Liebesfrühling in Perugia

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Complete Songs for Voices & Piano von Robert Schumann sind bei Brilliant Classic erschienen (97410). Die Edition besteht aus vier CDs, die zwischen 2023 und 2025 in Perugia aufgenommen worden. Im Unterschied zu herkömmlichen Liedern, kommen bei diesen Vokalduetten, Trios und Quartette mehrere Solisten in verschiedenen Stimmlagen zum Einsatz. Für die Neuerscheinung wurden begleitet von Filippo Farinelli am Klavier die Italienerinnen Valentina Valente (Sopran), Elisabetta Lombardi (Mezzosopran), Elisabetta Pallucchi (Alt), der Engländer Mark Milhofer (Tenor) und der ebenfalls aus Italien stammende Mauro Borgioni (Bariton) gewonnen. Eine Werkgruppe, nämlich die Drei Gedichte von Emanuel Geibel Op. 29, ist mit Maria Ielli (Sopran), Matteo Mencarelli (Tenor) sowie Hyukwoo Kwon, Nachwuchssängern, die erfolgreich an Wettbewerben teilgenommen hatten, besetzt. Mit dem ungewöhnlichen deutschen Repertoire tuen sie sich allerdings schwerer als ihre erfahreneren Kolleginnen und Kollegen.

Immerhin beschert die Box eine günstige Gelegenheit, sich wieder einmal näher mit dem Liedschaffen von Schumann, an dem auch seine Frau Clara schöpferischen Anteil hat, zu beschäftigen. Leicht wird das allerdings nicht gemacht. Bis auf das bereits erwähnte Opus, das den Textdichter Geibel bereits im Titel trägt, ist in der Trackliste kein anderer Poet genannt. Erst der kenntnisreiche Text von Bianca Maria Antolini im Booklet, die am Konservatorium von Perugia Musikgeschichte lehrte, gibt Aufschlüsse. Er wurde offenbar aus dem Italienischen ins Englisch übersetzt, denn hinter dem Namen der renommierten Autorin findet sich der rätselhaft anmutende Hinweis „Translation: BC“. Hätte sich nicht auch noch eine deutsche Übertragung bewerkstelligen lassen, zumal der Inhalt der Edition ein ausgesprochen deutsches Thema ist. Wer damit nicht genauer vertraut ist, muss sich also möglichst mit dem Stift durch die neun Seiten arbeiten, um zu erfahren, auf welche Dichter welche literarischen Vorlagen zurückgehen. Oder aber andere Sammlungen zu Rate ziehen wie die großen Editionen der Schumann-Lieder von Hyperion oder Sony, die akribischer mit den Vorlagen umgehen. Mit der Neuerscheinung bei Brilliant Classics wird schließlich kein Neuland beschritten. Sämtliche Titel sind mehrfach auf Tonträgern dokumentiert. Auf der Rückseite des Booklet wird zwar darauf verwiesen, dass sich „Sung texts and Italian notes“ auf der Internetseite der Firma fänden. Mir war es nicht gegeben, sie dort ausfindig zu machen. Vielleicht kommt das ja noch.

Schumann war literarisch hoch gebildet und hatte seine individuellen poetischen Lieblinge. Neben Goethe und Heine gehören etwa Friedrich Rückert, Hoffmann von Fallersleben, Robert Reinick oder Siegfried August Mahlmann dazu. Emanuel Geibel tritt auch als Übersetzer der teils anonymen Vorlagen für die Spanischen Liebeslieder und des Liederspiels in Erscheinung. Mit den Mädchenliedern (Op. 103) bedient sich Schumann bei Elisabeth Kulmann, deren Schicksal ihn tief bewegte. Ihr Konterfei soll über seinem Schreibtisch gehangen haben. Die deutsch-russische Dichterin starb 1825 in St. Petersburg mit nur siebzehn Jahren. Sie beherrschte angeblich zehn Sprachen. Goethe soll ihr prophezeit haben, in der künftigen Literatur einen ehrenvollen Rang einzunehmen, was ihr früher Tod verhinderte. Schumann wurde erst 1851 auf ihre Gedichte aufmerksam und erkannte darin auch eine Wesensverwandtschaft mit sich selbst. Der jugendlichen Dichterin war nämlich sehr bewusst, dass sie früh sterben müsse. Schumann hatte noch fünf Jahre zu leben, als er ihre Lieder innerhalb weniger Tage vollendete.

Die Booklet-Autorin nennt es Schumanns tiefes Streben, Poesie in Musik zu übersetzen. Indem er sich den deutschen Dichtern der Romantik zugewandt habe, schuf er musikalische Formen, in denen sich Stimme und Klavier ergänzen. Durch ihn sei das einfache Lied zur Kunstform der Romantik erhoben worden. Als besonders interessant werden die Zwölf Gedichte aus Rückerts Liebesfrühling (Op. 37) herausgestellt. Neun Lieder stammen von Robert, drei von Clara (Nr. 2, 4 und 11), was auch in der Track-Übersicht genau benannt ist. Einige Titel seien strophisch, andere durch motivische Wechselwirkungen miteinander verbunden. Es handele sich um die einzige beiderseitige kompositorische Zusammenarbeit des Paares, die bezeichnenderweise in den ersten Monaten ihres gemeinsamen Lebens entstand.

Ein Vorzug des Sängerensembles ist die Unterschiedlichkeit, die persönliche Vortragsweise, die selbstbewusst ausgelebt wird. So darf und soll es sein. Schließlich agieren die Solisten nicht als fein aufeinander abgestimmter Chor sondern als Individuen mit unterschiedlichen Temperamenten, was bitte auch herausgehört werden darf. Auch wenn die Textverständlichkeit gelegentlich zu wünschen übrig lässt, die situationsbezogenen Gefühle, Befindlichkeiten und inneren Botschaften der Sänger sind unmissverständlich. Mir hat am besten der Tenor Mark Milhofer gefallen, der die Stärken und Traditionen englischer Gesangskunst in der Liedinterpretation auch für die Gegenwart bezeugt. Rüdiger Winter