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Ein ganz harmloses, idyllisches Libretto wünschte sich Pietro Mascagni nach seinem Sensationserfolg mit Cavalleria Rusticana, denn das auf dem Roman von Giovanni Verga basierende hatte seiner Meinung nach zu viel Aufmerksamkeit bei Kritik und Publikum gefunden und seine Musik in den Schatten gestellt. Das Booklet zur Blu ray von L’amico Fritz von Dynamic berichtet davon und stellt damit einen bemerkenswerten Kontrast zu Giuseppe Verdi her, der immer darauf versessen war, ein noch leidenschaftlicherisches, noch dramatischeres Sujet als das gerade verarbeitete von seinen Librettisten geliefert zu bekommen. L’amico Fritz erfüllte die Wünsche seines Komponisten in idealer Weise, in ländlichem Milieu spielend und mit einer Heirat endend, ohne dass die Wogen der Leidenschaften allzu hoch hätten gehen können. In nur zwölf Tagen war das Libretto von Pierre Suardon fertiggestellt, einiges noch von Mascagni und Freunden hinzugefügt, und 1891 konnte die neue Oper im Teatro Costanzo von Rom uraufgeführt werden, wo die Musik gefiel, die vom Komponisten mit einem „la mia musica è per i cuori buoni“ klassifiziert worden war. Zwei berühmte Sänger, Emma Calvè, auch die erste Santuzza, und Fernando De Luca waren ebenfalls Garanten des Erfolgs, der allerdings ein im Vergleich zur Cavalleria recht kurzlebiger war, und nur das Kirschenduett erlangte eine dauerhaftere Popularität. In gewisser Weise bedeutet L’amico Fritz durch die Wiedereinführung einer Rolle en travestie und die Gliederung in einzelne Gesangsnummern einen Schritt zurück in der Musikgeschichte.
Während des Maggio Musicale Fiorentino des Jahres 2022 wurde trotz Corona das Stück mit Chor und sogar reichlich zusätzlichem Personal aufgeführt, der Kinderchor mit durchsichtigen Masken ausgestattet. Das Bühnenbild von Gary McCann weicht etwas von den Angaben des Librettos ab, zeigt für den ersten Akt ein Café mit französischem Flair, für den zweiten das Arbeits- und Lagerzimmer von Fritz Kobus und kehrt dann ins Bistro zurück. Nicht mehr ein Rabbiner ist der hochzeitsstiftende Freund David, kein Zigeuner der fiedelnde Beppe, obwohl dieser mit einem „Viva lo zingaro“ empfangen wird. Die Regie von Rosetta Cucchi hat die Handlung in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts verlegt, Suzel trägt Jeans und hämmert als Bürokraft auf einer Schreibmaschine herum, zur ihrer Romanze trägt sie Kopfhörer auf den Ohren.
Wie in Cavalleria ist die rein orchestrale Musik, so das Vorspiel zum 3. Akt, besonders den Ohren schmeichelnd, ein weiterer Höhepunkt ist das Violinsolo, das mit dem Erscheinen des Beppe verbunden ist, und auch die Oboe hat einen besonders schönen Auftritt.
Die Titelpartie singt Charles Castronovo mit dunkler gewordenem Tenor, der im Duett mit Suzel aufblühen kann und insgesamt metallischer erscheint als erinnerlich. Die bekannten Plattenaufnahmen lassen zum größten Teil einen mehr im Lyrischen angesiedelten Tenor vernehmen. Die erst im Verlauf der Handlung Angebetete, Salome Jicia, tut trotz der modernen Jeans recht gschamig, verfügt über einen dunklen, weichen Sopran, der sich im „Non mi resta che il pianto“ schön entfaltet und eigentlich nicht so recht zur blonden Perücke passt. Teresa Iervolino ist der Beppe mit geschmeidigem Mezzosopran, Massimo Cavaletti der würdige David mit samtweichem Piano des sonoren Baritons, der überzeugend trösten kann. Riccardo Frizza leitet souverän das Orchester des Maggio Fiorentino.
Zum Schlussapplaus erscheinen alle Solisten mit gelb-blauer Schleife am Revers, es war schließlich nicht nur Corona-, sondern dazu auch noch Kriegszeit (Dynamic 57960). Ingrid Wanja