Archiv für den Monat: August 2024

Wer war Bertha Kirchner?

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Lieder von Wilhelm Kienzl, jenem Kienzle, der mit seinem Evangelimann Musikgeschichte geschrieben hat, bei Toccata Classics (TOCC 0736). Mehr musikalisches Singspiel als traditionelle Oper lebt das Werk vor allen durch zwei Melodien auf Tonträgern fort – den zur Arie geformten Choral „Selig sind, die Verfolgung leiden“ und Magdalenas wehmütige Erinnerungen an ihre „schönen Jugendtage“. Kaum ein Tenor, kaum eine Altisten, die sich damit nicht verewigt haben. Bühnenaufführungen sind ehr selten geworden. Umso erfreulicher ist es, dem Komponisten, der einst sehr populär war, wichtige Posten besetzt hielt und mit den Kollegen seiner Zeit sehr gut vernetzt gewesen ist, in Erinnerung zu bringen. Lieder bieten sich an. Sie sind in der Produktion nicht so aufwändig. Der Markt ist schon vergleichsweise gut versorgt. Zumindest aus zweiter Hand ist die CD mit dem amerikanischen Bariton Steven Kimbrough bei Koch/Schwann noch zu haben. Chandos hatte eine Edition mit Christiane Libor, Carsten Süss und Jochen Kupfer gestartet. Dagmar Schellenberger ist bei cpo zu finden, wo vor gut zwanzig Jahren erstmals auch seine Oper Don Quichotte veröffentlicht wurde. Kienzl hat 238 Lieder mit Klavierbegleitung hinterlassen, die fast alle gedruckt vorliegen. Sie „geben Einblick in ein langes Komponistenleben mit einer stetig musikalischen Entwicklung“, vermerkt die österreichische Musikwissenschaftlerin Carmen Ottner im Booklet, wo sich auch die Liedtexte finden. Diesmal sind vier kleine Zyklen im Angebot, die in dieser Geschlossenheit bisher nicht zugänglich waren auf Tonträger. Darauf wird auf dem Cover zurecht verwiesen. Von einfachen „volkstümlichen“ Liedern bis zu an der Grenze der Atonalität harmonisch gestalteten Kunstliedern dokumentierten die „die erstaunliche Bandbreite einer Künstlerpersönlichkeit“.

Solist der neuen CD ist der Tenor Malte Müller. Er wird von Werner Heinrich Schmitt am Klavier begleitet. Müller begann seine Ausbildung bei den Regensburger Domspatzen, studierte zunächst Jura und anschließend Gesang an der Musikhochschule Mannheim. Zum Liedgesang fühlt er sich besonders hingezogen. Er könnte etwas freier singen. In den vielen von Leidenschaft getragenen Liedern entfalten sich die Gefühle, mit denen es rauf und runter geht, nicht immer überzeugend. Sie werden gedeckelt und ausgebremst. Der Vortrag wirkt auf mich zu introvertiert, um noch als so gewollt und beabsichtigt verstanden zu werden. Müller singt für meinen Geschmack oft zu groß. Sein Ansatz hat gelegentlich schon heldisch Züge, die sich mit den poetischen Botschaften oft nicht gut vertragen. Dafür ist er, was für einen Liedsänger ein großer Vorteil ist, ziemlich gut zu verstehen. Sein Timbre hat Wiedererkennungswert. Ottner: „Prinzipiell dominieren Liebesgedichte Kienzls Lieschaffen, oftmals in Verbindung mit Naturbildern, eine Usance, die von zeitgenössischen Musikwissenschaftlern als Schwäche angeprangert wurde.“ Hinsichtlich der textlichen Vorlagen lasse sich Kienzls Oeuvre in zwei Gruppen einteilen: „Volkstümliche“ – und „Kunstlieder“. Der überwiegende Teil der Gedichte stamme von zeitgenössischen, eher wenige von bedeutenden romantischen Dichtern. „Wollte Kienzl einen Vergleich mit Liedkomponisten wie Schubert, Schumann, Brahms, Wolf vermeiden“, fragt sich die Autorin. „Man könnte aber auch das Bildungsideal der damaligen Zeit, in seinem Elternhaus gepflegt, als Erklärung heranziehen.“

Seine literarischen Vorlagen haben oft einen direkten Bezug zu persönlichen Beziehungen mit den Autoren. Den Angaben im Booklet zufolge war Kienzl gut bekannt mit Robert Hamerling (1830-1889), Hermann Lingg (1820-1905) und Peter Rosegger (1843-1918). Linggs Gedicht „Immer leiser wird mein Schlumme“ haben auch Johannes Brahms und Hans Pfitzner vertont. Besonders eng war die Freundschaft mit Rosegger, der in vielen Städten mit Straßennamen und Denkmälern geehrt wurde. Ihr reger Briefwechsel wurde in Buchform veröffentlicht. Als Dichter des Liedes „Wie ist doch die Erde so schön“ taucht Robert Reinick (1805-1852) auf, der Italien bereist hatte und auch als Kunstmaler wirkte. Er war mit Richard Wagner, Ferdinand Hiller und Robert Schumann bekannt, für dessen Oper Genoveva er das Libretto beisteuerte. Solcherart waren damals die segensreichen Verknüpfungen. Nach Angaben der Booklet-Autorin wurden zur Lebenszeit des Komponisten Wilhelm Kienzl Lieder stets von bedeutenden Sängerinnen und Sängern interpretiert, wie es auch durch die Widmungen der auf der CD interpretierten Werke deutlich wird. Der Zyklus Liebesfrühling, der auf Gedichten von Friedrich Rückert beruht, ist Paul Bulss, in anderen Quellen Bulß geschrieben (1847-1902), zugeeignet. Er trat erfolgreiche in Dresden, Berlin und Wien als Holländer, Don Giovanni und Hans Heiling auf. Eine direkte Verbindung zu Kienzl ergibt sich auch daher, dass er in den Uraufführungen seiner Opern Evangelimann (Johannes Freudhofer) und Don Quichotte (Carrasco) mitwirkte. Und wer war Fräulein Bertha Kirchner? Kienzl hat der Königlich Preußischen Hofopernsängerin sein Opus 24 in Form von Drei Albumblättern gewidmet. Mehr ist auch aus dem Booklet nicht zu erfahren. In der siebenbändigen Ausgabe des Großen Sängerlexikons von K.J. Kutsch und Leo Riemens wird sie nicht genannt. In Besetzungslisten der infrage kommenden Berliner Premieren taucht sie auch nicht auf. Rüdiger Winter

Urlaub auf der Insel

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Mit der Veröffentlichung der Tragédie en musique Télémaque & Calypso von André Cardinal Destouches ist das Label Château de VERSAILLES wieder ganz in seinem Stammrepertoire angekommen. Die Aufnahme entstand Anfang Oktober des letzten Jahres in Puteaux und wurde auf zwei CDs mit wie stets gediegener Ausstattung veröffentlicht (CVS128).

Das Libretto von Simon-Joseph Pellegrin beschreibt eine Episode, in der Télémaque, Sohn des Ulysse, vor der Insel der Nymphe Calypso Schiffbruch erleidet und von dieser begehrt wird. Er jedoch ist in die Nymphe Eucharis verliebt, die von Calypso gefangen gehalten wird und in Wirklichkeit Idoménées Tochter Antiope ist.

Das Stück wurde 1714 an der Académie royale de musique in Paris uraufgeführt, erlebte 1730 eine Wiederaufnahme in veränderter Fassung, welche für diese Weltersteinspielung genutzt wurde. Musikalisch gilt Destouches als Nachfolger Lullys, bemüht, den Stil seines großen Vorgängers fortzuführen. Die Figur der Calypso steht in der Tradition einer Armide, Médée, Circe und Didon. Die Neufassung 1730 zeichnet sich durch Verbesserungen in der Orchestrierung und Harmonie aus, gestaltet die Dialogszenen lebendiger und emotionaler. Bestimmte Szenen, wie Calypsos Traum im 1. oder die Chaconne im 3. Akt, beweisen Originalität und Erfindungsreichtum, zeigen alles andere als ein Epigonentum zu Lully.

Die Aufnahme glänzt durch eine exzellente Besetzung, angeführt von Isabelle Druet als Calypso mit substanzreichem Sopran und gewichtiger Autorität. Höhepunkte ihrer Interpretation sind ihr Solo mit atemloser Erregung zu Beginn des 5. Aktes („Haine. dépit, fureur“) und die packende Schluss-Szene („Quels sifflements affreux“). Auch der männliche Titelheld ist in der Darstellung von Antonin Rondepierre eine ideale Besetzung. Sein klangvoller Tenor durchmisst eine plastische Entwicklung der Figur vom introvertierten Beginn („Dieu des mers“) bis zum lebhaften Finale. Emmanuele de Negri gibt der Antiope leuchtenden Umriss, setzt mit ihrem innigen, von der Flöte begleiteten Monolog zu Beginn des 4. Aktes, „Lieux sacrés“, einen Glanzpunkt. Als Adraste, König von Thrakien und Verehrer Calypsos, überzeugt David Witczak mit sonorem Bariton und dramatischem Nachdruck, hinterlässt vor allem im 3. Akt und in seiner Sterbeszene starken Eindruck. In mehreren Rollen besetzt, gefallen Adrien Fournaison, Hasnaa Bennani und Marine Lafdal-Franc.

Das Ensemble Les Ombres, entstanden durch die Zusammenarbeit von Sylvain Sartre und Margaux Blanchard, die auch dieses Projekt künstlerisch verantworten, musiziert mit hinreißender Vitalität, aber auch bestechender Präzision. Wieder eine Aufnahme von VERSAILLES, die das Siegel des Singulären verdient. Bernd Hoppe (3. 8. 24)

Und noch eine „Rusalka“

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Vom Glyndebourne Festival des Jahres 2019 stammt die Inszenierung von Antonin Dvořáks Rusalka und eröffnet interessante Einblicke in die Welt der märchenhaften Waldwesen, angefangen mit einem Hasen mit abnehmbarem Ohrenpaar und Wassergeistern mit ebensolchen Schwänzen, wobei das nur für Rusalka, nicht für ihre Gespielinnen üble Folgen hat, und der Wassermann darf zu Beginn sogar mit einem erigierten Penis protzen, ehe ihm dieser von einer der Nixen abgerissen wird. Regisseurin Nelly Still vermischt märchenhafte Elemente wie flirrende Irrlichter, einen Jägersmann mit Pfeil und Bogen oder Anklänge an die Walpurgisnacht oder eine Art Wolfsschlucht mit der Gegenwart zuzuordnenden wie das recht zügellose Leben im Schloss, wo beim schroff unterbrochenen Liebesakt schon mal der Slip Rusalkas durch die Luft fliegt. Es geht also wüst zu auf beiden Ebenen, nur dass die kreatürliche Wildheit der Waldbewohner im Vergleich zur kalten Grausamkeit der des Schlosses weit eher gewisse Sympathien erringen kann. Die Regie weiß gut mit den Chormassen umzugehen, so in der Szene, in der sich die Hochzeitsgesellschaft immer gewaltsamer zwischen die beiden Brautleute schiebt, so dass schließlich kein Kontakt zwischen den Liebenden mehr möglich ist. Als Choreograph ist Rick Nodine dafür verantwortlich, dass Nixen, Waldtiere wie Hofgesellschaft sich durch angemessene Bewegungen charakterisieren.

Die Bühnenbilder von Rae Smith sind äußerst phantasiereich und aussagekräftig, die ebenfalls von ihr stammenden Kostüme charakterisieren die Figuren eindrucksvoll, werfen aber auch manche Frage auf wie die, warum die Nymphen Strickjacken tragen und die Fremde   ausgesprochen spießig und libidotötend gewandet und frisiert ist.

Das London Philharmonic Orchestra unter Robin Ticciati begleitet (nach dem vorausgegangenen Konzert in Berlin, bei dem Klaus Florian Vogt  sehr eindrucksvoll in letzter Minute als Prinz eingesprungen war) einfühlsam, breitet akustischen Mondesglanz über Rusalkas große Arie und zeichnet sich auch sonst durch die Naturstimmungen behutsam ausmalendes und durch die Sänger unterstützendes Musizieren aus.

Hochzufrieden sein kann man mit den Mitwirkenden, die fast sämtlich sich die tschechische Sprache so sehr zu eigen gemacht haben, dass auch akustisch der Eindruck von Muttersprachlern entsteht. Sally Matthews ist eine attraktive Rusalka mit auch im Piano alle Stimmfarben bewahrendem, üppigem und rundem Sopran, der geschmeidig aufblühen kann, und auch optisch entspricht sie der Vorstellung, die man von der schönen Nixe hat. Einen angenehmen  lyrischen Tenor setzt Evan Leroy Johnson für den Prinzen ein, dem für die stellenweise durchaus dramatische Partie auch die stählerne Höhe nicht abgeht. Weder optisch noch akustisch mit eher strengem Mezzosopran ist Zoya Tsererina so verführerisch, dass die Abtrünnigkeit des Prinzen nachvollziehbar wird. Da macht die wie eine böhmische Bäuerin gewandete Hexe Ježbaba von Patricia Bardon mit schlankem, eindringlichem, in der Höhe stark und farbig bleibendem Mezzo viel eher einen positiven Eindruck. Nicht mehr und nicht weniger als solide waltet der Wassermann von Alexander Roslavets mit etwas fahler Extremtiefe seines Amtes.   Colin Judson und Alix Le Saux wird auf der Suche nach Rettung für den Prinzen viel darstellerischer Einsatz abverlangt, worunter die Gesangsleistung kaum leidet. Alles in allem ist das eine Aufnahme, die durch gute Sängerleistungen und eine behutsam modernisierende, dabei das Märchenhafte respektierende Regie und eine beachtliche Harmonie zwischen Bühne und Graben erfreuende Produktion, die Augen wie Ohren Freude bereitet (Opus arte 13020). Ingrid Wanja     

Barockes Grusel-Kabinett

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Baroque Arias from the Shadows hat die Berliner Mezzosopranistin Laila Salome Fischer beim Randlabel Perfect Noise eingespielt. Scenes of Horror ist der Titel des Albums. Die Aufnahmen dafür entstanden im Dezember 2022 im Schloss Köthen (PN 2023). Die Komponisten sind Händel, Ariosti, Graun und Vivaldi. Die Sängerin wird inspirierend begleitet vom Ensemble Il Giratempo unter Leitung von Max Volbers.

Als Auftakt erklingt die dramatische Szene der Storgé aus Händels Jephta, welche der Platte den Titel gab: „Scenes of Horror, Scenes of Woe“. Die Gattin Jephtas wird hier von dunklen Vorahnungen über das Schicksal der Tochter heimgesucht, die geopfert werden soll. Laila Salome Fischers Mezzo wirkt für diese Szene etwas leicht, entbehrt der Fülle in der Tiefe und des expressiven Nachdrucks.

Von Händel finden sich noch drei weitere Titel im Programm – allesamt berühmt und als cavalli di battaglia vieler renommierter Händel-Interpretinnen legendär. Ariodantes „Scherza infida“ aus der gleichnamigen Oper ist eine Herausforderung für jede Sängerin wegen der emotionalen Abgründe, die in diesem Stück durchmessen werden. Dem Suizid nahe, schildert der Titelheld hier seinen unermesslichen Schmerz im Glauben, dass seine geliebte Ginevra ihn betrogen habe. Die Interpretin hinterlässt hier stärkeren Eindruck durch eine reiche Farbskala mit auch fahlen Momenten. Eine Bravour-Nummer für jeden Mezzo (oder Countertenor) ist Ruggieros „Sta nell´ Ircana“ aus Alcina. Die Arie ist von heroischem Zuschnitt, muss der Held doch gegen das Heer der Zauberin Alcina kämpfen. Fischer kann hier ihr virtuoses Vermögen demonstrieren, zudem die Verve, welche das Orchester vorgibt, aufnehmen und mit einer schwungvollen Interpretation aufwarten.

Mit Dejaniras Recitativo accompagnatoWhere shall I fly!“ aus dem Oratorium Hercules markiert eine Komposition Händels auch das Finale der Anthologie. Hercules´ Gattin  verfällt in den Wahnsinn, als sie erfährt, dass sie ungewollt schuldig ist am Tod ihres Mannes. Zwar fehlt auch hier (wie bei Storgé im ersten Titel) die Substanz in der Tiefe, doch wartet die Sängerin mit einer Fülle von Vokalverfärbungen und Ausdrucksnuancen auf, welche das Stück zu einer plastischen und lebendigen Szene werden lassen.

Zwei Arien des Montezuma aus Grauns gleichnamiger Oper schildern die existentielle Situation des Aztekenkönigs vor seiner vom Konquistador Cortés angeordneten Hinrichtung. „Ah, d´inflessibil sorte“ ist eine Klage über sein Schicksal, in „Sì, corona, i tuoi trofei“ hat er sich damit abgefunden und ist willens, erhobenen Hauptes in den Tod zu gehen. Das erste Solo wird durch ein erregtes Rezitativ eingeleitet, welches die Sängerin beeindruckend formt, und mündet dann in einen flehentlichen, kultiviert vorgetragenen Gesang. Der zweite Titel wird bestimmt durch einen energischen Duktus und beherzte Koloraturen.

Weniger bekannt ist der Komponist Attilio Ariosti, der von 1666 bis 1729 lebte. Aus seiner in Berlin uraufgeführten Oper La fede ne´ tradimenti erklingt die Arie des Fernando „Questi ceppi“, in welcher der Inhaftierte seiner geliebten Anagilda beteuert, dass die Ketten für ihn alle Schrecken verloren haben. Hier ist ein inniger Ton gefordert, den die Sängerin perfekt einbringt.

Das Programm wird ergänzt von zwei Instrumentalnummern aus der Feder Vivaldis. Die dreisätzige Sinfonia aus der Oper L´Olimpiade ist ein Klanggemälde, welches die dramatischen Szenen der Handlung – ein Mordkomplott, ein Suizidversuch, ein Todesurteil – vorweg nimmt. Das Ensemble Il Giratempo entfesselt hier Sturmgewalten mit den aufgewühlten Streicherfiguren und gezielt gesetzten Affekten. Schreckgespenster der Nacht beschwört der Prete rosso im viersätzigen Concerto „La Notte“ g-Moll herauf. Das Ensemble setzt auch diese plastisch um – sei es mit den stockenden Akkorden im einleitenden Largo, dem sich fast überschlagenden Presto-Tempo in Fantasmi oder den Dissonanzen im finalen Allegro. Bernd Hoppe

Festspielwürdig

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Hätte er doch auf Holzhammer plus erhobenen Zeigefinger in Form von orangefarbenen Schwimmwesten und buntkarierten Plastetaschen und damit auf eine plumpe Aktualisierung verzichtet, dann wäre Simon Stone eine rundum gelungene Inszenierung von Bohuslav Martinǔs Oper The Greek Passion  vollauf gelungen. So aber bleibt ein schaler Beigeschmack, wenn nicht Vergleichbares mit einander verglichen, wenn Geschichtsverfälschung zugunsten von Agitprop betrieben wird und von vornherein Gut und Böse kontrastreich einander gegenüber gestellt werden mit einer frömmelnden Gruppe kalkgesichtiger, einförmig kalkweiß gekleideter kinderloser Pseudofrommer gegen eine farbenfroh gewandete ( Kostüme Mel Page) und von einer fröhlichen Kinderschar umgebene Schar freundlicher Schutzsuchender.

Um was geht es eigentlich in Nikos Kazantzakis‘ Roman Christus wird wiedergekreuzigt, der die Grundlage für das Libretto für Martinus Oper darstellt? Es handelt sich um die nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall des Osmanischen Reiches stattgefunden habenden Umsiedlungen von Moslems in die türkischen und von Christen in die griechischen Gebiete, nachdem besonders die Türken bereits einen großen Teil der Christen vertrieben, die Armenier sogar fast ausgerottet hatten. Es kommen also nicht vorwiegend junge Männer mit vorwiegend nicht christlichem Glauben und teilweise befremdlichen Sitten, sondern Menschen, die sich in nichts außer dem Verlust ihrer Heimat von den bereits Ansässigen unterscheiden. Trotzdem entfacht sich der Zorn der Ansässigen, die gerade ein Passionsspiel einzustudieren, an der Tatsache, dass sich einige von ihnen für die Zugezogenen einsetzen, ihnen ihr Vieh (Esel, Zicklein und Lämmlein erfreuen mit ihrem Anblick den Zuschauer) schenken, und einige von ihnen gehen so weit, den Fürsprecher für die Fremden, der seine Rolle als Jesus so sehr verinnerlicht hat, dass er für diese eintritt, zu erschlagen. Die Flüchtlinge ziehen weiter, zwei Frauen, die Geliebte des Ermordeten und ihre Freundin, bleiben trauernd bei dem Leichnam zurück. Ein böses blutrotes „Refugees out“ bleibt als Zeugnis der Unmenschlichkeit auf der weißen Mauer stehen.

Die Oper wurde vom in die USA geflüchteten und nach dem Krieg in der Schweiz lebenden Komponisten zunächst für London geplant, eine überarbeitete Fassung 1959 fertiggestellt und 1961 posthum in Zürich von seinem Freund und Gönner Paul Sacher uraufgeführt. Sie war so erfolgreich, dass zahlreiche Aufführungen in Europa und den USA folgten.

Bei den Salzburger Festspielen des Jahres 2023 galt die Aufführung in der Felsenreitschule als der Höhepunkt einer ansonsten eher mit negativer Kritik bedachten Saison. Der genius loci des Orts wird allerdings wenig genutzt, nur die obersten Arkaden schauen oberhalb einer riesigen weißen Kiste hervor, die man in die Tiefe fahrend verlassen oder aus der man auch sonst durch allerlei kleine Pforten gehen und in sie  kommen kann  ( Bühne Lizzie Clachan). Die Szene kann auch, um Stimmungen zu vermitteln, in ein romantisches Blau oder eine andere Farbe getaucht werden.

Hervorragend ist das Ensemble, das sich mit wahrnehmbarer Hingabe seiner Aufgabe gewidmet hat. Gábor Bretz ist mit seinem Falschheit verschleierndem machtvollem Bass der Priest Grigoris, sein Gegenpol bei den Flüchtlingen ist Fotis, der von Lukasz Golinski mit prachtvollem Bariton und viel Charisma ausgestattet wird. Jesusdarsteller und Opfer des Fremdenhasses ist Manolios, dem Sebastian Kohlhepp eine Sympathie weckende Darstellung und einen strapazierfähigen Tenor zuteil werden lässt. Mit einer zwingenden Darstellung und einem technisch versierten Tenor lässt Charles Workman dem gütigen Yannakos Aufmerksamkeit zukommen. Eine frappierende, die Zuneigung der Zuschauer erzwingende Bühnenpersönlichkeit besitzt Sara Jakubiak für die Katerina, deren Sopran aus einem Guss ist, auch im Forte weich und im Piano farbig bleibt. Ihre Freundin und zeitweise Nebenbuhlerin ist Lenio, die Christina Gansch mit einem einen lieblichen Sopran zum Bühnenleben erweckt. Viele kleinere Partien sind ebenfalls rollengerecht und unverwechselbar besetzt. Maxime Pascal und die Wiener Philharmoniker bringen Sakrales wie Volkstümliches, individuelles Gefühlsleben wie die Massen Bewegendes gleichermaßen stilsicher und bewegend zu Gehör . Ein Sonderlob verdienen die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor.  Videodirektor Davide Mancini lässt Individuelles zur Freude des DVD-Betrachters hervortreten  und setzt ebenso die Volksmassen ins rechte Licht (Unitel 811104). Ingrid Wanja          

Und noch eine …

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Die Verheißung im Programmheft der Deutschen Oper zur Neuproduktion von Wagners Ring des Nibelungen in Corona-Zeiten und kurz danach hatte davon gesprochen, dass wir „durch kollektive Kunsterfahrung zu Göttern werden“, eine Erfahrung, die nicht jedem der Besucher des Sechseinhalbstundenereignisses  der Götterdämmerung im Herbst 2021 zuteil geworden sein mag, eher die der Erschöpfung . Dem Betrachter der Blu-ray vom letzten Abend des Zyklus werden im Booklet dazu durch die Wiedergabe eines Interviews zwischen Regisseur Stefan Herheim und dem Dramaturgen der Deutschen Oper, Jörg Königsdorf, ähnlich wundersame Erkenntnisse versprochen, wenn davon die Rede ist, dass Rheingold, Walküre und Siegfried  sich im mythischen Bereich bewegen, während die Götterdämmerung in eine „säkularisierte Öffentlichkeit“ führt. Die Wagner-Götter glänzen ja bekanntlich in der Götterdämmerung durch Abwesenheit, soweit macht die Aussage über Säkularisierung also Sinn, nicht aber wenn sie bei Herheim einschließlich aller Walküren  entgegen Wagners Absicht auf der Bühne präsent sind, mit den Flüchtlingen aus Rheingold und Walküre die Liebe zu Schiesser-Feinripp teilen(Kostüme Uta Heiseke) , und noch immer oder wieder  füllen wie bereits zuvor in Rheingold und Walküre und im später nachgereichten Siegfried Berge von Hunderten von Fluchtkoffern die Bühne, obwohl die Flüchtlinge, wenn nicht gerade zu Göttern, dann doch  zu Besuchern der Deutschen Oper mutiert  sind, die im auf die Bühne versetzten Parkettfoyer samt seinem Mobile, dieses allerdings außer Funktion, mit Sektgläsern in der Hand flanieren. Und dank der Regie haben sich auch die Chordamen, allerdings stumm bleibend, die Götterdämmerung erobert. Das Gebäude scheint eine große Anziehungskraft und Nachahmungssucht auf Regisseure und ihre Bühnenbildner auszuüben, denn im „Rigoletto“ sah sich der Besucher des 1. Rangs seinem Spiegelbild auf der Bühne gegenüber, und in „Aida“ wurde gar der gesamte Zuschauerraum bespielt, und der arglose Besucher staunte, wenn sein Nachbar plötzlich zu singen anfing.

Nicht nur was die Anwesenheit von Damen, abgesehen von den von Wagner konzipierten, betrifft, ist Herheim schöpferisch tätig geworden, auch in der Behauptung, Hagen würde zu seinen Untaten nicht von Alberich, sondern von Wotan, der auch mal am viel, so als Scheiterhaufen,  beanspruchten Flügel sitzen und wie die anderen in die Tasten hauen darf, der Deckel des Vielseitigen spiegelt auch einmal Pornographisches wider.  Ähnlich vielseitig ist der Einsatz von riesigen weißen Tüchern, natürlich als Brautschleier, Leichentuch, Betttuch, Zudecke, Fanggerät und des Rheines Fluten.  Sehr oft hat man den Eindruck, die Inszenierung erstarre in der Ausstellung des Dekorativen (Mitbühnenbildnerin Silke Bauer) , statt dass Interaktion zwischen den Figuren stattfindet. Und wenn Alberich, Siegfried und Gunther mit Clownsmasken auftreten ( Gunther auch bei der Überwältigung Brünnhildes dabei ist   und die Nacht mit ihr verbringt, dann fragt man sich, wie der Verdacht aufkommen kann, Siegfried habe nicht Nothung zwischen sich und die Braut des Blutsbruders  gelegt), dann reiht sich eine Ungereimtheit an die andere. Es gibt viele Gründe, warum man nach wie vor dem Friedrich-Ring, der dem Herheims weichen musste, nachtrauert,  und einer davon ist die Gestaltung der Szene mit dem Vergessenstrunk. Während im alten Ring eine wundersame Verwandlung Siegfrieds ins Wesenlose stattfand, stürzt der sich nun auf Gutrune, um ihr sofort an die Wäsche zu gehen. Viele alte Regiehüte werden noch einmal ausgekramt, so die Lichtkegel ins Publikum, das Abgehen des Chors, der, was die Damen betrifft, keiner ist, durch die Saaltüren, die Benutzung der Rampen seitlich über dem Orchestergraben für Aktionen, das Platzieren eines Solisten unter den Zuschauern, alles schon gehabt und nie für gut befunden. Und wenn Hagen Siegfried nicht nur ersticht, sondern ihm auch noch den Kopf abschlägt, dann setzte es doch sehr in Erstaunen, dass der abgeschlagene Kopf eine andere Frisur hat als der kurz zuvor noch auf dem Rumpf befindliche, ganz abgesehen von Assoziationen mit Salome, wenn die Damen sich des Hauptes annehmen. Der Schluss, der eine den Bühnenboden reinigende Putzfrau zeigt, ist ebenfalls wenig originell. Den Anspruch, den der Text im Programmheft und das Interview im Booklet erheben, löst die Aufführung nicht ein, die am besten gelingt, wenn all der erwähnte Schnickschnack entfällt wie in der Szene mit Waltraute oder der mit den Rheintöchtern.  Generell kann man feststellen, dass die Aufnahme erträglicher ist als das Live-Erlebnis, weil oft nur ein Ausschnitt, die jeweils singende Figur, zu sehen ist und nicht durchgehend die zugemüllte Bühne in ihrer scheußlichen Gesamtheit. Dann hat diese Produktion wahre Größe, aber auch die nicht kollektive, sondern einsame häusliche Kunsterfahrung lässt den Genießer kaum das in Aussicht gestellte Zum- Gott-Werden erreichen.

Keine bessere Brünnhilde als die von Nina Stemme konnte sich ein Haus wünschen, und auch an dieser Aufnahme erfüllt sie alle hochgespannten Erwartungen mit einem dunkel strahlenden, unermüdlichen Sopran der unangefochtenen Höhensicherheit und mit einer der Wotanstochter würdigen Darstellung trotz des schlichten Flatterhemdchens, das ihr für die gesamte Aufführung verordnet worden ist . Fast zu einer Karikatur haben Regie und Kostümierung den Siegfried von Clay Hilley gemacht, von Kopf bis Fuß oder Flügelhelm bis Wadenbändern das Klischee eines germanischen Helden erfüllend, dann aber auch im Frack und, angesichts der Körperfülle des Sängers grenzwertig, ebenfalls in Schiesser-, ja Feinripp. Voll entschädigen für die verstörende Optik kann der Sänger mit einem nimmermüden, nie matt werdendem Heldentenor, der sich unterschiedslos großzügig nie verausgabt, so aber auch zu keiner Steigerung mehr für Brünnhilde, die heilige Braut, fähig ist, sondern sein bemerkenswertes Stimmmaterial unterschiedslos verschwendet. Im Gegensatz dazu lässt der Hagen von  Gidon Saks kaum mehr als einen Schatten von Bassgewalt vernehmen, brüchig und unausgeglichen und auch optisch nicht die Erfüllung. Mit einem sonoren Bariton und mit der besten Diktion der Aufführung erfreuend, ist Thomas Lehman ein vorzüglicher Gunther, Aile Asszonyi gibt das Dummchen von Gutrune mit schönem lyrischem Sopran. Jürgen Linns Bariton ist fast zu klangvoll für den bösen Alberich. Okka von der Damerau glänzt durch eine eindringliche, klangvolle Bittstellerin Waltraute. Schöne junge Stimmen aus dem Ensemble kann die Deutsche Oper für Rheintöchter ( Meechot Marrero, Karis Tucker, Anna Lapkovskaja) und Nornen (Anna Lapkovskaja, Karis Tucker, Aile Asszonyi) aufbieten, die sich optisch übrigens nicht voneinander unterscheiden. Der Herrenchor lässt sich durch die Anwesenheit der Damen nicht irritieren, sondern  die Mannen so machtvoll wie kultiviert schmettern (Jeremy Bines) . Im schimmernden, glanzvollen Orchesterklang,  kann man genussvoll baden, ohne zu überhören, wie fein und nuancenreich im Orchestergraben ausgelotet wurde, was auf der Bühne oft in allgemeiner Betriebsamkeit unterging. Generalmusikdirektor Donald Runnicles hatte aus seinem Klangkörper ein wunderbares Wagnerorchester gemacht (Naxos NBDO160V). Ingrid Wanja

Der reiche Klang

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Wann, wenn nicht jetzt? Warner hat im Bruckner-Jahr 2024 dessen Sinfonie drei bis neun mit Sergiu Celibidache und den Münchner Philharmonikern neu aufgelegt (5021732248558). Bruckner wurde vor 200 Jahren, nämlich am 4. September 1824 in Oberösterreich geboren. Es handelt sich um Stereo-Mitschnitte zwischen 1982 und 1995 aus der Philharmonie am Münchner Gasteig. Sie waren nach dem Tod des Dirigenten zunächst bei EMI erschienen. Und zwar mit seiner testamentarischen Billigung. Platteneinspielungen hatte er zu Lebzeiten grundsätzlich abgelehnt. Als Teile einer umfangreichen Edition gab es auch Werke anderer Komponisten. Bruckner aber ragte mit insgesamt zwölf CDs wie ein Gebirge heraus. Um ihn drehte sich das gesamte geistige und musikalische Wirken von Celibidache. Für ihn war er der „größte Symphoniker aller Zeiten“. Niemand sei so weit wie ermit seiner klangbezogenen Korrelationsfähigkeit in den Kosmos eingedrungen“, wird Celibidache in dem Buch Stenographische Umarmung (ConBrio Verlagsgesellschaft 2002) zitiert. Entsprechende Denkanstöße liefert auch das Booklet. Doch die Besonderheit der neuen Ausgabe ist technischer Natur. Wer sich auskennt, entdeckt das Super-Audio-CD-Logo schon auf der Vorderseite der Box. „Newly remastered for Hybrid SACD by Astuo Fujita“, ist im Innern zu erfahren. Das komplizierte technische Verfahren wird in nicht eben einfacher Sprache erläutert. Dass der „reiche Klang, die Weichheit und der Hall des Saals bewahrt oder verbessert“ worden seien, versteht auch der Laie und dürfte von jenen Konzertbesuchern mit Erleichterung aufgenommen werden, die mit der Akustik am Gasteig seit jeher fremdelnden. In der Tat können sich die Aufnahmen hören lassen. Für den Dirigent aber sind „breite Tempi die unabdingbare Voraussetzung“ um die „Vielfalt der Stimmen und Klangphänomene zum Aufblühen zu bringen“. Sie bleiben vom Remastering unberührt und haben dem Dirigenten viel Kritik eingebracht. Selbst noch so geglückte Mitschnitte wie in der Warner-Box können das Phänomen Celibidache und seine Einzigartigkeit nicht vollständig erfassen. Man muss ihn auch gesehen, gespürt haben. Betrat er das Podium, war die Stimmung im Saal plötzlich eine andere. Während er sich etwas umständlich vor dem Orchester positionierte, übertrug sich eine fast unerträgliche Spannung bis in die letzte Reihe. Stille. Der hartnäckigste Husten verstummte. Ging es dann endlich los, war es wie eine Erlösung. In der Hamburger Laeiszhalle hatte ich mir ganz bewusst einen Rangplatz neben dem Proszenium gesichert, um sein Gesicht zu sehen, auf dem sich ganz genau abbildete, was aus den Instrumenten kam. Es war mir bis dahin nicht bewusst gewesen, dass ein Antlitz so viele unterschiedliche Regungen zeigen kann. Er dirigierte immer aus dem Kopf. Eine gedruckt Partitur hätte ihn womöglich gestört, denn er hatte sie in sich. Sozusagen immer dabei.

Mir fällt Knappertsbusch ein, der einst auf die Frage, warum er nicht auch auswendig dirigiere, antwortete: „Weil ich Noten lesen kann.“ Für diesen konservativen Kapellmeister alter Schule war die Partitur auf dem Pult wohl auch ein Sinnbild des Respektes, der dem musikalischen Kunstwerk und seinem Schöpfer zu zollen war. Dennoch hielt Celibidache nicht allzu viel von ihm. In dem bereits erwähnten Buch wird er mit den Worten zitiert: „Ein schlechter Musiker und nicht so schlechter Dirigent. Die wenigen Proben, die er brauchte, das Orchester noch zusammenzuhalten, das war schon eine Leistung.“ Dabei sind sie sich so unähnlich nicht. Sie hatten in München ihren Lebensmittelpunkt gefunden, trafen sich in ihrer abgöttischen Liebe zu Bruckner, hielten Distanz zu Aufnahmestudios und ließen Musik erst im Moment der Aufführung entstehen. Der gravierende Unterschied war, dass sich Knappertsbusch wohl stärker als sein Kollege von der Inspiration des Augenblicks tragen und mitreißen ließ. Bei Celibidache war alles bis ins Allerkleinste kalkuliert und vorbereitet. Auch wenn dasselbe Werk immer etwas anders klang. Wie die Coda von Bruckners 4. Sinfonie in ihrer kolossalen Steigerung, die sich in einem anderen Mitschnitt aus München noch monumentaler entlädt als in der Aufnahme der klanglich verbesserten neuen Ausgabe. Für derartige aufschlussreiche Vergleiche sind Tondokumente unerlässlich. Für Celibidache begann die Bruckners Meisterschaft erst mit der dritten Sinfonie. Daraus erklärt sich, dass nicht alle einschlägigen Werke aufgeführt wurden was schade ist. Andererseits wirft diese Praxis auch ein Licht auf den Dirigent, der sich offenkundig nicht in der Lage sah, einen etwaigen Mangel in der Komposition durch eigenes Zutun am Pult auszugleichen.

Ergänzt wird das CD-Programm durch eine Probe der unvollendeten 9. Sinfonie sowie das Te Deum und die Messe Nr. 3 in f-Moll. Margaret Price wirkt in beiden Werken mit. Im Te Deum singt Christel Borchers die Altpartie. Doris Soffel ist damit in der Messe besetzt. Einmal mehr behauptet sich diese Sängerin in ihrer enormen Vielseitigkeit, die sie mit allen bedeutenden Dirigenten zusammenführte. Die Tenöre sind Claes H. Ahnsjö und Peter Straka, die Bassisten Karl Helm und Matthias Hölle. Rüdiger Winter

Siegfried Lorenz

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Namentlich Besucher der Berliner Staatsoper werden sich an den Sänger Siegfried Lorenz (30. 8. 1945)  erinnern, der am 24. 8. 2024 verstarb. Ein Beitrag bei Wikipedia fasst seine Lebensdaten zusammen.

Siegfried Lorenz studierte von 1964 bis 1969 an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin Gesang und war dort Meisterschüler von Alois Orth. Nach mehreren internationalen Wettbewerbspreisen wurde er 1969 von Walter Felsenstein an die Komische Oper Berlin verpflichtet. Bis 1973 war er dort als lyrischer Bariton engagiert. 1973 wurde er von Kurt Masur, der für Lorenz die Stelle eines „ersten Gesangssolisten“ am Gewandhaus schuf, an das Leipziger Gewandhaus verpflichtet. Lorenz machte sich vor allem auch als Bach-Interpret und Liedsänger einen Namen. Seine Einspielungen der Lieder Franz Schuberts sind mehrfach preisgekrönt.

Von 1978 bis 1992 war Lorenz als erster lyrischer Bariton an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin engagiert. Dort erzielte er unter anderem mit dem Wolfram aus „Tannhäuser“, dem Grafen aus der „Hochzeit des Figaro“, Marquis von Posa aus „Don Carlos“ sowie dem Borromeo aus Pfitzners „Palestrina“ große Erfolge.

Zu seinen CD-Einspielungen gehören Mahlers „Kindertotenlieder“ mit dem Gewandhausorchester unter Kurt Masur, die Schubert-Lieder mit Norman Shetler, die EMI-Einspielung der „Meistersinger von Nürnberg“ (in der Lorenz den Beckmesser singt) unter Wolfgang Sawallisch, die Bach-Solokantate „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ und „Ich habe genug“ mit dem Collegium Musicum Leipzig unter Max Pommer, Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ unter Günther Herbig sowie „Fünf Lieder nach Friedrich Rückert“ mit der Staatskapelle Berlin unter Otmar Suitner.

Lorenz gastierte mit namhaften Orchestern und Dirigenten in Europa, den USA und Japan. 1979 wurde er zum Kammersänger der Deutschen Staatsoper Berlin ernannt und 1982 zum Professor berufen. Von 2001 bis 2003 war er Professor für Gesang an der Musikhochschule Hamburg, seit Oktober 2003 war er Professor für Gesang an der Universität der Künste Berlin. Wikipedia

Bereicherung im Donizetti-Kanon

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Genau zweihundert Jahre nachdem sie nach einer erfolglosen Premiere in einen Dornröschenschlaf versank, erwachte die Partitur von Gaetano Donizettis opera seria Alfredo il Grande im Herbst 2023 in seiner Heimatstadt Bergamo zu neuem und diesmal weit erfolgreicherem Leben. Zu danken ist das einer klugen, humorvollen Regie, teilweise vorzüglichen Sängern und einer zwar noch ganz Rossini verhafteten, auch von Mayr beeinflussten, aber auch schon das Talent des jungen Komponisten verratenden Partitur  mit anspruchsvollen Gesangspartien. Kaum Interesse beim damaligen und noch weit weniger beim heutigen Publikum erwecken können die Personen des Stücks und das Schicksal, das ihnen Librettist Andrea Leone Tottola zugeteilt hat. Es geht um den im 9. Jahrhundert gelebt habenden englischen König Alfred, dessen Herrschaft vom Herrscher der Dänen bedroht wird, der diesen unter Mitwirkung auch der bäuerlichen Bevölkerung Englands besiegt, aber seiner Königin Amalia beraubt wird. Am Ende des Werks ist das Ehepaar wieder glücklich vereint, der Feind vertrieben und dem Sopran ein virtuoser Auftritt mit einem Schluss-Rondo sicher. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass dieses nicht nur aus dem Orchestergraben, sondern auch von einer auf der Bühne befindlichen Banda begleitet wird.

Regisseur Stefano Simone Pintor wählte zur Rettung des Werks eine halbszenische Aufführung unter Benutzung einer Videowand, in der sowohl anspielungsreiche zeitgenössische Vorkommnisse wie der Sturm der Trump-Anhänger auf das Kapitol wie mittelalterliche Schlachtendarstellungen oder solche aus der Manessischen Liederhandschrift, wenn es um das Eheleben des Königspaares geht, zu sehen sind, nie aufdringlich, sondern charaktervoll illustrierend und erhellend und vor allem humorvoll, ohne sich über die Schwächen des Librettos lustig zu machen. Der Chor trägt entweder Zivil und benutzt auch Klavierauszüge, zeigt aber in den entsprechenden kriegerischen Szenen durch rote Fahnen mit weißen Kreuzen oder umgekehrt, zu welcher der beiden einander nicht wohlgesonnenen Seiten er gehört. Akustisch beweist der Hungarian Radio Choir, dass er nicht ungeübt im Singen italienischen Belcantos ist. Auch die Solisten wechseln zwischen zivilem Frack, bekommen aber auch schnell nicht nur einmal ein Schafsfell oder einen Krönungsmantel übergeworfen, wenn es darum geht, Zusammenhänge klar werden zu lassen. Das Orchester unter Corrado Rovaris ist natürlich das am donizettierprobteste, das man sich denken kann, Dirigent wie Regisseur äußern sich im überaus lesenswerten Booklet sehr klug zum Stück und seinen Meriten.

Mittlerweile auch bereits ein Sechziger ist der vor allem mit Rossini berühmt gewordene Tenor Antonino Siragusa, nicht wirklich mit einem begnadeten Timbre beschenkt, aber mit absoluter Stil- und Höhensicherheit, Musikalität und gleichermaßen Flexibilität wie der Möglichkeit mit Aplomb zu imponieren. Die große Arie im zweiten Akt meistert er ebenso mit Bravour, wie er „Celeste voce ascolto“ mit Dolcezza zu veredeln weiß. Eines dramatischen Koloratursoprans bedarf es für die Amalia, die von Gilda Fiume rasant und sicher gesungen wird und die zusätzlich zum unbestreitbaren Hörgenuss auch noch eine attraktive, der Figur würdige Optik beisteuert. Einen süffigen dunklen Bariton und eine attraktive Optik für den Eduardo, den Getreuen Alfredos, hat Lodovico Filippo Ravizza, der in dieser Produktion abweichend vom Libretto ein Priester ist. Den Widersacher Atkins mit lustigem Hörnerhelm singt Adolfo Corrado mit ebenfalls bemerkenswert sonorem Bassbariton. Von den tiefen Stimmen kann außerdem Andrés Agudelo überzeugen, weniger mit schmalem Tenor als Guglielmo Antonio Garés. Zwei attraktive Damen stellen sich ebenfalls in den Dienst von König und Königin, von denen der Mezzosopran Valeria Girardello als Enrichetta eine wunderschöne Arie mit ebenmäßiger, warm timbrierter Stimme zum Besten gibt. Mit einem angenehmen leichten Sopran ist Floriana Cicio als Margherita ebenfalls ein Gewinn für die überaus interessante, mit einer wahren Entdeckung aufwartende DVD. Auf die nächste Ausgrabung, das Jahr 1824 betreffend, kann man schon gespannt sein (Dynamic 38031). Ingrid Wanja             

Solide

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Nicht nur bei den Sopranen Miricioiu, Moşuc oder Moldoveanu (und auch bei dem Tenor gleichen Namens) konnte man sich zusätzlich zu einer italienischen melancholischen dolcezza noch an einem gewissen aparten Etwas erfreuen oder tut es immer noch, was wohl dem Rumänischen in der jeweiligen Stimme geschuldet ist. Entsprechende Erwartungen an die reine Verdi-CD von Ştefan Pop bei Euroarts werden leider enttäuscht, auch wenn man es mit einer hochsoliden, technisch gut fundierten Tenorstimme zu tun hat, die leider  zwar kraftvoll, aber nicht unverwechselbar, nicht mehr der geschmeidige, brillante Duca oder Alfredo, eher schon  der melancholische, mehr (Adorno) oder weniger (Carlo) heldische Spintotenor ist.

Bereits entwachsen scheint der Tenor dem an den Anfang der CD gestellten Duca zu sein, dessen „Quest‘ o quella“ zwar von einer sicheren, wenn auch recht scharfen Höhe Zeugnis ablegt, aber nicht mehr von der wünschenswerten Schlankheit und Biegsamkeit der Stimme, und auch Rezitativ und Arie aus dem zweiten Akt von Rigoletto klingen recht metallisch, wenig geschmeidig, aber durchaus weitgespannte Bögen formend. Die kleinen Notenwerte werden beachtet, klingen aber recht farblos, und im La donna è mobile finden sich Behändigkeit und Brio, aber wenig Eleganz. Auch der Alfredo  ist dem Tenor nicht mehr optimal entsprechend, was eine  ohne Poesie, gequetscht und in der Höhe scharf klingende Arie , bezeugt, während die Cabaletta eher gehetzt als leichtfüßig klingt.

Einen Schritt in Richtung Dramatik geht es mit dem Rodolfo aus Luisa Miller, dessen Rezitativ grell klingt, während die Arie teilweise mit schöner mezza voce gesungen wird, die Wiederholung nicht ohne Schärfen auskommt. Nicht nur der Manrico bemüht sich auch um die kleinen Notenwerte, die allerdings oft nicht wie hingetupft, sondern leicht meckernd erscheinen, während die Phrasierung eine durchweg gut durchdachte und nachvollziehbare ist.

Eine der poetischsten Verdi-Figuren ist der Riccardo aus Un Ballo in Maschera, dem der Tenor die ihm innewohnende Eleganz mit einem eher derben Seemannslied abspricht, allerdings die letzte Arie auch eine schöne Empfindsamkeit offenbart. Dem um seine Familie trauernden Macduff mangelt es zugunsten einer gewissen Wehleidigkeit im Ton an Nobilität, Don Carlo lässt zumindest in der Wiederholung etwas vom „dolce suol di Francia“ anklingen, Gabriele Adorno schließlich stellt die Kontraste in seiner Gemütsverfassung wirkungsvoll heraus. Die schwierigste Partie dürfte der unselige Jacopo Foscari sein, dem die Tenorstimme tragische Empfindsamkeit verleihen kann, auch die entschlossen klingende Cabaletta wird der Figur gerecht. Foresto aus Attila klingt recht grell, kann aber von einem schönen Legato profitieren, der Oronte wurde wohl wegen der effektvollen Pianohöhe an den die CD krönenden Schluss gesetzt. Lawrence Foster lässt das Orchestre Philharmonique de Marseille zu einem durchaus Italianità versprühenden Begleiter des Tenors  werden, der sicherlich ein hochsolider Vertreter seines Fachs ist, das Bedauern über das Hinscheiden eines Bergonzi oder Verstummen eines Carreras aber nicht beenden kann (Euroarts 2011077). Ingrid Wanja     

Genuss bei geschlossenen Augen

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Die mit Abstand größte Aufregung provozierte im Herbst 2022 nicht die Tatsache, dass das Götter-, Menschen-, Zwergendrama von Wagners Ring des Nibelungen von der Regie jedweden Mythos‘ entkleidet worden war, auch nicht, dass anstelle von Daniel Barenboim wegen dessen gesundheitlicher Beeinträchtigung Christian Thielemann das Dirigat an der Staatsoper Berlin übernahm, sondern es war ein halbes Dutzend kuscheliger Kaninchen, das für Aufregung sorgte. Zum aufwändigen Bühnenbild, wohl eine Anstalt zur Erforschung menschlichen Verhaltens darstellend, gehörte neben Konferenzsaal, Stress-Labor, Wartezimmer und anderem auch ein Raum, in dem, so legten es die in Käfigen gehaltenen Säuger nahe, Tierversuche stattfinden. Das oder vielmehr erst die Premierenkritiken riefen PETA auf den Plan und führten zu einer langen Diskussion über vermeintliches Wohl und Wehe der Tierchen und letztendlich zu deren Ersatz durch Stofftiere.

Jetzt gibt es die vier Blurays von den Premieren der Ring-Teile, und deren Betrachter kann sich davon überzeugen, dass es den nun auch in Großaufnahme erscheinenden Kaninchen prächtig ging, sie keinerlei Zeichen von Stress zeigten, sondern unbeeindruckt mümmelten und von dem reichlich vorhandenen Heu schnabulierten. I. W.

Im Folgenden nun die Besprechungen der vier Einzelopern auf DVD bei Unitel. Den Beginn macht – natürlich – Das Rheingold, und die obige Überschrift gilt nach Beurteilung der Rezensentin für alle vier Teile. G. H.

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Das Rheingold: Daniel Barenboim hatte sich, obwohl der letzte Ring noch im Schillertheater seine Premiere erlebt hatte und der der Deutschen Oper fast zeitgleich nach vielen Jahrzehnten im Zeittunnel Götz Friedrichs entstand, zum 80.Geburtstag einen neuen Ring gewünscht. Erfahrungen mit einem brutalisierten Parsifal und einem banalisierten Tristan jeweils in der Regie von Dmitri Tcherniakov hatten ihn offensichtlich nicht geschreckt, und auch sein Nachfolger am Dirigentenpult zeigte sich mit dem entzauberten, banalisierten Ring dieses Regisseurs einverstanden. Dessen Vorzüge bestehen darin, dass die  Charaktere nicht verändert wurden, ihre Nachteile, dass ihr Verhalten nicht nachvollziehbar ist, umso weniger, wenn, um nur einige Beispiele zu nennen, Alberich nach Verlust von Gold und Ring, wobei es zwar diesen, ansonsten aber weder Rhein noch Walhalla, weder Kröte noch Riesenschlange, in die Gummizelle abgeführt wird. Wie konnte er da Hagen zeugen? Das Geschehen gipfelt in einem albernen Kindergeburtstag mit Luftschlangen und Minifeuerwerk.

Wenn es dann zum Schlussapplaus kommt, staunt, wer die Premiere erlebte, nicht schlecht, welch stürmischen Beifall Rolando Villazon für seinen banalen, von Stimmproblemen geplagten Loge erhält, obwohl er doch heftig ausgebuht wurde, allerdings  schlimmer, als hier wahrnehmbar, war. Wurde da nachgebessert? Der noch vielheftigere Buh-Sturm für das Regieteam wird hingegen unterschlagen, so getan, als wäre dies gar nicht auf der Bühne erschienen.

Hin- und hergerissen zwischen dem unterschiedlichen Sinneseindrücken, die Auge und Ohr vermitteln, das eine beleidigend, das andere umschmeichelnd, schaltet das Gehirn auf Resignation oder Rebellion. Im Falle Rheingold an der Lindenoper ist die Beschränkung auf das Hören anzuempfehlen, denn was Christian Thielemann im Orchestergraben zaubert ist sensationell, auch weil der Klang der Staatskapelle, deren Chef er bald sein wird, sowohl zu Wagner wie zu seinen Klangvorstellungen optimal passt. Dass der Dirigent über dem Klangrausch die Bedürfnisse der Sänger nicht vergisst, ist zusätzlich lobenswert.

Ein Wotan, der akustisch alles das ist, was er szenisch nicht sein darf, bildet mit Michael Volle das Zentrum der Aufführung, ein machtvoller, stimmschöner, hoch diszipliniert eingesetzter Bariton. Weniger edler im Timbre und damit rollengerecht als Alberich und insgesamt vorzüglich ist Johannes Martin Kränzle, als Mime lässt Stephan Rügamer bedauern, dass er nicht der Loge sein darf. Mika Kares macht mit samtschwarzem Bass die Liebessehnsucht des Fasolt glaubwürdig, Peter Rose mit derberem Material die Sucht nach dem Gold, die Fafner plagt. Lauri Vasar und Siyabonga Maqungo als Donner und Froh lassen keinen Wunsch übrig. Sensationell gut mit weichem, verführerischem Alt gibt Anna Kissjudit eine Erda, zu der der Regie nur eingefallen ist, dass sie irgendwie zum Personal gehört. Claudia Mahnke war bereits als Fricka in Frankfurt aufgefallen und bestätigt in Berlin den überaus günstigen Eindruck. Anett Frisch muss als Freia verklemmt sein, singt aber schön, die Rheintöchter sind mit den Stimmen von Evelin Novak, Natalia Skrycka und Anna Lapkovskaja fein aufeinander abgestimmt. Eingekauft haben wohl alle Damen im GUM der Vor-Putin-Zeit (Elena Zaytseva).    Mit geschlossenen Augen und offenen Ohren ist ein Wagner-Hochgenuss garantiert (Unitel 809904).

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Die Walküre – ernüchternde Optik. Vielleicht war es gar keine so schlechte Entscheidung, Dmitry Tcherniakov für das Inszene-Setzen von Wagners Ring an die Staatsoper Berlin zu engagieren, denn wie wäre wohl der Schlussapplaus für die Walküre ausgefallen, hätte sich zu der wunderbaren akustischen Umsetzung der Partitur durch Christian Thielemann auch noch eine optisch ansprechende gesellt?! Vielleicht hätten Wände und Dachkonstruktion des Hauses einem noch machtvolleren Beifallssturm nicht standgehalten, als er für Sänger und Orchester und ganz besonders für den Dirigenten ertönte und gar nicht mehr enden wollte.  So aber wurden die Gemüter wohl immer wieder abgekühlt durch einen Siegmund als entflohener Sträfling mit wenig schmeichelhaftem Steckbrief,  das Ehepaar Hunding in einem Tiny-Haus auf dem Gelände der Forschungsanstalt E.S.C.H.E  angesiedelt, in dem aber auch Wotan und Brünnhilde zeitweise zu hausen scheinen, sich jedenfalls zuhause fühlen, denn sie wissen, wo das Bier im Kühlschrank zu finden ist. Da rafft Sieglinde vor der Flucht noch sämtliche Textilien zusammen, leert Siegmund den Kühlschrank bis auf besagte zwei Flaschen, und Nothung landet in der Plastetasche. Da fällt dem Opernfreund doch gleich Manon Lescaut beim Zusammenraffen der Kleinodien ein. Längst ist es gang und gäbe, auf der Bühne seine Notdurft zu verrichten, was in diesem Fall Hunding tut, während Sieglinde und Siegmund ihre Flucht durch zwei Etagen mit gefühlt hundert schlagenden Türen vollziehen , vorbei an unzähligen Kaninchenställen mit „echten“ Tieren darin und schließlich Hunding als Unschuldslamm da steht, denn es sind Wachleute, die sich Siegmunds bemächtigen und Wotans „Geh!“ als völlig ungerechtfertigt erscheinen lassen. Unspektakulärer als die an der Lindenoper kann keine Walküre sein, denn anstelle eines Feuers, das die schlafende Brünnhilde umlodert, malt diese nur kleine Flämmchen auf die vielen die Bühne füllenden Stühle und bleibt hellwach. Lustig wird es immer, wenn allzu Alltägliches den Mythos ad absurdum führen will, wie das Babyfläschchen, das Brünnhilde der werdenden Mutter zusteckt und den Zuschauer sich die profane Frage stellen lässt, ob die darin enthaltene Milch wohl bis zu Entbindung  genießbar bleibt. Mit all diesen putzigen Einfällen wird klar, dass die Regie  sich beharrlich weigert, anzuerkennen, dass das Personal des Ring sich nicht auf Menschen beschränkt, sondern es  lässt die Götter nicht nur menschlich, sondern durchweg allzu menschlich erscheinen, entzieht der Musik die Unterstützung durch eine adäquate Optik auf der Bühne. Der Genuss der Bluray ist allerdings bei weitem dem Live-Erlebnis vorzuziehen, denn da durch die vielen Nahaufnahmen der Sänger das sie umgebende Ambiente weitgehend ausgeblendet wird, kann dieses seine störende Wirkung weniger entfalten und den Genuss des Hörens nicht so stark beeinträchtigen.

Was sich im Orchestergraben unter der Leitung von Christian Thielemann abspielt, ist allerdings so phantastisch in seiner Klarheit, seinem Reichtum an Agogik, von zartesten Gespinsten bis zum brillanten Klangrausch reichend, der umso beeindruckender ist, als er aus einer auch ganz zurückhaltenden und die Sänger schonenden Grundhaltung erwächst.

Eine ganz großartige Leistung vollbringt Michael Volle als Wotan mit einer breiten Scala von zarten bis hin zu urgewaltig mächtigen Klängen, sein Göttervater ist akustisch um einige entscheidende Grade edler als die Regie ihn haben wollte. Ihr Rollendebüt als Brünnhilde gibt Anja Kampe und ist eine so resolute wie sensible Walküre, auch im extremen Forte nie schrill, sondern unangestrengt und warm klingend, strahlend in der Höhe und substanz-und nuancenreich in der Mittellage. Ihre Halbschwester Sieglinde, verkörpert durch Vida Miknevičiūté,  prunkt mit einer helleren, ausgesprochen „blonden“ Stimme und rührt durch ihre empfindsame Darstellung. Auch optisch ist sie die Sieglinde, die man sich immer gewünscht hat, und das „hehrste Wunder“ erscheint tatsächlich als ein solches.   Claudia Mahnke in spießiger Gewandung verleiht der Fricka vokale Würde mit einem frei strömenden Mezzosopran. Mika Kares hat für den Hunding fast eine zu schöne, auf jeden Fall aber auch hochpräsente Bassstimme. Eher gefallen als bei der Premiere kann der Siegmund von Robert Watson mit auch hier  kraftvollen, aber nicht mehr unangenehm  klingenden Wälserufen, dem Tenor fehlt hier weniger das  Strahlende, das auch vom Publikum bei der Premiere vermisst wurde, wie Unmutsäußerungen bewiesen. Etwas unausgeglichen lassen sich die Walküren vernehmen, aus deren Kreis immer noch Clara Nadeshdin als Gerhilde angenehm herausragt (Unitel 810104).

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Siegfried – im nicht vorhandenen Wald nichts Neues. Zum dritten Mal das gleiche Spiel: Man kann gar nicht genug bekommen von Wagners Musik, dargeboten von der Staatskapelle unter Christian Thielemann, getragen und dennoch ungemein spannungsvoll, die Details auskostend und doch nie den großen Spannungsbogen aus den Augen verlierend, rauschhaft aufbrausend und doch nie die Sänger zudeckend- und auf der Bühne das inzwischen bis zum Überdruss sterile, langweilige, lächerliche Treiben in der Forschungsanstalt Dr.Wotans, in den Regisseur Dmitri Tcherniakov den Göttervater uminterpretierte .Immer krasser klafft von Bluray zu Bluray der Abgrund zwischen der rauschhaften musikalischen Darbietung und der kalten Ödnis der Szene. Hatte man zunächst noch seine Neugier wegen der ständig wechselnden Schauplätze befriedigen können, so langweilt und verärgert nun zusätzlich ihre ständige Wiederkehr, wird die Kluft zwischen den Intentionen des Librettisten/Komponisten und den Erwartungen zumindest eines Teils der Zuschauer und der Realisierung auf der Bühne der Staatsoper immer tiefer.

Hatte man im Rheingold noch mit einer Mischung aus Neugier und Unmut die ständig wechselnden, aber nie zum Stück passenden, perfekt realisierten, aber im Kontrast zur Musik stehenden Schauplätze zur Kenntnisgenommen, in der Walküre sich allmählich Langeweile angesichts der immer wiederkehrenden Optik eingestellt, so verfällt man angesichts der ständigen Banalisierung in totale Resignation und wünscht sich anstelle der Bluray lieber eine die Illusion erhaltende CD.  Wie gehabt ergeht sich die Regie in einer Mischung aus Läppischem wie dem Erwecken der Erda mit einer Tasse Kaffee oder dem im Jogginganzug die mit einer Alufolie bedeckten Brünnhilde erweckenden Siegfried, der er mal mit extrem karikierenden Operngesten, mal mit lässiger Schlappsigkeit seine Liebe erklärt. Ob er auch das gequälte Kind mit augenscheinlichem Migrationshintergrund auf dem Filmband, das zu den ersten Takten der Musik läuft, ist, sei dahingestellt.

Im Unterschied zu den beiden vorangegangenen Ring-Teilen mit fast genereller Superbesetzung  stellt sich nun auch pures Tenorglück ein: Andreas Schager singt unermüdliche Schmiedelieder mit strahlender Höhe und substanzreicher Mittellage, so dass man fürchtet, er habe sich bereits damit verausgabt, kann aber immer wieder mit frappierender Durchschlagskraft und schier unermüdlichem Höhenglanz  überraschen. Als Wanderer ist Michael Volle nun völlig vergreist und hinfällig und von Freia wohl nicht mehr mit Äpfeln bedacht,  vokal hingegen eine Pracht von einem Bariton, der unermüdlich strömt und einen beachtlichen Kontrast zum körnigeren Stimmmaterial von Johannes Martin Kränzle bildet, dem es als Alberich optisch noch schlechter geht mit Rollator und Asthmaspray. Peter Rose singt einen imponierenden Fafner, der wohl nicht, wie oft üblich, verstärkt werden muss. Stephan Rügamer gibt einen darstellerisch fein ausgefeilten Mime mit hochpräsentem Charaktertenor. Victoria Randem ist nicht ein Waldvogel, sondern eine Krankenpflegerin mit Vogelmarionette, hat für diese einen betörend schönen Stimmklang, aber eine arg verwaschene Diktion. Anna Kissjudit wirkt als Erda etwas weniger präsent als im Rheingold, aber unverkennbar besitzt sie einen wunderbar samtigen, dunkel lodernden Alt. Anja Kampe sang als Debütantin alle drei Brünnhilden mit jeweils zwei Tagen Pause zwischen den einzelnen Teilen des Rings. Das ist eine heikle Aufgabe, die sie auch in dieser Aufnahme grandios bewältigt mit einem hell leuchtenden, exakt konturierten,  bis in die höchsten Höhen einheitlich gefärbten Sopran schöner Farbe. Nicht leichter wird ihre und auch die Aufgabe anderer Sänger, wenn das musikalische Pathos, das emphatische Singen  immer wieder von einer ironisierenden Darstellung konterkariert werden muss.  Es wird einiger Mut dazu gehören, sich auch dem letzten Teil des Zyklus auszusetzen, der von allen der letzten Jahre derjenige sein dürfte, an dem Bühne und Musik am wenigsten miteinander zu tun hatten (Unitel 810304).

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Götterdämmerung – Brünnhilde kündigt. Was soll man noch sagen oder besser schreiben, was noch nicht gesagt/geschrieben worden ist nach dem vierten Abend von Richard Wagners Der Ring des Nibelungen, von dem nun auch noch eine Bluray erschienen ist? Fortgesetzt wird in gnadenloser Konsequenz die Säkularisierung, man könnte auch sagen die Verhohnepiepelung sowohl von Werk wie von Publikum mit einem Rheingold ohne Rhein und Gold, einer Walküre ohne Wunschmaid, mit einem Siegfried, der eher ein Taugenichts ist als ein naiver Held, einer Götterdämmerung ohne Götter, die in Walhall verglühen. Nicht nur, dass das gesamte Werk aus der schillernden Vielfalt von Göttern, Riesen über Menschen bis zu den Schwarzalben eingeebnet wird mit der Wahl einer zweifelhaften, menschen-wie tierverachtenden Forschungsanstalt als einzigem Schauplatz, in der Natur, ob Wald oder Tierwelt, nur noch als Pappfigur existiert. So wie Wotan als Strafe  für ihren Ungehorsam die Gottheit von Brünnhilde küsste, so prügelt Dmitri Tcherniakov den Mythos aus der Tetralogie, ersetzt sie nicht einmal durch eine reale Welt, sondern den Antimythos, eine entmenschte Menschenwelt. Niemand glaubt mehr an die Asen, den Mythos, aber die Musik beglaubigt ihn, und sie sollte respektiert werden. Nachdem in den Opernhäusern sämtliche Tabus gebrochen und dafür neue, bei ihrem Bruch noch strenger geahndete errichtet wurden, könnte man allmählich dazu zurückkehren, wenn nicht dem Text, so doch der Musik mehr zu vertrauen, nicht gegen sie zu inszenieren.  Da setzt es schon etwas in Erstaunen, dass man, obwohl auch die vierte Bluray wieder Absonderlichkeiten  wie den Trainingsraum eines Basketballteams, wohl die Werksmannschaft von E.S.C.H.E, offerierte, in dem der Mord an Siegfried, dem Hagen eine Fahnenstange in den Rücken stößt, stattfindet, übrigens mit „echtem“ Blut, Wotan und Erda noch einmal herumgeistern und die Nornen uralt und mit vielerlei Bresten behaftet sind. Brünnhilde und Siegfried haben Hundings bzw. Mimes Häuschen bezogen, Brünnhilde findet aus dem Bademantel zwischen Bett und Couch gar nicht mehr heraus. Komischerweise lädt man sich nicht mehr innerlich gegen diese Regiescherze aus, zum  einen wohl, weil sie nicht an die Substanz der Handlung und der Charaktere gehen, zum anderen, weil die Musik einfach zu stark ist und weil ihre Realisierung unter Christian Thielemann jede Optik erträgt, sich zu unbändiger, unbesiegbarer Kraft entfaltet.

Überraschend taucht ganz zum Schluss, wenn Brünnhilde nicht den Scheiterhaufen besteigt, Hagen nicht im Rhein ertrinkt, weil er das Gold erhaschen will, ein Schriftzug auf mit einem Text Wagners, den er nicht vertont hat: „Von Wiedergeburt erlöst zieht nun die Wissende hin. Alles Ewigen seliges Ende, wiss’t ihr, wie ich‘s gewann? Trauernder Liebe tiefstes Leiden schloss die Augen mir auf, enden sah ich die Welt.“ Das heißt jedoch nicht, dass auch Brünnhilde endet, sie zieht mit einer Handtasche unter Zurücklassung von Siegfrieds Leichnam samt Grane-Plüschtier davon. Hat wohl einfach die Arbeit am Forschungsinstitut E.S.C.H.E satt.

Herausragend sind wieder die Leistungen der meisten Sänger. Gewiss kommt Anja Kampe streckenweise an ihre Grenzen, hatte manche schrille Höhe zu verantworten, aber auch die unbedingte  Glaubwürdigkeit für die schwierige Partie, herrlich farbige Klänge in der Mittellage und immer ein Leuchten in der Sopranstimme, dazu atemberaubende Intervallsprünge in ebensolcher Sicherheit. Einen zarten lyrischen Sopran kann Mandy Fredrich für die Gutrune einsetzen und dazu die von der Regie wohl gewünschte Tussi-Optik. Violeta Urmana war einmal eine hochgeschätzte Wagner- und Verdisängerin, inzwischen erscheint die Stimme nicht mehr wie aus einem Guss, weist Brüche auf und klingt vergleichsweise fahl als Waltraute.  Von den Nornen können besonders die tieferen Stimmen mit denen von Noa Beinart und Kristina Stanek gefallen, während das Vibrato von Anna Samuil als Dritte Norn doch etwas zu ausgeprägt ist. Wie ein vokales Frischebad wirken die Rheintöchter Evelin Novak, Natalia Skrycka und Anna Lapkovskaja.

Andreas Schager ist auch in dieser Aufnahme  unermüdlich Kraftreserven hervorzaubernd ein unangestrengt und souverän wirkender Siegfried mit strahlendem Heldentenor, manchmal den Eindruck erweckend, er wolle unbedingt auf das bereits Vollkommene noch eins draufsetzen. Dazu ist er ohne Einschränkungen ein überaus jugendlicher übermütiger Draufgänger und dazu offensichtlich noch tänzerisch begabt. Für den schwachen, hier aber nicht durchweg unsympathischen Gunther setzt Lauri Vasar einen farbigen, geschmeidigen Bariton ein. Darf er deswegen überleben?  Mika Kares ist auch als Hagen von umwerfender Basspotenz.  Nein, Schiesser-Feinripp ist es wohl nicht, was Alberich als einziges Stück Textil trägt, dagegen hätte sich wohl die Firma erfolgreich gewehrt. Vokal kann  Johannes Martin Kränzle beglaubigen, was  bereits Lobendes über ihn gesagt wurde. Und Christian Thielemann am Dirigentenpult?  Es ist einfach phantastisch, wozu die Staatskapelle unter ihm fähig ist, Siegfrieds Rheinfahrt ( zum Glück bei geschlossenem Vorhang) und der Trauermarsch müssen einem einfach  die Tränen in die Augen treiben. Eine gebändigte Wucht sind die Mannen unter Martin Wright (Unitel 810504). Ingrid Wanja

Celestina Casapietra

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Vor allem die Besucher der Berliner Staatsoper werden sich an die italienische Sängerin Celestina Casapietra (23. August 1938) erinnern, die am 10. August 2024 verstarb. Sie war von 1965 bis 1993 Mitglied der Berliner Staatsoper war und trat an führenden europäischen Opernhäusern. Ihr Repertoire reichte von Koloraturrollen bis hin zu Wagners Elsa in Lohengrin und Giordanos Maddalena in Andrea Chénier, die an der Seite von Franco Corelli als DVD erschien.

Geboren am 23. August 1938 in Genua,kam Casapietra schon früh mit der Oper in Berührung, nahm als Kind Klavierunterricht und sang mit 15 Jahren Verdis Requiem im Chor. Sie studierte Gesang am Konservatorium von Genua und am Mailänder Konservatorium bei Gina Cigna. Casapietra debütierte 1961 am Teatro Nuovo in Mailand in Giordanos Mese mariano. Sie gewann 1963 Preise bei Wettbewerben in Mailand und Rom und trat an den italienischen Opernhäusern in Genua, San Remo, Pisa und Venedig sowie an der Opéra National de Lyon auf. In Italien machte sie die Bekanntschaft mit dem Dirigenten Herbert Kegel, der sie nach Leipzig holtge und dort förderte.

1964 fiel Casapietra von dem Dirigenten Otmar Suitner auf, als sie in Wagners Parsifal auftrat. Er überzeugte sie, an die Berliner Staatsoper in (Ost-)Berlin zu gehen. Dort trat sie ab 1965 auf, zunächst als Kurtisane in Paul Dessaus Die Verurteilung des Lukullus, Fiordiligi in Mozarts Così fan tutte, Donna Anna in Mozarts Don Giovanni, und Woglinde in Wagners Ring-Zyklus. Sie trat dort ebenfalls als Leonore in Beethovens Fidelio, Agathe in Webers Der Freischütz, Elsa in Wagners Lohengrin, Tatjana in Tschaikowskis Eugen Onegin und Maddalena in Giordanos Andrea Chénier auf. 1971 sang sie die Titelrolle in Massenets Manon an der Seite von Peter Schreier als Des Grieux in der Inszenierung von Horst Bonnet  und unter der Leitung von Arthur Apelt. Außerdem trat sie in Berlin als Cleopatra in Händels Giulio Cesare, Alice Ford in Verdis Falstaff, Liú in Puccinis Turandot[ und Elisabeth in Wagners Tannhäuser auf.

Die Staatsoper Berlin verlieh ihr den Titel der Kammersängerin. Casapietra gastierte am La Fenice in Venedig, an der Wiener Staatsoper, an der Bayerischen Staatsoper in München, an der Hamburgischen Staatsoper und am Bolschoi-Theater in Moskau. Bei den Salzburger Festspielen trat sie von 1969 bis 1971 in Cavalieris Rappresentatione di Anima et di Corpo auf. Bei der Mozartwoche 1984 in Salzburg verkörperte sie die Vitellia, 1985 in Dublin die Marschallin und 1986 beim Festival von Las Palmas die Elisabeth in Tannhäuser. In Amsterdam trat sie 1986 als Yü-Pei in Zemlinskys Der Kreidekreis auf. 1994 trat sie in Genua in Puccinis Tosca und in Lyon in der Titelrolle der Ariadne auf Naxos auf.

Casapietra war seit 1966 mit dem Dirigenten Herbert Kegel verheiratet, mit dem sie einen Sohn, Björn Casapietra, hat, der in Genua geboren wurde und einen italienischen Pass besitzt. Casapietra und Kegel galten in den 1960er Jahren in der DDR als Glamourpaar und ließen sich 1983 scheiden. Sie hatte Wohnsitze in Berlin und in Sori, Ligurien. Ebendort starb sie am 10. August 2024 im Alter von 85 Jahren.

Casapietra nahm 1971 die Rolle der Fiordiligi in der deutschen Fassung von Così fan tutte auf, mit Suitner als Dirigent der Staatskapelle Berlin. 1973 erschien ihre Maddalena auf einer DVD von Giordanos Andrea Chénier für Hardy Classic neben Franco Corelli in der Titelrolle und Piero Cappuccilli.

Zu ihren Aufnahmen des Konzertrepertoires gehören Bachs h-Moll-Messe unter der Leitung ihres Mannes im Jahr 1975 mit dem Rundfunkchor Leipzig und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig.  1990 sang sie das Sopransolo in Mendelssohns Lobgesang in einer Gesamtaufnahme seiner Sinfonien für Eurodisc, wobei Kurt Masur das Gewandhausorchester dirigierte.

Außerdem wirkte sie in dem DEFA-Opernfilm Gala unter den Linden (DDR, 1977) mit und spielte die Rolle der Gesangslehrerin in Arnaud des Pallières‘ Film Drancy Avenir (1997). (engl. Wikipedia/ Foto Bachtrack)

„Die Schönheit ihres Tons“

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„Die reine Schönheit ihres Tons und Perfektion ihrer Technik hoben sie turmhoch über die restliche Besetzung hinaus. Dieses Lob gilt Elisabeth Schumann. Es stammt von Walter Legge, der es nach einer Rosenkavalier-Vorstellung im Mai 1927 in Covent Garden zu Papier brachte. Die Schumann sang die Sophie, die eine ihrer wichtigsten Opernrollen bleiben sollte. Bevor Legge zum mächtigen EMI-Produzenten aufstieg, verdingte er sich in London als Musikkritiker. Das Zitat findet sich im Buch Gehörtes, Ungehörtes, Memoiren von Legge und seiner späteren Ehefrau Elisabeth Schwarzkopf (Noack-Hübner Verlag München, S. 20). Für Sammler ist der akustische Nachlass der Schumann ein weites Feld. Akribische Suche verspricht eine reiche Ernte. Es lohnt sich also, die weit verstreuten Dokumente, die ihr musikalisches Können und auch ihre Grenzen belegen, zusammenzutragen.

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Geboren wurde Elisabeth Schumann 1888 im damals noch sächsischen Merseburg an der Saale. Ihr Vater war Lehrer und Organist. Am sanierten Geburtshaus in der Gotthardstraße 27 erinnert eine Tafel an die berühmte Tochter der Stadt, die 1909 in Hamburg erstmals auf einer Opernbühne stand. Sie sang den jungen Hirt im Tannhäuser. In den folgenden zehn Jahren erarbeitete sie sich mit Cherubino, Susanna und Zerlina ihren stimmlichen Möglichkeiten entsprechende Mozart-Partien. Sie avancierte zu einem Liebling des Publikums, das auch ihrer aparte Erscheinung und ihr schauspielerisches Talent zu schätzen wusste. Bereits 1914 wurde die Metropolitan Opera auf die Sechsundzwanzigjährige aufmerksam und engagierte sie für ihr Debut als Sophie im Rosenkavalier. Nach der ersten von fünf Vorstellungen war der Kritiker Max Smith, der auf der Archivseite der Met ausführlich zitiert wird, des Lobes voll: „Mit bemerkenswerter Leichtigkeit bewältigte sie Strauss‘ lang ausgehaltene Phrasen und spann ihre süßen, ansprechenden und ausdrucksstarken Töne selbst in den erhabensten Höhen auf eine Weise, die Gesangsschülern durchaus als Anschauungsunterricht hätte dienen können. Miss Schumanns lyrischer Sopran ist nicht groß. Aber er ist bewundernswert platziert, fein konzentriert und wird von einer ausgezeichneten Atemkontrolle unterstützt. Gestern Abend hat die Sängerin ihre Stimme zu keinem Zeitpunkt überanstrengt und nicht ein einziges Mal ist sie von der richtigen Tonhöhe abgewichen.“ Die neue Sopranistin habe sich aber nicht nur „durch ihren Gesang als wahre Künstlerin“ entpuppt. „Ihre Darstellung der Sophie war in theatralischer Hinsicht ebenso beeindruckend wie stimmlich.“ Insgesamt stand sie in dieser Spielzeit für zehn Partien unter Vertrag, darunter die Musette in La Boheme, Humperdincks Gretel und die Fidelio-Marzelline. Ungeachtet des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges konnte sie im Mai 1915 aus den USA nach Hamburg zurückkehren. Bis 1938 war sie einer der Stars der Wiener Staatsoper, wo sie als ewige Sophie und mit ihren Mozart-Rollen genau richtig gewesen ist. 1938 wanderte sie nach New York aus, wo sie bis zu ihrem Tod am 23. April 1952 lebte. Sie wurde 64 Jahre alt. Während des Krieges beschränkte sie sich vornehmlich auf Konzerte und wirkte auch als Lehrerin privat und am Curtis Institute of Music in Philadelphia. Als Liedsängerin klang ihre erfolgreiche Karriere aus.

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Mit Schwanengesang ist eine CD getitelt, die jetzt von der Firma Panassus Records veröffentlicht wurde (PACD 96088). Sie enthält dreißig Lieder von Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Franz und Hugo Wolf. Das Programm klingt mit Morgen von Richard Strauss aus, sowohl mit als auch ohne Orchester geboten. Letzter Aufnahme, bei der die Sängerin nach dem Vortrag des kompletten Lieds auch erklärend und beispielgebend das Wort ergreift, entstand bei einer Master Class. Mit Abstand die meisten Titel stammen von Wolf, der auch für alternde Sängerinnen, deren stimmliche Ressourcen zunehmend begrenzter werden, enorme Gestaltungsmöglichkeiten bereithält. So auch für Elisabeth Schumann. Es dauert immer ein wenig, bis sie in die Struktur eines Liedes hinein findet. Je weiter sie vordringt, umso sicherer wird der Umgang mit dem poetischen Instrumentarium. Ein treffliches Beispiel für die enorme Beherrschung der tief verinnerlichten Gestaltungsmittel ist das Lied „Wie glänzt der helle Mond“ nach Gottfried Keller. Langsam aufsteigende Linien gelingen besser als kokette Figuren und Einsprengsel, wie sie im Italienischen Liederbuch, dem gleich mehrere Nummern, darunter „Ihr jungen Leute“, „O wär´ dein Haus durchsichtig wie ein Glas“ und „Ein Ständchen euch zu bringen“ – entnommen sind. „Schumanns umfangreiche Diskographie begann mit Akustikaufnahmen im Jahr 1915 und endete mit den vorliegenden Aufnahmen, die 1950 in New York gemacht wurden“, ist aus dem Booklet zu erfahren. Und weiter: „Allegro Records, das sie aufnehmen wollte, erhielt die Genehmigung von HMV, wo sie noch immer unter Vertrag stand. Die Aufnahmen wurden in ihrer Wohnung in Manhattan gemacht, bei Mendelssohn und Franz im Februar und April, bei Wolf im Dezember.“ Trotz ihrer schillernden Opernkarriere blieb sie dem Liedgesang bis zum Schluss innigst verbunden, reicherte das eine Genre mit den Erfahrungen aus dem anderen an. Nicht selten klangen Arien wie Lieder und Lieder wie Arien. Lotte Lehmann soll von der Kollegin gesagt haben, dass sie den vielleicht reinsten Gesangsstil des deutschen Liedgesangs besessen habe.

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In ihrer 28 Jahre dauernden Karriere sang Schumann in etwa neunzig Rollen, die von der englischen Wikipedia aufgelistet werden. Am Beginn stand der schon erwähnte Tannhäuser-Hirt, am Ende das Erste Blumenmädchen im Parsifal in einer Vorstellung vom 1. November 1937 an der Wiener Staatsoper. Die auch von kleineren Aufgaben durchzogene Liste lässt den Schluss zu, dass es im Verständnis von Elisabeth Schumann von Opern keine eigentlichen Nebenrollen gab. Sie überschritt nie Fachgrenzen, bewegte sich streng im Rahmen ihrer Möglichkeiten und bewahrte sich nicht zuletzt dadurch bis ins Alter einen hervorragenden Sitz ihrer Stimme. Von Wagner und Strauss hielt sie sich bis auf wenige Ausnahmen fern. Stattdessen gehörten die Marie in der Verkauften Braut, Antonia in Hoffmans Erzählungen, Marguerite in Gounods Faust und Ännchen im Freischütz, die Micaëla in Carmen zu ihrem Repertoire. Erfolge feierte sie auch in Opern, die so gut wie nicht mehr auf den Spielplänen stehen, lyrischen Stimmen aber reichhaltige Einsatzmöglichkeiten boten wie die Margiana (Barbier von Bagdad) von Cornelius, die Marie in Zar und Zimmermann, die Nanette im Wildschütz, die Nuri in Tiefland. Gelegentlich trat sie auch in Operetten auf.

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Ihr vielseitiges Wirken auf Opernbühnen findet sich auch auf Tonträgern nur bruchstückartig abgebildet. Schließlich waren in ihrer großen Zeit die dafür notwendigen technischen Voraussetzungen begrenzt. Es lassen sich keine Gesamtaufnahmen nachweisen. Lediglich große Ausschnitte aus dem Rosenkavalier, die der Dramaturgie des Werkes folgen, wurden im September 1933 unter Studiobedingungen in Wien von der Londoner EMI produziert. Bis auf den großen Monolog des Ochs (Richard Mayr) im zweiten Akt sind die entscheidenden Szenen berücksichtigt. Als Marschallin ist Lotte Lehmann, als Octavian Maria Olszewska zu hören. Der renommierte englische Musikkritiker Alan Blyth spricht im Booklet der ersten CD-Ausgabe von einen mädchenhaften stürmischen Portrait der Schumann als Sophie. „Zwar können wir die warmherzige Persönlichkeit und die blitzenden braunen Augen nicht sehen — doch es scheint, als wurden sie sogar von der Aufnahme übertragen.“ Wie schon Legge in seinem Erinnerungsbuch-Buch erwähnt auch Blyth eine Besonderheit der Einspielung. Sie betrifft die beiden letzten Worte der Marschallin: „Ja, ja.“ Nachdem die Lehmann bereits abgereist war, wurde festgestellt, dass sie noch nicht aufgenommen worden waren. Kurzerhand sprang die Schumann ein. Und zwar so, dass es kaum zu merken ist. Sie war in der Lage, sie Situation der Marschallin in diesem Moment der Handlung und das Timbre der Kollegin genau nachzuempfinden. Auch das ist Kunst. Der Nachruhm von Elisabeth Schumann beruht zu einem Großteil auf diesem Dokument mit legendärem Status, das nie vom Markt verschwunden gewesen ist. Naxos hat sich seiner angenommen und gleich zwei Editionen herausgegeben. Nicht nur das. Die Firma gab auch die frühen Arien-Einspielungen der Jahre 1915 bis 1923 und 1926 bis 1938 in vorzüglichem Klang neu heraus. Auf beiden CDs sind jene Komponisten mit Mozart im Mittelpunkt versammelt, in deren Opern sie auch auftrat. Liegt aber die Arie der Baronin aus Lortzings Wildschütz auf oder stimmt das Freischütz-Ännchen ihre Ariette vom Schlanken Burschen an, dann ist zumindest für diese Momente Mozart vergessen. Wer sich am Schalllack-Knistern nicht stört, wird Zeuge ihres Ruhms, kann also nachvollziehen, warum die Sängerin in ihrer Zeit so gefeiert wurde.

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Vergleichen mit solchen Dokumenten schneiden die Liedaufnahmen rein rechnerisch deutlich besser ab. Ihre Exklusivfirma hat im Laufe der Jahre etliche Platten veröffentlicht, die bei später bei Seraphim zu günstigen Preisen neu aufgelegt wurden. 2011 ist noch bei EMI eine Edition mit sechs CDs herausgekommen, die nach der Übernahme durch Warner nochmals kurzeitig im Handel war – inzwischen aber nur noch antiquarisch zu finden ist. Nach wie vor in Sammlerkreisen geschätzt ist die aus vierundzwanzig Boxen bestehende Edition mit Live-Aufnahmen aus der Wiener Staatsoper der dreißiger und vierziger Jahre, die 1993 bei Koch/Schwann erschien. Darin in ist die Schumann gleich zweifach als Waldvogel in Siegfried mit Max Lorenz in der Titelrolle zu hören – und nochmals als Sophie an der Seite von Lotte Lehmann und Anny Konetzni als Marschallinnen.

Auf Spurensuche nach der Sängerin stößt man auch auf eine Biographie in englischer Sprache, erschienen 1996 bei Grant & Cutler in London (978-0729303941). Autor ist Gerd Puritz (1914-2007), der Sohn von Elisabeth Schumann, der 1948 nach England gezogen war, wo er für den deutschsprachigen Dienst der BBC arbeitete. Rüdiger Winter

Mozart, Schikaneder & Co.

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Der Stein der Weisen oder Die Zauberinsel: Es ist keine zwei Jahre her, dass der Bariton Konstantin Krimmel mit seiner CD Zauberoper bei Alpha und BR Klassik dieses Singspiel wieder in Erinnerung rief. Ein zweiteiliges Werk von nicht weniger als vier Komponisten. 1790 uraufgeführt, wurde es erst 1996 vom amerikanischen Musikwissenschaftler David J. Buch als historische Kopie in der Musikabteilung der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek „Carl von Ossietzky“ entdeckt.

Zwei Jahre später legte der Dirigent Martin Pearlman mit dem von ihm gegründeten Boston-Baroque-Ensemble eine Aufnahme vor, die bei Telarc erschien und zumindest noch antiquarisch zu finden ist. Aufführungen gab es danach unter anderen in Augsburg, beim englischen Festival Garsington Opera und in Innsbruck. Die Ausgrabung des Werkes wurde seinerzeit schon deshalb als Sensation gefeiert, weil sich eine Verbindung zur Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart zeigt, die ein Jahr nach dem zweiteiligen Singspiel ebenfalls im Theater auf der Wieden uraufgeführt wurde.

Nicht genug. Emanuel Schikaneder (1751-1812) verfasste für beide Stücke die Texte. An der Kompositionen des Singspiels waren neben Mozart drei Männer beteiligt, die – wie Schikaneder in der Rolle des Papageno – an der ersten Aufführung der Zauberflöte beteiligt gewesen sind: Benedikt Schack (1758-1826) als Tamino, Franz Xaver Gerl (1764-1827) als Sarastro sowie Johann Baptist Henneberg (1768-1822), der die musikalische Einstudierung besorgte und die Oper von der dritten Aufführung an dirigierte. Drei junge Musiker also, die offenkundig sehr vielseitig ausgebildet waren, nicht nur singen oder dirigieren, sondern auch komponieren konnten. Vier weitere Künstler wirken in den Uraufführungen beider Werke mit, darunter Anna Gottlieb, die erste Pamina, die im Stein der Weisen die Nadine gab.

Jetzt hat Harmonia Mundi eine neue Einspielung vorgelegt (19802802922). Sie entstand im Rahmen einer Liveaufführung zwischen dem 12. und 15. Dezember 2022 in der Himmelfahrtkirche Sending in München. Es spielt die Hofkapelle München, die sich der historischen Aufführungspraxis widmet, unter der Leitung ihres künstlerischen Chefs Rüdiger Lotter, der von Haus aus Geiger ist. Er formt die die orchestralen Passagen zu den Höhepunkten, die Overture zum zweiten Akt womöglich noch mehr als die zum ersten Akt.

Auch der böhmische Komponist Wenzel Lachnith hatte sich der „Zauberflöte“ bemächtigt und mit seiner französisch-sprachigen Folge-Oper „Les mystères d´Isis“ 1801 in Paris Aufsehen erregt. Anläßlich der Aufnahme bei Glossa gab es einen Beitrag in der Reihe „Die vergessene Oper“ bei operalounge.de

Es singt der Chor der Klangverwaltung, der – wie aus dem Booklet hervorgeht – im Jahre 2000 von Enoch zu Guttenberg als professioneller Projektchor für das Bachfest auf Schloss Herrenchiemsee gründet wurde. Beide Ensembles kennen sich von einer Produktion von Bachs Johannes-Passion. Sie sind wie füreinander geschaffen. Die klangvolle Einheit des Zusammenspiels bildet das Fundament und die Stärke der Aufnahme. Der Sound ist vorzüglich und lässt in seiner Durchsichtigkeit und Akkuratesse ehr an eine Studioaufnahme denken. Verglichen mit der Telarc-Einspielung wirkt sie etwas heller und leichter. Es gibt noch mehr Unterschiede. In Kenntnis der Erst-Edition durch David Buch von 1998 entschloss sich die Münchner Hofkapelle nach Auskunft ihres Dirigenten für eine eigene Edition, die sich in vielerlei Hinsicht von jener unterscheide. Wie sich inzwischen herausstellte, existieren nämlich mehrere Abschriften der Partitur. Die Hamburger Quelle sei aber „die einzige mit Namensnennung der Komponisten“, bemerkt Lotter im Booklet.

In der Ankündigung der Uraufführung werden nur Emanuel Schikaneder und die Mitwirkenden genannt – nicht aber die Komponisten / Wienbibliothek im Rathaus

In einem gesonderten Booklet-Text kommt Sabine Radermacher zu dem Schluss, dass sich Schikaneder „irgendwann zwischen Sommer 1789 und Sommer 1790“ an das Libretto eines Singspiels gemacht haben muss, das Stoffe und Motive aus der gerade veröffentlichten Märchensammlung Dschinnistan von Christoph Martin Wieland schöpfe. Alle Erzählungen darin seien in der mythischen Welt Arkadiens angesiedelt. Schikaneder habe sich die Erzählung Nadir und Nadine als Vorlage genommen und mit dem Märchen Der Stein der Weisen angereichert. Ort der Handlung sei eine Zauberinsel, die von Astromonte (Michael Schade), Sohn eines mächtigen Zauberers beschützt werde. „Diese Figur scheint ambivalent: Denn einerseits ist Astromonte Beschützer der Insel, als Gegenleistung müssen deren Bewohner allerdings regelmäßig Jungfrauen an ihn abführen.“ Eine davon sei Nadine (Leonor Amaral). So wie später in der Zauberflöte Pamina von Sarastro geraubt, werde hier Nadine von Astromonte verschleppt. Nadir (Kai Kluge) versuche, seine Geliebte zurückzugewinnen und finde Hilfe nicht nur bei Lubano (Jonas Müller) und seiner Gattin Lubanara (Elena Harsányi/Katja Maderer) sondern auch beim Bruder von Astromonte, dem bösen Eutifronte (Martin Summer), der danach trachte, Astromonte zu töten und Nadir als Werkzeug seiner Rache nutzen zu wollen. Komplettiert wird das Ensemble von Theresa Pilsl als Genius und Joachim Höchbauer als Sadlik.

Und schließlich ist da noch, neben vielen anderen Vertonungen zum Thema, die Zauberposse mit Gesang „Der Barometermacher auf der Zauberinsel“ von Ferdinand Raimund, 1823 im Wiener Theater in der Leopoldstadt uraufgeführt/
Szenenbild, gestochen nach einem Aquarell von Johann Christian Schoeller/Wikipedia

Als „eine ganze neue heroisch-komische Oper in zwei Aufzügen“ sei das Stück in der Ankündigung der Uraufführung am 11. September 1790 im Freihaustheater auf der Wieden bezeichnet worden, so die Autorin. Vermerkt fänden sich darauf lediglich Schikaneder und die Darsteller. „Kein Wort zu(m) Schöpfer(n) der Musik. Es folgen Reprisen an einer ganzen Reihe von Theatern im deutschen Sprachraum bis in die 1810-er Jahre. Verschiedene Partitur-Abschriften kursieren, die ebenfalls nichts über Autoren preisgeben. Bis der Musikwissenschaftler David J. Buch in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg eine komplette Partitur-Kopie (ohne gesprochene Dialoge, diese werden später gefunden) entdeckt, in der über nahezu jeder Musiknummer ihr Schöpfer vermerkt ist.“ Diese Liste wurde in tabellarischer Form nur Telarc-Booklet abgedruckt, Harmonia Mundi verzichtet darauf. „Von Mozart“ stehe über zwei Teilen des Finales und über dem Duett „Nun liebes Weibchen“ (KV 625/592a) – auch bekannt als Katzenduett -, bei dem die in eine Katze verwandelte Lubanara ihre Melodien auf die Worte „Miau, miau“ singe. Radermacher: „Natürlich ist zu hinterfragen, ob Mozart wirklich der Komponist der ihm zugeschriebenen drei Abschnitte und inwieweit seine Musik in dieser Oper ein Originalbeitrag ist, oder ob er lediglich fremde Musik überarbeitet hat. Vor allem aber: ob seine (informelle) Beteiligung an der Partitur vielleicht sogar darüber hinausgeht. Möglicherweise hat er seinen Freunden ausgeholfen, ohne zu erwarten, dass sein Name auf der Partitur steht.“  Auffällig seien auch die vielen musikalisch-stilistischen Parallelen zwischen Teilen, die nicht Mozart zugeschrieben würden, und bemerkenswert ähnlichen Momenten der Zauberflöte.

Die Neuerscheinung ist also vielmehr als die zweite Aufnahme des Singspiels Der Stein des Weisen oder Die Zauberinsel. Sie hat einen bemerkenswerten musikwissenschaftlichen Mehrwert, der auf neuen Forschungserbnissen beruht. Als gesondertes Heft ist das Libretto beigelegt. Es erweist auch deshalb als unverzichtbar, weil die Solisten nicht immer ganz genau zu verstehen sind (Abbildung oben/Ausschnitt:Miranda von John William Waterhouse, 1916/Wikipedia). Rüdiger Winter

Grenzüberschreitendes

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Im Jahr 2019 fand an der Universität von Leeds eine von Derek B. Scott und Anastasia Belina organisierte Konferenz statt. Sie trug den Titel „Gaiety, Glitz and Glamour, or Dispirited Historical Dregs? A Re-evaluation of Operetta“ (für weitere Informationen klicken Sie hier). Anstatt alle Beiträge dieser Konferenz zu veröffentlichen, haben Bruno Bower, Elisabeth Honn Hoeberg und Sonja Starkmeth interessante Themen ausgewählt (und einige neue eigene Aufsätze hinzugefügt), die unter dem Titel Genre Beyond Borders: Neubewertung der Operette. Der 250 Seiten starke Band ist vor kurzem – von vielen unbemerkt – als Routledge-Buch zum stolzen Preis von 130+ Euro erschienen. Wir haben Kurt Gänzl gebeten, es für uns zu rezensieren. Was er unter der Überschrift zu sagen hat, lesen Sie hier: „Eine moderne Operettenbuchbesprechung“. Kevin Clarke/Operetta Research

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Nun also Kurt Gänzl: Ich mache das nicht mehr oft. In den 1980er Jahren war ich der ?Mr. Musiktheater/Operette“ des Planeten. Ich habe zwei der drei maßgeblichen Werke zu diesem Thema geschrieben. Sie sind fast ein halbes Jahrhundert später immer noch maßgebend. Aber die Autoren des 21. Jahrhunderts, die sich mit diesem Thema befassen – und sie scheinen heutzutage wie Flechten auf einem Felsen zu wachsen – sind von einer anderen Sorte. Gerry Bordman, Richard Norton, Florian Bruyas, John Franceschina, die ungarischen Gelehrten, Otto Schnedereit … wir haben Fakten festgehalten. Die neue Generation zieht es vor, zu „analysieren“, zu „diskutieren“, zu „theoretisieren“ und, so fürchte ich, zu oft zu erfinden. Und unsere Fakten zu nutzen (wenn es passt), um eine Theorie zu ‚unterstützen‘ oder eine Sache voranzutreiben. Wir lehnen uns also einfach zurück und lassen sie weitermachen. Das ist eine ganz andere Welt.

Die meiste Zeit bevorzuge ich immer noch unsere Welt … aber hey, die Leute machen Karriere mit dem neuen Weg. Und gelegentlich taucht einer auf, der etwas Solides und wirklich Investigatives zu bieten hat. Und gelegentlich bringt jemand, der rückwärtsgewandt ist, denselben alten, unwahren Schund heraus, der vor Jahrzehnten als „Geschichte“ durchging. Nun, dieser Band enthält Beispiele für beide Extreme.

Ich kenne einen der vierzehn Mitwirkenden persönlich. Die biografischen Notizen zu den anderen habe ich nicht gelesen. Absichtlich. Ich frage mich, woher der/die Herausgeber einige von ihnen haben. Nein, das will ich nicht wissen!

Das habe ich nach achtstündiger Lektüre an einem sonnigen Montag an der autralischen Küste geschrieben …

Ich bin mir nicht sicher, ob ich die richtige Person bin, um diesen Wälzer zu lesen und zu rezensieren. Der Titel ist abschreckend. Es scheint sich um ein modisches ‚Seminar‘ zu handeln. Universitätsähnliches Zeug aus mehreren Händen. Alles, was ich und meine Werke sind und nicht waren. Ein französischer Band mit ähnlichem Inhalt, der aus einer Reihe von Chatshows von Mons Yon stammt, hat mir jedoch punktuell Freude bereitet und neue Informationen geliefert, so dass ich hoffe, dass dieser Band dasselbe leisten wird.

Also los. Hmmm. Die Titel der Teile sehen nicht vielversprechend aus. Klasse“, „Geschlecht“, „Identität“, „Sexualität“, „Politik“ … alles Schlagworte des 21. Jahrhunderts … aber ich sehe einige interessante Titel ohne Schlagworte… nicht vorschnell urteilen, Kurt.

Ohmeingott! Musikalische Beispiele. Und Zahlen. Nicht vorschnell urteilen, Kurt. Lies.

Einleitung. So voller ‚Referenzen‘. Diese Kompendien scheinen wie Wikipedia-Artikel zu sein. Sie bestehen aus Fußnoten, in denen die Schriften anderer Leute zitiert werden. Warum hören und lesen die Autoren nicht einfach die Originaltexte, anstatt Teile dessen zusammenzukleben, was andere (zu Recht oder allzu oft zu Unrecht) anderswo gesagt haben?

Und, oh je, übermäßiger Nachdruck auf die zeitweilig modernste aller Opéras-Bouffes (nicht Opérettes“), L’Étoile. Ich denke, ich werde einfach zu den Artikeln übergehen.

Der erste klingt interessant. Und relevant. The Operetta Seasons Considerably Decreased our Losses‘ könnte sich auf fast jedes Opernhaus in Großbritannien und wahrscheinlich auch anderswo in der heutigen Zeit beziehen. Nun, ändern Sie ‚Operette‘ in ‚Musiktheater‘ … wie ich es tue, denn niemand hat mir jemals den Unterschied zufriedenstellend erklärt.

Wie auch immer der Rest aussehen mag, Artikel Nr. 1 (eigentlich Nr. 2) von Matteo Paoletti rechtfertigt für mich die Veröffentlichung und Lektüre der gesamten Sammlung. Die darin gesammelten und enthaltenen Informationen sind ein Augenöffner, selbst für diesen sehr alten Studenten. Man muss sich zwar über den einen oder anderen langen Satz und das eine oder andere große Wort hinwegsetzen … aber hey! das ist es allemal wert. Und wusste ich überhaupt, dass Florodora in Italien produziert wurde?

Natürlich könnte ich ohne die 3-4 Seiten „Das habe ich von hier gestohlen“-Listen leben, die dem Text folgen. Ich habe sie übersprungen. Sig Paoletti, Ihre Arbeit kann auch ohne sie für sich stehen. Ich erwarte (wenn Sie sich beeilen, ich bin fast 80) Ihre vollständige Geschichte des italienischen Operetten-/Musiktheaters. Sie können es schaffen! Kurt Gänzl Operetta Research/ Kurt von Gerolstein/ 15. Juli 2024) 

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Bruno Bower, Elisabeth Honn Hoeberg und Sonja Starkmeth: Genres beyond Border; 264 Pages 50 B/W Illustrations Published December 18, 2023 by Routledge ISBN 9781032184258). Im Originalbeitrag finden sich einzelne Betrachtungen, die wir für operalounge.de gekürzt haben, der vollständige Artikel findet sich dann bei Operetta Research/G., H.)