Original darstellt.

Und gerade weil diese Fassung weniger düster daherkommt, mit sehr großen, ausschwingenden Melodien, stärker noch im Belcanto verhaftet, hat das Ganze einen besonderen schwärmerischen Appeal, den die späte Fassung dann nicht mehr besitzt. Dieser Appeal geht bei dem grimmigen alten Verdi verloren. Und ich finde auch manche Lösungen wirklich überraschend, in der Urfassung interessanter als in der späten. Also zum Beispiel ist mir das absolut wunderbare Vorspiel aufgefallen, das Verdi später gestrichen hat. Und es gibt auch noch eine richtige Leitmotivik. Ich kann mir vorstellen, dass Verdi sowas später nicht mehr gemocht hat, weil dann ja die Wagnerianer kamen und er sich dem Vorwurf, dazu zu gehören, nicht aussetzen wollte.

Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: auf dem Roman von Antonio GGarcia Gutierrez beruhte die Handlung/Madrid Museo Arqueologico

Übrigens gibt es die Erstversion ebenfalls bei Opera Rara: eine BBC-Übernahme unter dem Dirigenten John Matheson (Bruscantini, Ligi). Aber diese neue ist die erste unter den Voraussetzungen der kritischen Verdi-Ricordi-Ausgabe eingespielte. Der Chorus of Opera North and Royal Northern College of Music Opera Chorus und das Hallé-Orchester unter Mark Elder bestreiten diese Neuaufnahme der Erstfassung.  Sicher sind Besetzungen mit Kiri Te Kanawa oder Mirella Freni eleganter, Eri Nakamuras Maria ist da im Vergleich in den Höhen vielleicht etwas grell, in den Einsätzen nicht immer ganz sicher. Aber insgesamt ist diese Aufnahme frappierend gut besetzt. Frappiert auch deshalb, weil Opera Rara sonst zwar oft hochinteressante Projekte macht, aber eben oft zweitrangige Besetzung bietet, gelegentlich recht enttäuschend. Deswegen muss man zu ihrer Verteidigung sagen, dass nicht so viele Weltstars bei OR singen, weil das englische Label sich von Spendengelder und den Verkauf finanziert und nicht durchweg große Namen auffahren kann. Und manchmal klingt das auch recht insular…

Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Leone Giraldoni war der erste Titelsänger/Ipernity

Aber hier hat man eben sehr frische Stimmen, unbekannte, relativ unbekannte Sänger versammelt. Und man erlebt, was ein begeistertes Team leisten kann, das sich exzellent in Verdis frühen Stil eingearbeitet hat. Das zeigt diese Aufnahme. Germán Enrique Alcántarain in der Titelrolle hat mir super gefallen. Dies ist wirklich ein Boccanegra, der auch in der späteren Fassung Ehre einlegen würde, umso mehr in dieser raren Urfassung. Und eine große Überraschung war für mich Iván Ayón-Rivas, der Tenorheld, der schon vorher bei der Firma mitgesungen hat und der sich hier sich so richtig entfaltet. Hier hört man absolut großen Verdi. Dazu kommen William Thomas (ein sonorer Jacopo Fiesco), Sergio Vitale (ein etwas blasser Paolo Albiani) und  David Shipley (Pietro).  M. K./G. H.

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Verfügbares: Wie so oft gilt auch hier, dass man selten etwas zum ersten male hört. Die im eigenen Katalog geführte ältere BBC-Aufnahme des originalen Simon Boccanegra ist ein Mitschnitt des Konzertes in der Londoner Golder´s Green Hall von 1975 mit dem sehr packenden Sesto Bruscantini und Josella Ligi unter John Mathesons wie stets genialer Leitung. André Turp bleibt als Gabriele Adorno etwas blass (ehemals UORC, Ponto und andere; recording of a BBC concert performance of the 1857 version before an invited audience in the Golders Green Hippodrome on 2 August 1975 and broadcast on 1 January 1976).

1989 spielte man erstmals auf dem europäischen Festland im italienischen Martina Franca (wirklich eine Pionier-Location) die Fassung unter Renato Palumbo mit Warren Mok als Gabriele (trocken)und Vittorio Vitelli als Doge (sehr ordentlich), dazu kamen Francesco Ellero D´Artegna als Fiesco (stets sonor) und Annalisa Raspagliosi (Maria) – sehr verdienstvoll, nicht unrecht, aber wirklich nicht aufregend und einem frühen Verdi nicht gerecht bei stumpfer Open-air-Akustik aus dem Innenhof des Palazzo Ducale, damals (fälschlicherweise) als moderne Erstaufnahme bei Dynamic etikettiert (den BBC-Mitschnitt gab es nur auf grauen Platten und erst recht spät bei Opera Rara im Zuge der Matheson-Erstversionen wie Don Carlos oder Forza del Destino).

Aber in neuerer Zeit gab´s den originalen Boccanegra doch einige Male, so zuletzt beim tapferen Verdi-Festival in Parma 2002 mit Vladimir Stoyanov, Riccardo Zanellato, Piero Pretti und Roberta Mantegna unter Riccardo Frizzas sehr schwerer Hand bei der RAI. Auch hier akustisch nicht wirklich aufregend und im Ganzen eher solide Mittelklasse.

Im Konzert machte Covent Garden den frühen Boccanegra 1995 mit Jose Cura als Adorno, Anthony Michaels Moore in der Titelrolle sowie mit Alistair Miles und Amanda Roocroft unter Mark Elder, radioübertragen.

Ebenfalls radio-dokumentiert hörte man am selben Haus 1997 hochbesetzt Placido Domingo (Adorno, später erschreckte er mit der Titelrolle selbst), Sergei Leiferkus (Simon Boccanegra), Jaako Ryhanen (Fiesco), Kallen Esperian (Maria), am Pult erneut Mark Elder, auch hier sehr kompakt und wenig Trovatore nah. Das gilt für mich für alle seine Boccanegra-Dokumente (auch auf der neuen Aufnahme bei Opera Rara), und ich finde, dass für den früheren Verdi nicht transparent genug, nicht federnd genug, nicht kongenial  dirigiert. Da braucht es andere, jüngere vielleicht auch.

Opera Rara torpediert gerade den eigenen Verkauf etwas, indem sie die Neuaufnahme bei youtube im eigenen Kanal ins netz stellt. Youtube hat zudem einiges an Ausschnitten aus der Erstfassung, so Elizabeth Woods im Konzert mit Amelias Arie 2009 () sowie das Vorspiel zum 1. Akt unter Chailly von seiner Decca-CD. G. H.

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Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Figurine/Ricordi archivio storico

Nun also Roger Parker: Mit neuen Ohren hören – der „neue“ Simon Boccanegra. Versuchen wir einmal ein Gedankenexperiment. Was würden wir heute von Verdis ursprünglichem Simon Boccanegra halten, der 1857 im Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführt wurde, hätte er sich nicht entschlossen, die Oper mehr als 20 Jahre später zu überarbeiten? Die ursprüngliche Fassung war das Herzstück eines Trios von außerordentlich vielfältigen Werken aus den späten 1850er Jahren. Zuerst entstand Les Vêpres siciliennes („Die sizilianische Vesper“, 1855), geschrieben für Paris als expliziter Versuch, die von Meyerbeer berühmt gemachte Operngroßartigkeit nachzuahmen und diese zu übertreffen. Dann folgte Boccanegra, der zur italienischen Tradition zurückkehrt, aber nur wenige offensichtliche Vorbilder bei Verdi oder anderen hat und am besten als strenger Versuch beschrieben werden kann , eine schlanke, italienisch anmutende Avantgarde zu schaffen. Und schließlich kam Un ballo in maschera („Ein Maskenball“, 1859), das den radikalen neuen italienischen Stil von Boccanegra weitgehend aufgibt und auch eine Rückkehr zu französischen Vorbildern zeigt, diesmal jedoch eher zur Sprache der opéra comique als zu der Meyerbeerschen. Von diesen drei Werken hatte nur Un ballo in maschera eine gewisse Dauerhaftigkeit im damals entstehenden internationalen Repertoire. Insbesondere Boccanegra verschwand bald aus dem Blickfeld und wäre ohne Verdis Überarbeitung von 1881 (die heute meist zu hörende Fassung) sicherlich für viele Jahrzehnte unaufgeführt geblieben.

Allerdings wäre Boccanegra in seiner ursprünglichen Fassung von 1857 dann sicherlich wiederaufgenommen im 20. Jahrhundert worden – wie so viele vergessene Opern Verdis, da seine düstere Intensität zweifellos starken Widerhall in den sich wandelnden Zeiten dieses Jahrhunderts gefunden hätte. Doch diese Rehabilitierung blieb aus: Die Präsenz von Verdis Überarbeitung von 1881 hat dies wirksam verhindert.

Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Figurine/Ricordi archivio storico

So überwältigend war unser Glaube an die Idee des Fortschritts in der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts – eben an die Idee, dass das Genre, insbesondere in Verdis Händen, im Laufe des Jahrhunderts dramatisch gereift, ernster und respektabler geworden sei –, dass die ursprüngliche Boccanegra fast vollständig zugunsten seines  späteren, moderneren Bruders ignoriert wurde. Es gab zwar gelegentliche Wiederaufführungen, aber sie konnten sich nie ganz aus dem Schatten der späteren Gedanken des Komponisten befreien. Schließlich hat Verdi, so heißt es, die Partitur überarbeitet, weil er mit dem Original unzufrieden war; welches Recht haben wir, eine so ehrwürdige und maßgebliche Entscheidung in Frage zu stellen? Schon ein kurzer Blick auf den Kontext der Überarbeitung, ja sogar auf Verdis Überarbeitungen im Allgemeinen, lässt vermuten, dass die Sache nicht ganz so einfach ist.

Zum einen wurden alle größeren Überarbeitungen von Verdis italienischsprachigen Opern (Macbeth, Stiffelio und Simon Boccanegra) in erster Linie aus praktischen Gründen vorgenommen. Jede der fraglichen Opern war aus dem Repertoire gefallen, und Verdi, ermutigt durch seinen Verleger Ricordi, nutzte die Überarbeitung als Gelegenheit, sie zu aktualisieren, wobei er teilweise radikale Anpassungen an ihrer musikalischen Sprache vornahm, um sie einem Publikum mit unvermeidlich veränderten Erwartungen neu zu präsentieren.

Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Figurine/Ricordi archivio storico

Eine solche Haltung ist aus seiner Sicht verständlich. Er arbeitete in einer Welt, in der die Idee der „Repertoireoper“ noch in den Kinderschuhen steckte und neue Werke nach wie vor das prestigeträchtigste Element der Opernszene waren. In einem solchen kulturellen Umfeld bedeutete die Einstufung als veraltet, (oft) als erfolglos. Was war also wahrscheinlicher, als dass Verdis Aufgabe bei seinen Überarbeitungen darin bestand, die rückständigsten eines Werkes gewaltsam auf den neuesten Stand zu bringen? Vor allem aus diesem Grund schien es ihm bei seinen Überarbeitungen wenig wichtig zu sein, stilistische Unstimmigkeiten zu vermeiden, und er blieb weitgehend gleichgültig gegenüber der Tatsache, dass seine Überarbeitungen oft seltsame anachronistische Dissonanzen hervorbrachten.

Es gibt berühmte Beispiele aus verschiedenen Phasen seiner Karriere, eines der offensichtlichsten ist Lady Macbeths Arie „La luce langue“, die 1865 für die Pariser Überarbeitung von Macbeth hinzugefügt wurde, fast 20 Jahre nach der Uraufführung des Werks in Florenz. „La luce“ versucht nicht, sich an die musikalische Atmosphäre der späten 1840er Jahre anzupassen, sondern ist vielmehr eines der radikalsten Stücke – orchestral und harmonisch –, die Verdi selbst Mitte der 1860er Jahre geschrieben hatte.

Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Figurine/Ricordi archivio storico

Das Gleiche gilt für die Überarbeitungen von Boccanegra aus dem Jahr 1881, in denen praktisch alle neuen Ergänzungen stilistisch eher auf die letzten Opern, Otello und Falstaff, als auf die Welt der damals fernen 1850er Jahre verweisen. Beispiele dafür finden sich in fast jeder Nummer der Oper, insbesondere im Prolog und im ersten Akt. In die karge, schlanke Orchestrierung und die strenge Deklamation der Fassung von 1857, die oft an Il trovatore in seiner strengsten Form erinnert, fügte Verdi 1881 Passagen mit überraschenden Instrumentalfarben und flüchtigen lyrischen Ausbrüchen ein, die sehr stark in die Richtung gingen, die einige Jahre später mit Otello zum Markenzeichen seines Spätstils werden sollte.

Der größte Unterschied zwischen den beiden Boccanegras, im Finale des ersten Aktes, ist die klassische Illustration. Aus der Perspektive der frühen 1880er Jahre erklärte Verdi in Briefen, dass sein Finale von 1857 „Erleichterung, Abwechslung und mehr Leben“ brauche; und er ersetzte es durch die berühmte Ratsszenen mit ihren leidenschaftlichen Appellen an die Einheit Italiens. Natürlich ist sein Finale von 1881 großartig.

Aber es sei daran erinnert, dass es nicht nur eine durchweg „späte“ Musiksprache aufweist, sondern auch auf akut zeitgenössische Themen, insbesondere auf die zerrissene Politik und die extravaganten Ambitionen des neu gegründeten italienischen Staates hindeutet. In seinem musikalischen Stil und seiner politischen Resonanz ist es mit anderen Worten sehr stark von seiner Zeit geprägt.

Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Karikatur von Francesco Maria Piave/Ricordi archivio storico

In diesem Zusammenhang könnte man dem Finale von 1857 eine ganz andere Stimmung unterstellen: Es handelt sich nicht um einen minderwertigen ersten Entwurf, sondern um einen höchst originellen Versuch, das zentrale italienische Finale der frühen 1850er Jahre neu zu konzipieren, in dem die Vielfalt der Ausdrucksformen vergleichsweise wenig Platz hat und in dem die Ökonomie der Komposition und die Düsternis des Tons extrem ausgeprägt sind. Und auch diese Stimmung könnte man als zeitgemäß betrachten, in diesem Fall als passend zur düsteren, konterrevolutionären Atmosphäre der späten 1850er Jahre, in der die Hoffnung auf ein neues Italien auf einem Tiefpunkt stand.

Mit anderen Worten: Es ist leicht zu verstehen, warum Verdi – der mit zunehmendem Alter und zunehmendem Ruhm sich der politischen Resonanz seiner Opern immer bewusster wurde – das Bedürfnis verspürte, 1881 eine so radikale Änderung vorzunehmen. Aber aus unserer Sicht, anderthalb Jahrhunderte später, wo beide Stimmungen nur noch historische Spuren sind, kann man eine automatische Präferenz für eine Version gegenüber der anderen nur dadurch ermöglich, dass man sowohl die musikalische als auch die historische Entwicklung Verdis ignoriert.

Solche Argumente lassen sich auch für die anderen wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Fassungen von Boccanegra anführen, in denen die Version von 1857 stets zu kräftigeren Farben, einer größeren Ökonomie der Ausdrucksweise und vor allem zu einer größeren Zielstrebigkeit neigt. Um es auf den Punkt zu bringen: Ist Verdi 20 Jahre später immer und zwangsläufig besser? Ist Aida besser als Il trovatore? Ist Otello besser als Don Carlos?

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Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Ratssaal im Palazzo degIi Abati, 1. Akt, 2. Szene, Bühnenbild von Girolamo Magnani/Ricordi archvio storico

Solange wir nicht weiterhin passiv die alte Vorstellung von der allmählichen Reifung der italienischen Oper unterstützen, kann es keine eindeutigen Antworten geben. Die meisten Liebhaber des Komponisten würden sicherlich argumentieren, dass solche Wertfragen zumindest stark von der Qualität der Aufführung und vielleicht ebenso sehr von der Beschaffenheit des Publikums abhängt – davon, wer es ist, wo es sich befindet und von der (politischen oder allgemein kulturellen) Stimmung, die es umgibt. Insbesondere wenn die ursprüngliche Fassung von Boccanegra mit Engagement und einem Bewusstsein für ihre stilistischen Besonderheiten aufgeführt wird, kann uns die Aufführung vor wichtige Fragen stellen, die sich sogar auf den gesamten Komplex ausweiten könnten, ob Verdis Überarbeitungen nicht nur Neukonzeptionen, sondern sogar Verbesserungen sind. Verdi  selbst sah sie zwar nur als solche, aber die Zeiten ändern sich, und mit ihnen ändern sich auch die Bedeutungen, die wir Kunstwerken entnehmen können. In diesem Zusammenhang könnte der „alte“ Boccanegra ganz plötzlich frisch und „neu“ werden, genauso dringend an unsere Zeit angepasst wie sein Nachfolger.

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Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Ankündigung der Uraufführung/Ricordi archvio satorico

Hintergrund: Dies ist nicht der Ort für eine detaillierte Darstellung der Entstehungsgeschichte von Simon Boccanegra. Kurz gesagt beschloss Verdi, eine Oper für die Karnevalssaison 1856/57 zu schreiben, zögerte jedoch, sich auf ein Theater oder ein bestimmtes Thema festzulegen, wahrscheinlich weil er noch über die Möglichkeit, eine Version von König Lear zu schaffen. Schließlich entschied er sich jedoch, zu dem Autor zurückzukehren, der ihn zu Il trovatore inspiriert hatte, dem spanischen Dramatiker Antonio García Gutiérrez, und vertonte dessen Drama Simón Bocanegra von 1843. Sein Librettist war wie üblich der langmütige Francesco Maria Piave (Librettist von Macbeth, Rigoletto, La traviata und einem halben Dutzend weiterer Verdi-Opern), wenn auch mit etwas Unterstützung in letzter Minute von Giuseppe Montanelli, einem toskanischen Dichter und politischen Exilanten. Die Uraufführung fand am 12. März 1857 im Teatro La Fenice in Venedig statt, mit einer Besetzung mit Leone Giraldoni (Boccanegra), Giuseppe Echeverria (Fiesco), Luigia Bendazzi (Amelia) und Carlo Negrini (Gabriele). Die Oper war bekanntlich kein Erfolg. Verdi berichtete mehreren Korrespondenten sofort in etwa mit den gleichen Worten.  Ein Brief an den Impresario Vincenzo Torelli in Neapel hat mehr als nur einen Hauch von theatralischer Übertreibung: „Der Karneval in Venedig war schön, die Theatersaison bisher gut, aber gestern Abend begannen die Schwierigkeiten: Es war die Premiere von Boccanegra, und es war ein Fiasko, fast so groß wie das von La traviata. Ich dachte, ich hätte etwas Passables geschaffen, aber anscheinend habe ich mich getäuscht.§

Wie üblich zeigten die Rezensionen in Zeitungen und Zeitschriften ein sehr breites Spektrum an Meinungen. Was jedoch kaum Zweifel hinterlässt, ist, dass die Hauptsänger applaudiert wurden und dass die „stumpfe Reaktion“ des Publikums vor allem durch die insgesamt düstere Farbgebung des Dramas und durch seine unkonventionelle Gesangsführung hervorgerufen wurde, wobei ein Großteil der Partitur die Traditionen des Belcanto ablehnte und stattdessen eine deklamatorische Vortragsweise einsetzte, nicht zuletzt in der Komposition für den Protagonisten der Oper.

Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Coronation of the Doge on the Scala dei Giganti Giambattista Brustolo/V&A Museum

Vielleicht auch wegen dieser gleichgültigen Aufnahme überwachte Verdi persönlich eine frühe Wiederaufnahme der Oper bei der Einweihung des Teatro Municipale in Reggio Emilia am 10. Juni 1857, nur drei Monate nach der Premiere in Venedig. Er nahm sich die Mühe, an den Proben teilzunehmen, verbrachte den größten Teil eines Monats vor Ort und nahm dabei einige Änderungen an seiner Partitur vor, sowohl musikalische als auch szenische. Bis Anfang der 1870er Jahre fanden noch eine Reihe weiterer Wiederaufnahmen statt, insgesamt vielleicht 40. Obwohl es gelegentliche Erfolge gab, nicht zuletzt in Reggio Emilia, war die Resonanz an vielen bedeutenden Orten (insbesondere an der Mailänder Scala im Januar 1859) bestenfalls lauwarm.

Nach dem Debakel an der Scala schrieb Verdi seinem Verleger Tito Ricordi in einer für ihn typische Mischung aus Trotz und Pessimismus: „Ungeachtet dessen, was Freunde und Feinde sagen, steht Boccanegra vielen meiner anderen Opern, die mehr Glück hatten, nicht nach, und das liegt daran, dass das Werk vielleicht eine raffiniertere Aufführung und ein Publikum braucht, das zuhören will; was für eine traurige Sache ist das Theater doch!“

Aber „das Publikum“ blieb unfähig oder zumindest unwillig, die ungewöhnlichen Qualitäten der Oper zu würdigen; im Allgemeinen wurde Boccanegra als „Problemstück“ bekannt und wurde in den renommiertesten Theatern gemieden. Schon bald beschränkten sich die Wiederaufführungen meist auf kleinere Spielstätten, und selbst diese versiegten Anfang der 1870er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt schmiedete die Firma Ricordi, die die Oper unbedingt weiter fördern wollte, Pläne für eine gründlichere Überarbeitung, die schließlich 1881 das Licht der Welt erblickte.

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Zu Verdis „Simon Boccanegra“ 1857: Parma 2022/Szene/Foto Roberto Ricci

Die neue Edition:  Unsere Ausgabe von Simon Boccanegra von 1857, die Ricordi (der noch immer existiert und sich für die Opern des Komponisten einsetzt) beim Verfasser dieses Artikels in Auftrag gegeben hat, ist die erste, die auf Verdis autographischer Partitur dieser Fassung basiert und die erst vor wenigen Jahren für Wissenschaftler zugänglich wurde. Alle früheren Fassungen mussten sich auf die fast zeitgenössische Ricordi-Vokalpartitur und verschiedene Manuskript-Kopien stützen. Diese Quellen sind größtenteils zuverlässig in der Wiedergabe der von Verdi geschriebenen Noten, aber in Bezug auf Dynamik, Phrasierung und andere Aspekte der Artikulation sind selbst die besten von ihnen nur annähernd und lassen häufig wesentliche Details vermissen. Die autographen Materialien stellen somit eine reichhaltige neue Quelle dar, die zeitgenössischen Interpreten erstmals die Möglichkeit bietet, viele von Verdis detailreichen musikalischen Anweisungen zu befolgen. © 2025 Roger Parker/G. H.

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VERDI: SIMON BOCCANEGRA 1857 VERSION (ORC65): The Hallé | Sir Mark Elder, conductor; Germán Enrique Alcántara (Simon Boccanegra); Eri Nakamura (Amelia); William Thomas (Jacopo Fiesco)Iván Ayón-Rivas (Gabriele Adorno); Sergio Vitale (Paolo Albiani); David Shipley (Pietro); Amelia’s Maid (Beth Moxon); Chorus of Opera North and Royal Northern College of Music Opera Chorus

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Der Autor und Musikwissenschaftler Roger Parker/ Foto OR/ Russell Duncan

Dank an Roger Parker, uns seinen Artikel aus dem Booklet zur neuen Aufnahme bei Opera Rara zu überlassen! Roger Parker ist Repertoireberater bei Opera Rara. Er ist emeritierter Professor für Musik am King’s College London und lehrte zuvor in Cornell, Oxford und Cambridge. Er ist (zusammen mit Gabriele Dotto) Herausgeber der kritischen Ausgabe von Donizetti, die bei Ricordi erschienen ist. Seine jüngsten Bücher sind „Remaking the Song: Operatic Visions and Revisions from Handel to Berio“ (University of California Press, 2006) und A History of Opera: The Last Four Hundred Years (Penguin, UK/Norton, US, 2012), das er gemeinsam mit Carolyn Abbate verfasst hat. Derzeit arbeitet er an einem Buch über die Musik in London in den 1830er Jahren und an einer kritischen Ausgabe von Donizettis Solo-Liedern. Von 2013 bis 2018 war er Direktor des vom ERC geförderten Projekts „Music in London, 1800–1851“ am King’s College. (Abbildung oben: Venedigs Doge Leonardo Loredano von Giovanni Bellini/Wikipedia)

Hopfen und Malz

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Il Bel Canto Ritrovato Festival im Teatro Sperimentale brachte in Pesaro 2023 Luigi Riccis komische Oper Il birraio di Preston (Der Bierbrauer von Preston). Die ist nun bei der verdienstvollen Firma Bongiovanni als CD_Mitschnitt herausgekommen (die Ausstattung bei Bongiovanni/ GB 2611/12 – 2  enthält wie stets ein schönes Booklet mit einem Artikel Claudio Toscani und das Libretto in Italienisch und Englisch, sowie ein Grußwort vom Intendanten des „Festival Il Bel Canto Ritrovato“, Rudolf Colm). Ingrid Wanjas Rezension der neuen Bongiovanni-CD macht den Anfang, gefolgt von einem Artikel von Charles Jernigan zum Werk und zum Komponisten …

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Iniziativa preziosa: Ab 2022 gibt es, damals mit einer Oper von Pietro Generali,   innerhalb der Regionen Romagna und  Marche, im Geburtsort des Schwans von Pesaro, Giacchino Rossini und des zu den compositori minori gehörenden Lauro Rossi, dessen Wiege in Macerata stand, wieder die neben dem Rossini-Festival stattfindenden Aufführungen von einem der gut sechzig Komponisten mit rund 1300 inzwischen vergessenen Opern, Aufführungen im Zeichen des Festival nazionale del Belcanto ritrovato (in operalounge wurde darüber berichtet). Bisher dahin wurden die Minori verdrängt von den jeweiligen Platzhirschen: neben Rossini noch Bellini aus Catania und Donizetti aus Bergamo.  Macerata ist bereits ausgelastet mit dem Opernfestival im Sferisterio, aber Fano, Urbino, Recanati, wo Beniamino Gigli begraben ist, beteiligen sich gern an dem Unternehmen, das nicht zuletzt die Tourismusströme aus der Toscana in die landschaftlich ebenso reizvollen Marche umleiten will.

2023 stand Luigi Riccis Semiseria Il Birraio di Preston auf dem Spielplan als erste Vorstellung des Werks in modernen Zeiten und natürlich auch erste Aufzeichnung, es spielte das Orchestra Sinfonica „G.Rossini“, die Gesangssolisten stammen aus der Accademia „Alberto Zedda“, dessen unermüdliches Wirken speziell für Rossini und speziell durch seine Edizioni critiche durch die Namensgebung zum Glück angemessen gewürdigt wird. Er hatte bereits für ein ähnliches Unternehmen wie das 2022 wieder aufgelebte gesorgt. Verdienstvoll ist auch die Bereitschaft des Musikverlags Bongiovanni, der immer wieder CDs mit in Vergessenheit geratenen Komponisten auf den Markt bringt, so auch den Bierbrauer aus Preston: da kein Winzer, ins ferne Inghilterra versetzt.

Luigi Riccis Oper „Il birraio di Preston“ beim Bel Canto Ritrovato Festival 2023/Szene/Foto Angelucci

Den besten Opernstoff, aber eher den für eine opera seria, liefert das Leben des Komponisten Ricci, der etwas dreißig Opern komponierte, vier davon gemeinsam mit seinem Bruder Federico, und dessen Birraio 1847 im Teatro della Pergola nahe Florenz uraufgeführt wurde. Sein größter Erfolg war allerdings Un‘ avventura di Scaramuccio, und auch Crispino e le comare wurde bis Ende des Jahrhunderts immer wieder aufgeführt. Erst Verdis Falstaff machte ihm wirklich Konkurrenz. Ein totaler Misserfolg allerdings waren seine Nozze di Figaro, die 1838 in Mailand durchfielen. Sein Leben verlief turbulenter als das seiner Opernfiguren, er hatte mit den beiden älteren Schwestern von Teresa Stolz gleichzeitig ein Verhältnis und wurde durch beide derselben Vater. Eine Schwester heiratete er, die andere blieb seine Geliebte. Sein Dasein beendete er schließlich in einem Irrenhaus in Prag.

Im Birraio di Preston geht es um eineiige Zwillinge, deren einer Brauer, der andere Offizier seiner Majestät ist. Der Brauer will gerade heiraten, als ein Freund seines Bruders ihn dingend bittet, sich beim Vorgesetzten für den offensichtlich fahnenflüchtigen  Bruder, der außerdem noch die Schwester eines Kameraden verführt und verlassen hat, einzusetzen. Nach vielen Verwirrungen ist der nicht desertierte, sondern gefangen gehaltene Bruder auf dem Weg zurück, der Brauer hat inzwischen für ihn dank des schlauen, kampferprobten Reitpferds eine Schlacht gewonnen, zwei Paare können heiraten und glücklich werden.

Luigi Riccis Oper „Il birraio di Preston“ beim Bel Canto Ritrovato Festival 2023/Szene/Foto Angelucci

Die flüssig und leichtgängig daher kommende Sinfonia wird vom Dirigenten Daniele Agiman ( auch direttore artistico des Festivals) angemessen dargeboten, das Orchester nimmt sich beschwingt und leichtfüßig der gefälligen Musik an. Das Finale des 2. Akts besticht durch eine mitreißende Steigerung der Intensität..  Auch der Coro del Teatro della Fortuna weiß seine Vergnügungssucht als Hochzeitsgesellschaft angemessen zu vermitteln. Als Bass ausgewiesen ist der Brauer Daniele, sein Sänger Gianni Giuga hört sich eher wie ein Bassbariton an, behauptet sich gut in den Prestissimi und wirkt urkomisch bei seinen Lektionen in Soldatentum. Des Bruders Freund Tobia hat mit der von Francesco Samuele Venuti eine Stimme wie aus einem Guss, ein schönes Legato und nimmt sich seiner Partie empfindsam an. Des Brauers Braut Effy wird von Inés Lorans mit feinem Soubrettenstimmchen geschmeidig die Töne hintupfend gesungen, besonders die Arie im dritten Akt ist voll niedlichen Jubels. Die verlassene Anna ist Aloisa Aisemberg klingt zunächst verwaschen, blüht aber in der Verzweiflung über das Verlassensein angenehm auf. Ihr Bruder Oliviero schlägt sich mit dem Tenor von Antonio Garés durch Geläufigkeit besser in der Cabaletta als in der sehr nach Charaktertenor klingenden Arie. Der strenge Lord Murgrace wird von Alessandro Abis mit vokaler Autorität ausgestattet. Man wünscht dem „Belcanto Ritrovato, Festival Nazionale“ noch viele Spielzeiten und erfolgreiche Ausgrabungen (GB 2611/12). Ingrid Wanja        

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Und nun Charles Jernigan zum Festival Il Bel Canto Ritrovato, zu Luigi Ricci und zum Werk: 1997 veröffentlichte Andrea Camilleri, der sizilianische Schriftsteller und Autor der äußerst beliebten Krimireihe um Inspektor Montalbano, einen Roman mit dem Titel Il birraio di Preston, in dessen Mittelpunkt ein Ereignis in Camilleris fiktivem Vigàta in den 1870er Jahren nach der Einigung Italiens steht. Die Bevölkerung ist verärgert, weil die neue nationale Regierung einen Präfekten, Eugenio Bortuzzi, einen Florentiner, in die Stadt entsandt hat. Bortuzzi hat ein neues Opernhaus errichten lassen und zur Einweihung eine Oper, Il birraio di Preston von Luigi Ricci, ausgewählt, die 1847 in Florenz uraufgeführt wurde. Die konservative Bevölkerung ist wütend darüber, dass ein „Ausländer“, ein Florentiner, den Sizilianern florentinische Musik aufzwingt, buht die Darsteller aus und brennt das Haus während der Aufführung nieder. Der Vorfall ereignete sich tatsächlich in der sizilianischen Stadt Caltanisetta und bildet den Dreh- und Angelpunkt von Camilleris faszinierendem, komisch-sardonischem Roman.

Dabei erfahren wir viel über die Oper im Italien der 1870er Jahre, einschließlich der Kontroverse zwischen Wagners Musik und der einheimischen italienischen Oper. Luigi Riccis Oper wird zum Symbol für alles, was die Sizilianer an der neuen nationalen Regierung, die sich ihren Traditionen aufzwingt, nicht mochten. Die Tatsache, dass der Roman Riccis Titel aufgreift, scheint Teil der Ironie zu sein, die in Camilleri allgegenwärtig ist, da es in dem Roman nicht wirklich um Il birraio di Preston geht, sondern um die sizilianische Haltung und den Unmut gegenüber einer fernen, zentralisierten Regierung. Es gibt keinen Grund, warum die Sizilianer Riccis Oper verschmähen sollten, auch wenn sie in Florenz uraufgeführt wurde, denn Luigi Ricci war wie sein Bruder Federico ein gebürtiger Neapolitaner, der aus demselben Königreich der beiden Sizilien stammte, das über den größten Teil Süditaliens, einschließlich Siziliens, geherrscht hatte, und Riccis Musik strotzt nur so vor neapolitanischen Melodien.

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Luigi Riccis Oper „Il birraio di Preston“ beim Bel Canto Ritrovato Festival 2023/Szene/Foto Angelucci

Bis zum Sommer 2023 schien es, als ob wir Opernliebhaber nie erfahren würden, ob Luigi Riccis Oper so „mittelmäßig“ war, wie die Beschreibung auf dem Romanumschlag behauptet. Obwohl die Brüder Ricci einzeln und zusammen etwa sechzig Opern geschrieben haben und viele von ihnen einst sehr populär waren, ist es heute schwierig, eine Aufführung zu finden. Es war also ein echter Glücksfall, dass das neue nationale Festival Il Bel Canto Ritrovato beschloss, Il birraio di Preston bei seiner zweiten Auflage im August 2023 in Pesaro und Umgebung aufzuführen. War es „mittelmäßig“? Nun, die Handlung war ein wenig abgenutzt, aber die Oper strotzte nur so vor wunderbaren Melodien, lebhaften Rhythmen und geschickter Orchestrierung. Es handelt sich nicht um eine komplexe und „ernste“ Komödie wie Verdis Falstaff oder sogar Camilleris Roman, aber es war ein durch und durch vergnüglicher Abend mit viel Spaß und der Entdeckung wertvoller verlorener Werke, die das Festival verspricht.

Die Handlung von Il birraio di Preston (die Oper) dreht sich um eineiige Zwillinge und die Verwirrung, die entsteht, als sie miteinander verwechselt werden.  Das Libretto von Francesco Guidi, das auf der Oper Le brasseur de Preston von Adolphe Adam aus dem Jahr 1838 basiert, ist ziemlich vorhersehbar, aber unterhaltsam, mit cleveren Situationen für komische Duette, Trios und Ensembles – und sogar einigen Arien.

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Luigi Riccis Oper „Il birraio di Preston“ beim Bel Canto Ritrovato Festival 2023/Szene/Foto Angelucci

Eine Verwechslungs-Komödie mit eineiigen Zwillingen muss für Luigi Ricci, der den größten Teil seiner zwanzig Jahre mit zwei Zwillingsschwestern zusammenlebte, besonders bedeutsam gewesen sein. Ricci lernte die siebzehnjährigen Stolz-Schwestern Franziska und Ludmilla kennen, als sie seine Gesangsschülerinnen waren. Sie lebten offen in Triest zusammen, bis ein Skandal Ricci dazu zwang, eine Stelle in Odessa anzunehmen, um dort die italienische Oper zu verwalten. Die Schwestern kamen mit, und Ricci schrieb eine Oper (La solitaria delle Asturie) für sie. Zurück in Triest heiratete Luigi Ludmila, trennte sich aber nicht von Franziska, die er Fanny nannte. Um einen Skandal zu vermeiden, zogen sie in ein Haus, das jede Schwester zur Hälfte bewohnte. Aber laut dem scharfsinnigen Chronisten der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts, Bellinis Freund Francisco Florimo, ließ Luigi hinter einem Schrank eine Geheimtür einbauen, die es ihnen – und ihm – ermöglichte, sich problemlos hin und her zu bewegen. Es funktionierte, bis eines Tages eine Primadonna mit ihrem Mann Luigi besuchte. Fanny, die eine unbekannte Frauenstimme hörte, brach in einem Anfall von Eifersucht durch den Schrank und schockierte damit alle. Ludmilla schenkte Luigi bald eine Tochter namens Adelaide, die Sängerin wurde, und ein Jahr später schenkte Fanny ihm einen Sohn, Luigino, der wie sein Vater Komponist wurde.

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Federico und Luigi Ricci /Wikipedia

Opernliebhaber wissen heute vielleicht nicht viel über die Brüder Ricci, aber sie kennen wahrscheinlich die berühmte Tarantella aus Luigis La festa di Piedigrotta, auch wenn sie nicht wissen, dass sie aus einer Ricci-Oper stammt. Diese allgegenwärtige Melodie, die so sehr ein Synonym für italienische (und insbesondere neapolitanische) Musik ist, ist typisch für Luigis Fähigkeit, Musik mit Ohrwurmcharakter zu kreieren. Die Musik von Il birraio ist in diesem Sinne – unermüdlich melodisch, eine Kaskade italienischer Melodien. Im 1. Akt sticht Effys Eingangsarie „La vecchia Magge“ hervor. Die alte Maggie hat der hübschen jungen Effy beigebracht, wie man sich Männern nähert und einen Ehemann findet. Letzteres ist ihr nicht besonders gut gelungen, bis Daniele auftauchte, aber er ist reich, hat einen guten Job und ein gutes Herz, auch wenn er ein bisschen langweilig ist. Die beste Musik gibt es im 2. Akt, mit einer eingängigen Cavatina für Oliviero, einen Tenor, komplett mit ausgelassener Cabaletta („Al furor d’un cor ardente“); Tobias ungewöhnliche Brindisi, „Era Tom un dragone valente“, über einen Soldaten, der „wisky“ für Bier aufgibt; das wunderbare Trio („Or conviene d’un soldato“) zwischen Daniele, Tobia und Effy, als sie beide Daniele „lehren“, wie man ein richtiger Soldat ist; und ein grandioses Finale mit einem wunderbaren, langen pezzo concertato, „Per secondar l’intrepido“, das zahlreiche melodische Themen durchläuft, eines besser als das andere. Ich für meinen Teil wollte nicht, dass es aufhört. Im 3. Akt gibt es auch einen „pezzo concertato“ und ein komisches Duett („La vederemo…la vedremo“), in dem Effy und Anna sich gegenseitig als potenzielle Bräute von Daniele/Giorgio einschätzen, die sie für ein und dieselbe Person halten. Effy hat am Ende eine große Arie in halb-ernster Manier („Deh! ch’ei non sia la vittima“), gefolgt von ihrer köstlichen Walzer-Final-Cabaletta.  Mit anderen Worten: Jede Nummer ist ein Genuss.

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Donizettis wohlwollender Geist schwebt über der Partitur von Ricci, insbesondere über dem Donizetti von La fille du règiment (1840) und vielleicht Betly (1836). La fille du règiment ist das Paradebeispiel für die in den Opern dieser Zeit vorherrschende Mode, dass eine Frau in einem Soldatenkostüm zu martialischer Musik herummarschiert. Effy, die mutiger ist als der schüchterne Daniele, zieht sich einen Soldatenmantel über ihr Kleid, und im zweiten Akt bringt Tobia ihr bei, wie man marschiert, ein Schwert hält und auch sonst „soldatisch“ auftritt – und sie bringt es Daniele bei, und das alles im köstlichen Trio „In un momento“, das mit „Rataplans“ gespickt ist, wie sie Marie in La fille du règiment singt. Verdi benutzte die Trope noch 1862 in La forza del destino, als Preziosilla zwei martialische Stücke mit ihren eigenen „rataplans“ hat.

Die komisch-martialische Atmosphäre der Geschichte verleiht der Trompete neben dem Schlagzeug eine herausragende Rolle in der Orchestrierung. Es gibt zwei Trompetenstimmen, und die Trompeter sind fast immer im Einsatz, um Melodien zu unterstreichen, einen kleinen Kontrapunkt zu setzen oder Trompetenrufe auszuführen. Im Gegensatz zu früheren Opern von Rossini und Donizetti gibt es keine klangvollen obligaten Stimmen für Flöte, Klarinette oder Oboe, die dem Sänger Gegenmelodien bieten. Nicht einmal ein Waldhorn. All dies verleiht der Orchestrierung eine bandartige Qualität und macht die Partitur zu einer Art Brücke zwischen komischer Oper und Operette. Der Sprung von Ricci zu von Suppé oder gar Johann Strauss ist nicht groß.

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Il belcanto ritrovato Pesaro: Intendant, Gründer und Organisator Rudolf Colm/ Foto IBR

Luigi und Federico Ricci setzten den von Donizetti begonnenen Trend fort, der Opera buffa wie Nemorinos „Una furtiva lagrima“ ein sentimentales Element zu verleihen. Wie Will Crutchfield feststellte, hielt der Walzer nach etwa 1845 als wichtiges Element Einzug in die italienische Oper, und die Brüder Ricci nutzten diesen neuen Tanz mit Sicherheit aus. Il birraio di Preston (1847) enthält mehrere Walzer, darunter die Schlussarie. Obwohl er in Wien als Tanz erfunden wurde, hielt der Walzer laut Crutchfield erstmals in italienischen Werken der Jahrhundertmitte Einzug in die Oper, bevor er die Alpen wieder überquerte und zum dominierenden Element der Wiener Operette wurde. (…) Charles Jernigan/ G. H.

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Triumph der Gerechtigkeit

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Der Musikfreund kennt Händels Oratorium Athalia (1733), aber wohl kaum das gleichnamige Werk des in Lucca geborenen Komponisten Francesco Gasparini, das 1692 in Rom uraufgeführt wurde. Die Libretti beider Werke fußen auf Racines Tragédie von 1691 Athalie. Während für Händel Samuel Humphreys den Text erstellte, ist der Verfasser bei Gasparini unbekannt.

Erzählt wird die Geschichte der machtbesessenen Königin Atalia, die ihre eigene Familie, darunter den Sohn Ochozia, König von Judäa, töten ließ, um die uneingeschränkte Herrschaft über Jerusalem zu erlangen. Sieben Jahre später verbindet sich der Sacerdote mit General Ormano und der alten Nutrice, um den kleinen Joas, der das Massaker als Einziger überlebt hatte, auf den Thron zu bringen.

In jüngster Vergangenheit haben einige Sopranistinnen und Countertenöre Arien aus Gasparinis etwa 60 Opern in die Programme ihrer Recitals aufgenommen. Als komplette Einspielung liegt aber nur Il Bajazet vor.

Mit der Veröffentlichung der Atalia sorgt das Label CVS erneut für eine Novität auf dem Musikmarkt. Die Aufnahme entstand im Januar 2024 in Versailles und liegt auf einer CD mit reich ausgestattetem Booklet vor (CVS147). Das Ensemble Hemiolia und sein Leiter, der Geiger Emmanuel Resche-Caserta, sorgen für eine packende Wiedergabe der Musik, die ihren Reiz aus virtuosen Arien und affektreichen Instrumentalstücken bezieht. Als Sinfonia dient Arcangelo Corellis Concerto grosso Nr. 5 op. VI – ein stimmungsvoller, kontrastreicher Einstieg mit Musik eines Zeitgenossen Gasparinis.

Die französische Sopranistin Camille Poul formt die Titelpartie höchst eindrucksvoll. Sie hat zu Beginn des ersten Teils gleich drei Soli zu absolvieren, in denen ihre strenge, aber klangreiche Stimme sich prominent präsentieren kann. Vor allem „Destatevi à l´armi“ zeigt ihre energische Entschlossenheit, die Macht zu besitzen und nicht teilen zu wollen. In „Ah nemico del mio ben traditor“ wird sie geradezu zur rasenden Furie. Höhepunkt ihrer Interpretation ist der Monolog zu Beginn des 2. Teils, „Ombre, cure, sospetti“, in welchem sie die Zustände von Angst und Schmerz eindringlich formuliert. Auch „Oh che fierezza!“ am Ende, wenn Atalia von Schreckensvisionen heimgesucht wird und auf Geheiß des Oberpriesters ihr Leben lässt, ist ein packender Moment. Der Szene folgt ein majestätischer Choeur, „O mirabil Providenza!“, von monteverdischem Zuschnitt.

Bastien Rimondi ist ein recht junger Interpret für den Ormano. Der weiche lyrische Tenor lässt schmeichelnden Wohllaut hören, verleiht der Figur edlen Zuschnitt. Seine Soli „Vado, man ben t´inganni“ und „Lascia di paventar“ sind von purer Schönheit. Ein Star im Ensemble ist der italienische Bariton Furio Zanasi als Sacerdote den er mit resonanter Stimme plastisch porträtiert. Mit der Kontraaltistin Mélodie Ruvio als kultivierter Nutrice wird die Besetzung eindrucksvoll komplettiert. Allen Barockfreunden sei diese Neuaufnahme dringend empfohlen (06.06.25) Bernd Hoppe

 

 

Weder klassisch noch modern

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Keine Sorge, die gleich dreifach als Cover für Blu-ray-Kassette, Booklet und auf der Silberscheibe  abgebildete, für den Sopran recht unvorteilhafte Szene kommt während der im Jahre 2014 stattgefunden habenden Aufführungen im Liceu von Barcelona gar nicht vor, und auch sonst scheint Unentschlossenheit das Wirken des Regisseurs Vincent Boussard bestimmt zu haben. Die schlägt sich einmal schon in den Kostümen von Christian Lacroix nieder, der sich nicht zwischen Moderne, Rokokoperücken und Mühlsteinkragen aus dem späten Mittelalter entscheiden konnte, während die Szene ( Vincent Lemaire) eine extrem dürftige ist mit ab und zu einer Bank oder einem Tisch und im Vordergrund einem Thronsesselchen, keinem Choreographen für den letzten Akt, und im Hintergrund senkt und hebt sich immer mal wieder eine Wand, lässt oft nur Beine oder Körper ohne Kopf sehen, was gegenüber dem Sopran gegenüber äußerst uncharmant ist, weil es ihn nicht gerade optimal erscheinen lässt. Zur Ulrica begibt man sich, wohl weil es schon spät ist, in Schlafanzügen, und warum eine Glühbirne zum Mond mutiert, bleibt das Geheimnis des Regisseurs, der zwischen der Scylla der modernen und der Charybdis der klassischen Regie hilflos umhersegelt und die Sänger allzu oft völlig im Stich lässt. Dafür haben sie alle Möglichkeiten, sich für ihre Arien in Positur zu stellen, was sicher nicht nur sie selbst, sondern auch der Hörer zu schätzen weiß. Bevor man zu ihnen kommt, muss man noch zur Kenntnis nehmen, dass der Video Direktor Fabrice Castanier keine gute Arbeit geleistet hat, Großaufnahmen von Nasenlöchern oder verwackelte Aufnahmen vom Publikum lassen einmal mehr einen in Rente gegangenen, früher allgegenwärtigen Könner dieses Metiers vermissen.

Trösten kann man sich mit den Sängerleistungen, in erster Linie mit der von Piotr Beczala als Riccardo, der mit makellos strahlenden Höhen, großzügiger Phrasierung im Liebesduett, einem sehr schön-schmerzlichen „Invan tu celi, Amelia“ besticht, beim Intervallsprung nach unten allerdings im Fahlen landet und recht herbe „dolci canzoni“ vernehmen lässt. Wenn auch ein letztes Bisschen von melancholischem Schimmer in der Stimme fehlt, so ist seine Leistung doch eine überaus achtbare. Ein bewährter Verdisänger ist seit langem Carlos Álvarez, dessen Bariton großzügige Bogen spannen kann, der über eine vorzügliche Diktion verfügt, machtvoll den Ruf nach Vendetta anführt und fermatenreich sein „Eri tu“ bewältigt. Viel attraktiver, als das unselige Cover vermuten lässt, ist die Amelia von Keri Alkema, mit eine reichen, üppigen Sopranstimme begabt, die weich und melancholisch ihr „Morrò, ma prima in grazia“ singt, ihr Vibrato zu bändigen weiß und sogar das rote Spielzeugauto der Lächerlichkeit entreißt. Imponierender in der Tiefe als in der Höhe ist Dolora Zajick als Ulrica und orgelt eindrucksvoll damit, keinen bubenhaften, sondern sehr mädchenhaften Sopran besitzt Katerina Tretyakova für den Oscar, und Damián Del Castillo ist vehement bis ungehobelt der Silvano. Angemessen düster äußern sich Antonio Di Matteo und Roman Ialcic als Verschwörer. Der Chor kann sich wegen mangelnder oder fehlgeleiteter Regie weitgehend aufs allerdings sehr erfreuliche Singen konzentrieren (Conxita Garcia), Renato Palumbo weiß seine große Erfahrung im italienischen Fach (Wir sind ja nicht beim Freischütz in Berlin.) gewinnbringend einzusetzen und das Symphony Orchestra of  the Gran Teatre del Liceu (wie es im Booklet genannt wird) zum sicheren Sängerbegleiter zu machen (C-Major766804). Ingrid Wanja      

Prachtvoll

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 Die Serie seiner Einspielungen von Werken Jean-Baptiste Lullys setzt das Label Château de VERSAILLES mit der 1674 in Paris uraufgeführten Tragédie lyrique Alceste fort. Die Produktion erfolgte im Januar 2024 in Versailles im Zusammenhang mit einer konzertanten Aufführung des Werkes und liegt nun in einer luxuriösen Präsentation auf drei CDs vor (CVS 149). Sie folgt der letzten Aufnahme der Oper, die Christophe Rousset 2017 verantwortete.

Da war Stéphane Fuget noch als Cembalist im Team, der nun mit seinem Ensemble Les Épopées, das er 2018 gegründet hatte, als Mentor der Neuproduktion fungiert. Er sorgt für ein Klangbild von majestätischer Pracht. Das beginnt mit der gravitätischen Ouverture, setzt sich fort in den pastoralen Tänzen mit Rondeaus, Airs, Gavotten sowie Menuetten und bringt auch immer wieder einen heroischen Ton oder unerwartet harschen Akzent ein. Mit fahlen und düsteren ombre-Klängen wartet er im Pompe funèbre auf.

Eine exzellente Besetzung wird angeführt von Véronique Gens in der Titelrolle, die ihre stilistische Kompetenz für das französische Barockrepertoire einmal mehr unter Beweis stellt. Sie profiliert die Königin, die ihr Leben opfern will, um das ihres Gatten Admète zu retten, mit eindringlichen Tönen und flehentlichem Ausdruck. Der französische Tenor Cyril Auvity singt den König mit schmiegsamer Stimme anrührend und verletzlich. Alcide (Herkules), der die Königin liebt, bringt sie aus der Unterwelt zurück und gibt sie generös seinem Rivalen Admète zurück. Damit triumphiert Alcide über sich selbst, woraus sich der Untertitel des Werkes Le triomphe d´Alcide erklärt. Nathan Berg singt ihn mit reifem, expressivem Bassbariton.

Unter den zahlreichen Nebenrollen (Alcestes Vertraute Céphise, Admètes Vater Phérès, Diane, Apollon, la Gloire  sowie mehrere Nymphen) bewähren sich Camille Poul, Léo Vermot-Desroches, Claire Lafilliâtre, Juliette Mey und Cécile Achille. Der Choeur de l´Opéra Royal bietet als Najaden, Thessaliens, Bergers, Soldats assiégeants und Muses puren Wohlklang (06.06.25). Bernd Hoppe

Klaus König 

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Klaus König (* 26. Mai 1934 in BeuthenProvinz Oberschlesien – 7. Juni 2025 Berlin). König wuchs in Bad Muskau auf. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Maler und Lackierer und arbeitete im väterlichen Betrieb. Später eröffnete er in Krauschwitz eine eigene Lackiererei. Ab 1965 studierte er dann an der Musikhochschule Dresden Gesang.

Sein Debüt als Opernsänger erfolgte 1970 am Theater Cottbus mit der Rolle des Riccardo in der Oper Die vier Grobiane von Ermanno Wolf-Ferrari. Es folgte ab 1973 ein Engagement am Landestheater Dessau, wo er bereits erste Rollen als jugendlicher Heldentenor sang, unter anderem den Max in Der Freischütz von Carl Maria von Weber und den Erik in Der fliegende Holländer. Von 1978 bis 1982 war König am Opernhaus Leipzig engagiert, wo sich seine Stimme ins schwere Heldentenorfach entwickelte. Mit der Rolle des Tristan in Richard Wagners Tristan und Isolde gelang ihm 1980 in Leipzig der Durchbruch zu einer internationalen Karriere. Seit 1982 war König festes Ensemblemitglied an der Dresdner Staatsoper. 1985 sang er dort anlässlich der wiederaufgebauten Semperoper in der Eröffnungsvorstellung die Rolle des Max. Außerdem sang er dort den Sänger in Der Rosenkavalier von Richard Strauss. Die Aufführungen wurden 1985 für das Fernsehen aufgezeichnet und später auch auf CD und DVD veröffentlicht. An der Staatsoper Dresden sang er außerdem regelmäßig die Titelhelden in den Wagneropern Tannhäuser und der Sängerkrieg auf WartburgLohengrin und Parsifal, ferner Florestan in Fidelio, Erik in Der fliegende Holländer, Stolzing in Die Meistersinger von Nürnberg und Bacchus in Ariadne auf Naxos. Von 1985 bis 1992 sang König auch regelmäßig an der Wiener Staatsoper. Er sang dort insgesamt 5 verschiedene Partien, den Bacchus in Ariadne auf Naxos, den Erik, den Stolzing in Die Meistersinger von Nürnberg sowie die Titelrollen in Tannhäuser und Lohengrin.[1]

König hatte umfangreiche Gastverträge im In- und Ausland. Er gastierte am Staatstheater Karlsruhe (1983–1985 als Tannhäuser und Tristan), an der Covent Garden Opera in London (1984 Debüt als Tannhäuser, 1987 als Bacchus), an der Mailänder Scala (Debüt 1984 als Tannhäuser), am Théâtre Royal de la Monnaie (1985 als Tristan), am Teatro San Carlos in Lissabon (1986 als Florestan), an der Oper Köln (1987 als Tannhäuser) und am Teatro Colón in Buenos Aires (1988 als Florestan).

1988 trat er an der Bayerischen Staatsoper in München die Titelrolle in der Oper Guntram von Richard Strauss auf.[2] Im Dezember 1989 übernahm er das Tenor-Solo in der Neunten Sinfonie von Ludwig van Beethoven in der mittlerweile legendären Aufführung im Berliner Schauspielhaus unter der Leitung von Leonard Bernstein.[3] 1988 gab König in Houston als Tannhäuser sein erfolgreiches USA-Debüt. 1991 sang er den Bacchus am Opernhaus von Seattle. 1994 erfolgte sein spätes Debüt an der Metropolitan Opera in New York als Erik in Der Fliegende Holländer. In den 1990er Jahren gab König weitere Gastspiele im europäischen Ausland: in Amsterdam (1991 als Siegmund), an der Hamburger Staatsoper (1992 als Bacchus) und am Teatro Bellini in Catania (1994 als Tannhäuser). 1998 sang er an der Dresdner Staatsoper den Bürgermeister in der Oper Friedenstag von Richard Strauss.

Neben seiner Tätigkeit als Opernsänger war König auch intensiv als Konzertsänger tätig. Er interpretierte insbesondere immer wieder Werke von Ludwig van Beethoven, Anton Bruckner und Gustav Mahler. Mehrfach trat König bei den Schlesischen Musikfesten in Görlitz auf. Dort sang er 1996 in Anton Bruckners Te Deum.[4] 1998 übernahm er dort das Tenor-Solo in Beethoven 9. Sinfonie.[5]

Ab 2000 beendete König allmählich seine professionelle Opernkarriere. Seine letzten Partien waren der Aegisth in Elektra und der Erste Geharrnischte in Die Zauberflöte. 2002 war er nochmals am Staatstheater Cottbus gemeinsam mit Theo Adam und anderen Künstlern der Semperoper Dresden im Rahmen einer Benefiz-Gala zugunsten der Opfer der Dresdner Flutkatastrophe zu hören.[6]

König wurde für seine künstlerischen Leistungen mehrfach ausgezeichnet. 1985 wurde ihm der Nationalpreis der DDR III. Klasse für Kunst und Literatur verliehen. Von der Dresdner Staatsoper erhielt er den Titel Kammersänger. (Wikipedia)