Bereicherung im Donizetti-Kanon

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Genau zweihundert Jahre nachdem sie nach einer erfolglosen Premiere in einen Dornröschenschlaf versank, erwachte die Partitur von Gaetano Donizettis opera seria Alfredo il Grande im Herbst 2023 in seiner Heimatstadt Bergamo zu neuem und diesmal weit erfolgreicherem Leben. Zu danken ist das einer klugen, humorvollen Regie, teilweise vorzüglichen Sängern und einer zwar noch ganz Rossini verhafteten, auch von Mayr beeinflussten, aber auch schon das Talent des jungen Komponisten verratenden Partitur  mit anspruchsvollen Gesangspartien. Kaum Interesse beim damaligen und noch weit weniger beim heutigen Publikum erwecken können die Personen des Stücks und das Schicksal, das ihnen Librettist Andrea Leone Tottola zugeteilt hat. Es geht um den im 9. Jahrhundert gelebt habenden englischen König Alfred, dessen Herrschaft vom Herrscher der Dänen bedroht wird, der diesen unter Mitwirkung auch der bäuerlichen Bevölkerung Englands besiegt, aber seiner Königin Amalia beraubt wird. Am Ende des Werks ist das Ehepaar wieder glücklich vereint, der Feind vertrieben und dem Sopran ein virtuoser Auftritt mit einem Schluss-Rondo sicher. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass dieses nicht nur aus dem Orchestergraben, sondern auch von einer auf der Bühne befindlichen Banda begleitet wird.

Regisseur Stefano Simone Pintor wählte zur Rettung des Werks eine halbszenische Aufführung unter Benutzung einer Videowand, in der sowohl anspielungsreiche zeitgenössische Vorkommnisse wie der Sturm der Trump-Anhänger auf das Kapitol wie mittelalterliche Schlachtendarstellungen oder solche aus der Manessischen Liederhandschrift, wenn es um das Eheleben des Königspaares geht, zu sehen sind, nie aufdringlich, sondern charaktervoll illustrierend und erhellend und vor allem humorvoll, ohne sich über die Schwächen des Librettos lustig zu machen. Der Chor trägt entweder Zivil und benutzt auch Klavierauszüge, zeigt aber in den entsprechenden kriegerischen Szenen durch rote Fahnen mit weißen Kreuzen oder umgekehrt, zu welcher der beiden einander nicht wohlgesonnenen Seiten er gehört. Akustisch beweist der Hungarian Radio Choir, dass er nicht ungeübt im Singen italienischen Belcantos ist. Auch die Solisten wechseln zwischen zivilem Frack, bekommen aber auch schnell nicht nur einmal ein Schafsfell oder einen Krönungsmantel übergeworfen, wenn es darum geht, Zusammenhänge klar werden zu lassen. Das Orchester unter Corrado Rovaris ist natürlich das am donizettierprobteste, das man sich denken kann, Dirigent wie Regisseur äußern sich im überaus lesenswerten Booklet sehr klug zum Stück und seinen Meriten.

Mittlerweile auch bereits ein Sechziger ist der vor allem mit Rossini berühmt gewordene Tenor Antonino Siragusa, nicht wirklich mit einem begnadeten Timbre beschenkt, aber mit absoluter Stil- und Höhensicherheit, Musikalität und gleichermaßen Flexibilität wie der Möglichkeit mit Aplomb zu imponieren. Die große Arie im zweiten Akt meistert er ebenso mit Bravour, wie er „Celeste voce ascolto“ mit Dolcezza zu veredeln weiß. Eines dramatischen Koloratursoprans bedarf es für die Amalia, die von Gilda Fiume rasant und sicher gesungen wird und die zusätzlich zum unbestreitbaren Hörgenuss auch noch eine attraktive, der Figur würdige Optik beisteuert. Einen süffigen dunklen Bariton und eine attraktive Optik für den Eduardo, den Getreuen Alfredos, hat Lodovico Filippo Ravizza, der in dieser Produktion abweichend vom Libretto ein Priester ist. Den Widersacher Atkins mit lustigem Hörnerhelm singt Adolfo Corrado mit ebenfalls bemerkenswert sonorem Bassbariton. Von den tiefen Stimmen kann außerdem Andrés Agudelo überzeugen, weniger mit schmalem Tenor als Guglielmo Antonio Garés. Zwei attraktive Damen stellen sich ebenfalls in den Dienst von König und Königin, von denen der Mezzosopran Valeria Girardello als Enrichetta eine wunderschöne Arie mit ebenmäßiger, warm timbrierter Stimme zum Besten gibt. Mit einem angenehmen leichten Sopran ist Floriana Cicio als Margherita ebenfalls ein Gewinn für die überaus interessante, mit einer wahren Entdeckung aufwartende DVD. Auf die nächste Ausgrabung, das Jahr 1824 betreffend, kann man schon gespannt sein (Dynamic 38031). Ingrid Wanja