So überflüssig wie ärgerlich

Wann darf ein Rezensent ein 350 Seiten umfassendes Buch über eine Sängerin, die ihre Karriere zumindest teilweise der Gunst Adolf Hitlers zu verdanken hat, bereits nach dem Lesen von 216 Seiten beiseitelegen? Wenn er folgende Sätze lesen muss: „Unter seiner Leitung hatte sich das Deutsche Opernhaus sehr verändert. Früher hatte man zeitgenössische Werke gespielt, Offenbach und Meyerbeer. Jetzt, unter dem neuen Intendanten, waren auf einmal ganz andere Werke gefragt. Nun spielte man Wagner, Lorzing und Kienzl.“

Hatte man sich bis dahin in Geduld geübt beim Lesen von Mädchen mit Beziehungen der Autorin Hanna von Feilitzsch, das sie als „biographischen Roman“ bezeichnet, waren einem bereits zahlreiche Fehler im Schildern der Zeit von den Zwanzigern bis zum Kriegsbeginn 1939 aufgefallen, angefangen von Begriffen, die es noch gar nicht hatte geben können wie „Führerhauptquartier“, in dem die Tochter Leo Slezaks, Margarete (aus der Ehe mit der der Schauspielerin Elisabeth Wertheim), Hitler vor Kriegsbeginn anzurufen versucht, oder „Persilschein“, den sie ihrem Vater ebenfalls noch vor Kriegsausbruch zu verschaffen weiß.  Auch will diese Hitler mit dem später berühmt-berüchtigten Bärtchen bereits vor dem Ersten Weltkrieg gesehen haben, als er es nachweislich noch nicht trug; die zahlreichen Gastspielreisen des Vaters in europäische Hauptstädte dürften während des Kriegs illusorisch gewesen sein, eher glaubt man schon an die mit Hakenkreuzen verzierten „bröseligen“ Lebkuchen im Hause Hitler, dessen Hauptverbrechen zunächst einmal darin zu bestehen scheint, dass der Tee  „dünn“ ist und die Petit Fours „blass“ sind. „Ob der frenetische Jubel und die Hurraschreie nur von der deutschen Polizei und dem deutschen Militär oder auch verstärkt von den Österreichern kamen – wer vermochte das zu sagen.“ Das kann ohne weiteres das reichhaltige Filmmaterial, das  eine eindeutige Antwort gibt. Anders sieht es mit der Behauptung der Verfasserin aus, die SS hätte sofort nach dem „Anschluss“  sämtliche Lebensmittelläden geplündert, so dass die Wiener nichts mehr zu essen hatten.  Von der SA dagegen scheint die Autorin wenig zu wissen, wenn sie an anderer Stelle von „Hitlers Polizei“, und das vor der Machtergreifung, schreibt. Zustimmen allerdings kann man ihr, wenn sie meint: “Hitler war ein vielbeschäftigter Mann.“ Weniger wäre allerdings besser gewesen. Nicht Ehen zwischen Christen und Juden, sondern zwischen „Ariern“ und Juden waren verboten. Und was flüsterte Goebbels der Sängerin zu? Wir erfahren es nicht, obwohl die Autorin ansonsten sehr unbefangen mit dem umgeht, was sie als erfundenen „Kitt“, als Verbindungsmasse zwischen den historischen „Tatsachen“ bezeichnet.

So wenig informiert wie über die geschichtlichen Zusammenhänge ist von Feilitzsch über Oper, Sänger und Stimmen. Sonst würde sie mehr über die künstlerischen Leistungen ihrer Heldin zu berichten wissen, als dass diese mit viel Herz, mit Humor, mit Anmut zu singen und zu bezaubern weiß, würde nicht Intonation mit Diktion verwechseln und  wissen, dass man in der Opern nicht mit „Hochrufen“, sondern mit „Bravo“ seine Zustimmung äußert, dass es in Lohengrin kein hohes C des Tenors gibt und dass das hervorstechendste Attribut der Slezak-Stimme (Vater) nicht „glockenrein“ war, so wie das der Stimme der Tochter nicht „samtig“. Über die Rollen wie Turandot und Traviata wird nichts berichtet, außer, dass Kritiker und Zuschauer sich in ihrer Begeisterung überschlugen, wobei es zur damaligen Zeit Artikel über jede Vorstellung gegeben zu haben scheint, nur bekommt man davon nicht einen einzigen zu Gesicht, obwohl es einen knappen Anhang mit Fotos und Originaltexten gibt. Zu denen  gehört auch ein Entschuldigungsschreiben Hitlers für eine schlechte Kritik in seinem Blatt. Eigenartig berührt  ein Foto mit der Widmung Magarete Slezaks für Hitler. Hat sie es nicht an ihn abgeschickt, wie es im Text behauptet wird, oder hat er es ihr zurück geschickt, wovon nichts berichtet wird.  Auch werden die angeblich unzähligen Theateranekdoten, die sich Hitler von Margarete Slezak erzählen lässt, dem Leser sämtlich vorenthalten, dafür ihm aber weisgemacht, mit einer Wurzen könne man „ein strahlender Stern am Opernhimmel“ werden.  Das Buch ist für einen „Roman“ nicht anschaulich und detailliert, für Biographisches nicht kenntnisreich und seriös genug. So bleibt der „Roman“ abstrakt, wenn es heißt „schreckliche Szenen spielten sich ab“ oder  wenn das Berliner Nachtleben pauschal als hektisch und  rauschend bezeichnet wird.

Auch stilistisch kann der „biographische Roman“ nicht befriedigen, denn der Wortschatz ist recht ärmlich, zu oft werden Vokabeln wie „glücklich“ (über Essen, Liebe oder Erfolg) und selig“ bemüht, gibt es unglückliche Wendungen wie „ Abertausend arme Sparer“, „marschieren“ Kolonnen „getragen“, „nickte“ jemand wiederholt „langsam“, will Margarete nichts mehr mit ihrem Ehemann zu tun haben, „was auch immer geschehe“, „trieb sie dahin im Strom der Zeit“, „malträtierte… sie ihre Karriere“, „Alkohol übertünchte die innere Leere“, „hinter der Fassade bröckelte der Putz“.  Da spielt es schon keine Rolle mehr, dass die Verfasserin den Unterschied zwischen „anscheinend“ und „scheinbar“ nicht kennt.

Wie sich die Nutznießerin der Zuneigung Hitlers nach 1945 aus der Affaire gezogen hat, kann bei so vielen Mängeln dann nicht mehr interessieren, auch weil es vielen Lesern sicherlich als große Peinlichkeit, wenn nicht gar Obszönität erscheint, dass er in diesem unnötigen Buch als eine Art harmlose „biographische Romanfigur“ erscheint, selbst wenn Vater Leo Slezak immer wieder auf seine Gefährlichkeit hinweist, wobei die Vokabel „Terrorist“, die einmal auf ihn angewandt wird, auch nicht die historisch korrekteste ist (Feilitzsch-Verlag; ISBN 978-3-930931-04-4). Ingrid Wanja

Dazu auch zwei links zum Slezak-Haus und zur Autorin/Hotelbetreiberin