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Sie ist einfach zu gut, um wahr zu sein. Zu sanftmütig, duldend und naiv. Jossi Wieler, der mit seinem ständigen Mitarbeiter und aktuellen Staatsopern-Chefdramaturgen Sergio Morabito, diesen Lohengrin inszenierte, der bei den Osterfestspielen 2022 in Salzburg erstmals gezeigt wurde und im Mai 2024 an die Wiener Staatsoper wanderte, hat Elsa durchschaut. Während des Vorspiels, dessen „opiatische, narkotischer Wirkung“ sich Christian Thielemann nicht nehmen lässt, erleben die Zuschauer bereits, wie Elsa an einer Kaianlage steht und, leicht erschrocken über ihre Tat, Hose und Blouson auszieht, die sie bei der Ermordung ihres Bruders Gottfried trug, den sie soeben in das Wasser gleiten ließ. Heimlich streift sie in einer Ecke das blauweiße Kleid über, das sie fortan bei ihren raffinierten lämmchenfrommen Täuschungsmanövern trägt. Sie wird dabei heimlich von Ortrud beobachtet. Elsa, die Erstgeborene, hat sich des Bruders und Thronerben entledigt. Das ist eine neue Perspektive. Wieler hat sie radikal neu durchdacht. Und sie geht nicht auf. Wäre nicht die exemplarische, sich selbstverständlich und reich entwickelnde und mit den Sängern denkende Wiedergabe durch Christian Thielemann und die Wiener Philharmonikern, würde die Aufnahme (Bluray major 769504) als Dokument aus dem soliden Alltag der Wiener Staatsoper wenige Freunde finden.
Ausstatterin Anna Viebock lässt den Brudermord in der Zeit um den Ersten Weltkrieg spielen. Die graue Ufer-, Wehr- und Hafenanlage aus Beton und Stahl ist überfüllt mit Soldaten und Volk, die Frauen tragen auch ihre Babys auf den Armen, die dem Geschehen kriegs- und opferbereit entgegensehen. Wieler wäre nicht Wieler, wenn er das Wimmelbild nicht genau durchchoreographiert hätte. Das ist feinstes Regiehandwerk, von der abgefeimten Intrige der irren, schizophrenen Diva Elsa, der ungerecht behandelten Ortrud, die nach alter Märchenlogik sonst die böse Gegenspielerin gibt, nun aber allwissend Elsas große Show durchschau, ihrem verlotterten Gatten, der mit strähnigen langen Haaren, locker hängender Krawatte und hochrotem Kopf den cholerischen Loser gibt, der fast einen Herzschlag bekommt, bis zu dem seltsamen Lohengrin, den Elsa herbeifabuliert, ein Monty Python-Ritter mit dünnen langen Löckchen und aufgeschlitzter Schlapperhose, unter der so etwas wie eine Rüstung durchschimmert. Man merkt rasch, dass vieles nicht funktioniert, so fein Wielers Personenregie die Beziehungen auszutarieren versucht,
Malin Byström spielt bravourös die gegen den Strich gebürstete Elsa, die alle zu manipulieren versucht, dabei gerät ihr Singen manchmal auch grimassiert grell und überfordert. Ihr Schwanenritter ist David Butt Philip, ein jugendlicher Tollpatsch mit Ticks und Marotten; er singt mit einer kräftig frischen, etwas einfarbigen Stimme ohne Süße und Piano im Brautgemach, hat berührende, aber auch seltsam verzerrte, flache und abgehackte Phrasen. Als Telramund geht der gut deklamierende Martin Gantner bis an seine Grenzen. Anja Kampe durschaut als Ortrud sowohl den Gatten wie Elsa, bleibt immer hoheitsvoll, sarkastisch und durchwegs überlegen, selbst wenn sie sich als Krankenschwester im zweiten Akt den politischen Strömungen entgegenzustemmen versucht. Kampe verfügt über grandiose Bühnenpräsenz, ihr Singen ist stets ausdrucksvoll und dramatisch und die bösen Höhen schleudert sie kraftvoll ins Auditorium. Alle sind ausgezeichnete Darsteller, auch Georg Zeppenfelds liedhaft dezenter König Heinrich, Attila Mokus‘ nobler Heerrufer und der gesamte Wiener Staatsopernchor. Am Ende der Brautgemach-Szene schlüpft Elsa wieder in ihre Männerkluft und zerrt, nachdem Lohengrin in den Kanal entschwunden ist, den Körper ihres Bruders aus dem Untergrund. Ein Schockmoment: Die Wasserleiche wird wieder lebendig, entpuppt sich als Doppelgänger Lohengrins, dessen letzte Zeilen er mimt, während das Alter Ego noch aus dem Untergrund singt, „Seht da den Herzog von Brabant! Zum Führer sei er euch ernannt!“ und erdolcht die böse Schwester. Rolf Fath
