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Am 2. Dezember 2023 wäre Maria Callas hundert Jahre alt geworden. Nicht ihr Geburtsland, die USA, sondern ihr Herkunftsland, in das ihre Familie, allerdings ohne den Vater, 1937 zurück kehrte, Griechenland, hielt aus diesem Anlass beachtliche Ehrungen für sie bereit. So wurde die Zweieuromünze mit ihrem Konterfei versehen, wurde das Zimmer des Dekorateurs George Grandpierre, in dem sie ihre letzten Jahre in Paris verbrachte, in einem eigens für sie eingerichteten Museum in Athen nachgestellt. „Voller Stolz und Liebe“ widmet man sich ihrem Andenken, wozu auch ein Film gehört, der im Rahmen des Festivals griechischer Filme im Berliner Kino Babylon gezeigt wurde. Dieser widmet sich nicht der Diva mit internationaler Karriere, nicht der Geliebten, ebenso wie sie berühmte Männer wie Onassis und Giuseppe Di Stefano, der erstaunlichen Verwandlung vom dicklichen hässlichen Entlein zum strahlenden Schwan mit Hilfe oder doch nicht eines Bandwurms, der von den Medien gepflegten Feindschaft mit Renata Tebaldi, sondern der Jahre 1938 bis 1945 und der späteren Rückkehr nach Griechenland.
Es geht auch nicht um den noch seiner Uraufführung entgegensehenden Film von Pablo Larrain mit Angelina Jolie in der Hauptrolle oder den ebenfalls noch nicht fertigen Film von Niki Caro mit Noomi Rapace als Maria, sondern um ein besonders für die Griechen heikles Kapitel, die Besetzung durch italienische und deutsche Truppen in den Vierzigern. Die französische Sopranistin Germaine Lubin wurde wegen ihrer Auftritte vor deutschen Soldaten in Paris und in Bayreuth nach dem Krieg inhaftiert und musste Frankreich für einige Jahre verlassen, obwohl es viele Zeugen für ihre Hilfe für von den Nazis Verfolgte gab.
Kirsten Flagstad sang nicht einmal in Nazideutschland und erlitt trotzdem Verfolgung im Nachkriegsnorwegen. Maria Callas, damals noch Gesangsstudentin und Schülerin von Elvira de Hidalgo, so wie übrigens auch die Mezzosopranistin Arda Mandikan, die gemeinsam mit Maria Callas ihr Debut und das mit nur fünfzehn Jahren im Athen erlebte. Sie war wie die Callas ein Teenager, als diese vor deutschen und italienischen Offizieren als Tosca, Marta in Tiefland oder Fidelio-Leonore (in Griechisch) auftrat. Mandikan wird im Verlauf des knapp zweistündigen Films immer wieder Zeugnis ablegen vom Schicksal der Callas und mit ihr die Rückkehr nach Griechenland, als Adalgisa 1960 im Freilichttheater von Epidaurus, erleben, wenn die inzwischen zum Weltstar gewordene Callas die öffentliche Meinung von totaler Ablehnung zu ebenso totaler Anbetung umwandeln kann.
Der Film von von Vasilis Louras und Vasilis Louras The Unsung Greek Years of Callas mit englischen Untertiteln zu griechischem Dialog oder umgekehrt geht chronologisch vor und lässt viele Zeitzeugen oder zumindest deren Nachkommen oder Schüler zu Wort kommen, so auch den Sohn des deutschen Dirigenten Hans Hörner, der 1944 den griechisch gesungenen Fidelio in Athen dirigiert hatte, den die Callas nach dem Krieg besuchte, die Freude darüber ausdrückend, dass er trotz der Kriegsereignisse noch am Leben war. Die Übersiedelung der in den USA geborenen (Maria Anna Sophia Cecilia getaufte, Mary oder Maryanne genannte) Callas zurück nach Amerika auf Wunsch des Vaters (der als erfolgreicher Drogeriebesitzer nach der Trennung der Eltern in New York geblieben war) war einmal den instabilen Nachkriegs-Verhältnissen in Griechenland mit kommunistischen Aufständen, der Feindseligkeit von Ensemblemitgliedern und der Zurückstufung in der Sängerhierarchie der Athener Oper geschuldet, die spätere Rückkehr dann wohl noch mehr als dem griechischen Herzen, das sie in ihrer Brust schlagen hörte, der Liebe zu Onassis zu verdanken.
Einem sommerlichen Aufenthalt hat der Film eines seiner wertvollsten Zeugnisse zu verdanken, ein improvisiertes „Voi lo sapete, o mamma“ der Santuzza nur mit Klavierbegleitung, neben den nicht zu bezweifelnden Qualitäten der Stimme auch die Binsenwahrheit bestätigend, dass man sich vor dem Singen einsingen sollte. Noch interessanter und wegen seiner hohen Qualität sehr berührend ist ein bisher unveröffentlichtes „Son giunta“ der Forza-Leonora, das die Callas kurz vor ihrem Tod in ihrer Pariser Wohnung repetierte. Da klingt die Stimme, und das meint auch der Kommentator, besser, d.h. frischer als bei ihren späten Auftritten mit Di Stefano.
Der Film ist faktenreich, seinem Sujet zugeneigt, aber ihm nicht unkritisch gegenüber, und er zeichnet ein farbiges, vielseitiges und Interesse am Sujet wach haltendes oder erweckendes Bild seiner Protagonistin. Er war im Rahmen des Greek Film Festival in Berliner Kino Babylon 2024 zu sehen. Ingrid Wanja/ G. H.
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PS: Absolut nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang das Buch The Unknown Callas: The Greek Years von Nicholas Petsalis-Diomidis (Hal Leonard Corporation; Illustrated Edition, neu herausgegeben 2001; ISBN-13 – 978-3100244130). Dies ist ein besonders spannendes Buch über die Callas, weil die zum Teil beklemmend zu lesenden Details über die italienische und schlimmer noch deutsche Besatzung Athens mehr als deutlich geschildert wird. Hunger-Leichen lagen in den Straßen, und die deutschen Besetzer schossen bei der geringsten Gelegenheit (danach kam der Widerstand und schoss ebenfalls) – kein Ruhmesblatt für uns hier. Die Callas und ihre Mutter Evangelina sowie Schwester Jackie hatten jeweils italienische und dann deutsche Liebhaber, die sie vor dem Schlimmsten schützten. Und sie studierte Tiefland und Leonore mit ihrem Freund ein. Das reich illustrierte Buch, voll mit Zeitzeugen-Aussagen (Mireille Flery, Zoe Vlachopoulou, Constantin Stellakis und auch Arda Mandikian) und hervorragend recherchiert, ist absolut habens- und lesenswert. Und ein Exkurs in deutsch-griechischer Geschichte. Diese und andere Sänger eben dieser Vorkriegszeit sind in der repräsentativen Sammlung beim Hamburger Archiv für Gesangskunst zu hören (dazu unser Artikel bei operalounge.de)..
Aber ganz eigentlich und ungeschlagen ist der bewegende Film Maria über Callas (Regie: Tom Volf, Studiocanal 2021) mit sensationellen und bislang unbekannten Live-Rollen-Aufnahmen, auch aus den griechischen Jahren.
Dazu unser Beitrag zum 100. Geburtstag von Maria Callas mit einer Auswahl an Buchempfehlungen (Foto oben Maria Kalegoropoulos und Stelios Athenaios in „Ho Protomastoras“/Athen 1944/Tosi). G. H.