Archiv für den Monat: Februar 2023

Deutsch-Russisches von 1710

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Aus welchen Gründen die 1710 komponierte Oper Boris Goudenow oder Der durch Verschlagenheit erlangte Thron von Johann Mattheson in der Hamburger Oper am Gänsemarkt nicht aufgeführt wurde, ist ungeklärt. Gemutmaßt wird, dass der Komponist das Werk zurückgezogen habe oder dass die Aufführungsbedingungen im Opernhaus unzulänglich gewesen seien. So kam es erst am 29. Januar 2005 im Bucerius Kunst Forum Hamburg zur Uraufführung, von der ein Mitschnitt bei der Edition Musik Landschaften Hamburg auf drei CDs vorliegt. Rudolf Kelber leitete das auf historischen Instrumenten musizierende Cythara-Ensemble.

Jetzt bringt cpo eine Neuaufnahme des in Deutsch und Italienisch komponierten Werkes auf zwei CDs heraus (555 502-2), bei der ebenfalls ein historisch orientierter Klangkörper musiziert – das 2012 gegründete Jugendorchester THERESIA unter Andrea Marchiol. In der Ouvertüre und mehreren Instrumentalteilen  – Entrées, Sinfonie (von Reinhard Keiser), Bourrée (von Georg Philipp Telemann),  Menuett, Passepied –  zeigt er sein Gespür für den delikaten und spritzigen Stil der Musik Die Besetzung weist keine bekannten Sängernamen auf, ist aber von solider Qualität. Angeführt wird sie von dem Bassisten Olivier Gourdy in der Titelpartie. Seine  Auftrittsarie „Empor!“ stattet er mit energischem Aplomb aus und erweist sich auch als souverän in der Bewältigung der Koloraturläufe. Das zeichnet auch sein letztes Solo im 3. Akt, „Mi prepara il Ciel contento“, aus. Julie Goussot gibt seine Tochter Axinia mit gefälligem, leichtem Sopran. In der Aria „Son più dolci“ im 3. Akt gewinnt er noch an lyrischer Substanz. Auch Theodorus Iwanowitz, Großfürst von Moskau, ist eine Basspartie und Yevhen Rakhmanin singt sie mit profunder Stimme von weichem Klang. Davon profitiert auch die gewichtige Aria „Wer vergnüget herrschen will“ im 2. Akt.

Seine Gemahlin Irina ist die Sopranistin Flore Van Meerssche, der mit der Aria col Coro, „Hochbeglückte Zeiten“,  das erste Solo des Werkes zufällt. Sie singt es mit heller Stimme und intensivem Vortrag. Auch ihre wiegende Aria „Der Neigung widerspricht“ im 1. und die Aria „Per seguire vano piacere“ im 2. Akt überzeugen in Tongebung und Musikalität.

Den in Irina verliebten Bojaren Fedro singt Sreten Manojlovic mit etwas verquollen klingendem Bass. In der munteren Aria „Ein heimliches Hoffen“ am Ende des 1. Aktes hinterlässt er einen günstigeren Eindruck.

Die Besetzung wird komplettiert von der Mezzosopranistin Alice Lackner als russische Fürstin Olga sowie den Tenören Eric Price als Prinz Josennah und Joan Folqué als Prinz Gavurst. Sie vereinen ihre Stimmen harmonisch in zwei Arias à 3Wer die geliebten Augen siehet“ und „O Glücke, wer dir folgt“.  Die Sängerin kann zudem in ihrer empfindsamen Aria „Vorrei scordami“ und der Arietta im 3. Akt, „Wer Liebe recht ansieht“, gefallen und der Tenor Folqué in der stürmischen Aria „Will sich die Liebe rächen“ energisch auftrumpfen. Und alle Mitwirkenden singen gemeinsam die finale Ciacona „Auf Bestand muss Liebe sich gründen“, mit der das Werk feierlich endet, denn Boris wird zum neuen Zaren gekrönt. Bernd Hoppe

Gebührende Wiederentdeckung

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„Was Strauß einst war für Wien – ist Lincke für Berlin!“ Anlässlich des 75. Geburtstages des Berliner Komponisten Paul Lincke im Jahre 1941 dichtete der Komiker Franz Heigl diese zutreffenden Zeilen. Endlich scheint sich diese alte Erkenntnis auch in der Schallplattenindustrie nach Jahrzehnte langem Dornröschenschlaf neuerlich durchzusetzen. Das umtriebige Label cpo bringt früher als erwartet Vol. 2 der Ouvertüren Linckes (cpo 555 448-2). Wie in Vol. 1 sind neun Stücke enthalten und selbst die Gesamtspielzeit ist mit 66 Minuten identisch.

Auch wenn Lincke als Schöpfer der Berliner Operette das Gegenstück zu Johann Strauss Sohn darstellt, so waren seine eigentlichen Vorbilder eigentlich Jacques Offenbach, Franz von Suppè und Carl Millöcker, was sich anhand der Instrumentation nachweisen lässt.

Chronologisch den Anfang macht mit Sinnbild (1898) einer von Linckes wenigen klassischen Konzertwalzern. Dieser entstand während seiner Pariser Zeit. Den eigentlichen Durchbruch feierte der Komponist nach seiner Rückkehr nach Berlin mit der Operette Frau Luna (1899), deren relativ kompakte Ouvertüre die Einleitung zu dieser Neuerscheinung darstellt. Die Operette, die am Apollo-Theater zum größten Erfolg geriet, soll übrigens demnächst komplett bei cpo erscheinen. Noch aus demselben Jahr 1899 stammt auch die eingängige Ouvertüre zu Im Reiche des Indra, exotisch in Indien verortet. Schon in dieser Orchesterintroduktion wird die berühmte Melodie von Wenn auch die Jahre enteilen zitiert, einst im Repertoire jedes bedeutenden Operettensängers. Mit Nakiris Hochzeit (1902) geht es sodann nach Thailand. Die schon in Vol. 1 enthaltene Siamesische Wachtparade entstammt derselben Operette und wurde zum Gassenhauer.

Die ganz große Zeit der Lincke-Einakter war bereits 1906 vorüber, als er mit Das blaue Bild eine sogenannte Fantasie in einem Akt präsentierte. Deren französisch angehauchte Ouvertüre erschien allerdings erst 1911 einzeln. Aus dieser Zeit stammt auch der eindrucksvolle Brandbrief-Galopp. Doch gelang es dem einfallsreichen Lincke, sich schon 1908 neu zu erfinden mittels seiner legendär gewordenen Jahresrevuen am Metropoltheater.

Nach ein paar insgesamt vergeblichen Versuchen, in den letzten Friedensjahren vor dem Ersten Weltkrieg mit großen dreiaktigen Operetten nach Wiener Vorbild zu punkten, gab Lincke 1917 die Komposition für die Bühne zunächst gänzlich auf. Es folgten Ouvertüren nach dem bewährten alten Muster, nun allerdings völlig losgelöst von einem Bühnenstück. Die Ouvertüre zu einer Revue (1928) stellt mustergültig diesen neuen Typus dar, der stilistisch indes aus der Zeit gefallen war und den Entwicklungen der jungen Weimarer Republik nicht Rechnung trug. Insofern war die Wiederentdeckung Linckes nach 1933 nicht zufällig, passte sein modernen Tendenzen fremder Ansatz doch zur Kulturpolitik des Dritten Reiches. Mit der Ouvertüre zu einer Festlichkeit komponierte er 1933 gar seine herausragendste und ausgedehnteste Ouvertüre überhaupt, die er indes erst im Zuge seines groß begangenen 70. Geburtstages drei Jahre später in Druck geben ließ.

Frau Luna feierte in einem abendfüllenden Neuarrangement nicht mehr für möglich gehaltene Erfolge und wurde gar von Theo Lingen mit Lizzi Waldmüller verfilmt. Nach viel gutem Zureden schuf Lincke mit Ein Liebestraum dann 1940 nach jahrzehntelanger Pause seine letzte Operette, die er im Nürnberg der Meistersinger des 15. Jahrhunderts ansiedelte. Die ihr vorangestellte Ouvertüre stellte insofern auch den Schlusspunkt in Linckes sinfonischem Schaffen dar.

Die Einspielungen entstanden zwischen 10. und 16. Dezember 2020 in der Messehalle 1 in Frankfurt (Oder) und lassen klanglich keine Wünsche offen. Die Textbeilage (auf Deutsch und Englisch) ist rundum geglückt. Eine in jeder Hinsicht vorbildliche Neuerscheinung. Daniel Hauser

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Wenn sich das traditionelle Saisonabschlusskonzert der Berliner Philharmoniker in der Waldbühne seinem Ende zuneigt, erklingt ebenso geläufig mit Berliner Luft die altüberlieferte Zugabe, die weit über Berlin hinaus, wo sie gar als inoffizielle Hymne der Hauptstadt gilt, Berühmtheit besitzt, deren Komponist aber mittlerweile selbst vielen Berlinern kein Begriff mehr sein dürfte: Paul Lincke, am 7. November 1866 selbstredend ebendort in Berlin geboren. Der Vater der spezifischen Berliner Operette stand in seiner Bedeutung zeitweilig Johann Strauss Sohn sowie Jacques Offenbach nicht nach. Anders als in Wien und Paris, ist die Lincke-Pflege nach dem Zweiten Weltkrieg indes mehr und mehr im Sande verlaufen. Dies dürfte nicht zuletzt an der durch die Nazis beförderten Wiederentdeckung liegen, die er und seine Musik während des Dritten Reiches erlebten. Da lagen seine besten Jahre eigentlich bereits lange hinter ihm. Seine größte Popularität erlebte Lincke in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum Zusammenbruch des wilhelminischen Kaiserreiches, dem er persönlich bis zuletzt verbunden blieb. Nach dem Ersten Weltkrieg waren seine Operetten, die zwischen 1897 und 1913 in rascher Abfolge erschienen waren, bereits nicht mehr gefragt. Bezeichnend, dass es 1940, also zur Zeit seiner unverhofften Renaissance, mit Ein Liebestraum noch eine letzte solche Komposition geben sollte. Nach Kriegsende 1945 ins Visier der Siegermächte gerückt, wurde Lincke in der amerikanischen und britischen Besatzungszone gar mit einem Auftrittsverbot belegt, auch wenn dieses nicht konsequent eingehalten wurde. Eine Anklage wegen möglicher NS-Kollaboration kam freilich auch nicht zustande. Gesundheitlich bereits angeschlagen, verstarb Paul Lincke am 3. September 1946, kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag, im Kurort Hahnenklee bei Goslar.

Paul Lincke im Jahre 1905/ Wikipedia

Unverhofft nimmt sich nun nach Jahrzehnte langer unverdienter Nichtbeachtung – die letzten nennenswerten Lincke-Platten erschienen in den 1960ern – das Label cpo der Musik Paul Linckes an. Eine Reihe der sämtlichen Ouvertüren wurde soeben mit Vol. 1 eingeläutet (555 428-2). Die mit 66 Minuten recht gut bestückte Disc umfasst neun Nummern, davon vier Operettenouvertüren im eigentlichen Wortsinn: Mit den orchestralen Einleitungen zu Venus auf Erden (1897), Lysistrata (1902), Grigri (1911) und Casanova (1913) wurde chronologisch eine geschickte Auswahl getroffen. Hinzu tritt die Ouvertüre zur Burleske Berliner Luft (1904), die selbstredend die berühmte Melodie enthält. Diesen Ouvertüren gemein ist eine Länge zwischen sechs und zehn Minuten, also vergleichsweise ausgedehnte Vorspiele, die sich mehr an den Vorbildern Offenbachs und Franz von Suppès orientieren als an den Wiener Operetten um 1900, die meist mit nur kurzen Orchestereinleitungen auskamen. Für den Freund sinfonischer Musik ist dies freilich durchaus vorteilhaft, zeichnen sich Linckes schwungvolle Ouvertüren doch durch große Sorgfalt und die Anlehnung an bedeutende Vorbilder bis zurück zu Haydn aus. Hinsichtlich seiner Instrumentationskünste steht Lincke dem als genial anerkannten Franz Lehár nicht nach. Als Nachzügler gesellt sich die sog. Ouvertüre zu einer Operette (1926) hinzu, ein Vorspiel ohne Werk, die tatsächlich problemlos auch zwei Jahrzehnte davor hätte entstanden sein können. Überhaupt passte der Komponist seinen Stil nicht vermeintlichen Erfordernissen der neuen Zeit an, sondern blieb sich im Prinzip bis zuletzt treu. Bereits mit der ebenfalls für sich allein stehenden Ouvertüre zu einem Ballett (1919) komponierte er zu Beginn der Weimarer Republik unbeirrbar genauso weiter, als gäbe es den von ihm verehrten Kaiser noch und ließ mit einer Reminiszenz an Rossini die alten Zeiten wiederaufleben. Als meisterhaft und eine seiner besten Kompositionen darf die knapp zehnminütige Walzerfolge Verschmähte Liebe (1897) gelten. Eines seiner populärsten Stücke stellt die gerade gut dreiminütige sog. Siamesische Wachtparade aus der Operette Nakiris Hochzeit, oder: Der Stern von Siam (1902) dar. Überhaupt ist eine Tendenz zum Exotischen bei Lincke zuweilen unverkennbar. Die Libretti zu seinen Operetten steuerte fast ausschließlich sein Freund Heinrich Bolten-Baeckers (1871-1938) bei, der auch für den Text der Berliner Luft verantwortlich zeichnete. Dabei bediente man sich teils auch aus heutiger Sicht grenzwertiger Sujets wie im Falle der Titelfigur in Grigri der Lieblingstochter eines „Negerkönigs“ in Afrika.

Mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt unter der Leitung des in diesem Repertoire bewanderten Dirigenten Ernst Theis konnte man idiomatische Kräfte verpflichten, deren Darbietung insgesamt wenig zu wünschen übriglässt. Einzig die Berliner Luft hätte man sich vielleicht noch ein wenig stürmischer erhofft; hier bleibt die Konkurrenzaufnahme bei Marco Polo unter John Georgiadis vorzuziehen (8.225366). Die Klangqualität der im November 2020 in der Messehalle 1 in Frankfurt (Oder) eingespielten cpo-Produktion ist anstandslos auf dem gewohnten hohen Niveau. Sehr pointiert fällt der Einführungstext von Stefan Frey aus.

Es bleibt zu hoffen, dass das Label aus Osnabrück diese sehr begrüßenswerte Reihe baldigst fortsetzt. Es harrt noch u. a. die Ouvertüre zur Operette Im Reiche des Indra (1899), deren Wenn auch die Jahre enteilen zum geradezu massentauglichen Schlager avancierte. Daniel Hauser

Ein Engländer namens German

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Edward wer? Kommt die Rede auf Edward German (1862-1936), 1928 vom britischen König Georg V. zum Sir geadelt, so dürfte die Resonanz hierzulande eher verhalten ausfallen. Geboren in Whitchurch, Shropshire, als Sohn eines englischen Spirituosenhändlers, der sich kurioserweise auch als Laienprediger betätigte, kam er – Geburtsname German Edward Jones – bereits früh mit Musik in Berührung. 1880 schließlich an der ehrwürdigen Royal Academy of Music, änderte er seinen Namen zunächst in J. E. German und später in die heute geläufige Form. Der Grund war eigentlich ganz trivial: Er wollte nicht mit einem Kommilitonen namens Edward Jones verwechselt werden. Mit Deutschland hat sein Name übrigens nichts zu tun, handelt es sich doch um eine anglisierte Form des walisischen „Garmon“. Neben Komposition umfassten seine Studien Orgel und Violine. Früh wurde man auf sein Talent aufmerksam. Schon 1885 wurde an der Royal Academy sein Te Deum aufgeführt, 1886 bereits seine erste komische Oper The Two Poets. Auslandsaufenthalte führten ihn unter anderem zu den Bayreuther Festspielen. Sein Œuvre war breit aufgestellt und umfasste fast alle musikalischen Gattungen. 1901 vervollständigte er Sullivans letzte Oper The Emerald Isle und galt in der Folge als dessen legitimer Nachfolger, was ihn fortan aber auch auf die sogenannte „leichte Klassik“ festlegte. Besonders Merrie England (1902) und Tom Jones (1907) erfreuten sich langanhaltender Beliebtheit. Daneben waren es gerade Bühnenmusiken – primär für Werke von Shakespeare –, für die German berühmt wurde, angefangen bei Richard III (1889) über Henry VIII (1892), Romeo and Juliet (1895), As You Like It (1896), Much Ado about Nothing (1898) bis hin zu The Conqueror (1905). Trotz seiner großen Popularität zu Lebzeiten, inklusive der Bewunderung durch niemanden Geringeren als Sir Edward Elgar, und einiger großer Fürsprecher auch danach – darunter Sir John Barbirolli –, ist German, vielleicht abgesehen von Merrie England, weitestgehend in der Versenkung verschwunden.

Naxos legt nun dankenswerterweise eine bereits fast 30 Jahre alte Produktion neu auf, die einst auf dem Entdecker-Label Marco Polo erschienen ist (8.555228). Enthalten sind die 1893 komponierte Sinfonie Nr. 2 a-Moll Norwich, die Germans letzten Beitrag zu dieser Gattung darstellt (Nr. 1 entstand 1887), sowie die Welsh Rhapsody von 1904 und die Valse gracieuse von 1895 in der revidierten Fassung von 1915. Verantwortlich zeichnet der in diesem Repertoire bewährte Dirigent Andrew Penny mit dem National Symphony Orchestra of Ireland. Die Einspielung wurde am 29. und 30. März 1994 in der National Concert Hall in Dublin produziert. Tatsächlich stellen die Marco Polo/Naxos-Produktionen, die noch einige CDs mehr umfassen, bis heute das Gros in der schmalen German-Diskographie dar. Soweit ersichtlich, wurden lediglich die zweite Sinfonie und die Valse gracieuse seither ein weiteres Mal aufgenommen (2007 mit dem BBC Concert Orchestra unter John Wilson für Dutton). Die Textbeilage (Einführung von David Russell Hulme) ist erfreulich ausführlich, wenn auch labeltypisch bloß auf Englisch.

Edward Germans nach der ostenglischen Stadt Norwich benannte viersätzige Sinfonie Nr. 2 stellt ein im Vergleich zur Vorgängerin gewichtigeres Werk dar (die Spieldauer beträgt eine gute halbe Stunde). Beide haben sie ihren Ursprung in des Komponisten akademischen Lehrjahren. Obschon von der zeitgenössischen Kritik durchaus gewürdigt, führten Selbstzweifel Germans dazu, dass er niemals eine dritte Sinfonie vollenden sollte. Über Jahrzehnte lag die Partitur der Zweiten auch bloß als Arrangement für zwei Klaviere im Druck vor. Erst 1931 entschloss sich der bereits hochbetagte German zu einer Drucklegung der Orchesterfassung, welche tatsächlich neuerlich Interesse an dem Werk entfachte. Obgleich der Komponist betonte, dass sich nicht viel „Altenglisches“ in der Sinfonie befinde, stellt sie eine der bedeutendsten britischen Sinfonien des späten 19. Jahrhunderts und vor Elgar dar. Majestätisch der zehnminütige Kopfsatz, schlicht und anmutig zugleich der sich anschließende langsame Satz (acht Minuten). Im spritzigen fünfminütigen Scherzo zeigen sich am ehesten operettenartige Züge. Beschlossen wird das Werk mit einem an den Beginn gemahnenden Finalsatz (achteinhalbminütig), der breit und choralartig eröffnet wird. Theatralisch klingt die Sinfonie schließlich aus und lässt den Bühnenkomponisten durchscheinen.

Die Welsh Rhapsody, knapp 20-minütig, ist heutzutage vermutlich das am häufigsten aufgeführte Orchesterwerk Germans. Den Eindruck, den es beim Cardiff Musical Festival 1904 schindete, war ganz beträchtlich. Obwohl dem Titel nach eine Rhapsodie, zeigen sich doch sinfonische Züge. So hat German selbst in der Partitur die vier Abschnitte wie folgt betitelt: I. Loudly Proclaim, II. Hunting the Hare – Bells of Aberdovey, III. David of the White Rock und IV. Men of Harlech. Anklänge an Musik aus Wales sind freilich auszumachen, was dem Stück besonders die Anerkennung der Waliser bescherte. Es war im Übrigen auch das letzte eigene Orchesterwerk, welches Edward German öffentlich dirigierte (1927 passenderweise in Aberystwyth, Wales).

Die sechseinhalbminütige Valse gracieuse schließlich ist eigentlich der zweite von insgesamt vier Sätzen der sinfonischen Suite Leeds (1895). Obwohl German auch in diesem Falle die Bezeichnung als Sinfonie vermied, sind derartige Anklänge nicht ganz abzustreiten. Mit einem Wiener Walzer hat diese Valse wenig zu tun, eher findet sich noch ein dezenter französischer Touch, wenngleich sie im Grunde ein Musterbeispiel für den Typus des schnellen englischen Walzers darstellt. Das Stück gibt bereits eine Vorahnung auf die Melodien in Merrie England und letztlich sogar schon auf Eric Coates.

Die künstlerische Darbietung ist, wie angedeutet, tadellos und von den Tontechnikern dankenswerterweise sehr adäquat eingefangen worden. Wer nun Lust auf mehr Edward German bekommen hat, dem seien die ebenso exzellenten Produktionen von Dutton ans Herz gelegt, wo u. a. die erste Sinfonie und die komplette Leeds-Suite vorgelegt wurden. Daniel Hauser

Einschließlich Heft sieben

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Die Deutschen Volkslieder von Johannes Brahms liegen nun komplett bei Naxos vor. Vol. 3 der neuen Edition mit sämtlichen Liedern des Komponisten enthält die verbliebenden zwei Hefte (8.574346). Bei den Volksliedern handelt es sich um Bearbeitungen überlieferter Vorlagen. Mit den Quellen beschäftigt sich Ulrich Eisenlohr, der Klavierbegleiter der Edition, im Booklet. Brahms habe sich vor allem aus der Sammlung „Deutsche Volkslieder mit ihren Original-Weisen“ der Volksliedforscher Andreas Kretzschmer (1775-1839) und Anton Wilhelm von Zuccalmaglio (1803-1869) bedient, die etwas siebenhundert Titel aus dem deutschsprachigen Raum umfasst. Zuccalmaglio, der dreißig Jahre nach Kretzschmer starb, sei es in seiner Forschung „nicht um eine wissenschaftliche Rekonstruktion akribisch gesammelter und konservierter Volksweisen, unabhängig von jeder künstlerischen Qualität gegangen“. Vielmehr habe er Wert auf den „Geist“ des Volksliedes gelegt, wozu Eisenlohr „Ursprünglichkeit, Einfachheit, Klarheit, Tiefe, Wahrhaftigkeit im Inhaltlichen wie im Musikalischen“ zählt. Diese Herangehensweise sei von Brahms ganzem Herzen unterstützt worden. Zuccalmaglio veröffentlichte Texte und Melodie. „Brahms‘ künstlerischer Beitrag besteht im Hinzufügen einer Klavierbegleitung. Er begnügte sich dabei keineswegs mit dem Unterlegen simpler Begleitfiguren und akkordischer Grundierungen. Es herrscht große Vielfalt an Ausarbeitungen des Klavierparts“, so der Pianist. Alle Lieder, die Brahms bearbeitet habe, handelten von Geschichten, die das Leben schreibe. Auch wenn die äußerlichen Situationen, die Berufe der handelnden Personen und die Sprache „uns heute antiquiert klingen“, seien Inhalte, die sich um Liebeserklärungen und -abweisungen, Treueschwüre und -brüche, zu Herzen gehende und vergiftete Komplimente, Verführungsversuche, Sex ohne Einverständnis oder Tod in der Blüte des Lebens drehten, immer aktuell.

Insofern macht es Sinn, dass sich junge Sänger, die noch am Beginn ihrer Karriere stehen, diesen Liedern zuwenden und dabei ihren eigenen Erfahrungen und Empfindungen einbringen. Teilen sich in den meisten Aufnahmen zwei Solisten in die Sammlung, wartet Naxos gleich mit vier in unterschiedlichen Stimmlagen auf: Alina Wunderlin (Sopran), Esther Valentin-Fieguth (Mezzosopran), Kieran Carrel (Tenor) und Konstantin Ingenpaß (Bariton). Und noch etwas unterscheidet diese Volkslieder-Einspielung von ihren Vorgängern: Sie ist komplett, enthält auch das siebte Heft, dessen Titel für Vorsänger und kleinen Chor – hier die vier Solisten – angelegt sind. Dadurch kommt noch zusätzlich eine gewisse theatralisch-singspielartige Atmosphäre auf, die ihren ganz besonderen Reiz hat. Nach Auffassung des Pianisten Eisenlohr öffnen sich durch die Wechselgesänge neue Ebenen des Musizierens. Komplettiert wird das Programm der CD mit den Volkskinderliedern. Brahms hatte sie den Kindern von Robert und Clara Schumann gewidmet. Hierbei sei die musikalische Faktur und Ausführbarkeit des Klaviersatzes einfach und „kindgerecht“, so Eisenlohr. Für die Liedauswahl gelte das nicht immer. So gehöre das Heidenröslein mit seiner sexuell konnotierten Symbolik trotz „vordergründig naiver Erzählweise nicht in den Bereich des Kindlichen“.

Startet eine Firma eine neue Gesamtaufnahme aller Lieder ist dies immer noch ein besonderes Ereignis auf dem Musikmarkt. Zuletzt hatte Hyperion aus London so eine Edition mit insgesamt 249 Titeln einschließlich der Volksliedbearbeitungen vorlegt. Diese abgezogen beläuft sich die einschlägige Abteilung im Schaffen von Brahms auf etwa 200 originäre Lieder. Wer die Texte näher besehen oder beim Hören mitlesen möchte, findet sie auf Naxos.com. Sie können in der Originalsprache sowie in englischer Übersetzung heruntergeladen werden. Die genaue Seite ist auch diesmal auf der CD-Hülle angegeben. Ein – wie ich finde – Papier sparender und praktischer Service, an dem man sich bei dieser Firma inzwischen gewöhnt hat. Aufgenommen wurde die neue CD 2021 ebenfalls im nach dem Dirigenten Hans Rosbaud benannten Studio des SWR in Baden-Baden. Rüdiger Winter

Wagner-Wunder in HD

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Keine Aufführung hat die Bayreuther Festspiele im 20. Jahrhundert nachhaltiger geprägt als Patrice Chéreaus bahnbrechende Inszenierung von Wagners Ring des Nibelungen. Die Aufführung von 1976 schrieb Operngeschichte. Sie setzte sich nach anfänglicher Skepsis und heftigen Protesten der konservativen Fraktionen des Publikums im Laufe der Jahre eindrucksvoll durch. Heute gilt sie als unabdingbare, nicht zu hintergehende Modernisierung des Wagner-Bildes der Gegenwart. Chéreau hatte die Bayreuther Szene mächtig aufgewühlt. Seine Idee, das Setting des Rings ins frühe Industriezeitalter zu verlegen, verlieh Wagners schillernder Mythenwelt eine ungeahnte Aktualität.

Der französische Theatermann konfrontierte das Publikum mit den sozialen Problemen der Arbeitswelt und stellte die traditionelle Logik am Grünen Hügel völlig auf den Kopf. Weisheitliche und heroische Gestalten wie Wotan oder Siegfried traten als herrschsüchtig und heuchlerisch in Erscheinung. Dagegen verwandelten sich typische Bösewichte wie Alberich oder Mime in Opfer der Gesellschaft. Alles roch nach Veränderung in jenem Jahr 1976, in dem die Bayreuther Festspiele ihr hundertjähriges Bestehen feierten.
Chéreau war der erste Nicht-Deutsche und mit 31 Jahren der jüngste Regisseur, der in Bayreuth inszenieren durfte. Ihm zur Seite stand der große Komponist und Dirigent Pierre Boulez, der im Orchestergraben eine musikalische Revolution anzettelte. Boulez verlangte dem Festspielorchester einen kammermusikalischen Ton ab, dessen entschiedene Pathosferne komplett den Gewohnheiten des opulenten Wagner-Ideals widersprach, heute jedoch gerade deshalb, der klanglichen Finesse wegen, Bewunderung hervorruft.

Eine wuchtige Wirkung entfaltete das Bühnenbild. Richard Peduzzi veranschaulichte mit einfachen Mitteln wie einem mächtigen Räderwerk oder einem überdimensionalen Dampfhammer die ästhetische Faszination und unheimliche Atmosphäre der frühen Industriewelt. Unter den Sängerstars des glänzenden Castings der Aufführung, die bis 1980 lief, stachen Gwyneth Jones als Brünnhilde, Peter Hofmann in der Rolle des Siegmund und Donald McIntyre als Wotan hervor.

Jetzt erscheint die revolutionäre Inszenierung erstmals auf Blu-ray Video, neu gemastered in HD-Qualität. Die sinnliche Qualität der Ausgabe ist enorm. Man wird hautnah an das Bühnengeschehen herangeführt und erlebt den poetischen Reichtum der Musik ganz neu. Neben den vier Discs mit den Opern wartet die Edition mit einem Making-of der Inszenierung auf. Die Dokumentation gewährt faszinierende Blicke hinter die Kulissen der Aufführung. Deutsche Grammophon / 0736180 (Quelle Universal)

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Gemessen an der Bedeutung, welche dem „Jahrhundertring“ zugesprochen wird, nimmt es wunder, dass über vierzig Jahre verstreichen mussten, ehe eine technisch adäquate Umsetzung der vielleicht berühmtesten Nachkriegsproduktion der Bayreuther Festspiele auf den Markt kommt. Nun legt Deutsche Grammophon/Unitel endlich ein zeitgemäßes Remastering dieser Jubiläumsproduktion der Wagner-Tetralogie auf fünf Blu-ray-Discs (inklusive The Making of) vor (00440 073 6180). Anlass war die 1976 anstehende 100. Wiederkehr der kompletten Erstaufführung des Rings des Nibelungen. Verantwortlich zeichnete das fast ausschließlich französische Team um Pierre Boulez (Dirigent, assistiert von Jeffrey Tate), Patrice Chéreau (Regie), Richard Peduzzi (Bühnenbild), Jacques Schmidt (Kostüme), Manfred Voss (Lichtgestaltung) und François Regnault (Dramaturgie). Besonders die beiden erstgenannten Namen gingen dadurch in die Geschichte ein, wobei landläufig tatsächlich zurecht in erster Linie vom Chéreau-Ring die Rede ist. Die künstlerische Gesamtleitung oblag dem Bayreuther Festspielleiter Wolfgang Wagner, dessen eminenter Anteil am Zustandekommen des Mammutprojektes nicht unterschlagen werden darf. Tatsächlich war Chéreau gar nicht die erste Wahl, sollte doch ursprünglich der Regisseur Peter Stein herangezogen werden, was sich aufgrund künstlerischer Differenzen indes zerschlug. Wie mutig es von Wolfgang Wagner eigentlich war, dann ausgerechnet den „Erbfeind“ mit der Neuinszenierung zu betrauen, erschließt sich aus heutiger Sicht nicht mehr auf den ersten Blick, doch war die formale deutsch-französische Aussöhnung durch Konrad Adenauer und Charles de Gaulle seinerzeit erst knapp anderthalb Jahrzehnte her. Damit nahm der bis dahin im Vergleich zu seinem verstorbenen Bruder Wieland als biederer Bewahrer geltende Wolfgang den Zorn des ihm lange wohlgesonnen Bayreuther Kreises in Kauf. Dass es gerade in Frankreich schon immer besonders eifrige Wagnerianer gab, ist freilich genauso richtig. Dies merkte Frau Winifred Wagner im Zuge des fünfstündigen Dokumentarfilms von Hans-Jürgen Syberberg, der im Vorjahr 1975 entstand, gleichsam erklärend an. Dass ihr bereits nach der Generalprobe dann der Ausspruch „Jetzt sind wahrhaft die Irren los“ entfuhr, wie der Spiegel berichtet (Ausgabe 32/1976), muss im Kontext der Zeit betrachtet werden. Tatsächlich war die Schwiegertochter Richard Wagners nicht die einzige Kritikerin des „Franzosenrings“. Alte und neuerdings überwunden geglaubte Ressentiments traten im Zuge der streitbaren Premierenaufführungen im Sommer 1976 zu Tage. Die erregte Stimmung des noch zu einem guten Teil aus Altwagnerianern bestehenden Publikums steigerte sich von Abend zu Abend, wie man anhand der Live-Rundfunkmitschnitte des BR anschaulich nachvollziehen kann. Im Laufe der Zeit hatte man sich Trillerpfeifen organisiert, mit denen vor allem die Aufführung der abschließenden Götterdämmerung zeitweise fast zum Erliegen gebracht wurde. Einige Sänger im Premierenjahr hielten nicht groß hinterm Berg mit ihrem Unverständnis hinsichtlich dessen, was sich auf der Bühne tat. Dies dürfte mitunter zu Umbesetzungen geführt haben, wie sie sich in den späteren Wiederaufnahmen der Produktion manifestierten. Dass der „Jahrhundertring“ überhaupt fünf Jahre im Programm bleiben konnte, war nach der ganz überwiegenden und teils geradezu aggressiven Ablehnung im Premierenjahr alles andere als gewiss. Tatsächlich kehrte im Laufe der Zeit mehr und mehr Ruhe ein, was freilich auch daran gelegen haben dürfte, dass sich mancher erzkonservative Gralshüter demonstrativ nicht mehr auf dem Grünen Hügel blicken ließ.

Dass es zum Abschluss dieser am Ende bereits legendären Produktion zu einer filmischen Umsetzung im Zuge einer Koproduktion des Bayerischen Rundfunks mit Unitel kam, darf aus heutiger Sicht durchaus als Glücksfall bezeichnet werden. Von Anfang an war primär an eine Fernsehausstrahlung gedacht, was auch das dort seinerzeit übliche Format 4:3 erklärt. Die Fernsehregie führte Brian Large. Aufgezeichnet wurden die vier Ring-Teile in den beiden letzten Jahren der Inszenierung 1979 (Götterdämmerung) und 1980 (Das Rheingold, Die Walküre, Siegfried). Zunächst wurde die Walküre am 29. August 1980 als einziger Teil im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt; die weiteren Opern folgten sukzessive, wobei es erst im Zuge des Wagner-Jahres 1983 (100. Todestag) zu einer vollständigen Ausstrahlung des kompletten Rings kam. Die weitere Genese für den Privatgebrauch ist durchaus interessant. 1981 erschienen die Tonspuren auf 16 LPs bei Philips. Später kam die Videoproduktion bereits auf dem heute vergessenen Format als CD Video (einer Kombination von CD und Laserdisc) heraus. Es folgten Anfang der 1990er Jahre die Audiospuren auf CD sowie die Videos auf VHS. 2005 schließlich kam dieser Ring als DVD-Box auf den Markt. Ihnen allen gemein ist die technisch nicht besonders überzeugende Machart, die eher erahnen als erfahren ließ, was den „Jahrhundertring“ auszeichnet. Dies lag zum einen an der suboptimalen Bildqualität, zum anderen aber gerade auch am dumpfen und wenig kontrastreichen Klang. Dass diese Produktion ihre volle Wirkung nur als Einheit von Ton und Bild erzielen kann, liegt auf der Hand. Beides muss auf hohem Niveau sein. Dies ist nun zum ersten Mal überhaupt der Fall, denn gerade beim Klang (24-Bit Stereo PCM und DTS-HD Master Audio Surround 5.1) wurde kaum mehr für möglich Gehaltenes erzielt. Das Bild ist nun schärfer und detaillierter denn je, wenngleich man natürlich keine heutigen Standards erwarten sollte und das altmodische Bildformat für den modernen Zuschauer auch erst einmal etwas gewöhnungsbedürftig anmuten kann.

All diese technischen Belange treten allerdings sogleich in den Hintergrund, sobald man den Einstieg wagt. Mit dem Vorabend, also dem Rheingold, beginnt die monumentale Tetralogie. Das schon ikonisch gewordene erste Bild mit dem Staudamm ist als unmittelbarer Startpunkt genial gewählt. Wie wichtig wirkliche Sängerschauspieler für den nachhaltigen Erfolg des Gesamtkunstwerkes im wagnerischen Sinne sind, ist bei Hermann Bechts Alberich erfahrbar. Die Anfangsszene mit den drei Rheintöchtern (Norma Sharp als Woglinde, Ilse Gramatzki als Wellgunde, Marga Schiml als Floßhilde) lässt im Grunde nichts zu wünschen übrig. Auch zeigt sich bereits hier, welch guter Kenner der Partitur Chéreau war, dessen Gesamtkonzept, im industriellen Zeitalter angesiedelt, nur mit Bauchschmerzen unter „modernes Regietheater“ einzuordnen ist und herzlich wenig mit dem zu tun hat, was sich heutzutage auf den Bühnen abspielt. Mit Hanna Schwarz tritt eine resolute Fricka ihrem Göttergatten Wotan, verkörpert von Donald McIntyre, entgegen. Bereits hier lässt sich das spätere Unheil erahnen. Allvaters fast schon kindische Naivität wird von Donner (Martin Egel) und Froh (Siegfried Jerusalem) – beide unübersehbar der Dekadenz verfallen – zu Ungunsten Freias (Carmen Reppel) geteilt. Der Unmut der (wirklich riesenhaften) Riesen Fasolt und Fafner, großartig dargestellt von Matti Salminen und Fritz Hübner, ist hier sehr nachvollziehbar. In einer absoluten Glanzrolle geht Heinz Zednik als listiger, durchaus skrupelloser Feuergott Loge auf. Den Reigen ergänzen adäquat Helmut Pampuch als Mime und Ortrun Wenkel in der Partie der Erda. Die Überlistung Alberichs, dessen sich anschließender Fluch und die Warnung Wotans durch die Urwala dürfen also weitere Höhepunkte gelten. Die sich am tiefsten einprägende Szene ist allerdings der Einzug der Götter in Walhall, das bereits hier auf tönernen Füßen steht. Unfreiwillig komisch und halb widerwillig folgt die unsterbliche Schar Wotan in den herrlichen Bau, während der vom eigenen Bruder ermordete Fasolt, das erste Opfer des verfluchten Rings, als böses Omen den „Vorgarten“ ziert. Loge indes seilt sich sich mit süffisanter Miene rechtzeitig ab. Er ist es dann auch, der vielsagend den Vorhang zuzieht.

Der erste Tag, die Walküre, genießt inmitten des Ring-Zyklus seit jeher eine Sonderstellung. Fraglos kann sie am ehesten auch für sich allein genommen bestehen, was auch für die Chéreau’sche Deutung gelten darf. Der erste Aufzug, häufig konzertant gegeben, steht und fällt mit den drei Protagonisten. Peter Hofmann als Wälsungenspross Siegmund erlebt man, sängerisch wie darstellerisch, in der Rolle seines Lebens. Dass das „Hofmann-Bashing“ später in gewissen Kreisen zum guten Ton gehörte, nimmt diesem unglaublichen Urerlebnis nichts von seiner Wirkung. Hier wird erfahrbar, wieso der seinerzeit blendend aussehende Tenor von den ganz großen Dirigenten wie Herbert von Karajan, Leonard Bernstein und James Levine umworben wurde. Vom späteren traurigen und allzu verfrühten Niedergang glücklicherweise noch keine Spur. Mit Jeannine Altmeyer hat er eine kongeniale Zwillingsschwester Sieglinde an seiner Seite, der man die Unschuld vom Lande ohne Wenn und Aber glaubwürdig abnimmt. Als nicht zu unterschätzende Komponente, die selbst in der goldenen Glanzzeit des Wagnergesangs selten genug erfüllt war, muss die ungemein adäquate Optik des Wälsungenpaares gelten. Vortrefflich auch Matti Salminen als saturierter und selbstgefälliger Hunding. Dass Peduzzi den Hundingsbau gewaltig und durch seine Kälte abweisend zugleich zeichnet, darf als künstlerische Freiheit ebenso durchgehen wie das in der Partitur nicht vorgesehene Gefolge Hundings, das dessen gesellschaftlichen Status freilich gut unterstreicht. Dies gilt letztlich auch für den zweiten Aufzug, der zu einem guten Teil im Innern Walhalls sich abspielt. Donald McIntyres Wotan, nicht mehr jugendlich frisch, sondern auf der Höhe des Lebens, erweist sich letztlich als Pantoffelheld, Hanna Schwarz‚ Fricka hörig. Mit Gwyneth Jones tritt erstmals die namensgebende Titelfigur in Erscheinung. Obwohl gerade einmal zwei Jahre jünger als McIntyre, ist das Vater-Tochter-Verhältnis sehr glaubhaft. Die zeitlose Todesverkündigungsszene mit dem weißen Leichentuch dürfte Generationen von Bayreuth-Pilgern fest im Gedächtnis verankert geblieben sein. Im dritten Aufzug tritt bekanntlich die übrige Walkürenschar hinzu (Carmen Reppel als Gerhilde, Karen Middleton als Ortlinde, Katie Clarke als Helmwige, Gabriele Schaut als Waltraute, Marga Schiml als Siegrune, Ilse Gamatzki als Grimgerde, Gwendolyn Killebrew als Schwertleite, Elisabeth Glauser als Rossweiße), die letztlich außer Stande ist, der vermeintlich verräterischen Schwester beizustehen. Wotans Zorn dämpft sich sukzessive ab und mündet im herzergreifenden Abschied, der eine Meisterleistung der Personenführung darstellt. Die Reminiszenz des Walkürenfelsens, der an Böcklins Toteninsel gemahnt, ist seither breit rezipiert worden.

Der Siegfried stellt als zweiter Tag gewissermaßen das Scherzo des Rings dar und ist bis heute in gewisser Weise das Stiefkind geblieben. Mehr als alle anderen Ring-Opern hängt dieser Teil an einer einzigen Figur, was Teil des Dilemmas sein kann. Mit Manfred Jung konnte man einen bewährten und insgesamt guten Rollenvertreter vorweisen, obschon man ihm gerade den Jung-Siegfried äußerlich nur schwer abnimmt. Hier erwies sich der Wegfall René Kollos, der diese Partie bis in der Produktion bis 1978 verkörpert hatte, als nachteilig. Umso überzeugender dafür abermals Heinz Zednik, diesmal als Mime. Man geht wohl nicht zu weit, in Zednik den größten Rolleninterpreten des vergangenen halben Jahrhunderts zu erblicken. Er zeichnet den intriganten Nibelung nicht nur als Witzfigur. Weitere Highlights sind die Auftritte des Wanderers, vor allem im ersten und dritten Akt, wo Donald McIntyre zunächst noch zum letzten Mal gebieterisch den Ton angibt, um dann am Ende vom eigenen Abkömmling verlacht und aller Macht entkleidet zu werden. Die kurze aber einprägsame Szene mit Alberich (wiederum Hermann Becht) hat ihren Reiz. Fritz Hübners abermaliges Auftreten als Fafner ist von Chéreau letztlich sehr textnah umgesetzt worden. Die kurzen Einstreuungen des Waldvogels, gesungen von Norma Sharp, sind ähnlich überzeugend wie Erdas (Ortrun Wenkel) letztmaliges Erscheinen. Gwyneth Jones‚ wiedererweckte Brünnhilde, erst ganz am Schluss auftretend, zeigt stimmlich hier deutlicher als noch in der Walküre stimmliche Defizite, die indes den Gesamteindruck kaum trüben.

Mit der Götterdämmerung wird am dritten Tag sodann die Tetralogie beschlossen. Die einleitende Nornenszene (verkörpert von Ortrun Wenkel, Gabriele Schnaut und Katie Clarke) führt eigentlich vor Augen, dass die Würfel bereits gefallen sind. Die Morgendämmerung und das sich anschließende große Duett stellen den Höhepunkt des Vorspiels dar, welches Wagner beinahe schon als eigenen Akt dem Geschehen voranstellte. Hier wird durch Siegfried und Brünnhilde, unverändert Manfred Jung und Gwyneth Jones, noch einmal die euphorische Stimmung vom Finale des Siegfried aufgegriffen. In dem Maße, in welchem Jung als gereifter Held augenfälliger herüberkommt, werden andererseits berechtigte Kritikpunkte hinsichtlich der Stimmführung der Jones ebenso offenkundiger. Indes gilt nach wie vor, dass die Wirkung als großes Ganzes keine merklichen Einbußen erfährt. Der nachfolgende eigentliche erste Götterdämmerungs-Akt gilt nicht ganz zu Unrecht als Bewährungsprobe. Bei allzu statischer und wortundeutlicher Ausführung kann es mitunter etwas mühselig werden. Diese Gefahr besteht erfreulicherweise mitnichten, erzeigen sich doch nicht nur der Hagen Fritz Hübners, sondern erstaunlicherweise auch der von Franz Mazura dargebotene Gunther als große Interpreten. Gerade der oftmals blasse Gibichungenherrscher gewinnt hier an Format. Dass Siegfried gleichwohl zunächst Hagen für den Herrn hält, führt Gunther die Bedrohung durch den eigenen Halbbruder vor Augen. Auch als Gutrune weiß Jeannine Altmeyer für sich einzunehmen und wird Teil des Komplotts gegen den Heroen. Dass sich Hermann Bechts Alberich, letztmalig in Erscheinung tretend, der Treue seines Sohnes Hagen nicht vollauf gewiss sein kann, ist unübersehbar. Zwar ist Hübner nicht der stimmgewaltigste Nachtalbensprössling – so beim Mannenruf, allerdings sehr gekonnt szenisch vom erstmals auftretenden Chor unterstützt –, doch erscheint sein heimtückischer Mord dadurch auf seine Art auch nachvollziehbarer. Siegfried, der ohne eigenes Zutun zum Eidbrüchigen wird, steuert unaufhaltsam seinem traurigen Schicksal entgegen. Das nochmalige Auftreten der Rheintöchter (neuerlich Norma Sharp, Ilse Gramatzki und Marga Schiml) als letzte Chance zum unblutigen Ausgang ist zum Scheitern verurteilt. Eine der stärksten visuellen Szenen gelingt Chéreau während Siegfrieds Trauermarsch, was freilich auch der gekonnten Fernsehregie von Brian Large hoch anzurechnen ist, der mittels Nahaufnahmen den Eindruck des Volkes einfängt, ein filmisches Element, welches auch ganz am Ende nach Brünnhildes Schlussgesang wirkungsvoll angewandt wird.

Es bleibt insgesamt ein gewaltiger Gesamteindruck, angesichts dessen die ganz wenigen Kritikpunkte zu Marginalitäten verkommen. Pierre Boulez erweist sich als sehr gediegener Begleiter, der sich niemals in den Vordergrund drängt und die volle Konzentration somit auf das Bühnengeschehen ermöglicht. Es gibt insofern gewiss emotionalere Ring-Dirigate, doch passt Boulez‘ nüchterner Ansatz gut ins hier angestrebte Gesamtkonzept. Das einstündige Making of bietet schließlich interessante Einblicke in die Hintergründe dieser Produktion. In der Summe kann angesichts der hervorragenden Aufbereitung eine volle Empfehlung auch an diejenigen ausgesprochen werden, die den „Jahrhundertring“ bereits in einem Vorgänger-Format vorliegen haben (alle Fotos Unitel/DGG). Daniel Hauser

Repertoirewürdig

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Ein ganz harmloses, idyllisches Libretto wünschte sich Pietro Mascagni nach seinem Sensationserfolg mit Cavalleria Rusticana, denn das auf dem Roman von Giovanni Verga basierende hatte seiner Meinung nach zu viel Aufmerksamkeit bei Kritik und Publikum gefunden und seine Musik in den Schatten gestellt. Das Booklet zur Blu ray von L’amico Fritz von Dynamic berichtet davon und stellt damit einen bemerkenswerten Kontrast zu Giuseppe Verdi her, der immer darauf versessen war, ein noch leidenschaftlicherisches, noch dramatischeres Sujet als das gerade verarbeitete von seinen Librettisten geliefert zu bekommen. L’amico Fritz erfüllte die Wünsche seines Komponisten in idealer Weise, in ländlichem Milieu spielend und mit einer Heirat endend, ohne dass die Wogen der Leidenschaften allzu hoch hätten gehen können. In nur zwölf Tagen war das Libretto von Pierre Suardon fertiggestellt, einiges noch von Mascagni und Freunden hinzugefügt, und 1891 konnte die neue Oper im Teatro Costanzo von Rom uraufgeführt werden, wo die Musik gefiel, die vom Komponisten mit einem „la mia musica è per i cuori buoni“ klassifiziert worden war. Zwei berühmte Sänger, Emma Calvè, auch die erste Santuzza, und Fernando De Luca waren ebenfalls Garanten des Erfolgs, der allerdings ein im Vergleich zur Cavalleria recht kurzlebiger war, und nur das Kirschenduett erlangte eine dauerhaftere Popularität. In gewisser Weise bedeutet L’amico Fritz durch die Wiedereinführung einer Rolle en travestie und die Gliederung in einzelne Gesangsnummern einen Schritt zurück in der Musikgeschichte.

Während des Maggio Musicale Fiorentino des Jahres 2022 wurde trotz Corona das Stück mit Chor und sogar reichlich zusätzlichem Personal aufgeführt, der Kinderchor mit durchsichtigen Masken ausgestattet. Das Bühnenbild von Gary McCann weicht etwas von den Angaben des Librettos ab, zeigt für den ersten Akt ein Café mit französischem Flair, für den zweiten das Arbeits- und Lagerzimmer von Fritz Kobus und kehrt dann ins Bistro zurück. Nicht mehr ein Rabbiner ist der hochzeitsstiftende Freund David, kein Zigeuner der fiedelnde Beppe, obwohl dieser mit einem „Viva lo zingaro“ empfangen wird. Die Regie von Rosetta Cucchi hat die Handlung in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts verlegt, Suzel trägt Jeans und hämmert als Bürokraft auf einer Schreibmaschine herum, zur ihrer Romanze trägt sie Kopfhörer auf den Ohren.

Wie in Cavalleria ist die rein orchestrale Musik, so das Vorspiel zum 3. Akt, besonders den Ohren schmeichelnd, ein weiterer Höhepunkt ist das Violinsolo, das mit dem Erscheinen des Beppe verbunden ist, und auch die Oboe hat einen besonders schönen Auftritt.

Die Titelpartie singt Charles Castronovo mit dunkler gewordenem Tenor, der im Duett mit Suzel aufblühen kann und insgesamt metallischer erscheint als erinnerlich. Die bekannten Plattenaufnahmen lassen zum größten Teil einen mehr im Lyrischen angesiedelten Tenor vernehmen. Die erst im Verlauf der Handlung Angebetete, Salome Jicia,  tut trotz der modernen Jeans recht gschamig, verfügt über einen dunklen, weichen Sopran, der sich im „Non mi resta che il pianto“ schön entfaltet und eigentlich nicht so recht zur blonden Perücke passt. Teresa Iervolino ist der Beppe mit geschmeidigem Mezzosopran, Massimo Cavaletti der würdige David mit samtweichem Piano des sonoren Baritons, der überzeugend trösten kann. Riccardo Frizza leitet souverän das Orchester des Maggio Fiorentino.

Zum Schlussapplaus erscheinen alle Solisten mit gelb-blauer Schleife am Revers, es war schließlich nicht nur Corona-, sondern dazu auch noch Kriegszeit (Dynamic 57960). Ingrid Wanja

Mit und ohne Orchester

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Die Versuchung, Lieder von Franz Schubert zu orchestrieren, hält sich hartnäckig. Schon Zeitgenossen wie Hector Berlioz haben sich damit versucht. Dessen hochdramatische Bearbeitung des Erlkönig hat ihre Faszination bis in die Gegenwart behalten und ist oft eingespielt worden. Hermann Prey hat die Ballade als einer der ersten Sänger bei RCA auf einer Platte mit zahlreichen anderen Bearbeitungen eingespielt. Neben Berlioz finden sich darauf die Namen von Johannes Brahms, Franz Liszt, Jacques Offenbach und Richard Strauss. Anne Sofie von Otter und Thomas Quasthoff legten ein Album vor, auf dem sich auch Orchestrierungen von Benjamin Britten und Anton Webern (Deutsche Grammophon) finden. Bei Erato entstanden Einspielungen mit Wiebke Lehmkuhl und Stanislas de Barbeyrac. Besonders oft taucht in den Tracklisten der Name Max Reger auf. Von ihm ist überliefert, dass er für seine feinsinnigen Orchestrierungen einen ganz praktischen Grund hatte. Als Dirigent setzte er Lieder gern auf seine Konzertprogramme zwischen sinfonische Werke. Es störte ihn, dass dafür immer ein Konzertflügel aufs Podium geschoben werden musste. Also versah er sie mit Orchesterstimme. Sämtliche Versionen sangen Camilla Nylund und Klaus Mertens komplett für eine CD bei cpo.

Matthias Goerne geht mit seiner neuen CD, die bei Deutsche Grammophon erschienen ist, einen ganz anderen Weg (500741). Er greift nicht auf Vorhandenes zurück. Die Orchesterstimmen stammen allesamt von Alexander Schmalcz, seinem langjährigen Begleiter. Er hat neunzehn Titel im Programm, darunter Ganymed, Fahrt zum Hades, Schäfers Klagelied, Drei Gesänge des Harfners, Des Schäfers Liebesglück, Alinde. Selbstreden ist auch Erlkönig dabei. Grenzen der Menschheit mit gut sieben Minuten ragt nicht nur wegen seines schwergewichtigen Inhalts sondern auch der Form nach deutlich heraus. Goerne ist des Lobes voll über die Arbeit von Schmalcz und folgt dessen Eingebungen mit stimmlicher Professionalität und Hingabe zugleich: „Sein Einfallsreichtum bei der Adaption dieser Lieder für das Orchester ist enorm, sein stilistisches Feingefühl und sein subtiler Ansatz, die richtigen Instrumente im richtigen Moment einzusetzen, sind wirklich erstaunlich. Die Auswahl an Liedern bekommt eine klangliche Dimension, die das Klavier so nicht darstellen kann. Das heißt nicht, dass sie besser ist, sondern anders“, so der Sänger, der von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Florian Donderer begleitet wird.

Anders“– das trifft es. Wenn nicht sogar – ganz anders. Wer sich darauf einlassen will und kann, dem sind spannende und durchaus unterhaltsame Momente garantiert. Ich habe mich nicht eine Minute gelangweilt mit dieser CD. Verglichen mit weiter oben genannten Beispielen führen die Bearbeitungen von Schmalcz nach meinem Empfinden zu sehr von Schubert weg, als dass sie ihn viertiefen. Allenfalls illustrieren sie ihn. Das kann durchaus positive Wirkungen haben auf jenen Teil des Publikum, der sich mit dem klassischen Klavierlied noch immer schwer tut. Musikalische Einleitungen wie bei Heimweh, Pilgerreise oder dem das Programm abschließenden Abendstern klingen wie auch Passagen innerhalb einzelner Lieder fast einschmeichelnd. So gehört, hat CD hat die Potenzial, Anstöße für die vertiefte Beschäftigung mit dem Original zu geben.

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Mit dem Original also, wie es auf der CD mit dem Bassisten Andreas Bauer Kanabas anzutreffen ist, die bei Avi-music erschien (8553516). Begleitet wird er von Daniel Heide. Im Zentrum der Neuerscheinung steht Schuberts Schwanengesang, jene Sammlung, die erst nach seinem Tod zu ihrem Namen kam. Zunächst sind Der Wanderer, Totengräbers Heimweh, Der Tod und das Mädchen sowie Wehmut im Angebot. Diese Balladen sind ein gelungener Einstieg. „Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück“, singt der Wanderer, der vom Gebirge her kommt. Und umreißt mit diesen bekannten Worten die Gedanken- und Gefühlswelt des Komponisten. Bauer, der erst seit wenigen Jahren den Zusatz Kanabas in seinem Namen trägt, verleugnet nicht den Opernsänger, als der er vorzugsweise tätig ist. Sein Liedvortrag entwickelt sich aus dem Wort und der jeweiligen dramatischen Situation. Das muss kein Nachteil sein, zumal er sehr gut zu verstehen ist. Er vermag, regelrecht plastisch zu singen. Atlas oder Doppelgänger wuchtet er stimmlich so hin, als stünden sie vor einem. Bei ausgesprochen lyrischen Titeln greift diese Methode nicht so überzeugend. Da wünschte man sich doch mehr Eleganz und mehr Farbe iom Ausdruck. Rüdiger Winter

Nesslers „Rattenfänger von Hameln“

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Mehr als der Titel seiner Oper Der Trompeter von Säckingen und vielleicht noch daraus der früher im Radio-Wunschkonzert gespielte Dauerbrenner „Behüt´ dich Gott, es wär so schön gewesen“ ist vom Werk des Komponisten Victor Nessler nichts übrig geblieben. Dabei war gerade diese Oper bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts ungemein erfolgreich. Im letzten sorgten noch Sänger wie Hermann Prey oder Wolfgang Anheisser für den Fortbestand zumindest dieses Stückes. Aber wie Opern des jüngere Kollegen Lortzing oder Brüll,  Flotow und andere mehr  werden diese deutschen Stoffe nicht mehr als zeitgemäß erachtet  (oder werden in Ignoranz dafür gehalten). Und vielleicht ist das angesichts der Bedenkenlosigkeit heutiger Regisseure auch gut so, dass sie diese außerordentlich an ihre Zeit und deren Geschmack, Bildung (!) und Tradition gebundenen Stoffe nicht in die Finger bekommen. Man mag sich nicht ausmalen, wie heutige Aufführungen davon aussehen würden.

Der Komponist Victor E. Nessler/ Wikipedia

Aber schade ist´s, die schöne Musik, diese eben typisch deutschen Melodien nicht mehr hören zu können. Nur wir Älteren können das ermessen. Und so ist es uns ein Anliegen, diese Lücke zumindest in unserem online-Rahmen mit einem Opernführer zum Rattenfänger von Hameln von Victor Nessler etwas zu scließen.

Dem Regisseur Ingolf Huhn habe ich ja schon dicke Kränze geflochten. Als Fan des heutigen Operndirektors in Annaberg reiste ich nach der Wende zu dessen damaligen Produktionen an den kleineren Bühnen Ost-Deutschlands, denn Huhn war und ist für mich der Champion für die Deutsche romantische Oper. Lortzings Weihnachtsabend, Der Pole und sein Kind, Rolands Knappen und Andreas Hofer, Dorns Nibelungen, Goldmarks Götz von Berlichingen, Gasts Löwe von Vendig und viele andere vergessene Werke des vorletzten Jahrhunderts erblickten durch ihn erneutes Leben, immer im Rahmen und der Möglichkeiten der kleinen Theater wie Döbeln, Freiberg, Plauen oder zuletzt eben Annaberg. Und so beruht der nachstehende Artikel über Nesslers noch viel unbekannterer Oper Der Rattenfänger von Hameln auf den Vorstellungen an den Theatern Freiberg und Döbeln 2004 und auf dem Programmheft vom Dramaturgen Christoph Nieder.

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Oskar Herfurth/ Der Rattenfänger von Hameln/ OBA

Am 19. März 1879 wurde im Leipziger Stadttheater eine Oper uraufgeführt, die in den nächsten Jahrzehnten ihren Weg durch Europa machte: Der Rattenfänger von Hameln von Victor E. Nessler. Grundlage der „Großen romantischen Oper“ war natürlich die berühmte Sage, die Geschichte vom Rattenfänger, der im Auftrag der Hamelner Bürger das Ungeziefer vertreibt und dann, als ihm der versprochene Lohn vorenthalten wird, mit den Kindern der Stadt davonzieht. Damit die operntypischen Liebesgeschichten nicht fehlen, ist der Titelheld, wie schon in der Goethe-Ballade vom Rattenfänger, auch ein „Mädchenfänger“, der dem Damenchor ebenso den Kopf verdreht wie der Fischer- und der Bürgermeistertochter.

Der Rattenfänger war nicht die erste, wohl aber die bis dahin erfolgreichste Oper Nesslers, die in Leipzig auf die Bühne kam. Wie sehr damals in Leipzig das Musikleben blühte, zeigt schon die Tatsache, dass mindestens vier einschlägige Zeitschriften nebeneinander existierten: Die „Allgemeine musikalische Zeitschrift“, die von Robert Schumann gegründete „Neue Zeitschrift für Musik“, die „Signale für die musikalische Welt“ und das „Musikalische Wochenblatt“ informierten wöchentlich oder monatlich Leipzig und die „musikalische Welt“ über Aufführungen klassischer Werke, vor allem aber auch über Novitäten, über Ur- und Erstaufführungen, die ganz anders als heute das Musikleben bestimmten.

So hatte sich der elsässische Komponist Victor E. Nessler 1864 nicht etwa nach Paris, sondern nach Leipzig gewandt, um seine musikalische Karriere voranzubringen; und auch den Librettisten Friedrich Hofmann, der aus Thüringen stammte, zog es 1858 in die „geistige Metropole Sachsens“.

Die „Signale für die musikalische Welt“ begannen ihre Besprechung der Rattenfänger-Uraufführung mit leiser Ironie: „Die beiden Verfasser der Oper haben ihren Wohnsitz – wie zuvörderst bemerkt sein soll – in Leipzig: der Librettist als Mitarbeiter der „Gartenlaube“, der Componist als Chordirektor am Stadttheater. Beide Männer sind auch in weiteren Kreisen nicht unbekannt: Herr Hofmann besonders durch seine gemütvollen poetischen und prosaischen Beiträge in dem genannten Weltblatt, Herr Nessler durch seine Bestrebungen auf dem Gebiete der Männergesang-Composition.“

Oskar Herfurth/ Der Rattenfänger von Hameln/ OBA

Zu diesem Zeitpunkt allerdings war Nessler nicht mehr Chordirektor, sondern bereits als Kapellmeister ans Carola-Theater gewechselt; sein Nachfolger wurde der später weltberühmte Dirigent Arthur Nikisch. Direktor des Stadttheaters war damals Angelo Neumann, der gerade mit der Aufführung von Wagners Ring, mit der er dann auch auf Europa-Tournee ging, Aufsehen erregt hatte. Neumann erkannte schnell die Qualitäten Nikischs und machte ihn zum Kapellmeister; in dieser Funktion dirigierte er die Uraufführung des Rattenfänger wie 1884 auch die des Trompeter von Säckingen, ehe er seine Karriere in den USA und Budapest fortsetzte, um schließlich als Gewandhauskapellmeister nach Leipzig zurückzukehren.

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Drei Deutsch-Nationale: Victor E. Nessler, 1841 im Elsass geboren, stammte aus einem protestantischen Pfarrhaus. Er studierte zunächst Theologie, der Erfolg seines Erstlings Fleurette in Straßburg ließ ihn jedoch zum Komponisten werden – die Quellen widersprechen sich, ob er wegen des „Fehltritts“ exmatrikuliert wurde oder aber freiwillig von der Theologie zur Musik wechselte. Nessler ging nach Leipzig und sammelte vielfältige musikalische Erfahrungen, komponierte Gelegenheitswerke und leitete Männerchöre. 1870 wurde er Chordirektor am Stadttheater, später Kapellmeister am Carola-Theater. Einige frühere Opern wie Dornröschens Brautfahrt (1867) oder Irmingard (1876), mit denen sich der junge Komponist ausprobiert hatte, waren über Leipzig nicht hin-ausgekommen; der Rattenfänger aber wurde ein Riesenerfolg, nachgespielt nicht nur an den Hofopern in Berlin, Stuttgart oder München und vielen anderen deutschen Bühnen, sondern auch in London. Danach konnte er sich zur Ruhe setzen, versuchte 1881 mit dem gleichen „Team“ – Librettist Friedrich Hofmann bearbeitete eine Vorlage von Julius Wolff: Der wilde Jäger – vergeblich an den Erfolg anzuknüpfen, bis 1884 Der Trompeter von Säckingen so einschlug, dass auch der Rattenfänger langsam in Vergessenheit geriet. Nessler kehrte wieder in das inzwischen deutsch gewordene Straßburg zurück, wo er bereits 1890 starb.

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Der Librettist Friedrich Hofmann/ Wiki

Der Librettist Friedrich Hofmann wurde am 18. April 1813, im selben Jahr wie Giuseppe Verdi und Richard Wagner, Georg Büchner und Friedrich Hebbel, in Coburg geboren. Seine Mutter war als junges Mädchen Dienstmagd bei Jean Paul gewesen; sein Vater, während der napoleonischen Kriege 1813 bis 1815 Feldtrompeter, wurde später Hofmusikus. Als Gymnasiast dichtete Hofmann „Freiheitslieder“ für den „Vaterlandsverein“ und wurde daraufhin für alle Zukunft vom Staats-dienst ausgeschlossen. In Jena studierte er Literatur und Geschichte; erste Veröffentlichungen beschäftigten sich mit der Geschichte seiner Coburger Heimat, und 1841 zog er als Mitarbeiter von Meyers „Großem Konversationslexikon“ nach Hildburghausen. 1854 erhielt er für seine Verdienste um die Volksbildung die Doktorwürde der Universität Jena und ging bald darauf als Hauslehrer eines Verwandten der Coburger Fürsten nach Venedig. Nach Hildburghausen zurückgekehrt, wurde er zum Begründer der Coburger Mundartdichtung, ehe es ihn 1858 nach Leipzig, in die geistige Metropole Sachsens, zog. Nachdem er an verschiedenen Zeitschriften mitgearbeitet hatte, wurde er 1861 Redakteur der „Gartenlaube“. 1871 war er in deren Auftrag einer der ersten Deutschen, die das belagerte Paris besuchten. Nach dem Krieg war er mit Kriegs- und Vaterlandsgedichten erfolgreich, baute aber auch einen Suchdienst für Vermisste und Verschollene auf und setzte damit sein soziales Engagement fort, das in den 40er Jahren mit dem „Weihnachtsbaum für arme Kinder“ – der Erlös seiner Gedichte finanzierte Weihnachtsgeschenke für bedürftige Kinder – begonnen hatte. 1883 wurde er Chefredakteur der Gartenlaube, und im Januar 1888 ernannte ihn die Gabelbachgemeinde auf dem Kickelhahn bei Ilmenau zum „Gemeindepoeten“ – als Nachfolger des verstorbenen Joseph Victor von Scheffel, dessen Trompeter von Säckingen Julius Wolff wesentlich beeinflusst hatte und der zur Vorlage der zweiten Erfolgsoper Nesslers wurde. Während eines Urlaubs in Ilmenau starb Hofmann im August desselben Jahres.

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Der Gelegenheitsdichter Friedrich Wolf/ OBA

Die Vorlage: Julius Wolff, 1830 in Quedlinburg geboren, übernahm zunächst die elterliche Textilfabrik. Nach deren Bankrott wurde er Journalist. 1870/71 zog er in den Krieg und arbeitete anschließend als Angestellter in Berlin. Ersten Schriftstellerruhm erntete er mit einer Kriegsliedersammlung „Aus dem Felde“. In der Tradition von Scheffels ungemein populärem Trompeter von Säckingen erschien 1876 Der Rattenfänger von Hameln – eine „Aventiure“, ein Erfolg, der Wolff finanziell unabhängig machte und ihm auch die Ehrenbürgerschaft der Stadt Hameln eintrug. In den nächsten Jahren verfasste er epische Dichtungen wie Tannhäuser. Ein Minnesang oder Der fliegende Holländer. Seemannssage. Er wurde zu einem Protagonisten der „Butzenscheibenromantik“ und erfüllte den Wunsch des wilhelminischen Publikums nach einem nostalgischen Rückblick in die „gute alte Zeit“. Noch nach seinem Tod 1910 erschien eine knapp zwanzigbändige Gesamtausgabe seiner Werke.

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Die Komposition: Nesslers Musik im Rattenfänger von Hameln umfasst eine weite Spanne. Sie ist harmonisch und in der Verarbeitung durchaus auf der Höhe ihrer Zeit und reicht vom leichten Singspieltonfall (2. Bild) über das sentimentale Strophenlied bis zur großen Verfluchungs-Szene, vom Buffo-Terzett (Beginn 3. Akt) bis zum sechsstimmigen, kanonartig aufgebauten Ensemble (Finale des 1. Aktes: „Nun reiche mir die Hand“), vom schlichten Volkschor bis zum komponierten Chaos im Streit der Ratsherren gleich zu Beginn. Immer ist die Musik dramatisch, theater-praktisch gedacht, immer im Dienst der Szene. Nessler verwendet einige prägnante Motive, die in der Oper häufig wiederkehren, aber nicht als Wagnersches Leitmotiv, sondern eher als Erinnerungsmotiv, z. B. ein sich um sich selbst windendes, schleichendes chromatisches Motiv als Symbol für die Ratten, das gleich zu Beginn der Ouvertüre eingeführt wird, oder eine marschartige Melodie für die Rats- und Bürgermeister-welt. Auffällig sind die zahlreichen Zitate in Nesslers Musik. Mal handelt es sich um ein Detail der Instrumentation, wenn z. B. die Solobratsche das Duett zwischen Regina und Dorothea im zweiten Bild maßgeblich begleitet, ist das Vorbild klar: die zweite Ännchen-Arie aus dem Freischütz.

Nesslers „Rattenfänger von Hameln“ in Döbeln/ Szene/ MTDF

Manchmal sind es Motivfetzen (Wotans Speermotiv in der Gerichtsszene des 5. Aktes, das „Auf Wiedersehen“ aus dem ersten Quintett der Zauberflöte), manchmal auch reizt die Parallelität der Situationen Neßler zum Zitat: Wenn im 4. Akt der steinerne Roland zu sprechen beginnt, erklingt umgehend eine kurze Phrase Leporellos aus dem Finale des Don Giovanni, der Nachtwächter scheint direkt den Meistersingern entsprungen zu sein, und ob bei der Wahl des „tragischen“ c-Moll Beethovens für den Streit der Ratsherren ein Schuss Ironie im Spiel ist, sei dem Zuhörer anheimgestellt… Die Häufigkeit und Auffälligkeit der Zitate lassen jedenfalls eher auf eine Hommage an die Vorbilder schließen denn auf billiges „Klauen“. Besonders kunstvoll arbeitet Neßler im großen Duett zwischen Gertrud und Hunold zum Schluss des zweiten Aktes. Jeder Figur ist ein Soloinstrument zur Seite gestellt, Gertrud die Bratsche und Hunold das Violoncello, die die Melodielinien mitspielen. Nach Hunolds „Dich zu erringen“ in A-Dur zweifelt Gertrud „Lieber Zaubrer, sag mirs ehrlich, bist du wahr und wirklich mein“ harmonisch weit entfernt in F-Dur, stößt dann aber bei „du bist mein, ich bin die deine“ mit E-Dur über Hunolds Harmonie hinaus. In einem Zwischenspiel verschlingen sich die Melodielinien der Soloinstrumente symbolisch für die Figuren auf der Bühne. Nach einem längeren zweistimmigen Teil schließen die Sänger in hymnischer Ein-stimmigkeit in A-Dur – beide sind vereint, musikalisch wie szenisch, und Gertrud ist in Hunolds Welt angekommen.

Das Mittelsächsische Theater in Döbeln/ Wikipedia

Neuland betritt Nessler im Mittelteil der Ouvertüre, wo er ein Melodram einführt, das die Ouvertüre gleich zu einem Teil der Handlung werden lässt. Erst sehr viel später sollten Leoncavallo und Mascagni auf ähnliche (dann aber gesungene) Modelle bei I Pagliacci und bei Cavalleria rusticana zurückgreifen. Der Trauermarsch des 5. Aktes weist schon voraus bis zu Gustav Mahler, manche Finesse der Harmonie im Lied „Wenn dem Wächter das Horn einfriert“ zu Beginn des 3. Aktes zu Hugo Wolf. Und auch vor kräftigen Dissonanzen scheut Neßler in der Ouvertüre nicht zurück, um gleich zu Beginn klarzustellen, dass dieser Rattenfänger von Hameln weit mehr bietet als brave Butzenscheibenromantik. Martin Bargel

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Verbreitung und Dokumente: Kaum eine Note Nesslers ist – außer einem dürftigen Querschnitt des Trompeter von Säckingen mit Hermann Prey bei Electrola und einer diskutablen Gesamtaufnahme des WDR (leider ohne Dialoge) als Nachklang der Aufführungen beim Festlichen Herbst Bad Urach bei Capriccio (noch bei jpc erhältlich) – auf Tonträger dokumentiert. Historische Einzelaufnahmen der eingangs erwähnten Arie finden sich von Prey, Tauber, Schlusnus, Melchior, Muench, vom Montanara Chor und in Blasorchesterfassung.

Dabei ist der Trompeter nicht etwa sein eigentlicher Erfolg gewesen, sondern eben der Rattenfänger. Aber die Aufführungen des damals scheidenden Intendanten des Mittelsächsischen Theaters, Ingolf Huhn, in den Theatern von Freiberg und Döbeln im Frühjahr 2004, wurden leider nicht beim MDR aufgezeichnet. Das Mittelsächsische Theater gastierte mit dem Werk bei den Musikfestspielen Dresden im Sommer 2004 und nahm es in der neuen Saison noch einmal auf, wo  auch  Lortzings Oper Rolands Knappen ebendort dort im Mai 2005 zur Aufführung kam.

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Das Mittelsächsische Theater in Freiberg/ Wikipedia

Der Rattenfänger von Hameln, Große romantische Oper in fünf Akten von Victor E. Nessler; Libretto von Friedrich Hofmann nach dem Gedicht von Julius Wolff UA: 19. März 1879 Leipzig (1. Aufführung in moderner Zeit 2004 am Mittelsächsischen Theater Freiberg-Döbeln).

Inhalt: Die deutsche Sage tritt auf und spricht einen Prolog. Erster Akt: Rathaussaal Streit im Hamelner Stadtrat: Die Stadtkasse ist leer, die Bürger klagen über die hohen Steuern. Der Bürgermeister weist darauf hin, dass es ein noch größeres Problem gebe: die Rattenplage. Aber er hat auch schon eine Lösung parat: Ein fremder Spielmann, Hunold Singuf, hat sich angeboten, die Stadt von Ratten und Mäusen zu befreien. Dafür fordert er 100 Mark und eine später zu benennende zusätzliche „Spende“. Trotz der hohen Forderungen nimmt der Stadtrat schließlich das Angebot des Rattenfängers an. Hausgarten des Bürgermeisters Regina, die Tochter des Bürgermeisters, erwartet ihren Bräutigam Heribert, den Sohn des Stadtschultheißen. Als der von einem Studienaufenthalt Heimgekehrte erscheint, sind alle zufrieden – außer dem Stadtschreiber Ethelerus, der sich selbst vergeblich um Regina bemüht hatte.

Zweiter Akt: Im Wirtshaus zum „Braunen Hirsch“. Hunold unterhält die Gäste mit seinen Liedern; insbesondere die Frauen sind von ihm fasziniert. Ethelerus lädt ihn zu einem abendlichen Treffen im Weinkeller gemeinsam mit seinem Freund, dem Kanonikus Rhynperg, ein. Da erscheint Gertrud; Hunold und sie erkennen im jeweils anderen den lange Erträumten. Die übrigen Gäste sind verwundert; Wulf, der Schmied, Gertruds Verlobter, schwört Rache. Beim Fischerhaus am Strom Gertrud und Hunold haben ein Stelldichein; Wulf versucht vergeblich, Gertrud zurückzugewinnen.

Oskar Herfurth/ Der Rattenfänger von Hameln/ OBA

Dritter Akt: Vor dem Ratskeller. Der Schreiber und der Kanonikus wetten mit dem Rattenfänger, dass auch er, der sich seines Erfolgs bei Frauen rühmt, Regina keinen Kuss abgewinnen könne.

An der Weser: Wulf beklagt sich bei seinen Nachbarn über Gertruds Untreue. Des Nachts lockt der Rattenfänger Ratten und Mäuse in die Weser; Wulf lauert Hunold auf, wird aber von diesem besiegt. Vierter Akt Offene Ratshalle Die Frauen sind glücklich darüber, dass die Ratten fort sind. Von Wulf aufgestachelt, wollen die Bürger dem Rattenfänger dennoch den versprochenen Lohn nicht zahlen. Regina, Dorothea und Heribert bezeugen, dass im Keller des Bürgermeisters noch ein „Rattenkönig“, fünf zusammengewachsene Ratten, die nicht fortlaufen konnten, geblieben, der Vertrag also nicht erfüllt sei. Hunold klagt nun Wulff an, der entgegen den Bedingungen nachts auf der Straße geblieben sei: Deshalb habe der Zauber nicht vollständig funktioniert. Außerdem fordert er nun die zusätzlich zum Geld vereinbarte Spende – einen Kuss der Bürgermeistertochter. Die Frauen finden diese Zusatzforderung apart, die Männer sind empört. Hunold will mit seinem Zauber auch Regina berücken. Die Roland-Statue auf dem Markt warnt ihn: „Recht verbürg‘ ich! Missethat würg‘ ich!“

Vierter Akt: Der Rathhaussaal als Festsaal. Die Verlobung von Heribert und Regina wird gefeiert. Regina wird unruhig, als Hunold erscheint, und fällt ihm um den Hals, nachdem er ihr ein Lied gesungen hat. Hunold wird des bösen Zaubers angeklagt.

Der Autor: Der Musiker, Dirigent, Pianist und Komponist Martin Bargel/ LIN

Fünfter Akt. Vor der Stadt Hameln. Gertrud beklagt den Verrat Hunolds an ihr. Die Richter verurteilen Hunold zum Tode. Gertrud beruft sich auf ein altes Gesetz, demzufolge das Leben eines Verurteilten einer Jungfrau geschenkt werden kann, die dann mit ihm fortziehen muss. So befreit sie Hunold, stürzt sich dann aber verzweifelt in die Weser. Vor der Kirche: An der Brücke. Aus der Kirche, wo die Hochzeit Heriberts und Reginas gefeiert wird, tönt der Gesang der Bürger. Hunold tritt auf, lockt mit Schalmeienspiel und Gesang die Kinder der Stadt herbei und führt sie über die Brücke davon. Seine Rache schreit er in die Kirche hinein; die herauseilenden Bürger müssen mit ansehen, wie die Brücke einstürzt und ihre Kinder im Berg verschwinden.

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Die vorliegenden Texte übernahmen wir – mit leichten Modifikationen – dem informativen Programmheft zur Aufführung in Freiberg-Döbeln 2004, wobei wir dem dortigen Dramaturgen Christoph Nieder sehr zu Dank verpflichtet sind. Der Autor Martin Bargel war damals Dirigent am Mittelsächsischen Theater, während er in dieser Zeit und auch danach immer wieder in spannenden musikalischen Projekten in Erscheinung trat, auch mit Eigenkompositionen. Redaktion und ergänzende Texte G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie hier

Mehr von Händel

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Von Händels Frühwerk Amadigi di Gaula präsentiert Chandos Records eine bemerkenswerte Neuaufnahme auf zwei CDs, die Ende 2021 London entstand (CHSA 0406/2). 1715 wurde die dreiaktige Oper im Londoner King’s Theatre uraufgeführt, der Autograph des Werkes ist verschollen, doch existieren davon mehrere handschriftliche Kopien. Teile der Ouverture sowie neun Gesangsnummern übernahm Händel aus seiner 1713 komponierten Oper Silla. Die in Griechenland spielende Geschichte handelt von dem für seine Heldentaten berühmten Ritter Amadigi und seiner Liebe zu Prinzessin Oriana, welche durch die Zauberin Melissa und ihren Anspruch auf Amadigi auf die Probe gestellt wird.

Die Early Opera Company leitet deren Gründer Christian Curnyn, der sich durch viele Einspielungen barocker Werke international einen Namen gemacht hat. Die reiche Palette der musikalischen Klangfarben der Komposition fächert er faszinierend auf und erzielt dabei stupende Wirkungen. Solche hört man schon in der Ouverture mit ihrem gravitätischen Largo als Einleitung und einem lebhaften Allegro als Mittelteil. Am Ende sorgt er mit dem Ballo di Pastori e Pastorelle für einen lebhaft-heiteren Ausklang.

Die Besetzung führt der renommierte Countertenor Tim Mead in der Titelpartie an. Er führt sich mit der Cavatina „Notte, amica die riposi“ ein und lässt eine sanft schmeichelnde Stimme hören. Das folgende Allegro „Non sa temere“ ist von beherztem Zuschnitt und demonstriert die flexible Stimmführung des Sängers. Zu Beginn des 2. Aktes kann er in der wiegenden Siciliana „Sussurrate, onde vezzose“ mit schwebenden Tönen bezaubern. Mit „Sento la gioia“ brilliert er am Ende des Werkes noch mit einem jauchzenden, Koloratur gespickten Solo. Seine Geliebte Oriana, Tochter des Königs der Glücklichen Inseln, nimmt die britische Sopranistin Anna Dennis wahr – auch sie erfahren im Barock-Genre und mit einer Stimme von lyrischem Wohllaut ausgestattet. Mit der Aria „Oh caro mio tesor“ fällt ihr eine Perle der Oper zu, welche sie mit fein gesponnenen Tönen zu bester Wirkung bringt. „Ti pentirai, crudel“ im 2. Akt ist dagegen erregt und heftig im Vortrag. Zu Beginn des 3. Aktes bezaubert sie mit zarten Klängen in „Dolce vita del mio petto“. Geliebt wird Amadigi auch von der Zauberin Melissa, die Mary Bevan singt. Ihr Sopran entfaltet in der Auftrittsarie „Ah! spietato!“ klagende Laute der Verzweiflung. In „Io godo, scherzo e rido“ kann sie dagegen vehement auftrumpfen. Auch ihr Duetto mit Amadigi im 2. Akt, „Crudel, tu non farai“, ist von stürmisch-auffahrendem Duktus. Mit „Desterò dall’empia dite“ fällt ihr ein von Trompetengeschmetter begleitetes Bravourstück zu, in welchem die Sängerin ihr virtuoses Vermögen demonstriert. Von ähnlichem Zuschnitt ist das rasante „Vanne lunghi“ im 3. Akt, das ihr energische Koloraturläufe abverlangt, in denen dann auch einige strapazierte Momente zu hören sind.

Eine der weltweit führenden Altistinnen ist Hilary Summers, der die Hosenrolle des thrakischen Prinzen Dardano anvertraut wurde. Mit „Pugnerò contro del fato“ fällt ihm das erste Solo des Werkes zu, ein energisches Presto, in welchem die Sängerin ihre noch immer perfekt funktionierende und agile Stimme vorführt. In der Aria „Agitato il cor mi sento“ überzeugt sie mit resolutem Ausdruck. Das getragen-ernste „Pena tiranna“ nimmt das berühmte „Lascia ch’io pianga“ aus dem Rinaldo auf und Summers zelebriert es in würdevoller Manier. „Tu mia speranza“ bringt eine kokette Note ein. Der Countertenor Patrick Terry komplettiert die Besetzung klangvoll als Zauberer und Orianas Onkel Orgando.

Das Werk ist auf dem Musikmarkt nicht eben reich vertreten. Die vorliegende Chandos-Aufnahme ist erst die dritte kommerzielle Einspielung der Oper und ergänzt die bisher maßstäbliche unter Marc Minkowski von 1989 auf Erato. Sie dürfte sogar eine starke Konkurrenz zu dieser Vorgängerin sein. Bernd Hoppe

Robuste Emotionen

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Eine beachtliche Karriere hat der armenische Bariton Gevorg Hakobyan bereits gemacht, der im kommenden Sommer auch in der Arena di Verona zu erleben sein wird, nachdem er bereits an vielen bedeutenden Bühnen mit Erfolg gesungen hat. Mit Ettore Bastianini und mit Silvano Carroli soll man ihn verglichen haben, welchem Urteil man zumindest, was den Jüngeren der beiden betrifft, zustimmen kann, entspricht doch trotz eines süffisanten Lächelns, das er auf dem Cover seiner CD bei Delos mit dem Titel Arias of Love & Sorrow zeigt, die Optik, aber auch die Stimmfarbe eher dem typischen „Brunnenvergifter“ á la Barnabà als dem edel-tragischen Helden.

Es beginnt mit dem Credo des Jago, das man allerdings weder der Liebe noch der Sorge zuordnen kann, zu dem aber die etwas dumpfige, dunkel grollende Stimme sehr gut passt, die Gemütsbewegungen weniger durch ein chiaro-scuro als durch einen Wechsel der Lautstärke hörbar werden lässt. Besonderen Nachdruck will der Sänger durch ein energisches Hervorstoßen der Töne erzielen, in der Höhe wird die Stimme etwas flacher, das grässliche Gelächter, das viele Baritone der Arie folgen lassen, unterlässt Hakobyan dankenswerterweise.

Hört man Nemico della patria, das dem Credo folgt, kann man wahrnehmen, dass die Stimme von Natur aus gar nicht so böse klingt, für den Jago wohl künstlich abgedunkelt wurde und nun einen echten Heldenbariton vernehmen lässt. Bärbeißiger zeigt sich dann wieder der Michele aus Il Tabarro, der seine Arie mit einem sieghaften Spitzenton krönen kann.  Legato und Phrasierung stimmen im Gebet Nabuccos, eine farbige mezza voce wird für den Renato eingesetzt, der für die besungenen dolcezze auch einiges davon im Timbre aufweist. Soweit das italienische Repertoire.

In die italienischen Arien eingestreut sind solche aus russischen und armenischen Opern. Bekannt ist Tschaikowskis Pique Dame, aus dem der Bariton die Erzählung des Tomsky vorträgt, sehr empfindsam nimmt er sich der Klage des Fürsten Igor aus Borodins gleichnamiger Oper an, zugleich ein beachtliches Material ausstellend wie sich mit Erfolg um ein differenzierendes Portrait des unglücklichen Fürsten bemühend. Das wilde Aufbegehren des Gryaznoy aus Rimski-Korsakows Zarenbraut wird eindrucksvoll vermittelt. Aus Rachmaninoffs Aleko wird dessen Arie schließlich  schön differenzierend zwischen Wut und zärtlicher Erinnerung dargeboten.

Im Westen nicht bekannt sind die armenischen Opern, derer sich Hakobyan verständlicherweise annimmt. 1945 wurde Levon Khodja-Eynatyans Oper Arshak II in Jerewan uraufgeführt, die  Arie des Titelhelden klingt recht basslastig, aber auch die sichere Höhe der Stimme kann ihre Wirkung entfalten. Mit zwei Werken ist der Armenier Armen Tigranian vertreten, und sowohl in der Arie des Mosi aus Anoush wie in der des David Bek aus der gleichnamigen Oper kann der armenische Sänger noch einmal alle Vorzüge seiner Stimme ausstellen. Begleitet wird er von John Fisher und Constantine Orbelian, die das Kaunas City Symphnony Orchestra leiten (Delos 3577). Ingrid Wanja    

Unentwegt auf Tour

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So richtig auf den Geschmack gekommen, was Freilichtgroßereignisse betrifft, scheint Luciano Pavarotti nach dem Konzert 1990 mit den anderen zwei Tenören in den Thermen des Caracalla in Rom anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 1990 gekommen zu sein. Damals gewann übrigens Deutschland den Titel. Bereits im folgenden Jahr gab es , allerdings nur mit ihm als Alleinstar, im Londoner Hydepark und noch ein Jahr später im Central Park von New York  ein Konzert mit einer halben Million Zuschauer.

Die Programme der beiden Veranstaltungen ähnelten einander, nahmen allerdings auch Rücksicht auf die jeweiligen Vorlieben des Publikums, das Wetter hätte nicht unterschiedlicher sein können, denn während in London ein buntes Meer von Regenschirmen wetterfest ausharrte, konnte man und kann man nun auch auf zwei Blurays in New York bei strahlendem Sonnenschein den einen oder anderen nackten männlichen Oberkörper bewundern.  Während das Londoner Publikum Weltmeister im Winken zu sein scheint, ist das in New York  weitaus gelassener.

War in Ravenna, wo es im Juni eigentlich kaum regnet, ein Pavarotti-Konzert im Hafen der Stadt wegen schlechten Wetters noch auf den kommenden Abend verschoben worden, ist man in London schlechtes Wetter gewöhnt und trotzt ihm, so wie auch Lady Diana, Prince Charles und Ministerpräsident Major in der ersten Reihe, die Mitglieder des Philharmonia Orchestra fürchteten wahrscheinlich um ihre kostbaren Instrumente, aber Leone Magiera, bevorzugter Dirigent italienischer Sänger und oft auch ihr Begleiter am Flügel, zog das Programm durch.  In New York war er gleichfalls der Taktgeber, diesmal für The New York Philharmonic. An beiden Orten beginnt man mit der Ouvertüre zu Luisa Miller, gefolgt von der Arie des Rodolfo, „Quando le sere“, einschließlich Rezitativ, aber ohne Cabaletta. Für die vielen Verdi-Partien, die der Tenor sang, ist abgesehen vom Duca und Alfredo die Stimme recht hell, in New York klingt sie etwas metallischer als in London, der Spitzenton ist natürlich ein strahlender und wird mit Lust lange gehalten. Geht es in London mit „O paradiso“ weiter, so in New York sehr viel angemessener mit dem Schlussbild von Lucia di Lammermoor, in London bleibt man weit eher der bedeutenden  E-Musik verhaftet, ehe es zu den Canzoni geht, in New York wechselt nach einem Lamento di Federico der Star bereits ins Populäre, ehe er bei den Zugaben wieder  zu den beiden Cavaradossi-Arien und damit zur Oper zurückkehrt.

In London hat der Philharmonia Chorus eine bedeutende Funktion im Konzert, natürlich mit dem unvermeidbaren „Va pensiero“, aber völlig unverhofft und aus dem Rahmen fallend auch mit dem Brautchor aus Lohengrin. Die Londoner bekommen weit mehr Pavarotti serviert als die New Yorker, die auf Canio und Des Grieux verzichten müssen, dafür aber, unbefangen wie man in den USA nun einmal ist, mitten im Pavarottikonzert mit dem Boys Choir of Harlem und Strayhorn, Ellington und I can go to God konfrontiert werden.

In beiden Städten kommt das Publikum in den Genuss der Kunst eines außergewöhnlich guten Flötisten, Andrea Griminelli, der in London nur eine Carmen-Phantasie, in New York dazu noch Mercadantes Rondo Russo zum Besten gibt. Auf O Sole mio und Nessun dorma aber braucht man weder in London noch in New York zu verzichten, und auf beiden Aufnahmen ist der Maestro in guter Form, stellt seine Stimme genüsslich und genussvoll aus, ein prächtiges Material, das sich selbst genug ist (C-Major 762404 und 762704). Ingrid Wanja      

Hallo London: Besuch aus Byzanz

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Das goldene Byzanz mit seiner Hauptstadt Konstantinopel (heute Istanbul) lag bereits in seinen letzten Zügen, als es zu einer historisch bedeutsamen Zusammenkunft kam, die Ost und West zusammenführte. Die Reise von Manuel II. Palaiologos (1350-1425), dem drittletzten byzantinischen Kaiser (reg. 1391-1425), nach Westeuropa in den Jahren 1399 bis 1403 war zuvörderst ein Hilfeschrei gen Westen, das über tausendjährige Römische Reich, dessen östlicher Teil anachronistisch später als „byzantinisch“ bezeichnet wurde, vor der osmanischen Bedrohung zu retten. Bereits damals bestand das Imperium, das einst das Mittelmeer umspannt hatte, fast bloß noch aus Konstantinopel, welches an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert nur mehr etwas über 50.000 Einwohner vorzuweisen hatte und sich seit 1394 einer Belagerung durch die Osmanen ausgesetzt sah. Manuel II. besuchte im Zuge seiner Reise Italien, Frankreich und zum Jahreswechsel 1400/01 eben auch England. Diesem einzigen Besuch eines oströmischen Kaisers auf der Insel widmet das Label Capella Records nun eine mit A Byzantine Emperor at King Henry’s Court – Christmas 1400, London betitelte Neuerscheinung (CR427). Mit King Henry ist der englische König Heinrich IV. (1367-1413) gemeint, der erst kurz davor als Usurpator auf den Thron gekommen war und die Dynastie des Hauses Lancaster, einer Nebenlinie der Plantagenets, etablierte. Opernfreunden dürfte dieser König von England durch Verdis Falstaff und Nicolais Lustige Weiber von Windsor zumindest peripher ein Begriff sein, sind beide Shakespeare-Vorlagen doch in dessen Regierungszeit (reg. 1399-1413) angesiedelt.

Bei Capella Records handelt es sich im Übrigen um das Eigenlabel der 1991 von Alexander Lingas in Portland, Oregon, gegründeten Cappella Romana. Das Ensemble hat sich auf slawische und byzantinische Musik in deren Originalsprache spezialisiert und sich in der Vergangenheit in diesem Bereich große Meriten erworben. Die Neuerscheinung – übrigens eine hybride SACD, die auch das Mehrkanalton-Format aufweist – ist bereits die 30. Veröffentlichung der Portlander. Frühere Erscheinungen widmeten sich beispielsweise den Hymnen der legendären byzantinischen Komponistin Kassia aus dem 9. Jahrhundert und dem Fall von Konstantinopel im Jahre 1453. Bereits mit der Namenswahl bewies Lingas, Musikwissenschaftler und langjähriger Professor an der City University in London und nun in Cambridge, das richtige Händchen für historische Zusammenhänge, bezieht sich die Bezeichnung als „Römische Kapelle“ doch auf das byzantinische Konzept der römischen Oikumene, also der gesamten bewohnten damals bekannten Welt. Die sogenannten Byzantiner betrachteten sich selbst bis zuletzt als Rhomaioi, also als Römer (Rhomäer), auch wenn sie im lateinischen Westen „Griechen“ genannt wurden. Das A-Cappella-Ensemble besteht jedenfalls aus zwei Sopranistinnen, zwei Altistinnen, drei Tenören, einem Bariton und drei Bassisten, sämtlich ausgewiesenen Spezialisten für dieses exotische Gebiet der Alten Musik.

Vom musikalischen Leiter Alexander Lingas stammt auch der vorzügliche, sehr umfassende und mit Quellenverweisen angereicherte Einführungstext (allerdings nur auf Englisch), der wichtige und unerlässliche Hintergrundinformationen bietet. Die Zusammenkunft von byzantinischem Kaiser und englischem König war nicht zuletzt eben auch ein direktes Aufeinandertreffen von östlicher und westlicher Musik. Nach seinem Aufbruch im Dezember 1399 war Kaiser Manuel II. zunächst über Italien nach Paris gereist, wo ihn der französische König Karl VI. im Juni 1400 mit allen Ehren empfing. Die Hauptstadt Frankreichs wurde in den kommenden zwei Jahren dann auch die Ausgangsbasis für den Autokrator der Rhomäer in seinen Beziehungen zu den Herrschern des lateinischen Abendlandes. Im Oktober 1400 war Manuels Besuch in England diplomatisch auf den Weg gebracht worden, so dass der Kaiser samt seines Gefolges zunächst ins seinerzeit noch englische Calais übersiedelte. Am 11. Dezember 1400 kam es schließlich zur Kanalüberquerung nach Dover, wo ihn zunächst der Klerus von Canterbury willkommen hieß. Am 21. Dezember 1400 kam es dann endlich zum Herrschertreffen in Blackheath bei London. Das Weihnachtsfest verlebte der Kaiser als Ehrengast des Königs im Eltham Palace. Nach den Festtagen wurde die Konstantinopeler Delegation in London als Gast des Johanniterordens beherbergt. Die tiefe Frömmigkeit des Kaisers und seines Hofstaates im Verbund mit Manuels asketischer und doch kaiserlicher Ausstrahlung beeindruckte die Engländer nachhaltig. Wirklich bedeutsame finanzielle oder militärische Unterstützung konnte ihm Heinrich indes nicht liefern, so dass Manuel im Februar 1401 nach Paris zurückkehrte, wobei ein Teil seiner Abordnung in England verblieb, um die Verhandlungen weiterzuführen. Eine kostbare Reliquie aus Konstantinopel, ein Stück des nahtlosen Gewandes der Gottesgebärerin und Jungfrau Maria, wurde Englands König in diesem Zusammenhang zum Geschenk gemacht. Da die Versuche, Waffenhilfe zu erlangen, auch dort fruchtlos blieben, reiste der Kaiser von Byzanz im November 1402 nach Konstantinopel zurück, wo er bei seiner Rückkehr im Juni 1403 immerhin feststellen konnte, dass die osmanische Belagerung infolge der Niederlage Sultan Bayezids gegen Tamerlan in der Schlacht bei Ankara (28. Juli 1402) nach achtjähriger Dauer mittlerweile aufgehoben worden war.

Charles, Duke of Orléans, in the Tower of London from a 15th-century manuscript/ Quelle: Gedichte von Herzog Karl von Orléans, Brügge 1483 u. 1492-1500 (British Library, Royal MS 16 F II, f. 73r)/ Wikipedia

An Weihnachten 1400 kamen im Eltham Palace die Kleriker und Sänger sowohl der kaiserlich byzantinischen als auch der königlich englischen Hofkapelle zusammen. Genaue Quellenbeschreibungen der dort gespielten Musik haben sich erhalten, einzig der Hinweis auf prächtige und aufwendige Festlichkeiten. Die englischen Chronisten berichten jedenfalls von täglichen Gottesdiensten der kaiserlichen Geistlichen. Aufgrund des seinerzeitigen Schismas zwischen der römisch-katholischen und griechisch-orthodoxen Kirche ist anzunehmen, dass beide Monarchen an Festgottesdiensten teilnahmen, die gemäß ihren jeweiligen Riten gefeiert wurden. Dies ermögliche eine Rekonstruktion der Inhalte mittels anderweitiger Text- und musikalischer Quellen.

Hinsichtlich des heute sogenannten byzantinischen Ritus ist bedauerlicherweise nichts über die Musik bekannt, die im Zuge dessen von Blechbläser, Holzbläsern und Schlagwerk gespielt wurde – eine musikalische Notation ist hier praktisch nicht existent. Geläufig ist dafür die Vokalmusik der sogenannten Prokypsis durch liturgische Sammlungen aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Stilistisch mannigfaltig, reicht diese von einfachen Formen der Psalmodie und traditionellen Melodien für vorwiegend syllabische Hymnodien bis hin zu anspruchsvollen und teils langatmigen Werken in kalophonischem („schön klingendem“) Idiom. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts standen in der kaiserlichen Kapelle die Gesänge zweier Schüler des Protopsaltis (Erster Kantor) Johannes Glykes (Mitte 13. Jahrhundert-um 1320) im Mittelpunkt: Der hl. Johannes Papadopoulos Koukouzeles (vor 1270-vor 1341) und Xenos Korones (spätes 13. Jahrhundert-Mitte 14. Jahrhundert).

Was die englische Hofkapelle betrifft, befand sich diese um 1400 in einer bereits unter Richard II. (reg. 1377-1399) begonnenen und unter Heinrich V. (reg. 1413-1422) gipfelnden personellen Vergrößerung. Für das Weihnachtsfest 1400 sind 33 Mitglieder belegt, wovon in den frühen Regierungsjahren Heinrichs IV. üblicherweise 18 reife Sänger waren, etwa fünf jüngere Sänger und neun bis zehn Chorknaben. Liturgisch bediente man sich des sogenannten Sarum Use, des Salisburger Ritus.

Trotz aller offenkundigen Unterschiedlichkeit, die sich schon in den beiden Sprachen Griechisch und Latein zum Ausdruck kamen, gab es auch Parallelen. So gab es weder in Byzanz noch in England seinerzeit einen wirklich einheitlichen, überall identischen Ritus, sondern lokale Unterschiede. Man stützte sich da wie dort auf traditionelle Gesänge, die ein Gros der im Gottesdienst gesungenen Musik ausmachten. Während spätbyzantinische Komponisten vor allem um die Virtuosität bedacht waren, war man im englischen Falle um eine Verschönerung der Musik durch Mehrstimmigkeit bemüht. Improvisierte Polyphonie scheint im frühen 15. Jahrhundert die Regel gewesen zu sein. Infolge des Bruchs im religiösen Leben in England nach der protestantischen Reformation ist bedauerlicherweise kein einziges Manuskript englischer Polyphonie aus dem 14. Jahrhundert erhalten geblieben. Aus den erhaltenen Fragmenten lässt sich erahnen, dass die komplexesten Werke der seinerzeitigen englischen Polyphonie Massensätze und Motetten für vier Stimmen waren, wobei eine Ähnlichkeit zu kontinentalen Komponisten wie Guillaume de Machaut (um 1300-1377) festzustellen ist.

Die Capella Romana versucht aus den genannten Gründen keine strenge Rekonstruktion, die aufgrund der Quellenlage unmöglich erscheint, sondern bedient sich einer Auswahl von Gesang und Polyphonie zur Geburt Christi, welche stilistisch das Repertoire der byzantinischen und englischen Kapelle um 1400 repräsentiert. Hierbei war eine gewisse Flexibilität unabdingbar. So stellt man die Musik in eine ungefähre liturgische Reihenfolge, beginnend mit dem Heiligen Abend und endend mit dem Magnificat für den Gottesdienst der zweiten Vesper, die am Abend des 25. Dezember gefeiert wird. Die griechische und lateinische Auswahl legt Wert auf gemeinsame Themen und parallele musikalische Technik. Tatsächlich ist die Quellenlage hinsichtlich der byzantinischen Musik um 1400 aufgrund der Klosterbibliotheken des Sinai und des Bergs Athos in diesem Falle sogar die bessere.

Mit dem lateinischen Iudea et Hierusalem, einem Responsoriumsgesang, beginnt die Vesper für die Vigil der Geburt des Herrn am Heiligen Abend. Byzantinischerseits wird auf dem Höhepunkt der neunten Stunde an Heiligabend zunächst die Anwesenheit des Kaisers besungen und anschließend Akklamationen für ihn und seine Familie dargebracht. Danach kam der Kaiser in vollem Ornat hinter einem Vorhang hervor, betrat die Bühne (Prokypsis) und empfing den Beifall des versammelten Hofes. Auf Reisen war dieses Zeremoniell reduziert und wurde auf die Fanfaren der Blechblasinstrumente verzichtet, die in Konstantinopel ebenfalls beteiligt gewesen wären. Gleichsam als Coda beendet ein sogenanntes Polychronion die Abfolge der Huldigungen.

Eine Abbildung von Konstantinopel um 1420/Quelle: Cristoforo Buondelmonti, Liber insularum Archipelagi, 1465-1475 (Bibliothèque nationale de France, GE FF-9351 RES, f. 37r)/ Gallica/ BNF

Den eigentlichen Weihnachtstag eröffnet Ovet mundus letabundus, eine anonyme Vertonung eines nicht-liturgischen Weihnachtstexte für vier Stimmen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Die ersten traditionellen byzantinischen Morgengesänge an Weihnachten stellen die Pentekostaria-Hymnen dar, mittels derer die jungfräuliche Geburt Jesu betont wird. Das lateinischsprachige O magnum mysterium hat ebendieses Wunder zum Thema, was neuerlich die gemeinsame Tradition verdeutlicht, trotz jahrhundertelanger unterschiedlicher Entwicklung in Ost und West. Mit dem ersten Kanon der Weihnachtsmatutin, des nächtlichen Offiziums zwischen Mitternacht und frühem Morgen, folgt wiederum eine griechische Hymne, die auf Kosmas von Jerusalem im 8. Jahrhundert zurückgeht. Gleich anschließend folgt ein majestätisches kalophonisches Megalynarion von bald neun Minuten Länge. Als westliches Gegenstück erklingt sodann die Sequenz Te laudant alme Rex, gefolgt von Hodie Christus natus est, also die Hervorhebung der heutigen Geburt  Christi. Das griechische Gegenstück stellt der Prolog zum Kontakion des hl. Romanos Melodos dar. Ein Überbleibsel des liturgischen Erbes der Antike, welches sich die griechischen und lateinischen Christen des Mittelalters teilten, war das Singen des Kyrie eleison in der Messe. Hier hat sich der griechische Wortlaut auch im lateinischen Westen erhalten. Das nachfolgende polyphone Gloria in excelsis ist ein anonymes Werk, welches anhand zweier Quellen (Fountains Abbey in Yorkshire und das sogenannte Old Hall Manuscript) rekonstruiert werden konnte. Der Kommunionsvers für den Weihnachtstag schließlich geht zurück auf den Mönch Agathon Korones (erste Hälfte des 14. Jahrhunderts) und beschließt den zweiten Teil.

Den letzten großen lateinischen Gottesdienst, der am 25. Dezember 1400 im Eltham Palace gefeiert wurde, stellt das Abendgebet der zweiten Vesper dar. Als Höhepunkt desselben erklingt das Magnificat mit dem sich anschließenden Antiphon Hodie Christus natus est. Bruchstückhaft ist die polyphone Vertonung dieses Mariengesangs aus dem 15. Jahrhundert an der Universität Cambridge überliefert.

Die künstlerische Qualität dieser Einspielung ist über jeden Zweifel erhaben und bietet einen spannenden Einblick in eine musikalisch nahezu unbekannte Welt fernab des üblichen Repertoires. Hierzu ist es lediglich notwendig, sich auf den für heutige Ohren ungewohnten, teils sehr reduzierten A-Capella-Gesang einzulassen, was aufgrund des ausgezeichneten Klangs idealtypisch erfolgen kann (Aufnahme: The Madeleine Parish, Portland, Oregon, 18.-22. September 2022). Dass die Gesangstexte vollständig auf Griechisch und Lateinisch jeweils nebst englischer Übersetzung abgedruckt sind, versteht sich von selbst. Daniel Hauser

KATRIN WUNDSAM

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Im deutschsprachigen Raum vor allem durch ihre Auftritte bei den Bregenzer Festspielen, an der Staatsoper Unter den Linden und an der Oper Köln bekannt, wo sie über viele Jahre zum Ensemble gehörte, arbeitet Katrin Wundsam nun schon mehrere Jahre als freischaffende Sängerin. Nun stehen diese Spielzeit spannende und wichtige Debüts auf dem Programm. Momentan steht die Künstlerin als Jezibaba und Fremde Fürstin in Rusalka auf der Bühne des Staatstheaters Wiesbaden, im Frühling kommt die erste Magdalene in den Meistersingern von Nürnberg beim Tokyo Spring Festival und im Frühsommer Lulu/Gymnasist/Gaderobiere bei den Wiener Festwochen. Geplant sind außerdem Partien wie Komponist, Fricka oder Charlotte. Mit Christian Glace sprach Katrin Wundsam über diese Pläne, Rusalka am Staatstheater Wiesbaden, ihre Zeit an der Oper Köln, ihre Ausbildung zum Coach für Angstbewältigung und vieles mehr.

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Was ist Ihre erste mit Musik verknüpfte Erinnerung? Meine erste Erinnerung ist es tatsächlich, ein österreichisches Volkslied mit meiner Mama im Duett zu singen. „In die Berg bin i gern“.

Katrin Wundsam/Foto Liliya Namisnyk

Wie entstand Ihr Interesse am Singen? Und wann haben Sie gemerkt, dass Sie eine Stimme haben, die für Opernbühne tauglich ist und sich entschieden, professionelle Opernsängerin zu werden?
Gesungen habe ich immer gern, und wohl auch gut. Von dort, wo ich herkomme, vom Land, war die Blasmusikkapelle und der Kirchenchor im Prinzip das höchste der Gefühle. Singen war an sich nichts, was auch nur ansatzweise als Beruf hätte angesehen werden können. Ich habe, als ich die HBLA [Höhere Bundeslehranstalt für Landwirtschaft und Ernährung] begonnen habe, Aufnahmeprüfung am Bruckner-Konservatorium Linz gemacht. Und mein Lehrer „to-be“ meinte, da wäre EIN Ton gewesen, der hätte ihm gezeigt, dass da was möglich ist…

In der Neuproduktion von Rusalka in Wiesbaden sind Sie mit der herausfordernden Aufgabe betraut, zwei Rollen in derselben Aufführung zu singen, Ježibaba und die Fremde Fürstin. Die beiden Rollen sind sowohl was ihren Charakter angeht, als auch hinsichtlich der stimmlichen Anforderungen sehr verschieden. Ježibaba ist eine echte dramatische Mezzopartie, während die Fremde Fürstin ja schon Zwischenfach ist und oft einem Sopran anvertraut wird, da sie eine höhere Tessitura und einen bis zum hohen C reichenden Tonumfang hat. Wie gehen Sie diese Herausforderung und diese zwei Rollen an?
Ich muss sagen, ich liebe es!! Herausforderungen generell und dies im Besonderen. Beide Rollen liegen mir sehr gut und beide haben jeweils einige sehr exponierte Momente- sei es in der Tiefe und in der Höhe. Ich arbeite immer daran, die Stimme farblich durch alle Übergänge auszugleichen und an solchen Passagen arbeitet man natürlich umso mehr. Aber zum Glück liegen alle Töne gut im Stimmumfang, das heißt, es gilt „nur“, sie dem Charakter der Rollen, des Textes und der Dynamik anzupassen .

Was können Sie über die Produktion am Staatstheater Wiesbaden sagen? Es ist eine sehr frische Sicht auf das Stück. Dem Regieteam um Daniela Kerck und Olesya Golovneva und auch dem Dirigenten Philipp Pointner ging es von Anfang darum, eine springende Geschichte zu erzählen. Theater und Oper im besten Sinne zu machen. Das Stück gibt so viel her, und ich glaube, wir haben einen sehr märchenhaften Zugang gefunden. Gespickt mit atemberaubenden Videos von Astrid Kessler.

Welche Rollen werden Sie demnächst in Ihr Repertoire aufnehmen? Und welche zukünftigen Engagements sind geplant? Mein nächstes Engagement führt mich direkt zum Tokyo Spring Festival für die Magdalene in den Meistersingern von Nürnberg unter Janowski. Dann geht’s als Gymnasist/Gaderobiere in Lulu ans Theater an der Wien [Wiener Festwochen]. Schöne Debüts, über die ich mich sehr freue!
In meinem Repertoire sind für die nächste Zukunft Rollen wie Komponist, Venus, Fricka, Judith (Blaubart) geplant. Aber auch Marguerite (Damnation) oder Charlotte… es gibt sooo vieles.

Katrin Wundsam/Foto Liliya Namisnyk

Was können Sie uns über Ihre Erfahrungen als Ensemblemitglied der Oper Köln erzählen? Ich hatte eine tolle Zeit in Köln. Ich habe dort gelernt, eine Sängerin zu sein. Viele tolle Partien in den verschiedensten Spielstätten. Und mir wurde immer ermöglicht zu gastieren, ein Netzwerk aufzubauen.

Wie bzw. nach welchen Kriterien haben Sie Ihr aktuelles Repertoire aufgebaut? Nun ganz ehrlich, wenn man als junge Sängerin ins Festengagement kommt, ist man immer etwas abhängig davon, was einem angeboten wird. Ich hatte Riesenglück, denn Uwe Laufenberg hat mich von Anfang an unterstützt und auch auf sein eigenes Risiko mit größeren Rollen ohne Orchesterproben besetzt. Auf meinen eigenen Wunsch. (lacht) So geschehen bei Clemenza di Tito, als ich ablehnte, Annio zu singen… Und weil ich mir den Sesto eingebildet habe, hat er ihn mir gegeben. Ohne Orchesterproben, weil die gab’s nicht. Das war eine grandiose Herausforderung und etwas, das ich nicht vergesse.

Welche Opernaufnahme würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen? Muss es Oper sein? Wenn, dann einen Ring, da hat man auch lange was von! (lacht)

Auf Social Media teilen Sie regelmäßig Fotos und Videos Ihres Bauernhofs, den Sie mit Ihrem Mann neu aufbauen.  Ja. Unser Lebensprojekt. Der Hof der Großeltern meines Mannes, circa 300 Jahre alt, wurde von uns abgerissen – bis auf zwei Stallungen. Den Rest bauen wir mit dem alten Holz, eigenen Tannen und nachhaltig im alten Grundriss wieder auf. Eigene Energieversorgung, eigene Quelle und Hackschnitzel aus eigenem Wald runden unsere recht energieautonome Bauweise ab. Hinein kommen die Firma meines Mannes Reitinger Ofenbau & Fliesen, und ein Musikbereich, der wohl auch für Kammermusik, Vernissagem, Meisterkurse, etc. genutzt werden wird.

Katrin Wundsam/Foto Liliya Namisnyk

Sie sind ja auch Coach für Angstbewältigung. Ich bin hier noch in Ausbildung, habe diese in der Coronazeit begonnen. Lampenfieber bis hin zur Panik war immer ein großes Thema für mich und ich glaube, über die Jahre habe ich mir einiges angeeignet, was den Umgang damit gut erträglich macht. Sehr viel in eigenem trial-and-error Verfahren. Und sehr viel mit Hilfe von Dr Anja Walter Riß, einer fantastischen Coach, die mich seit drei Jahren begleitet. Solch eine Art von Hilfestellung und Begleitung stelle ich mir auch vor, geben zu können. Nicht nur für SängerInnen. Für alle, die sich trotz hoher Kompetenz selbst im Weg stehen, weil das Lampenfieber sie von den „Bühnen“ fernhält.

Und wie würde eine ideale Spielzeit für Sie aussehen? Hm…. Komponist, Fricka, Blaubarts Burg. Gespickt mit tollen Konzerten wie Verdis Requiem, Ravels Sheherazade und immer gern 9. Beethoven, weil sie einfach auch beim 100.Mal mein Herz berührt (Foto oben als Sesto/ La Clemenza di Tito/ Paul Leclair).