„What becomes a legend most“ (frei übersetzt: Was steht einer Legende gut) las man in den Siebzigern der USA einen Werbungspruch für herrliche schwarze Nerzmäntel. Eine Parade von Pop-Stars und besonders Sängern der Met präsentierte sie. Und womit wird heute eine Legende geehrt? Die Frage stellt sich für Maria Callas, die ihren 95. Geburtstag am 2. Dezember 2018 gehabt hätte. Pünktlich dazu tourte „Maria Callas“ als sie selbst (jaja) mit einer 4D-Hologramm-Show durch die Säle Amerikas und Europas, in Paris gleich zweimal (davon nachstehend mehr). Und zeigt geradezu beispielhaft, zu welchen Ergebnissen und Verirrungen die digitale Technik bei der Aufbereitung von Dokumenten und der Erschaffung von Images, von virtueller Realität, führen kann. Zu digitalen Wundern, wenn man so will.
Denn es erschien im November 2018 eine bemerkenswerte DVD, „Maria by Callas“ von Tom Volf bei Prokino (201 362, als Bonus ein Interview mit dem Regisseur), auf der das ereignisreiche Leben der Diva mit vielen, vielen höchst seltenen und mir zumindest oft unbekannten Dokumenten aus ihrem Bühnen- und Privatleben sozusagen retro während eines TV-Interviews nacherzählt wird. Eva Matthes liest die eingestreuten späten Briefe der Callas während und nach der Onassis-Episode. Die große Fanny Ardant ist damit im französischen Original zu hören. Staunenswert digital aufgearbeitete Filmclips zeigen die Callas als Butterfly (!!!) in Bewegung und in Farbe 1950 in Mexico City, in Farbe auch im legendären Konzert in Paris 1958 sowie in einem mir unbekannten Clip ebenfalls in Farbe bei der Londoner Tosca (1964, 2. Akt – die Verfilmung der ganzen Oper war ja geplant und es kam nur zum 2. Akt, bislang in Schwarz-Weiß bei Warner DVD), einige Sekunden in Farbe auch die späte Londoner Norma 1964. Dazwischen viele, unendlich viele Clips aus ihrem Privatleben und manchen Backstage-Momenten. Im Mittelpunkt steht dabei ein bislang weitgehend unveröffentlichtes TV-Interview, das Fernsehlegende David Frost 1970 mit Callas führte.
Es ist dieses Interview aus der Zeit ihres erzwungenen künstlerischen Asyls, das den Rahmen vorgibt. Den zum Teil indiskreten und CNN-typischen Fragen begegnet die Callas mit einer Mischung aus unglaublicher, fast masochistischer Offenheit, aber auch mädchenhafter Koketterie. Natürlich hat sie zu oft zu viel von sich erzählt, wiederholt mantrahaft ihre musikalischen und künstlerischen Credos auch hier. Aber sie gewinnt doch eine erneute überzeugende Glaubwürdigkeit. Als ob wir dies alles zum ersten Mal miterleben. Untermalt von dieser Bilderflut rollt sich das tragische Leben der Sängerin und zu spät erblühten Frau noch einmal vor unseren Augen auf. Ich hatte zu Beginn gedacht: bloß nicht noch ein Film über die Callas, alles ist doch gesagt. Nein, ich hatte mich geirrt. Dies ist ein anderer Film, einer, der betroffen macht, der das viel zu oft ausgepresste Leben, die Lebensumstände, die Einsamkeiten emotional plausibel macht und nahe bringt. Dem Lebensrhythmus der Callas folgt der Film mit seinem eigenen Tempo. Nach hektischem Beginn (schnelle Schnitte) verharrt er bei den entscheidenden Momenten, um dann zum Schluss die Eintönigkeit, die Gräue ihres Pariser Daseins abzubilden. Die letzten Bilder (nur Bilder!) von der irregeleiteten Tournee mit Di Stefano zeigen die Angst in ihren Augen, das Wissen um das Nicht-mehr-Genügen. Das Versagen vor ihren eigenen (zu?) hohen Maßstäben.
Manche Informationen überraschen. So die Details der Freundschaft mit Onassis zum Beispiel, der ihr trotz der Ehe mit Jackie Kennedy als hilfesuchender Freund erhalten blieb. Manches wird ausgespart oder wird nur diskret gestreift, wo ich mir mehr erwartet hätte: die traumatische Jugend in Athen während der deutschen Besatzung, die nicht minder traumatischen Beziehungen zu Mutter und Schwester (der Erbin). Callas die Tigerin in Dallas, als sie einen Gerichtsbeschluss zugestellt bekommt und die berühmten Furien-Fotos um die Welt gehen. Manches wird ausgewalzt: die dto. traumatische Trennung von Meneghini, die vielen Posen, der Flirt mit den Reportern. Aber an den entscheidenden Stellen kommt die Callas als die ganz Große und Kompromisslose herüber – etwa im Interview in Dallas, als sie gerade von Bing gefeuert wurde und sie sehr temperamentvoll ihre künstlerische Integrität verteidigt. „Meine Stimme ist kein Fahrstuhl!“ sagt sie woanders und geißelt zu Recht die Mottenproduktionen der Met und den ewigen Partnerwechsel jedes Bühnen-Abends. Sie ist eben eine Künstlerin, eine eigenständige und wunderbare dazu, und dieser Film tut in großer Liebe alles, um das zu verdeutlichen.
Da klingt es fast kleinkariert, wenn man nun doch einiges anmerkt, das man hätte besser machen können, namentlich bei der mangelhaften Dokumentation (und der Abspann korrigiert den Eindruck nicht). Es ist ja schön, dass wir eingeblendet lesen, dass z. B. Brigitte Bardot beim Pariser Prominenz-Konzert in der Salle Garnier die Treppe hochschritt. Aber man kann keinen Film über das musikalische Metier machen, ohne die abgebildeten und eben für die Callas so wichtigen Größen zu nennen: Serafin, Visconti, Zeffirelli, Di Stefano, Gobbi, Cioni, Prêtre und viele, viele mehr bleiben namenlos (wobei der TV-Konzert-Clip von 1958 mit ihrer Amina-Arie unter eben Prêtre zu dem Schönsten gehört, was je gesungen wurde). Ebenso ungenannt bleiben Churchill (!!!) oder die Kelly, die Windsors (beide) oder die langjährige Sekretärin und Nachlassverwalterin Vasso Devetzki, die ihr wie der auch nicht benannte Portier der Callas in den letzten Jahren zur Seite standen. Sie hätten Erwähnung verdient. Mich störte zudem enorm dieses TV-typische Unterlegen von Opernarien zu Bildern, die dazu nicht passen wollen. Und manches mehr. Dennoch – Maria by Callas – eine Art Lebens-Retro-Revue in Bildern und Briefen ist eine wunderbare Hommage an diese Stimme und Frau, die für uns Nachgeborene unseren Zugang zu Opernrollen, zur Oper und zum Theater zu entscheidend mitbeeinflusst hat. Ohne sie hätte sich Oper anders entwickelt, auch wenn sie nicht die einzige Große war, wie ihr Mentor Tullio Serafin bemerkte. Der zog – eben aus seiner eigenen Erfahrung – Rosa Ponselle vor…
Und wie vermarktet man eine Legende höchst gewinnbringend? Indem man glauben macht, die Legende sei die Wirklichkeit. So wie dann viele, viele Fans in die Kinos von Hauptstadt und Provinz strömen, um sich bei Sekt und Tütensnacks die diskutablen Produktionen aus der Met und Covent Garden anzuschauen und ihnen die Illusion vermittelt wird, sie wohnten einer Live-Show bei. Nun hat die amerikanische Hightech-Firma Base Hologram nach Michael Jackson und anderen Pop-Größen Maria Callas zu neuem virtuellen Leben erweckt. Hamburg ist am 7. Dezember dran, als einzige deutsche Location. Endstation einer langen Tournee, die im September 2018 im kalifornischen Sacramento begann und in 22 Stationen die Grenzenlosigkeit der digitalen Technik demonstriert(e). So sehen heute Wunder aus.
Wie ein Freund aus New York schrieb: Im ausverkauften Lincoln Center wirkte Maria Callas ein wenig blass. Verständlicherweise: Sie ist ja seit 1977 tot. Diese Callas heute Abend aber war ein dreidimensionales Hologram, das jüngste in einer Reihe von musikalisch-visuellen Auferstehungen, zu denen Michael Jackson und andere Popstars gehörten. Die Callas – gruselig, wohlauf, in einer weißen Abendrobe und mit einer ellenlangen roten Stola schimmernd – wurde für diesen Anlass neu erschaffen, bis hin zu den kleinsten Bewegungen ihrer Hände und der subtilsten Mimik ihres Gesichtes. Ihre Stimme (von ihren eigenen Aufnahmen aus dem Warner-Depot) wurde von einem Live-Orchester (!) unterstützt. Von Zeit zu Zeit drehte sie sich zur Seite, warf einen Blick über ihre Schulter, gab sich auch kokett und spielte mit der Stola in ihren Armen. Es war unglaublich, aber auch absurd; im gleichen Maße seltsam fesselnd wie auch kitschig und lächerlich. (…) Dieses holographische Gespenst war auf abartige Weise reizend, auch wenn es schwerlich aus diesem Grunde geschaffen worden war. J. K.
Und aus Paris hört man: Maria Callas, The Hologram Tour – Paris (Salle Pleyel): Was für ein Auftritt! Die ehrwürdige Salle Pleyel ist am 28. November 2018 ausverkauft. Das Licht dimmt. Ein Orchester nimmt Platz, beginnt die Rossini-Ouvertüre. Und dann kommt sie: Maria Callas, was für eine Erscheinung. Sie tritt übrigens nicht einfach auf, sie gleitet wie Lucia beim Bankett herein, das Geräusch ihrer Absätze auf dem Boden der Konzertplatform überlaut und uns nach einem ersten geisterhaften Eindruck in eine weitere virtuelle Wirklichkeit zurückholend. Maria im 1958er Look, mit dem berühmten Chignon im Nacken und dem bodenlangen, trägerlosen weißen Abendleid, wie es sich durch die Fernsehübertragung des Konzerts im Palais Garnier für immer in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt hat.
Der Hightech Firma Base Hologram ist die Leistung gelungen, aus den relativ wenigen erhaltenen visuellen Informationen eine virtuelle Göttin zu schaffen, einen fast perfekten Klon. Dolly singt und schwebt. Wenn man dieses technische Wunder wirklich wahrnehmen will, sollte man in den ersten Reihen sitzen, um den Ausdruck des irgendwie vertrauten, aber doch so fremden Gesichts und die Bewegungen des Mundes, die genau jedem Wort, jeder Phrase entsprechen, zu bestaunen. Olympia? Ein Automat? Auf beiden Seiten der entmaterialisierten Sängerin sitzt das Live-Orchester, ungefähr 60 Musiker. Die musikalische Synchronisation ist ein Kunstwerk ohne jeden Fehler. Das metronomische Dirigat von Eimear Noone sichert eine perfekte Koordination. Mehr nicht, aber dies doch.
Der Sound dagegen lässt zu wünschen übrig. Der Zuschauer muss eine unangenehme Verstärkung der Instrumente akzeptieren. Das ist wohl der Preis, um das Ungleichgewicht mit der von verschiedenen Aufnahmen auf Band aufgenommenen Stimme (die aus dem ganzen Klangspektrum herausgelöst wurde) zu reduzieren, und ist somit den qualitativen Unzulänglichkeiten der damaligen EMI-Mikrophone ausgesetzt. Die digitale Technik konnte nicht verhindern, dass die tiefsten Noten in Macbeth und Gioconda (mono von 1954) schwammig herüber klingen. Im Gegensatz dazu waren in „Casta Diva“ noch kleine Chorfetzen zu hören. Ärgerlich. Ein Bruchteil einer Sekunde genügt eben, um ein sehr relatives Tonvergnügen zu zerstören (zum Nachhören vereint eine speziell herausgegebenes Album von Warner die Originalversionen der hier gesungenen Arien in einer etwas anderen Rehenfolge: Callas in Concert).
Visuell erlebt man staunend ständig neue, unerwartete Gesten und Effekte. Die Mimik von Carmen, der Brief der Lady oder das Giftfläschchen der Gioconda werden wie schlechtes Theater mit übergroßen Gesten – die der kunstverpflichteten Callas absolut fremd auf dem Podium waren – illustriert. Die Karten der Carmen (temperamentvoll hochgeworfen) verbleiben für Sekunden in der Luft, um dann langsam fallend den Übergang zu Macbeth einzuleiten. Die zugeworfene Rose eines imaginären Fans, die Maria Callas auf amüsant-geschickte Weise fängt: Zahllos sind die Gelegenheiten, sich über diese virtuellen Vorführungen zu gruseln.
Denn die Interaktion mit der Realität ist weniger überzeugend. Die Applaus entspricht nicht den Verbeugungen der Sängerin. Und man erlebt eine erstaunliche Verhaltenheit des Publikums gegenüber einem Image, das sicherlich perfekt hergestellt ist, das aber eben nicht lebt, das nicht kommuniziert. Das eben „nur paradiert wie auf einem Laufsteg, merkwürdig leblos wirkt, wie aus Plastik scheint. Wer amerikanische Scifi-Blockbuster kennt, kennt auch dies: ein leblos-lebendiges Hologram eben. Der Triumph der Computertechnik. Und die moderne Technik arbeitet dieser Technik zu. Das Smartphone in der Hand filmt das Publikum hemmungslos und quälend, photographiert und teilt dies sofort auf den sozialen Medien. Man hat den Vorteil, dass die Diva sich das nicht verbittet.
Lohnt sich diese Erfahrung, die ohne Pause eineinhalb Stunden dauert? Ja und nein – mehr nicht. Wenn der Überraschungseffekt vorbei ist, wird es langweilig – man bestaunt nur den technischen Aufwand, wie wenn man eine simulierte Marslandung bestaunt. Aus nachvollziehbaren Gründen, entspricht diese Technik besser Rock- und Pop-Ereignissen. Michael Jackson und andere gab es bereits, Auch die Zugaben sind bekannt. Das Hologram von Maria Callas löst sich in Luft auf. Man jubelt dem Virtuellen, der technischen Kopie zu. Jean LeMaire (Übersetzung Ingrid Englitsch/ Foto oben: Callas Paris 1958/ „Maria by Callas“/ Prokino)
Das macht den Musikfreund sprachlos. Die Firma Base Holgram und auch Warner (EMI-Erbin der Callas-Aufnahmen, aus deren Beständen die Musikbeiträge der Tour stammen) schreiben auf ihrer Seite: „Anhand von Spitzentechnologie und außergewöhnlicher theatralischer Bühnenkunst bringt das erste Live-Konzert dieser Art die berühmte Opernsängerin 40 Jahre nach ihrem Tod, mithilfe einer atemberaubenden, hochmodernen digitalen Laserprojektion, zurück auf die Bühne. Die Zuschauer erwartet ein umfassendes Live-Konzert Erlebnis mit digital remasterten Originalaufnahmen. Mit großem Orchester werden die Arien präsentiert, die Maria Callas in ihrer einzigartigen Genialität interpretiert und unvergesslich gemacht hat. Neueste Technologie ermöglicht die Wiederauferstehung der immer noch bewunderten und geliebten Operndiva.“
Im Interview beim Deutschland Radio plaudert Marty Tudor (Executive Producer und CEO von BASE Hologram Productions) aus dem technischen Nähkästchen: „Wir finden ein Körper-Double für die Künstlerin und üben mit diesem Double. Im Fall von Callas hat das Körper-Double 12 Wochen lang intensiv geprobt, und dann haben wir die Performance des Doubles aufgenommen. Danach wurden digital Veränderungen vorgenommen, um das richtige Aussehen der Person zu kreieren. Ganz ähnlich wurde Peter Cushing für den neuesten Star Wars-Film erschaffen. Oder Carrie Fisher in demselben Film. Wir machen es im Wesentlichen genauso. In diesem Fall war eine Opernsängerin das Double. Denn wenn eine Opernsängerin singt, dann bewegt sich nicht nur ihr Mund, sondern es bewegt sich buchstäblich jeder Muskel in ihrem Körper, um diesen bezaubernden Klang zu erzeugen. Mit einer Schauspielerin ginge das deswegen nicht. (…) Es kommt auf das Aussehen der Person an, auf die Fähigkeit der Person, eine echte Performance zu geben, auch die Fähigkeit, die richtigen physischen Eigenschaften der Künstlerin zu haben. Und was wir im Fall von Maria Callas auch gemacht haben: Wir haben einen Regisseur gesucht, der Maria Callas sehr gut kannte. Und in diesem Fall war das Steven Wadsworth. Steven ist der Leiter der Opernabteilung der New Yorker Juilliard School sowie Personalchef der Metropolitan Opera und er war der Regisseur einer sehr erfolgreichen Broadway-Show über Maria Callas, genannt Masterclass. So haben wir jemanden gefunden, der jedes Detail über Maria Callas und die Art, wie sie auftrat, kennt. Und das müssen Sie tun, um authentisch zu sein, und es ist entscheidend für uns, authentisch zu sein. Wir arbeiten sehr eng mit dem Nachlass der Callas zusammen, um sicherzustellen, dass auch sie uns den richtigen Input geben, damit wir Dinge authentisch umsetzen, anstatt uns nur einzubilden, dass wir es machen. Wir wollen, dass sie so ist, wie sie war.(sic!)
Das Image „Maria Callas“ als digitale 4-D-Nachschöpfung. Die Stimme – bei späteren Aufnahmen ohnehin eigens mit einem eigenen Mikro aufgenommen – herausgelöst und zu einem Live-Orchester auf der Bühne einem digital aufbereitetem Double unterlegt. Bereits bei Caruso hatte die RCA dies ohne überzeugenden Erfolg probiert. Ob die Callas das gewollt hätte? Sie, die sich über künstlerischen Fragen zerquälte? Die den italienischen Präsidenten lieber versetzte als eine schlechte Vorstellung abzuliefern? Die sich weigerte, nicht passende Rollen durcheinander zu singen und lieber ihr Met-Debüt dafür platzen ließ? Die – „Vissi d´arte“ – alles für ihre Kunst gegeben hat? Hätte sie ihrem dahingleitenden digitalen Double, dessen Körper nicht einmal der eigene war, zugenickt? Ich glaube nicht. Ich fand schon Berichte von Michael Jacksons Wiederauferstehung gruselig. Und die der Callas noch mehr. Ein ganzer Saal, nein: Säle in aller Welt, bejubeln ein Hologram zu Live-Musik und Gesang aus dem Archiv. Arme Maria C. „What becomes a legend most?“ Dies nicht. G. H.