Archiv des Monats: Dezember 2025

Liebesfrühling in Perugia

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Complete Songs for Voices & Piano von Robert Schumann sind bei Brilliant Classic erschienen (97410). Die Edition besteht aus vier CDs, die zwischen 2023 und 2025 in Perugia aufgenommen worden. Im Unterschied zu herkömmlichen Liedern, kommen bei diesen Vokalduetten, Trios und Quartette mehrere Solisten in verschiedenen Stimmlagen zum Einsatz. Für die Neuerscheinung wurden begleitet von Filippo Farinelli am Klavier die Italienerinnen Valentina Valente (Sopran), Elisabetta Lombardi (Mezzosopran), Elisabetta Pallucchi (Alt), der Engländer Mark Milhofer (Tenor) und der ebenfalls aus Italien stammende Mauro Borgioni (Bariton) gewonnen. Eine Werkgruppe, nämlich die Drei Gedichte von Emanuel Geibel Op. 29, ist mit Maria Ielli (Sopran), Matteo Mencarelli (Tenor) sowie Hyukwoo Kwon, Nachwuchssängern, die erfolgreich an Wettbewerben teilgenommen hatten, besetzt. Mit dem ungewöhnlichen deutschen Repertoire tuen sie sich allerdings schwerer als ihre erfahreneren Kolleginnen und Kollegen.

Immerhin beschert die Box eine günstige Gelegenheit, sich wieder einmal näher mit dem Liedschaffen von Schumann, an dem auch seine Frau Clara schöpferischen Anteil hat, zu beschäftigen. Leicht wird das allerdings nicht gemacht. Bis auf das bereits erwähnte Opus, das den Textdichter Geibel bereits im Titel trägt, ist in der Trackliste kein anderer Poet genannt. Erst der kenntnisreiche Text von Bianca Maria Antolini im Booklet, die am Konservatorium von Perugia Musikgeschichte lehrte, gibt Aufschlüsse. Er wurde offenbar aus dem Italienischen ins Englisch übersetzt, denn hinter dem Namen der renommierten Autorin findet sich der rätselhaft anmutende Hinweis „Translation: BC“. Hätte sich nicht auch noch eine deutsche Übertragung bewerkstelligen lassen, zumal der Inhalt der Edition ein ausgesprochen deutsches Thema ist. Wer damit nicht genauer vertraut ist, muss sich also möglichst mit dem Stift durch die neun Seiten arbeiten, um zu erfahren, auf welche Dichter welche literarischen Vorlagen zurückgehen. Oder aber andere Sammlungen zu Rate ziehen wie die großen Editionen der Schumann-Lieder von Hyperion oder Sony, die akribischer mit den Vorlagen umgehen. Mit der Neuerscheinung bei Brilliant Classics wird schließlich kein Neuland beschritten. Sämtliche Titel sind mehrfach auf Tonträgern dokumentiert. Auf der Rückseite des Booklet wird zwar darauf verwiesen, dass sich „Sung texts and Italian notes“ auf der Internetseite der Firma fänden. Mir war es nicht gegeben, sie dort ausfindig zu machen. Vielleicht kommt das ja noch.

Schumann war literarisch hoch gebildet und hatte seine individuellen poetischen Lieblinge. Neben Goethe und Heine gehören etwa Friedrich Rückert, Hoffmann von Fallersleben, Robert Reinick oder Siegfried August Mahlmann dazu. Emanuel Geibel tritt auch als Übersetzer der teils anonymen Vorlagen für die Spanischen Liebeslieder und des Liederspiels in Erscheinung. Mit den Mädchenliedern (Op. 103) bedient sich Schumann bei Elisabeth Kulmann, deren Schicksal ihn tief bewegte. Ihr Konterfei soll über seinem Schreibtisch gehangen haben. Die deutsch-russische Dichterin starb 1825 in St. Petersburg mit nur siebzehn Jahren. Sie beherrschte angeblich zehn Sprachen. Goethe soll ihr prophezeit haben, in der künftigen Literatur einen ehrenvollen Rang einzunehmen, was ihr früher Tod verhinderte. Schumann wurde erst 1851 auf ihre Gedichte aufmerksam und erkannte darin auch eine Wesensverwandtschaft mit sich selbst. Der jugendlichen Dichterin war nämlich sehr bewusst, dass sie früh sterben müsse. Schumann hatte noch fünf Jahre zu leben, als er ihre Lieder innerhalb weniger Tage vollendete.

Die Booklet-Autorin nennt es Schumanns tiefes Streben, Poesie in Musik zu übersetzen. Indem er sich den deutschen Dichtern der Romantik zugewandt habe, schuf er musikalische Formen, in denen sich Stimme und Klavier ergänzen. Durch ihn sei das einfache Lied zur Kunstform der Romantik erhoben worden. Als besonders interessant werden die Zwölf Gedichte aus Rückerts Liebesfrühling (Op. 37) herausgestellt. Neun Lieder stammen von Robert, drei von Clara (Nr. 2, 4 und 11), was auch in der Track-Übersicht genau benannt ist. Einige Titel seien strophisch, andere durch motivische Wechselwirkungen miteinander verbunden. Es handele sich um die einzige beiderseitige kompositorische Zusammenarbeit des Paares, die bezeichnenderweise in den ersten Monaten ihres gemeinsamen Lebens entstand.

Ein Vorzug des Sängerensembles ist die Unterschiedlichkeit, die persönliche Vortragsweise, die selbstbewusst ausgelebt wird. So darf und soll es sein. Schließlich agieren die Solisten nicht als fein aufeinander abgestimmter Chor sondern als Individuen mit unterschiedlichen Temperamenten, was bitte auch herausgehört werden darf. Auch wenn die Textverständlichkeit gelegentlich zu wünschen übrig lässt, die situationsbezogenen Gefühle, Befindlichkeiten und inneren Botschaften der Sänger sind unmissverständlich. Mir hat am besten der Tenor Mark Milhofer gefallen, der die Stärken und Traditionen englischer Gesangskunst in der Liedinterpretation auch für die Gegenwart bezeugt. Rüdiger Winter

Hinreissende Orchestrierung

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Beim Label der Stiftung Palazzetto Bru Zane ist dankenswerter Weise nicht noch eine Oper von Saint-Saens sondern von Ambroise Thomas ausgegraben worden. Psyché. Beim Hamlet kann man ja doch sagen, dass der eine Wiederentdeckung ist, die voll eingeschlagen hat. Das Werk setzt sich bis heute durch. Bestehen bei dieser „neuen“ Oper ähnliche Hoffnungen? Ich habe meine Zweifel. Dieser glanzvolle Ruhm des Hamlet wird dem Werk wohl nicht beschieden sein. Trotzdem ist Psyché ein spannendes Werk und wurde bei der Premiere 1857 als epochales Jahrhundertwerk gefeiert, als Meilenstein, als Monolith von der Bedeutung des Gluckschen Orphée. Das sagten nicht nur die Journalisten sondern eben auch Musikerkollegen, die völlig aus dem Häuschen waren. Selbst Berlioz, der ja sonst immer mäkelte. Wenige Jahre später war das Werk dann völlig vergessen. Damals, 1857, erschien Psyché eben als eine sehr spannende, sehr sorgfältig instrumentierte Oper, stilistisch vielfältig. Inhaltlich flott und innovativ. Wenn man diese hymnischen Kritiken liest, wundert man sich heute vielleicht, dass die Musikwelt so entzückt über die Orchestrierung war. Später und auch heute kannte man und kennen wir so etwas eben aus der Carmen von Bizet oder Faust von Gounod, wo es denn doch opulenter klingt. Und man war auch so begeistert von dem zu dieser Zeit neuen frechen Konzept in die hehre Welt der antiken Sage komische Szenen hineinzupacken, dies einfach kommentarlos. So etwas kennen wir heute viel überzeugender aus Straußens Ariadne auf Naxos – 1857 in Psyché ein echter Aufreger.

Thomas: „Psyché“ 1857/Zeitschriften-Illustration/ Gallica BNF

Inhaltlich geht es um die Legende von Amor und Psyche. Jules Barbier, der Librettist, setzt ganz auf feine Details und Anspielungen. Sehr schön im Einzelnen überlegt und ausgedacht, wenngleich literarisch auch nicht gerade die Speerspitze der Avantgarde. Manches erinnert mich natürlich an Jacques Offenbach. Ganz eindeutig hört man die „Anleihen“ vom ersten Finale der Psyché. Offenbach hat das fast notengetreu in der Belle Hélène durch den Kakao gezogen.

Ich bin in großen Teilen zufrieden mit der Qualität der Aufnahme. Wenngleich: Ein bisschen wehmütig ist man da schon. Eigentlich war die Titelpartie dieser Produktion gedacht und zugeschnitten für Julie DeVos, die leider vor kurzem verstarb. Eingesprungen ist jetzt Hélène Guilmette, durchaus eine Spur herber im Klang als Julie DeVos. Ein passabler Ersatz, aber nicht ganz so befriedigend wie diese große, leider zu früh verstorbene Koloratursopranistin. Das Ensemble um sie herum ist bis auf eine Ausnahme hervorragend. Wieder mit dabei ist Tassis Christoianis, hier als Merkur. Ein Sänger, der nie enttäuscht. Also auch hier nicht. Mokant, vollstimmig und auch eben ein sehr guter Sing-Schauspieler. Das große Aber ist Antoinette Dennefeld in der Hosenrolle des Eros. Sie hat hier leider viel zu singen, ist gar nicht frech oder jungenhaft. Eros ist ja die Inkarnation der Sinnlichkeit. Und Dennefeld klingt zu mütterlich bei knappen Spitzennoten. Ihr saures Timbre frisst an der filigranen Musik und macht aus dem feinen musikalischen Gespinst eher brüchiges Rauhleder.

Insgesamt mag man, wie schon erwähnt, die Kritik von damals, die frenetische Begeisterung, nicht ganz verstehen. Man war sicher vor allem von den prachtvollen Kostümen und Dekorationen der Premiere 1857 geblendet. Die haben wir jetzt natürlich nicht vor uns, zumal das auch „nur“ konzertant in Budapest mitgeschnitten wurde. Man braucht eine Weile, um in das Werk reinzukommen, um die Schönheiten zu entdecken. Aber dies ist eine extrem gut komponierte Oper. Da gibt es gar keinen Zweifel. Die Orchestrierung ist hinreißend und kann es wirklich mit Meyerbeer, an einigen Stellen sogar mit Berlioz aufnehmen. Diese Beweglichkeit des Orchesters ist bewunderungswürdig. Das funkelt pausenlos wie so ein akustisches Kaleidoskop, geht weit über eine Tagesproduktion heraus, zumal auch sehr gut rausgekitzelt von György Vashegyi am Pult des Hungarian National Philharmonic Orchestra und des Hungarian National Choir, der Raffinesse und Schmelz aus der Musik herausholt.

Vielleicht gibt es ja auch einen neuen Versuch, die Oper nochmal aufzunehmen in anderer Besetzung, denn es existiert eine andere Fassung von 1878, bei der Thomas selbst nochmal einiges verbesserte, viele Veränderungen eingeführt hat, das ganze ohne Dialoge mit Rezitativen. Da lohnt sich vielleicht eine zweite Einspielung (Palazzetto Bru Zane BZ 1062, 2 CD, CD-Buchausgabe mit Aufsätzen von Alexandre Dratwicki, Alban Rambaut und Arthur Pougin sowie dem französisch-englischen Libretto/ 18. 11. 25). M. K./G. H.