Archiv für den Monat: Oktober 2025

Meilenstein

.

Johann Adolf Hasses Namen verbinden wir heute fast immer mit dem Dresdner Barock. Er war dort sehr lange der führende Hofkomponist und er war berühmt für seine opulenten großen (und langen!) Opern. Jetzt finden wir ihn plötzlich ganz woanders wieder, nämlich in der Wiener Klassik. Das Label Harmonia Mundi France hat seine kleine Wiener Oper Piramo e Tispe von 1768 aufgenommen, also ein Spätwerk. Josef Haydn war da schon 36 Jahre alt, Beethoven noch nicht geboren, erst 1770. Mozart war zwölf Jahre alt.

Passt diese Oper in das übliche Bild von Johann Adolf Hasse? Eigentlich nicht, weil diese kurze Oper in jeder Hinsicht ungewöhnlich ist. Überraschend ist vor allem, dass es eben diese aufregenden Spätwerke von ihm gibt, die wir so gar nicht zur Kenntnis nehmen. Hasse ist sehr alt geworden, 84 Jahre, für die damalige Zeit eine Leistung. Er hat Mitte 60 noch diese großen Reformbewegungen der Oper erlebt, vor allem in Wien. Das fand er  sehr inspirierend und hat hier eine Musik geschrieben, bei der man schon spürt, dass die Veränderungen dieser Musik-Szene in Wien ihn sehr erreichten.

Seine kleinbesetzte Drei-Personen-Oper ist so innovativ, dass er in Wien wahrscheinlich kein großes Haus dafür finden konnte oder wollte. Der Tenor des Abends war auch der Librettist. Wien als Schauplatz war Hasse neue Heimat. Er hatte diesen schrecklichen Siebenjährigen Krieg in Dresden erlebt. Dort ist sein Haus abgebrannt. Er zog nach Wien um und erlebte nun diese gluckischen Reformbestrebungen. Piramo e Tisbe ist seine Reaktion darauf. Drei Personen, eine ganz eng zusammengedrängte Handlung, ganz viele Orchesterrezitative, Accompagnato. Nicht nur Arien, sondern auch Duette. Und die Melodien sind auch konziser als in seinen vorangegangenen Opern. Oft gibt es nur wenige Verzierungen. Hasse hat Gluck nicht direkt imitiert, aber man spürt schon dessen Einfluss.

Johann Adolph Hasse (italianisiert Giovanni Adolfo, darauf basierend verbreitet auch Johann Adolf Hasse; getauft am 25. März 1699 in Bergedorf; † 16. Dezember 1783 in Venedig)/Wikipedia

Der Plot ist ja bekannt. Es geht um ein Liebespaar, dessen Vater nicht will dass sie sich kriegen. Die Familien sind verfeindet, beide Liebenden planen die Flucht. Piramo glaubt aber durch ein groteskes Missverständnis, dass Tisbe von einem Löwen gefressen wurde und bringt sich um. Die arme Tisbe tötet sich neben dem sterbenden Piramo. Sie finden sterbend zusammen. Der hinzukommende Vater ist so erschüttert, dass er sich auch ersticht. Alle tot. Alle tot! Das klingt fast wie eine Parodie. Aber das stammt von Ovid, bei dem sich auch Shakespeare bedient hat.  Die damalige opera seria kannte bis aus wenige Ausnahmen keine tragischen Schlüsse. Hier nun sterben dann wirklich alle drei.

Die beiden Liebenden dieser Aufnahme sind wirklich superb, zwei Soprane übrigen. Sie hauchen sehr anrührend ihr Leben aus, fast schon wie bei Bellini später. Adieu, adieu, adieu. Ach, zum Sterben schön dieses Duett. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist doch  erstaunlich, dass Hasse noch in so hohem Alter diese Verwandlung oder diese so sinnliche Wandlung mitgemacht hat. Wirklich erstaunlich. Denn es gibt ja auch ganz andere Komponisten, die ihren Stil gnadenlos beibehalten haben, während alles um sie herum sich veränderte.

Hasse war, soweit wir wissen, sehr, sehr stolz auf seine späte Oper.  Er hat das Ganze als ein Hauptwerk betrachtet. Und wenn man die übliche Länge der frühen Hasse-Opern betrachtet ist dies schon ein Instant-Hasse.

Warum wird es so selten oder so gut wie nie gespielt? Die Musikwelt ignoriert diese Epoche zwischen 1750 und 1800 ist immer noch zu sehr. Man hat den Eindruck, dass wir aus den 1710er bis -40er Jahren unendlich viel serviert bekommen, zum Teil auch Drittrangiges. Das überschwemmt den Markt, während eben diese spannende Szene nach 1750, ab der es dann erst so richtig losgeht in der Oper und wo dann wirklich die großen Reformen-Bewegungen kommen, vernachlässigt werden. Traetta, Piccini, Sarti, Salieri, Johann Christian Bach spielen kaum eine Rolle auf dem Aufnahme- oder Festival-Markt. Und deshalb sind solche Produktionen wie diese aus Berlin bei dem verdienstvollen Label cpo absolut hilfreich und wichtig, weil sie auf Geniales jenseits von Gluck und Mozart hinweisen.

Diese Oper ist wirklich ein Meilenstein. Die Akademie für Alte Musik unter Bernhard Forck hat das erkannt und glücklicherweise eingespielt. Die Aufnahme macht überstreckend glücklich. Das hat nicht nur mit der Einfühlsamkeit und Leidenschaft zu tun, mit der sich hier die Ackermus an die Wiederentdeckung der Oper macht. Das Werk hat es wirklich in sich. Es erfordert relativ junge, frische Stimmen, damit die Handlung plausibel sein soll. Und zugleich müssen diese Sänger aber auch wirklich was leisten. Sie haben eine enorme Skala an Ausdrucksfacetten zu stemmen. Beide, Piramus und Tispe, haben im zweiten Akt riesige Solonummern, fast schon kleine Solokantaten, wo sie Schmerz, Trauer, Hoffnung ausdrücken müssen. Beide, Annett Fritsch und Roberta Mamelli, machen das sehr packend und eben auch sehr nuanciert und filigran.

Bei den Aufführungen letzten Sommer in Berlin, die dieser Aufnahme vorangingen, hat sofort gespürt, dass beide sich mochten, dass sie harmonierten, dass ihnen die Oper einen riesigen Spaß machte. Und eben diese Harmonie, diese Lust ist mit Geld nicht zu kaufen. Das ist dann eben einfach Glück. Und dies Glück hört man eben. Jeremy Oden als Vater manchmal ein bisschen zu introvertiert, und es gibt auch Momente, wo es in den Szenen der Sängerinnen auch ein bisschen an Opulenz fehlt. Aber bei Hasses Wiener Premiere in beengten Umständen haben ja auch keine Megastars gesungen. Insofern bildet die Aufnahme das gut ab. Dieser intime, schlanke Ton ist mit diesen kleineren Stimmen recht authentisch. Zusammen genommen ist dies hier Instant-Hasse mit hoher Qualität (harmonia mundi france 905393.94). M. K./G. H.

Spannende Übernahme

.

 

Das muss ein spannender Abend gewesen sein, als im April 2024  Schönbergs Frau auf der Suche nach ihrem Geliebten durch den Wald irrt, wo Ethel Smyths Holzfäller Heinrich um das Zustandekommen seiner Heirat mit Röschen bangen muss. Mit dem nahezu zeitgleich entstandenen Mondram Erwartung und dem Music Drama Der Wald treffen Expressionismus auf Spätromantik.

Die Bilder von Manuel Schmitts Inszenierung, die die beiden kurzen Werke zu einem 1 ½ stündigen Opernabend verschränkten, sehen gut aus. Im Frühjahr 2026 soll der Abend in Wuppertal nochmals aufgenommen werden. Bereits jetzt hat cpo die CD von Ethel Smyths zweiter Oper veröffentlicht (1 CD 555650-2). 2024 war ein sensationell erfolgreiches Jahr für Smyth, die mit wankendem Erfolg ihre Opern stets für deutschen Bühnen vorbereitet hatte: Karlsruhe und Meiningen spielten The Wreckers, einmal in englischer, einmal in deutscher Sprache, im Februar 2025 folgte Schwerin mit Strandrecht, also der originalen deutschen Fassung der Wreckers. Die Begeisterung war stets groß.

Nun also der im April 1902 unter Karl Muck an der Berliner Hofoper uraufgeführte Der Wald, der anschließend an Covent Garden gespielt wurde und im folgenden Jahr als erste Oper einer Frau sogar an die Metropolitan Opera kam. Es sangen an der Met Johanna Gadski und Georg Anthes, also allererste Kräfte des deutschen Faches, das junge Liebespaar. Anschließend gab es Il Trovatore mit Lillian Nordica und Louise Homer. Bei der zweiten und letzten Aufführung an der Met wurde dem Smyth-Einakter La fille du régiment mit Marcella Sembrich vorangestellt.

Smyth (1858-1944) hatte am Leipziger Konservatorium studiert, bald eine Anhängerschaft gefunden, darunter Bruno Walter und Arthur Nikisch, und Freundschaft und Bekanntschaft mit Grieg, Brahms und Tschaikowsky geschlossen und ihren Erstling Fantasio 1889 in Weimar auf die Bühne gebracht. Sie war durch Ausbildung und Wirken eine deutsche Komponistin und erlag der Faszination des deutschen Waldes und der deutschen Romantik, die in ihm Abgründiges, Geheimnisvolles und Mythisches sah. Das wenig anspruchsvolle Libretto bastelte sie selbst zusammen. Muster dazu dürfte sie bei Weber, Marschner und Wagner gefunden haben: Die Hochzeit des Holzfällers Heinrich mit Röschens steht bevor. Röschen hat böse Vorahnungen. Tatsächlich erscheint Jolanthe, die Geliebte des Landgrafen Rudolf, der die Dorfleute nicht über den Weg trauen. Jolanthe will auch Heinrich für sich gewinnen: wenn er ihr Geliebter wird, will sie ihn vor der Todesstrafe wegen Wilderei eines Rehs bewahren. Heinrich bleibt seinem Röschen treu – und fällt. Röschen wirft die Arme ekstatisch nach oben und bricht über Heinrichs Leiche zusammen, „Gesiegt hat die Liebe, Liebe und Tod, Tod und Liebe. Heilger Wald, nimm uns auf!“

Das Stück beginn dramatisch wirkungs- und geheimnisvoll mit dem Prolog und Chor der Waldgeister, die im kurzen Epilog mit den gleichen Worten wiederkehren, „Vergänglich ist der Sterblichen Leid, vergänglich der Sterblichen kurze Lust. Wir aber leben uralt wie der Himmel und jung wie des Frühlings sich ewig erneuende Zauberpracht“.

Smyth findet für die Waldgeister sowie für die anschließenden Szenen des Hausierers, der Dorfleute und der Burschen einen frisch sprudelnden Ton wie von Mendelssohn, Weber, Schumann, Brahms abgeguckt. Alles handwerklich sauber illustriert, allerdings gelingt es ihr nie, das Dämonische, Finstere und Gefährlich musikalisch zu benennen, eine dramatische Entwicklung nachzuzeichnen, selbst bei dem Hornrufen begleiteten Erscheinen Jolanthes, als Röschen Vater bereits das drohende Unheil ahnt, oder den geschlossenen Nummern bleibt Smyth gräulich konventionell. Bald stellt sich Langeweile ein.

Patrick Hahn, Wuppertals junger GMD (*1995 Graz), der bereits im kommenden Jahr sein Amt aufgeben wird, nutzt die reichen instrumentalen Möglichkeiten. Seine Wiedergabe mit der dem Sinfonieorchester Wuppertal ist tadellos, besser kann man das vermutlich nicht machen. Die Besetzung der gegensätzlichen weiblichen Hauptfiguren mit der kindlich klingenden Mariya Taniguchi als Röschen und der kraftvoll dramatischen Mezzosopranistin Edith Grossmann als Jolanthe ist gut. Sangmin Jeon ist nicht der jugendliche Heldentenor, den es für den Heinrich bräuchte, Samueol Park unauffälliger Bariton besitzt zu wenig Gewicht für den Landgrafen Rudolf, bemerkenswert der Hausierer, den Zachary Wilsons mit frischem Bariton sang. Rolf Fath          

 Passionsgeschichte

.

„Ich bin Maria von Buenos Aires, von Buenos Aires Maria, ich bin meine Stadt, Maria Tango, Maria Vorstadt, Maria Nacht, Maria fatale Leidenschaft, Maria der Liebe zu Buenos Aires bin ich!“ singt Maria, die der Geist durch einen Riss im Straßenasphalt beschwört. Sie ist ein Mysterium, geschaffen von dem uruguayischen Dichter Horacio Ferrer für seinen Freund Astor Piazzolla. 1955 lernte der 22jährige Ferrer den 12 Jahre älteren Piazzolla kennen, den er freilich schon lange, schon als Jugendlicher, bewundert hatte. Ferrer hatte seit Beginn der 1950er Jahre Texte für Tangos verfasst, Piazzolla, der quasi immer schon Tangos gespielt hatte, kehrte aus Paris zurück, wo er bei Nadia Boulanger ein richtiger Musiker werden wollte, denn „Tangomusiker war ein schmutziges Wort im Argentinien meiner Jugend“. Der Dichter und der Komponist begegneten sich, als Piazzollas Schiff auf der Rückreise nach Buenos Aires in Ferrers Heimatstadt Montevideo anlegte. Buenos Aires wurde zur Wohn- und Lebensort des in Mar del Plata geborenen Piazzolla, sein Seelenverwandter Ferrer nahm später die argentinische Staatsbürgerschaft an und erkor Buenos Aires zu seiner Wahlheimat.

1967 schuf Ferrer das Libretto zu Maria de Buenos Aires mit der Absicht für die verschiedenen Epochen und Existenzebenen der Maria „unterschiedliche Stilrichtungen des Tango (Traditionell, Romanze, Lied, modern), der Milongas, der Walzer und einige ländliche Weisen aus der Pampa zu verwenden“. 1968 gelangte die Tango-Operita im Sala Planeta in Buenos Aires zur Uraufführung mit einem Orchester von elf Musikern, mit Amelita Balfar als Maria, Hector de Rosas in den männlichen Gesangspartien und Ferrer als El Duende. Es folgten unmittelbar Hundertzwanzig Aufführungen sowie eine Schallplattenaufnahme. Wenige weitere folgten, darunter eine mit Gidon Kremer, bei der Ferrer 1998 nochmals die Sprechrolle übernahm.

Das Stück hat sich durchgesetzt, wurde ein internationaler Erfolg, wenngleich es geheimnisvoll bleibt wie die allegorische Titelgestalt, die als Verkörperung des Tangos seinen Aufstieg aus der Vorstadt in die glänzenden Zentren, Cabarets und Bordelle, seinen Niedergang und seine Wiedergeburt erlebt.

Die Faszination stellt sich direkt ein, auch bei der 2021 im kalabrischen Städtchen Cetraro entstandenen Aufnahme, bei der der unmittelbare Klang von Cesare Chiacchiarettas Bandoneon und die rau gesprochenen Einwürfe der wenigen Männer bei den Erzählungen des Geistes den Zuhörer in die Geschichte ziehen (2 CD Brillant Classics 96762). Filippo Arlia dirigiert das Orchestra Filarmonica della Calabria, das er 2011 als 22jähriger gründete und bis heute leitet, mit Verve und starker gestischer Eindringlichkeit. Die theatralischen Qualitäten der Vorlage bringt Arlia im zweien Teil, und da im 13 Bild, besonders stark und eindringlich zum Ausdruck, das instrumentale Allegro tangabile gegen Ende der Oper ist eine irrlichtende Großstadtsinfonie. Suarez Paz, kurz Ce genannt, eine renommierte Tango-Sängerin aus Buenos Aires, ist die Maria, deren szenische Präsenz und stimmliche Glut mitreißt und geradezu körperlich spürbar wird, sie trägt das Stück, in dem u.a. Alte Hurenmütter, Nudelwalzerinnen, Alte Diebe und Psychoanalytiker zu hören sind. Der Schauspieler Gualtiero Scola übernimmt die Rolle des Sprechers, Alberto Maria Munafò die anderen Gesangspartien, beide geben ihren Figuren ein Gesicht.. Rolf Fath

Echter Verdi

Ein großartiges Unternehmen ist das der Opernfestspiele Heidenheim, die sich deswegen zu Recht mit einem großen roten OH! schmücken dürfen, sämtliche Opern Giuseppe Verdis in chronologischer Reihenfolge aufzuführen, wobei man in der Saison 2024 bereits bei Alzira, eingerahmt 2023 von Giovanna d´Arco und 2025 Attila und nun als CD auf dem Markt. Mit dem Inka-Drama nach Voltaire, aber ohne dessen Kolonialismuskritik und rein auf das Liebesdrama  reduziert, ist Alzira  das wohl unbekannteste Werk Verdis, das in Neapel bei der Uraufführung noch positiv aufgenommen, danach in Rom mit einem Achtungserfolg bedacht und in Mailand mit einem totalen Misserfolg abgestraft wurde.

Das innerhalb von vier Wochen komponierte und nur neunzig Minuten dauernde Werk spielt in Peru und handelt von der Rivalität zwischen dem Inkakönig Zamoro und dem spanischen Gouverneur Guzmano um die Liebe des Inkamädchens Alzira, folgt der „klassischen“ Gruppierung Sopran/Tenor gegen Bariton, aber mit dem überraschenden Schluss, dass Letzterer auf die Hand der Angebeteten verzichtet, das Zeitliche segnet und so dem Glück der Liebenden nicht mehr im Wege steht, wobei die Frage nach dem Schicksal des Inkavolkes völlig offen bleibt, ja nicht einmal gestellt wird. Das Stück könnte also überall und zu jeder beliebigen Zeit spielen. Trotzdem ist es auf jeden Fall anhörenswert, denn neben viel Umtata und Bandaklängen gibt es betörend schöne Stellen, so dass lange Duett zwischen Sopran und Bariton, das an das aus dem Troubadour erinnert, nur das an dessen Ende nicht der Sopran, sondern der Bariton den Tod wählt. Insgesamt allerdings bleibt die Titelheldin, zeitlich immerhin angesiedelt zwischen einer Giovanna und einer Odabella, recht uninteressant. 2026 wird man in der chronologischen Reihenfolge mit der Urfassung von Macbeth bleiben, und macht zusätzlich einen gewaltigen Satz zum Otello.

Die heiter-tänzerisch beginnende und damit das happy end vorwegnehmende Sinfonia wird von der Cappella Aquileia unter Marcus Bosch verspielt tänzerisch dargeboten, ehe die Faust des traurigen Inka-Schicksals dazwischen haut. Ebenso rasant wie das Orchester zeigt sich der auf Festivals stets sich bewährende Czech Philha rmonic Choir Brno und sorgt ebenfalls für Italianità. Der Star des Ensembles ist Ania Jeruc mit klarem, härtefreiem, geschmeidigem Sopran, der furchtlos die Intervallsprünge vollzieht und die Finali dominiert. Der Tenor Sung Kyu Park ist der Inkahäuptling Zamoro und stattet diesen mit einem eindringlichen „Ah! perchè non moro?“ und folgender rasant klingender Cabaletta aus. Die Höhe und die Phrasierung sind gut, dem Timbre fehlt es etwas an dolcezza und nobiltà, aber insgesamt ist dies eine beachtenswerte Leistung. Der Alvaro wird von einem Bass voll vokaler Autorität, dem von Marcell Bakonyi, verkörpert, Marian Pop ist der Gusmano mit eher Brunnenvergifter- als Nobelbariton, einen angenehmen Tenor hat Musa Nkuna für den Otumbo, Julia Rutigliano einen geschmeidigen Mezzo für Alziras Vertraute Zuma.

Man beginnt mit skeptischem Hören, das sich zunehmend in interessiertes und schließlich gebanntes wandelt: Der Beweis dafür, dass es sich um einen „echten“ Verdi handelt, ist erbracht und Coviello Classics dafür zu danken, ihn allgemein zugänglich gemacht und mit einem vorzüglichen Booklet versehen auf den Markt gebracht zu haben (Coviello COV92508). Ingrid Wanja

 

Ein anderer Imperator

.

Händels Oper Giulio Cesare in Egitto gehört zu den bekanntesten und am häufigsten aufgeführten Barock-Opern. Wer aber kennt die Vertonung dieses Stoffes durch den 1692 geborenen Geminiano Giacomelli, der zunächst als Hofkomponist in Parma wirkte und dann an die Kirche S. Giovanni in Piacenza wechselte? Cesare in Egitto (der Vorname fehlt also im Titel) auf ein Libretto von Carlo Goldoni und Domenico Lalli ist seine einzige Oper, uraufgeführt 1735 in Mailand und noch im selben Jahr in Venedig nachgespielt. Alpha hat das Werk als Weltersteinspielung auf drei CDs in einer schmucken Schachtel mit altägyptischer Wandmalerei auf dem Cover veröffentlicht (ALPHA1141). Die Aufnahme stammt aus dem Innsbrucker Landestheater, wo sie im August des vergangenen Jahres live mitgeschnitten wurde. Dort ist Ottavio Dantone Musikalischer Leiter der Festwochen der Alten Musik und steht daher auch am Pult der Accademia Bizantina, die er seit 1996 leitet. Von ihm (und Bernardo Ticci) stammt die kritische Edition für die Aufnahme, welche Material aus den Versionen für Venedig und Mailand verwendet.

Ungewöhnlich ist die Besetzung, denn der Titelheld ist – anders als bei Händel – ein Sopran und Cleopatra ein Mezzo. Die Italienerin Arianna Vendittelli ist eine lyrische Sopranistin, der die erste Arie des Werkes, Cesares Auftritt „Cadrà quel disumano“, zufällt. Sie singt den lebhaften Titel mit Energie, ohne naturgemäß eine maskuline Stimmung evozieren zu können. Noch weniger gelingt ihr das im getragenen „Bella, tel dica amore“, einem Liebesbekenntnis der zärtlichen Art. Am überzeugendsten sind das mit heftiger Wucht vorgetragene „Col vincitor mi brando“ im 2. Akt, in dem auch die rasenden Koloraturläufe beeindrucken, und ihr finaler Auftritt mit „A un cor forte“.

Die Ungarin Emöke Baráth, renommiert in der Alte-Musik-Szene und früher selbst Sopran, hat nun in das Mezzo-Fach gewechselt. Ihr Klang ist freilich noch immer sopranig und die Auftrittsarie „Fier Leon di sdegno acceso“ von imposanter Virtuosität. Ähnlich bravourös und souverän präsentiert ist ihre Arie „Chiudo in petto un cor altero“, welche den 1. Akt beschließt.

Das Personal der Oper ist weitestgehend identisch mit Händels Dramma per musica, also finden sich hier auch Cornelia und Tolomeo. Erstere gibt Margherita Maria Sala mit expressivem Alt, der in seiner Vehemenz an den von Lucile Richardot erinnert, die Händels Cornelia in Salzburg gesungen hatte. Das ungestüm herausgestoßene „Oppressa, tradita“ zeigt die Figur im Ausnahmezustand. Tolomeo ist ein Tenor und in Gestalt von Valerio Contaldo ein robuster Vertreter seines Faches. Dennoch lässt er in seiner Arie „A quelle luci irate“ am Ende des 1. Aktes auch weichere Töne hören. Kontrastreich dazu sein heroischer Auftritt „Scende rapido spumante“ mit stürmischen Koloraturläufen, der den 2. Akt beschließt. Die Riege der Countertenöre vertreten Filippo Mineccia als General Achilla und der junge Federico Fiorio (er sogar ein Sopranist) als Cornelias Liebhaber Lepido. Mit seiner kindlichen Stimme wirkt er in dieser Rolle etwas unglaubhaft – passender besetzt war er als Cornelias Sohn Sesto in der Aufführung von Händels Oper bei den diesjährigen Salzburger Festspielen. Gleichwohl sorgt er in seinen Arien „Vibrano i Dei talora“ im 1. und „Vendetta mi chiede“ im 2. Akt für begeisternde Meisterschaft. Auch sein letztes Solo, „Scorre per l´onde ardito“ am Ende der Oper, ist ein Bravourstück par excellence. Mineccia bringt sich mit seinem charaktervollen Timbre und vehementem Vortrag vorteilhaft ein. Eindrucksvoll trumpft er in „Al vibrar della mia spada“ zu Beginn des 2. Aktes auf und hat im 3. mit „Nel sen mi giubila“ eine melodisch reizvolle Nummer.

Ottavio Dantone bemüht sich, die Längen des Werkes, bedingt auch durch ausgedehnte Rezitative und die Häufung der Gleichnis-Arien, mit Affekt geladenem und an Farben reichem Musizieren auszugleichen. Die einleitende zweiteilige Sinfonia ist ein rasanter Einstieg, doch hält sich.  dieser Eindruck nicht durchgängig, was eher am Werk als an der Interpretation liegt. Ob es sich als Repertoire-Stück halten wird, ist fraglich. Aber viele Arien sind reizvoll und taugen durchaus für Arien-Alben von Sängern oder deren Konzertprogramme (02.10.25). Bernd Hoppe