Mit und ohne Orchester

.

Die Versuchung, Lieder von Franz Schubert zu orchestrieren, hält sich hartnäckig. Schon Zeitgenossen wie Hector Berlioz haben sich damit versucht. Dessen hochdramatische Bearbeitung des Erlkönig hat ihre Faszination bis in die Gegenwart behalten und ist oft eingespielt worden. Hermann Prey hat die Ballade als einer der ersten Sänger bei RCA auf einer Platte mit zahlreichen anderen Bearbeitungen eingespielt. Neben Berlioz finden sich darauf die Namen von Johannes Brahms, Franz Liszt, Jacques Offenbach und Richard Strauss. Anne Sofie von Otter und Thomas Quasthoff legten ein Album vor, auf dem sich auch Orchestrierungen von Benjamin Britten und Anton Webern (Deutsche Grammophon) finden. Bei Erato entstanden Einspielungen mit Wiebke Lehmkuhl und Stanislas de Barbeyrac. Besonders oft taucht in den Tracklisten der Name Max Reger auf. Von ihm ist überliefert, dass er für seine feinsinnigen Orchestrierungen einen ganz praktischen Grund hatte. Als Dirigent setzte er Lieder gern auf seine Konzertprogramme zwischen sinfonische Werke. Es störte ihn, dass dafür immer ein Konzertflügel aufs Podium geschoben werden musste. Also versah er sie mit Orchesterstimme. Sämtliche Versionen sangen Camilla Nylund und Klaus Mertens komplett für eine CD bei cpo.

Matthias Goerne geht mit seiner neuen CD, die bei Deutsche Grammophon erschienen ist, einen ganz anderen Weg (500741). Er greift nicht auf Vorhandenes zurück. Die Orchesterstimmen stammen allesamt von Alexander Schmalcz, seinem langjährigen Begleiter. Er hat neunzehn Titel im Programm, darunter Ganymed, Fahrt zum Hades, Schäfers Klagelied, Drei Gesänge des Harfners, Des Schäfers Liebesglück, Alinde. Selbstreden ist auch Erlkönig dabei. Grenzen der Menschheit mit gut sieben Minuten ragt nicht nur wegen seines schwergewichtigen Inhalts sondern auch der Form nach deutlich heraus. Goerne ist des Lobes voll über die Arbeit von Schmalcz und folgt dessen Eingebungen mit stimmlicher Professionalität und Hingabe zugleich: „Sein Einfallsreichtum bei der Adaption dieser Lieder für das Orchester ist enorm, sein stilistisches Feingefühl und sein subtiler Ansatz, die richtigen Instrumente im richtigen Moment einzusetzen, sind wirklich erstaunlich. Die Auswahl an Liedern bekommt eine klangliche Dimension, die das Klavier so nicht darstellen kann. Das heißt nicht, dass sie besser ist, sondern anders“, so der Sänger, der von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Florian Donderer begleitet wird.

Anders“– das trifft es. Wenn nicht sogar – ganz anders. Wer sich darauf einlassen will und kann, dem sind spannende und durchaus unterhaltsame Momente garantiert. Ich habe mich nicht eine Minute gelangweilt mit dieser CD. Verglichen mit weiter oben genannten Beispielen führen die Bearbeitungen von Schmalcz nach meinem Empfinden zu sehr von Schubert weg, als dass sie ihn viertiefen. Allenfalls illustrieren sie ihn. Das kann durchaus positive Wirkungen haben auf jenen Teil des Publikum, der sich mit dem klassischen Klavierlied noch immer schwer tut. Musikalische Einleitungen wie bei Heimweh, Pilgerreise oder dem das Programm abschließenden Abendstern klingen wie auch Passagen innerhalb einzelner Lieder fast einschmeichelnd. So gehört, hat CD hat die Potenzial, Anstöße für die vertiefte Beschäftigung mit dem Original zu geben.

.

Mit dem Original also, wie es auf der CD mit dem Bassisten Andreas Bauer Kanabas anzutreffen ist, die bei Avi-music erschien (8553516). Begleitet wird er von Daniel Heide. Im Zentrum der Neuerscheinung steht Schuberts Schwanengesang, jene Sammlung, die erst nach seinem Tod zu ihrem Namen kam. Zunächst sind Der Wanderer, Totengräbers Heimweh, Der Tod und das Mädchen sowie Wehmut im Angebot. Diese Balladen sind ein gelungener Einstieg. „Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück“, singt der Wanderer, der vom Gebirge her kommt. Und umreißt mit diesen bekannten Worten die Gedanken- und Gefühlswelt des Komponisten. Bauer, der erst seit wenigen Jahren den Zusatz Kanabas in seinem Namen trägt, verleugnet nicht den Opernsänger, als der er vorzugsweise tätig ist. Sein Liedvortrag entwickelt sich aus dem Wort und der jeweiligen dramatischen Situation. Das muss kein Nachteil sein, zumal er sehr gut zu verstehen ist. Er vermag, regelrecht plastisch zu singen. Atlas oder Doppelgänger wuchtet er stimmlich so hin, als stünden sie vor einem. Bei ausgesprochen lyrischen Titeln greift diese Methode nicht so überzeugend. Da wünschte man sich doch mehr Eleganz und mehr Farbe iom Ausdruck. Rüdiger Winter